[MARE INTERNUM] Wenn Lucilla eine Reise tut ...

  • Wie eine Königin segelte der schlanke und weiße Vogel am blauen Himmel entlang, die Spitzen der Flügel unterbrachen mit einem schwarzen Tupfer das makellose weiße Federkleid. Still und wie ein stummer Zeuge aus der jenseitigen Welt verfolgte die Möwe die Harpyia, deren Bug durch das tiefblaue Wellenmeer hindurch pflügte. Sanft, aber durchaus frisch wehte die stete Brise über das Oberdeck des Piratenschiffes. Diese Idylle wurde durch das scheppernde Geräusch von Metall auf dem Achterdeck unterbrochen als eine Metallkugel auf die Holzplanken fiel und kullernd über das erhöhte Deck rollte, drohte auf das Oberdeck herunterzufallen. "Aufgepasst dort unten!" schon knallte die Bleikugel herunter und rollte neben Lucillas Füßen entlang. Mehrere der Piraten standen um die große und beeindruckende Balliste herum, die mit großen eisernen Nägeln am Achterdeck festgenagelt und -gezurrt stand, daneben lag in einer großen Kiste ein Berg von klobigen Bleikugeln, die mit der Balliste gegen andere Schiffe verschossen werden konnten, drei Männer bemühten sich ächzend und mit einer Winde, die stramme Sehne an der Balliste nach hinten zu kurbeln. Mit verschränkten Armen stand der Kapitän daneben. Er trug ein recht unrömisches, sich im Wind bauschendes schwarzes Hemd, welches lose über seine dunklen, gallischen Hosen hing. Als er der Kugel hinterher sah, bemerkte er auch Lucilla. Seine Augen hefteten sich auf sie, durchdringend und mit kalter Abneigung. In dem Momente ertönte ein lauter Knall und ein gellender Schrei, die Sehne der Balliste war gerissen und hatte mit mehr Kraft als die Katze, die Peitsche, es könnte, einen der Piraten an der Schulter und halb im Gesicht getroffen. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen wandte sich Tullius wieder um, ignorierte Lucilla nun.
    "Tragt ihn runter! Dann holt eine neue Sehne. Und passt das nächste Mal besser auf! Gorgoys, lass die Fässer herunter, aber noch am Seil. Wir machen sie los, wenn die Sehne aufgespannt ist."
    Der verletzte Pirat winkte ab, wollte wohl nicht heruntergebracht werden, obwohl ihm aus einer breiten Wunde an der Stirn das Blut ins Gesicht lief.
    "Hör mit dem Unsinn auf, komm wieder hoch, wenn es aufgehört hat zu bluten, aber wir sind ehedem noch mit den Vorbereitungen beschäftigt."
    Der Pirat nickte und wankte dann mit Hilfe eines dunkelhäutigen Piraten die Treppen vom Achterdeck herunter und an Lucilla vorbei, der er einen kalten und haßerfüllten Blick zuwarf. "Hexe!" murmelte der Verletzte und war im Bauche des Schiffes entschwunden. Aus ebensolchem folgte Dardarshi auf das Deck hoch, er hatte der Römerin bei weitem nicht so schnell folgen können. Seufzend trat er an ihre Seite und rieb sich seine rechte Hüfte. "Ich sagte doch, mit mir kannst Du hoch, werte Dame! Das ist zu Deinem eigenen Schutz!"
    Die Männer auf dem Achterdeck waren derweil beschäftigt, die Balliste erneut mit einer dicken Sehne auszustatten. Tullius überwachte die Arbeiten daran von der Steuerbordseite des Achterdecks aufmerksam, ignorierte das Oberdeck völligst. Es platschte laut, als drei Fässer, die an Seilen noch mit dem Schiff verbunden waren, am Heck ins Wasser gelassen wurden. Wie kleine Beiboote wurden sie hinter dem Schiff hergezogen.
    Dardarshi berührte Lucilla kurz an ihrem Ellenbogen. "Komm, spreche den Kapitän jetzt besser nicht an. Gehen wir doch am Seitendeck zum Bug." Dardarshi wandte sich um und lief langsam das Seitendeck entlang, wich mal einer Rolle von sorgfältig zusammengelegten Tauen aus, ebenso einem Piraten, der ein Schot fest surrte. Nur mühsam humpelte der Parther auf die Bugspitze zum Bugspriet. "Mittlerweile habe ich das Meer tatsächlich schätzen gelernt, hielt ich es früher doch für einen üblen Gegner für den Mensch, immer bestrebt mit den Wellen ihn unter Wasser zu drücken und das Leben zu nehmen!" Am Bug blieb der Parther stehen und hielt sich an einem Tau fest, seine Augen spähten über das Meer. Kleine Schaumkronen verfingen sich in den Bugsprietnetzen und fielen auf die barbusige Harpiengestalt am Bug. "Ein Wal!" Dardarshi hob seine narbige Hand und deutete auf einige Wellenkämme, wo eine Wasserfontäne in die Luft wirbelte und sich gar schließlich ein bleigrauer Rücken erhob, der über und über mit Muscheln, Tang und borkigen Buckeln versäht war, die riesige Flosse erhob sich aus dem Wasser und glitt wieder elegant hinein. "Beeindruckend! Oder meinst Du nicht auch?" Ganz selig über jene Entdeckung drehte sich der Parther herum.

  • Der blaue Fleck, den ich mir damals geholt habe, als Zeuxis mich auf das andere Schiff geschleudert hatte, den hab ich noch, und bei allen Göttern, er schmerzt noch immer. Aber was beschwere ich mich, ich bin ja froh, dass ich mir dabei nichts gebrochen habe. Der Empfang auf dem anderen Schiff hätte zwar schöner sein können, aber die Alternative auf See zu sterben war um einiges unangenehmer. Die ersten Tage auf Bord waren grässlich. Das ständige Deck schrubben sind Gift für meine hübschen Hände und es haben sich Schwielen gebildet, die ich wahrscheinlich nie wieder loswerde. Und sinnlos ist das Schrubben sowieso, denn das Schiff sieht nachher nie wirklich sauberer aus als vorher, also bin ich zu dem Schluss gekommen: reine Arbeitsbeschaffung. Den Göttern sei Dank wurde ich auch in die Kombüse eingeteilt, eine gute Verbindung zu jemandem, der für das Essen verantwortlich ist, kann ja bekanntlich nie schaden. Die anderen Wünsche, etwa ein Bad, konnte ich mir indes abschminken, schon nach nur 10 Tagen unterschied mich kaum etwas von all den anderen Männern auf dem Schiff, auch das Rasieren verkniff ich mir.


    Die Tage vergingen aber doch ziemlich schnell. Mit den meisten kam ich sogar klar, waren allesamt ehemalige Sklaven, und nach ein paar Anekdoten von meinem Herrn bevor ich zu Lucilla kam, wurde ich mehr oder weniger akzeptiert. Ich dachte mir nämlich, dass es so viel intelligenter wäre, denn ich war und eigentlich bin ich mir noch immer sicher, wenn herauskäme, dass Lucilla meine Herrin sei, dann, ja dann wäre es sicher noch ungemütlicher an Bord. Also verhielt ich mich still und eckte wenig an, ich versuchte auch nicht, Kontakt zu meiner Herrin aufzunehmen oder ihre Speisen auch nur irgendwie aufzuwerten, aus Furcht erwischt zu werden. Ich beobachtete nur, und wenn ich sah, dass ihr das Essen gebracht wurde, so war ich zufrieden, denn das bedeutete, dass sie lebte. Vor allem aber hütete ich mich davor, zuviele Fragen zu stellen, und wenn, dann beschränkten sich meine Fragen meist auf Seemannstypisches, etwa was denn Luv und Lee wären und dergleichen.


    Nur eines konnte ich tun. Einige Tage nach meiner etwas schmerzhaften Ankunft erfuhr ich von diesem Fluch, denn meine Herrin auf den Kapitän gelegt hatte - übrigens ein hübscher Kerl, im Gesicht und sein Körper... wirklich zum anbeissen - und ich musste insgeheim lächeln. Ich glaubte zwar nicht, dass sie deswegen noch am Leben war, sondern sie irgendwann als Sklavin verkauft werden würde, aber einige der Männer waren nicht nur beunruhigt, sie fürchteten sich. Also trug ich mein Scherflein dazu bei und erzählte von einem Fluch vom Typ "dem Freund eines Freundes ist so etwas passiert...", selbstverständlich mit dem Zusatz, dass die Aussprechende eines Fluches nie getötet werden dürfe und ich froh wäre, dass ich nichts mit der Gefangenen zu tun hätte, wer weiss denn genau, welche Flüche sie noch parat hätte. Dann schüttelte ich den Kopf, zitterte kurz, als ob ich Angst hätte und futterte den Rest meines Essens. Ich wusste nicht, ob meine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren, also hielt ich mich zurück und ließ die anderen reden und überlegen.


    Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Saturnalien schon nahe waren. Ich interessierte mich nicht für den Kalender, die Tage selbst hatte ich auch nicht gezählt, denn beim Schrubben auf dem Deck stumpfen die Sinne ab und man macht nur mehr seine Arbeit. Beim Koch aber merkte ich eine kleine Veränderung, denn sein Essen schmeckte einen Deut besser als vorher und wir bekamen mehr Fleisch. Und dann wurde sie tatsächlich herausgelassen. Ich war gerade wieder einmal zum Schrubben eingeteilt, als sie herauskam. Zeuxis rempelte mich an und deutete auf sie. Ihr Götter, wie sie aussah, einfach schrecklich. Nur kurz überlegte ich, wie lange ich wohl benötigen würde, um die Spuren hiervon beseitigen zu können, dann sah ich wieder runter und schrubbte. Sie sollte mich nicht sehen, die Gefahr, dass sie mich verriet, war mir einfach zu groß. Doch bald verschwand sie schon wieder und ich atmete auf. Dieser Moment rief mir wieder in Erinnerung, dass wir von diesem Schiff weg mussten. Irgendwann mussten wir doch an Land gehen und frische Vorräten holen. Wenn ich doch nur wüsste, was der Kapitän vorhatte...

  • Missbilligung liegt in dem Blick, den Lucilla Tullius entgegnet, und eine kleine Spur von Erheiterung. Bei dem großen Spielzeug, das er sich da angeschafft hat, scheint er ziemlich viel kompensieren zu müssen. (:D)
    Prüfend tippt sie mit ihrem Fuß gegen die Bleikugel, wendet ihren Blick jedoch ab, als der Verletzte an ihr vorbei geht. Sein Gemurmel versteht sie trotzdem. Nur die Gewissheit, dass dies ihr momentan einziger Vorteil ist, hält sie davon ab ihm eine bissige Bemerkung hinterher zu rufen. Zum Glück taucht Dardarshi im nächsten Moment auf und bietet ein optimales Ziel für ihre Laune. "Ich habe noch nie einen Mann zu meinem Schutz gebraucht. Ich werde auch in Gefangenschaft nicht damit anfangen."


    Nach einem letzten Blick zum Kapitän hin, der schon wieder mit seinem Spielzeug beschäftigt ist, folgt Lucilla dem Piraten am Seitendeck entlang. "Ich liebe das Meer, schon immer. Nichts ist nur gut oder nur schlecht, auch das Meer nicht." Sie steigt umständlich über die Taue und an ein paar Fässern vorbei. Wie die Männer in diesem Chaos hausen und auch noch arbeiten können ist ihr schleierhaft. Aber was kann man von Piraten schon anderes erwarten? Das System und die Effizienz, mit der alles an Bord abläuft, bleibt Lucilla völlig verborgen. Und da sie auch weiterhin die Blicke der anderen Seemänner meidet, bleibt ihr auch Ambrosius verborgen. "Das, was Neptun sich nimmt, das gibt er hundert- und tausendfach zurück. Ich bin am Meer aufgewachsen, ganze Städte leben von den Reichtümern des Mare Nostrum. Rom wäre niemals so groß geworden ohne das Meer. Denn auch wenn die römische Flotte schon immer nur mäßig war, der Seeweg hat den Legionen viel Mühe erspart, mal ganz von den vielen Handelswaren abgesehen, die schnell und günstig über das Mare Internum segeln."


    Lucilla merkt nicht, dass sie anfängt gesprächig zu werden. Das ist schon immer eine ihrer größten Schwächen gewesen. "Für den Preis, für den ich fünfzig Blöcke Marmor aus Pula über den Landweg nach Rom transportieren lassen kann, kann ich die doppelte Menge einmal um ganz Italia herum schiffen lassen. Und nichts ist so dazu fähig den Geist zu beflügeln, wie das Meer. Ich habe bisher fast jede Fahrt darüber genossen." Sie blickt zu den kreischenden Möwen am Himmel. Das Festland kann nicht mehr weit sein. "Bis auf diese." murmelt sie leise und denkt an das Unwetter zurück, welches sie auf der Fahrt nach Caesarea überrascht hatte. Selbst ein Unwetter ist besser als Piraten. Ein Unwetter zieht vorbei oder es reißt einen noch am gleichen Tag in die Tiefe. Doch diese Piraten stellen sich als völlig unberechenbar heraus.


    Ihre herumschweifenden Gedanken werden durch Dardashis Entedeckung unterbrochen. Lucilla reckt sich, um mit dem Blick seiner ausgestreckten Hand zu folgen. Staunend blickt sie auf das tiefblaue Wasser hinaus, wo der Wal seine Bahnen zieht. "Ich habe noch nie einen Wal gesehen!" Ihre Augen weiten sich freudig. "Er ist so riesig!" Mit halb göffnetem Mund folgen ihre Augen der Kreatur Neptuns, dann jedoch blickt sie unschlüssig zu dem Priaten. "Sollte das Schiff nicht abdrehen? Ich meine, wird er nicht ... das Schiff angreifen?" Obwohl Lucilla natürlich weiß, dass Wale normalerweise nicht angriffslustig sind, schüchtert sie die Größe des Tieres doch ein. Es erinnert sie eher an die großen, gefräßigen Seemonster, um welche die Fischer an den Stadtfesten in Tarraco ihr Seemannsgarn spinnen.

  • Der stille Riese durchbrach erneut die Oberfläche des Wassers, sein massiger Körper tauchte für einen kurzen Moment auf eher er mit einem mächtigen Flossenschlag erneut in der Tiefe des Mittelmeeres verschwand. Die Harpyia schien keine Intention zu haben, dem Wal auszuweichen, keiner der Seemänner widmete dem Wal große Aufmerksamkeit, waren doch alle eher mit der Kriegsmaschine, dem kleinen Spielzeug des Kapitäns, beschäftigt. "Auch da kann ich nur Deiner Klugheit und Deiner Weitsicht recht geben, Lucilla, denn nichts ist nur gut oder durch und durch schlecht. Auch die Menschen nicht." Dardarshi sah vage in Richtung des Achterdecks und des Kapitäns. "Oh ja, ein Wal kann einem Schiff schon sehr gefährlich werden. In einigen alten Schriften habe ich einst von einem Wal gelesen, der größer sein soll als die Akropolis von Athen, länger als dieses Schiff. Wollte einer versuchen einen solchigen Wal zu erlegen oder anzugreifen, der würde mit einem Schlag von der Flosse, größer als das Großsegel, tief und für immer ins Wasser gedrückt werden. Worauf ich jedoch schon seit Jahren Ausschau halte, sind die sagenumwobenen Seeschlangen oder einen Ketos. Bis jetzt leider vergeblich. Aber mach Dir keine Sorgen, werte Dame, der Wal wird das Schiff nicht angreifen. Ich habe sie schon des öfteren beobachten dürfen, habe gar einige Skizzen von ihnen anfertigen können. Aristoteles hat sich schon mit jenen Tieren beschäftigt, es ist eine wahre Freude dem alten Meister auf diesen Pfaden in der Naturphilosophie folgen zu dürfen."
    Die Wasserfontäne des Wals tauchte in einiger Entfernung nochmals auf, schnell hatte das Tier diese Distanz zwischen sich und dem Schiff gebracht.
    "Ich hoff', Du hast es Dir mal gemerkt, Jüngelchen. Also, vorne ist der Bug und hinten das Heck, zu dieser Seite Steuerbord und dort Backbord. Wenn Du das verwechselst, lachen Dich alle aus! Wir sind zwar Piraten, aber wir verstehen was von der Seemannschaft, Jüngelchen. Der Kapitän legt großen Wert darauf." Zeuxis lehnte neben den Seilen, die die Fässer für die Ballistenübungen festhielten. Zusammen mit Ambrosius sollte er auf das Kommando des Kapitäns warten, um die Seile zu kappen. "Luv ist die Seite, wo der Wind herkommt und Lee, wo er hin entschwindet. Du siehst, im Luv zu sein, kann von Vorteil in einem Gefecht, aber auch bei manchen Seemanövern sein. Jedes Segel hat seinen eigenen Namen, wenn Du lernen willst, sie zu reffen, also sie zusammenzufalten, solltest Du die Namen schon kennen. Sonst nimmst Du einen Reff vom Großsegel weg, während der Kapitän eigentlich das Marssegel meint. Was für ein Desaster dann! Das ist das Geitau, auch mancherorts Schoten genannt, mit der Leine kannst Du das Segel reffen...red ich Dir zu schnell, Jüngelchen? Komm, ich zeig' Dir mal 'nen solches Tau!" Zeuxis gab Ambrosius einen Klaps auf den Hintern, lachte dröhnend und marschierte zum Großsegel mit ihm.
    Derweil war die Balliste wieder gespannt und die erste Bleikugel wurde in die Halterung eingelegt.
    "Erstes Fass los!"
    Zeuxis, der gerade eines der Schoten seiner Lehrjungen Ambrosius zeigen wollte, grummelte seufzend und marschierte schnell wieder zum Faß zurück, löste eines der Taue. Das Faß wurde flugs von der Strömung mitgerissen und von einem der Wellen kurz unter das Wasser gedrückte, ehe es abermals erschienen.
    "Ausrichten, Zielen."
    Tullius hatte eine Sanduhr hervor gezogen und hielt sie vor sich, während die Männer hastig beschäftigt waren, das Fass anzuvisieren.
    "Feuer!"
    Ein lautes Klacken, ein Sirren und ein Platschen. Tullius brauchte gar nicht hinzusehen, die ersten Schüsse würden mehr als katastrophal sein, nicht mal eines Blickes würdig.
    "Anziehen, Ausrichten, Zielen!"
    Wieder wurde hastig die Sehne auf gekurbelt, die Bleikugel eingelegt und auf das Faß gezielt.
    "Feuer!"
    Platsch, im Wasser und das Spiel ging von vorne los. Aber und abermal versenkten die Piraten mit leisem Fluchen und angestrengter Konzentration die Bleikugeln im Meer, näherten sich dabei jedoch stetig ihren Übungszielen. Als dann eine Kugel mit einem lauten Krachen in das Faß einschlug, jubelten die Piraten begeistert auf. Noch zwei Mal mussten sie weiter üben, trafen das Faß zwar nicht, waren jedoch von ihrem einzigen Treffer beflügelt. Tullius nickte nach einer Weile.
    "Das reicht für heute! Zeuxis und Gorgoys, kümmert euch um die zweite Balliste. Ich will sie in drei Tagen auf der Bugseite aufgestellt haben."
    Mit einem prüfenden Blick auf den Trimm des Schiffes und die aufgeblähten Segel, ging Tullius die Treppen vom Achterdeck herunter, wirkte nicht unzufrieden mit der Segelspannung und wie das Schiff im Meer lag. Ehe er Achterdecks im Bauche des Schiffes verschwand, drehte sich Tullius um und sah zu Dardarshi, dem er andeutungsweise zunickte und dann unter Deck ging.
    Dardarshi hatte die Beobachtung der Ballistenübungen beendet, es war nun auch nichts mehr zum Zuschauen. "Wo waren wir stehen geblieben, Verehrteste? Ah ja, die Wale. Wusstest Du schon, daß die Juden eine eigene Legende mit einem Mann haben, der von einem Wal verschluckt wird? Im Übrigen lädt Dich der Kapitän heute Abend zum Essen in seiner Kajüte ein."

  • Mit einem sehnsuchtsvollen Blick folgt Lucilla dem großen Meeresbewohner, der immer wieder in der Tiefe verschwindet, nur um dann ein Stück weiter aufzutauchen und ab und an seine Wasserfontänen in die Luft schießen zu lassen. Die Männer und ihr Kriegsgerät interessieren sie nicht, denn sie weiß, wie lange sich Männer intensiv mit so etwas beschäftigen können. Das fängt schon in der Kindheit an, bei den Decima zuhause war es genau so. Anstatt den wirklich interessanten Dingen im Leben nachzugehen, wie zum Beispiel den Stoffen auf dem Markt, ein paar neuen Schuhen oder einer neuen Puppe, so wie Lucilla, ihre Schwestern und Cousinen, gehen auch kleine römische Jungen im Spiel mit Lanzen und Holzschwertern auf, so wie ihre Brüder und Cousins. Und wie römische Damen wie Lucilla auch später den günstigsten und edelsten Stoffen nachjagen, bleiben die römischen Männer an Schwert und Lanze in der Legion hängen, wie ihre Brüder und Cousins, während nichtrömische Männer auf Piratenschiffen mit Ballisten auf Fässern schießen. Wieder kommt Lucilla der Gedanke, dass die Welt einfach überall gleich ist, egal ob in Rom, Germania oder mitten auf dem Meer.


    Lächelnd mustert sie Dardarshi. Sogar Philosophen gibt es in dieser kleinen, grausamen Welt. "Was für ein Mensch warst du, bevor du zu einem schlechten Piraten geworden bist?" Sie geht nicht näher darauf ein, ob sie den Parther damit für einen schlechten Mensch oder einen unfähigen Piraten hält, denn genau könnte sie es wahrscheinlich selbst nicht sagen.


    Hinter Lucilla surren die Seile, klatschen die Fässer und brüllt der Kapitän. Die Routine, die durch den Verlauf der Übung aufgebaut wird, ist beinahe beruhigend, auch wenn Tullius Tonfall für Lucilla wenig vertrauenserweckend ist. Ihr Kopf leert sich, bis nur noch das sanfte Schaukeln des Schiffes, das leichte Zupfen der Brise an ihrem Haar und das wunderbar weite, wogende Meer in ihren Gedanken sind. Doch der Schein trügt und schließlich holt sie Dardashis Ankündigung zurück in die Realität. "Er läd mich ein? Das hast du sehr nett ausgedrückt, auch wenn ich bezweifle, dass es so ist." Der Seemann macht auf Lucilla immer mehr den Eindruck, als wäre er ein Filter für den Kapitän. "Doch ich will nicht so sein, richte ihm aus, dass ich überaus erfreut bin und mich geehrt fühle, den Abend in seiner Anwesenheit verbringen zu dürfen." Ihre Stimme trieft vor Sarkasmus. Welche Wahl hat sie schon, als sich von diesem Wal verschlucken zu lassen? Obwohl sie lieber an Deck auf den Kapitän getroffen wäre, als ihm alleine in seiner Kajüte gegenüber zu treten. Schon die Vorstellung bereitet ihr Furcht und es würde sicher einiges an Mühe kosten, den Anschein der bösen Hexe aufrecht zu erhalten.


    Der Wind scheint ihr auf einmal kalt um die Ohren zu wehen und sie fröstelt. "Ich möchte wieder nach unten." Sie wendet sich ab und strebt der Treppe hinab zu, doch dieses mal wartet sie, bis Dardarshi ihr folgen kann. "Ich werde mich noch ein wenig ausruhen. Obwohl ich nichts getan habe in den letzten Tagen, habe ich das Gefühl, als hätte ich Steinbrocken Berge hinauf gerollt nur um dabei zuzusehen, wie sie auf der anderen Seite wieder hinabrollen." So ählich ist das Gefühl tatsächlich gewesen als sie in dem dunklen Käfig wieder und wieder von Furcht und Angst übermannt worden ist. Immer, wenn sie eingeschlafen und der grausamen Welt entkommen ist, ist sie letztenendes nur wieder in ihr erwacht. Die Aussicht auf die herrlich weich aussehenden Kissen in Dardarshis Raum ist zu verlockend, um sich nicht noch ein wenig darauf auszustrecken, da es eh nichts anderes für sie zu tun gibt.


    Bevor Lucilla am Ende des Ganges die Tür öffnet, wendet sie sich zu dem Pirat um und Besorgnis und eine Spur Furcht liegt in ihren Augen. "Hat er es überlebt? Der Mann, der vom Wal verschluckt wurde?"

  • Nachdem Lucilla die Tür hinter sich geschlossen hat blickt sie auf das merkwürdige Leben herab, das ihr geblieben ist. Tetischeri hat die Schüssel mit frischem Wasser zurück gelassen, auch die Öle stehen noch aufgereiht auf dem Tisch, neben den Haarspangen liegt der Teller mit Brot, daneben steht der Krug mit verdünntem Wein. Lucilla hebt ihre Hand und streicht sich müde über die Stirn. Heute Morgen noch war sie in ihrem dunklen Käfig erwacht und heute Abend würde sie mit dem Kapitän des Schiffes speisen. Womöglich würde er sie sprichwörtlich verspeisen.


    Das Schiff unter ihr, um sie herum schwankt und Lucilla setzt sich müde auf die mit Kissen bedeckte Koje. Prüfend fährt sie über die feinen Stoffe und lächelt müde. Nichts geht über ein richtiges Bett, da helfen auch keine noch so weichen Kissen. Genausowenig, wie sie die Frau eines Legionärs werden würde, würde sie die Frau eines Seemannes werden. So schön das Reisen auch sein mag, sie würde nicht zulassen, dass Avarus sich jemals in die See verliebt. Ganz davon abgesehen, ob sie überhaupt je wieder mit dem Schiff reisen wollte. Nach der furchtbaren Übefahrt in einem Herbststurm der letzten Jahre hatte es eine ganze Weile gedauert, bis sie wieder mit ruhigem Magen über das Meer fahren und es genießen konnte. Doch dieses mal ... würde sie diese Erfahrung je vergessen können? Andererseits, wie alt ist sie nun? Auf jeden Fall schon zu alt, um es laut zu denken. Aber in all den Jahren hatte sie nie Probleme mit Piraten. Wahrscheinlich würde sie sich nicht vom Mare Internum abhalten lassen. Vorausgesetzt, sie würde überhaupt je wieder von ihm herunter kommen.
    "Ins Meer hinein, ins Meer, in seine schwerelose Tiefe, wo die Träume sich erfüllen ..."


    Sie faltet den Überwurf sorgfältig zusammen und legt ihn an das Kopfende der Koje. Dann löst sie die Bänder der Sandalen und zieht mit einem schweren Seufzen ihre Füße auf das Bett. Die Harpyia schaukelt beruhigend, der leichte Wind trägt sie sanft über die Wellen und Lucilla kommt sich vor wie in einer Nussschale im Badebecken. Wann hat sie wohl das letzte Badebecken gesehen? Wenn heute die Saturnalia sind, ganz egal welcher Tag, dann hätte sie längst Rom erreichen müssen. Doch es würde sie niemand vermissen. Die Erkenntnis trifft sie wie ein Blitz. Es würde sie niemand vermissen. Keiner erwartet sie in Rom. Es ist nicht einmal jemand da, den Meridius in einem Brief fragen würde, ob sie gut angekommen ist. Vielleicht würde er einen Brief nach Rom an sie senden, doch niemand würde es seltsam finden, dass dieser vor ihr ankommt, niemand würde ihn öffnen um zu lesen, dass ihre Ankunft in Rom erwartet wird. Und bis Meridius bemerken würde, dass keine Briefe mehr von ihr kommen, kann es lange dauern. Wer weiß schon, ob er überhaupt noch Briefe von ihr erwartet? Avarus würde bemerken, dass sie nicht angekommen ist. Natürlich, er würde seine Sklaven vermissen, Hermes und Hector die gemeinsam mit Ambrosius in Neptuns Reich das goldene Zeitalter feiern. Doch wie lange würde es dauern, bis er sich anfängt Sorgen zu machen? Und selbst wenn er feststellt, dass sie in Massilia abgefahren doch nie in Ostia angekommen ist, was sollte er schon tun? Eine Frau im Imperium Romanum zu suchen, das ist wie eine Nadel im Heuhaufen, vor allem, wenn die Nadel auf einem Boot schaukelt, das nicht gefunden werden will. Lucilla rollt sich auf der Koje zusammen und starrt an die hölzerne Wand. Sie braucht einen Plan für das Zusammentreffen mit dem Kapitän, einen möglichst guten Plan. Einen dunklen Plan, schwer, wie eine samtene Decke, oder leicht wie diffuser Nebel, der sie einhüllt, umhüllt, warm wie ein feiner Sommerregen in Tarraco und flauschig weich wie die Wolle frisch geschorener Lämmer ...


    Schwere Schritte und ein derber Fluch reißen Lucilla später aus einem traumlosen Halbschlaf. Erschrocken setzt sie sich auf und starrt in den Raum hinein. Die Erkenntnis, wo und was sie ist, überkommt sie wie all die letzten Tage mit einem Schaudern. Irgendwer hat die Öllampe in der Kajüte entzündet und es ängstigt Lucilla, das irgendwer hier ein und aus gehen kann, ohne dass sie es bemerkt. Ein Blick hinauf zu dem kleinen Fensterloch zeigt, dass es draußen bereits dämmert. Eilig steht sie auf und streicht die Tunika glatt. Ihr Plan - sie hat überhaupt keinen Plan! Unruhig reibt sie sich den Halbschlaf aus den Augen. Jetzt ist es eh zu spät. Sie greift wahllos nach einem Fläschchen mit Öl, riecht daran und reibt sich ein wenig davon zwischen Hals und Schulter. Dann steckt sie routiniert ihre Haare nach oben. Umständlich versucht sie in der Oberfläche des Wassers in der Waschschüssel ihr Spiegelbild zu erkennen, gibt allerdings bald schulterzuckend auf. Was macht es schon für einen Unterschied, ob sie aussieht wie eine Hexe? Der Kapitän erwartet immerhin eine.


    Sie greift nach dem Brot und dem Wein und blickt sich unschlüssig um. Dann kniet sie sich vor den Tisch hin. "Große Göttin, bitte halte Deine schützenden Hände über mich. Du hast mich so lange nicht aufgegeben, lass nicht zu, dass er mich nun zu sich holt. Ich weiß, dies ist wenig, doch es ist mehr, als ich momentan habe und ich bitte Dich es anzunehmen, als mein Dank. Du weißt, ich habe Dir immer meine Versprechen gehalten und ich werde Dir in Rom danken, wie es Dir gebührt." Sie gießt den Wein in die Schüssel, die noch immer voll Wasser ist und legt schließlich das Brot hinein. Beides wird so auf jeden Fall ungenießbar für die Mannschaft und geht damit hoffentlich über Bord und erreicht die Götter auf diesem Weg.

  • "Jüngelchen? He, Alter, du bist kaum 5 Jahre älter als ich, also nenn mich nicht so." Nicht, dass ich wüsste, wie alt ich genau bin, aber wenn ich frei wäre, wärs eigentlich schon bald Zeit für eine eigene Familie. Wenn ich es mir recht überlege, müsste ich jetzt ... hm, wie alt sein? Ich kann mich an mindestens 15 Sommer erinnern und man vergisst so einiges und die Pickel-Zeit ist auch noch nicht so lange her... ich würde mal sagen, etwa 22 oder 23. Mann, bin ich alt.


    "Wieso so kompliziert? Wieso sagt man nicht einfach vorne und hinten und links und rechts?" Jaja, ich gebe es zu, ich bin eine Landratte. Das Meer war noch nie mein Freund und im Prinzip hänge ich auch jeden Tag über dem Geländer, das die Seemänner Reling nennen und kotze. Mahlzeit. Die anderen lachen ohnehin über mich. "Das versteht ja auch jeder." Lümmelnd hängten Zeuxis und ich herum und schauten den anderen beim Rumballern zu. Mann echt, das war schlecht. Hihi, das reimt sich. "Ja gut, sicher ist es nicht schlecht, wenn man den Wind im Rücken hat, aber warum sagt man nicht einfach 'Wind von links' anstatt 'Luv backbord'?" Ständig kontrollierte ich, ob Lucilla mich nicht erblickte. So gut es ging, stand ich mit dem Rücken zu ihr, was irgendwie schwierig wurde, weil ich sie ja weiterhin beobachten wollte. Vertrackte Situation, das.


    "Und das mit den Segeln... Die könnte man ja einfach durchnumerieren von vorne bis hinten. Der ganz vorne is Segel 1, dahinter Segel 2 und so weiter. Und wie zum Henker reffe ich überhaupt? Soll ich das ganze Segel fallen lassen? Hier auf den Boden, wo eh kein Platz ist zum falten? Mann..." Ich sehnte mich zurück zu der Zeit, wo mein wirklich größtes Problem war, welches Parfum meine Herrin zu dieser oder jener Abendveranstaltung tragen sollte. Oder wie sie mir einreden wollte, dass syrische Karos gerade groß im Kommen waren...


    Den Klaps auf meinen Hintern ignorierte ich. Wer weiß, was ihm sonst noch einfallen mag. Und nachdem er das Fass rausgelassen hatte, zeigte er mir das Geitau. "Äh ja klar. Für mich sieht dat aus wie 'n normales Tau."

  • Der sanfte Umhang der dunklen Nacht hatte sich schwer über das Meer gelegt, hüllte den Hort der grausamen Piraten, die Harpyia, in scheinbar endlose Nacht. Saturn und Venus suchten mit ihren kleinen Lichtern, mitsamt ihrer Geschwister, am Himmelsfirmament diese Finsternis zu durchdringen. Die Schiffslaternen am Heck schaukelten bedächtig bei dem sanften Wellengang hin und her. Der bärtige Steuermann hing gelangweilt am Ruder, kaute langsam auf einem Stück Süßholz herum, spuckte in die dunkle See und bedauerte inbrünstig sein erbärmliches Los hier zu stehen während unten seine Kameraden fröhlich die Saturnalien feiern durften.
    Ebendas taten jene Piratenkumpanen auch tief unten im immerdunklen Bauche des Schiffes. Auch hier erleuchteten, an Ketten schwingende, Laternen den Raum der Piraten, die sich an Bänken, Hockern, um Tische und Fässer versammelt hatten, vor sich Holz- und Tonplatten, die mit hohen Bergen von Köstlichkeiten aus der See, aber auch den Käfigen aus dem Schiffsinneren, Hühner allesamt, bedeckt waren, Krüge voll mit gewürztem, süßen Wein und herbes Bier wurden herumgereicht, jeder der Piraten griff gut gelaunt, ohne auf ihre Tischmanieren zu achten, bei den Speisen zu.
    Ambrosius bekam just einen kräftigen Klaps von Zeuxis auf die Schulter, der sich mit einem breiten Grinsen neben den „Ex“-Sklaven und jetzigen Scheinpiraten auf der Bank niederließ und Ambrosius aus einem schaumüberlaufenden Krug Bier in einen Holzbecher goss. „Na, Jüngelchen, “ Die Gewohnheit hatte sich Zeuxis trotz Ambrosius Ermahnung nicht abgewöhnt, so fuhr er ungeniert fort. „...siehst nimmer so grün um die Nase aus! Komm, schlag kräftig zu, kannst es auf dem Gerippe gut gebrauchen.“ Heiter und selig gelaunt, es waren immerhin Saturnalien, lachte der Pirat und griff mit seiner breiten Pranke nach einem knusprigen Hähnchenschlegel. Der Tag und die Schießübungen waren natürlich wieder arbeitsreich gewesen und der Pirat hatte Ambrosius immer wieder versucht den Unterschied zwischen einem Geitau, einem Schot und wozu ein Belegnagel gut war zu erklären. Seine gelblich verfärbten Zähne gruben sich in das weiße Fleisch des Hähnchens. „Sach mal, Jüngelchen“, sprach er mit vollem Mund, „bist Du eigentlich Gallier? Siehst so blass wie die Nordlichter dort aus.“
    Verfeinerter und gesitteter ging es an anderer Stelle im Schiff zu. Am Heck leuchtete Licht aus der Kajüte des Kapitäns. Das Licht hob und senkte sich, wenn eine Welle das Schiff wieder stetig auf dem schwarzen Ozean weitertrug. Am Nachmittag bereits war Tetischeri mit feinem koischen, weinrotem und den aus Byssos kommenenden Stoff, auch Muschelseide genannt, einem geraubten und sündhaft teurem Kleid, in die Kabine von Lucilla geschlüpft, hatte ihr alle möglichen Accessoires und silbergoldene Bänder für das Kleid mitgebracht. Am Abend dann führte sie Lucilla durch die engen Gänge, wurde mit jedem Schritt, welcher sich der Kajüte am Heck näherte, schweigsamer und ängstlicher. Die junge Ägypterin hatte immer noch große Angst dem Kapitän zu begegnen und mied somit jegliche mögliche Begegnung mit dem Piratenanführer. Vor der Tür blieb sie stehen, hatte den Blick schüchtern gesenkt und flüsterte leise. „Das ist die Kajüte, Herrin! Ich geh wieder...“ Ihre Hand klopfte sachte an der Tür. Ehe sie daran zu hindern war, verschwand sie schnell in dem düsteren Gang hinein, war schnell von der Dunkelheit verschluckt.
    Die Tür wurde geöffnet, Dardarshi stand am Eingang. Er lächelte zu Lucilla, neigte höflich seinen Kopf und deutete sogar eine galante Verbeugung an. „Meine Dame, willkommen und was für eine Freude und Ehre, die Du uns an diesem Abend erweist. Bitte, tritt doch ein!“
    Die Kajüte des Kapitäns war mit unzähligen Bienenwachskerzen ausgeleuchtet. Am Fenster standen silberne Kerzenleuchter, die ihr Licht auf der schwarzen Wasserfläche reflektierten. In einem schummrigen und schmeichlerischen gelben Ton beleuchteten die unzähligen Flammen die üppige Pracht der Kajüte, den edlen Tisch aus Kirschholz in der Mitte des Raumes mit den reichhaltig verzierenden Schnitzereien, den geschwungenen Tischbeinen und den Goldintarsien an der Seite des Tisches und den Füßen. Feines ägyptisches Linnen mit goldenen Stickereien lag über der Holzplatte, silberne Teller und rotblaues ägyptisches Glas funkelten im Kerzenlicht. Die zahlreichen Kisten mit Tullius Beute waren nur teilweise verschlossen, prangten doch an vielen Stellen zahlreich das Gold, der Schmuck und die edlen Stoffe hervor.
    Der Kapitän stand am Heckfenster, seinen Rücken hatte er der Tür zugewendet und sah sinnierend in die Dunkelheit hinaus. Auch an jenem Abend trug er keine römische Kleidung, sondern eine gallische Hose aus schwarzem, feinem Stoff, der sich um seine Hüfte enger schmiegte, an den Beinen etwas bauschte und in hohen Soldatenstiefeln, Calcei recht ähnlich, verschwand. Darüber ein schwarzes Hemd und eine dunkelrote, goldbestickte Weste. Als Dardarshi, der in ein dunkelgrünes Gewand, ähnlich eines Kaftans, bekleidet war, Lucilla begrüßte, wandte sich der Kapitän um und sah Lucilla an. Unmerklich wanderte er mit seinem Blick über Lucilla und hob schon fast überrascht, aber durchaus angetan die Augenbrauen, lächelte dann gleichdrauf kühl. Das Holz unter ihm knarrte als er auf Lucilla einen Schritt näher trat und sie unverwandt ansah.
    “Bezaubernd! Setz Dich doch bitte!“
    Mit einer Hand deutete Tullius auf die üppig bedeckte Kline.
    „Etwas Wein?“
    Es war mehr eine rethorische Frage, denn schon griff seine Hand nach einer silbernen Karaffe und er goss von dem Caecuber, den er vor einigen Wochen von einem italischen Schiff erbeutet hatte, in das ägyptische Glas hinein. Der Wein perlte rot und schimmernd in dem feinen Glas und schaukelte mit dem Wellengang. Erst dann nahm er seinerseits auf der zweiten Kline in dem Raum Platz.
    „Ich hoffe, Du hast Dich von den Strapazen der ersten Tage ein wenig erholen können, Lucilla?“
    Weiter den intensiven Blick auf Lucilla gerichtet, nahm er eines der Gläser in die Hand. Bedächtig schaukelte er den Wein in seinem Glas und roch daran, was für ein Wein, was für ein Glück jenen erbeutet zu haben.

  • Als die Aegypterin mit all dem Tand in Lucillas Kabine einzieht, staunt diese nicht schlecht. "Das soll ich anziehen?" Sie blickt auf das kostbare Kleid, hin und hergerissen zwischen Begeisterung, Ablehnung und böser Vorahnung. "Was wird das? Ich meine, das wird doch nicht ein ... also ... das ist doch nur ein ... oder nicht?" Sie nimmt das Kleid von Tetischeri entgegen und hält es betrachtend in den Schein der Öllampe. "Woher ...? Nein, nein, ich will es gar nicht wissen." Sie seufzt. "Gut, ich werde es anziehen." Ihr Ton wird gönnerhaft. "Was bleibt mir schon übrig?" Als hätte es Lucilla je gestört, schöne Kleider zu tragen. Eigentlich ist es eh nur angemessen. Nur weil sie auf einem Piratenschiff, umgeben von stinkenden, dreckigen, rohen Männern ist, muss das noch lange nicht an ihrem Geschmack ausgelassen werden. Hat sich Lucilla nach dem Säubern und Kämmen am früheren Tag wie ein neuer Mensch gefühlt, so fühlt sie sich wie die edelste Dame des ganzen Reiches, als sie die Kabine verlässt. Natürlich ist sie das auch, wer wollte auf diesem Schiff, ja sogar auf dem Mare Internum schon mit ihr in Konkurrenz treten?


    Sie folgte Tetischeri und hält unwillkürlich die Luft an, als die Tür vor ihr geöffnet wird. Erleichterung durchströmt sie, als Dardashi öffnet, sie würde also nicht mit dem Kapitän alleine sein, zumindest noch nicht. "Guten Abend, Dardashi." Sie lächelt formvollendet und tritt ein, als wäre dies nur ein weiteres Gastmahl in irgendeiner der edlen Villen Roms. Lucilla blickt sich neugierig in der Kajüte um, in der Höhle des Ungeheuers und sie kann nicht verhindern, dass die vielen Schätze und die zauberhafte Stimmung sie tatsächlich beindrucken. Doch ihr Blick bleibt sehr schnell an ihm hängen, an der geraden Gestalt, deren Ränder im flackernden Lich ein wenig zu verwischen scheinen. In dieser Umgebung, in seiner kostbaren Gewandung und im weichen Licht der Kerzen sieht der Kapitän gar nicht mehr so furchterregend aus. Doch Lucilla strafft die Schultern und hebt stolz den Kopf. Sie würde sich nicht von irgendwelchen Äußerlichkeiten täuschen lassen, nicht von ihm, nicht von schönen Worten oder feinem Essen. Sie ruft sich den Anblick Gavias vor Augen, deren Körper durchbohrt von einem Schwert auf die Planken fällt, die Augen in Entsetzen geweitet, den Anblick Hectors mit der großen, blutenden Wunde quer über den Oberkörper, und sie stellt sich Ambrosius am Grund des Meers vor, aufgedunsen zu einer unschönen Wasserleiche. Bei den Göttern! Das hat sie ja noch gar nicht bedacht. Ambrosius würde umkommen vor Entsetzen, wenn er seine Leiche erblickt! Nein, natürlich nicht, er ist ja schon tot. Lucilla hat sich noch nie groß Gedanken darüber gemacht, was mit den Geistern der Sklaven geschieht, doch sie ist sich sicher, dass diese ebenfalls in eine Art Elysium einziehen. Doch Ambrosius würde ganz sicher als Lemur enden und sich bis in alle Ewigkeit darüber grämen, wie sein Körper im Tod aussieht. Ein vernichtender Blick trifft Tullius. Dies ist der Mann, der Ambrosius zu einem rastlosen Wanderer zwischen den Welten verdammt hat und sie hofft, dass der Geist ihres Sklaven jede Nacht kommen würde, um ihn heimzusuchen. Würde sie auch nur den geringsten Zweifel hegen, so reicht allein das Bild von Ambrosius furchtbarer Wasserleiche, um sie in die Realität zurück zu bringen.


    Die Musterung des Kapitäns entgeht Lucilla nicht und sie erwidert seinen Blick offen. "Guten Abend, Kapitän." Sie setzt sich auf die Kline und bleibt angespannt sitzen. Als Tullius ihr den Wein einschenkt, kommt ihr der Gedanke, dass sie diesen Tag womöglich nur aufgrund der Saturnalien erleben darf. Der Herr bedient die Sklaven, oder auch die Gefangenen. "Danke, ich kann mich kaum beklagen." ... ohne den Kopf zu verlieren. Andererseits hat sie außer ihrem Kopf nicht mehr viel zu verlieren, somit ist es eh schon egal. "Gestatte mir eine Frage. Hast du auch einen Namen? Oder werde ich meinen Enkeln in ferner Zukunft Schauermärchen vom Kapitän erzählen müssen, der so grausam war, dass man nichteinmal seinen Namen nennen konnte, ohne, dass man gleich tot umfiel? Zumindest wagt es hier an Bord niemand ihn zu nennen, und das muss immerhin sein Gründe haben." Sie nimmt das Weinglas in die Hand und stellt anerkennend fest, dass es sich um ziemlich kostbares Glas handelt. Wie kommt dieser Mann nur zu solchen ... nein, eigentlich will sie es lieber nicht wissen.

  • In den letzten Tagen war furchtbar viel zu tun. Der Koch hatte mich herumgescheucht, schrecklich, als ob der Kaiser persönlich zum Bankett erwartet werden würde. Aber wer sind denn die Gäste? Allesamt Piraten, schmutzig, dreckig und ich will gar nicht wissen, wann die das letzte Mal ihre Kleidung gewechselt haben. Jedoch, wenn ich ehrlich bin, ich weiß es auch nicht, und hier an diesem Ort erlaube ich mir zu stinken (wie alle anderen außer dem Kapitän und dem komischen Narbengesicht da und der kleinen Ägypterin, wat weiß ich, wie die heißen). Aber zurück zum Essen. Was da für ein Aufwand getrieben wurde, als ob der Kaiser... äh, das hatten wir schon. Gebratene Hühner und gesottene und gegrillte Fische, Brot, Wein, Bier (ekliges Zeuch, sag ich euch), und das war nur für die Mannschaft. Was die hohen Herrschaften bekamen? Natürlich nur das beste. Sogar Schweinefleisch hatten der Koch plötzlich aufgetrieben, woher, weiß ich nicht, aber bei diesen Gerichten durfte ich nicht mitwirken, nur Zwiebel schneiden, das durfte ich, was auch sonst. Sogar eine merkwürdige Nachspeise, die der Koch "Pudding" nannte, gab es, die ich nicht mal ansehen durfte. Probiert hatte ich sie trotzdem. :D Ganz süß, aber dennoch gewöhnungsbedürftig.


    Ich war so froh, als ich mich zu den anderen setzte und die Arbeit hinter mir lag. Meine Schultern schmerzten und ihr Götter, ich lechzte nach einer Massage von einem nubischen Sklaven. So etwas war aber natürlich Mangelware, anders gesagt: nicht vorhanden. Ich musste also meine Schmerzen hinnehmen und glich das mit Essen aus. Bei Diana und Pluto, ich war so ausgehungert und langte kräftig zu, obwohl ich mich nicht wirklich beklagen konnte über mangelnde Verpflegung, das nicht. Aber wenn man ständig Schiffszwieback vorgesetzt bekommt, in das sich Maden wohl fühlten wie im feinsten Speck, dann vergeht einem der Hunger von alleine. Man versteht also, wenn ich dieses Mahl ausnutzte und mir so richtig die Wampe vollschlug, wie Zeuxis so banal und gleichzeitig so treffend sagte. Die anderen taten es mir gleich. Keiner wehrte sich, wenn ihm wieder eingeschenkt wurde, obwohl sein Becher noch lange nicht leer war, alle lachten, fraßen und scherzten, dass es eine wahre Freude war. Schon fast schade, dass ich mich noch immer nicht wirklich zugehörig fühlte, doch ich bin einfach nicht für das Seemannsdasein geboren.


    Das hatte auch Zeuxis schon bemerkt. Der Arme bewies zum Teil wirklich eine gottgleiche Geduld mit mir, aber ich war nun einmal eine Landratte, was er irgendwann einmal auch zu mir sagte. "Jüngelchen," sagte er, (Jüngelchen... wann werde ich ihm das bloß abgewöhnen können?) "Jüngelchen, du weißt, du wirst nie ein richtiger Seemann werden. Aber zum Deckschrubben wirds reichen." Und dann lachte er und ich stand grummelnd daneben. Ja hallo, dafür wird er sich nie merken können, dass Querstreifen nur dann schick sind, wenn der dazugehörige Körper gut trainiert ist. Nur dummerweise wird mein Wissen hier nie abgefragt werden. Und der Klaps auf die Schulter, natürlich dort, wo es mir ohnehin schon weh tat. Feinfühligkeit ist auch nicht seine Stärke.


    "Gerippe? Ich bin ein Gerippe? Boah, nein!" antwortete ich grummelnd und ließ ihn mit dem Bier gewähren, ich hatte eh schon einiges an Wein intus. Bier auf Wein, das ist mein? Wein auf Bier, das verhalt ich mir? So oder so ähnlich ging ja der Spruch. Aber das nächste, das schockte mich schon bis aufs Mark.
    "Gallier? Du hältst mich fürn Gallier? He, ich bin Grieche!" Unglaublich, was man sich da bieten lassen musste. Gallier... sowas! "Blass?" Schon fast schrill ist meine Stimme. Oh ihr Götter, wenn ich wirklich so weiß bin... kein Wunder, wenn mich kein Mann und keine Frau ansehen mag. Ich muss unbedingt in die Sonne und wieder braun werden. Un-be-dingt.
    Obwohl, wenn ich es mir recht überlege: wenn ich jetzt nicht hier sitzen würde und blass wäre, sondern tot und am Meeresgrund... ihgitt. Wäh, eine Wasserleiche, so aufgedunsen... bäh, nein, also das geht gar nich. Mehr als 20 Jahre Schönheit für die Katz... ne, also wirklich nicht.

  • Der Bugspriet tauchte tief in das schwarze Wasser hinein, die Gischt prasselte ungehört auf das Vordeck der Harpyia. Nur einige Flügelschlag entfernt zog ein schmaler Landstreifen vorbei. Einige Wolkenfetzen trieben am Himmel, verdeckten die spärlichen Sterne, doch auch kein Mond zeigte sich in jener Nacht am Firmament, es war Neumond. Ungerührt dirigierte der Steuermann das Schiff am Land vorbei und weiter ins südliche Gefilde. Die Segel knatterten leise als eine frischere Brise sie erfasste, doch der Steuermann wusste, dass es nur der Vorbote des Africus sein würde. Eine höhere Welle packte das Schiff und schaukelte es heftiger durch.
    Selbst unten im Bauche des Schiffes merkten die Männer die kurze Seitenströmung als einige Krüge quer über die Tische rutschten und fast von den Fässern heruntergepoltert wären, geistesgegenwärtig, es ging um das kostbare Nass, hielten viele Piratenhände die Krüge fest. Zeuxis lachte laut, dröhnend. „Ach Jüngelchen, Grieche, Gallier, ist doch alles dasselbe!“ Sofort kamen einige Knochen in seine Richtung geflogen und empörte Rufe. „Heyda, das will ich nicht gehört haben!“ oder „Pah, ich bin doch kein Knabenschänder. Pah, Griechen sind doch das Letzte!“, was gleich darauf mit einem. „Willst Du etwa sagen, ich treibe es mit kleinen Jungs? Dir schlag ich gleich die Zähne ein...“ und jenem folgte. „Nichts will ich sagen, gar nichts, lass den Krug wieder sinken.“
    Zeuxis hob beschwörend die Hände. „Jungs, Jungs, so hab ich das nicht gemeint!“ Wieder ließ er sein dröhnendes Lachen ertönen, es hatte etwas Ansteckendes und die aufwallende Prügelei war erst mal im Keim erstickt. Aber dafür hatten die Meisten der Piraten noch nicht genug getrunken.
    Und es wurde wahrlich fröhlichfeucht in jener Runde gefeiert, die Becher immer wieder neu eingeschenkt, das Gelächter vermischte sich mit den gröhlenden, zotigen Rufen, die sich die Piraten gegenseitig zuwarfen. Schließlich griff einer der Piraten, ein dürrer Mann mit einer auffälligen dicken Nase im Gesicht, in eine lederne Tasche hinein und zog eine kleine Knochenflöte hervor. Seine Finger glitten über die Flöte, seine Wangen bliesen sich auf und fröhliche Töne entlockte er dem kleinen Knochenstück. „Sing uns was schönes, Aras! Los, komm, es hat doch sonst keiner so eine goldige Stimme wie Du, Jüngelchen!“, rief Zeuxis. Einer der Piraten, ein junger Mann mit einem feingeschnittenen Gesicht und sonst eher muskulösen Schultern, sah von seinem Essen auf und zuckte mit der Schulter. Grinsend stand er auf und flüsterte dem Flötenspieler etwas zu. Der nickte und griff anders zu, etwas getragenere Töne hallten durch das Unterdeck. Melodisch und volltönend setzte Aras zum Singen an.
    “Wieder unter schwarzen Wimpern
    Mit betörenden Augen schaut mich
    Eros an und treibt mit tausend
    Süßen Lockungen mich in Kypris’
    Unentrinnbar festes Netz...“
    Doch schon wurde sein Lieder unterbrochen: „Was Zünftiges, kein Geschnulze. Ah ne, das geht doch nicht. So was: Auf, Brüder, lasst uns trinken!
    Was warten auf die Nacht!
    Schon ist es der Tag im Sinken-
    Her, was uns fröhlich macht!
    Her den vollen, den schäumenden Becher... “
    Doch auch jener Gesang wurde unterbrochen, eine derbere, kehlige und tiefe Stimme, was schon unheilverkündend anmutete, hob an zum Singen.
    „Nicht mehr zu deuten weiß ich der Winde Stand,
    Denn bald von dorther wälzt sich das Wog’ heran
    Und bald von Dort, und wir inmitten
    Treiben dahin, wie das Schiff uns fortreißt,
    Mühselig ringend wider des Sturms Gewalt;
    Denn schon des Masts Fußende bespült die Flut
    Und vom zerborstnen Segel trostlos
    Flattern die mächtigen Fetzen abwärts...“
    Abermals wurden Knochen und sonstiges Essen geworfen. „Halt’s Maul, Borgos, wir wollen feiern!“ Der alte Mann, Borgos, verstummte und sah brütend über den Tisch hinweg Ambrosius an. Seine weißen Haare hangen zottig über seine Schultern herunter und er griff mechanisch nach dem nächsten Hähnchenstück. Zeuxis schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Ambrosius zu. „Na, Jüngelchen, dann kannst Du doch auch singen als Grieche! Bring doch mal was Lustiges für uns!“
    Die Musik aus dem Unterdeck drang nur gedämpft bis zu Kajüte des Kapitäns. Unverwandt sah Tullius Lucilla an, genauso ungeniert wie er sie zwischenzeitlich nochmalig musterte. Um seine Mundwinkel zuckte es amüsiert. Natürlich missfiel ihm der Gedanken nicht, was für eine Macht sein Name haben könnte. Wenn noch in Generationen die Menschen Angst vor ihm hatten, wie vor Sulla, das wäre unbestreitbar anstrebenswert. Genüsslich über jenen Gedanken sinnierend ließ er den rotschillernden Wein in seinem Glas kreisen und nahm schlussendlich einen kleinen Schluck von dem kostbaren Traubensaft.
    „Ich fühle mich sehr geehrt, Lucilla, dass Du Deinen Enkeln Schauermärchen von mir erzählen möchtest.“
    Ob es jemals dazu kommen würde, Lucilla die Fahrt auf seinem Schiff überhaupt überleben würde, ließ er offen und dahingestellt.
    „Aber in der Tat besitze auch ich einen Namen. Ist es klug, ihn Dir zu nennen? Vielleicht nicht, aber einen schlimmeren Fluch als vor einigen Tagen wirst auch Du wohl nicht mehr aussprechen können. Mein Name ist Quintus Tullius.“
    Die Tür der Kajüte öffnete sich, ein seltsamer Anblick bot sich dort. Ein einäugiger Mann mit unrasiertem Kinn und langen, dunklen Haaren, dafür jedoch wie ein Diener ausstaffiert, betrat die Räumlichkeiten, hielt in seiner Hand eine große Platte mit halbierten Eiern, die kunstvoll mit Fisch- und Hühnerfleisch gefüllt worden waren, garniert mit einigen Lorbeerblättern und bunten Gewürzen, Fenchel, Bohnenkraut, Pfeffer, Salz und Knoblauch als Beigabe und Zierde. Etwas unbeholfen und doch nicht ungeschickt stellte der Pirat die Platte auf den edlen Tisch ab, verließ stumm wieder die Kajüte. Und ganz in der Tradition der Saturnalia beugte sich Tullius vor und umgriff mit zwei silbernen Löffeln eine Eihälfte nach der Anderen, reichte sie auf Lucillas Teller, ebenso wie auf den Seinigen.
    „Bevor wir speisen, Lucilla, erlaube mir doch Dir etwas zu den Saturnalia zu schenken.“
    Süffisant kräuselten sich seine Lippen zu einem herablassenden Lächeln und er zog hinter sich eine Kette hervor aus feinen goldenen Gliedern, zwischen jedem Glied war ein goldenes, mit etruskischer Handarbeit verziertes Plättchen, und wiederum dazwischen prangten kleine Rubine, die zum mittleren Teil in einem Höhepunkt von einem strahlendroten Edelstein endete, der in feiner Goldarbeit eingefasst an der Kette hing.
    „Mir ist zu Ohren gekommen, es gibt etwas, was Du unbedingt mit mir besprechen möchtest, Lucilla. Hier ist natürlich eine vortreffliche Gelegenheit dafür. Darshi, magst Du uns vielleicht etwas zum Besten geben?“
    Denn in diesem Momente war deutlich die Stimme des Alten zu hören. Darshi, der sich still zu den Beiden gesetzt hatte, nickte und griff nach einem seltsam anmutendem Instrument, es hatte einen kleinen runden Bauch und dafür einen langen, schlanken Hals, sieben Seiten spannten sich von oben bis unten. Seine gesunde Hand glitt langsam über die Seiten des Instrumentes und entlockten ihr fremdartige Klänge, die Musik schien aus einer anderen Welt zu kommen, von den fernen Landen Parthiens, der Wüste, den fruchtbaren Tälern und den Bergen zu erzählen.

  • "Ich bedaure, Quintus Tullius, doch da irrst du dich. Flüche sind noch weitaus mächtiger, wenn sie an einen Namen gebunden sind." Sie lehnt sich nun schon ein wenig entspannter zurück und nimmt einen tiefen Schluck aus dem Weinglas. Da Lucilla jedoch sehr stark verdünnten Wein gewöhnt ist, zieht dieser tiefe Schluck ordentlich ihren Hals hinab. Ihre Augen weiten sich und da sie bemüht ist, ihren Fehler hinter dem Glas zu verstecken und den Mund geschlossen zu halten, statt wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft zu schnappen, steigt ihr das Wasser in die Augen. Blinzelnd stellt sie das Glas auf den Tisch und atmet tief durch die Nase ein. Jetzt nur nicht rot werden.


    Zum Glück sorgt der Einäugige für eine kurze Ablenkung als er das Essen hereinbringt. Lucilla spürt, wie ihr das Wasser im Mund zusammen läuft. Hat sie heute Mittag noch geglaubt, kaum etwas herunter zu bekommen, so merkt sie jetzt, wie sich ihr Appetit regt als ihr der Duft des gebratenen Fleischs in die Nase steigt. Doch die Nase und auch der Gaumen müssen warten. Und nun passiert es doch. Die edle Kette vor Augen, die nun ihren Hals zieren soll, steigt Lucilla die Röte in die Wangen und sie schlägt beschämt die Augen nieder. Was ist das nur für ein Mann, der am einen Tag Frauen wie Vieh abschlachtet und ihrer Schätze beraubt, um diese am anderen Tag an eine Gefangene weiter zu schenken? Vermutlich ist er einfach nur größenwahnsinnig, fühlt sich wie ein Gott, wie derjenige, der entscheidet wer stirbt und wer lebt, wie die griechischen Götter im Spiel um Troja. Das schlimmste daran ist, in seinem begrenzten Aktionsraum hat er damit sogar recht. Zögernd nimmt sie die Kette entgegen, darauf bedacht, die Hand des Kapitäns nicht zu berühren.
    "Die Erlaubnis sei dir gewährt, allerdings nur, weil heute Saturnalia sind." Noch immer ohne aufzuschauen legt sie sich die Kette um den Hals und kommt sich vor, als würden Pflastersteine daran hängen. Wer weiß schon, von welchem blutigen Hals er sie gerissen hat, oder welchen Kopf er abgerissen hat, um die Kette vom Hals zu nehmen. Ein leichter Schauer durchzuckt ihren Körper.


    Dardashis Spiel vertreibt die düsteren Gedanken ein wenig, denn nichts daran erinnert an das grausame Leben, das er auf diesem Schiff führt. Betont beiläufig zupft Lucilla eine Falte des Kleides zurecht und beschließt schnell zur Sache zu kommen. Wer weiß, wie lange sie noch dazu fähig ist, bevor sie entweder dem Wein erliegt oder dem Kapitän. Sie schaut auf und ihr Blick ist wieder fest. Einmal tief durchatmen.
    "Es gibt tatsächlich etwas, was ich mit dir besprechen möchte. Lass uns offen miteinander reden, Quintus Tullius. Wir haben beide ein Problem und das hängt mit meiner Person zusammen. Deine Mannschaft ist unruhig in meiner Gegenwart, sie sieht es nicht gerne, dass ich an Bord bin, nicht wahr? Sie könnten zu unruhig werden und sich zu etwas hinreißen lassen, was nicht gut für mich wäre; und damit auch nicht gut für dich, denn noch ist mein Leben an das deine gebunden." Schon will sie wieder zu dem Glas greifen, stockt aber im letzten Moment und zieht ihre Hand wieder zurück. Sie braucht einen klaren Kopf, wenn es zur Verhandlung kommen soll. Also wendet sie ihren Blick wieder auf den Kapitän.


    "Ich kann auch nicht sagen, dass ich deine Gastfreundschaft hier an Bord sehr genieße, vor allem die vergangenen Tage waren ein wenig ... nennen wir es unbequem, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wir uns auf einem Schiff befinden. Darum kann ich meinem Aufenthalt hier ebenfalls nicht viel abgewinnen. Es sollte also in unser beider Interesse liegen, dass ich dieses Schiff verlasse - und zwar lebend. Doch ich sehe natürlich ein, dass deine Mannschaft an deinem Leben alleine womöglich nicht genügend Interesse hat. Wer weiß, vielleicht wären sie ja sogar froh, dich los zu sein, wo sie doch nichteinmal deinen Namen ohne Furcht nennen können. Da komme ich ja eigentlich gerade recht. Mich haben sie schnell über Bord geworfen und bin ich ersteinmal erledigt beginnt der Fluch zu wirken und du gehst von Götterhand ganz wie von selbst ein." Sie stockt und schaut ihn erstaunt an. "Eigentlich wäre das ein ziemlich guter Plan, nicht wahr? Aber nun gut, mir nützt dein Tod nichts." Wobei sein Tod wahrscheinlich den von hunderten anderen Menschen verhindern würde. Doch Lucilla ist nicht Decima genug, um sich heroisch für das Wohl der Menschheit aufzuopfern. Wahrscheinlich würde eh nur der nächste Pirat kommen und Tullius Platz einnehmen und dann wäre alles umsonst. So, wie schon viel zu viele Decima völlig umsonst für eine heroische Sache gestorben sind, die Lucilla nie verstehen wird.


    "Ich bin daher bereit, für meine Freiheit aufzukommen, für die Unkosten und Mühen, die ihr mit mir hattet. Ich bin nicht gerade wohlhabend, doch es gibt viele Möglichkeiten für eine Frau an Geld zu kommen. Nenne mir deinen Preis und ich werde dafür sorgen, dass du das Geld erhälst, und ich im Gegenzug meine Freiheit und die des Jungen."

  • Gib das Tränklein, Thestylis, den Lorbeer,
    Um den Kessel schlinge rote Fäden;
    Den geliebten Unhold will ich bannen,
    ...Hellen Scheines leuchte Du, Selene,
    Dich beschwört mein leises Zaubersingen,
    Hekate, auch dich, die Höllengöttin:
    Fährst Du aus, dein blutig Mahl zu suchen...


    Zauberhaft glitten die Klänge von Dardarshis Lyra durch die Kajüte, die Dunkelheit und das schwarze Meer schienen Weitweg, dieser kleine Raum wie ein abgeschotteter Oase, fern von allem Irdischen und fern der Heimat. Der Wind umrauschte das Schiff, immer wieder platschte das Wasser gegen die Heckfenster. Eine altes Lied kam Tullius in den Sinn als er Darshis Klängen lauschte, die Zaubergesänge hatte ihm seine Mutter einstmals vorgesungen, tief in ihm die Furcht vor der Macht der Frauen eingepflanzt, die in düsterer Nacht mit ihren Worten mächtige Geister und Göttinnen anriefen, ihnen die Macht über die Männer zu verleihen. Vielleicht war es tatsächlich ein Fehler gewesen, Lucilla seinen wahren Namen zu verraten. Sein Mundwinkel zuckte als Erwiderung auf ihre Worte, es könnte als höhnische Antwort gelten oder ebendies als Furcht. Mit einem feinen Lächeln versuchte Tullius dies zu übertönen und er griff nach der Karaffe, goss sich erneut vom Wein ein, wenngleich sein Glas noch gar nicht ganz geleert war.
    Mit Zufriedenheit verfolgte er mit seinen Augen das Anlegen seines Geschenkes, sah die Rubine auf ihrer Haut funkeln, betrachtete ihren schlanken Hals, verzog seine Lippen zu einem wölfischen Grinsen und trank einen Schluck Wein, um auch solchige Regung zu verdecken. Die Beute hatte durchaus ihn als Raubtier erkannt, wusste aber hoffentlich noch nicht, worauf er wirklich hinaus war und das gedachte er auch nicht einfach und voreilig Preis zu geben.
    Interessiert lehnte sich Tullius zurück als Lucilla gedachte offen zu sprechen. Sein Arm ruhte auf der Kline, seine Finger auf dem Polster, Lucilla sehr nahe, genüsslich nahm er einen Schluck nach dem Anderen von dem köstlichen Tropfen in sich auf. Ob die Käufer sich auch so an jenem Weine gelabt hätten? Ihn genauso genossen und mit Andacht erlebt hätten? Er wagte es zu bezweifeln, lachte jedoch leise auf Lucillas Vermutungen über die Angst seiner Piraten vor ihm. Mit einem Ruck erhob sich Tullius, stellte das Glas wieder auf den Tisch. Ein Schritt und er ging zur ersten Kiste, nachlässig öffnete er die Truhe, der Deckel fiel gegen die Wand, die Nächste und noch eine und noch eine wurde geöffnet. Stoffe, Gold, Geschmeide, Reichtümer ungeahnter Pracht lagen in den Kisten, sie funkelten hell und verführerisch im Kerzenlicht. Mit einem äußerst selbstgefälligen Lächeln wandte sich Tullius um.
    „Siehst Du das, Lucilla? Schon seit fünf Winterwenden befahre ich das Mittelmeer, überfalle Schiffe und entschwinde wieder auf dem weiten salzigem Wasser, damit die Classis keine Spur von mir hat. Und in all dieser Zeit habe ich das hier sammeln können. Ich habe genug, um mich zur Ruhe zu setzen und zu leben, wie ein reicher Senator oder ein hoher Patrizier. Was willst Du mir da noch bieten können? Was bedeuten mir da noch einige tausend Sesterzen mehr, ein wenig mehr Geschmeide oder andere Schätze? Nichts!“
    Spöttisch lächelnd setzte sich Tullius erneut und griff nach seinem Wein, aß sogar ein Ei mit Hühnchenfüllung, ließ Lucilla ausreichend Gelegenheit seine Beute zu begutachten.
    „Es gibt aber doch etwas, was Du mir bieten könntest, Lucilla!“
    Gierig leckte sich Tullius über die Lippe und trank noch einen Schluck. Mit einem seltsamen Funkeln in seinen Augen beugte er sich geringfügig nach vorne.
    „Zuallererst will ich natürlich, dass Du den Fluch von mir nimmst! Ebenso, Dein Versprechen, dass Du selbigen nicht wiederholen wirst, egal in welcher Form. Danach...“
    Tullius verstummte und setzte das Glas an seine Lippen, ließ Lucilla warten und beobachtete sie aufmerksam über den Rand seines Pokals hinweg, genüsslich trank er und sprach erst hintennach.
    „...im Anschluss daran will ich lediglich für einige Wochen Deine Gesellschaft. Nicht mehr und nicht weniger!“
    Das Steuer ächzte leise unter dem Steuermann. Müde blickte er auf die schwarze See, das Stück Holz in seinem Mund schmeckte schon seit Längerem schal. Missgelaunt warf er es in die Dunkelheit und kratzte sich am Rücken. „Verdammte Flöhe!“ murmelte er und wischte sich über die Stirn. Schwarze Flecken tanzte vor seinen Augen, vor ihm ergoss sich die Weite des Mittelmeeres, das nächste Land ein gutes Stück von der Harpyia entfernt. Mühsam versuchte er die Müdigkeit von sich zu wischen, doch seine Stirn glühte schon seit einer Weile, er merkte es wegen der Kälte um sich herum nicht. Langsam sank er auf das Ruder herunter, ein Seufzen kam von seinen Lippen und er brach über dem Steuer zusammen. Sein schlaffer Körper hing über den Holzstreben, dann drehte sich das Ruder langsam zur Seite und er fiel mit einem unmerklichen Plumps auf den Boden. Das Schiff, steuerlos, drehte langsam und träge im Meer bei. Niemand bemerkte den Kurswechsel, niemand ahnte davon.

  • Jede ruckhafte Bewegung schreckt Lucilla auf, so auch als Tullius aufsteht. Eigentlich ist der ganze Tag nur eine einzige Anspannung. Selbst wenn sich Lucilla nach außen hin etwas lockerer gibt, so erwartet sie im Inneren doch ständig, dass irgendetwas passiert. Dass sich Dardashi mit einem Säbel auf sie stürzt, dass Tullius ihr ein Messer in den Bauch rammt, dass ein Pirat durch die Tür stürmt und ihr den Kopf abschlägt, selbst die einfältige gallische Vorstellung dass ihr der Himmel auf den Kopf fällt scheint ihr nicht mehr so abwegig wie früher. Sie verfolgt Tullius mit ihren Blicken, die schließlich auf den Truhen voller Schätze kleben bleiben. Irgendwo hier sind vermutlich auch ihre Einkäufe aus Germania, wenn sie nicht mit dem Handelsschiff bis auf den Grund des Meeres gesunken sind. So wie Ambrosius. Armer Ambrosius. Im ersten Augenblick ist vielleicht noch mehr als Sorge und Bedauern in Lucillas Blick. Ein Hauch von Gier, ganz zart, aber doch nicht zu leugnen. Wie die Frau eines Senators oder hohen Patriziers zu leben, das ist es auch, was Lucilla immer verfolgt hat, zumindest seit den Tagen, seit sie zu Großtante Drusilla nach Rom gekommen ist und von ihr in das Spiel um Ansehen, Macht und Geld eingeführt wurde. Ist sie so viel anders als er? Was wäre geschehen, wenn die Decima nicht so viel Einfluss gewonnen hätten und ein Senator für Lucilla nur mehr als angemessen ist? Was, wenn sich keine mächtigen Männer für sie interessiert hätten? Wäre sie über Leichen gegangen, um in anderem Fall an einen heranzukommen, an Geld, an Macht, das Leben einer echten Römerin? Das Schicksal hat ihr zum Glück andere Wege bestimmt und wahrscheinlich wäre Lucilla vor Gram eingegangen, doch ein kleiner Rest von Zweifel bleibt bestehen solange man das hintergründige Glühen in ihren Augen sieht, deren Blicke über Tullius Schätze schweifen.


    'Nichts!' Das ist ziemlich wenig, was Lucilla bieten kann und die Erkenntnis ist ernüchternd. Um Zeit zu schinden widmet auch sie sich dem Ei, doch ihr Appetit rückt merklich in den Hintergrund ihrer Aufmerksamkeit. Drohen? Meridius würde Tullius bis ans Ende der Welt jagen, wenn sie ihn darum bittet. Nein, wahrscheinlich müsste sie nicht einmal darum bitten. Als wären ihre Gedanken nicht ständig völlig unpassend, wird Lucilla auf einmal klar, dass sie tatsächlich die Letzte ist, die Meridius von seinen Geschwistern geblieben ist. Würde sie nicht mehr zurückkehren und es würde auch nur der kleinste Verdacht bestehen, dass Piraten ihre dreckigen Finger im Spiel haben, dann würde er ausziehen, jeden Hafen umdrehen und das ganze Mare Internum umwühlen, bis jeder einzelne Pirat an einem Kreuz hängt. Ja, Lucilla ist davon überzeugt, dass er dazu in der Lage wäre. Doch wenn sie nun ihren Namen nenen würde, dann hätte sie jegliche Macht darüber verloren, so wie Quintus Tullius über den seinen.


    Die Entscheidung nimmt der Kapitän ihr selbst ab, indem er ihr ein Angebot unterbreitet. Als er sich etwas näher zu ihr beugt, weicht Lucilla instinktiv unmerklich zurück. Sie blickt ihn aus großen Augen an, als er von ihr die Aufhebung des Fluches verlangt. Danach ... bei den Göttern! Ist es das? Einige Wochen Gesellschaft? Einige Wochen! Lucilla erwidert Tullius Blick mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Sie mag ein wenig einfältig sein in dieser Hinsicht, doch dumm ist sie nicht. Ihr Körper ist ihr tatsächlich neben ihrem Leben auch noch geblieben. Von ihrer Mutter schon früh zu Bescheidenheit ermahnt, hat Lucilla nie nachvollziehen können, warum dieser Körper auf Männer so anziehend wirkt. Doch dass er wirkt hat so mancher bewiesen. Sollte Quintus Tullius ebenfalls nur so einfach gestrickt sein? Womöglich gehört das zu seinem Plan? Womöglich nimmt er sich von jedem Schiff eine Frau mit, lässt sie erst tagelang in dem engen Loch darben, damit sie verzweifelt und sich ihm in seiner Güte an den Hals wirft? Und nach einigen Wochen? Wenn er mit ihr fertig ist? Dann wirft er sie doch noch über Bord zu den Fischen.


    Lucilla lächelt. Es ist das Lächeln der Verzweiflung. Der Wal würde sie nicht wieder Lebend ausspucken. Er würde sie kräftig durchkauen, durch seine Verdauung jagen und sich hinterher der ungenießbaren Reste entledigen. Ihre Stimme wird hart.
    "Wenn ich den Fluch aufhebe, was bleibt mir dann noch? Nichts. Du willst meine Gesellschaft haben? Nimm sie dir, Quintus Tullius, so wie du dir alles nimmst. Brauchst du mein Einverständnis für dein schlechtes Gewissen? Ich glaube nicht, denn ich glaube nicht, dass du überhaupt eines hast. Ich werde hier an Bord bleiben und tun, was du sagst, denn welche Wahl habe ich schon? Doch meinen freien Willen wirst du nicht bekommen. Und wenn ich am Boden liege, zerfetzt von deinem Säbel weil dir mein Anblick keinen Spaß mehr bereitet, und sich mein Leben aus dieser Welt löst um hinüber ins Elysium zu ziehen in die Arme meiner Ahnen, dann werde ich wissen, dass dein Leben sich mit mir auflöst, doch dass auf dich kein Elysium wartet, keine Ahnen, welche dich in ihren Kreis aufnehmen. Denn auf dich wartet nur endlose Qual, Quintus Tullius, bei den Göttern des Infernos, du wirst verdammt sein auf ewig an deinem Reichtum und deiner Macht zu ersticken, nur um sie wieder zu erbrechen um sie erneut zu verschlingen!"


    Lucilla greift nach dem Glas und stürzt einen großen Schluck Wein hinunter. Der Schmerz in ihrer Kehle, die Hitze, die in ihren Kopf steigt sollen ihr nur recht sein. Hatte sie auch nur einen winzigen Augenblick geglaubt, lebend aus diesem Alptraum zu entkommen, so sind alle Hoffnungen mit diesem Essen verflogen. Quintus Tullius ist genau das, was er ist, ein grausamer Priat, und vielleicht ist sie doch Decima genug um sein widerwärtiges Leben durch ihres zu beenden. Denn bleibt ihr eine andere Wahl?

  • Ungesehen zog der schwarze Landstreifen am Schiff vorbei als die Harpyia einen westlicheren Kurs anstrebte. Niemand an Deck sorgte sich darum, noch löschte jemand die Hecklaternen als in der Ferne kleine Lichtpunkte am Küstenstreifen auftauchten.
    Doch von dort wurden einige Augen auf das ferne Schiff der Piraten gerichtet. Ein Matrose stand am Heck der Triere Ulpia, spähte verwundert auf die vorbeiziehenden Lichter, während ihre eigene Triere vor Anker lag, nachts zu fahren war viel zu gefährlich und unberechenbar. Er kniff die Augen zusammen und entdeckte erneut die Lichter, die langsam in einer Seemeile Entfernung an ihnen vorbeizogen. Ein Entschluss musste schnell getroffen werden, der Seemann wandte sich zu einem Mitsoldaten um. „Lauf unter Deck und weck den Trierarchus, er muss sich das selber anschauen!“
    Eine Ratte trippelte das Deck der Harpyia entlang, forschte mit ihrem Näschen nach kleinen Krümeln Essbares, suchend lief sie an dem Steuermann vorbei und entdeckte ein Stück Brot in seinem Tunikazipfel, sie wühlte in seiner Tasche und entschwand schnell in der Dunkelheit ehe der Pirat sie bemerken konnte. Doch er tat es nicht, rührte sich nicht und wurde auch der entfernten Gefahr, die römische Triere, nicht gewahr.
    Auch Quintus Tullius beachtete das kurze Aufleuchten eines Lichtes hinter ihm nicht, es hätte ihn mit Sicherheit alarmiert. Doch er war viel zu sehr von Lucillas Äußerungen abgelenkt und dem Verspeisen eines weiteren Eis. Die Götter des Infernos und die Aussicht gequält im Elysium sein Dasein zu fristen, jagte Tullius erneut ein Schaudern über den Rücken. Und doch verloren Lucillas Worte an Kraft und an Schrecken für ihn, hatte er diese Drohung doch schon einige Male über sich ergehen lassen müssen. Darum fiel es ihm nur mäßig schwer seinen Kopf ein Wenig zurückzulegen und in ein tiefes Lachen auszubrechen. Ihre Sturheit, ihr Widersinn und ihre Bereitschaft bis zum Ende zu kämpfen, das gefiel Tullius durchaus, denn gerade Frauen hielt er doch oft für schwächliche Wesen, die sich wegen ihrer Wertlosigkeit den Männern zu beugen hatten. Es war für Tullius fast schon erfrischend, dass nicht alle Frauen gleich weinend und flehend vor ihm zusammenbrachen.
    „Fürwahr, Lucilla, Du hast recht. In fast allem, was Du sagst. Denn warum sollte ich auch ein schlechtes Gewissen haben? Die Starken herrschen über die Schwachen, es ist überall so, sowohl bei den Tieren als auch bei den Menschen. Oder glaubst Du etwa, der römische Kaiser würde noch einen Tag länger regieren, wenn ein Stärkerer glauben würde, er könnte ihn stürzen? Nein! Und auch hier auf dem Meer herrscht dieses raue Gesetz.“
    Manierlich griff Tullius nach der Karaffe und goss Lucilla mit einem süffisanten Lächeln von dem kostbaren Wein nach. In seinen Augen glitzerte es nicht minder spöttisch als er sich zurücklehnte und Lucilla von oben bis unten musterte, wie ein Stück Ware.
    „Und sicher, ich kann mir Deine Gesellschaft erzwingen. Sicherlich vermutest Du, ich denke dabei an das fleischliche Vergnügen, an die Stillung meiner Lust an Dir. Nun, Du bist schön und Dein Körper begehrenswert. Aber das will ich nicht, danach verlangt es mir nicht. Wenn ich das wollte, hätte ich es mir genauso genommen wie die Stoffe oder das Geschmeide dort. Denn genau das Vergnügen ist auch nur eine Ware.“
    Prüfend musterte Tullius seinen Amicus, Darshi, der mit halbgeschlossenen Augen spielte als ob er von all dem nichts hörte, als ob sein Geist wirklich in weiter Ferne und in seiner Heimat verweilen würde. Doch Tullius wusste, Darshi würde ihn später noch für diese Worte in Frage stellen, auf seine Geliebte in Sardinia verweisen. Doch in manchen Dingen kannte ihn sein Amicus immer noch sehr schlecht. Frauen waren für Tullius bedeutungslos, gaben ihn nur kurz Befriedigung und geliebt hatte er noch nie eine, nichtmals seine eigene Mutter.
    „Es ist Deine Entscheidung, Lucilla. Du kannst hier angenehm und in Frieden die Wochen verbringen, sicher und ohne die Sorge meinen Launen unterworfen zu sein. Mir wäre genauso daran gelegen, wenn wir die ganze Angelegenheit manierlich, wie es sich zwischen Römern doch gehört, abschließen, ohne Drohungen, ohne Flüche und sonstige unangenehme Begebenheiten!“
    Dass er ganz andere Seiten aufziehen konnte, noch nicht mal ansatzweise alle Maßnahmen ergriffen hatte, um ihren Willen zu brechen, sie zu demütigen, sie zu quälen oder leiden zu lassen, all dies ließ er unausgesprochen. Was in seiner Macht lag, konnte sich die Frau denken und Tullius hielt sie nicht für ein dummes Weibchen.

  • Es ist unfassbar. Sie verhandelt um ihr Leben, sie ergibt sich in dieses furchtbare Schicksal und er lacht einfach! Wenn es etwas gibt, das Lucilla zur Weißglut bringt, dann ist das, wenn sie nicht ernst genommen wird. Denn das hat sie schon als jüngstes Kind in der Familie viel zu oft ertragen müssen. Doch was nützt alles sich aufregen.
    "Die Starken herrschen nur über die Schwachen, weil es immer genug Männer gibt, die sich als die Starken aufspielen müssen. Es ist überall das gleiche, da hast du recht, hier auf dem Meer wie in Rom. Ich habe nie verstanden, warum. Wahrscheinlich werde ich es auch nie verstehen, denn das einzige Schicksal, das auf diese ach so starken Männer wartet ist der frühe Tod. So war es bei Alexander, bei Hannibal, bei Caesar, so war es bei allen starken Kaiser und so wird es auch bei dir sein." Und bei ihren starken Decima würde es auch so enden.


    Dass Tullius nicht dem fleischlichen Vergnügen fröhnen will, das beruhigt Lucilla etwas, auch wenn sie ihm nicht glaubt. Ein Mann der ständig auf dem Meer unterwegs ist, umgeben von Männern ... Lucillas Blick wandert zu Dardashi und sie mustert ihn neugierig. Ob er etwa ...? Immerhin würde das einiges erklären. Sie nimmt das Ei, beißt ein Stück ab und kaut. Sie kaut sehr lange und wie ihre Zähne das Essen zermahlen, mahlen auch die Gedankenmühlen in ihrem Kopf. Er will sie nicht über Bord werfen, das ist schonmal gut. Er will sie nicht wieder in den engen Käfig sperren, das ist auch gut. Er will kein Geld für ihre Freiheit, das ist schlecht. Er will nicht ihren Körper für ihre Freiheit, das ist gut. Was genau er will, das versteht Lucilla noch immer nicht, vor allem nicht, warum. Sie glaubt, dass jeder Tag, den sie länger hier an Bord bleiben würde, die Situation für sie nur noch gefährlicher machen würde. Trotzdem wäre es vielleicht gut, Zeit zu schinden. Irgendwann muss dieses Schiff in irgend einen Hafen einlaufen. Ihre Chancen wären dann größer, wenn sie mehr oder weniger frei herumlaufen könnte, als wenn sie in dem Käfig verharrten müsste.


    Sie schiebt den Rest Ei in ihren Mund und kaut weiter. Dann allerdings schluckt sie es recht schnell herunter. "Wieso? Was bringt dir das? Du willst nicht mein Geld und du willst nicht meinen Körper. Aber was soll ich hier auf deinem Schiff? Und was passiert hinterher? Du sprichst von ein paar Wochen. Und dann? Was wirst du dann mit mir tun? In ein paar Wochen werde ich viel sehen, Quintus Tullius. Du bist nicht dumm, du würdest mich nicht einfach gehen lassen. Was also hätte ich mir erkauft mit diesen Wochen?"


    Sie nippt nochmal an dem Wein. Schlecht ist der nicht. "Im Übrigen glaube ich nicht, dass du ein Römer bist. Aber es gibt ja auch außerhalb der römischen Bürgerschaft Menschen, die manierlich sind. Die Drohungen können wir uns also gerne sparen, auch die unangenehmen Begebenheiten." Diese würden eh nur sie treffen. "Und ich sehe von weiteren Flüchen ab, sie wären ja sowieso sinnlos. Allerdings werde ich den bereits gesprochenen nicht lösen. Hier auf dem Schiff geht das eh nicht. Außerdem ist er das einzige, das mein Leben soweit garantiert, du verstehst das sicher. Doch solange du deinen Teil dieses Handels einhälst, solange brauchst du dir schließlich keine Gedanken darum zu machen."

  • Einige Wolkenfetzen trieben über das nächtliche Firmament, verschluckte Saturn und Bootes am Sternenhimmel. Das Deck der Triere Ulpia schaukelte sanft in Küstenreichweite, die Segel waren gerefft und einige misstrauische Augenpaare waren auf die dunkle See gerichtet. „Was ist los?“ Ein Mann, nur in einen Lendenschurz bekleidet, trat auf das Deck, streifte im Gehen eine Tunika über seinen Leib. Einer der Matrosen wandte sich zu dem herannahenden Mann. „Trierarchus? Wir haben Lichter auf See ausgemacht, westwärts treibend. Dort!“ Er deutete auf die sich weiter entfernenden Hecklaternen der Harpyia, die nur noch kleine Lichtpunkte in weiter Entfernung waren, wie eine Reflexion der Sterne. Der Kapitän der Ulpia kniff die Augen ein klein wenig zusammen und sah auf die Lichter, eine nachdenkliche Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. „Was sollen wir tun?“ fragte einer der Matrosen. Auf dem Gesicht des Kapitäns zeigten sich flüchtig seine grüblerischen Gedankengänge, sein Abwägen und seine Bedenken. Schließlich nickte er verhalten. „Lichtet den Anker, trommel die Männer an die Ruder. Wir verfolgen die Lichter. Vielleicht ist sie es dieses Mal. Los, an die Arbeit.“ Der Matrose zögerte nur für einen winzigen Bruchteil eines Momentes, überwand dann seine Abneigung nachts loszusegeln und innerhalb weniger Minuten war das Schiff mit Leben gefüllt, die Ankerkette wurde hochgezogen und die Ruder tauchten tief ins Wasser. Die Ulpia nahm die Verfolgung auf.
    Ohne sich von den Gesprächen der Beiden in der Kajüte stören zu lassen, glitten Dardarshis Finger weiter über sein lyraähnliches Instrument. Er schloss die Augen, ließ sich von den Wogen des Meeres weit in die Ferne tragen, Worte flossen in seinen Geist, ein altes Lied aus seiner Heimat. Auch als die Tür aufging, schien der Parther davon nichts zu bemerken. Abermals trat der zottige Pirat hinein, auf seinen Händen trug er einen weiteren Gang des Mahles, doch er spähte ein bisschen unsicher auf den Tisch, wo noch die Hälfte der Eier lagen. Unwirsch deutete Tullius auf die Eier.
    „Nimm sie ruhig mit!“
    Erleichtert nickte der Pirat und stellte die nächste Platte aus Silber auf den Tisch, fein zerschnittene Fischteile, von der Scholle bis zur Krake, von der Languste bis zum Hummer lagen dort, letztere noch mit ihrem Panzer, eine dickliche gelbe Fischsoße umschwamm das Essen, um dem Fisch eine besondere Würze zu verleihen. Auch Brot reichte der Pirat, nahm die Eier und verließ erneut die Kajüte. Nochmals bediente Tullius Lucilla und tat ihr von jedem der Fisch eine Kostprobe auf den Teller, reichte ihr von dem Brot dazu.
    „Vielleicht langweilt mich das Leben tagein, tagaus hier auf dem Schiff? Es könnte doch sein, dass mir das ewige Spiel, vom Jagen und Gejagt werden nicht mehr reicht? Vermutlich bist Du eine kleine Abwechslung in dieser Monotonie. Oder es ist nur eine Laune, die mich dazu treibt. Aber warum ist es Dir wichtig, das zu wissen? Solltest Du nicht lieber den Göttern danken, dass sie Dich schützen. Schließlich hätte ich Dich trotzdem schon längst töten können, stattdessen biete ich Dir Dein Leben und Deine Freiheit an. Wenn Du mich jedoch zu sehr in Frage stellst, vielleicht fällt mir tatsächlich auf, wie unsinnig das doch wäre.“
    Seine Lippen kräuselten sich erneut zu einem gönnerhaften Lächeln.
    „Du wirst wohl kaum mehr entdecken, als Du jetzt schon gesehen hast, Lucilla. Wir sind ein Schiff voller Piraten, wir segeln auf dem Mare Internum und überfallen Schiffe. Meinst Du, dass wir in all den Jahren nicht schon längstens den Soldaten Roms aufgefallen sind? Was sollte ich da noch fürchten, was Du berichten könntest? Vielleicht mein Name? Der ist der Classis längstens bekannt. Schließlich war diese Triere mal ein Schiff der römischen Flotte und der alte Kapitän ein Trierarchus, bis entschieden wurde, dass er doch mehr die See von der Sicht der Fische aus betrachten sollte. Ich hoffe, Du magst Hummer?“
    Selbstgefälllig lächelnd legte er einen halben Hummer auf ihren silbernen Teller und nahm sich ebenfalls von dem Schalentier, mit seinem Löffel begann Tullius von dem zarten Fleisch aus dem Leib des Tieres herauszuholen und aß einen Bissen davon. Genießerisch betrachtete Tullius die wohlschmeckenden Speisen, denn der Genuss von Essen gehörte zu den wenigen Schwächen, die er sich ab und an leistete, neben seinem Sinn für die Schönheit des Meeres.
    „Bedauerlicherweise werde ich Dir heute keine Austern anbieten können, wenn sie auch sonst oft auf unserem Schiff vorhanden sind. Ich liebe diese Muschelart ganz besonders. Aber kommen wir doch zu Deiner Skepsis zurück. Du meinst ich bin kein Römer? Ich bin in Rom geboren worden und in dieser Stadt aufgewachsen. Du bist es nicht, das höre ich eindeutig aus Deiner Aussprache heraus, bei der ich nicht die Sprachmelodie, die in den Vierteln Roms zu hören ist, vernehmen kann, eher eine Betonung, die auf eine Provinz schließen lässt. Gallia wohl nicht, entweder Magna Graeca oder Hispania.“
    Als er ein weiteres Stück vom Hummer verspeiste, lächelte Tullius zufrieden, sowohl über seine kleine Analyse als auch über den Koch. Es war noch der Koch des alten Trierarchus gewesen, dieser war nicht minder froh diesen Tyrann losgeworden zu sein und so kochte er heute mit Leidenschaft für Tullius und die Piraten, aber freiwillig.
    „Das mit dem Fluch sehe ich durchaus ein, hättest Du ihn zurückgenommen, wäre ich vielleicht sogar ein wenig enttäuscht gewesen. Aber was gibt mir die Sicherheit, dass Du den Fluch lösen wirst, wenn Du mein Schiff verlassen hast?“
    In Tullius Augen glitzerte es amüsiert, er fand immer mehr Gefallen daran, sich mit dieser Frau auseinander zu setzen.
    Der Trierarchus der Ulpia ließ die Segel setzen als sie von der Küste der Balearen sich weiter entfernt hatten, trotzdem ließ er die Männer in der Dunkelheit weiter rudern, das Schiff machte einen Satz nach vorne als der Wind gegen die Segel drückte und schnell pflügte das Militärschiff hinter den Piraten her.

  • Würde Lucilla ahnen, wie nahe möglicherweise die Rettung durch die Classis ist, vielleicht würde sie einfach das wirklich delikate Essen genießen, sich zurück lehnen und ein wenig gepflegte Konversation treiben - soweit das mit einem Piraten möglich ist. Doch Lucilla hat keine Lichter an der Küste vor Augen und auch nicht die sich in der dunklen Nacht mit Wind füllenden Segel der Triere Ulpia. Sie hat nur Wochen in der Gegenwart von Kapitän Quintus Tullius vor Augen und seine fadenscheinige Erklärung will ihr einfach nicht einleuchten. Natürlich handelt sie auch manchmal aus einer Laune heraus und natürlich gibt es in ihrer gewohnten Umgebung Menschen, die sich durch ihre Launen leiten und manchmal auch verleiten lassen. Aber doch nicht wenn es um ein Menschenleben geht. Und schon gar nicht darf das sein, wenn es um ihr Leben geht. Genau genommen wäre die Vorstellung, dass Tullius einer Laune nachgibt, die in jedem Moment wieder umschlagen kann, einfach zu beängstigend. Sie mustert den Kapitän, als sie durch den Piraten unterbrochen werden, der das Essen bringt, und sie beobachtet auch den Piraten ganz genau. Dann verfolgt sie still, wie Tullius das Essen verteilt und nippt zwischendurch vorsichtig an ihrem Wein.


    "Vielleicht, könnte, vermutlich ... für dich mögen diese vagen Überlegungen ausreichen. Aber vergiss nicht, du spielst hier mit meinem Leben und ich halte es daher nicht für unsinnig herausfinden zu wollen, was genau deine Absicht ist. Wenn du dieses Leben leid bist, dann solltest du damit aufhören. Das Imperium ist groß und so schlecht das auch sein mag, aber es wäre für dich ein leichtes, dich in irgendeiner Provinz abzusetzen." Lucilla zuckt die Schultern und lacht freudlos. "Wahrscheinlich könntest du sogar mitten durch Rom spazieren, ohne dass irgend etwas geschehen würde." Der Gedanke gefällt Lucilla wirklich nicht, doch sie ist nicht so naiv, nicht zu wissen, dass es wohl tatsächlich so wäre. Sie nimmt den kleinen Löffel und löst ein bisschen von dem Hummerfleisch aus der Schale. Den ersten Bissen drückt sie mit der Zunge an den Gaumen und erfreut sich am Geschmack des weichen Fleisches. Nach dem Hummer testet sie das etwas zähere Krakenfleisch. Der Koch auf diesem Schiff versteht sein Handwerk.


    Durch den Wein schon etwas gelockert, winkt Lucilla mit dem Löffel ab. "Ich stelle dich in Frage seit mich ein rüpelhafter Seemann in eine Kajüte geschubst und mich angefleht hat, mich zu verstecken. Und dass ich es tue weißt du seit dem Zeitpunkt, seit ich dir mein Schild ... ich meine, seit ich eine Schüssel nach dir geworfen habe. Vielleicht kann ich mich bemühen, es nicht ganz so offensichtlich zu tun, immerhin erkläre ich mich bereit, dir keine weiteren Flüche um die Ohren zu werfen und ich werde mir das auch mit Schüsseln verkneifen. Aber allein meine Anwesenheit hier ist eine große Infragestellung deiner Person und das weißt du genau. Meiner Person im übrigen auch." Das klingt fast schon etwas schnippig. "Niemand außer mir garantiert dir, dass ich den Fluch lösen werde. In diesem Fall sitze ich wohl am längeren Ruder, auch wenn es das einzige ist, das ich noch in der Hand halte. Aber du kannst dir sicher sein, dass ich zurück in Rom wenig Interesse haben werde, mein Leben weiter mit dem deinen verbunden zu halten. Selbst wenn nicht, da ich nicht vor habe sehr bald zu sterben, wäre es für dich nicht einmal ein Unterschied."


    Dass Tullius Name der Classis bekannt sein soll und dass dieses Schiff einst Teil der römischen Flotte war, das erstaunt Lucilla doch und sie versucht dieses Erstaunen dadurch zu verbergen, dass sie sich intensiv mit ihrem Stück Scholle beschäftigt. Auf der einen Seite würde sie gerne glauben, dass es unmöglich ist, dass die römische Flotte nicht alle Piraten einfängt, sobals sie auf ein Schiff stößt. Auf der anderen Seite ist es auf dem Meer sicher nicht anders, als auf dem Land. Wenn das mit dem Einfangen, Einnehmen und Schlagen der feindlichen Truppen so einfach wäre, dann wäre ihre Familie längst wieder in Hispania oder Rom. "Das mit den Austern macht nichts, es werden auch wieder andere Zeiten kommen." murmelt sie beinahe gedankenverloren und meint dabei weniger ihn, als sich selbst. Sie isst einige Stücke von dem köstlichen Fisch, trinkt einen Schluck Wein und stützt ihren Kopf dann nachdenklich auf ihre Hand. Soll das tatsächlich möglich sein, dass Tullius mehr Römer ist als sie selbst? Möglicherweise hat er seinen Nomen gentile einfach ausgelöscht? So wie sie selbst in den letzten Tagen. "Hispania, ich stamme aus Hispania. Doch ich habe mindestens ebensoviel Zeit meines Lebens in Rom verbracht wie in Tarraco, wenn nicht sogar mehr." Lucilla blickt auf und mustert Tullius unverholen, doch ohne, dass ihr dies wirklich bewusst ist. "Aber um ein Römer zu sein gehört mehr dazu, als in dieser Stadt geboren zu werden. Piraten sind keine Römer."

  • Wie schwarze Zungen leckten die Wogen an den Bugplanken der beiden Schiff hoch. Jäger und Opfer, nur wussten die Männer auf der Harpyia immer noch nicht, dass sie dieses Mal die Gejagten waren. Der Großmast ächzte als der Wind stärker die Segel blähte, immer fester gegen die Segelfläche drückte und das Schiff weiter Westwärts trieb, in Richtung der Säulen des Herakles. Das Ruder drehte sich langsam mal in die eine, dann in die andere Richtung, herrenlos und von den Strömungen des Meeres beherrscht.
    Fröhlich und fidel drang die Flöte des dürren Piraten durch das Schiff, vermischte sich mit dem Holzknarren des Schiffes und den dröhnenden Stimmen der feiernden Piraten. Inzwischen hatten die meisten Piraten sich schon mehr als satt gegessen und gaben sich nur noch dem Wein und Gesang hin, feierten ausgelassen als ob es ihr letzter Tag diesseits des Styx war, denn wer wußte schon, was der nächste Tag ihm brachte. Düster brütend starrte der alte Pirat Borgos auf die feiernde Meute, obwohl er kaum an jenen Tag etwas getrunken hatte, waren seine Wangen gerötet und seine Augen blutumrändert. Wie das stumme Verhängnis versuchte er die Feier zu vermiesen, doch die Piraten ließen sich kaum davon beeindrucken.
    „Süß ist im Sommer ein kühlender Trank für den Durstenden,
    süß ist’s
    Für den Schiffer, zu sehn Frühlingsgestirn nach dem Sturm.
    Süßer doch ist’s, wenn dasselbe Gewand zwei Liebende zudeckt,
    Und der Liebe Genuss beide mit Wonne erfüllt...“
    Klar und volltönend schälte sich Aras Stimme aus dem Gegröle der Männer heraus, einige der Männer lachten und übertönten sein Lied und ebenso die Klänge. Ein schriller Ton ließ einige Männer verstummen und als die Flöte abrupt abbrach, wandten sich etliche Blicke auf den dürren Mann. Der Flötenspieler holte ächzend Luft und suchte mit seiner Hand nach dem Becher mit Wein, um seine ausgedörrte Kehle zu befeuchten. Mit einem lauten Krachen zog er stattdessen eine Fischplatte herunter, fiel auf das Deck, die Fischstücke rollten um ihn herum, die Soße floss um sein Haupt und er starrte mit aufgerissenen Augen gen Decke, verdrehte seine Augäpfel und keuchte. Eine Handvoll Piraten lachten schallend über dieses Malheur, doch Aras blinzelte verwirrt und beugte sich runter, besah sich den Flötenspieler genauer. Schnell richtete er sich auf und wandte sich um, hurtig lief er aus dem Raum hinaus. Ein einziger Pirat rief ihm hinterher. „He, Goldstimme, bleib hier und sing noch etwas...“
    Funkelnd spiegelten sich die Kerzen auf den Glaspokalen, das dunkle Glas brach die Strahlen in viele kleine und bunt schimmernde Lichter und warf glitzernde Punkte auf das Innere der Kajüte, als ob eine Götterhand überall kleine Saphire und Smaragde ausgestreut hätte. Mit einem amüsierten Lächeln trank Tullius einen Schluck von dem edlen Weine und ließ die Frage nach dem ‚Warum und Wieso’ weiter unbeantwortet im Raum stehen. Behutsam drehte Tullius den Glaspokal in seiner Hand, verfolgte mit den Augen die Reflexionen auf Lucillas Gewand und ihrem Gesicht und lächelte in sich hinein, schweigend und Lucilla lauschend als ob es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe, doch im Moment gab es das auch nicht. Tullius ahnte noch in keinem Augenblick, was hinter seinem Schiff her war.
    „Meine Person in Frage stellen? Sonderbar. Meinst Du mich selber oder meine Berufung hier auf dem Meere, mein Sum Piratae?“
    Gedanken verloren stellte Tullius das Glas herunter, griff nach seinem silbernen Löffel und widmete sich weiter dem Hummerfleisch. Annähernd in gleichem Maße wie Tullius das Meer verehrte und liebte, so sehr genoss er die Speisen die das blaue Nass hervorzubringen vermochte. Eine schnelle Abwicklung für die Unannehmlichkeit mit dem Fluch hatte Tullius in der Tat nicht erwartet, doch in einigen Wochen würde Lucilla vielleicht anderer Meinung sein. Tullius konnte sich gedulden, war kein Mann der Hast, wenn es sich nicht als notwendig erwies. Einmal hatte er ein Schiff mehr als eine Woche verfolgt, ehe er zugeschlagen hatte, es hatte sich auch gelohnt.
    Die Tür wurde aufgerissen, Aras trat hinein und sah aufgeregt zu Dardarshi, der immer noch sein ewig scheinendes Lied spielte und von der ganzen Unterhaltung entrückt schien. „Herr, ihr müsst kommen, Herr. Ich glaube, einer der Männer erstickt, Herr!“ gab Aras mit sich überschlagender Stimme von sich. Dardarshi senkte die Hände von seinem Instrument und öffnete die Augen, sah einen Atemzug verklärt zu Aras und nickte darnach. „Wenn ihr mich entschuldigt?“ wandte sich Dardarshi an Lucilla und Tullius, der ihn mit einer Handbewegung entließ. Erst als die Schritte entschwunden war, wandte Tullius seinen Blick von dem zurückgelassenen Instrument ab und betrachtete Lucilla eingehend.
    “Ein Pirat? Was ist das? Ein Räuber auf der See. Was macht einen Räuber aus? Er nimmt sich die Dinge, die nicht ihm gehören, notfalls oder häufig mit Gewalt und der Macht der Waffen. Nun, Lucilla, frage ich Dich eins: Was ist der Unterschied zwischen mir und dem Kaiser in dieser Hinsicht. Fällt der Kaiser mit seinen Truppen nicht in fremde Länder und nimmt den Menschen dort ihre Heimat, ihren Besitz und ihre Freiheit? Seine Soldaten unterdrücken die Menschen und versklaven die Frauen und Kinder, verschleppen sie nach Rom und nötigen sie zu entwürdigenden Arbeiten, dabei plazieren sie die Schätze dieser Menschen arrogant auf die Strassen Roms, stellen ihre Räuberei noch prahlend zu Schau. Oder willst Du mir etwa sagen, dass die Germanen kein Anrecht auf ihr Land haben, wo sie geboren wurden? Dass das Land der Dacer ehemals ein römisches Land war, schon von den Göttern als das Unsrige bestimmt? Nein, Lucilla. Auch der Kaiser, die Soldaten Roms sind nichts anderes als Räuber und somit nicht einen Deut besser als ich und meine Piraten.“
    Tullius lächelte kühl und ergriff abermals die Karaffe mit Wein, goss sich und Lucilla nochmalig nach.
    „Hispania? Vielleicht wirst Du das Land in der nächsten Zeit erspähen können. Deine Heimat...“
    Abrupt verstummte Tullius, das Schiff neigte sich etwas stärker zur Seite und wieder knarrte der Großmast. Tullius wandte seinen Blick zu dem Fenster hinter sich und runzelte die Stirn, seine Nackenhaare richteten sich auf. Irgendetwas stimmte nicht, Tullius konnte es nicht genau benennen, aber schon seit geraumer Weile erschien ihm einiges merkwürdig. Die Art wie das Schiff sich bewegte und neigte. Vielleicht...?
    „Vielleicht wagen wir zuerst einen kleinen Gang an Deck , ehe wir mit der nächsten Speise fortfahren?“
    Bedächtig tupfte sich Tullius mit einem Leinentuch ein wenig Wein von der Oberlippe und erhob sich, trat um den Tisch herum und bot Lucilla galant seinen Arm an.

  • Das Schiff wird auf den Wellen hin und hergerissen und pflügt ziellos durch den Ozean. Lucillas Gedanken und Gefühle werden auf Tullius Worten schwimmend genau so hin und her gerissen und pflügen ziellos durch den Ozean der Unschlüssigkeit. Von der Ziellosigkeit des Schiffes hat Lucilla keine Ahnung, darum stört sie das weniger. Ihre eigene Unschlüssigkeit aber ärgert sie ein bisschen. Entscheidungsfreude hat man ihr noch nie nachgesagt und schlimmer als am Markt zu stehen und nicht zu wissen, ob man jetzt die Sandalen aus rot oder die aus gelb gefärbtem Leder kaufen soll ist es, nicht zu wissen welchen Argumenten man Glauben schenken soll. Auf dem Markt kann man immer noch einfach beide Sandalenpaare kaufen. Mit den Argumenten ist das nicht so einfach. Noch vor wenigen Herzschlägen war sich Lucilla völlig sicher gewesen, dass sie nicht nur Tullius Person in Frage stellt, sondern sein ganzes Leben, das Schiff, auf dem sie sich befindet, die Piraterie und die Lebensweise aller Männer an Bord. Doch sein Vergleich bringt sie etwas aus dem Konzept. Natürlich hört sich das alles recht wahr an, was er sagt, doch diese Betrachtungsweise der Dinge würde nun Lucilla und Lucillas ganzes Leben in Frage stellen. Sie bemerkt kaum den jungen Mann, der Dardashi aus dem Raum holt. Sie hört noch nichteinmal zu, was er sagt, registriert nur den leicht panischen Unterton in seiner Stimme. Doch dass es an Bord panisch zugeht irritiert sie weitaus weniger, als wenn alles völlig harmonisch wäre. Wahrscheinlich ist es sogar diese Störung des friedfertigen Abends, die das Bild des Piratenschiffes wieder ins rechte Licht rückt. Doch selbst ohne die Untermalung durch die Musik des sanften Piraten bleibt eine Stimmung in der Kajüte zurück, die so gar nicht hierherpassen will.


    Es ist diese vordergründige Stimmung eines gepflegten Abendessens mit anregender Diskussion, die Lucilla dazu verleitet, frei heraus zu reden, so wie sie es sonst auch tut, wenn nicht gerade das sprichwörtliche Schwert des Damokles über ihr hängt. "Du vergleichst dich also mit dem Kaiser?" fragt sie schnippisch. "Dann hätten wir ja schonmal eine Eigenschaft, die einen Piraten ausmacht: Größenwahn." Die Decima sind schon immer kaisertreu gewesen, sogar schon bevor sie das Bürgerrecht bekommen haben. Sie waren auch vorher schon eine wohlhabende Familie, doch sich Römer nennen zu dürfen und dies auch noch zu sein, dies war der bisherige Höhepunkt der Familiengeschichte. Lucilla ist in diesen Römer-Wahn hineingewachsen und auch für sie gibt es nichts erstrebenswerteres, als alle Anzeichen von Nicht-Römertun zu tilgen. Natürlich wird sie immer irgendwie ein Landei bleiben, aber sie hat genug römische Marotten angenommen, um dies perfekt zu überspielen. "Wir vertreiben die Barberei aus der Welt und noch wurde jede Provinz, welche wir in unser Reich aufgenommen haben, zu einem Hort des Friedens und des Wohlstandes! Schau dir Hispania an, was glaubst du, was für ein schweres und mühsames Leben die Bevölkerung dort hatte? Ein einfaches Leben ohne Sinn und Zweck, dazu die Barbaren aus dem Süden, welche das Land mit ihrer Bosheit überzogen haben. Und heute ist es eine der reichsten und herrlichesten Provinzen im ganzen Imperium. Die Römer bringen den Aquädukt, die sanitären Einrichtungen, Straßen, medizinische Versorgung, Schulwesen, Wein, öffentliche Bäder, Sicherheit, Frieden und Kultur."


    Kultur umfasst in Lucillas Vorstellung hauptsächlich große Märkte, viele und großartig gefeierte Feiertage, die Annehmlichkeit von Thermen und viele und oft abgehaltene Gastmähler und private Feiern. An Literatur und Wissenschaft denkt sie dagegen weniger. Lucilla hat keine großartige Ausbildung genossen, wie manche andere Frauen in Rom oder wie vorwiegend patrizische Frauen, die dafür durchs halbe Imperium geschickt werden, so wie Livia. Am Anfang in Tarraco gab es wichtigeres, wohin das Geld der Familie floss und später dann wurde ihre Erziehung vollständig von Großtante Drusilla in Rom übernommen. Großtante Drusilla hat ihr immer eingetrichtert, dass eine Frau nie genug wissen kann und dass sich eine Frau für alles, auch politisches Geschehen interssieren muss. Doch die Wissenschaften sind etwas für Griechen und alle Literatur, die nicht ins Lateinische übernommen wurde, braucht man auch nicht zu kennen. 'Frauen, die das rechte Auftreten beherrschen, brauchen nicht mit hochtrabenden Rezitationen auf sich Aufmerksam zu machen.' hat Drusilla ihre Weisheit auf einen Punkt gebracht. Und Recht hat sie, Lucilla hat noch nie irgendwas zitieren müssen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, obwohl sie ein paar Passagen aus Ovids ars amatoria perfekt beherrscht.


    "Germania braucht eben etwas Zeit, außerdem war ich gerade in Germania. Dort lässt es sich ausgesprochen gut leben mit den römischen Errungenschaften. Ich bin über wunderbare Straßen gereist, wo findet man das schon, außer im römischen Reich? Und die in Germania geborenen Menschen begrüßen all diese Annehmlichkeiten. Mein Cousin hat eine einstige Germanin geheiratet, sie ist übrigens sehr nett und hat überhaupt nichts von einer Barbarin, und sie ist sogar Comes. Was sollte eine Frau dagegen haben die Frau eines römischen Praefectus zu sein? Absolut nichts, sage ich dir! Viele Germanen treten den Hilfstruppen bei um ihr Bürgerrecht zu erwerben, denn sie wollen alle Römer sein. Mein Bruder hat sehr viel dafür getan, dass diese Provinz erblüht und eines Tages wird man dort genau so wunderbar leben können wie in Hispania oder Gallia oder sonstwo." Tullius Argumente über Versklavung und Arroganz übergeht Lucilla, nicht etwa, weil sie arrogant wäre, sondern einfach deshalb, weil das völlig außerhalb ihres Vorstellungsvermögens liegt. Über solche Dinge hat sie sich noch nie Gedanken gemacht. Natürlich fragen kleine römische Kinder manchmal nach, woher die vielen Sklaven kommen, doch dann hören sie Geschichten von den gütigen Göttern, die ein jedes Wesen an seinen Platz stellen. Obwohl Lucilla ihre Sklaven schon immer gut behandelt hat, hat sie auch später nie über deren Schicksale nachgedacht. Sie sind da, wo sie sein sollen, sie verrichten die Arbeit und solange ist alles in Ordnung. Wenn sie das nicht mehr tun, dann ist das nicht Lucillas Angelegenheit, sondern die des anwesenden Hausherrn.


    Lucilla erhebt sich träge von der Kline, macht aber keine Anstalten Tullius Arm zu ergreifen. "Vielleicht sollten wir in dieser ... Beziehung ... ein wenig Abstand wahren. Es sei denn, du bestehst darauf." Es graut ihr davor, diesen Mann zu berühren, der momentan zwar nicht mehr ganz so furchtbar erscheint, aber doch nichts anderes ist, als ein widerwärtiger, grausamer Pirat.

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