Arbeitszimmer | Gracchus, Minervina, Serenus

  • Tage waren vergangen seit den Saturnalia, Wochen, selbst die Jahreszahl hatte sich geändert, und so erinnerte beinahe nichts mehr an jene außergewöhnliche Feierlichkeit. Beinahe nichts. Denn als Gracchus an diesem Tage eine kleine Schublade an seinem Schreibtisch auf zog, um daraus einen frischen Block Siegelwachs zu entnehmen, da fiel ihm jenes kleine Kästchen in die Hände, welches seine Schwester Minervina ihm an jenem Saturnalienfest als Geschenk, mit der Bitte es erst später zu öffnen, überreicht hatte. Erst nun, da er es sah, erinnerte er sich wieder daran, und er konnte sich nicht erklären, wie das hölzerne Kästchen in die Schublade gekommen war. Da er sich jedoch nicht einmal daran erinnern konnte, wie er an jenem Abend zu seinem Bett gekommen war - vermutlich nicht mehr an jenem Abend, sondern erst früh am nächsten Morgen, doch immerhin war er am folgenden Tag darin erwacht - war dies nicht weiter verwunderlich. Im Zweifelsfalle hatte sein guter Geist Sciurus, Agenda und Bettgenosse gleichermaßen, dafür Sorge getragen, dass das Geschenk sicher verwahrt worden war. Langsam nahm Gracchus das Kästchen aus der Schublade, stellte es behutsam vor sich auf den Tisch und fuhr vorsichtig mit den Fingerspitzen über die feinen Schnitzereien, welche die Oberfläche zierten, und den türkisen Edelstein, welcher auf der Oberseite eingelassen war. Es war ihm unglaublich unangenehm, dass er das Geschenk nicht längst geöffnet hatte, ebenso, wie nicht längst mit Minervina gesprochen zu haben, nicht nur bezüglich ihrer Mutter, auch hinsichtlich einer Ehe, denn vermutlich würde dies nun noch mehr dazu beitragen, dass sie ob seiner Person weiter erzürnt war. Da dies ohnehin seiner Befürchtung entsprach, war es jedoch nicht weiter verwunderlich, dass er dieses anstehende Gespräch dererlei aus seinen Gedanken schob und so immer wieder darauf vergaß. Mit den weiblichen Wesen schien er dieser Tage kein Glück zu haben, von Leontia einmal abgesehen, in welcher er jedoch weniger eine Frau, sondern vordergründig einen hochintelligenten Geist sah, obwohl sie rein äußerlich betrachtet selbst seiner Gattin in nichts nachstand, welcher Gracchus in Gedanken den Platz einer Statue im Atrium zugedacht hatte. Diesbezügliche Gedankengänge näher beleuchtet war es vermutlich ebenfalls nicht weiter verwunderlich, woher das mangelnde Glück rührte, doch so eingehend beleuchtete Gracchus seine Gedanken wohlweislich nicht. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und klappte den Deckel der Holzschatulle auf. Den beiliegenden Brief nahm er heraus, legte ihn vorerst ungeöffnet zur Seite, und nahm stattdessen den Ring in die Hand. Es war ein äußerst schlichtes Schmuckstück, doch gleichsam edel und da das Material aus Weißgold bestand sicherlich auch wertvoll. Gracchus schluckte, ohne näher zu wissen weshalb schien ihm die Luft mit einem mal dünner, und er legte den Ring neben den Brief, welchen er sodann aufnahm und umsichtig entfaltete. Da nichts geschah, sah er sich schließlich dazu gezwungen, die Zeilen zu lesen.

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  • Mein Liebster Sohn!


    Jetzt weile ich hier in Rom in Gedanken an dich und unsere Familie. Viel Zeit ist vergangen, du bist erwachsen, du bist ein Mann und kein Kind mehr. Ich schreibe diesen Brief, da es für mich kein Morgen geben wird und mein Herz zu schwach ist euch allen gegenüberzustehen. Ich bin zu schwach, die Entäuschung in deinen Augen zu sehen und zu schwach den aufkommenden Zorn standzuhalten. Schon lange dachte ich über die Situation hier in Rom nach und schon lange versuchten dein Vater und ich diese zum Positiven zu verändern. Für den göttlichen Kaiser und für einen starken Senat. Doch die Zustände sehen nur einen Ausweg. Lange habe ich gekämpft, in der Legio, im Senat und für meine Familie. Heute ist mein letzter Tag.
    Der Entschluss meinem Leben ein Ende zu setzen für meinen Kaiser und für Rom geht einher mit der Trauer meiner Familie. Das ist mir klar und macht auch mich traurig, doch hoffe ich, dass du die Beweggründe verstehen kannst. Der Untergang der Patrizier, der Untergang der Hierarchie schreitet zu stark voran. Plebejer wollen alle Macht an sich reissen, verteufeln die Patrizier und den Kaiser. Es sind harte Zeiten.


    Wieso schreibe ich dir diesen Brief? Vielleicht ist es eine Entschuldigung, vielleicht ist es nur die Angst, dass du mich verteufelst. Die Angst, dass du mich verachtest. Die Angst, dass du mich aus diesem Grund nicht mehr liebst.


    Jetzt sitze ich hier, und der letzte Tag meines Lebens beginnt. Mein Sohn, ich liebe dich und werde immer bei dir sein. Ich werde dich beschützen und über dich wachen und immer stolz auf dich sein.


    Deine Mutter
    Diva Flavia Lacrima Nyreti


    anbei



    Liebster Bruder!


    Ich fand diesen Brief erst vor kurzem. Es war nur einer, nämlich an dich gerichtet. Anbei ein Ring, den unsere Mutter unserem Vater geschenkt hat. Nach unserer Diskussion am Marktplatz hoffe ich, dass es dir Klarheit verschafft.
    Der Ring ist sehr wertvoll und auf der Innenseite etwas eingraviert. Lies es und ich denke du weisst wie unsere Mutter war. Ich denke gleich wie sie. Und mein oberstes Ziel ist, dir zu zeigen wie sie war und wie sehr sie dich liebte.


    In schwesterliche Liebe
    deine Flavia Minervina


    Sim-Off:

    die Gravur des Rings schicke ich dir per pn zu ;)

  • Je mehr mehr Worte Gracchus las, desto mehr verkrampfte sich alles in ihm. Etwa nach der Hälfte der Zeilen begann sein Kinn leicht zu zittern und er biss seine Kiefer aufeinander und schloss für einen Moment die Augen, um dem aufkommenden Verlangen Einhalt zu gebieten. Es war ihm zum Weinen zumute, doch er gestattete sich keinerlei Tränen, nicht einmal in seinem Alleinsein. Höchstens wenn Aquilius in seiner Nähe war, konnte es soweit kommen, denn in Aquilius' Gegenwart waren Gracchus' Gefühle immer ein wenig zu sehr verworren und er hatte dann mehr als sonst mit ihnen zu kämpfen. Gracchus hatte seine Eltern nie wirklich gekannt und wahrlich stellte sich nun heraus, dass er dies noch weniger tat, als er ohnehin schon glaubte. Schon früh hatten sie all ihre Kinder hinfort geschickt, damit jene all das lernten, was für ihr Leben und ihre Zukunft wichtig war. Animus hatten sie nach Aegyptus entsandt, wo er letztendlich dem Christentum verfallen war, Agrippina übergaben sie in die Obhut der heiligen Jungfrauen, Gracchus wurde nach Achaia geschickt, wo er als erstes seinem Vetter, später dem Trotz, dann der Dummheit und schlussendlich Furcht und Feigheit verfallen war, Lucullus wuchs auf den Landgütern im Norden auf, einzig Minervina hatte das Privileg der zweitgeborenen Tochter zumindest einige Zeit lang bei ihrer Mutter zu verweilen, länger als alle anderen. Seinen Vater hatte Gracchus als strengen, pflichtbewussten Mann in Erinnerung, hart, aber gerecht, und auch wenn er ihn ob seines Strebens um die Zukunft seiner Kinder oft verdammt hatte, so wusste er doch im Nachhinein, dass dies alles tatsächlich nur zu ihrem Besten geschehen war, und auch, dass er selbst eines Tages ebenso handeln musste und würde. Seiner Mutter jedoch wollte Gracchus nicht verzeihen, dass sie ihren Erstgeborenen in die Fänge einer Sekte führte, woraufhin jener sein ganzes Leben, seine Pflichten und seine Zukunft hinter sich ließ, um dem Hirngespinst eines Gottes nachzujagen, welcher ohnehin nicht existent war, und somit jegliches Streben seiner Brüder mit Missachtung strafte, sie gleichsam mit in den Abgrund riss, da er sie zu Pflichten zwang, die das Schicksal ihnen nicht vorgesehen hatte. Nicht nur dass seine Mutter dies an der Quelle nicht verhindert hatte, sie hatte auch ihr eigenes Leben zudem im Irrglauben beendet, völlig grundlos und völlig sinnlos, wie Gracchus bisher angenommen hatte. Sie hatte ihm nie gesagt, nie geschrieben, dass sie ihn liebte. Liebe - dies war etwas, was Gracchus einzig bei Aqulius gefunden, was ihn noch niemals mit seiner Familie verbunden hatte, eine Idee, deren Existenz sich ohnehin nur allen Pflichten und Verpflichtungen entgegen stellte. Und doch hatte ihn seine Mutter geliebt, dort stand es, dort vor ihm, unauslöschbar, in dunkler, anthrazitfarbener Schirft auf hellem, leicht fleckigem Pergament. Er berührte die Worte vorsichtig mit den Fingerkuppen, als könne er das beschriebene Gefühl dadurch spüren und in sich aufnehmen. Ihre Schwäche war auch seine Schwäche, ihr Erbe war es, welches er in sich trug. Sie zu verachten würde bedeuten, sich selbst zu verachten. Mit einem leichten Zittern in den Händen legte er den Brief beiseite und las nun die Zeilen seiner Schwester. Schließlich griff er wieder den Ring auf, hob ihn gegen das trübe Licht des Tages und las den Schriftzug, welcher in ihn eingraviert war.
    Omnia mea mecum porto.*
    Er streifte den Ring über den kleinen Finger der rechten Hand und drehte ihn ein wenig. Seine Stimme war nur ein Flüstern, ohnehin nicht für jene bestimmt, welche die Laute hören mochten.
    "Verzeih mir."


    *Meine ganze Habe trage ich bei mir.

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  • In Gedankenleere versunken hatte sich Gracchus dazu angeschickt, ein Loch durch den Tisch und den dahinter liegenden Grund hindurch zu starren. Er mochte etwa bis zu den ersten Ausläufern des Hades vorgedrungen sein, als es sachte an der Türe klopfte, diese sodann geöffnet wurde, und sein Leibsklave Sciurus den Raum betrat. Gracchus hatte den Sklaven in die Stadt gesandt, um Abschriften einiger Dokumente anzufertigen. Als Sciurus näher trat, faltete Gracchus die Briefe seiner Mutter und seiner Schwester wieder zusammen und legte sie sorgsam zurück in das hölzerne Kästchen. Die Tabulae, welche Sciurus auf dem Tisch ablegte, bedachte er nur mit mäßigem Interesse, galt seine Aufmerksamkeit doch nun von den zuvor gelesenen Worten geleitet gänzlich anderen Gedanken.
    "Geh und sag Minervina, dass ich mit ihr sprechen möchte. Sag ihr ..."
    Er zögerte kurz und klappte das Kästchen zu.
    "Nein, sag nichts weiter als das."
    Der Sklave nickte, wandte sich um und verließ das Zimmer wortlos. Unschlüssig schob Gracchus das Kästchen ein wenig vor, dann wieder zurück, als suche er den perfekten Platz vor sich auf dem Tisch, und wartete darauf, dass seine Schwester erscheinen würde.

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  • Dass Gracchus nach ihr schicken lies überraschte sie nicht. Doch sie dachte eher daran, dass er übers heiraten sprechen wollte und weniger über das Geschenk, das sie ihm zu den Saturnalien gab.


    Sie trat vor seine Tür und klopfte.

  • Der perfekte Platz war noch immer nicht gefunden und Gracchus schob das Kästchen gerade wieder ein Stück von sich fort, als es erneut an der Tür klopfte. Obwohl er Minervina natürlich erwartet hatte, hatte er womöglich in seinem Innersten gehofft, dass sie auswärts in Rom unterwegs oder auf andere Art unpässlich wäre, wie er dies so oft vor unangenehmen Gesprächen tat. Wieder dachte er an die Worte seiner Mutter, ihre Schwäche, und daran, dass der Pöbel womöglich wahrer sprach, als er ahnte, wenn er von der Degeneration der Patrizier sprach. Gracchus hatte noch keinen Mann seines Standes kennen gelernt, der seine Härte aufrecht erhalten konnte, wenn man nur lange genug hinter seine Fassade blickte. Selbst hinter der Person seines Vetters Felix vermutete Gracchus eine Unzulänglichkeit, auch wenn er sie bislang noch nicht gefunden hatte. Da er jedoch seinen Sklaven nach Minervina geschickt hatte, konnte Gracchus nun schlecht vorgeben, nicht im Raum zu sein.
    "Ja, bitte."
    Selbst die Türe zu öffnen war zu viel verlangt, wollte er die Sicherheit, welche der Schreibtisch als Barriere bot, doch nur ungern aufgeben. Mit einem Mal wurde Gracchus bewusst, dass er die Worte seiner Schwester fürchtete, welche den Briefen noch folgen mochten. Er straffte die Schultern und hob seinen Blick zur Tür.

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  • Ja, bitte.


    Sie öffnete langsam die Türe und schloss sie ganz leise hinter sich. Als sie sich zu Gracchus umdrehte erblickte sie das Kästchen auf dem Tisch.


    Wollte er also doch über das Weihnachtsgeschenk sprechen. Kurz sah Minervina zu Boden und dann in Gracchus Augen.


    Ich wusste nicht wie ich es dir sonst geben sollte. Wie gibt man einem Sohn einen Brief derer, die er hasst?


    Eine leicht traurige Brise wehte in ihrem Wortlaut.

  • Nur kurz vermochte er ihrem Blick stand zu halten, dann wandte er den seinen ab.
    "Ich habe sie nie gehasst. Hass ist ein ... viel zu starkes Wort."
    Er wies auf einen der beiden Stühle, welche dem seinen am Tisch gegenüber standen.
    "Nimm Platz, sofern du es möchtest."
    Es würde ein längeres Gespräch werden, denn es gab einiges zu besprechen, auch wenn Gracchus gerade in diesem Moment entfallen war, was dies alles war. Doch beizeiten, wenn nur erst dieser erste, schwierigste Teil überwunden wäre, würde er sich dessen sicherlich wieder erinnern, sofern dann überhaupt noch die Notwendigkeit dazu bestand, dann nämlich, wenn Minervina noch immer im Zimmer weilte und sie es nicht wutentbrannt verlassen hatte. Im Grunde gab es für sie dazu keinerlei Anlass, doch Gracchus befürchtete ohnehin meist das schlimmste aller möglichen Enden.
    "Ich kann nicht hinter ihrer Entscheidung stehen, dass sie den Freitod wählte. Doch ich ... "
    Er zögerte.
    "... ich denke, ich kann ihre Beweggründe nachvollziehen. Der Wind der Verzweiflung und der Ausweglosigkeit treibt uns manches mal an Ufer, die wir kaum noch aus eigenem Antrieb wieder verlassen können. Manch einem helfen die Parzen, manch einem haben sie dort sein Ende zugedacht. Ich danke dir, Minervina, dass du mir ihren Brief übergeben hast, denn ich habe immer geglaubt, dass sie ... dass wir alle ihr nichts mehr bedeuteten. Doch ich tat ihr Unrecht, das weiß ich nun."

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  • Als sich Minervina bereitwillig setzte, lauschte sie den worten ihres Bruders. Und nickte schließlich zustimmend.


    Ich habe den Brief nicht gelesen, er war ja an dich adressiert! Aber ich dachte mir, dass so etwas in der Art darin enthalten sein würde...


    eine kurze schnaufpause


    Gracchus ich halte sehr viel von dir und du bist für mich die einzige Bezugsperson hier. Ich kann mir rom ohne dich nicht vorstellen.


    Und deshalb will ich einfach keinen Streit mit dir. Weder wegen unserer Mutter noch wegen Heirat oder Sonstigem.


    Meine Schwester habe ich hier noch nie gesehen, wie auch den Rest meiner direkten Verandten.


    Manchmal denke ich mir Fortuna will nicht, dass sie mich besuchen oder kennenlernen und so sehe ich es als eine Fügung.


    Wusste sie zwar nicht ob es mit dem Glüch zusammenhang, war sie sich dennoch sicher... denn schließlich hatte sie immer Glück gehabt.


    Si setzte sich aufrecht hin und blickte ihn mit ihren großen türkisblauen Augen an.


    Was mich als erstes interessiert ist eine Hochzeit. Ich sprach mit Leontia darüber. Ob Vestalin oder doch Hochzeit und bin ich mir aber jetzt sicher, dass ich Letzteres wählen werde. Unsere Mutter hätte es so gewollt. Ausserdem will ich meiner Familie ein Kind schenken. Das ist mir wichtig.


    Sie platze gleich mit allem heraus, ds wurde ihr jetzt bewusst... und stoppte sogleich apruppt.
    Jedoch hatte sie sehr lange auf dieses Gespräch gewartet... un sie hoffte, dass sie es durch ihren enthusiasmus ein wenig auflockern könnte.

  • Er war sich nicht sicher, was er erwartet hatte, doch Minervinas Bekenntnis, dass er ihre einzige Bezugsperson in Rom war, sicherlich nicht. Dachte man jedoch genauer darüber nach, so musste man schlussendlich zu diesem Schluss gelangen. Minervina war lange Zeit von Rom fort und die Bindungen zwischen den Geschwistern nie sonderlich stark gewesen, doch da Gracchus nach dem Tod ihrer Eltern und Animus' Zerwürfnis mit der Familie versucht hatte, seiner Rolle als nachrückender Erstegeborene gerecht zu werden und damit verbunden pflichtbewusst zumindest brieflich ab und an den Kontakt zu seinen Geschwistern gesucht hatte, um sich ihres Wohlergehens zu versichern, so hatte seine Schwester wohl tatsächlich mit ihm noch den engsten Kontakt gehalten. Doch was den übrigen Mitgliedern der Familie wenig Bedenken bereitete, schien Minervina beinahe zu Verunsichern.
    "Hast du Agrippina bereits aufgesucht? Sie hat eine wichtige Aufgabe inne, nicht nur für unsere Familie, sondern für das gesamte Imperium Romanum. Ihr Dienst erlaubt es ihr nur selten, das Haus der Vestalinnen zu verlassen, doch Besuch empfängt sie meines Wissens nach immer gerne."
    Er legte seine Hände ineinander und lehnte sich zurück.
    "Doch ich verstehe, was du meinst. Der Zusammenhalt unserer Familie scheint bei erster Betrachtung nicht sonderlich ausgeprägt. Vermutlich liegt es an dem, was ... "
    Zögerlich stockte Gracchus. Er wusste nicht, wie viel Minervina über die Verfehlungen ihres Bruders Animus wusste, doch vermutlich wusste sie nichts über jenen inneren Zwist, welchen dies bei ihren beiden anderen Brüdern ausgelöst hatte, und vermutlich war dies besser so. Gracchus konnte selbst noch nicht überblicken, in wieweit er mit Lucullus bisweilen überein gekommen war, doch unzweifelhaft standen sie weiterhin in direkter Konkurrenz. Daher winkte er mit einer unbestimmten Handbewegung ab.
    "Nun, die Vergangenheit ist vorrüber. Wie auch immer, du solltest eines wissen, Minervina, wenn du deine Familie brauchst, so wird sie für dich da sein."
    Nach diesen pathetischen Worten widmet sich Gracchus auch sogleich ihrem dringlichen Anliegen, erleichtert darüber, das vorige Thema damit abschließen zu können. Ein Platz bei den Vestalinnen würde Minervina sicherlich offen stehen und auch zur Ehre gereichen, doch da Agrippina der Familie dort bereits alle Ehre machte, wäre es unsinnig, Minervina in eine eben solche Richtung zu drängen. Für ihn selbst vorteilhafter war es ohnehin zudem, wenn sie eine angemessene Ehe eingehen würde, darum kräuselten sich Gracchus Lippen in einem feinen Lächeln, um seinen folgenden Worten den Ernst zu nehmen.
    "Du lastest mir eine schwere Bürde auf, Minervina. Es wird nicht einfach sein, einen geeigneten Ehemann zu finden, welcher eine Frau wie dich verdient hat."
    Ungleich schwerer würde es ohnehin sein, einen seiner Schwester angenehmen Gatten zu finden, schien sie doch in dieser Hinsicht durchaus eigenwillig zu sein. Gracchus dachte an seine eigenen Ehe und fragte sich, an welchen Vorzeichen das Gelingen oder Scheitern einer Verbindung abzusehen war, wenn selbst die Auguren ohnehin nur verkündeten, was jene hören wollten, welche die Fäden im Hintergrund zogen.
    "Ich habe mir bereits einige Gedanken gemacht und wie Fortuna manches mal mit uns spielt, so war ich vor den Saturnalia im Hause Tiberia zu einem Mahl geladen. Sagt dir der Name Tiberius Durus etwas? Er ist der amtierende Aedilis Curulis, ein intelligenter Mensch, traditionsverbunden, pflichtbewusst, strebsam und äußerst angenehm im Umgang. Die Tiberia sind die derzeit aufstrebendste patrizische Gens - neben der unsrigen natürlich, mit großer Verganenheit und unzweifelhaft weiterhin großer Zukunft. Tiberius selbst strebt für die Zeit nach seinem Amt den Militärdienst an, zudem ist nur eine Frage der Zeit, bis er in den Senat berufen wird. Wenn du einverstanden bist, so werde ich ihn zu einem zwanglosen Mahl laden."
    Er würde Antonia dazu nötigen, an diesem Abend am Essen teil zu nehmen, so dass Minervina nicht gar so alleine war, denn auch wenn sich Gracchus selbst in Anwesenheit seiner Gattin meist einsamer vor kam, als ohne sie, so würde eine weitere Frau am Tisch Minervina das Gespräch sicherlich erleichtern.

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  • Minervina überspielte gekonnt die Anspielung auf Animus.


    Nein, Agrippina habe ich noch nicht aufgesucht... Ich weiss auch nicht warum... aber dass du es gleich weisst, ich glaube nicht, dass es mir die Götter vorherbestimmt haben eine Vestaling zu werden.


    Sie legte ihre Stirn kurz in Falten und stellte sich vor eine Vestaling zu sein... und mit jeder Sekunde war sie sich ihrer Aussage sicherer.


    Minervina sah ihn wieder an und war froh als er auf die Ehe zu sprechen kam... bis er das Gens Tiberia erwähnte. Nicht dass sie etwas gegen dieses Gens hätte, oder gar gegen diesen Tiberius Dursus... Aber ihr war nun klar geworden dass eine Hochzeit mit einem Plebejer wohl nicht möglich war... oder dass ihre Hochzeit nur des Zweckes wegen geschlossen werden sollte.


    Hm.. gens Tiberia... hört sich gut an...


    Sie erschrack selber innerlich.... wie konnte sie das nur sagen... hatte sie einen Fieberwahn?? Sie rutschte ein wenig ungeduldig am Stuhl hin und her..


    ..aber..


    wie konnte sie ihm nur sagen, dass sie lieber einen miles heiraten würde als irgenteinen fetten, langweiligen, impotenten Patrizier. Schließlich kannte sie, bis auf ihre Familie keine solchen. und darum musste sie annehme dass dem so war!


    ...wie soll ich sagen...



    Kämen noch andere gens in Frage?


    und ganz leise fügte sie hinzu..


    Plebeische?

  • Schon nickte Gracchus zufrieden, die Sache war beinahe so gut wie beschlossen. Dann jedoch rückte Minervina zögerlich mit einem 'aber' heraus. Da er nicht um ihre eigentlichen Beweggründe wusste, konnte er nur auf das reagieren, was er hörte, doch was er hörte, war etwas, was er ganz sicherlich nicht hören wollte, was völlig unmöglich war zu hören, und was er darum als Sinnestäuschung ab tat und darüber hinweg ging. Wahrscheinlich war es nur ein Lufthauch gewesen, der ihm den Streich gespielt hatte, ihm die schlimmste aller Möglichkeiten vor Ohren zu führen.
    "Sicherlich kommen weitere Gentes in Frage. Zum einen natürlich die Claudia."
    Ein wenig überrumpelt versuchte sich Gracchus passable Junggesellen der Gens Claudia in Erinnerung zu rufen. Vitulus womöglich, doch jener schien in der vergangenen Zeit keinerlei Ambitionen zu entwickeln, daher war eine Verbindung eher widersinnig. Vesuvianus kannte Gracchus nur von den Salii, seines Wissens nach fehlte jenem noch immer der passable Erbe, doch dass er seine Tochter in den Cultus Deorum geschickt hatte, dies war ein unübersehbares Anzeichen dafür, dass die Tradition in seiner Familie verkam, und damit ein Makel. Womöglich stand dem Quaestor Consulum, Marcellus, eine angemessene Zukunft in Aussicht.
    "In deren Reihen sind Claudius Marcellus, der derzeitige Quaestor Consulum, und Claudius Vesuvianus, ein Tribunus der Legio I, relevant. Beide werden früher oder später ihren Weg im Cursus Honorum fortsetzen müssen."
    Nachdenklich hob Gracchus seine Hand und knetete an seiner Unterlippe, bevor er schließlich fortfuhr.
    "Mit den Aurelia lassen sich derzeitig keine passablen Verbindungen knüpfen. Diejenigen Familienzweige, die in Italia sesshaft sind, haben in letzter Zeit nur wenig auf sich aufmerksam gemacht, und wenn doch, so nicht gerade in positivem Sinne."
    Die mäßige Arbeit des Cicero an der Chronicusa Romana hatte Gracchus jenem immer noch nicht ganz amnestiert, zudem wusste er noch immer nicht genau, ob Cicero nicht bereits verheiratet war, denn auch wenn man ihn üblicherweise nur allein antraf, so mochte dies nicht sonderlich viel bedeuten.
    "Wenn es an der Person des Durus liegt, so magst du womöglich andere Tiberia in Betracht ziehen? Tiberius Vitamalacus ist meiner Ansicht nach ein wenig steif, er diente augenscheinlich bereits lange Zeit im Militär, doch er ist mittlerweile Senator und seiner Zukunft steht so gut wie nichts mehr im Weg. Es ist natürlich nicht nötig, dass du heute bereits eine Entscheidung triffst. Wir können jeden Mann in Rom in unsere Villa laden, ein Vorwand findet sich immer."
    Mit hoffnungsvollem Blick lauerte Gracchus auf die Erwiderung seiner Schwester und ärgerte sich, dass Sciurus nicht in der Nähe war. Viel mehr Kandidaten würden ihm nicht mehr in den Sinn kommen, denn solcherlei Wissen um patrizische Junggesellen gehörte nicht unbedingt zu jenem, welches er in seinem Kopf zur späteren Memorierung aufbewahrte.

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  • Ihre Augen weit geöffnet sah sie ihren Bruder an. Claudier, Tiberier und Aurelier... wahrscheinlich hat er es nicht verstanden... den Plebejer Teil...


    Hmmhmm.. aha... tiefer schnaufer und solche gens wie zum Beispiel die ... ähm.... alle anderen? Plebeische Gens?


    An seinem Gesichtsausdruck las sie wie aus einem Buch.
    Großer Fehler großer Fehler.


    Schnell versuchte sie wieder das Thema zu wechseln.


    ...also du sagtest etwas von Einladungen, die nicht binden bzw zwingen sind... nun ja. gegen ein Abendessen hätte ich ja nichts... eigentlich


    Noch nie fehlten ihr die Worte denn die strafenden Blicke trafen sie wie ein harter Schlag.

  • Obwohl Gracchus in den verborgenen Winkeln seiner selbst natürlich bereits bei ihrem ersten Anlauf nur allzu deutlich verstanden hatte, worauf ihre Frage abzielte, so traf ihn ihre erneute Nachfrage dennoch wie ein Schlag ins Gesicht. Seine Hand wanderte ein Stück hinauf, und er knetete nunmehr seine Nasenwurzel und unterdrückte nur schwerlich ein Seufzen. Sie war eine Flavia, entstammte einer confarreatischen Ehe, ihre Ahnenreihe ging weit zurück bis zur Königszeit des römischen Imperiums, und dennoch schien sie sich dessen nicht bewusst zu sein, gegenteilig trachtete sie danach, diese Linie zu durchbrechen. Gracchus blickte seine Schwester an und bemühte sich, die verblassende Hoffnung aus seinen Augen zu verbannen.
    "Du weißt, dass dies allein deine Entscheidung ist, Minervina. Ich kann dich weder zwingen, noch dir verbieten. Ich kann diese Entscheidung vorantreiben und mittragen, doch die Entscheidung zugunsten eines Plebejers werde ich nicht mittragen. Ich will dir keine Illusionen bieten, eine solche Ehe, wie dein Name sie dir auferlegt, mag nicht einfach sein, für eine Frau vermutlich noch weniger, als für einen Mann, der sein Verlangen und seine Sehnsüchte jederzeit auf andere Art und Weise denn seine Ehe stillen kann, wie auch immer diese aussehen mögen."
    Nicht alle natürlich, dessen war sich Gracchus nur allzu bewusst, doch in diesem Gespräch ging es nicht um seine Situation.
    "Doch eine Ehe ist nicht dazu da, Verlangen oder Sehnsüchte zu stillen."
    Andernfalls wäre er selbst kaum mit Claudia Antonia verheiratet.
    "Dass dein Vater tot ist mag dir einige Freiheiten einräumen, unter anderem auch jene, dich über jegliches Plflichtgefühl und Verantwortung gegenüber deines Namens hinweg zu setzen, doch überlege gut, Minervina, ob es diese Freiheiten wert sind, Sicherheit, Beständigkeit und deinen Stand aufzugeben."
    Natürlich klang dies theatralischer, als es war, zumindest als es sein musste. Ein Plebejer aus der Nobilitas bot bisweilen bessere Beziehungen, als so mancher Patrizier, doch Gracchus größte Befürchtung galt der Situation, dass Minervina irgendeiner Art von Liebe verfallen und eine Ehe mit einem namenlosen, bedeutungslosen Mann eingehen mochte. Um des guten Willens wegen ließ er sich dennoch zu einem weiteren Vorschlag hinreißen. Natürlich war die Aussicht dessen in gewisser Hinsicht auch für ihn verlockend, doch in diesem Augenblick galt sein Bestreben einzig einer passablen Verbindung seiner Schwester.
    "Der amtierende Consul, Vinicius Lucianus, ist ebenfalls noch unverheiratet, ein wenig blamabel für seine Position, dennoch akzeptabel. Sein Bruder ist der Consular Vinicius Hungaricus, jener ist bereits mit einer Tiberia verheiratet. Vinicius Lucianus diente vor seiner Laufbahn im Cursus Honorum bei den Cohortes Urbanae."

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  • Sie war ein wenig entäuscht, dass sie Gracchus wie eine naive Kuh hinstellte.


    Natürlich ist mir klar, dass ich eine Flavierin bin und mir ist auch klar, dass das verpflichtungen bringt. Und ich werde diese Verpflichtungen nicht auf die leichte schulter nehmen. Nur denke ich manchmal, dass es sinnvoller wäre, einen berühmten Plebeier zu heiraten, als einen weniger erfolgreichen Patrizier.


    Ich würde niemals einen Niemand heiraten.. dazu bin ich mir zu gut. Und auch wenn das arrogant klingt. Ich bin zu gut für einen 08/15 Patrizier und auch für einen guten Plebeier. Wir Flavier sind nicht wie die anderen...


    Doch als er ihren Vater erwähnte wurde sie ein wenig grantig... wie konnte er nur so etwas annehmen.


    Wenigstens bin ich im Gegensatz zu anderen Familienmitgliedern unabhängig...


    Sie sah ihn ein wenig ärgerlich an und hoffte, dass er verstand. Vincius Lucianus.... das hörte sich schon besser an...


    und den Präfectus Prätorio? was ist damals mit ihm und Arrecina passiert?

  • Es geschah so unvermittelt und subtil, dass Gracchus nicht einmal bemerkte, wie sich seine linke Augenbraue langsam in die Höhe hob um dort oben zu verharren. Er legte seinen Kopf leicht schief und und die Strin schließlich in leichte Falten, was auch die Braue wieder auf ein normales Niveau hinab senkte.
    "Die Männer, die ich dir vorschlage, sind keine unbedeutenden, dahergelaufenen Bürger, denen Fortuna einen Sprizter patrizisches Blut in die Adern gemengt hat. Du bist meine Schwester, Minervina, und wenn du mir die Chance lässt, so werde ich dafür Sorge tragen, dass diese Verbindung dich an die Seite eines Mannes stellt, dem Fortuna eine bedeutende Zukunft zugedacht hat, eine Zukunft, auf welche du nicht unbedeutenden Einfluss nehmen werden kannst, so dies in deinem Interesse liegt, denn die Begabung dazu hast du allemal. Arroganz hat damit nicht das Geringste zu tun, auch wenn du dir eines Tages womöglich wünschen wirst, dass dem so wäre, denn Arroganz ist eine persönliche Eigenschaft, von welcher man sich lösen kann."
    Ein wenig hatte Gracchus das Gefühl, dass er fortwährend an Minervina vorbei redete, denn obwohl ihm nichts ferner lag, so schienen seine Worte die Offensiven ihrer impulsiven Art geradezu zu provozieren. Doch ebenso wenig, wie er die Auslösung jener beabsichtigte, war er in der Lage, die Geschosse dieser Angriffe zu deuten.
    "Niemand in dieser Familie ist unabhängig, es sei denn, er verleugnet Rom, und in diesem Falle ist er nicht länger Teil dieser Familie."

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  • Minervina nahm sich zurück und versuchte sich zu entspannen. Sie deutete ihrem Skalven, dass er ihr ein Wasser bringen sollte.


    Es tut mir Leid... ich wollte dich nicht beleidigen...


    Sie atmete tief durch und nahm einen Schluck Wasser. Im selben Moment lehnte sie sich zurück und legte ihre Arme auf die Lehnen. So nahm sie eine sehr Imposante Haltung ein.


    Aber es ist meine Zukunft. Ich würde sagen du könntest Vinicius Lucianus einladen. Aber wir sollten eines bedenken. Dieser Mann hat noch keine Frau, ob das nicht ein Zeichen ist. Und ich will mich nicht bloßstellen und du dich sicher auch nicht!


    Sie zog eine Augenbrauche nach oben und strich sich über die Schläfe eine Haarlocke weg, die sich gelockert hatte.


    Die Aussage mit der Familie ignorierte sie, da es sie ja sowieso nicht betraf...


    Aber viel wichtiger war... wieso hatte er die Frage über den Präfecten nicht beantwortet...

  • Seine Schwester meinte es wahrlich nicht gut mit ihm, ausgerechnet auf Vinicius Lucianus fiel ihre Wahl. Gracchus verbog seine Gedanken in alle möglichen Richtungen, doch ein passabler Vorwand für eine Einladung wollte ihm nicht in den Sinn kommen. Tiberia Livia wäre ein leichtes, samt ihrem Gatten, doch wie brachte man dabei den Bruder ins Spiel? In einer kultischen Vereinigung war er ebenfalls nicht, soweit Gracchus informiert war, auch von einer Factiozugehörigkeit oder sonst einem Verein war ihm nichts geläufig. Während seiner eigenen Amtszeit war Lucianus Praetor gewesen, doch außer zu den Amtseiden hatte er ihn kaum gesehen. Würde er sich an Tiberia oder Vinicius Hungaricus wenden, so musste die Verbindung schon so gut wie sicher sein, doch bei seiner Schwester war vermutlich nichts sicher, bis zu dem Augenblick, da sie auf dem Widderfell saß. Womöglich kannte Furianus den Consul, dies war zumindest ein Ansatzpunkt. Nun denn, sie hatte angekündigt, sich nicht mit wenig zufrieden zu geben, und so war es auch, denn was konnte sie mehr verlangen, denn einen Consul? Zumindest konnte Gracchus sich damit sicher sein, dass es ihr nicht um solch profanen Dinge wie Liebe oder die äußere Erscheinung ging, denn obwohl Lucianus durchaus ein äußerst großes Anziehungspotential bot, so war er als Consul sicherlich um einiges älter als Minervina und wer wusste schon, wie lange er sich noch in den besten Jahren befinden würde? Gracchus hielt einen Augenblick inne, abgelenkt durch einen abschweifenden Gedanken. War es einzig dies, was die Frauen wollten? Ungeachtet dessen, wie der Mann selbst sich gab, ungeachtet dessen, wie seine Zukunft abzusehen war, wenn er denn nur weit genug oben stand, war er für sie erstrebenswert? Hatte auch Antonia sich einen Consul an ihrer Seite ausgemalt? War sie deswegen so abweisend ihm gegenüber, so lange, bis er eines Tages selbst des Reiches höchsts Amt besetzen würde? Mit leichtem Entsetzen ob der vor ihm liegenden Jahre schüttelte Gracchus diesen fürchterlichen Gedanken ab.
    "Nun, soweit ich mich recht erinnere, so erwähnte der Consul bisher keine Zeit für eine Frau gefunden zu haben. Ein wenig sonderbar ist dies natürlich allemal, und es stellt sich die Frage, ob er zukünftig die Zeit finden wird, zumal eine Ehe keine Angelegenheit von zeitlicher Aufwendung ist. Zudem ist es ebenfalls möglich, dass der Imperator oder der Senat ihn nach seiner Amtszeit in eine der Provinzen entsendet. Die politische Zukunft eines Consuls kann sich in alle Richtungen wenden, womöglich wäre es daher klug zuerst seine Res Gestae abzuwarten und dahingehend seine weiteren Pläne. Andererseits läuft seine Zeit natürlich bereits und ein zu langes Zögern könnte ebenso verhängnisvoll sein, wie zu frühes Handeln."
    Einen Augenblick spielte Gracchus mit dem Gedanken, sich einen verdünnten Wein reichen zu lassen, um den bitteren Nachgeschmack des Gedankens an Antonia herunter zu spülen, doch seit den Saturnalia lag ihm schon die geringste Menge Wein schwer im Magen und an Wasser hatte er sich längst satt getrunken.
    "Über den Praefectus Praetorio brauchen wir im Übrigen nicht zu sprechen, er kommt nicht in Frage. Er ist ein skrupelloser Mensch, was ihm fehlt ist eine Frau, die ihm jene Bereiche der Gesellschaft eröffnet, in welche er selbst aus eigener Kraft nicht vordringen kann. Wahrscheinlich würde er nicht zögern, ein Angebot anzunehmen, denn bei Aristides ist es ihm nicht gelungen, ihm ein solches abzuringen, doch ich bezweifle, dass er sich so leicht von etwas abhalten lässt. Vermutlich geht er jede Frau des patrizischen Standes oder der Nobilität durch, bis schlussendlich eine von ihnen oder ihr Vater in sein Angebot einwilligt."
    Er strich diesen Mann, welcher der Flavia nur immer Schwierigkeiten bereitete, mit einer laschen Handbewegung bei Seite.

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  • Sie nickte und setzte sich wieder aufrecht hin.


    Also nicht den Consul? Nun ja... du weisst es wohl am Besten was gut für das Gens ist. Und wenn ich es bin, die unsere Linie, der unserer Mutter und der unseres Vaters weiterführen soll dann sollte es aber ein ganz besonderer Mensch sein.


    Weiters verstand sie nicht wieso er so wehement gegen den Präfectus Prätorii war. Hungaricus war doch auch ein solcher gewesen, und Gracchus hatte nie etwas gegen ihn gesagt. Nun ja... vielleicht war etwas vorgefallen?? und so neugireig wie sie war musste sie natürlich gleich damit herausplatzen.



    Nicht, dass ich Interesse an diesem Mann hätte starker wilder Prätorianer haarrrr aber vincius hungaricus war auch ein solcher prätorianer... und ihn verachtest du nicht. Erklär es mir...

  • "Lass uns den Consul im Auge behalten, doch nichts überstürzen. Womöglich bieten sich vorher noch andere Gelegenheiten."
    Die erste davon würde Gracchus trotz allem in die Wege leiten. Minervinas Interersse an den Praetorianerpraefecten registrierte er nur nebenbei, seine Acht galt vornehmlich der möglichst neutralen Betrachtung der potentiellen Kandidaten.
    "Du vergisst dabei eines, Vinicius Hungaricus ist Consular und er war es bereits, als Tiberia sich an seine Seite stellte. Es hat seiner Position in keinster Weise geschadet, als er sein Amt aufgab, gegenteilig. Caecilius dagegen ist ein Niemand, er ist nichts außer Praefect der Praetorianer. Im ersten Augenblick mag dies viel erscheinen und um ehrlich zu sein traue ich ihm sogar zu, dass er eines Tages einer von jenen wird, die man gemeinhin Kaisermacher nennt. Doch dies ist keine Bezeichnung, derer sich ein rechtschaffener Mann rühmen könnte, zudem fehlt ihm politisches Feingefühl und was er auch ist, er wird immer im Schatten des Augustus stehen, bis jener sich seiner Dienste entledigt. Dennoch verachte ich Caecilius Crassus nicht."
    Er blickte Minervina an wie ein unverständiges Kind.
    "Vermittle ich denn tatsächlich immer wieder den Anschein solch starker Emotionen? Wenn ich jemanden hasse oder verachte, so wirst du dies sicherlich bemerken, denn dann werde ich kaum mit der gebührenden Gelassenheit von ihm berichten, sondern mich mehr echauffieren, als du es bisher erlebt hast. Der Praefectus Praetorio hätte dies womöglich verdient, doch darüber kann ich kaum urteilen, und insofern hinsichtlich seiner Person nicht meine Gleichgültigkeit angebracht ist, so wird er von mir kaum mehr als seichte Missbilligung ernten."
    So mächtig Caecilius Crassus im Staatsgefüge auch sein mochte, Gracchus wollte nur ungern einen Mann wie ihn in seinem Bekanntenkreis, geschweige denn in seiner Verwandtschaft wissen.

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