Officium des Curator Libris

  • Der Frühling stand nun kurz davor, in den Sommer umzuschlagen, die Tage wurden immer länger, die Sonne brannte heißer, und ab und an ging ein Gewitter vom Himmel hernieder. Seit den Parilia war einige Zeit ins Land gegangen. Die Reden auf der Rostra, die Plotina an jenem Tag gehört hatte, schwebten nur noch als ferner Nachklang in ihrer Erinnerung. Andere Bilder jenes Tages hatten sich in den Vordergrund gedrängt, vor allem eines, das die Sergierin gar nicht mehr aus dem Kopf bekam auch wenn sie unbewusst dagegen kämpfte.


    Es war dies nicht das Bild, das sie selber geboten hatte, nachdem ihr dieser - noch immer erregte allein das Wort eine gewisse Übelkeit in ihr - dieser Flusskrebs auf den Magen geschlagen war. Davon hatte sie sich natürlich lange schon erholt, vor allem nachdem sie in der gemieteten Sänfte wieder zu Hause angekommen war. Erst dort und an den ersten Tagen danach hatte sie eigentlich realisiert, wie ungeheuer peinlich der ganze Vorfall gewesen war. Sie schämte sich zu Boden - und doch wieder nicht, denn die beiden Freunde, mit denen sie unterwegs gewesen war, hatten sich derartig liebevoll um sie gekümmert, dass für Scham und Peinlichkeit fast gar kein Platz mehr war.


    Und da war wieder dieses Bild.


    Plotina schüttelte ihren Kopf, als könnte es ihr auf diese Art gelingen, das Bild zu vertreiben. Jedenfalls war es hohe Zeit für sie, sich bei ihren beiden "Rettern" zu bedanken. Plotina war ein dankbarer Mensch, der Dinge nicht einfach selbstverständlich nahm. Und doch hatte sie so lange gebraucht, ihren Weg zur Schola Atheniensis anzutreten, und so lange mit ihrem Dank an Theodoros gewartet. Irgendetwas war ihr nicht geheuer gewesen, nein, nicht etwa an Theodoros. An ihr selbst, ein merkwürdiges Ziehen in ihr, das sie nicht kannte.


    Sie irrte nun schon seit einiger in den Gängen der Schola und hatte das Gefühl, immer im Kreis herum zu laufen. Dabei standen ihr fast Tränen in den Augen, so weh tat das Ziehen in ihr, und sie wusste nicht, wie ihr war. Einige Male musste sie schon an dem Türschild vorbeigelaufen sein, auf dem sein Name stand; jetzt stand sie wieder davor, und bemühte sich, die deutlich geschriebene Schrift zu entziffern. Sie wusste ja schon, dass hier sein Officium war, sie hatte es unbewusst schon das erste Mal gelesen, als sie hier vorbeigelaufen war. Und nun, nun würde sie anklopfen, ganz bestimmt würde sie anklopfen. Sie hob ihre Hand, und ihr Herz schlug ihr fast bis zur Kehle hoch.


    "Klopf, klopf."


    Ganz leise.

  • Theodorus lehnt den Kopf auf die über dem Schreibtisch verschränkten Hände und starrt Löcher in die Luft. Von draußen leuchtet ein goldener Lichtstrahl in den Raum. So sitzt er schon seit Stunden da. Und obwohl Frühling ist, fühlt er sich schwer und müde und melancholisch.


    Deswegen realisiert er das Klopfen erst einmal gar nicht. Nur ein leises Geräusch. Kam es von der Türe her? Wohl eine Ratte in der Wand oder so.


    Aber Moment mal: Ratten und Mäuse machen andere Geräusche. Das war kein Knabbern oder Rascheln, sondern eindeutig ein Klopfen. Ein Specht draußen auf einer Pinie? Wohl auch nicht. Es kam irgendwo aus dem Zimmer.


    Etwas genervt richtet Theodorus sich auf und brummelt: "Nur herein!"

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  • Sicherlich hatte es nur einen kurzen Moment gedauert, bis aus dem Inneren des Officiums der Einladungsruf erscholl. Plotina kostete in jenem Augenblick aber aus, was die Leute meinten, wenn sie so oft sagten, dass sie einen Moment wie eine Ewigkeit empfunden hätten. Ihre Aufregung war fast noch größer geworden. Seltsamerweise kam ihr überhaupt nicht der Gedanke in den Kopf, dass er vielleicht nicht da sein könnte. Sie war hier, also musste er auch da sein.


    Da ertönte aus dem Inneren ein leises "Nur herein!" Als hätte man im Theatrum ein Zeichen gegeben, dass alle unangenehmen Regungen sich zu legen hätten, fiel bei diesen Worten die aufgereizte Nervosität von Plotina ab. Stattdessen stieg eine fast verrückte Freude in ihr auf, und zu gleicher Zeit wurde sie ruhig und ganz gewiss. Sie schaffte es ohne Schwierigkeiten, trotz ihrer beladenen Hände die Tür zum Officium zu öffnen und, als sie einmal eingetreten war, auch wieder zu schließen.


    Dann wandte sie sich sofort um zu dem Mann, dessen Stimme sie durch die Tür hindurch sofort erkannt hatte, und sah ihn einen Moment lang strahlend an. Dann sagte sie in Koine einfach nur


    "Chaire!"


    zu ihm.

  • Theodorus blickt auf und ihm bleibt fast das Herz stehen. Mit Allem und Jeden hätte er gerechnet, nur nicht mit ihr. Die zierliche junge Sergierin, er dachte nicht, dass er sie jemals wieder sehen würde. Etwas verblüfft und unsicher und ähnlich reserviert wie sie meint er:


    "Chaire, Plotina. Das ist aber eine Überraschung. Komm, setz dich! Willst du etwas Wein oder einen kleinen Happen?"


    Er weist ihr ein kleines Stülchen, das in seinem Büro steht.


    "Tut mir leid, aber ich hab hier nichts besseres. Wenn du willst, können wir aber auch gerne ein bisschen draußen spatzieren gehen..."

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  • Bei meiner Reise durch die verworrenen und verwirrenden Gänge der schola fand ich auch heraus, dass hier ein griechischer Gelehrter arbeiten sollte. Nun, dem wollte ich auf den Zahn fühlen. Vor seinem officium angekommen klopfte ich an.

  • Hergott, warum kommen eigentlich in letzter Zeit so viele Besucher vorbei? Fast so als hätten sie alle gerochen, dass der Alexandriner gerade eigentlich damit beschäftigt ist, die Bibliothek auf Vordermann zu bringen.


    "Herein!"

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  • Ich trat freudig ein und erblickte vor mir einen Griechen wie aus der Bilderpapyrusrolle. Rasch schloss ich die Tür hinter mir.


    "Chaire, werter Herr. Entschuldigt die Störung, aber ich bin ein Gelehrter auf Reisen und hörte nur bei meiner Erkundung durch die schola, dass hier ein Grieche arbeiten würde. Und das in einer so angesehenen Stellung. Das wollte ich mir einmal anschauen."

  • Überrascht schaut Theodorus den Mann an. Dem Dialekt nach stammt der Mann aus der alten Heimat, also der griechischen, nicht der iudäischen. Ein typischer Wanderphilosoph wohl, also quasi die philosophische Gegentradition zum akademischen Betrieb. Wie der sich wohl in die Schola verirrt hat?


    "Chaire, Philos! Kein Problem, ich wollte sowieso gerade eine Pause machen. Setz dich doch. Willst du einen Schluck Wein? Mit ordentlich Wasser und gewürzt, nicht so wie ihn die rhomäischen Banausen trinken."


    Beim Hinweis auf Theodorus Stellung ist er sichtlich geschmeichelt.


    "Aber nicht doch! So hoch ist die Stelle auch wieder nicht und nichts im Gegensatz zu dem, was ich früher gemacht habe. Ein kleiner bescheidener Posten, mehr nicht..."


    Dann fragt der den Griechen:


    "Und darf ich fragen, mit wem genau ich die Ehre habe? Du kommst aus Achaia oder? Und kann ich dir irgendwie weiter helfen?"

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  • Ich nahm dankend Platz und lachte über die Aussage meines Gegenübers.


    "Nun, ich mag das nicht beurteilen. Jeder trinkt den Wein anders, sogar die Römer trinken ihn gewürzt, habe ich gehört."


    Eine Träne aus dem Auge wischend freute ich mich über seine Bescheidenheit.


    "Ich bitte Dich, Du darfst über eine Bibliothek wachen, das ist doch viel wert. Wieviele Bücher haben sie hier? Zehn?", fragte ich prustend vor lachen.


    Es tat gut, ab und zu die stillen Besatzer etwas zu pisaken.


    "Theodorus von Corinthus. Und mit wem habe ich die Ehre? Wie Du mir helfen kannst? Nun, ich gedenke nach Aegyptus zu gehen, um dort am Museion zu arbeiten. Mir gefällt es hier, aber im Herzen sind die Römer unzivilisierte Bauern geblieben, das muss sogar ein toleranter Grieche wie ich sagen. Ich will endlich wieder griechische Kultur sehen."

  • "Hmm. Es gibt ja auch genug Rhomäer, die die griechische Kultur angenommen haben." Meint Theodorus, während er sich ein Glas Wein einschenkt und mit Wasser aufgießt. "Ich würde sogar sagen, dass das Reich mittlerweile längst ein griechisches ist kein barbarisches. Nur die Hauptstadt ist etwas unterentwickelt." fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu.


    "Naja, ich kann mir spannenderes vorstellen als Bibliotheksarbeit. Und die Bibliothek ist eigentlich nicht klein. Sie fußt auf der Sammlung des Kaisers, dessen Namen nicht genannt werden darf. Ordnen muss man sie halt mal. Und ja, die Bibliothek von Antiochia oder Alexandria ist sie nicht ;)"


    Dann nippt er an seinem Wein um zu prüfen, ob das Mischverhältnis stimmt. Dann prustet er den Wein wieder aus.


    "Theodorus? Nein, was für ein Zufall! Mein Name ist ebenfalls Theodorus! Allerdings aus Alexandria, nicht aus Korinth. ;)


    Ob ich dir helfen kann, hängt davon ab. Leute in Alexandria kenne ich schon und ich habe auch Beziehungen dorthin. Immerhin habe ich selbst lange Jahre in Alexandria gelebt und studiert. Aber dazu müsste ich erst einmal einiges über dich wissen, zum Beispiel, welche Schulen du besucht hast und welcher philosophischen Richtung du dich zugehörig fühlst."


    Der Gelehrte wundert sich ein wenig über den Wanderphilosophen. Normalerweise ziehen solche Leute das Leben in Freiheit und Ungebundenheit dem akademischen Betrieb vor und konzentrieren sich auf Gelegenheitsjobs in diversen Gymnasien anstatt dicke Bücher zu wälzen. Man könnte bei ihnen fast von einer Verachtung des geschriebenen Wortes reden.

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  • "Nunja, ich bin in erster Linie Wanderphilosoph. Ich liebe das freie Leben und möchte, dass es auch so bleibt. Am liebsten würde ich Schüler ja unter freiem Himmel irgendwo an einem festen Platz unterrichten und mich weniger im museion aufhalten. Für das gymnaseion bin ich jedoch nicht gemacht, da der Staatsdienst mich eher periphär interessiert. Ich habe gesehen, was aus meinen einstigen Schülern geworden ist, und ich war enttäuscht. Meistens wurden aus ihnen starre Staatsdiener ohne Geist, nur trainiert auf Folgsamkeit. Nein, ich möchte frei arbeiten.


    Ich zähle mich selbst zu den Skeptikern und Kynikern. Ich habe das gefahrvolle Leben eines Obdachlosen gewählt und fühle mich gut dabei. Ich lehre zwar des öfteren als paedagogus in Häusern reicher Herrschaften, um meine Reisen etwas zu finanzieren, aber es treibt mich immer weiter. Was mich am museion jedoch reizt, ist das dort gebündelte Wissen. Ich will dort Antworten auf meine Fragen suchen. Vielleicht sogar im geschriebenen Wort.


    Welche Schulen habe ich besucht? Ich war natürlich in Athen, dann in Rhodos. Danach noch auf Kreta und schließlich habe ich einige Monate in Alexandria verbracht, dort hat es mich anfangs aber nicht lang gehalten. Aber nun will ich dorthin zurück!"

  • Der Alexandriner runzelt die Stirn. Der arme Daimonos hat vermutlich ein wenig falsche Vorstellungen vom Museion.


    "Na ja, wenn du dich in Alexandria fortbilden willst, dann stehen dir ja dort alle Türen und Tore offen, wie du sicher weißt. Die Bibliothek ist für Niemanden geschlossen und die dortigen Kollegen lassen sich sicherlich immer gerne auf einen Disput ein."


    "Streitgespräch" wäre wohl passender, denkt Theodorus bei sich.


    "Aber wenn du dort Philosoph werden willst, musst du dir dessen bewusst sein, dass du deine Freiheit aufgeben musst. Du wärst dann in einer festen Institution ähnlich den Gymnasien und Akademien, die du so verachtest und müsstest einer Meute reicher Sönchen aus gutem Hause Sachen erklären, die sie eh niemals verstehen werden. Du kannst nicht mehr frei vor dich hin philosophieren, sondern musst Vorlesungen planen, den ganzen Tag lesen, schreiben und recherchieren. Du müsstest mit den anderen Philosophen kooperieren und außerdem brauchst du Geld, ein gutes Haus und teure Samtkleidung, um überhaupt akzeptiert zu werden. Du müsstest dein Leben vollkommen umdrehen und auf dem Kopf stellen."

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  • Ich blickte ihn skeptisch und etwas verunsichert an.


    "Von der Seite habe ich es noch nicht betrachtet. Du hast wahrscheinlich Recht. Seine Freiheit aufzugeben bedeutet, sich selbst aufzugeben. Sieh dich einmal um! Du hast hier dicke Mauern, die das Wissen einschließen!"


    Ich sprang auf und fasste an die gegenüberliegende Wand.


    "Eingeschlossenes Wissen ist totes Wissen! Man müsste es verbrennen, damit es Freiheit erlangt. Aber das sind Spinnereien eines alten Mannes..."


    Ich setzte mich wieder und lächelte meinen Namensvetter verträumt an.


    "Weißt Du, vielleicht sollte ich nach Alexandria gehen und in den Höhlen vor der Stadt mein Glück suchen. Als Eremit. Und wenn ich dann mit siebzig Jahren endlich zur Erkenntnis gekommen bin, kann ich in Ruhe sterben..."


    Glücklich sah ich aus dem Fenster in den klaren, blauen Himme. Ja, so würde ich es machen. Niemand mehr, der Vorschriften machte. Keine verzogenen Patriziersöhne mehr. Aber dann sah ich Theodoros und musste grinsen.


    "Und Du... Du hockst zwischen den ganzen toten Schriften und lässt Dir die Sonne auf den Pelz scheinen. Begleite mich doch! Was hast Du zu verlieren? Ein alternder Mann und ein Mann in den besten Jahren. Alexandria könnte uns zu Füßen liegen. Hast Du das Leben in Entbehrung und Armut schon einmal ausprobiert? Es ist eine illuminierende Erfahrung."

  • Brr! Theodorus sträubt bei dem Gedanken, die sichere Höhle seines Wohlstandes und seiner Bücherwelt zu verlassen. Er hat Aufgrund seiner Religion eh schon so viele Einschränkungen. Aber ein Leben in der Art von Freiheit, die der Wanderphilosoph meint? Unmöglich. Er gehört ins Dickicht der Städte. Deshalb lächelt der seinen Namensbruder diplomatisch an.


    "Ich denke auch, dass du in einer solchen Welt, wie du gerade meintest, besser aufgehoben wärst. Aber wisse: Nicht jeder wählt den selben Weg und Fesseln sind keine Fesseln wenn man sie sich selbst auferlegt. Wir alle wählen unser Schicksal freiwillig und pflastern unsere Straße zur Glückseligkeit selbst.


    Aber ich hatte sowieso vor, bald wieder nach Hause zurück zu kehren. Sobald ich wieder da bin, wäre ich immer gerne bereit, deine Höhle aufzusuchen und mit dir zu debattieren. Das Rechthaberische Buchwissen der meisten Akademiker gefällt mir auch nicht. ;)"

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  • "Ja, du hast Recht. Aber ich sehe auf den Straßen das Leid der Armen und Aussätzigen auf der einen Seite und die Oberflächlichkeit und Dekadenz der Oberschicht auf der anderen Seite. Sie sollen ihr Leben leben, ich kann sie nicht überzeugen, wenn sie nicht aus freien Stücken zu mir kommen.


    Was machst Du hier eigentlich konkret und wie bist Du dazu gekommen? Und was hast Du für die Zukunft vor? Ich glaube, ich muss Platons Höhlengleichnis überprüfen. Jahrelang in einer Höhle und dann zurückkehren ins Sonnenlicht. Vielleicht überwirft sich dann alles, was ich bisher gedacht habe. Nun, wie auch immer, kennst Du in Alexandria Menschen, bei denen ich in der ersten Zeit Zuflucht finden könnte, bis ich meine Verhältnisse geregelt habe und wieder auf der Straße leben kann? Ich muss mich dort erst einmal zurecht finden, damit mir nicht soviele Eskapaden wie hier in Rom passieren."

  • "Auch ich sehe das Leid auf der einen Seite, die Hochmütigkeit des Reichtums auf der anderen. Aber diese Welt ist nunmal ein Ort, der oft hart und entbehrlich ist. Aber auf das Materielle kommt es nicht an."


    Auf die Metapher mit dem Höhlengleichnis hin wird Theodorus ganz ernst und reserviert:


    "Platons Höhlengleichnis kann man in vielerlei Weise verstehen. Eine Interpretation wäre die Befreiung durch den Ausbruch aus der Gesellschaft und dem Menschlichen, Künstlichen. Eine andere meint die geistige Befreiung. Jeder Mann kann Erleuchtung erlangen, egal ob er das ganze Reich durchwandert hat oder immer zuhause in seinem Stübchen saß. Ich tendiere zu letzterer Interpretation."


    Der Grund für die plötzliche Kälte ist, dass der Wanderphilosoph natürlich unwissend den Akademiker auf eine empfindliche Stelle anspricht: Theodorus verschweigt dem Korinther, dass auch ein wichtiger Grund seines Lebensstils die Tatsache ist, dass er sich als Kind nicht mal im Gymnasion zurechtfand, geschweige denn auf der Straße. Dass er es tatsächlich geschafft hat, ein Schiff nach Caesareon zu nehmen und in eins nach Rom einzusteigen. Kurz: Dass er einfach was das alltägliche Leben angeht, schlicht und einfach unfähig ist.

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  • "Ja, materieller Reichtum verrinnt in den Fingern wie Sand in einem Stundenglas.", sprach ich ruhig.


    Als ich auf Platon zu sprechen kam, wurde mir plötzlich etwas bange zumute. Theodoros schien kühler als zuvor und ich erkannte ein kaltes Blitzen in seinen Augen. Bestimmt hatte ich hier ein Thema angeschnitten, das ihm nicht gefiel oder mit dem er schlechte Erinnerungen verband. Aber ich wollte ihn nicht kränken, indem ich einfach das Thema wechselte. So hätte es ausgesehen, als würde mich seine Meinung nicht interessieren.


    "Ich würde beides verbinden. Eine Befreiung aus der Gesellschaft, aus bekannten Strukturen, ist wichtig, um die geistige Befreiung zu erlangen. Sicher, wer innerlich bereits die Strukturen erkannt und durchschaut hat, kann sich von ihnen lösen und auch in seiner Kammer frei werden. Aber wirkliche Freiheit ist auch körperliche Unabhängigkeit, das Reisen ohne feste Bleibe. Dabei soll niemand versuchen, den Reformer und Revolutser zu spielen, er soll bloß wissen, dass niemand über seinen freien Willen bestimmen kann."

  • Jetzt lächelt der Gelehrte wieder. In seinem Lächeln ist ein leichter Spott zu spüren.


    "Obwohl du nicht mehr der Jüngste bist, redest mit dem Ungestüm eines Epheben. Glaub mir, die wahren Früchte hängen nicht an Bäumen, die man mit den Händen greifen kann. Das Dasein auf Erden ist eine Illusion, es ist die Höhle. Du kannst sie nicht verlassen, indem du deinen Weg durch den Raum gehst."

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  • Ich lachte auf.


    "Das Leben ist ein Traum, ein Jammertal. Der einzige Weg ist es, dieses Leben zu durchschreiten wie einen Raum. Ich bin der Ansicht, man muss es leben, jeden Augenblick bewusst leben. Nur wer sich selbst und sein Ego überwindet, der wird die Antworten finden."

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