Atrium | Leontias Ankunft

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    In freudiger Erwartung trat Leontia in das Atrium hinein, darauf vertrauend, daß der Ianitor ihre Ankunft schon melden würde, und sehr gespannt, wen von ihrer weitläufigen Verwandtschaft sie als erstes zu Gesicht bekommen würde. Als sie die wohlige Wärme spürte, atmete sie auf, und ließ ihren Mantel achtlos von den Schultern gleiten. Dido, die ihre Herrin inzwischen wieder eingeholt hatte, konnte ihn gerade noch auffangen.


    Sorgfältig strich sich Leontia ihr rabenschwarzes Haar glatt, das sie im Nacken zu einem einfachen Knoten geschlungen trug, und zupfte an ihrer flauschigwarmen blauen Tunika herum, die in der Sänfte einige Falten bekommen hatte. Ein heiteres Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie durch das Atrium schritt, und betrachtete, was sich an der Einrichtung seit ihrem letzten Besuch geändert hatte.


    Nach dem langen Sitzen tat es gut, sich etwas die Beine zu vertreten, und das Atrium war, natürlich, wie immer, tadellos repräsentativ. Doch es schien Leontia, als ob ein paar mehr Pflanzen dem ganzen Arrangement mehr Leichtigkeit gegeben hätten. Sie blieb stehen, und ihre feingliedrige Hand spielte unentwegt mit ihrem filigranen saphirverzierten Ohrgehänge, ließ es leise klimpern, während sie grübelte wo sich was am besten machen würde... hier vielleicht etwas dunkles, dort etwas blühendes, dort am Wasser etwas rankendes - oder nein, noch viel besser -
    „Seerosen...!“

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    Wie schwer doch Liebeskummer sein kann, besonders für Paris


    Aber wie des Sternes Pracht, ist es nur ein Schein der Nacht! Die Liebe kann alles verlangen, doch auch vergänglich kann sie sein! Was dahin ist und vergangen - kann es denn die Liebe sein? Wenn das Liebesglück auch flieht, der Liebesschmerz wird nie vergehen!


    Ein letzter Blick wurde auf die holde Dame geworfen, ein letztes Mal geseufzt. Gut, Paris hatte auch einfach einen Drang zur Theatralik. Schließlich verliebte er sich ständig in Frauen, die für ihn völlig unerreichbar waren. Frauen, die er still und heimlich anschmachten konnte. Denn schließlich wäre jede Avance völlig aussichtslos, darum musste er auch nicht seinen ganzen Mut zusammenraffen und sie ansprechen. Aber er war Poet! Und nur im Liebesschmerz konnte die wahre Kunst entstehen. Ehe die Amme wieder seinen Blick bemerkte, machte er sich schnell aus dem Atrium davon, suchend im Haus, ob er nicht irgendeinen Flavius oder eine Flavia ausfindig machen konnte, der er von der Ankunft der jungen Leontia brav und gehorsam, ja demütig berichten konnte. Was er dann auch tat!

  • Seit Gracchus die Nachricht aus Ravenna erhalten hatte, war er von einer fortwährenden, leichten inneren Unruhe befallen. Einerseits hatte er das Gefühl, Leontia seit langer Zeit zu kennen, andererseits fühlte er sich in ihrer tatsächlichen Gegenwart immer ein wenig befangen. Es war einfach, einen Brief - manchmal über mehrere Tage hinweg - zu perfektionieren, ihn in Form zu setzen, die Worte zu arrangieren, doch es war etwas anderes, Worte in Gedanken zu formulieren und ihnen beinahe im gleichen Moment noch durch die Kehle einen Laut mitzugeben und sie durch den Mund hinaus in die Welt zu entlassen, ohne, dass sie später noch einmal korrigiert werden konnten. Doch als der Sklave die Ankunft seiner Base meldete, sputete er sich, in das Atrium zu gelangen.
    "Leontia!"
    Ein erfreutes Lächeln umspielte Gracchus' Lippen und er ging mit offenen Armen auf seine Base zu. Ihr Name klang wie Poesie in seinen Ohren, wie tiefe Gedanken und endlos erquickende Diskussionen, wie lange pergamentene Seiten, gefüllt mit feinsinnigen Worten, wie phantastische Ideen, welche zu denken kaum ein Mensch wagte und noch weniger sie zudem in Freiheit zu entlassen. Er klang wie der Name einer Muse, wie die Unbeschwertheit offener Worte, die über weite Ferne getragen so endlos leicht erschienen, wie Stunden, welche in Stille vergingen auf der Suche nach dem perfekten Satz. Wie Gracchus mit Aquilius Schriften geteilt, Geschichten gelesen und manche weitergesponnen hatte, so hatte er sie mit Leontia bis in die Tiefe durchdrungen, auseinandergenommen, bis ins letzte Detail bereist, und in neuer Erkenntnis bald wieder zusammengesetzt. Es war der Zufall, vielleicht auch die Parzen, gewesen, welcher sie in ihrer Gier nach geschriebenen Worten, nach festgehaltenen Gedanken und Ideen zusammengeführt hatte. Gracchus erinnerte sich an jenen Tag als wäre es gestern gewesen, mit leichtem Unbehagen, und doch heimlicher Freude. Leontias Vater Aetius hatte Gracchus die nie begangene Tat nie verziehen, und obwohl nie begangen hatte sie etwas geschaffen, was schwerlich zu zerstören war, so merkwürdig es auch anmuten mochte.
    "Welch eine Freude, dich wohlbehalten in Rom zu sehen. War deine Reise angenehm?"

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  • „Manius!“ Ihr blasses Antlitz erstrahlte, als sie schnell auf ihn zu trat. Wie immer wenn sie ihm leibhaftig begegnete, wurde sie von einem weihevollen Gefühl ergriffen, förmlich emporgehoben. „Mein lieber Vetter!“, rief sie tiefempfunden aus, überwand mit fliegenden Schritten den letzten Abstand zwischen ihnen - und fragte sich insgeheim mit einem Mal, ob das Verhalten, das sie gerade an den Tag legte, ihm nicht viel zu überschwenglich erscheinen mußte. Zudem spürte sie den gestrengen Blick ihrer Amme auf sich lasten. So zauderte Leontia kurz, und als sie ihn dann doch umarmte, wurde es eine eher linkische, kurze Berührung.


    „Ich freue mich auch sehr.“ Noch immer strahlend, doch für den Moment um Worte verlegen, sah sie ihn an, mochte ihm nicht von den trivialen kleinen Begebenheiten ihrer Reise berichten, von schlammigen Straßen, erkälteten Sklaven und unkomfortablen Gasthäusern, von kalten Füßen und juckenden Wanzenstichen. Allesamt waren diese Vorkommnisse unbedeutend und banal, und es wäre ihr unpassend vorgekommen, sie vor ihren Vetter auszubreiten.


    Es war Gracchus gewesen, der sie aus der intellektuellen Ödnis gerettet hatte, in die sie das zurückgezogene Leben auf dem Gut, mit einem Vater der ihre Neigungen weder verstand noch guthieß, verbannt hatte. Gracchus‘ Briefe, die Schriften die er ihr sandte und die Ideen, an denen er sie teilhaben ließ, waren ihr Fenster zur Welt, ihr Zugang zu den edlen und ewigen Fragen des Seins geworden. Mit welch drängender Ungeduld hatte sie seine Briefe erwartet, sie so begierig verschlungen wie eine Verdurstende in der Wüste das rettende Nass. Wieder und wieder hatte sie sie gelesen, sich ergötzt an funkelnden Wortkunstwerken, an geistsprühenden Bemerkungen, eleganten Wendungen, und dann wiederum an schlichten Sätzen von anrührender Klarheit...


    Und mit welchem Eifer hatte sie ihre Antworten formuliert, ihren Gedanken Halt und Form gegeben, wie minutiös hatte sie ihre Wortwahl überdacht und ihre Leibsklavin mit der häufigen Forderung, den Brief für einen, um ein weniges ausgefeilteren, Wortlaut neu zu schreiben, beinahe in die Verzweiflung getrieben. Sie erglühte vor Stolz, wenn Gracchus ihre Gedankengänge mit Anerkennung bedachte, sie im Austausch weiterentwickelte und veredelte... Wie ein Heiligtum hütete sie die Rosenholzschatulle, in der sie die empfangenen Briefe aufbewahrte, und hin und wieder spielte sie mit dem Gedanken, ob diese nicht vielleicht eines Tages der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten; es erschien ihr nicht abwegig, daß „Briefe an Leontia“ sich neben Werken wie „Briefe an Lucilius“ durchaus behaupten würde...


    „Meine Reise war ... recht ereignislos. Ich ließ mir viel vorlesen, aus dem Phaidros. Aber sag, wie geht es dir? Und der Familie? Ach, und außerdem muß ich mich wirklich nochmals entschuldigen, daß ich zu deiner Hochzeit nicht kommen konnte, aber Papa... du weißt ja.“

  • Mit einem Glanz der Freude in den Augen schloss Gracchus seine Base für wenige Augenblicke in seine Arme, enließ sie jedoch sogleich wieder, spürte er doch unverhältnismäßig deutlich die Blicke Leontias' Sklaven auf sich fixiert, und sicherlich war unter jenen einer, welcher Aetius Bericht erstattete über alles, was in Rom vorfallen würde, oder auch nicht. Dabei war gerade Leontia eine der wenigen Personen, bei welchen es Gracchus möglich war, sie mit freundschaftlichen Berührungen zu bedenken, ohne dass gleich sein Körper in Verzückung oder gar Extase geriet, wie dies bei allzu vielen anderen freundschaftlichen Beziehungen der Fall war.
    "Platons Schriften vom Schönen, wahrlich, welche Gedanken wären angemessener um eine Reise zu erquicken, wenn sich die Schönheit selbst auf den Weg begibt.
    So ist es allerdings, Leontia. Weit herrlicher aber denke
    ich ist der Ernst mit diesen Dingen, wenn jemand nach den Vorschriften
    der dialektischen Kunst, eine gehörige Seele dazu wählend, mit
    Einsicht Reden säet und pflanzt, welche sich selbst und dem, der sie
    gepflanzt, zu helfen imstande, und nicht unfruchtbar sind,
    sondern einen Samen tragen, vermittels dessen einige in diesen, andere
    in anderen Seelen gedeihend, eben dieses unsterblich zu erhalten
    vermögen, und den, der sie besitzt, so glücklich machen, als einem
    Menschen nur möglich ist."

    Ein Schmunzeln kräuselte seine Lippen, in Vorfreude darauf, dass die blassen Tage in dieser Villa endlich bezwungen waren, dass nicht mehr nur politische Geflechte, römisches Tagesgeschehen und andere Banalitäten die Abende bestimmen würden, sondern endlich wieder erhabene Gedanken, Kunst, Poesie und tiefgründige Gespräche Einzug hielten, die seit dem Auszug der Tiberia Livia nur allzu brach lagen. Aus dem Schriftlichen heraus würden sie sich nun, da Leontia in Rom verweilen würde, endlich auch der Untersuchung der Art und Weise des guten Redens widmen können.
    "Mir selbst geht es gut, du weißt, nichts anderes wäre angemessen. Der Rest der Familie befindet sich ebenfalls wohl, nach Lucullus kehrte erst kürzlich auch meine Schwester Minervina nach Rom zurück. Unser Vetter Felix ist ebenfalls in der Stadt, doch man sieht ihn beinahe so selten, wie in der Zeit, die er auf Sardinia verbringt. Sein Sohn Milo gleicht ihm in dieser Hinsicht sehr, während sich Furianus noch immer in unbotmäßigen Ämtern verdingt."
    Mit einem leichten Kopfschütteln und einer sanften Handbewegung winkte er ab.
    "Aber nicht doch, du brauchst dich nicht entschuldigen, Leontia. Du hast nicht sonderlich viel dabei verpasst, es war ... nur eine Hochzeit."
    Genau genommen war es ein einschneidendes Ereignis, gemeinsam mit den Tagen zuvor, in welchen er Aquilius abgewiesen hatte, und seitdem war das Leben nur noch komplizierter geworden, als zuvor. Doch dies waren Gedanken, welche zu tief in sein eigenes Wesen eindrangen, als dass Gracchus sie bereitwillig teilen würde, nicht einmal mit Leontia, und vor allem nicht zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort.
    "Doch du kommst gerade recht zu den Saturnalia. Ich werde den öffentlichen Kultakt auf dem Forum leiten und für den Abend hege ich die Hoffnung, dass wir einige Flavia zusammenbringen können, denn an anderen Tagen ist das Haus voll und dennoch gelingt es kaum, einen von ihnen zu Gesicht zu bekommen. Oh, beinahe vergaß ich darauf, Aristides' Sohn Serenus ist ebenfalls vor einigen Tagen angekommen und wird vorerst in Rom bleiben. Doch nun sage mir, was genau bezweckt dein Vater mit deinem Aufenthalt hier? Er schickt dich doch nicht etwa die Bibliotheken zu erkunden?"

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  • „Allerdings, oh mein Sokrates. Etwas noch weit Herrlicheres, gewiß.“ lächelte Leontia, und erleichtert hörte sie, daß in der Zwischenzeit keine größeren Katastrophen über die Familie hereingebrochen waren. Ein wenig starr wurde das Lächeln aber, als der Name ‚Milo‘ fiel, und nur mühsam schluckte sie das aufkeimende Unbehagen herunter. Wenn es nur nicht wieder zu so desaströsen Szenen wie im Vorjahr käme!


    „Lucullus, ja,“ nickte sie, „und Minervina, wie schön. Vielleicht habe ich diesmal die Gelegenheit, sie etwas näher kennenzulernen. Sogar Serenus ist hier, das freut mich aber zu hören! Sicher ist er schon wieder in die Höhe geschossen seit ich ihn zuletzt sah. Das ist doch etwas ganz besonderes, wenn sich die gesamte - nun ja, fast die gesamte - Familie so versammelt.“ Und unbedingt mußte sie sich gleich morgen aufmachen, um ein paar schöne Saturnaliengeschenke zu besorgen.


    Deutlich war ihr Stolz, daß ihr Vetter diese so bedeutsame Zeremonie leiten würde. „Selbstredend werde ich es mir nicht nehmen lassen, dem Kultakt beizuwohnen!“ versprach sie eifrig, obgleich sie für gewöhnlich solche unüberschaubaren Ansammlungen der Massen mied. All zu schnell überkam sie in jenen Situationen ein Gefühl der Beklemmung, und all zu schnell kam es in dem Gedränge zu unerquicklichen Begegnungen mit den unästhetischeren Vertretern des Plebs.


    Wieder schmunzelte sie, als Gracchus ihren Vater und die Bibliotheken im selben Atemzug erwähnte, und meinte leise: „Eine längere Geschichte.“ Bevor sie anhub diese zu erzählen, wandte sie sich zu ihren noch immer wartenden Sklaven um, zu Dido, die ihren Schützling genau im Blick hatte, zu Kosmas, der verdrießlich auf ein Fresko starrte, und zu Salambo, die die Katze Sphinx hinter den Ohren kraulte, daß sie leise schnurrte. „Geht bitte, und kümmert euch mit den hiesigen Sklaven um ein Zimmer für mich. Ich möchte mich gleich etwas ausruhen.“ wies sie die Frauen an, und zu dem Medicus meinte sie bestimmt: „Eine Visite wird erst wieder morgen nötig sein.“


    Zwar wurde Didos strenge Miene noch etwas säuerlicher, doch sie gehorchte, und ebenso die beiden anderen. Als sie aus dem Atrium verschwunden waren, setzte Leontia unvermittelt wieder an: „Du kennst Cassius nur aus meinen Erzählungen...“ Sie hatte ihren Verlobten nie anders als mit seinem Nomen gentile bezeichnet. „Deshalb wirst du dir schwerlich vorstellen können, mit welchem Ungestüm er das Leben lebte, mit welcher ... Gier er es sich einverleibte.“ Unruhig schritt sie während dieser seltsamen Einleitung einige Schritte auf und ab.


    „Nun, es ist jetzt fast vier Wochen her, da waren wir in Ravenna geladen, auf einer Cena des Duumvir, ich wollte nicht hingehen, aber Papa bestand darauf.“ Sie betonte das Wort Papa etwas langgezogen, mit Betonung auf der zweiten Silbe. „Cassius erschien, in seiner Uniform, er machte eine gute Figur, er trank, und aß, und lachte...“ Sie schlang die Arme um sich, sah zögernd, und mit einem seltsam fragenden Ausdruck zu Gracchus, als sie fortfuhr: „Und da passierte etwas merkwürdiges. Ich sah, wie er ein Ei aß, einfach nur ein Ei aß, wie er es hungrig und ... achtlos hinunterschlag... und verspürte einen ganz ungeheuren Widerwillen.“


    Wieder sah sie das Bild vor Augen, wieder erwachte der Ekel, der sie da gewürgt hatte. „Ich ging in den Garten und grämte mich,“ erzählte sie leise weiter, mit einem entschuldigenden Lächeln, „Salambo versuchte mich aufzuheitern, doch ich war ... unangemessen aufgewühlt, und ich muß gestehen, ich wünschte mir mit aller Macht, etwas, irgend etwas würde geschehen, und verhindern, daß ich seine Frau werden müßte... Und stell dir vor...“, sie stand wieder direkt vor Gracchus, und ihre großen nachtblauen Augen waren unverwandt auf sein Gesicht gerichtet, als sie mit einem leisen Ausdruck des Staunens weitersprach: „...stell dir vor, später am Abend, da gab es Muräne, und Cassius, der wie immer gierig schlang, muß eine Gräte in den Hals bekommen haben, er hustete plötzlich wild, wurde ganz blau und starb... Merkwürdig, nicht?“


    Sie schüttelte ganz leicht den Kopf, und sprach unbewegt weiter: „Papa fürchtet, dieser Todesfall könne mein Gemüt zerrütten und mich in die Melancholie stürzen, deshalb schickt er mich hierher. Er meint, daß all die Festivitäten und Zerstreuungen der Stadt mir guttun... ich soll mich amüsieren, sagt er...“ Und auch er kann sich nun ganz ungehemmt amüsieren, dachte sie bitter, wollte ihren Vater aber nicht anschwärzen. Seine Lasterhaftigkeit war ja zu Genüge bekannt.

  • Ein winziger Schauer jagte über Gracchus' Nacken, den Rücken hinab, und er fragte sich, weshalb Antonia nicht wenigstens ein kleines bisschen mehr wie Leontia sein konnte, nur mit ein wenig mehr Feinsinn für Worte ausgestattet, denn er bezweifelte, dass sie auch nur ein einziges seiner Zitate je erkannt hätte. Zwischen seiner Gattin und ihm herrschte nur immer Schweigen und manches mal beinahe niederdrückende Stille, hatten sie doch noch kein Themengebiet gefunden, welches sie beide gleichermaßen erfreut hätte. Auf schöne Worte reagierte sie nicht, an Politik ließ Gracchus sie nicht teilhaben und an ihrem Tagesgeschehen war er nicht interessiert. So bedauerte er es keineswegs, wenn sie sich Abend um Abend beim Mahl entschuldigen ließ, da sie nur wenig Appetit hatte oder sich unpässlich fühlte, und war dies nicht der Fall, so fand er einen Vorwand, das Essen aufgrund mannigfaltiger Arbeit auf einen späteren Zeitpunkt hinaus zu schieben oder nebenbei in seinem Arbeitszimmer einzunehmen.
    "Ich werde dafür Sorge tragen, dass du beim Opfer bis ganz nach vorne durchgelassen wirst."
    Die Saturnalia waren immer ein sehr ausgelassenes Fest, an welchem sich nicht nur die oberen Bevölkerungsschichten erfreuten, sondern auch und besonders das einfache Volk und sogar die an diesen Tagen von ihren Diensten befreiten Sklaven, und Gracchus wollte vermeiden, dass seine Base im Strom dieser Masse untergehen würde. Doch seine Gedanken an den bevorstehenden Feiertag wurden vorerst von einem Blick auf den sich entfernenden Anhang Leontias abgelenkt. Sein Kopf legte sich ein wenig schief, als er den Abgang des Medicus Kosmas verfolgte, doch seinen Gedanken blieb keine Ruhe, nichteinmal der Frage, wer jener Mann war, konnte er nachgehen, denn seine Base berichtete bereits weiter. Ihr Verlobter Cassius war ihm schon durch ihre Briefe zuwider geworden, sein Ableben wohl ein bedauerlicher Umstand, doch für Leontia sicherlich eine große Erleichterung. Er konnte sie mitfühlen, diese Erleichterung, und mochte es auch grausam sein, manches mal war der Tod die einzige Möglichkeit, einem ungeliebten Schicksal zu entkommen. Gracchus fasste seine Base an den Schultern, zog sie zaghaft zu sich heran und umarmte sie sanft, wie man es für gewöhnlich mit einem Menschen tat, um ihn zu trösten. Seine Lippen waren nah an ihrem Ohr und seine Stimme nur ein Flüstern, denn in diesem Haus war man niemals allein.
    "Schäme dich nicht deiner Gedanken. Selbst wenn es die Götter waren, welche sie erhörten und umsetzten, so zeigt dies nur, dass sie dir gewogen sind. Ich bin ... froh, dass es so gekommen ist."
    Mit einem leicht hintergründigen Lächeln auf den Lippen trat er einen Schritt zurück.
    "Sicherlich werden sich in Rom genügend angemessene Möglichkeiten zur Zerstreuung finden, so dass dir Melancholie und Gemütsschwere erspart bleiben. Du weißt, dass du mich immer aufsuchen kannst, wenn es dir danach ist, mit jemandem zu sprechen."
    Er zögerte kurz, rang sich schlussendlich allerdings doch zu seiner Frage durch.
    "Doch sag, wer ist jener Mann, welcher dich begleitet hat?"

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  • Leicht sank Leontias Stirn an die Schulter ihres Vetters, ein leises Seufzen kam über ihre Lippen und hing einen Moment lang kaum hörbar in der Luft. Die Anspannung, die während ihres Geständnisses ihren schmalen Körper fest im Griff gehabt hatte, wich in der Umarmung, und erleichtert flüsterte sie „Ich danke dir, Manius...“


    Seine nächsten Worte entlockten ihr schon wieder ein Lächeln. „Ja, da bin ich auch sicher.“ Und mit einem vergnügten Funkeln in den Augen verriet sie ihm: „Weißt du, ich habe nämlich gar nicht vor der Schwermut zu verfallen. Es wird für mich ein übergroßer Luxus sein, jederzeit die Möglickeit zu haben, mich mit dir auszutauschen. Es erscheint mir noch ganz ... unwirklich. Aber ich werde mich schon noch daran gewöhnen.“


    Sie lächelte verschmitzt, obwohl sie zugleich einen zarten Anflug von Besorgnis verspürte: ob Gracchus nicht, wenn er sie so häufig vor Augen hätte, ihre Unzulänglichkeiten unangenehm auffallen würden? Die - noch immer bedeutsamen - Lücken ihrer Bildung? Ihren manchmal unmäßigen Hang zum Luxus? Oder gar ihre Anwandlungen von Zerstörungsdrang? Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß in ihrer Familie niemand ohne Fehl war, viele gar eine tiefe Düsternis in sich trugen. ‚Flavisches Blut, heißes Blut‘, hätte ihr Vater schulterzuckend gesagt, ‚es treibt uns zu höchsten Höhen genauso wie in die tiefsten Abgründe.‘ - bevor er sich mit Hingabe wieder seinen Abgründen widmete.


    „Jener Mann? Ach so, du meinst Kosmas. Papa erwarb ihn kürzlich, er ist Medicus und Grieche. Er scheint sich gut auf seine Kunst zu verstehen, und Papa bestimmte ihn zu meiner Begleitung, damit er mein Leiden im Auge behält - obgleich es mir zur Zeit sehr gut geht.“ fügte sie schnell hinzu, und fragte sich, ob ihr Vater den Medicus und seine lästigen Mahnungen zu Mäßigung vielleicht einfach nur hatte loswerden wollen.


    „Gelegentlich versuchte ich mit ihm eine Konversation zu führen, um mein Griechisch zu üben, und weil er mir ein gelehrsamer Mann zu sein scheint. Aber er ist ungemein wortkarg. Ich fürchte auch, er hält nicht viel von gebildeten Frauen... ‚Das Weibliche besitzt zwar das planende Vermögen, aber ohne Entscheidungskraft...‘zitierte sie achselzuckend. „Viel mehr war ihm nicht zu entlocken.“


    Sie fasste Gracchus sacht am Arm, führte ihn einige Schritte auf das Impluvium zu, und deutete träumerisch auf die Wasseroberfläche. „Sieh mal. Ich habe den Eindruck einige Seerosen würden dieses Arrangement noch veredeln. Weiße Blüten, an den Spitzen zartrot angehaucht. Oder vielleicht Lotosblüten... Was meinst du?“

  • Ihr dauerhaftes Verweilen erfreute Gracchus tatsächlich, obwohl ihm bei dem Gedanken an ihre permanente Anwesenheit ein wenig flau wurde. Es war einfach über die Ferne mit lange zurechtgelegten Worten zu bestechen und ein Bild von sich zu zeichnen, welches womöglich nicht der tatsächlichen Wahrheit entsprach. Der Gedanke, Leontia könnte enttäuscht sein im Augenblick dessen, dass sie erkannte, dass er in fortwährenden direkten Gesprächen lange nicht derjenige war, welchen sie erwartet hatte, schmerzte ihn, wäre dies doch nur ein weiteres Maß seiner Unzulänglichkeiten. Dennoch, er würde sie nicht von jenen Gesprächen abhalten können, war seine eigene Sehnsucht danach doch viel zu dominant.
    "Kosmas."
    Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Medicus und Grieche, ein Peregrinus also, und damit außerhalb der Möglichkeiten. Äußerst bedauerlich, doch nicht zu ändern.
    "Nun, sehr gebildet scheint er nicht zu sein, nach jener Äußerungen zu urteilen. Mir kommt als erstes jene schöne und intelligente Cleopatra in den Sinn, welche es nicht nur verstand, vorausschauend zu planen, sondern gleichermaßen die mächtigsten Männer Roms durch ihre Entscheidungen lenkte und sie zudem noch überlebte, wenn auch im Falle von Marcus Antonius nicht gar sehr lange. Wie dem auch sei, die Notwendigkeit, an seiner Bildung teilzuhaben, wird hier in Rom nicht mehr bestehen. Mag er sich um seine Salben und Tinkturen kümmern, davon verstehen die Griechen immerhin etwas."
    Auch von anderen Dingen, doch jene ließ Gracchus lieber unerwähnt, schwang ihre Nennung doch ohnehin immer implizit mit, wenn man über jenes Volk sprach, bewusst oder unbeabsichtigt. Bereitwillig ließ er sich zum Impluvium führen und starrte auf die glänzende Oberfläche hinab. Er sah das Wasser vor sich, konnte sich ohne Schwierigkeiten die weißen Blüten der Seerosen vorstellen, zartrotfarben umrandet, auch die elegant geschwungenen Blätter der Lotosblumen konnte er sich vergegenwärtigen, doch für all jenes in Kombination fehlte im jeglicher Sinn.
    "Gewiss, es würde sicherlich vorzüglich passen."
    Er hoffte dies zumindest, würde er doch erst im Nachhinein bestimmen können, ob dieses Arrangement tatsächlich mit dem Rest des Atriums harmonierte, dann, wenn er es wahrhaftig vor sich sah.
    "Ich werde dem Vilicus Bescheid geben, dass er dafür Sorge tragen soll. So wirst du nicht nur mit deiner eigenen Erscheinung Schönheit in dieses Haus bringen, sondern auch durch deine Ideen."
    Versonnen blickte er einige Augenblicke auf das Wasser, auf welchem sich durch den Strom aus der Kanne des steinernen Faunus kleine Wellen ausbreiteten. Wie sich die Wasserfläche kräuselte, so kräuselte sich plötzlich auch Gracchus' Stirne.
    "Verzeih, auch wenn ich nicht der Hausherr bin, so bin ich augenscheinlich ein schlechter Gastgeber in diesem Hause. Möchtest du etwas trinken oder essen? Oder ist es dir eher danach, dich ein wenig auszuruhen, ich möchte dich von nichts abhalten, werden wir doch noch genügend Zeit füreinander haben."

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  • In der Tat hatte Leontia noch so manch spontane Idee, wie man die Schönheit des Atriums noch besser zur Geltung bringen könnte, doch sie wollte nicht mit der Türe ins Haus fallen. Zudem gebot es die Höflichkeit solche Einfälle zuvor mit der Frau des Hauses abzuklären - das wäre dann wohl Gracchus Ehefrau - die sie sich um keinen Preis zur Feindin machen wollte.


    „Dich nach so langer Zeit wieder zu sehen, Manius, ist mir Labsal ohnegleichen.“ erwiderte sie ehrlich. „Danke, du bist sehr aufmerksam, doch ich möchte im Moment nichts zu mir nehmen.“ In der Sänfte hatte sie aus der Langeweile heraus heute schon viel zu viel Honiggebäck genascht. „Etwas ausruhen und frisch machen würde ich mich jedoch gerne.“ Und ihre Zehen verlangte es nach einem warmen Fußbad.


    Etwas verlegen fuhr ihre Hand wieder zum Ohrgehänge, spielte leise damit. Es klimperte hell und die kleinen Saphire warfen blaue Lichtfunken. „Sicher hast du sehr viel zu tun, gerade jetzt vor den Saturnalien natürlich. Ich freue mich schon so auf die Zeremonie, und auf das Fest...“ Es würde ganz bestimmt nicht einfach werden, für jeden ein passendes Geschenk zu finden. Die Zeit war knapp, doch die römischen Märkte groß und Leontia fest entschlossen.


    Noch immer überwältigt, und zugleich ein wenig eingeschüchtert von der Aussicht ihn jederzeit, oder jedenfalls häufig, sehen zu können, trat sie lächelnd einen Schritt zurück. „Dann werde ich mich jetzt fürs erste zurückziehen, wenn du erlaubst, lieber Vetter.“

  • Dem Atrium, der gesamten Villa, würde eine Gestaltung durch weibliche Hand sicherlich nicht schaden. Antonia hatte sich bedauerlicherweise dafür noch nicht erwärmen können, möglicherweise da ihr Status ein wenig vage war, war der Hausherr doch Felix und das Amt der Hausherrin somit vakant. Flavia störten solcherlei familiäre Details selten, da der Hausherr ohnehin selten anzutreffen war hatte jeder mehr oder minder alles oder nichts zu entscheiden. Felix würde es zudem wahrscheinlich nicht einmal auffallen, wenn die Villa sich verändert hatte, dennoch schien Antonia dies von jeglichem Vorhaben abzuhalten. Möglicherweise kam ihr dies auch nicht ungelegen. Gracchus nickte und lauschte verzückt dem Klang seines Namens, ausgesprochen durch seine Base. Es gab wenige Menschen, welche dererlei vertraut ihn mit waren, um ihn beim Praenomen zu nennen. In Aquilius' Stimme schwang dabei stets ein Hauch von Sehnsucht, Aristides sprach ihn eher unbedacht und beiläufig aus, Sciurus stets reserviert und unter stillem Protest. Seine eigene Familie gebraucht ihn nur unter eindringlichen Worten und Antonia ... Antonia schaffte es, so viel Oberflächlichkeit in ihre Stimme zu legen, dass Gracchus sich manches mal wünschte, sie würde ihn statt dieser Farce der Ehrlichkeit halber mit seinem Nomen Gentile bedenken.
    "Natürlich erfordern die Saturnalia große Vorbereitungen, doch ich werde mir stets Zeit für dich nehmen, wenn du diese benötigst. Zögere also nicht, mich aufzusuchen, wenn es dir danach ist. "
    Er bedachte sie mit einem warmherzigen Lächeln.
    "Natürlich erlaube ich, meine teuereste Leontia, denn wie könnte ich wagen, mich dem zu verweigern?"

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  • „Ich weiß es sehr zu schätzen, lieber Manius, daß du mir von deiner knapp bemessenen Zeit so großzügig offerierst. Und natürlich ...“ sie zögerte kaum merklich, da es in ihren Ohren beinahe vermessen klang, „ ... natürlich werde ich dir meine, sicherlich sehr viel großzügiger bemessene Zeit, auch jederzeit mit Freuden widmen - wenn du möchtest.“ Sie lächelte schüchtern, und ihr feingliedriger Zeigefinger ließ wieder den Ohrring hin und her schwingen.


    „Heißt es nicht auch bei Seneca, daß es nicht etwa wenig Zeit ist, die wir zur Verfügung haben, sondern viel, die wir nicht nutzen? Obwohl ich mir das bei dir kaum vorzustellen vermag...“ Wieder unbefangener trat sie noch einmal an ihn heran, und drückte herzlich seine beiden Hände. „Ich danke dir für dieses Willkommen, Manius. Dann also bis später...“ Sie wandte sich zu Gehen, drehte sich nach einigen Schritten noch mal zu ihm um und fügte mit einem - nicht vollkommen - scherzhaften Lächeln hinzu: „...mein Sokrates.“


    Leichten Trittes verließ sie das Atrium, raffte im Gehen etwas den Saum ihrer Tunika, und stieg beschwingt die Treppen in das Obergeschoß empor. Und zu ihrer Freude hatten ihre umsichtigen Sklavinnen wieder das hübsche Gemach mit dem entzückenden kleinen Balkon für sie organisiert. Rundum zufrieden zog Leontia ein.

  • Als Leontia das Atrium mit leichtem Schritt, beinahe wie von Luft getragen, verließ, hallte ihr ein leises Lachen nach. Ein wenig zu spät hob Gracchus sein Hand, um es dahinter zu verbergen, und selbst im Falle, dass ihm dies gelang, so konnte er doch nicht das freudige Funkeln aus seinen Augen verbannen, welches ihn ohnehin vor jedem anderen hätte verraten. Glücklicherweise war niemand sonst anwesend. Selbst eine von ihm enttäuschte Leontia würde weit mehr Vergnügen und Genuss bedeuten, als eine nur halbwegs ausgelassene Antonia. Hätte nur seine Gattin ein wenig mehr Esprit, ein wenig mehr Ratio, so wie Leontia, womöglich würde es ihm nicht ganz so leicht fallen, nur immer wieder an ihrer Tür vorüber zu gehen, statt hindurch. Doch der Gedanke an Antonia war fern, verdrängt durch seine Base, und so fiel es ihm auch an diesem Tage nicht schwer, auf dem Weg zurück zu seinem Arbeitszimmer das Gemach seiner Gattin mühelos zu umgehen.

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