Verwundert wandte sich Antias von der stolzen Südländerin ab dem ächzenden Stadttor zu. Dafür, dass es eigentlich für jedermann strikt verschlossen bleiben musste, ging es heute morgen erstaunlich oft auf und zu. Erst für den Sardinier mit seiner Tabula und für wen jetzt? Dass Hispo nicht wie erwartet miesepetrig herum schimpfte, sondern im Gegenteil ein launiges Gebrüll erschallen ließ, trug auch nicht gerade zur Klärung der Situation bei. Eilige Jungs? Was für eilige Jungs? Um eben dies herauszufinden stapfte Antias gespannt zum Tor hinüber, wo er sich abermals vor einer plötzlich daher jagenden Reiterschar in Sicherheit hechten musste. Der Witz wurde so langsam öde. Fluchend kämpfte sich Antias wieder auf die Beine und sah die prall gefüllten Ledersäcke auf den Pferderücken. Die schickten die Boten raus! Das konnte doch eigentlich nur eines heißen ..
Unter den Reisenden begann es zu gären. Erfreutes Gelächter, Einlass fordernde Rufe und zorniges Raunen wurde laut, als sich die Boten unterstützt vom Sardencontubernium durch die Menge arbeiteten. „Ist das offiziell? Bleibt das Tor offen?“ rief Antias dem grinsenden Hispo durch den sich hebenden Lärmpegel zu. „Die Boten schickt der Senat!“ blökte Hispo freudig zurück. „Und laut Meldegänger von der Castra bleiben die Tore offen wenn die Reiter erst durch sind!“
Antias gönnte sich einen Moment der Erleichterung. Ein Stück Normalität war also dabei, in die Urbs zurück zu kehren. Keinen Tag zu früh. Möglicherweise würde schon bald ein neuer Kaiser ausgerufen. Vielleicht wurde ja auch die Urlaubssperre demnächst aufgehoben und damit seinen Kameraden der wohlverdiente Ausgang ermöglicht. Aber so weit war es noch nicht, wahrscheinlich noch lange nicht. Zuallererst galt es mal, die in Bewegung geratene Menge zu kanalisieren, sonst würde hier doch noch das Chaos ausbrechen, welches die Urbaniciani bislang hatten verhindern können.
Als Antias die Reihen der Kameraden wieder erreicht hatte, waren die Boten schon hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. Immerhin, das war wenigstens glatt gelaufen. Die zunehmenden Aktivitäten unter den Wartenden verhießen allerdings nichts gutes. Langsam aber unaufhörlich wogte die murrende Menge ungeordnet dem Tor zu. Ganze Menschentrauben wurden in die Büsche gedrängt, Sänften wurden umgeworfen, schwächer gebaute Reisende einfach zu Boden gedrückt. Ohne all zuviel Zuversicht pfiff Antias drei mal gedehnt auf den Fingern und versuchte sich winkend, Gehör zu verschaffen. „CIVES! HERHÖREN!“ Die Cives hörten aber nicht her, die dachten gar nicht daran, herzuhören.
Frustriert drehte er sich wieder zu den grinsenden Urbanern um. „Ziemlich unmilitärisch, dein Gepfeife.“ ließ sich der belustigte Sarde vernehmen. Antias begann ebenfalls zu schmunzeln. Der Insulaner hatte wirklich die Ruhe weg. Nun denn, dann würden sie eben etwas Spaß haben, schließlich hatten sie sich lange genug dem Gemaule der Masse aussetzen müssen. „Also gut, Kameraden, legt die Hastae ab. Machen wir uns ein bisschen wichtig. Milites! Gladius stringite! Scuta pulsate!“ Die Schwerter fuhren aus den Scheiden und donnerten unheilverkündend gegen die Schildränder. Einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Hämmern der martialischen Darbietung war die Menge endlich in’s Stocken geraten und glotze die Milites verunsichert an.
„Macht ruhig noch weiter, das hat was.“ raunte Antias den Kameraden erheitert zu, und trat dann mit gezwungen ernster Miene erneut vor das Volk. „CIVES! HERHÖREN! Wie ihr seht, sind die Tore wieder offen! Das bleiben sie auch, wenn ihr euch zusammenreißt! Nehmt eure Bündel, reiht euch ein und wartet bis ihr an der Reihe seid! Sollte das hier nicht reibungslos vonstatten gehn’, sind wir angewiesen, die Tore umgehend wieder zu schließen!“ Das war natürlich eine glatte Lüge, belastete sein Gewissen allerdings nicht erwähnenswert. Das dröhnende Stakkato der gegen die Scuta krachenden Gladii hallte noch immer über den überfüllten Vorplatz. Irgendwie hatte der Frühjahrstag plötzlich etwas leicht beschwingtes an sich.