~ Eine Neumondnacht, bereits einige Zeit vergangen~
Die Mondlose Nacht legte ein finsteres Tuch aus Dunkelheit über die Stadt Rom. Zaghaft und zögerlich reckten sich die Flammen der Öllampen und Kerzen gegen die Schwärze, nur wenige Wege der Stadt waren durch Fackeln beleuchtet, manche davon steckten fest in eisernen Haltern an den Wänden der Häuser, andere wurden getragen von sich ängstlich umblickenden Sklaven, welche ihre Herren nach Hause geleiteten, oder gar von Freien selbst, welche sich keine Sklaven zu ihrem Schutz, doch ebensowenig es sich leisten konnten, ihr Heim in dieser finsteren Nacht nicht aufzusuchen. Oblgeich hinter den Türen der Häuser gelöste Stimmung in Kerzen und Fackelschein herrschte, denn die Nacht war noch nicht allzu weit fortgeschritten, so war es, wie immer bei Neumond, äußerst gefährlich in den Gassen Roms. In der Villa Flavia jedoch galten die Sorgen anderen Gefahren denn jenen gedungener Mörder, hinterlistigen Diebesgesindels oder angetrunkener Schläger. Im Atrium flackerten hinter den Masken der Ahnen die Kerzenflammen und tanzten im durch das Compluvium hereinziehenden winterlichen Wind. Als Gracchus, gehüllt in eine Toga von dunkelblauer Farbe, die schein als wolle sie der Dunkelheit der Nacht Konkurrenz machen, langsam durch das Atrium schritt, fühlte er die Blicke der Ahnen auf sich ruhen. Er hatte sich sorgfältig auf diesen Abend vorbereitet, hatte an Schriften studiert, was ihm in der Kürze der Zeit möglich war, und die Theorieen zum Exorzismus verinnerlicht. Nun galt es herauszufinden, ob er dem gewachsen war, wovor er einst selbst sein Heil in der Flucht gesucht hatte. Im Peristylium knisterten die Holzscheite in den Feuerschalen, welche den Platz säumten, welcher zum Ort des Geschehens auserkoren worden war. Der Wind strich auch hier durch die Luft, strich durch die Büsche hindurch und bewegte die kahlen Äste, so dass es schien, als wollten die Gewächse mit ihren dürren Armen nach dem Licht greifen. Das Knistern des Holzes klang wie das Flüstern längst verstorbener Seelen, die in diesen dunklen Nächten, da die Bande zwischen den Welten ohnehin stark waren, darauf gierten, den Lebenden ihre Worte einzugeben. Mit einem Wink bedeutete Gracchus den Sklaven den Weihrauch auf die Kohlen zu geben. Sogleich wirbelte der Rauch, tanzte munter im seichten Wind, und ehe Gracchus sich versah war die Luft um ihn herum eingeräuchert und die grauen Nebel hingen schwer unter dem Dach, welches den Säulengang bedeckte. Er beugte sich nieder und nahm eine Schüssel voll Wasser und einen Pinsel aus dem Haar eines schwarzen Stieres, der einst dem Mars in seiner Form als Herr über die Flüche geweiht worden war. Er tunkte den Pinsel in das Wasser und bespritzte damit den aufgestellten Foculus, um ihn zu reinigen.
"Iove, höchster und reinster aller Götter, Du, der Du mir am nähsten stehst, in dessen Hände ich schon einmal ein Fluch-beschwertes Schicksal legte, Iove, höchster und reinster aller Götter, steh uns bei in diesen Stunden, steh uns bei mit Deiner Kraft und Deiner Stärke. Marmar, der Du die Flüche der Verzweifelten entgegen nimmt, Mars Ultor, der Du die Rache der göttlichen Gewalten bringst, Du, der die Furien bezwingst, Deinen Beistand erbitte ich in diesen Stunden, steh uns bei mit Deiner Kraft und Deiner Stärke und Deiner Rache. Veiovis, unbändiger Heilsbringer, der Du die Sühne entgegen nimmst, Deine Kraft und Deine Stärke erbitte ich in diesen Stunden. Luna, dunkle Mondin in dieser Nacht, Du, die Du mit Deinem Kommen und Gehen die Welt und ihre Frauen in ihre Bahnen ziehst, steh uns bei und lass mit Deiner Rückkehr die Rückkehr der Erinnerung dieser Deiner Tochter einhergehen."
Die Worte waren kaum mehr als ein leises, eindringliches Flüstern, doch in der Stille der Nacht wurden sie vom winterlichen Wind durch das Peristyl hindurch getragen und erhoben sich schließlich sanft hinaus in die düstere Finsternis. Gracchus nahm das Messer von dem kleinen Altar auf, betrachtete einen Moment lang die scharfe Klinge, die im Feuerschein orangefarben aufblitzte, und steckte es schließlich in die weiche Lederscheide zurück und legte es wiederum auf dem Foculus ab. Sodann zog er sich eine Falte seiner Toga über den Kopf und wandte sich zu einem der Sklaven um. Ein Nicken nur deutete an, dass jener Arrecina nun herbei holen sollte, da alles bereitet war. Ein kalter Hauch zog durch das Peristyl und ließ nicht nur das Feuer in den Becken auflodern, sondern führte zudem dazu, dass die Kohle in den Räucherbecken aufflammte. Doch nur Herzschläge später waren die züngelnden Flammen bereits wieder verloschen, einzig das Licht der Feuerschalen tauchte den Ort in goldenes Licht und das Knistern der Holzscheite kündete flüsternd von Welten jenseits des Sichtbaren.