• "Iunia wer?", raunte Vala, als Schraubzieris in das Officium von Balbus gestapft kam, um ihm den eingetroffenen Besuch anzukündigen. Er hockte über einer Erntenchronik der prudentischen Güter und konnte sich keinen Reim auf einige Ein- und Ausgänge machen. Balbus hatte vor einiger Zeit milde über ähnliche Ungereimtheiten gelächelt und sie mit lockerer Hand vom Thementisch gefegt, doch Vala wollte sich mit derlei Lösungen nicht zufrieden geben. Ein Räuspern riss ihn zurück in die Wirklichkeit, Schraubzieris stand immernoch da und blickte ihn erwartungsvoll an. Hatte er schon geantwortet? Er wusste es nicht... Vala schob die Tabulae zur Seite, strich seine Tunika glatt und trat hinter dem Schreibtisch hervor.


    "Axilla. Achso...", meinte er mehr zu sich selbst als zu dem Ägypter, dessen Antwort er garnicht mitbekommen hatte, "..hat sie gesagt, was sie will?"
    Natürlich hatte sie das, und Schraubzieris hatte Vala auch davon erzählt. Nur hatte der junge Barbarensohn anscheinend den Kopf so voll mit Zahlen, dass er garnicht mitbekam was man ihm erzählte. Das fiel Vala auch auf, und so entschloss er sich, sich vorher im Balneum noch einen Schlag kaltes Wasser ins Gesicht zu schlagen, bevor er ins Atrium trat. Einer mit einer Schale vorbeieilenden Sklavin entwendete er mit gekonnter Drehung eine Olive, gab der verdattert dreinschauenden Frau einen Klapps auf den Hintern und warf sich die grüne Frucht in den Mund, als er sich den Weg zum Atrium bahnte. Den Kern spuckte er zielsicher in einen der herumstehenden Blumenkübel bevor er ins Atrium trat und sofort in seine öffentliche Rolle verfiel.


    "Werte Iunia.", rief er gekonnt freundlich lächelnd, als er um eine Ecke bog und das Atrium betrat, den Besuch unauffällig, aber gründlich taxierend, "Welch Freude dich hier zu sehen. Du siehst umwerfend aus.. womit habe ich mir deinen Besuch verdient?"


    Erst jetzt fiel Vala auf, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, warum sie ihn besuchen wollte. Mit den Iunii hatte er nicht viel zu tun, auch mit dem Procurator ab epistulis hatte er keinen persönlichen Kontakt, nur ein paar Briefe, die er für Balbus schrieb und überbrachte. Mehr nicht.

  • In ihr Spiegelbild versunken wie Narziss hatte Axilla gar nicht bemerkt, wie Vala nähergekommen war. Sie hörte seine Schritte erst, als er sie auch schon fast ansprach, und konnte ein schreckhaftes Zucken gerade so eben unterdrücken. Sie drehte sich auf dem Absatz herum und verfluchte innerlich den dummen Becher, den sie immernoch in der Hand hielt und hier am Impluvium nirgends abstellen konnte. Ihr Blick glitt ganz kurz zu der Steinbank, wo das Buch lag, das sie jetzt eigentlich viel passender in Händen hätte halten sollen. Aber vorausdenkendes Handeln war noch nie Axillas Stärke gewesen.
    Und trotzdem lächelte Vala sie an und machte ihr ein Kompliment, was Axilla sofort verlegen zurücklächeln ließ und im ersten Moment die vielen, schön einstudierten Sätze, die sie hatte sagen wollen, aus ihrem Gedächtnis tilgte. Wenn es wahr wäre..., dachte sie nur scheu und versuchte, nicht gar zu sehr wie ein scheues Reh auszuschauen. Sie war ja immerhin gekommen, um einen guten Eindruck bei ihm zu machen, da sollte er sie nicht für eine einfältige, hohle Nuss halten.
    “Salve, Vala“, fand sie also ihre Sprache wieder, auch wenn das Lächeln nicht abzustellen war. Sie kam näher zu ihm, blieb aber in gebührlichem Abstand stehen. Sie wollte schließlich nicht, dass er sich wieder von ihr bedrängt fühlte. “Ich wollte mich noch bei dir bedanken. Also, dass du mich nach Hause gebracht hattest, also, vor ein paar Wochen.“ Wann denn sonst, du Schaf?! Komm, benimm dich intelligent!
    Axilla fiel der vermaledeite Becher in ihren Händen wieder auf, und mit einem “Oh“, was nicht unbedingt den Status einer intelligenten Bemerkung verdient hatte, stellte sie ihn rasch auf die nahe Steinbank. “Ich wollte mich ja eigentlich an dem Tag schon bedanken, aber du warst so schnell weg, und ich war ein wenig... ähm... perplex? Also, wegen der Art und Weise..."
    Wenn sie ihn nicht direkt ansah, wie jetzt beim Abstellen des Bechers, ging es besser mit dem Reden. Als sie sich aber wieder zu ihm umdrehte, musste sie seinem Blick wieder leicht ausweichen, aus Angst, zu sehr in seine Augen zu schauen, zu sehr zu lächeln oder schlicht und ergreifend zu offensichtlich verliebt zu sein.
    “Und weil ich nicht wusste, wo du wohnst, konnte ich dir nicht gleich am nächsten Tag danken. Es hat ein wenig... gedauert, das rauszufinden.“
    So ungefähr den Zeitraum, den ein Brief nach Mogontiacum und zurück brauchte, plus minus ein paar Tage, in denen sie Leander herumgescheucht hatte, das Haus zu finden, dass Vala offenbar vermietet hatte, und noch weitere zwei Tage, damit ihr entnervter griechischer Sklave seinen jetzigen Wohnort herausbekam, plus einen weiteren Tag des 'Ich weiß nicht, ob ich mich trauen soll'-ens.

  • "Bedanken?", hob der junge Germane überrascht eine Augenbraue, und sah die Römerin fragend an, "Aber wofür denn? Dass ich dich nach Hause gebracht habe, werte Iunia, war eine Selbstverständlichkeit, die keines Dankes wert wäre. Rom ist eine ebenso große wie gefährliche Stadt, es wäre unverantwortlich gewesen, dich einfach dir selbst zu überlassen."


    Was natürlich komplett gelogen war. Die Entscheidung, die Römerin nach Hause zu bringen war so spontan wie unstet gefallen, hatte er vorher doch lange mit sich selbst gehadert. Er hätte keine Sekunde darüber nachgedacht, wenn er sie einfach dort gelassen hätte wo sie waren, in der gefährlichen Subura. Was dann aus ihr geworden wäre, wäre ihm egal gewesen, und im Endeffekt hatte er die Frau schneller vergessen, als der Grund warum das Zusammentreffen so merkwürdig abgelaufen war.
    Er hatte mit Linos einen ganzen Tag darüber diskutiert, was ihm da eigentlich widerfahren war, und die Ansicht des Griechen, dass sich sein Verhalten irgendwann auszahlen würde, hatte ihm nicht wirklich eingeleuchtet. Jetzt tat sie es.


    "Dann hast du dir richtig Mühe damit gegeben, diesen Dank zu überbringen. Das ehrt dich genauso sehr, wie es mich beschämt. Darf ich dich auf einen kleinen Bissen einladen?" Vala war ein bescheidener Gastgeber. Was vor allem daran lag, dass er diese Rolle nicht gewohnt war.. normalerweise war es immer anderen überlassen, diese Rolle einzunehmen, und dies war sicherlich eins der ersten Male, dass man Vala dazu zwang sich mit ihr anzufreunden.

  • Und allein mit seinen ersten Worten hatte er es geschafft, jedes Lüftchen, das man mit viel gutem Willen als Wind betiteln hätte können, aus Axillas Segel zu nehmen. Das hätte er für jede gemacht? Wirklich? Das war nicht unbedingt das, was sie gerne hören wollte. Und auch nicht, dass sie sich deshalb nicht bedanken sollte. Wie sah denn das dann jetzt aus, dass sie trotzdem da war? Noch dazu mit einem Geschenk. Gut, das Buch hatte er bislang nicht gesehen, das könnte sie vielleicht auch einfach am Gespräch vorbeischummeln und hinterher heimlich wieder mitnehmen, aber das war ja auch doof.
    Soviel zu Plan A, schoss ihr durch den Kopf und überlegte, wie Plan B eigentlich hätte aussehen sollen. Sie glaubte, er hatte nur aus einem einzigen Wort bestanden, das so simpel wie unmöglich war. Improvisieren. Na, wenn's weiter nichts war...


    “Ja, eine Kleinigkeit wäre nicht schlecht. Danke. Aber nicht zu viel, ich muss gleich wieder zur Arbeit.“ Nun, eigentlich musste sie das nicht, aber sie könnte ein wenig nach Archias' Unterlagen schauen. Die hätte sie auch mitnehmen können, in seinem Chaos hätte der Aelier die sicher nicht vermisst, aber naja, so hatte Axilla schon eine gute Ausrede. Abgesehen davon, da sie ohnehin nicht so viel essen wollte. Auch, wenn ihr der Grund für ihre andauernde Übelkeit nun nur zu schmerzlich bekannt war, hatte Axilla sich noch nicht getraut, den Trank, der sie beenden würde, zu nehmen.


    “Naja, soviel Mühe war es auch nicht. Weißt du, ich kenne deinen Vetter, Duccius Rufus. Wir sind einander über den Weg gelaufen, als er in Alexandria war.“ Und als er überfallen worden war und eins auf den Kopf bekommen hatte, hab ich ihn verarztet..., dachte sie noch, sagte es aber nicht. Das klang dann fast so, als wolle wie etwas von Rufus, was ja gar nicht so war. Auch wenn er ihr einen Antrag gemacht hatte, zumindest so einen halben. Und Vala sollte nicht den falschen Eindruck bekommen. Erst recht nicht, wenn er noch hörte, dass Ragin sie mit nach Mogontiacum hatte nehmen wollen und sowas. “Und ich schick ihm regelmäßig eine Kiste mit Farben aus Ägypten für seine Betriebe. Achja, er hat mich gebeten, dich zu bitten, dass du öfter schreiben sollst.“
    Der letzte Satz war Axilla ein wenig peinlich, was man ihr wohl auch ansehen konnte. Aber wenn ein Freund sie um einen Gefallen bat, dann half sie ihm, das war für sie selbstverständlich. Freundschaft und Treue waren schließlich Tugenden, von denen sie wenig genug besaß.
    Bevor sie jetzt noch irgendwo hingingen, um einen Happen zu sich zu nehmen, fiel Axillas Blick aber doch nochmal auf das Buch. Sollte sie... oder sollte sie nicht...? Ach, was soll's, schlimmer kann's ja eigentlich nicht werden...
    “Und natürlich muss ich dir trotzdem danken. Immerhin habe ich dich um eine Lehrstunde gebracht. Politik, nicht?“ Eine etwas holprige Überleitung, aber besser als gar keine. Sie griff schnell nach dem Buch und mühte sich, nicht nervös auf der Unterlippe herumzukauen, als sie es ihm entgegenhielt. “Und deshalb dachte ich, damit kann ich das vielleicht ein wenig wieder gutmachen. Es ist ein Buch über Rhetorik. Von Sokrates.“ Es war zwar von Aristoteles, was auch gleich in den ersten Zeilen stand, wenn man es aufschlug, aber Axilla merkte ihren Versprecher noch nicht einmal. “Es ist in Griechisch und ich dachte, vielleicht gefällt es dir ja.“ Axilla war sich zwar nicht sicher, ob er griechisch konnte, aber er hatte ja einen griechischen Lehrer gehabt. Auf ihre Frage damals hatte er ja nicht geantwortet.

  • Die Sklaven des prudentischen Haushalts waren aufmerksam genug, nach Valas Frage schon zwei Bast-Klinen im Peristylium vorzubereiten, da das Triclinium gerade von den Schreibern des Hausherrn belegt war. Man nickte Vala unmerklich zu, und er lud sie mit einer Geste in das gleich nebenan liegende Säulenzimmer ein: "Wenn du mir bitte folgen möchtest?"


    Sie kannte also Ragin. Vala ließ sich nichts anmerken, als sie ihm eröffnete schon Kontakt zu seiner Familie gehabt zu haben. Anscheinend hatte sie ihm geschrieben, und dass er geantwortet hatte, ließ eigentlich nur einen Schluss zu: "Also hat er diesen Unfall überlebt? Den Göttern sei Dank..." Was schlecht gespielt war. Vala war so an den Tod von Menschen die ihn umgaben gewohnt, dass ihn das Ableben Ragins kaum aus der Bahn geworfen hätte. Er ließ sich auf einer Kline nieder und griff sich eine Olive, die er sich umgehend in den Mund warf, während er ihr zuhörte.


    "Ja, Alexandria war für eine gewisse Zeit lang unser Zweitwohnsitz, so habe ich das Gefühl. Das, was man mir von dort erzählte reicht mir, um es zu einem Ort zu erklären an dem ich mich nicht unbedingt wohlfühlen würde. War eure Beziehung nur geschäftlicher Natur? Na, würde mich nicht wundern... meine Familie gehört, aus welchem Grund auch immer, zu den aktiveren Händlern, die ihre Verbindungen im ganzen Reich haben. Marmor aus Norricum, Pferde aus Mogontiacum, Farben aus Alexandria, Gold aus Magna, Öl aus Hispania, Gewürze aus Africa.", palaverte Vala ein wenig aus dem Nähkästchen, einfach um nicht darüber nachdenken zu müssen was bei ihrem letzten Treffen geschehen war. Jedoch ließ Axilla ihm keine Chance, und hielt ihm ein Buch unter die Nase, weil sie ihn und Linos gestört hatte.


    "Na, eigentlich warst du ja nicht schuld..", verlor Vala ein wenig die Contenance, von dem Geschenk kalt erwischt, "..ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann. Darf. Immerhin war es eine Situation, die auf meinen Mist gewachsen ist... Sokrates, sagst du? Dabei ist mein griechisch doch... eh... also... Danke."

  • Natürlich folgte Axilla ihm. Sie wär ihm wohl so ziemlich überall hingefolgt, wenn er sie gebeten hätte. Sie war ja schon die ganze Zeit sehr bemüht, den Abstand zwischen ihnen beiden nicht zu verkleinern, ihn nicht anhimmelnd anzuschauen und auch sonst sich nicht so zu benehmen, wie sie es eigentlich am liebsten getan hätte. Es war gar nicht so einfach. Was sie am meisten noch davon abhielt, ihre Selbstbeherrschung fallen zu lassen, war die Angst, dass er wieder wütend auf sie sein könnte und es alles andere als charmant finden würde.


    “Ja, hat er. Aber ich weiß gar nicht so genau, was geschehen ist. Er hat geschrieben, er sei vom Pferd gefallen?“ Axilla schaute kurz fragend zu Vala hinüber, nur um seinem Blick gleich darauf auszuweichen. Vor allem, als er sie nach Rufus fragte.
    “Naja, nicht rein geschäftlich. Er ist ein netter Kerl, wir haben uns viel unterhalten. Er hat sich ja mit meinem damaligen Chef, dem Gymnasiarchos, angefreundet. Und naja, da haben wir uns natürlich öfter gesehen und unterhalten.“
    Verdammt, ich will doch gar nicht über Rufus reden... Axilla versuchte, aus seinen Worten noch irgendwas herauszuziehen, was sie zu einem unverfänglichen Themenwechsel machen könnte. Immerhin sollte er unter gar keinen Umständen den Eindruck gewinnen, sie wolle irgendwas von seinem Vetter. Das wollte sie nämlich ganz definitiv nicht.
    “Das klingt aber so, als ob du nicht Teil davon wärst. Also, von den Geschäften deiner Familie.“ Wie genau Axilla zu diesem Eindruck gekommen war, wusste sie nicht zu sagen. Vielleicht einfach nur die Wortstellung, wie er sagte, dass 'seine Familie' das machte, und nicht einfach 'wir'. Vielleicht auch, weil Axilla in ihm einfach den Krieger sah und nicht einen Händler. Vielleicht war sie auch deshalb direkter zu ihm, als es eigentlich höflich gewesen wäre, denn ihre unschuldig dahingesagten Worte konnte man auch böswillig anders interpretieren.


    Aber zum Glück nahm er das Buch an, und mit einem erleichterten Lächeln setzte Axilla sich auf eine der Klinen. Im ersten Moment zog sie instinktiv die Beine hoch, um sie wie immer auf der Sitzfläche abzustellen und mit angewinkelten Beinen dazusitzen, aber sie merkte es in der Bewegung und versuchte, ihr Gebahren zu retten, indem sie die Beine damenhaft übereinanderschlug.
    “Natürlich darfst du es annehmen. Ich freue mich, dass du es tust. Aber wieso ist die Situation auf deinem Mist gewachsen?“ So ganz verstand Axilla nicht, was er damit meinte. Es war doch nicht seine Schuld gewesen, dass seine Politikstunde ausgefallen war, sondern ihre.

  • "Er ist von seinem Pferd abgeworfen worden, soweit ich weiß. Die Nornen hatten wohl einen guten Tag, sie haben seinen Faden nicht durchtrennt.", fasste Vala knapp zusammen was er wusste. Er goss sich selbst einen Becher mit Wasser ein, blieb er tagsüber doch dem Alkohol fern, und proteste der Römerin kurz zu, "Das kann man auch ruhig so betrachten. Auf dem Papier besitze ich eigene Betriebe, einen Gewürzhändler, einen Fleischer und auf meinen Namen werden die Forste meiner Familie bewirtschaftet. Allerdings bekomme ich nur von dem Geld etwas zu sehen, das mir regelmäßig übersandt wird. Das geschäftliche erledigt man in dem Handelskonsortium, das meiner Sippe gehört. Dafür vertrete ich die Interessen meiner Sippe hier in Rom, was mir auch schon an Arbeit genug ist."
    Vala betrachtete seine Besucherin eingehender.. für nötig halten, ihr das Verhältnis zu seiner Familie zu erörtern tat er nicht. Warum auch? Nur weil sie Ragin kannte?


    "Nun..", begann Vala, der sich vorstellte wie die ganze Situation eigentlich ins Rollen gekommen war, und unweigerlich sank sein Blick ein Stück weit ihren Körper hinab, als er sich entsann was ihn damals an ihr so gepackt hatte. Sie war eine durchaus betrachtenswerte Frau, das war nicht zu leugnen.. und sie wich seinem Blick aus. Irgendwie schien er zum ersten Mal zu erkennen, hier eine Frau vor sich zu haben, und in seinem Gedanken formten sich eindeutig männliche Vorstellungen, die sich eine halbe Sekunde lang auch in seinem Blick manifestierten. Im nächsten Moment packte ihn seine Selbstbeherrschung wieder am Schopf, und der chalante Gastgeberblick eroberte sich seine Augen zurück: "Na, lassen wir das. Beschäftigst du dich viel mit der griechischen Paedagogik? Erscheint mir recht untypisch für eine Frau Roms."

  • Bei ein paar Worten musste Axilla etwas aufhorchen. Nornen... er meinte wohl die Parzen. Seine Beschreibung mit dem Lebensfaden hörte sich zumindest so an. Sie wusste, dass die Griechen die Schicksalsmächte auch kannten und sie Moiren nannten. Dass die Germanen aber auch ein Äquivalent hatten, hatte sie nicht gewusst.
    Das Wort 'Sippe' kannte Axilla schon, Rufus hatte es auch benutzt, wenn er von seiner gens geredet hatte. Sie versuchte, dem ganzen zu folgen, verstand aber nicht alles. Offenbar gehörten ihm ein paar Betriebe, aber nur auf dem Papier. “Naja, das meiste macht bei mir auch mein Verwalter. Von der Arbeit an sich hab ich ja auch viel zu wenig Ahnung, da will ich ihm gar nicht reinreden“, gestand Axilla.


    Sie bemerkte seinen Blick und war bemüht, unauffällig nirgendwohin zu schauen. Wieso schaute er sie so an? War das gut, oder doch eher schlecht? Vielleicht sah sie ja albern aus, so zurechtgemacht und zurechtgezupft wie ein Püppchen. Oder sie gefiel ihm wirklich, das konnte auch sein. Kurz schaute Axilla heimlich zu ihm herüber und meinte, etwas in seinem Blick zu sehen, aber es war nur flüchtig, und nicht genug, um sich darauf zu verlassen. Axilla hatte nicht den Mut, offensiver vorzugehen. Vala hatte sie wegen eines Fehltrittes bei dem Spaziergang scharf zurecht gewiesen, diesen Fehler wollte sie kein zweites Mal begehen.
    “Nein, eigentlich nicht so viel. Mein Lehrer hat zwar versucht, mir viel beizubringen, aber er meinte, ich würde mich zu leicht ablenken lassen.“
    Schau nicht auf die Eichhörnchen, schau hier hin! Die müssen keine Mathematik lernen, sondern du! Wobei ich glaube, dass die inzwischen mehr verstehen, konnte sie die Stimme von Iason in ihren Gedanken hören. Kein Eindruck von ihrem Lehrer war so lebendig in ihrer Erinnerung wie die, wenn er verzweifelt die Arme hochgeworfen und verzweifelt ein kleines Gebet an den einen oder anderen Gott ausgestoßen hatte.
    “Aber in Alexandria lernt man zwangsläufig das eine oder andere. Ich war Scriba beim Gymnasiarchos, der auch noch Philosoph am Museion war. Für Rhetorik und Latein, das hat er gelehrt. Und wenn man dann ein paar Vorträge und Diskussionen zwangsläufig mithört, lernt man das ein oder andere.“
    Das ein oder andere hatte Axilla sicher gelernt, und sie hatte auch bestimmt viel mehr aus ihrer Kindheit behalten, als ihr bewusst war. Nur sie brauchte dieses Wissen nie, folglich rief ihr Gedächtnis es auch nie ab. Und Axilla war nicht so veranlagt, mit dem, was sie konnte und wusste, zu protzen. Nur ab und an, wenn man sie an ihrem stolz packte, brach es aus ihr heraus, aber sonst war sie eher bescheiden.
    “Aber ich glaube, dass kann man keine aktive Beschäftigung nennen. Wenn ich ehrlich bin, das Buch da war so ziemlich das erste Werk, in dem es nur um Theorie geht, was ich freiwillig gelesen habe.“
    Axilla wusste gar nicht, warum sie ihm das so ehrlich erzählte. Sie wollte doch einen guten Eindruck machen! Hätte sie nicht einfach lügen, ihm etwas vorschwindeln und sich so interessanter machen können? Aber vielleicht konnte sie ja noch etwas retten. “Aber es ist sehr interessant. Also, nicht nur das, sondern die ganze Politik hier. Ich habe mich ja nie so sehr damit beschäftigt, wenn ich ehrlich bin, aber wenn man hier in Rom ist und nicht blindlings durch die Welt laufen will, sollte man das vielleicht, oder? Ich meine, man muss ja verstehen, wie etwas funktioniert. Also, wenn man eine Taktik machen will. Ähm, ich meine, falls man etwas besser machen will, oder sich Gedanken darüber machen will, etwas besser zu machen.“
    Taktik? Wie kam sie denn jetzt auf Taktik? Das hier war doch kein Schlachtfeld, wo man Taktiken und Schlachtpläne aufstellte. Überhaupt, wenn sie so redete, würde Vala sie sicher auslachen. Wer glaubte schon, dass jemand wie sie, der noch nie einen Menschen getötet hatte, etwas von Taktiken und Kriegen verstehen würde? Das glaubte sie ja noch nicht einmal wirklich selbst.
    Sie versteckte ihre Gedanken, die sich sicher in ihrem Gesicht abspielen würden, hinter einem charmantem Lächeln und dem Griff nach einer Olive auf dem Tisch. Wenn sie den Trank genommen haben würde, würde der Heißhunger auf die öligen Früchte wohl auch endlich vergehen.

  • Ein gewinnendes Lächeln aufsetzend, faltete Vala die Hände und lehnte sich seitwärts auf das hohe Ende der Kline während er ihr zuhörte.
    "Dass du überhaupt einen Lehrer gehabt hast, finde ich außerordentlich bemerkenswert. Das macht dich in gewissen Maße besonders, wenn ich das so sagen darf. Oder du musst mich korrigieren, wenn ich damit falsch liege daran zu denken, dass gebildete Frauen eher eine Ausnahme darstellen. Auch als Scriba. Ich weiß wovon ich rede.. meine Tante Dagmar war eine der höchsten Beamten in der germanischen Provinz, meine Mutter selbst auch. Man kann sagen, dass ich mit gebildeten Frauen aufgewachsen bin.. umso sonderbarer erscheint es mir, wenn ich erfahre, dass dies durchaus die Ausnahme zu sein scheint."


    Als sie von der Politik zu sprechen begann, überbrückte Vala die Zeit mit einem Stück trockenen Kümmelbrots. Er hatte in letzter Zeit seine Ernährung komplett umstellen müssen, der Überfluss machte ihn anfällig, und Enthaltsamkeit war nach Linus Worten der Schlüssel zu einem gesunden Körper, und in einem gesunden Körper wohnte auch ein gesunder Geist.


    "Wenn du meinst...", lächelte er wieder, als sie ihre schon etwas verworrenen Ausführungen abschloss, "..ich muss zugeben das ganz ähnlich zu sehen. Rom ist ein Spielfeld, auf dem man viel erreichen kann, aber ebenso schnell untergehen. Vollkommen anders als das, was ich bisher kannte... Mogontiacum ist ein Schafsstall im Vergleich zu Rom."
    Vala schweifte einen Moment lang mit seinem Blick ab, als er daran dachte, was er gerade eigentlich gesagt hatte: ein Schafsstall. Rom war die Stadt des Wolfs. Des Wappentiers seiner Sippe. ER war ein Wolf. Das war ein Zeichen.
    "Wunderbar..."

  • Axilla fand ihren Lehrer jetzt nicht so außergewöhnlich bemerkenswert. Allerdings kannte sie es ja auch nicht anders, und sie wusste ja auch, dass es viele Familien gab, bei denen sich nicht die Mühe gemacht wurde, den Mädchen mehr als Weben, Sticken und ein paar Kniffe zur Kindererziehung mit auf den Weg zu geben.
    “Naja, mein Vater hielt es für wichtig, dass seine Tochter mal mehr können würde als nähen und weben.“ Was zwei Dinge waren, die sie eher nicht konnte. Im Prinzip wusste sie, wie es funktionierte. Wie es hinterher aussah, wenn sie es tat, war da eine ganz andere Sache. Kleidung, die von ihr selbst gewebt wurde, würde wohl augenblicklich wieder außeinanderfallen oder bei jeder Bewegung Risse und Löcher bekommen. “Aber vielleicht hat er mich auch etwas verwöhnt, weil ich sein einziges Kind war.“ Axilla zuckte mit den Schultern. Ihre Gedanken drohten, sich einzutrüben, und sie nahm schnell noch ein bisschen Brot. Wenn sie sich ablenkte, war es einfacher. Und zum Glück konnte Vala das auch recht gut.


    “Ich kenne Mogontiacum nicht. Ich kenne nur das Land um Tarraco, und das ist... ganz anders. Und Alexandria ist auch anders als Rom. Viel... ich weiß nicht, bunter, verspielter, leichter. Vielleicht wie ein Käfig mit Vögeln?“ Axilla wusste nicht, wie man die südliche Provinz beschreiben sollte. Sie hatte inzwischen schon gehört, dass die Römer meist Ägypten als mystisches Wunderland verklärten, in dem jeden Tag Opiumfeste gehalten wurden und alle Bewohner in ständiger Trance herumwandelten. So oder so ähnlich. Im Vergleich zu Rom mochte das sogar vielleicht gelten, Axilla kam hier alles doch sehr geradlinig und streng vor. Kaum mal etwas, was gefühlsmäßig herausragend wurde. Selbst der Dienst an den Göttern war in Alexandria viel freier und verspielter, was man schon allein am Paneion nur allzu deutlich vor Augen geführt bekam.
    Was er mit dem 'wunderbar' meinte, verstand Axilla aber nicht so ganz, und im ersten Moment nahm sie an, er meinte sie damit. Etwas verunsichert sah sie ihm wohl zum ersten Mal bei diesem Besuch etwas länger verwirrt in die Augen. Sie traute sich nicht, nachzufragen, aber ihre Verwirrung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Zumindest einen Moment lang, dann versuchte sie, es zu überspielen.
    “Hast du denn vor, hier viel zu erreichen? Wenn deine weiblichen Verwandten schon zu so großen Ehren gekommen sind, wirst du sie doch sicher übertreffen.“ Axilla versuchte, nicht zu schwärmerisch zu klingen, aber sie glaubte, dass Vala sicher viel erreichen würde. Sie konnte ihn gar nicht anders sehen, als als Kämpfer. Und als solcher würde er ein sich gestecktes Ziel verfolgen, bis er es erreicht hatte. Sie mochte damit völlig verkehrt liegen, immerhin kannte sie ihn gar nicht, aber sie wollte einfach, dass es so war. Also dachte sie über andere Möglichkeiten gar nicht erst nach.

  • "Ich denke wir ergänzen uns ganz gut, was Wissen und Unwissen über die Ländereien des Imperium angeht.", schmunzelte Vala, den die Erzählungen seines Vaters immer in Erstaunen versetzt haben, war dieser doch schließlich im Imperium weit herumgekommen, "Allerdings muss ich zugeben, dass sich mein Interesse an fernen Ländern ziemlich in Grenzen hält. Ich durfte vor kurzer Zeit noch feststellen, dass nicht wenige eine eigentümliche Beziehung zu fernen Ländern pflegen. Für mich ist eine Reise auch immer ein Risiko. Ein großes Risiko." Dabei dachte der junge Germane vor allem an seine Gens. Für nicht wenige hatte es den sicheren Tod bedeutet, das Stammesland zu verlassen, und für einige hatte es das gleiche bedeutet, dorthin zurück zu kehren. Man konnte durchaus behaupten, er und seine Sippe hätten ein Problem damit, fremde Erde zu betreten, denn jedes Mal blickte irgendjemand dem Tod ins Auge.


    "Das werde ich.", erklärte Vala in einem Tonfall, als hätte er gerade erklärt dass Wasser nass sei, nachdem ihn die Bemerkung der jungen Römerin ins Hier und Wirdnoch zurückgeholt hatte. Für ihn bestand garkein Zweifel daran, dass er weit kommen würde, wenn die Götter ihn nur ließen.

  • Sie ergänzten sich gut? Hatte er das grade wirklich gesagt? Und meinte er das auch so? Axillas Herz klopfte aufgeregt, und sie versuchte, es zu beruhigen, sich auf diesen Satz nicht zu viel einzubilden. Vielleicht meinte er ja wirklich nur, dass sie genau aus den entgegengesetzten Teilen der Welt kamen und weiter gar nichts. Aber... das war doch schonmal ein Anfang! So konnte man sich doch schonmal ein wenig unterhalten und austauschen und... nein, sie sollte nicht zu vorschnell sein.
    Risiko, genau, Risiko, da konnte sie anknüpfen. Irgendwas sagen, etwas intelligenteres als das bisher. Komm schon Axilla, himmel ihn nicht einfach nur an, sag was. “Aber findest du nicht, dass manche Reisen das Risiko wert sind? Ich meine, es gibt vieles, woran man auf einer Reise sterben kann. Allein schon die ganzen Überfälle, oder die Schiffe, die sinken. Aber wenn nie jemand reisen würde, dann bestünde das Imperium ja immernoch nur aus dieser Stadt. Oder wäre gar nicht erst entstanden, Aeneas kam ja aus Troja.“ Wenn man mal von dieser Gründungssage ausging, dann lag den Römern das Reisen in unbekannte Gestade wohl irgendwie im Blut. “Oder Alexander, der bis nach Indien gekommen ist, auf den Spuren von Hercules und Dionysos.“ Da der griechische Gott des Weines nicht ganz dem Liber Pater der Römer entsprach, dachte Axilla gar nicht so genau darüber nach, dass sie seinen griechischen Namen verwandt hatte. “Also, ich finde, manche Reisen sind das Risiko durchaus wert, für die Ehre und den Ruhm.“
    Sie sah Vala ganz ruhig an, bis sie realisierte, dass sie ihm gerade widersprochen hatte. Verdammt, das wollte sie doch gar nicht! Man konnte wohl kurz in ihren Augen lesen, wie sie nach den richtigen Worten suchte. “Also, ich meine, jetzt so prinzipiell und theoretisch. So persönlich und nur für mich... also, ich muss ja nirgends wichtiges hin, und... ich bin ja auch niemand so … bedeutendes....“ Verdammt, warum konnte sie nicht einfach schweigen? Si tacuisses, philosophus manisses. Hättest du geschwiegen, wärst du ein Weiser geblieben. Aber nein, sie musste ja ihre unwichtige Meinung kundtun!


    Da halt auch nicht, dass er so selbstsicher und souverän auf ihre andere Frage geantwortet hatte. Er würde seine weiblichen Verwandten übertreffen, und Axilla glaubte ihm. Aber das machte das ganze ja noch viel schlimmer, immerhin hatte sie gerade konstatiert, dass wichtige Männer auch reisen würden, weil es das Risiko wert sei. Wenn er folglich nicht reisen wollte, implizierte das doch, er sei unwichtig! Ich und meine große Klappe. Verdammt, Axilla!
    Sie brauchte irgendwas, wohin sie sich thematisch flüchten konnte. Etwas unverfängliches, etwas, das ablenken würde, etwas....
    “War dir dein Lehrer eigentlich sehr böse, dass du ihn weggeschickt hast?“
    Eine Millisekunde, nachdem der Satz gefallen war, bereute Axilla ihn schon wieder, aber etwas besseres war ihr nicht eingefallen, um abzulenken und das Thema von ihr und ihren Ansichten mehr zu ihm und seinen Ansichten zu lenken.

  • "Manche Reisen?", zog Vala kritisch eine Augenbraue hoch, und versuchte nachzuvollziehen wie sie das gemeint haben konnte. Im Diskurs fiel ihm garnicht auf, dass sie ihn zuschwafelte. Auf jedes seiner Worte kamen fünf von ihr. Allerdings war Vala das auch gewohnt, er kannte es garnicht anders. So Klischeehaft man das sehen mochte, so war es auch gewesen: die Erzählungen seiner Mutter von den Stämmen, der Geschichte ihrer Sippe und den vielen Dingen über das römische Reich. Er hatte immer nur dagehockt und zugehört während ihm seine Glieder schmerzten, denn was sein Vater nicht gesagt hatte, das hatte er durch Schläge mit dem Stock oder dem Holzschwert wieder wettgemacht.


    "Das was du meinst, würde ich nicht reisen nennen. Die Geschichte des Imperiums ist eine Geschichte der Feldzüge gegen militärische Aggressoren und politische Feinde. Annaeas war ein auf allen Bereichen geschlagener Herrscher, der um sein Leben floh. Und Alexander ist nicht Herkules oder Dionysos gefolgt, sondern Dareios in der festen Absicht diesen umzubringen um seiner Herrschaft Sicherheit und Macht zu verleihen.", konstatierte Vala eine Spur zu hart. In diesem Moment war klar, dass der junge Germane nicht das geringste für lyrische Verklärung der Dinge übrig hatte, die seiner Meinung nach das menschliche Miteinander prägten: Macht, Sicherheit und Gewalt.
    Als sie ihm mit Ruhm und Ehre kam, konnte Vala nicht umhin leicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Ein Fauxpax, den er zu spät registrierte um ihn noch verhindern zu können.


    "Ehre. Ruhm.", grummelte Vala, der sich wieder mehr über sicht selbst ärgerte als über das gesagte. Er stellte mal wieder fest, dass sein Temperament sich nicht in allen Punkten mit der von seinem griechischen Lehrer gepredigten ratio vereinbaren ließ.
    "Was kümmerts die Toten, ob sie schlafen oder wieder auferstehen?", zitierte er Aischylos, und versuchte sich damit an einer literarischen Umschreibung seiner durch und durch nüchternen Weltsicht. Sonst hätte er ihr wahrscheinlich vor die Füße werfen müssen, dass er für diese Ehren- und Ruhmsache wenig über hatte. Für ihn waren das Mittel, um die einfachen Geister zu Dingen zu bewegen, die sie in ihrer Begrenztheit sonst kaum gewagt hätten.


    "Natürlich war er das. Aber es gibt Dinge, die er hinnehmen muss. Und es gibt Dinge, die ich hinnehmen muss. Er hat es überlebt."

  • Verdammt, sie hatte es versaut. Während sie Vala aufmerksam zuhörte, wusste Axilla, sie hatte es versaut. Gründlich versaut. Selbst ihr Versuch, das Thema zu wechseln, war nicht gerade ruhmreich vonstatten gegangen. Axilla schaute etwas geknickt auf den Tisch, überlegte, wie sie es doch noch retten könnte. Wie sie es vielleicht doch noch so hinbiegen könnte, damit sie ihm gefiel. Sie wollte ihm ja so unbedingt gefallen.
    Aber als er dann die Ehre der Toten in frage stellte, rührte sich etwas in ihr, und sie sah kurz auf. Natürlich versuchte sie zu verbergen, dass er sie damit kurz erwischt hatte, dass es sie reizte, darauf zu antworten. Sie sollte ja nicht vorschnell sein, und schon gar nicht frech. Sie wollte doch so lieb und ruhig und brav und gut sein wie ihre Cousine. Edel, nobel, wie ein Mann sich seine Frau eben wünschte. Sie holte kurz Luft, um etwas zu sagen, aber sie wusste nicht, was. Es gab nichts zu sagen, was das gesagte ungeschehen machen würde. Und sie wusste nicht, was sie sagen sollte, damit er sich nicht mehr ärgerte.
    Ehre, Ruhm... bei ihm klang es, als wäre das etwas schlechtes! Aber das war es nicht! Nein, das war es nicht. Axilla schaute noch immer auf den Tisch. Ruhig, lieb... war sie das? Für ihn wollte sie es sein, aber war sie das?
    “Dareios war tot, lange bevor Alexander nach Indien kam. Ermordet von seinem eigenen Verwandten, Bessos. Um ihn zu fangen und zu besiegen hat er vielleicht Persien eingenommen, um seinen Mord zu rächen dann Medien und Baktrien. Aber nach Indien zu gehen, dafür gab es außer der Ehre keinen triftigen Grund.“
    So, wenn sie es schon mit ihm versaute, sollte er sie wenigstens nicht für ein einfältiges Huhn halten. Und das mit der Ehre wollte sie nicht so auf sich sitzen lassen.
    “Er hätte sein Imperium, dass er nach Bessos' Kreuzigung hatte, in Ruhe befestigen und ausbauen können, hätte von Babylon oder auch von Pella aus. Wahrscheinlich wäre das sogar klüger gewesen, denn seine Leute wollten heim, was sich auch daran zeigte, dass es in Indien einige Aufwiegler gab, die Alexander hinrichten musste, ehe er seinen Feldzug fortsetzen konnte. Bestimmt sogar wäre er dennoch in die Geschichte eingegangen mit seinen Heldentaten.
    Und dennoch entschied er sich für den Weg der Helden, die er verehrte. Auch Achill wurde vorhergesagt, ginge er nach Troja, würde nur sein Ruhm überleben, er aber nicht. Ich weiß nicht, ob Alexander ebensolche Prophezeiungen für sich hatte, wo er doch dem Griechischen Heroen so nacheiferte. Ob er wusste, dass er jung sterben würde, oder ob ihn nur sein Ehrgeiz dazu trieb. Aber ihm war es das wert, nur für die Ehre.“

    Ihr Vater hatte ihr Stunden, achwas, nächtelang von Alexander erzählt, von seinen Schlachten, seinen Wegen, seinen Worten. Axilla hatte wohl kein Buch so oft gelesen wie das des Plutarch über Alexander. Und so sprach sie auch mit jugendlichem Eifer einfach immer weiter, ohne über die Genauigkeit ihrer Argumente nachzudenken. Sie war nunmal kein Redner – und hätte wohl das Buch, das sie Vala geschenkt hatte, selber mal gründlich lesen sollen – sondern eher ein leidenschaftlicher Verfechter ihrer Idealvorstellungen. Aber da konnte sie auch nicht aus ihrer Haut.
    “Und ich denke, dass es die Toten sehr wohl kümmert, ob sie in Ehren gehalten werden oder nicht.
    Wenn man sein Geld verliert, verliert man wenig. Verliert man sein Heim, verliert man mehr. Verliert man den Mut, verliert man viel. Verliert man die Ehre, verliert man alles. Ohne Ehre, was ist man denn dann noch? Was bleibt den Toten denn, außer ihre Ehre? Warum wollen Männer dann Söhne haben, die ihren Namen weitertragen?“

    Ein wenig in Schutzhaltung, weil sie schon eine heftige Reaktion erwartete, zog Axilla nun doch die Knie an, stellte die Füße auf den Rand der Kline und hielt mit einem Arm ganz leicht die Beine umschlungen, während ihr Kopf fast schon ruhig auf den Knien ruhte. Sie wollte ja eigentlich gar nicht so viel reden, aber sie konnte einfach nicht aufhören.
    “Ehre und Ruhm sind vielleicht schlechte Ratgeber, weil sie einen zu Dingen treiben, die schlecht für einen sind. Aber trotzdem finde ich sie sehr wichtig.“

  • Sie widersprach. Und überraschte Vala damit vollkommen unvorbereitet. Hatte man ihm nicht erzählt, dass die römischen Frauen eher fügsam und nachgiebig waren? Natürlich hatte man das... zuhause im Kreise der Männer der Gens war es ein laufender Witz, wenn man die Frauen des Hauses mit den römischen Heimchen verglich. Und jetzt hockte er hier, in einem Moment noch mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, im anderen von dieser Frau auf eine Art und Weise zurechtgewiesen, die er von einer Frau der Stämme erwartet hätte, doch nicht hier in der ewigen Stadt!


    "Ist das dein Ernst?", blinzelte er einen Moment lang verwirrt, bis er sich wieder fing, und sich genau dort wiederfand, wo er sich am besten auskannte: auf einem Schlachtfeld. Ob mit dem Speer oder dem Wort, Vala genoss es sich zu prügeln. Ein Kräftemessen hatte es schon zu lange nicht gegeben, eigentlich seitdem er Mogontiacum verlassen hatte, und es fehlte ihm. Also warf er sich in diese Auseinandersetzung wie ein hungriger Wolf auf das lahmende Kalb: "Das ist dein Ernst! Wie kann man nur so reden? Zwischen den Zeilen lesen ist nicht so das deine, Frau, oder? Was man später als Frage der Ehre und dem Streben nach Ruhm verklärt hat, ist nichts anderes als knallhartes Segeln im Sturm der politischen Realität! Alexanders hatte es genau wievielen Völkern recht zu machen? Das waren nicht zehn, oder zwanzig, es waren ZWEIHUNDERT! Hätte er Bassos Angebot einer Auslieferung angenommen hätte er sich selbst unglaubwürdig gemacht und sein Streben nach Souveränität, er war immerhin kaum älter als zwanzig Winter, selbst in Frage gestellt! Er MUSSTE Baktrien und Medien erobern, und schließlich nach Indien um die marodierenden Völker dieses fernen Kontinents davon zu überzeugen dass ein Angriff auf seinen Herrschaftsbereich eine enorm schlechte Idee war, und zudem war seine Herrschaft auf militärischem Erfolg aufgebaut, wie sollte er sich selbst legitimieren wenn es niemanden mehr zu besiegen gab? Und DAS war seine Schwachstelle: Alexander war vielleicht ein großer Feldherr, aber ein fähiger Regent wie Phillip? Niemals. Achilles. Geht es vielleicht noch ein wenig unrealistischer? Je größer man ist, desto mehr Mittel braucht es um die eigene Herrschaft zu sichern, und die militärische Idee ist die einzige die Alexander wirklich eingefallen ist. Ich bitte dich, was soll sowas?"
    Sein Tonfall war schneidend, seine Augen blitzten angriffslustig, aber er lächelte. Er hatte Spaß. Bei den Göttern, wie hatte er das vermisst? Wie hatte er sich darauf GEFREUT! Und jetzt kam es, das sein erster Gegner in Rom eine Frau war, die den Träumen der Erzählung nachhing. Aber was sollte es? Ein wenig Übung konnte nicht schaden, und bevor er einen wirklichen Gegner in die Knie zwang, konnte er an der hier noch ein wenig üben. Er warf sich eine Olive in den Mund während er ihren Ausführungen lauschte, und kam nicht umhin sie ein Stück zu bemitleiden. Sie war vollkommen in dieser Phantasiewelt gefangen, die die Römer zur Verklärung ihrer Vergangenheit erfunden hatten. Vala verwettete seinen Arsch darauf: den Göttern war letztendlich egal wer was weswegen tat. Es ging ihnen nur um das WAS. Das WARUM war egal. Nur den Menschen nicht.


    "Die Toten sind tot. Ob nun in Valhall oder im Orcus, es zählt WAS man getan hat. Nicht das WARUM. Dem Fährmann ist es egal ob man in Ehre geherrscht oder in Schande geherrscht hat. Das Ergebnis ist das gleiche: man hat geherrscht. Hilfst du einem Bettler, weil dir die Tat Ehre verschafft, oder hilfst du ihm, damit er einen Schritt weiter gehen kann? Ein Sohn trägt den Namen seines Vaters aus Tradition. Und weil er das Werk seiner Sippe und seines Vaters weiterführen und vollenden kann. Das hat mit Ehre nichts zu tun.", er schüttelte den Kopf, nahm einen Schluck Wasser und sah sie lächelnd an. Sie war naiv, das war klar, aber es machte Spaß.


    "Ehre und Ruhm sind garkeine Ratgeber. Sie sind Konstrukte, um den einfachen Pöbel zu Dingen zu treiben, die ein größerer Geist als nützlich und fördernd erachtet. Und selbst das greift nicht immer. Kein Soldat ergreift das Schwert nur weil ihm jemand Ehre und Ruhm versprochen hat. Die Legionen sind voll davon, Leute, die ihr Brot verdienen und am Ende ihrer Dienstzeit ihren Kindern eine sichere Basis bieten wollen. Ehre und Ruhm sind Dinge, um die Geschichte zu erzählen weil sich 'Sie zogen aus und schlugen ihre Feinde tot damit sie auf ihrem Ackerland ihre Frauen schänden konnten.' doch ziemlich plump anhört. Es verklärt. Nichts anderes."

  • Im ersten Moment, als er sie fragte, ob es ihr Ernst war, zuckte Axilla ganz leicht zusammen. Sie fühlte sich schuldig, weil sie ihre Meinung nicht für sich behalten hatte, und war sich ja auch im klaren, dass das das kleine Pflänzchen, das ihre Bekanntschaft war, ganz derbe zertrampeln konnte. Und sie wollte ihm doch eigentlich gefallen. So kaute sie sich etwas verlegen auf der Unterlippe herum und suchte shcon nach den passenden Worten für eine Entschuldigung, als Vala auf einmal anfing zu Argumentieren. Und wie! Kein Argument, nichts ließ er gelten! Alles hebelte er einfach aus und wischte es beiseite. Und er stellte Axilla selbst dabei in Frage.
    Und je länger Axilla ihm zuhörte, umso mehr verflog das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen und machte einer anderen allzu menschlichen Regung Platz: Ärger. Was glaubte der denn, wie er mit ihr reden konnte? Zwischen den Zeilen zu lesen war nicht ihre Stärke? Nun, das stimmte, aber in punkto Höflichkeit hatte er auch einigen Nachholbedarf. Aber das ließ Axilla so sicher nicht auf sich sitzen. Ganz bestimmt nicht! Wie konnte man nur so gegen die Ehre, gegen die Tugenden an sich ja fast schon, wie konnte man SO argumentieren? Das konnte nicht sein Ernst sein.
    “Alexander wäre nur deshalb unglaubwürdig vor seinen Männern dagestanden, da es unehrenhaft gewesen wäre, dieses Angebot anzunehmen. Dareios war König und kein dahergelaufener Wilder. Und wichtiger noch, er war Gast bei seinem Vetter Bessos. Als wäre es nicht schon schändlich genug, einen verwandten zu meucheln, einen Gast zu meucheln ist noch um vieles schlimmer. Es gibt kein Volk, dass nicht die Gesetze der Gastfreundschaft kennt und daher hätte kein Volk es als ehrenhaft angesehen, wenn er sich mit Bessos auf diesen Handel eingelassen hätte. Und es war die gerechte Strafe, dass er dafür, dass er einen Gast unter seinem Dach hat ermorden lassen am Kreuz gehangen ist in der Stadt, in der er diesen Frevel begangen hat.“
    So, sie atmete einmal durch, um mehr Luft zu haben. So argumentiert hatte sie nicht mehr seit... sie wusste nicht, wann sie überhaupt schonmal so sich wegen etwas echauffiert hatte.
    “Und Alexander war ein großer Herrscher, der wahrscheinlich weitreichender geblickt hat, als sein Vater es geträumt hätte. Die Stämme Griechenlands waren andauernd miteinander im Krieg, obwohl sie ja eigentlich demselben Volk angehörten mit denselben Göttern und denselben Geschichten. Makedonien wäre nur ein kleiner Fleck auf der Landkarte gewesen, vielleicht sogar früher oder später ein Vasall von Athen oder Sparta. Es war brillant von Alexander, zunächst die Griechen zu einen, wennauch mit Gewalt, um sie dann gegen einen so alten Feind wie Persien zu führen. Seit ewigen Zeiten nahm das Persische Reich Einfluss auf die griechischen Stadtstaaten. Man denke allein an die Schlacht von Leonidas an den Thermophylen, oder auf dem Feld von Marathon. Die Griechen hatten allen Grund, diese Ehrverletzung, die ihnen von den Persern immer wieder zugefügt wurden, rächen zu wollen. Und es war politisch absolut richtig, die geballte, vereinte Kraft Griechenlands unter einer Herrschaft gegen diesen alten, äußeren Feind einzusetzen. Und die Männer sind ihm gefolgt, bereitwillig, eben um die Ehre ihrer Heimat diesem Feind gegenüber ein für allemal wieder herzustellen. Nicht wegen ihren Geldbeuteln oder dem Brot, was sie als Verpflegung bekamen.“
    Wie konnte er nur das glauben? Meinte er denn, dass jeder Mensch käuflich war? Wenn das so wäre, dann würde Rom wohl weit mehr Auxiliareinheiten befehligen und weniger Legionen, denn mit genügend Geld wäre ihre Treue ja in jedem Fall gesichert.
    “Und vielleicht interessiert den Fährmann nicht, was derjenige getan hat, Pluto ja aber wohl. Und ich kann mir nicht vorstellen, das jeder ehrlose Tyrann oder gar diejenigen, die der damnatio memoriae übergeben wurden, ihren Platz in den elysischen Feldern haben. Die Götter sind launisch, das stimmt, aber ich denke nicht, dass Pluto so ungerecht ist.“ Oder besser gesagt, Axilla wollte sowas nicht glauben. Daher ließ sie es auch nicht gelten. Und das, obwohl sie selbst die meisten Götter als nichtsnutzige Wesenheiten ansah, die in Menschen nicht viel mehr sahen als ein Kind in einem Ameisenhaufen.
    “Und vielleicht ergreift ein Soldat das Schwert, weil es ihm Geld bringt, vielleicht sogar später die Möglichkeit, ein eigenes Stück Land zu haben und eine Familie, ein wenig Wohlstand, die er sonst nicht erlangen würde. Aber dieser Wille gewinnt keine schlachten. Nichtmal der Wille, seine eigene Haut lebend wieder nach Hause zu tragen, gewinnt wirklich Schlachten. Aber für Ehre tun sie es. Für den Ruhm, einen Augenblick unsterblich zu sein. Und sie laufen nicht weg, weil es ehrlos wäre, weil ihre Kameraden sich auf sie verlassen, weil das Imperium sich auf sie verlässt!“
    Und da fiel ihr noch etwas ein, die Trumphkarte des Argumentierens sozusagen, so dass ihre Augen ganz aufgeregt zu leuchten anfingen, als es ihr eingefallen war.
    “Oh, oh!“ Kam als erste, hektische Erwiderung gleich, damit Vala nicht noch was sagte und es ihr wieder entglitt. “Und dass Menschen nicht käuflich sind, dafür haben die Germanen doch ein sehr gutes Beispiel abgegeben! Arminius hätte ein wundervolles Leben in Rom haben können, hat auch eines geführt. Und trotzdem ist er nach Germania gegangen zu seinen Landsleuten und hat Varus mitsamt seinen Legionen vernichtend geschlagen! Und er konnte nicht hoffen, das ganze römische Reich dadurch in die Knie zu zwingen und er konnte auch nicht hoffen, dort ein ebenso komfortables und angenehmes Leben zu führen. Und auch, wenn er vielen Römern als Verräter gilt, war es nicht vielleicht seine Ehre, die ihn letztendlich doch wieder in seine Heimat geführt hat, um an der Seite seines Volkes zu kämpfen?“
    Hah! Das musste er jetzt erstmal entkräftigen!

  • Am liebsten hätte er sie ausgelacht. Doch das hätte wohl zur sofortigen Beendigung dieser Unterhaltung geführt, und im Moment war Vala nicht danach. Im Moment. Sie amüsierte ihn, und das in nicht geringen Maße. So wie sie für die Erhaltung ihrer Mythen von Ehre und Moral kämpfte hatte sie schon fast etwas komisches. Oder wahnsinnig naives. Vala fragte sich, ob es noch mehr dieser Sorte hier in Rom gab. Denn wenn, wäre es ein einfaches Spiel.. Leute, die an etwas glauben WOLLTEN waren nur allzu oft bereit alles dafür zu tun etwas zu bekommen was ihren Glauben bestätigte. Sie machten sich mit so etwas angreifbar. Fehlerhaft. Manipulierbar.


    "Dareios war nur so lange Gast seines Vetters, bis dieser selbst in Bedrängnis kam. Alexander musste das Angebot garnicht annehmen, schließlich hatte er eine Macht hinter sich, die Bassos erst dazu getrieben hatte ihm dieses Angebot zu machen. Tradition und Recht gelten nur so lange etwas bis jemand kommt der mächtig genug ist diese zu brechen. Sagte nicht schon Pompeius Magnus 'Hört auf das Recht zu zitieren, wir tragen Waffen.'? Das bringt es auf den Punkt. Recht und Tradition gelten nur so lange etwas wie man in der Lage ist dieses selbst zu schützen. Wenn man es nichtmehr schützen kann, sind sie die ersten Opfer des Krieges. So auch im Hause des Bessos.", wischte Vala mit einer knappen Handbewegung ihre Verteidigung beiseite bevor er mit derselbene eine Olive aus einer Schale fischte.


    "Die Staaten der Hellenen sind ein eben solches Lehrstück. Wie lange hielt ihr Zusammenhalt denn? Nur so lange bis eine externe enorme Gefahr ihrer eigenen Interessen gebannt war. Das ist kein Stück von Ehre oder Tugend, das ist reine zweckmäßige Politik. Bevor sie ihre Ambitionen einem dritten externen Sieger opfern, der es verstanden hatte in seinem Machtbereich für eine derartige Einheit zu sorgen, dass eben diese eine Armee ermöglichte mit der er den Hellenen gefährlichen werden konnten rafften sie sich dann doch lieber wieder zusammen. Das Alexander das Werk seines Vaters umsetzte und sein Reich bis nach Indien ausdehnte sprach für sein militärisches Geschick. Aber ein großer Herrscher? Ich bitte dich, sein Reich überstand seinen Tod nicht eine Sekunde lang. Ein wahrhaft fähiger Herrscher hätte sich vorher um eine Erhaltung seiner Macht auch nach seinem Tod gekümmert, denn DAS hätte ihn wirklich unsterblich gemacht.", Vala fühlte sich, als würde er einem Kind erklären warum er ihm gerade das Süßholz geklaut hatte ohne dafür sofort vom Recht erschlagen zu werden.


    "Pluto kümmert sich darum WAS ein Mensch getan hat, nicht warum. Warum gibt es nach jedem Krieg wohl ein großes Sühneritual auf dem Campus Martius? Weil die Menschen schiss davor haben, von Pluto eben für die Tötung ihrer Feinde zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ein Mann tötet um den nächsten Tag zu überleben oder er tötet aus Habgier. In Plutos Augen sind beides Mörder.", dozierte Vala, der sich da nicht halb so sicher war wie er vorgab. Auf dem Gebiet der römischen Götter stand er immernoch auf dünnem Eis, bei sich zuhause war es anders. Natürlich fuhr man nach Valhall wenn man mit dem Schwert in der Hand starb, aber die Bedingungen waren noch komplexer als man sich das im Allgemeinen vorstellte. Und natürlich hatte das auch viel mit Ehre zu tun, aber Vala hatte im Laufe der Zeit erkannt was Ehre eigentlich war: ein Konstrukt der Nachhaltigkeit. Wenn man sich gut verkaufte war es Ehre, wegen der man sich an einen erinnerte. Wenn man dafür sorgte, dass genug Menschen an einen dachten war das Ehre. Aber die Tat an sich hatte nichts ehrenvolles. Nicht im geringsten. Das Fazit war wichtig.


    Natürlich, Arminius. Wut keimte in Vala auf, und wie er nunmal war flammte diese eine Sekunde später deutlich sichtbar in ihm empor. Mit einem Satz war er auf den Füßen und starrte die Römerin funkelnd an: "Wer bist du, dass du glaubst mir erklären zu können ob Arminius ein Verräter ist oder nicht? NATÜRLICH WAR ER DAS! Ihr Römer scheint euch zu denken ihr hättet die Geschichte verstanden, und dass Arminius ein Verräter an eurem Volk war. Aber er war nicht nur das! Was hatte er denn vor? Sicher, die Römer aus Magna zu vertreiben, das hat er geschafft, großartig. Und dann? Das reichte ihm nicht.. er war DER ERSTE der sich gedacht hat: Was Rom kann, kann ich auch. Er vereinigte die Stämme unter sich gegen den externen Aggressor, besiegte diesen und meinte dann so weitermachen zu können. Kommt dir das irgendwie bekannt vor? Ich helf dir auf die Sprünge..", grollte Vala, und zählte an einer Hand die Völker ab, die ähnliches durchgemacht haben, "Die Griechen haben sich einmal gegen die Meder durchgesetzt, nur um dann wieder in ihre kleinen Querelen zu verfallen. Die Meder selbst haben sich gegen die Ostvölker durchgesetzt, nur um nachher wieder zu zersplittern. Als sie sich dann wieder geeint hatten, vereinten sich die Hellenen unter Phillip und Alexander ein weiteres Mal gegen sie. Nur um dann wieder zu zersplittern. Warum wurden sie wohl von Rom geschlagen? Richtig! Genauso die Gallier, die Iberer und irgendwann auch die Stämme, die ihr Germanen nennt. Einigkeit schafft Stärke, und Arminius wusste das. Aber was hat er gemacht? Er meinte das System der Stämme auf einen Schlag ändern zu können, genauso wie Modorok nach ihm. ER WAR EIN IDIOT! Und genau aus diesem Grund ist er irgendwann in den Wäldern Germanias verrottet, weil er nicht begriffen hatte, dass man die Geschichte Roms nicht binnen weniger Jahre einfach den Stämmen aufstülpen konnte. Er hat gekriegt was er verdient hat..."
    Vala ließ sich auf die Kline zurückfallen, stopfte sich eine Olive in den Mund und beobachtete zornig die Römerin in ihrem Denken. Kleines naives Wicht.

  • Axilla hatte doch keine Ahnung, wer wann was gesagt hatte. Sie hatte ein paar Dinge, die sie sich gut merken konnte, einige Dinge, die sie sich so halb merken konnte und einen riesigen Batzen an Wissen, den sie fröhlich durcheinanderwürfelte oder nie wirklich gewusst hatte. Aber auch mit gefährlichem Halbwissen ließ sich noch aus vollster Überzeugung argumentieren, wenn man jung war und nicht darüber nachdachte. Und natürlich war Axilla naiv, sie war 17 und ihre Erziehung war nur sporadisch erfolgt. Der Vater war als Soldat die meiste Zeit außer Haus, und wenn er daheim war, setzte er seiner Tochter Flausen in den Kopf, wie Axillas Mutter es so schön nannte. Diese war schwer krank gewesen und hatte dem energiegeladenen Kind nichts entgegenzusetzen gehabt. Der einzige, der etwas zu ihrer Erziehung kontinuierlich beigetragen hatte, war der griechische Sklave Iason gewesen, der versucht hatte, ihr etwas Bildung beizubringen. Natürlich war so ihr Kopf voll von Ideen und Idealen, die sie aus vollstem Herzen verteidigte, und sie verstand im Gegenzug nicht, wie Vala nur so daherreden konnte. Sie wollte es vor allem nicht glauben, da sie ihn nicht so sehen konnte, wie er sich selbst gerade darstellte. Sie konnte von ihm nicht einen Moment lang denken als einen Mann, für den Ehre nur eine hohle Phrase war. Natürlich beeindruckte sie der starke Wille, der aus ihm sprach, und wie er die Tat über gedankliche Konstrukte stellte. Aber das machte es noch viel schwieriger für Axilla, denn wie konnte sie sich zu ihm so hingezogen fühlen, wenn er keinerlei Ehre besaß oder auch nur besitzen wollte? Er stellte sie damit vor ein ernsthaftes Problem, zu dem sie keine Lösung hatte.
    Allerdings schaffte er es auch ziemlich schnell, sie dieses Problem vergessen zu lassen, als er sie anging. Wer sie glaubte, das sie sei? Oh, das war ganz sicher die falsche Frage, die er ihr nicht stellen sollte. Und als er sie dann auch noch halb anschrie, was für ein Idiot Arminius gewesen sei – wo Axilla ihm eigentlich noch nichtmal widersprochen hätte – da wurde sie wirklich sauer und starrte ihn an wie eine Katze wohl eine entkommene Maus anstarren würde.
    “Ich bin Axilla aus dem Geschlecht der Iunier, die den Etruskerkönig Tarquinius Superbus aus Rom vertrieben, die Republik gegründet und den ersten Konsul, den Rom je hatte, gestellt haben“, knurrte sie ihm als erste Erwiderung entgegen. Auf ihre Abstammung war Axilla stolz, und da ließ sie auch absolut nichts darauf kommen. Es war ein ehrenvoller Name, wenngleich ihm die frühere Macht wohl fehlte. Dennoch sollte Vala ja nicht versuchen, dagegen zu argumentieren. “Und vielleicht war Arminius ein Idiot. Ja, bestimmt war er das sogar, wenn er dachte, aus Germania Rom machen zu können, in nichtmal zwanzig Jahren.“ Axilla hatte keine Ahnung, wie lange es tatsächlich gedauert hatte, bis Arminius gestorben war, mit Daten hatte sie es noch weniger wie mit Namen und Zitaten. “Aber das heißt nicht, dass er es nicht aus ehrenhaften Motiven getan hat. Meinst du denn wirklich, ein Mann wäre so verrückt, zu glauben, Rom an jedem beliebigen Ort der Welt entstehen lassen zu können?“ Axilla schnaubte einmal, allein die Vorstellung war lächerlich. Vielleicht war das römische Arroganz, die mehr als einmal von verschiedensten Philosophen und Denkern angeprangert worden war, und eigentlich war Axilla ein sehr toleranter Mensch und bei weitem nicht so engstirnig, wie sie sich gerade gab, aber Vala ärgerte sie, und was ihr an Argumenten fehlte, musste sie durch Heftigkeit wettmachen. Sie hätte vielleicht selber besser das Buch lesen sollen, das sie ihm geschenkt hatte, aber im Moment war sie einfach nur ziemlich böse auf ihn, da war ihr Ruhe und Gelassenheit, ganz zu schweigen von Logik herzlich egal.
    “Und du willst doch nicht sagen, dass ein Soldat, der mit Mars' Segen in die Schlacht zieht, nichts weiter ist als ein Mörder, weil er einen Feind erschlägt?“
    Axilla war sich ihrer Argumentation selber nicht ganz sicher, denn mit den Sühneopfern hatte Vala ja recht, ebenso wie es Opfer zu Beginn eines Krieges gab. Und natürlich zählte die Tat letztendlich als solches. Im römischen Recht gab es schließlich auch nur wenig Würdigung für die Gründe einer Tat, wenn es sie denn überhaupt gab. Nur in sehr wenigen Fällen brachten solche Gründe eine Milderung des Urteils. Daher blieb ihr nicht viel, als eine mehr rhetorische Frage zu stellen, denn sie hatte kein wirkliches Argument. Allerdings wollte sie ihn keinesfalls gewinnen lassen. Unter gar keinen Umständen!
    “Und natürlich schützt einen das Recht nur so lange, wie man sich selbst zu schützen und zu wehren weiß. Und wenn jemand mit dem Schwert daherkommt, ist es leichtfertig, zu glauben, dass man ihn damit aufhält, wenn man ihm sagt, dass er das nicht darf. Wenn er der Stärkere ist, hat er das Recht des Stärkeren. Ein Grund, warum Rom über die Welt herrscht, ist, weil Rom die stärkste Macht der Welt ist. Ich bin nicht dämlich, also halte mich nicht dafür!
    Aber ein Mann kann nicht erwarten, dass die Menschen es lieben, ihm zu folgen, wenn er gegen die Ehre handelt. Und Recht hin oder her, Macht hin oder her, Alexander hätte das Angebot aus Gründen der Ehre nie annehmen können, weil ihn das sein Gesicht vor seinen Männern gekostet hätte. Die sind ihm gefolgt, weil sie an ihn geglaubt haben, weil sie zu ihm aufgeschaut haben, weil er an ihrer Seite gekämpft hat und nicht irgendwo aus den hinteren Reihen nur Befehle erteilt hat. Hätten sie wohl noch zu ihm aufgesehen, wenn er sich auf solche politischen Ränke eingelassen hätte und mit so einer ehrlosen Person einen Handel eingegangen wäre?
    Dass er versäumt hat, gleich einen würdigen Nachfolger auszuwählen, kann man ihm vorhalten. Hätte er länger gelebt, wäre sein Sohn vielleicht so ein Nachfolger geworden, anstatt ermordet zu werden von Kassandros. Dass seine Freunde wie Hyänen übereinander hergefallen sind und sich zerstritten haben, weil jeder das größte Stück der Beute abhaben wollte, und sich damit allesamt ehrlos verhalten haben, das aber nicht.“

    Axilla wusste, dass ihre Argumentation sehr dünn war, aber das hieß nicht, dass sie sie nicht beherzt vorbrachte. Sie wollte nicht, dass Vala recht hatte, also argumentierte sie eben, so gut sie konnte. Vielleicht hätte sie Nikolaos besser zuhören sollen, wenn dieser seine Kurse vor den griechischen Jugendlichen gehalten hatte zum Thema Rhetorik, aber das hatte sie nunmal nicht. Folglich blieb ihr nichts weiter übrig, als eben so heftig wie möglich zu reagieren und zu hoffen, dass Vala es gut sein lassen würde. Verdammtnocheins, ihr hatte noch nie ein Mann ernsthaft widersprochen! Nach den ersten heftigen Widerworten war noch jeder eingelenkt und hatte klein beigegeben, sich in Ausflüchte begeben oder das Thema gewechselt! Vala war der erste Mann überhaupt, der – ganz Kerl – seinen Kopf gegen sie durchsetzen wollte. Und das war Axilla nicht gewohnt – auch wenn sie zugeben musste, dass es nicht nur ihre Wut auf ihn anstachelte.
    “In was für einer traurigen Welt lebst du, wenn du wirklich glaubst, dass es keine Ehre gibt? Wenn das so ist, sind doch alle Menschen nur Feinde, auf nichts ist verlass und auf niemanden. Nichtmal auf die eigene Familie. So kann doch niemand leben? Das kannst du nicht meinen?
    Und natürlich wird die Geschichte von Siegern geschrieben! Da wird dann auch gerne die Ehre so hingedreht, wie es dem Geschichtsschreiber passt, und Taten, die eigentlich Unrecht sind, werden als glanzvoll dargestellt. Aber das Ehrgefühl sagt uns doch, ob es richtig oder falsch ist.
    Natürlich bestimmt der Sieger, was später als ehrenvoll gehalten wird. Vielleicht würde die Geschichte anders über Iunius Brutus denken, wenn er bei Philippi... ich....“

    Ertappt machte Axilla schnell den Mund zu. In ihrer heftigen Tirade hatte sie nicht gemerkt, in welch gefährliches Gewässer sie sich begeben hatte. Die Tat ihres Verwandten, den Mord an Caesar, als etwas anderes zu sehen als eine schändliche Tat, konnte böswillig auch als Angriff auf das Kaisertum und der Versuch, die Republik wiederzuerwecken, gelten. Das war eines der wenigen Dinge, die ihr Lehrer ihr doch beigebracht hatte, über diese Dinge sollte sie nicht debattieren, egal, wie sie darüber dachte und welche Meinung sie dazu hatte. Aber jetzt war die Hälfte des Satzes ihr einfach herausgerutscht, und außer zu schweigen und beiseite zu schauen, blieb Axilla nicht viel übrig, und sie hoffte, dass Vala es einfach überhören oder niederdiskutieren würde wie gerade eben.

  • Vala stockte. Was hatte sie da gerade gesagt? Er konnte es nicht entziffern. Es war fast, als wäre ihm dieser Redeschwall in einer Sprache entgegengeschleudert worden, die wohl nur Frauen verstanden. Oder Verrückte. Wahrscheinlich beides, für Vala lag das eine nicht so weit vom anderen entfernt, als dass man nicht hin und herwechseln könnte wie beim Twist. Twist. Das war das Stichwort. Deswegen mochten Frauen später diesen Tanz auch so gerne, weil er ihren Geisteszustand auf tänzerische Art und Weise darstellte. Das verpasste dem ganzen eine vollkommen neue Dimension: tanz deinen Namen, hah! Frauen tanzten ihren Geisteszustand! DAS war Können.


    Er lehnte sich zurück, und versuchte die Iunia nicht so anzusehen, als hätte er sie gerade für vollkommen übergeschnappt erklärt. Was er ja hatte. Aber das musste er ihr ja nicht auf die Nase binden. Stille kehrte ein, und er versuchte verzweifelt sich auf das von ihr gesagte einen Reim machen zu können. Er wollte sie ja nicht auseinandernehmen ohne verstanden zu haben was sie eigentlich meinte. Aber ihn beschlich immer mehr das Gefühl, dass sie gerade genau das mit ihm versucht hatte.


    "Wovon, bei Pluto, sprichst du?", fragte er sie schließlich gerade heraus, und kam dabei nicht umhin als verlegen zu lachen, einfach weil ihm die Situation so absurd vor kam. Gerade noch mitten im tiefsten Streit lachte er sie im nächsten Moment an, einfach weil er keine Ahnung hatte was sie ihm gerade sagen wollte. Er nahm einen Schluck und schüttelte hilflos lachend den Kopf: "Ich habe nicht ein Wort verstanden, Axilla."

  • Eine ganze Weile folgte nichts. Einfach... nichts. Keine Empörung, kein Niederreden. Einfach gar nichts. Und irgendwie war das einschüchternder als alles andere. Axilla blieb einfach ganz still sitzen, sank etwas in sich zusammen, so dass ihr Kopf hinter ihren Knien zu verschwinden drohte. Es war fast wie damals am Tiberhafen, kurz bevor Vala losgebrüllt hatte. Damals hatte auch ein Wort von ihr gereicht, um ihn dazu zu bringen, weil sie sich daneben benommen hatte. Und so traute sich axilla jetzt nicht, auch nur einen Piep von sich zu geben, oder wirklich nachzuschauen, wie wütend Vala wohl auf sie war.
    Doch dann lachte Vala auf einmal. Zwar verlegen und nicht aus vollem Herzen, aber er lachte. Axilla schaute vorsichtig auf, sah ihn an, aber er schien sich zu amüsieren. Es war alles in Ordnung. Er war nicht wütend. Irgendwie... gar nicht. Axilla brauchte noch einen Moment, um den Schreck zu verdauen, und dann musste sie auch lachen. Verlegener, viel verlegener, aber erleichtert. Ihre Wangen wurden leicht rot, und sie ließ ihre Knie zur Seite wegfallen, so dass sie zwar immernoch in einer sehr unerwachsenen Pose auf der Kline saß, aber weitaus weniger verteidigend. Und irgendwie war auch der Ärger von Eben vor lauter Erleichterung ziemlich verflogen.
    “Wenn ich aufgeregt bin, sind meine Gedanken schneller als mein Mund. Entschuldige“, meinte sie und schaute verlegen zu Vala hinüber. Jetzt im Moment war der Wunsch nach Diskussion schon fast wieder verschwunden, viel lieber wollte sie ihn eigentlich anlächeln. Hör auf damit, schalt sie sich selber und wandte ihren Blick wieder dem Tisch zu, fischte sich auch eine Olive und aß sie schnell, aber mehr aus Verlegenheit denn aus Hunger. Ich muss den Trank noch nehmen, erinnerte sie sich selbst dabei wieder und dämpfte so ein wenig ihre gute Laune. Schon verrückt, eigentlich mochte sie Oliven nicht wirklich.
    Sie versuchte, ihre Gedanken nochmal zu ordnen und diesmal in sinniger Reihenfolge hervorzubringen.
    “Was ich gemeint habe, ist... Wenn du sagst, dass Ehre nur ein Konstrukt ist, wie erklärst du dir dann die Gesellschaft, in der wir leben? Auf Ehre baut alles auf. Dass ein Wort ein Wort ist, dass man sich auf die Seinen verlassen kann, dass man sich auch auf andere verlassen kann. Wenn du sagst, dass das nur eine Idee ist, warum also erkennen die Menschen das nicht als wahr? Warum fühlt es sich falsch an, zu sagen, dass es keine Ehre gibt? Warum fühlt man sich in seiner Ehre beleidigt, wenn es sie doch nicht gibt?“
    Axilla nahm noch eine Olive aus der Schale, behielt diese jetzt aber erstmal zwischen Daumen und Zeigefinger, traute sich wieder mehr, zu Vala zu schauen. Jetzt, wenn sie einmal redete, ging es leicht, ihn dabei anzusehen.
    “Natürlich zählen die Taten eines Menschen als solches, aber eine Tat, die aus Gründen der Ehre getan wird, ist anders zu sehen als eine Solche, die aus Habgier oder Neid entsteht. Warum sonst hat ein Mann das Recht, eine ihn betrügende Ehefrau zu erschlagen samt ihrem Liebhaber, wenn er sie inflagranti erwischt? Nach deiner Definition wäre das ein Mord. Denn es gibt ja keine Ehre, in der er sich gekränkt fühlen könnte. Es wäre nur seine Wut. Aber warum sollten andere Menschen bei so etwas Wut als Grund anerkennen, in anderen Fällen aber nicht?“
    Jetzt verschwand die Olive doch in Axillas Mund und sie nahm eines ihrer Beine runter, setzte sich um und auf den anderen, noch auf der Kline verbliebenen Unterschenkel, indem sie den Fuß einfach unterhakte. Sie beugte sich auch mehr zu Vala hinüber. So sachlich hatte sie soweit sie wusste noch nie argumentiert, aber es machte Spaß. Vor allem machte es deshalb Spaß, weil sie ihm dabei nahe sein konnte, ohne dass es irgend etwas daran zu bemängeln gab.
    “Aber ich muss dir insoweit Recht geben, dass die Geschichte nicht immer die ehrenvollen Absichten zu würdigen weiß. Denn die wird von denen geschrieben, die gewinnen. Die Verlierer sind tot und können ihre Motive nicht mehr veröffentlichen, damit die Welt darüber urteilen möge. Bestimmt würden wir über einige Personen anders denken, wenn es nicht ihr Schicksal gewesen wäre, zu unterliegen. Bestimmt hatten einige davon durchaus noble Absichten, die nur die Welt nie zu sehen und zu beurteilen bekommt.“ Das Beispiel mit Iunius Brutus und der Schlacht bei Philippi ließ sie jetzt aber wohlweißlich weg. Hätte der Verschwörer damals gegen Augustus und Marc Anton gesiegt, würde die Welt ihn heute gewiss nicht als Caesarenmörder verdammen, sondern als Retter der Republik feiern. Aber er hatte nunmal nach dem Willen der Götter nicht gesiegt.
    “Aber...“, sie wollte eigentlich 'dein Volk' sagen, aber sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde, da sie damit ja die freien Germanen meinte. Sein Vetter Rufus war damals in Alexandria ein wenig seltsam gewesen bei diesem Thema. “... die Germanen kennen doch auch die Ehre? Ich habe... gelesen... also... dass sie sehr viel darauf geben, und sehr ehrenvoll zu handeln stets bemüht sind, und auch die Frauen... also, sehr... sittsam und ehrenvoll sich benehmen... ähm... was ich sagen will, ist, also... ich meine... wieso sollten alle Völker ein Gefühl für Ehre haben, wenn es sie doch gar nicht gibt? Warum sollten sie alle ihren Kindern die Grundsätze von Ehre und Tugend beibringen? Warum sollten die Götter ehrenvolles Handeln fordern, egal von welchem Volk, und unehrenhaftes verurteilen, warum sollten Männer bei ihren Anführern auf solches Verhalten bestehen, wenn es das doch gar nicht gibt?“

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