Gesundungsopfer für Onkel Lucullus

  • „Sciurus! Onkel Gracchus schickt mich zu Dir. Du sollst ganz schnell ein weißes Zicklein besorgen. Du würdest wissen, was zu tun ist. Und du sollst dich sputen, wenn Dir dein Leben lieb ist. Danach sollst du mit der Ziege ins Atrium kommen, denn Onkel Gracchus will sich hier mit mir treffen.“


    Serenus fiel im letzten Moment ein, dass eine seiner Rennziegen, die schnelle Gaia, weiß war.


    „Sciurus! Und ICH gebe Dir mein Wort als Patrizier, dass du als Strafe mindestens 200 Peitschenhiebe von Sica bekommst, bevor du von Sica im Garten gekreuzigt wirst, wenn du dich an meinen Rennziegen vergreifst.“


    Serenus bemühte sich um einen bösen Gesichtsausdruck, aber er war sicher, dass der Name Sica und Strafe vollkommen ausreichten um den Sklaven von den Rennziegen fern zu halten. Jeder Sklave in der Villa schien eine geradezu panische Angst vor diesem Sica zu haben. Der war laut Serenus Informationen in einer Gladiatorenschule im wilden Hispania ausgebildet worden. Und war der Leibwächter von Onkel Senator Felix. Also war Sica so etwas wie ein Kampfhund, wie Nero halt. Und vor Nero brauchte man keine Angst zu haben. Zumindest, wenn man Serenus oder Dido hieß und zur Familie gehörte.


    Dann ging er mit Dido und Nero ins Atrium und wartete auf Onkel Gracchus.

  • Nachdem er das Cubiculum seines Bruders verlassen hatte, reinigte sich Gracchus die Hände und suchte dann das Atrium auf. Serenus wartete dort, wie er es ihm aufgetragen hatte.
    "Ah, Serenus, da bist du. Eine sehr fachkundige Diagnose war das, sicherlich wird sie dem Medicus bei der Behandlung helfen können. Dennoch wollen wir die Götter um Lucullus' baldige Genesung bitten. Apollon ist derjenige, der uns die Krankheiten bringt, doch ebenso kann er sie von uns nehmen. Seinem Sohn Aesculapius gab er ebenfalls diese Macht. Diese beiden sind es daher, denen wir uns zuwenden wollen. Natürlich könnten wir uns nun zum Lararium begeben, einen Opferkuchen darbringen und hoffen. Doch es ist viel, was wir verlagen, darum wollen wir auch viel geben."
    Da der alltägliche Dienst im Tempel wenig Gelegenheit bot, Serenus in den Cultus Deorum einzuführen, da Gracchus nicht ständig einen Blick auf den Jungen haben konnte, musste diese Gelegenheit im eigenen Hause genutzt werden.
    "Do ut des - ich gebe, damit du gibst, dies ist das Prinzip, nach welchem wir unser Opfer an die Götter richten. In diesem Falle geht es um die Gesundung und damit um das Leben meines Bruders, daher werden wir ein lebendes Opfer darbringen. Das Verhältnis von Gabe zu Bitte indes orientiert sich ebenfalls an den Möglichkeiten, welche uns gegeben sind. Wir sind Flavia, uns ist es in einem solchen Fall durchaus gegeben, eine Ziege darzubringen. Für einen sehr einfachen Mann dagegen wäre beispielsweise schon ein Küken viel, Apollon wäre deswegen für dessen Geflügel nicht weniger empfänglich und gnädig, denn für unser Zicklein. Jeder nach seinem Maß und dem Anlass gemessen, sollst du dir also merken. Ebenso jedoch im rechten Verhältnis. Warum opfern wir nicht ein Rind, wenn es doch um Lucullus' Leben geht? Nun, ganz einfach, weil wir im rechten Maß bleiben wollen und weil wir unser eigenes Leben im Kontext der Gesamtheit betrachten müssen. Lucullus mag uns lieb und teuer sein, doch er ist nur ein Einzelner. Das Wohl des Staates, das des Imperator Caesar Augustus oder etwa der Sieg einer Schlacht, dies sind große Ideen und Anlässe, welche große Opfer bedingen. Wir mögen Flavia sein, doch ein Rind zugunsten des Lucullus, dies würde uns Größenwahn und Überheblichkeit attestieren, und dies ist etwas, was die Götter gar nicht schätzen."
    Mit einem prüfenden Blick vergewisserte sich Gracchus, dass sein Neffe ihm weiter zuhörte und dazu alles, was er sagte, in seinen Geist aufnahm. Zumindest erweckte der Junge den Anschein dessen.
    "Wir entscheiden also die Größe und den Wert der Opfergabe gemessen an unseren Möglichkeiten, an den Beweggründen, welche das Opfer bedingen, und in maßvollem Verhältnis zum Gesamtkontext. Haben wir uns für Größe und Art des Opfertieres entschieden, so gibt es für bestimmte Gottheiten gewisse Vorgaben. Helle Tiere für die Himmlischen, dunkle für die Unterirdischen und rotbraune Tiere für die Götter des Feuers und des Krieges, dazu männliche Tiere für die Götter und weibliche für die Göttinen. Zudem bedingen wirtschaftliche Überlegungen das perfekte Alter eines Tieres, doch um dies brauchst du dich vorerst nicht zu sorgen. Im Einzelfall gibt es weitere Ausnahmen und Besonderheiten für die Opfertiere, doch dies sind ebenfalls Dinge, die dich heute nicht weiter tangieren müssen, dies wirst du mit der Zeit und im Einzelfall speziell lernen. Wir haben uns also für ein Zicklein für Apollon und seinen Sohn Aesculapius entschieden. Wie also sollte es deiner Ansicht nach beschaffen sein, damit ich Sciurus nicht noch einmal fortschicken muss?"

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  • Serenus war sehr verwirrt. Also fragte er nach.


    Do ut des - ich gebe, damit du gibst? Aber liegt da nicht der Gedanke nahe, dass man die Gunst der Götter zu erkaufen versucht? Ich mache ein großes Opfer und so hat der Gott mir viel zurück zu geben. Ist jedes Opfer damit nicht mit Hintergedanken und einem persönlichen Nutzen verbunden? Wo bleibt da der Aspekt der Freiwilligkeit oder Selbstlosigkeit? Oder der reinen Verehrung der Götter um ihrer Selbst Willen? Obgleich sich diese Tugenden ja wohl nur die reichen Leute erlauben können, denen es an nichts mangelt.


    Woher wissen wir was das rechte Maß ist? Wir opfern für Onkel Lucullus nur eine Ziege, obgleich wir auch ein Rind nehmen können. Würde dann bei mir was Kleineres als eine Ziege geopfert werden, weil ich kleiner als Onkel Lucullus bin? Und wenn wir jetzt ein kleines Rind nehmen würden? Schließlich gibt es ja als Steigerung noch diese riesigen Ochsen, welche die Wagen auf den Strassen ziehen. Und was heißt Kontext der Gesamtheit? Onkel Lucullus, Tante Agrippina und du seid die einzigen Priester in der Familie. Also seid ihr sehr wichtig für die Familie und den Haushalt als Ganzes, denn ihr regelt alles, dass uns die Götter gewogen sind. Also liegt doch schon wieder ein großer Anlass vor, zumal wir ja wollen, dass Apollon uns die Gesundheit von Onkel Lucullus zurück gibt. Das ist sehr verwirrend, Onkel Gracchus. Und wieso Größenwahn? Wir sind doch laut Oma die beste und wichtigste patrizische Gens im ganzen Imperium! Wir sind doch quasi ein kleines Reich im riesigen Staat, da wir enorme Macht besitzen. Also passt das Rind doch wieder zum Anlass.


    Also wenn wir jetzt bei der Ziege bleiben, dann sollte es eine helle beziehungsweise weiße Ziege sein, denn Apollon ist ja ein himmlicher Gott, also zumindest wohnt er über der Erde. Es müsste ein Ziegenbock sein, denn Apollon ist ein männlicher Gott.


    Onkel Gracchus, du hast aber einen Fehler gemacht! So einfach legst du mich nicht rein, jetzt nachdem du mir das erklärt hast!


    Zunächst einmal brauchen wir kein Zicklein, sondern einen ausgewachsenen Ziegenbock, der schon viele Jahre alt ist. Onkel Lucullus ist ja schon ganz alt, während ein Zicklein ganz jung ist. Also eher meinem Alter angemessen wäre. Und wir brauchen zwei Opfertiere! Wir wollen ja Apollon und Aesculapius opfern. Damit hätten wir zwei Götter, aber nur eine Ziege. Ergo bekommt jeder Gott eine halbe Ziege.
    Das gibt Streit! Vor allem, wenn die beiden Ziegenhälften nicht ganz genau gleich groß sind. Ich habe eine Schwester, Onkel Gracchus, und ich weiß was es heißt mit Arrecina zu teilen. Sie ist eine Meisterin so zu teilen, dass ihr Anteil größer ist. Also nehmen wir zwei Ziegen!


    Ist es wichtig, dass die Tiere makellos sind oder fällt das in den Aspekt „jeder nach seinen finanziellen Mitteln“?

  • Es freute Gracchus außerordentlich, dass Serenus seinen Worten mit größter Aufmerksamkeit folgte und schließlich einige Fragen aufwarf, und er bemühte sich, sich jede dieser Fragen zu merken, um schließlich darauf zu Antworten.
    "Do ut des hat nichts mit einem Kauf zu tun, denn im Gegensatz zu einen profanen Geschäft hast du bei der Opferung weder ein Anrecht, noch eine Garantie, dass deine Bitte erhört und deine Gaben angenommen werden. Ob es die Götter tangiert, was dich in Aufruhr versetzt, dies wirst du erst im Nachhinein wissen, wenn dein Opfer angenommen und dein Wunsch erfüllt wurde oder auch nicht. Mit was könnte man dies wohl vergleichen, lass mich einen Augenblick überlegen."
    Nachdenklich hob Gracchus seine Hand und knetete seine Unterlippe. Glücksspiel war seine erste Assotiation, doch damit würde Serenus vermutlich - und hoffentlich - nicht viel anfangen können, zudem mochte dies zwar der tatsächlichen Wahrheit sehr nahe kommen, doch dies war nichts, was ein Kind in Serenus' Alters wissen sollte, nicht einmal eines aus patrizischem Hause.
    "Es ist ein wenig, wie dies sicherlich auch bei deiner Großmutter Agrippina vonstatten geht. Du wünschst dir etwas und sagst es deiner Großmutter. Es kann sein, dass sie es aufnimmt und dir den Wunsch erfüllt, oder aber sie möchte ihn dir nicht erfüllen, oder aber sie vergisst deinen Wunsch. Wenn du ihr eine kleine Aufmerksamkeit schenkst, etwa einen Strauß Blumen, so wird sie den Wunsch sicherlich nicht vergessen, ihn aber vielleicht dennoch ignorieren. Bereitest du ihr eine noch größere Freude, so mag sie dir den Wunsch womöglich nicht ausschlagen. So ähnlich ist es mit den Göttern, nur ungleich schwieriger, da wir sie nicht fragen können, ob sie bereit sind, unsere Wünsche zu erfüllen. Nun, fragen können wir sie natürlich schon, doch sie antworten nur selten. So müssen wir uns denn auf unseren Verstand verlassen, um zu entscheiden, welche Gaben wir opfern. Mit einem Hintergedanken indes ist jedes Opfer verbunden, lass dir in dieser Hinsicht von niemandem etwas erzählen. Selbstlose Opfer gibt es nicht, denn all jene, welche den Anschein dessen erwecken, haben die Gunst der Götter im Allgemeinen im Sinn."
    Er ließ seine Hand wieder sinken, Serenus musste hinsichtlich des Cultus Deorum noch viel lernen, sollte er tatsächlich einmal ein hohes Priesteramt anvisieren wollen.
    "Ich erwähnte doch bereits, dass das körperliche Maß kein rechtes Maß ist. Es ist die Idee dahinter. Hast du dich im Zuge deiner Bildung bereits mit der Ideenlehre Platons auseinander gesetzt? Kurz gesagt geht es dabei um jene Idee der Dinge, welche hinter deren realen Abbildern steht. Die Idee eines Menschen beispielsweise, unabhängig von seinem äußeren Abbild in dieser Welt. Darum ist es völlig unerheblich, ob Lucllus nun größer, breiter oder dicker ist, als du, für dein Wohl wäre ebenso eine Ziege angemessen wie für das Seine. Ein kleines Rind dagegen ist kein Vergleich zu einer Ziege, du wirst dies noch feststellen, wenn du dich eines Tages mit den Preisen auseinander setzen wirst, denn ein Rind ist ein Arbeitstier und wenn du es schon als Jungtier schlachtest, so geht dir seine Kraft verloren."
    Es war nicht einfach, auf alle Fragen einzugehen, doch solange noch ein roter Faden, wenn auch ein wenig blass, sich durch all jene schlängelte, war es nicht unmöglich.
    "Der Kontext der Gesamtheit umfasst weit mehr als unsere Hausgemeinschaft, er umfasst die gesamte Gesellschaft, das gesamte Imperium Romanum und letztlich die allumfassende Welt. Auch wenn deine eigene Welt sich immer auf einen geringen Radius um deine eigene Person beschränken wird, so sollst du immer ein Auge auf die Welt um dich herum haben. Der einzige Mensch, welcher das Recht hat, seine eigene Welt mit der um sich herum gleich zu setzen, dies ist der Imperator Caesar Augustus, denn dessen Genius ist immerhin bereits zu Lebzeiten göttlich."
    Dass Aristides' Mutter die Flavia für die beste und wichtigste patrizische Gens des Imperiums hielt, dies war Gracchus bekannt, immerhin bestand sie auf dieser Ansicht, seit es ihr möglich geworden war, durch die Heirat mit Flavius Corvinus ein Teil dieser Gens zu werden. Obwohl er ihr nicht völlig dabei widersprechen wollte, so konnte Gracchus die öffentliche Bekundung dessen doch nicht gut heißen.
    "Größe zeigt sich Anhand Bescheidenheit, Serenus. Wisse, dass du ein Flavius bist, wisse, dass du etwas Besonderes bist, doch posaune es nicht in die Welt hinaus. Dies ist die Dignitas, das Gespür für das eigene ehrenvolle Ich, das Repräsentieren dieses Ich in der Gesellschaft in angemessener Zurückhaltung, ohne sich dabei in den Mittelpunkt zu heben. Darum opfern wir kein Rind. Ganz zu schweigen davon, dass wir das Opfer im Peristylium durchführen werden und es immer ein gehöriger Aufwand ist, ein Rind durch das Atrium zu schleifen."
    Er nickte zufrieden über Serenus' Antwort bezüglich der Beschaffenheit des Opfertieres. Dann jedoch zog sein Neffe doch wieder zu enge Bande zwischen profaner Wirklichkeit und zu Opfernder Gabe.
    "Nun, das Alter hängt maßgeblich von der Auswahl des Opfertieres ab, dies hat wenig mit dem Zweck der Opferung zu tun. Für den Apollon gilt die Faustregel, dass er junge Tiere bevorzugt, darum opfern wir ein Zicklein."
    Im Grunde spielten rein wirtschaftliche Faktoren die wichtigste Rolle bei dem Alter des Tieres, doch Gracchus wollte Serenus nicht überfordern. So wurden doch die meisten männlichen Tiere, welche sich nicht als Arbeitstiere verwenden ließen, in jungem Alter geopfert, um die Kosten der Haltung gering zu halten, weibliche Tiere dagegen, welche der Milchproduktion und Vermehrung dienten, erst in reifem Alter. Arbeitstiere wie Ochsen wurden herangezogen, wenn sie ihre Lebensaufgabe vor den Gespannen erfüllt hatten, Stiere wiederum, welche ob ihrer Wildheit durch die fehltende Kastration schwer in der Herde zu halten waren, als Jungtiere.
    "Zudem reicht uns ein Opfertier aus, da Apollon gemeinsam mit seinem Sohn Aesculapius eine Kultgemeinschaft bildet. Wie jene das Opfer aufteilen, muss uns nicht interessieren, dies ist Sache der Götter allein. Ohnehin opfern wir nicht die gesamte Ziege, sondern nur die Vitialia, also die lebenswichtigen Organe des Tieres, dies solltest du jedoch bereits wissen. Auf Makellosigkeit des Tieres ist insofern zu achten, als dass es sich um ein Geschenk an die Götter handelt, und du möchtest doch sicherlich selbst auch keine makelbehafteten Geschenke erhalten?"
    Zudem ließ sich vom Äußeren bereits auf das Innere eines Tieres schließen, ein makelbehaftetes oder gar defiguriertes Tier besaß selten ideale Organe, und dies war es immerhin, worauf es letztlich von Außen betrachtet beim Opfer ankam. Die Idee dahinter war natürlich, dass sich die Annahme oder Ablehnung der Götter im Moment der Konsekration in den Organen manifestierte, und obwohl Gracchus manches mal an dieser Idee zweifelte, so war er sich dennoch nicht gänzlich sicher, dass es nicht doch so war. Es war wie mit allem bezüglich der Götter und ihrer Verehrung, natürlich wurden viele Dinge von den Priester so arrangiert, dass sie für Außenstehende anders schienen, als sie waren, doch letztlich konnte man nie sicher sein, dass die Götter nicht doch über all dies wachten und eines Tages ihre Strafe für einen Betrug verhängten.

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  • Hui! Hui! Hui!
    Onkel Gracchus durfte man aber auch nicht zu Wort kommen lassen. Der ging ja gleich in einen ellenlangen und ganz schweren philiosophischen Vortrag über. Serenus rauchte der Kopf und die Gedanken drehten sich und schwirrten umher. Zum einen Ohr rein, zum anderen Ohr raus und in der Mitte blieben sie zeitweilig stecken.


    Da gab es für das Priesteramt aber noch viel zu lernen. bei Onkel Gracchus sah das in der Praxis alles so einfach aus.


    Und jetzt fing er auch noch mit dem langweiligen Platon an. Und die Tierlehre schien auch eine eigene Wissenschaft zu sein, die bestimmt viele Bücher füllte. Vielleicht sollte er doch lieber Legatus werden und zur Legio gehen.


    “Und woher wissen wir eigentlich, daß Apollon tatasächlich junge Opfertiere bevorzugt? Gab es da einmal ein eindeutiges Zeichen? Oder hat das einfach mal jemand vor Jahrhunderten so festgelegt und alle machen es jetzt so ohne Nachzudenken?


    “Und ich weiß, daß wir nur die Organe opfern. Aber was passiert eigentlich mit dem restlichen Tier? Wird das verbrannt? Oder verteilen wir das Fleisch an arme Klienten von uns Leute und unsere Sklaven? Oder bereitet man uns das als besonderes Mahl in der Küche zu? Müssen wir als Priester und Minister das selber zubereiten?”


    Serenus hatte nur eine vage Vorstellung, wie man überhaupt kochte und was alles passierte bis das Essen auf dem Teller landete. Darum hatte er sich nie Gedanken machen müssen. Das war wie bei den Sandalen. Über das Binden hatte er sich auch erst Gedanken gemacht, als er es irgendwann lernen musste.


    “Aber was ist, wenn wir jetzt ein makelloses Tier opfern und dann feststellen, daß seine Organe nicht in Ordnung sind. Machen wir dann ganz schnell ein zweites, noch tolleres Opfer um Apollon milde zu stimmen? Gibt es da einen Ersatzplan?”

  • Es erfreute Gracchus, dass sein Neffe noch immer Fragen fand und somit trotz der vielen Worte weiterhin mit seinen Gedanken bei der Sache war.
    "Apollon selbst ist ein junger Gott, dazu Gott der Jugend, darum schenken wir ihm ein junges Tier. Manche Dinge erklären sich aufgrund solcherlei Gedankengänge, doch es gibt vieles, was bereits tatsächlich so alt ist, dass wir selbst nicht mehr genau wissen, welche Erklärung es einst dafür gab. Es existieren viele Riten, Gesänge und Gebetsworte, bisweilen sogar Gottheiten, welche noch aus den Zeiten des ersten König Numa Pompilius stammen, von welchen uns die Bedeutungen heute* verschlossen und uns nur Mutmaßungen bleiben. Viele dieser Dinge tun wir, da sie vor Jahrhunderten festgelegt wurden, doch beileibe nicht ohne darüber nachzudenken. Reflektion, nicht starres Handeln, gehört zum Alltag eines Priesters, und vieles, was von Außen einen sehr steifen und starren Anschein erweckt, ist genau betrachtet ebenso im Fluss, wie das übrige Leben ebenfalls."
    Gracchus war es noch nie schwer gefallen, einen korrekten rituellen Handlungsablauf zu vollziehen, denn hatte er erst einmal damit begonnen, so gab es kaum Möglichkeit zur Abweichung, wodurch sich der Verlauf des Ritus wie von selbst ergab. Doch er erinnerte sich noch gut an sein erstes eigenes blutiges Opfer, es war unter Anleitung seines alten Mentors Sciurus geschehen, weitab der Stadt in einem heiligen Hain der Minerva und Myrsine, im Verborgenen, nicht nur aufgrund der geäußerten Bitte, sondern gleichsam auch, da die Angst vor seinem Versagen zu groß gewesen war, um dies in Öffentlichkeit zu tun. Er erinnerte sich noch genau an das warme, klebrige Blut des kleinen Lammes, welches nach dem Schnitt in dessen Kehle über seine zitternde Hand geflossen, mit der anderen hatte er das Tier fest im Nacken gepackt, bis jegliches Leben gänzlich aus ihm entwichen war. Gracchus versuchte sich an sein damaliges Alter zu erinnern, es schien ihm Zeitalter entfernt, doch vermutlich war er etwas älter gewesen, als Serenus heute, zumindest wollte er seinem Neffen noch kein Opfer alleine zumuten.
    "Nachdem der Anteil der Götter am Opfer in deren Welt überführt wurde, gibt es verschiedene Möglichkeiten, das übrige Fleisch zu verwerten, im öffentlichen Opfer drei, im häuslichen zwei. Die erste Möglichkeit ist es, im Anschluss an die Opferung ein Festessen durchzuführen, die sogenannte cena recta, die richtige Mahlzeit. Bei wichtigen, öffentlichen Opfern wird dies häufig bevorzugt, da es den Menschen Gelegenheit zu Feiern bietet und sie sich darum gerne an jenes Opfer und den zugehörigen Sponsor erinnern werden. Im privaten Umfeld finden wir dies ebenfalls, bei den Feierlichkeiten, welche ein vorheriges blutiges Opfer bedingen. Die nächste Möglichkeit verschiebt das Mahl auf einen späteren Zeitpunkt. Bei öffentlichen Opfern kann dies entweder als sportulae geschehen, bei der die Fleischstücke in die sogenannten sportulae, also kleine Körbe, abgefüllt und den Teilnehmern mitgegeben werden, wobei die Größe des Korbes und die Güte des Fleisches darin, welches ein Partizipient mitnehmen darf, meist von seinem sozialen Stand abhängt. Oder aber das Fleisch wird verkauft, was bei denjenigen öffentlichen Opfern, welche vom Staat finanziert werden und bei welchen ein großer Anteil der Bevölkerung teilnimmt, der Normalfall ist. Da wir im häuslichen Kreis weder unser Fleisch in Körben nach Hause tragen, noch unser eigenes Fleisch kaufen müssen, wird das Mahl im zweiten Falle nur einfach auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. So auch in unserem ganz konkreten Falle. Wir beide opfern das Zicklein und die Familie wird das Fleisch heute Abend verspeisen können. Dass das Tier zur Gänze verbrannt wird, dies geschieht nur in besonderen Ausnahmefällen. Manche Gottheiten bedingen dies, oder aber spezielle Feiertage."
    In einer unbestimmten Geste breitete Gracchus die Hände aus und hob die Schultern.
    "Wenn die Götter das Opfer nicht annehmen, so werden wir im Anschluss entscheiden, was zu tun ist. Womöglich wirst du einen Fehler begangen haben, so werden wir das Opfer wiederholen. Womöglich sind die Zeichen eindeutig, so dass wir innehalten müssen in unserem Tun, um die Götter nicht zu erzürnen. Womöglich werden die Zeichen so vage sein, dass wir den Göttern augmenta, sogenannte Erhöhungen, offerieren werden, womöglich sind sie ein wenig deutlicher, so dass wir ein weiteres Opfertier geben. Dies ist jetzt jedoch noch nicht zu entscheiden, denn anderenfalls könnten wir uns direkt danach richten, doch so konkret unsere Handlungsmuster für ein Opfer vorgegeben sind, so unbestimmt ist doch das Ende einer jeden Opferung, hängt dies doch direkt vom Willen und Wohlwollen der Götter ab."



    *heute meint nicht nur das Jahr 2007, sondern tatsächlich die Zeit der Kaiser, zu welchen viele rituellen Bestandteile für die damalige Bevölkerung bereits nicht mehr zu Ergründen waren.

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  • Serenus hörte seinem Onkel aufmerksam zu. Er konnte gut erklären, auch wenn Serenus ziemlich der Kopf rauchte. Daher würde er direkt anch dem Opfer alles aufschreiben und versuchen aufzuarbeiten. Sollet er dann irgendwo hängen, würde er wieder bei Onkel Gracchus auflaufen. Allerdings schien es verdammt viele Ausnahmen zu geben, auf die man achten mußte.


    Und da kam auch schon Sciurus mit einem weißen Zicklein angeschlurft.


    "Onkel Gracchus! Mache ich das Zicklein tot oder machst du das? Ich habe nämlich auch kein Opfermesser und wäre es nicht ratsam, wenn wir uns erst umziehen? Vor allem ich. Ich denke meine marsrote Tunika wäre besser als meine jetzige beiche Gewandung, wenn das Blut so richtig in alle Richtungen spritzt."


    Serenus dachte dabei weniger an den hohen Wert seiner Gewandung und daß das Blut Flecken hinterlassen würde, die schwer heraus zu waschen waren. Das war alles ein Problem der Sklaven, aber so würde er sich einmal Umziehen sparen. Er konnte nach dem Opfer ja den Rest des Tages schlecht in blutbesudelter Tunika herum laufen. Bei der marsroten Tunika sah man dagegen das Blut nicht.


    "Und dürfen Dido und Nero bei dem Opfer zugegen sein? Oder ist das ein intimes Familienopfer, wo wir auch Sciurus als Handlanger weit weg schicken? Und kann man das Opfer auch durchführen, wenn man selber kein Priester ist? Oder müssen wir hier wenigstens auf jemanden zurück greifen, der schon eine Priesterausbildung hinter sich hat?

  • Mit einem ersten prüfenden Blick taxierte Gracchus das junge Zicklein, welches sein Leibsklave auf den Armen trug. Dabei überlegte er, ob wohl Serenus nIch doch womöglich bereits das passende Alter erreicht hatte, um sich als Opferherr zu versuchen.
    "Heute werde ich den Opferschnitt durchführen. Du siehst genau dabei zu und bei der nächsten Opferung kannst du diese Aufgabe übernehmen. So wird auch deine Tunika nicht beschmutzt werden, auch wenn dies eine deiner geringsten Sorgen sein sollte. Jeder Mensch kann ein Opfer durchführen, das priesterliche Amt zeichnet nur diejenigen aus, welche in der Öffentlichkeit dafür prädestiniert sind. Im anderen Falle wären viele unserer häuslichen Feste undenkbar, erinnere dich nur an die Saturnalia."
    Das ein wenig hastig durchgeführte Opfer trug Gracchus seinem Sklaven bisweilen noch immer nach, denn gegensätzlich zum Ende des Festmahles war ihm der Beginn desjenigen noch sehr genau in Erinnerung geblieben, doch er musste Sciurus andererseits auch sein Tun nachsehen, schließlich hatte er selbst ihn mit jener Aufgabe betraut, und obgleich die Sklaven an jenen Tagen nominell freien Bürgern gleich gestellt waren, so konnte man dennoch keine menschlichen Pflichten von ihnen verlangen.
    "Sklaven können zugegen sein oder auch nicht, darum brauchst du dir noch weniger Gedanken zu machen, als um deine Tunika."
    Als hätten sie nur auf jene Erlaubnis gewartet, traten nun zwei weitere, von Sciurus beauftragte Sklaven in den Garten, trugen einen kleinen Foculus, einen tragbaren Altar, herbei und stellten ihn am Rand des Weges ab. Eine schmale Sklavin tippelte ihnen hernach und stellte ein kleines Tischchen daneben, auf welchem sie zwei Schüsseln, eine mit Weihrauch, eine mit Weintrauben, balancierte. Einer der Sklaven verließ das Peristyl um eine Feuerschale zu holen. Währenddessen winkte Gracchus seinen Leibsklaven herbei.
    "Für den Opferherren ist es wichtig, sich selbst vor dem Zeremoniell von der Makellosigkeit des Tieres zu überzeugen, ganz besonders, wenn du jenes erst eben von einem der Stände rund um die Tempel erworben hast."
    Er zog dem Zicklein die Lider auseinander, ein Blick in die geweiteten Pupillen verriet, dass das Tier bereits vorbereitet war, anschließend besah er die Zähne des Tieres, schließlich den Bauch und die Läufe, bevor er noch einmal, beinahe zärtlich ein Ohr zwischen Daumen und Zeige- und Mittelfinger hindurch zog.
    "Im Rahmen einer großen Zeremonie zieht der Opfernde vor Beginn sich eine Falte seiner Toga über den Kopf, so dass seine Sinne vor jeglicher Ablenkung geschützt sind, zudem wird ein solches Opfer aus gleichem Grunde vom Spiel eines oder mehrerer Tibicines oder Fidicines begleitet, doch dies ist in unserem Falle nicht notwendig. Wenn du also bereit bist, so können wir beginnen. Der Ablauf gestaltet sich folgendermaßen: wir geben ein wenig des Weihrauchs über die Kohlen, so dass der aufsteigende Rauch die Götter auf uns aufmerksam macht, sodann wenden wir uns mit dem Voropfer an Apollon und Aesculapius mit der Bitte unser Opfer zu beachten und anzunehmen. Das eigentliche Gesuch um Lucullus' Genesung formulieren wir schließlich zum blutigen Opfer."

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  • „Klasse! Natürlich bin ich dabei, wenn das nächste Mal ein Opferschnitt gemacht werden muß. Hat Tante Antonia nicht vielleicht Kopfschmerzen, Bauchweh oder ist sonst jemand krank in der Villa? Dann können wir gleich weiteropfern und üben.“


    Aufmerksam beobachtete Serenus die Vorbereitungen. Das war alles sehr spannend. Da machte es auch gleich gar nichts mehr aus, daß er heute Abend wieder mit seinem Hund in die Thermen mußte, wenn das Blut in alle Richtungen nur so spritzte.


    „Also für mich sieht das Tier gut aus. Aber wieso muß man bei den Ständen rund um die Tempel aufpassen? Verkaufen die zu Wucherpreisen gerne zweite Wahl? Bleiben die makellosen Tiere während des Opfers ganz artig. Also wenn ich Baiae in der Villa geschlachtet wurde, dann muß es bei den letzten Tieren immer ein Drama gewesen sein, die zum Metzger zu bewegen, währen die ersten Tiere ganz artig mitgingen. Das hat uns die Köchin und der Koch erzählt. Zu denen hatten Arrecina, meine Freunde und ich immer ein ganz besonders gutes Verhältnis. Bis auf die Spinat- und Gerstenbreitage.
    Muß es eine Togafalte sein oder reicht auch eine Kaputze vom Umhang? Und wann fangen wir endlich an?“


    Serenus entnahm eine Hand voll Weihrauch aus einer Dose. Im Einräuchern hatte er schon Erfahrung.

  • Ein sublimes Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen ob solcherlei Eifer und Elan, und er nahm sich vor, den Jungen in die regelmäßigen Opferungen am Hausaltar einzubinden, wenn auch jene nur in den seltensten Fällen ein blutiges Opfer bedingten.
    "Die Auswahl an den Ständen rund um die Tempel herum ist meist nur suboptimal, da dort wie du ganz recht erkanntest durchaus auch zweite Wahl angeboten und den Opferwilligen so gerne die Sesterzen aus der Tasche gezogen werden, denn scheitert ihr erstes Opfer, so kommen sie noch einmal, um eilig ein neues Tier zu erwerben. Die Aedilen haben immer sehr großen Aufwand damit, solcherlei Händler aus Rom zu vertreiben, doch es wird niemals genügend Aedile geben, als dass jene Profitmacher sich nicht dennoch wieder in die Stadt hinein schleichen würden. Es ist wie mit den Astrologen, Wahrsagern, Lupae und all dem anderen Gesindel."
    Gut und gerne hätte sich Gracchus noch eine ganze Weile über jene Gegebenheit echauffieren können, doch Serenus' Drängen zum Opfer hin verhinderte dies erfreulicherweise.
    "Um am Altar ruhig zu bleiben, muss ein Opfertier nicht unbedingt makellos sein, ebenso wie ein makelloses Tier nicht notwendigerweise still hält. Es ist dies ein weiteres Kriterium dessen, ob das Opfer angenommen wird, oder nicht."
    Auch dies wurde natürlich beeinflusst, doch Gracchus hielt seinen Neffen noch für zu jung als dass er bereits in jenes Mysterium des reüssierenden Opfervorganges eingeweiht werden sollte.
    "Die Kapuze eines Umhanges reicht völlig aus, wichtig ist, dass der Ritus caput velatum stattfindet, mit bedecktem Kopf also. Dies gilt jedoch nur für Männer, Frauen opfern für gewöhnlich mit unbedecktem Haupt und offenem Haar, doch dies nur am Rande. Allerdings fürchte ich, muss ich dich noch mehr verwirren, denn dieser Zustand gilt ohnehin zudem nur für die urrömischen Götter, denn jene, welche wir von den Griechen übernommen haben, hierunter fallen auch Apollon und Aesculapius, werden nach dem ritus graecus geehrt. Im öffentlichen Opfer bedingt dies einen Kranz auf dem Haupt, doch im privaten Ritus können wir dies gänzlich vernachlässigen, so dass du dich um deinen Kopf heute nicht sorgen brauchst."
    Mit einem raschen Blick versicherte sich Gracchus, dass die Feuerschale eingetroffen, die Kohlen entzündet und alles bereit war.
    "So lass uns denn beginnen."
    Nach einem Augenblick des stillen Innehaltens und inneren Vorbereitens griff Gracchus ein wenig Weihrauch und streute die Körner über die Feuerschale. Ein Nicken deutete seinem Neffen an, dass jener es ihm gleich tun sollte.

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  • Onkel Gracchus hatte ja eine riesige Hand. Serenus schätzte, daß sein weniger Weihrauch in die Feuerschale bei ihm eine gute Kinderhand voll sein müßte. So nahm Serenus eine volle Hand voll Weihrauch und streute diesen als routinierter Einräucherungsprofi in die Feuerschale. Die Rauchentwicklung ließ die umstehenden Sklaven bereits auf wenige Meter Entfernung verschwinden, aber das Opfertier und Onkel Gracchus waren in dem Rauch noch erkennbar.

  • Die Rauchentwicklung war bestens dazu geeignet, Gracchus Tränen in die Augen zu treiben, und er bemühte sich, nicht allzu tief einzuatmen, was jedoch vollends misslang, als der Rauch begann, ihm in der Kehle zu kratzen und er um ein Husten zu vermeiden scharf Luft einsog. Der aromatische Duft stieg ihm sogleich zu Kopf und obgleich gegen ein wenig Stärkung des Verstandes nichts einzuwenden war, so war mehr nicht immer gleichbedeutend mit besser und auf Räucherungen traf dies zweifelsohne zu. Gracchus blinzelte und konzentrierte sich auf den Fortang des Opfers.
    "Apollon divinus, Aesculapius divinus, wir rufen Euch an und bitten um die Gunst Eurer Aufmerksamkeit!"
    Langsam verzog sich der Rauch ein wenig und gab nun auch wieder den Blick auf die bereitstehende Schale mit Obst frei. Gracchus nahm einige Trauben heraus und legte sie auf den kleinen Altar.
    "Apollon divinus, Aesculapius divinus, unsere Gaben für Euch, dass Ihr unserem Tun Beachtung schenken möget, dass Ihr unsere Bitte erhört und uns Eure Gunst gewährt."
    Wieder folgte ein unmerkliches Nicken zu Serenus hinab.

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  • Was bedeutete jetzt nur das Nicken? Noch eine Ladung Weihrauch? Mußte er was sagen? Aber das war doch eigentlich der Part von Onkel Gracchus. Oder sollte er einige Trauben dazu legen. Na gut. Gegen 2 Anrufungen konnte Apollon ja nichts dagegen haben. Im Gegenteil zwei Flavier bedeutete eine doppelte Chance, dass das Opfer angenommen wurde.


    Zuerst legte Serenus mal noch eine Hand Weihrauch nach. Jetzt konnte er eigentlich nur noch den Altar, Onkel Gracchus und das Opfertier sehen. Dann wiederholte er den Spruch von Onkel Gracchus.


    "Apollon divinus, Aesculapius divinus, wir rufen Euch an und bitten um die Gunst Eurer Aufmerksamkeit!“


    Er legte einen kleinen Klotz Trauben auf den kleinen Altar.


    "Apollon divinus, Aesculapius divinus, unsere Gaben für Euch, dass Ihr unserem Tun Beachtung schenken möget, dass Ihr unsere Bitte erhört und uns Eure Gunst gewährt."


    Erwartungsvoll schaute er seinen Onkel wieder an.

  • Ob des vielen Rauches, welcher sich noch einmal auf Serenus' Räucherungsbemühungen hin erhob, begannen Gracchus' Augen erneut ein wenig zu tränen und er musste einige male blinzeln, um jene zu vertreiben. Doch Serenus tat seine Aufgabe sehr vorbildlich, so dass ihm genügend Zeit blieb, bis die Worte gesprochen und das Voropfer beendet war. Von seinem Sklaven Sciurus, der nun zu ihnen trat, nahm Gracchus das weiße Lämmlein auf den linken Arm entgegen und fasste es fest, die rechte Hand tunkte er in einen beigehaltenen Becher Wein und strich schließlich ein wenig der Flüssigkeit über den Kopf des Tieres.
    "Oh Apollon divinus, hochgelobter Gebieter über Wohl und Gesundheit! Oh Aesculapius divinus, hochgelobter Gebieter über Wohl und Gesundheit! Euch zu Ehren geben wir dieses Tier, Euch zu Ehren mit bescheidener Bitte! Wie es Euch zusteht sei dieses Lamm Euch angetragen mit der Bitte um Gesundung unseres Familienmitgliedes Quartus Flavius Lucullus, Sohn des Titus Flavius Vespasianus. Möget Ihr in Eurer unendlichen Güte die Leiden des Quartus Flavius Lucullus lindern und seine Krankheit von Ihm nehmen, dass auch er Euch und den Göttlichen seinen Dank beweisen kann!"
    Mit dem Opfermesser strich Gracchus über den Rücken des Tieres.
    "Apollon divinus, Aesculapius divinus, hochgelobte Gebieter über Wohl und Gesundheit, Euere Hilfe für unsere Gabe!"
    Noch im einen Augenblick starrte das Tier in den weitläufigen Garten der Villa Flavia, im nächsten bereits zog Gracchus die scharfe Klinge des Messers über seine Kehle und spürte darauf, wie das Leben aus dem Lamm hinaus wich. Das rotfarbene Blut schoss aus der Wunde heraus, befleckte seine Tunika und schaffte es in einigen Spritzer sogar bis auf die Tunika des Serenus. Doch Gracchus hatte weder Auge noch Acht für sein eigenes Gewand, noch für das seines Neffen, er drehte den leblosen Körper geschickt auf seinem Arm und schnitt den Bauch auf.
    "Die Schale, Serenus."

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  • Serenus schnappt sich schnell die Schale und reichte sie seinem Onkel. Dann stellte er sich so, daß er auch ja alles genau sehen konnte. Jetzt wurde es ja spannend. Hielt das Zicklein auch von Innen, was es von Außen versprach.

  • Vorsichtig entnahm Gracchus die Innereien aus dem Opferlamm und legte sie in die Schale hinein. Schließlich reichte er das Tier zurück an seinen Sklaven, nahm die Schale aus den Händen seines Neffen und ging in die Hocke, auf dass Serenus besseren Einblick würde erhalten.
    "Die Haruspices beschauen vor allem anderen die Leber eines Tieres. Sie teilen sie in einundzwanzig Bereiche, sogenannte Häuser, auf, welche je einer Gottheit zugewiesen sind. Aus den Merkmalen und dem Zustand dieser Häuser können sie genaue Aussagen hinsichtlich zukünftiger Ereignisse treffen.
    So diffizil ist die römische Divination jedoch nicht, im Gegensatz zur etruskischen ist sie gerade zu simpel, dafür können wir auch nur Aussagen treffen bezüglich der Zustimmung oder Ablehnung des Gottes oder der Götter, welchem oder welchen wir zuvor unser Opfer dargebracht haben."

    Er drehte die Leber herum und deutete mit seinem blutigen Zeigefinger in die Schale hinein.
    "Am ehesten zeigen sich Makel und Verfärbungen in dieser Region, vor allem, wenn das Gewebe von dunklem Braun oder gar schwarz ist, sollte das Opfer wiederholt werden. Besonderes Augenmerk solltest du zudem immer auf diejenigen Bereiche der Organe legen, an welchen sie mit dem Rest des Körpers verbunden sind."
    Seine Hand wanderte von der Leber zum Herzen und drehte es in Position.
    "Du siehst, das Herz hat viele Verbindungen zum Inneren des Tieres, jede davon ist auf Verfärbung zu prüfen. Das Schlimmste jedoch, was dir bei einem solchen Opfer geschehen kann ist, dass das Tier kein Herz besitzt. Dies ist als endgültige Ablehnung der Götter zu werten, weitere Opfer im Anschluss darzubringen wäre in einem solchen Falle völlig sinnlos."
    Natürlich konnte kein Tier ohne ein Herz leben, weshalb dieser Fall völlig unwahrscheinlich war. Doch beim Herausschneiden der Organe konnte ein Opferherr das Herz solchermaßen im blutigen Inneren des Tieres verbergen, dass es augenscheinlich nicht aufzufinden und das Opfer damit untrüglich gescheitert war, sollte dies von Nöten sein. Zu beachten war hierbei, dass hernach der richtige Popa oder Sklave das Tier zerlegte.
    "In unserem Falle jedoch kannst du sehen, dass die Organe makellos sind, die litatio, die Annahme des Opfers ist damit erfolgt."
    Die Unterbrechung der zeremoniellen Atmosphäre durch solcherlei profane Erklärung störte das Ritual nicht weiter. Größere Opferfeierlichkeiten bedingten an dieser Stelle nach der Verkündung der litatio manches mal Pausen über den gesamten Tag hin, bisweilen wurde währenddessen gar Gericht gehalten und täglicher Arbeit nachgegangen, oftmals wurden auch die Anteile des Opferfleisches für die Götter gekocht oder gebraten, was einige Zeit in Anspruch nahm, währenddessen kaum jemand erwartete, dass das gesamte Volk in einer Starre zeremonieller Stimmung verharrte. Die Religion war ohnehin immer präsent, sie durchdrang das tägliche Leben in jedem Augenblick, so dass nichts gegen Alltäglichkeit sprach. Schließlich jedoch erhob sich Gracchus wieder und trat mit der Schale und den darin gesammelten Organen an das Opferfeuer heran. Kochen oder Braten der Fleischstücke war in diesem Falle nicht notwendig, sie konnten direkt dem Feuer übergeben werden.
    "Apollon divinus, Aesculapius divinus! Unseren Dank für Eure Hilfe, Eure Hilfe für unsere Gabe."

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  • Serenus wartete bis das Opfer vorbei war.


    "Warum wenden wir nicht die etruskische Methode der Divination an, wenn die doch genauer ist als unsere? Mehr zu wissen kann doch nicht schaden. Ich habe mal gelesen, daß jedes Tier ein Herz hat. Wie kann es dann fehlen? Kennst du solche Fälle von untoten Opfertieren?


    Und warum übergibst du die gesammelten Organe dem Feuer? Machst du das, weil wir ganz reich sind und uns eine solche Verschwendung von essbaren Innereien im Gegesnatz zu den armen Pleibeiern leisten können? Wir hätten sie aber auch ruhig an meinen Hund oder die vielen Katzen in der Villa verfüttern können. Nero ist jetzt auch nicht sooooooooooo anspruchsvoll, wie manche glauben.


    Und Onkel Lucullus wird jetzt wieder gesund! Ist echt gut so ein Opfer. Wenn ich also mal Bauchschmerzen oder Zahnschmerzen habe, dann opfern wir schnell und dann bin ich am nächsten Tag wieder gesund."

  • Der Odeur nach verbranntem Fleisch hing noch eine Weile in der Luft, hatte sich längst in den Stoff der Kleidung verbissen, doch Gracchus befand dies nicht für lästig, konnte er sich an diesem Duft doch erfreuen wie Felix sich an dem seiner Rosen.
    "Es gibt Dinge, mit denen beschäftigt sich ein Römer nicht. Etruskische Divination ist eines davon, gleichsam wie auch die Haruspicer als solche mit Vorsicht zu genießen sind, hat diese Zunft doch zu viele Scharlatane hervorgebracht. Natürlich wirst du nach Verstreichen der Zukunft immer herausfinden, ob die Vorhersage jener korrekt war, doch der diese voraussehende Haruspicer wird zu dieser Zeit längst mit deinen Sesterzen das Weite gesucht haben."
    Was sodann zu einem Problem wurde, sahen diese Männer doch alle gleich aus. Ohnehin, wie weit konnte man schon Männern trauen, welche Spitzbärte trugen wie die die Totengöttin Libitina begleitenden Helfer?
    "Natürlich hat ein Tier im Leben immer ein Herz. Doch im Augenblick der consecratio, dann wenn das Tier in den Bereich des Göttlichen übertritt, dann ist längst nicht alles mehr so wie es scheint."
    Zumindest für den einfachen Bürger und Zuschauer nicht. Gracchus warf einen Blick auf das Opferfeuer, nur kleine verkohlte Reste kündeten noch vom getanen Opfer.
    "Die Organe, die vitalia sind der Anteil für die Götter. Niemandem ist es in dieser profanen Welt gestattet, sie zu verzehren, keinem Menschen, keinem Tier und keinem Sklaven. Auch in den einfachsten Bevölkerungsschichten wird dies respektiert, andernfalls wäre ein Opfer völlig widersinnig. Sie werden verbrannt oder im Nachhinein vergraben. Nun, ich hoffe doch, dass die Götter dies Opfer zu würdigen wissen, und Lucullus' Leid von ihm nehmen. Bei Bauchschmerzen oder Zahnschmerzen genügt für gewöhnlich eine kleinere Gabe, doch es schadet nie, den Göttern zu opfern."

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  • "Gut! Dann gehe ich mal schnell schauen, ob Onkel Lucullus wieder gesund ist. Die Götter sind ja sicher schneller als der Cursus Publicus, welcher die Post der Plebeier befördert."


    Und schon rannte Serenus in Richtung Cubiculum von Onkel Lucullus weg.

  • Es blieb nicht viel mehr als Serenus mit dem Blick zu folgen, so eilig war er entschwunden. Aristides war wahrlich zu beneiden um den Jungen, der sich bereits in diesem zarten Alter so pflichtbewusst um seine Familie sorgte. Gracchus streifte die blutbefleckte Toga von seinen Schultern und ließ den Stoff achtlos zu Boden fallen. Sodann verließ auch er den Ort des Geschehens, um sich den übrigen Pflichten zu widmen.


    ~ finis ~

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