Subura - Ein namenloser Tempel am Fuße des Esquilin

  • Schmutzige Insulae-Blöcke umgaben die Straße, durch die ich auf den alten Tempel zueilte; wie die Wände einer Klamm ragen sie hoch auf, und ließen auch an diesem hellen Frühlingstag keinen Sonnenstrahl auf den Grund der Häuserschlucht dringen. Ich war hier, weil ich einen Mann suchte, von dem ich vage hoffte, dass er mir möglicherweise aus meiner Misere helfen konnte...


    Nachdem mich der unverschämter Zwischenrufer auf dem Pons Cestius vorhin haarscharf vor einer großen Dummheit bewahrt hatte, hatte ich mir verzweifelt das Hirn zermartert, wen ich um Hilfe bitten könnte. Aber alle die mir einfielen waren entweder selber pleite, oder gleichgültig, oder aus diversen Gründen, nicht gut auf mich zu sprechen.
    Zum Beispiel Orestes, völlig angepisst, hatte gleich versucht mir eine zu verpassen und mich angebrüllt, wegen mir sei er jetzt bei Callistus unten durch, und er wolle für neues Lotus von mir erst mal nen Haufen Kohle sehen...


    Tja. Wenn ich mir die Summe nicht zusammenklauen wollte, brauchte ich eindeutig einen Retter. Und da fiel mir nur noch einer ein, den ich anhauen könnte. Wobei ich mir nicht sicher war, ob dieser Mann nicht vielleicht noch viel gefährlicher als die beiden Sicarii von heute morgen war... Oder, genaugenommen, hielt ich das sogar für sehr wahrscheinlich.
    Aber die Zeit rann mir davon. Ich hatte keine Wahl. In dem Lupanar, wo er oft zu finden war, hatte ich vergeblich nach ihm gefragt. Aber eine Freundin, die dort arbeitete, hatte mir verstohlen zugeraunt, dass er gerade vor kurzem zum alten Tempel aufgebrochen war, warum auch immer.


    Und da war ich nun. Wie erdrückt von den hohen Insulae ringsherum lag das alte Gemäuer vor mir. Hinter einem sumpfigen Vorplatz duckten sich zerbröckelnde Mauern an die Flanke des Berges. Geborstene Säulen lagen kreuz und quer, inmitten von Brennesseln und wuchernden Ranken. Was für ein Tempel das war, welchen Gott man hier einst verehrt hatte, wusste keiner mehr. Die Inschriften waren längst verwittert, die Fresken verblasst.
    Einzig die weitläufige, offene Form des Pronaos, der noch zu erahnenden Vorhalle vor dem Tempelinneren, ließ auf einen etruskischen Ursprung schließen.
    Es war ein schauriger Ort. Ganz in der Nähe mussten früher auch die Leichengruben für die Armen gelegen haben, und ich hatte hier in dieser Ecke ständig das Gefühl, dass sich in den allgegenwärtigen Sumpf-Geruch noch immer ein leiser Hauch von Verwesung mischte.


    Beklommen folgte ich einem kleinen Trampelpfad, der sich um Müll und Schutt herum durch die Brennesseln wand, trat dann über schiefe und ausgetretene Stufen ins Pronaos. Mit einem leisen Schaben glitt eine Viper davon, verschwand blitzschnell in ein einer Mauerritze.
    Vorsichtig setzte ich meine Füße, ging leise, Schritt für Schritt, auf den Eingang zur noch erhaltenen Cella zu, trat dann in den schmalen Torbogen. Dunkel war es dahinter, ich konnte nur ein Stück des wasserfleckigen Bodens und der rissigen, terakottaverzierten Wände erkennen...
    "Hannibal?"

  • Geisterhaft löste sich eine Silhouette aus einem der vielen düsteren Schatten des verkommenen Tempels. Eine schmutzige kleine Gestalt, ein Junge mit blassem Gesicht, aber vielen Sommersprossen um die Nase, trat auf Serapio zu, musterte ihn mit unverhohlenem Misstrauen. Mit seinem mageren Arm deutete er ins Innere. „Dort drinnen…komm!“ Mit einer Hand spielte der Junge mit einem Messer unter einem groben, mehr löchrigen Tuch, was er sich zur Tarnung über die Schulter geworfen hatte und wandte sich um, ging voraus in den Tempel hinein. Bei jedem Schritt humpelte der Junge, zog dabei sein rechtes Bein hinter sich her, dessen Fuß seltsam deformiert wirkte.


    Wenig Licht fiel hinein und beleuchtete die plump wirkenden dicken Säulen am Rande des großen dämmergrauen Tempelsaal, unter den Füßen von dem Jungen zerbrachen alte Tonscherben, Dreck und Staub wurden aufgewirbelt. Die wenigen Sonnenstrahlen glitten wenig schmeichelhaft über die rissigen Wände als sich aus der Schwärze eine riesige Gestalt heraus schälte. Mit drohender Faust ragte sie über einen steinernen Altar, der in der Mitte zersprungen war und tiefrot verfärbt. Das Gesicht der Statue war von dem Regen, der durch das löchrige Dach in den Tempel drang, zerfressen und nur noch eine Maske des Nichts. Dennoch trug er den Ausdruck eines zornigen Gottes, der sich jeden Augenblick auf die Gläubigen oder Frevler dieses Templers stürzen wollte. Ein schwerer Geruch nach Feuchtigkeit und Moder lag in dem Tempel, eine bedrückende Stille, die von der Gröbe der Urtümlichkeit noch untermalt wurde. Der Regen hatte auch auf dem Boden tiefe Spuren hinterlassen, wenn auch die tiefe Rinne in der Mitte, rostrot verfärbt, mehr wie ein stummes Zeugnis vieler Füße von früher wirkte und die Spuren alter, unaussprechlicher Kulte zu bekräftigen schien.


    Ebenso versteinert, wie es schien, stand noch eine zweite, kleinere Gestalt neben der alten Götterstatue, dessen Namen schon vor vielen Generationen vergessen wurde und nur noch von den, des Nachts herumstreifenden, Lemuren bezeugt werden konnten. Halb im Schatten stand Hannibal, die Hände neben den alten roten, womöglich blutigen, Spuren auf dem grauen Altarstein abgestützt. Das wenige Licht beschien seine dunkelblaue Tunica und den fast taubengrauen Überwurf, unter dem sein Caestus und sein Sica, wie oft, gut verborgen lagen.


    Hannibal sah nicht auf als er die schlürfenden Schritte des Jungen vernahm, war jedoch bis zur letzten Faser seiner Körpers angespannt, schließlich war das Treffen hier im Tempel nichts, was er mit freudiger Erwartung entgegensah. So waren seine Hand nicht weit von seinem Dolch entfernt als er der Beiden gewahr wurde. „Besuch!“, gab der Junge von sich. Hannibal sah mit düster umschatteten Augen auf, war schon bereit seinen Dolch zu ziehen, doch schon einen Atemzug entspannten sich seine Gesichtszüge abermals, mehr noch, ein wenig Überraschung war ihm anzusehen. „Flosculus?“ Hannibal löste seine Hände von dem Stein neben dem Riss, wo einiges trockenes Moos sich nach oben rankte. Für einen Atemzug überlegte Hannibal, ob Flosculus von Nerva geschickt worden war, verwarf dies jedoch, da er Flosculus für nicht so einen abgebrühten Attentäter hielt. Hannibal trat einen Schritt auf ihn zu und legte eine Hand auf dessen Schulter, strich mit einem Daumen über seinen Nacken. Mit einer Hand deutete er dem Jungen, sich wieder zum Eingang zurück zu ziehen, was dieser, leise Schlürfend auch tat. „Hast Du nach mir gesucht?“

  • Wie ein Lemur trat der Junge aus dem Schatten. Ich erschrak, sah erst auf den zweiten Blick, dass es nur Scaurus war, der wohl mal wieder für Hannibal Augen und Ohren aufsperrte. Ich nickte, und folgte dem kleinen Krüppel ins Innere des Tempels. Scherben zerbröselten knirschend unter unseren Schritten, und grausig ragte das gesichtslose alte Götterbild über uns auf.


    Der Ort macht mir jedesmal eine Gänsehaut. Es ist, als würde man in eine tiefe Höhle hinabsteigen, und mit jedem Schritt weiter zurückgehen in der Zeit, bis zu einem Punkt, als die Welt noch roh und ungeschlacht war, und die Götter grobe und schreckliche Mächte waren, unberechenbare Kreaturen, die im Dunkel wohnten und hungrig darauf lauerten, ihre Gläubigen zu verschlingen. Lange bevor unsere Ahnen die schönen und erhabenen Göttergestalten in dieses Land brachten, die wohlwollend, mit aus Achaia entlehnter Eleganz, und oft auch mit unblutigen Riten zufrieden, die Geschicke Roms so zuverlässig beschirmen.


    Schaudernd und fasziniert zugleich trat ich über die Bodenrinne hinweg. Ob das richtige Blutspuren waren? Dann sah ich Hannibal, wie er da neben dem klobigen Altarstein stand. Er wirkte ziemlich angespannt, und schien doch ganz in diese düstere Umgebung zu passen. Überhaupt umgibt er sich ja oft mit Schatten, dabei ist er, schon von sich aus, unheimlich genug wenn er will...
    Aber ich mag ihn, auch wenn er, glaube ich, ziemlich größenwahnsinnig ist. Ich meine, welcher normale Mensch kommt schon darauf, sich 'Hannibal' zu nennen? Obwohl, besser als mein blöder Spitzname ist das allemal. Ich verfluche echt den Tag, an dem ich mir diese Tätowierung habe machen lassen!


    Erleichtert ihn endlich gefunden zu haben, trat ich schnell zu ihm.
    "Ja, schon eine Weile...."
    Ich legte den Kopf zur Seite, schmiegte meine Wange an seine Hand, und hoffte inständig dass er mir helfen würde. Aber mir war auch unangenehm klar, dass das was ich von ihm wollte, ganz was anderes war, als um ein paar Sesterzen zu bitten, oder um einen Teller Suppe. Zur Not konnte ich versuchen ihn zu erpressen, aber allein bei dem Gedanken wurde mir schon ganz flau...


    "Meum savium, ich... ich bin völlig verzweifelt!"
    Die Tränen traten mir schon wieder in die Augen, ich legte meine Stirn an seine Schulter, und das ganze Elend brach aus mir heraus:
    "Ich bin völlig am Ende, ich weiß einfach nicht mehr was ich tun soll! Ich... bitte, kannst Du mir helfen!? Da sind zwei Sicarii, Leute von Callistus, die wollen mir die Kehle aufschlitzen, weil ich angeblich irgendwelches Lotus verschlampt haben soll, die bringen mich um wenn ich es ihnen nicht bis heute Abend ersetze, aber ich hab doch kein Geld, und weiß auch nicht, und hab keine Ahnung wie... Die werden mich abstechen, einfach so!"
    Ein Schluchzen stieg meine Kehle empor und erstickte meine Worte. Beschwörend umfasste ich Hannibals Hand, sah durch einen Schleier von Tränen gänzlich aufgelöst in seine Augen und und flehte:
    "Bitte, Du bist der einzige der mir helfen kann! Bitte!"

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Zaghaft begannen einige Grillen am Rande des Tempels in den, seit Tagen nach Regen dürstenden, Gräsern zu zirpen, doch die Stimmen aus dem Inneren des verlassenen Tempels, was nur mehr ein Skelett seiner Selbst war, ließ sie schnell wieder verstummen. Im Gebälk des Tempels raschelte es und ein undefiniertes Kratzen war auszumachen. Mehr verdutzt, denn ablehnend erstarrte Hannibal als sich Serapio an ihn warf und sein Schluchzen an Hannibals Schulter zu spüren war. Einen Atemzug später hob Hannibal, mehr oder minder zögernd, eine Hand und legte sie sachte auf den Rücken von dem, den er immer noch nur als Flosculus kannte. „Aber, aber…“ murmelte Hannibal leise und wollte schon nach dem Grund all dieser Verzweiflung fragen. Die Gründe einer solchen Misere konnten bei Flosculus zahlreich sein, doch Hannibals noch nicht gestellte Frage wurde schon im nächsten Moment beantwortet.


    'Callistus?' Ein Sonnenstrahl verirrte sich in Hannibals dunklen Augen als er den Kopf hob und nachdenklich auf den hell erstrahlten Ausgang des Tempels sah. Natürlich kannte er Callistus, mehr vom Hörensagen. Ein kleiner Ganove, nicht bedeutend genug, um groß Ärger zu machen, aber dennoch nicht ohne Einfluss, besonders auf dem Aventin. Und Hannibal hatte eigentlich genug Probleme im Moment. Mit Nerva, der schon seit langem bemüht war, der Vogelmaske das Wasser in der Subura abzudrehen. Ein leises Seufzen kam von Hannibals Lippen. Erneut sah er zum Eingang, schließlich erwartete er einen von Nervas Leuten. Hannibals Hand strich Serapio abwesend über die Schulter und wanderte wieder zu seinem Nacken hoch. Erst als Serapio sie ergriff, wandte Hannibal den Blick von der Tür. Scaurus würde ihn schon rechtzeitig warnen.


    Blaue Augen, sie hatten es Hannibal schon immer angetan. Hannibal hob seine andere Hand, strich mit den Fingerspitzen an Serapios Schläfen entlang und fuhr sanft mit seinem Daumen über seine Wange, wischte einige der Tränen fort. „Flosculus, Du hast nicht das Zeug dafür, Dich in dem Sumpf dieser Männer zu bewegen.“ Wie oft hatte Hannibal ihm das schon gesagt? Ihm versucht, klar zu machen, er solle das Ganze sein lassen, da es ihn nur noch tiefer hinein ziehen und ihn in jungen Jahren sterben lassen würde. ’Die Schönen sterben früh!’, der Gedanke irrte in Hannibals wirre Geistwindungen, das Bild einer toten und schönen jungen Frau, gestorben durch seine Hand, irrte in seine Gedankengänge. Hannibals Nasenflügel bebten als sein Atem heftig durch seine Nase stob. Doch schließlich nickte er langsam. „Also gut, wie viel schuldest Du ihnen denn?“ , fragte er, dachte sich dabei: ’Es kann höchstens um die hundert Sesterces sein.’ Für ihn eine Summe, die eine Lappalie war, für Serapio bestimmt nicht.


    Angespannt spähte Scaurus hinaus in die grellen Sonnenstrahlen, die zu dieser Stunde die Stadt zu lähmen schien. Doch noch ahnte der kleine Junge nicht, was für ein Tross sich dem Tempel näherte, die in der Mitte eine schneeweiße Sänfte führte…

  • "Das sagst du immer... "
    murmelte ich leise an Hannibals Schulter. Wieder das alte Thema. Aber es tat einfach gut jemandem nahe zu sein, dem ich nicht egal war. (Oder jedenfalls nicht vollkommen egal.) Ich beruhigte mich ein bisschen, schluckte die Tränen runter, und lächelte, als er so zart mein Gesicht streichelte.
    "Vielleicht hast du ja recht, mag sein dass ich nicht das Zeug dazu habe. Aber ich komm da einfach nicht mehr raus, Hannibal, verstehst du... mir würde doch eh keiner mehr eine Chance geben, und, überhaupt, ich will nicht Teil sein von dieser..., dieser blasierten Gesellschaft, in der nur Macht und Geld und Prestige zählt, und ein Regime, das auf Unterdrückung basiert, und Krieg, und banalen Spektakeln für die dummgehaltenen Massen... "
    Noch wesentlicher war allerdings, dass ich einfach nicht ohne Drogen klarkam. Aber das wußten wir wohl beide.


    "Du hilfst mir?!"
    Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, und strahlend, überfließend vor Dankbarkeit, fiel ich meinem Retter um den Hals.
    "Ich danke Dir! Ich bin so erleichtert! Oh, du kannst Dir gar nicht vorstellen wie froh ich bin! Danke, Hannibal, tausendmal Danke!"
    Ich drückte mich enger an ihn, streichelte zärtlich seinen Nacken, und küsste ihn sanft auf den Wangenknochen.
    "Du bekommst es auch sicher zurück, das kriege ich schon irgendwie hin. Ich kann auch für Dich arbeiten... Und alles tun was Du willst sowieso..."
    Meine Lippen wanderten an seinem Hals entlang, und weich, ganz weich küsste ich ihn auf die Stelle ein kleines Stück schräg unter dem Ohr, wo er es immer besonders gerne mochte.
    "...wenn Du willst."
    Was nicht unbedingt ein großes Opfer gewesen wäre. Um ehrlich zu sein, hätte ich mich nicht ungern so bei ihm revanchiert. Ich stehe einfach auf diese Mischung aus zärtlich und unberechenbar. Und dann diese hypnotischen dunklen Augen!
    Aber er schien noch immer recht angespannt, und so kam ich dann doch zum Punkt.
    "Es ist halt schon ein größerer Betrag... Dieses Lotus-Zeug ist verdammt wertvoll..."
    Die Summe war so hoch, dass ich mich richtiggehend scheute, sie laut auszusprechen. Also flüsterte ich sie ihm verschämt ins Ohr, ängstlich wie er wohl drauf reagieren würde...

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Während in der Stadt fröhliche Feiern auflebten, Akrobaten und Tänzer ihre Künste den lebelustigen Römern oder auch den Fremden der Stadt darboten, schien es um den alten Tempel herum von jeglicher Fröhlichkeit verlassen zu sein. Ein schwarz glänzender Käfer krabbelte langsam mit seinen filigranen Beinchen über den staubigen und dreckigen Steinboden im Tempel und schlug einen Bogen um die beiden Männer, die im Halbdunkel des Tempels standen. Zwar ahnte Hannibal noch nicht das Herannahen des kleinen Trosses, dennoch zog er Serapio noch ein wenig tiefer in den Tempel und zu einer, von Schatten umfangenen, Mauer, lauschte dabei seinen Worten und hob nur skeptisch die Augenbrauen als Serapio von der blasierten Gesellschaft sprach. Doch in dieser Hinsicht verkniff sich Hannibal die Worte, die ihm auf der Zunge lagen und auch jegliche weiteren Versuche Serapio von einem anderen Lebensweg zu überzeugen. Hannibal hielt sich auch nicht für einen, der die Menschen auf den "rechten" Pfad zurück führen sollte oder wollte.


    „Mhm…“, murmelte Hannibal auf Serapios Frage hin und lehnte sich ein wenig stärker an ihn heran, atmete genussvoll als er Serapios Kuss beim Ohr spürte. Doch schon im selben Moment zuckte eine heftige Ermahnung durch seinen Geist- Nadia. Gerade wollte Hannibal Serapio sanft, aber dennoch bestimmt von sich schieben und weitere Annäherungen damit unterbinden, als dieser ihm die Summe ins Ohr raunte. Hannibal stockte und ließ seine Hände an Serapios Tunica, nein, seine Finger krallten sich fester in den Stoff hinein. Dann drückte Hannibal Serapio doch ein Stück von sich fort und sah ihm fest in die Augen. „Flosculus! Wie kommst Du dazu, so viele Schulden anzuhäufen? Bei den Furien, was hast Du nur getrieben? So viel Zeug kannst doch selbst Du nicht zu Dir nehmen, das würde Dich doch umbringen…“ Hannibal musterte ihn genau, etwas blass und kränklich sah Serapio durchaus aus.


    ~Ein kurzer Blick nach draußen: Lautlos stellten die dunkelhäutigen Sklaven die schneeweiße Sänfte vor dem Tempel ab. Gerade wollte Scaurus aufspringen und Hannibal warnen als ihn eine Hand packte und einer der bulligen Leibwächter ihm den Mund zudrückte. Eine weiße Hand teilte den Vorhang zur Seite…~


    Hannibal ließ Flosculus los und wandte sich um, ging eine Schritte hin und zurück. Dabei kreisten seine Gedanken um jene unverschämt hohe Summe. Woher nehmen? In Gedanken griff sich Hannibal an die Schläfe und rieb diese mit Zeige und Mittelfinger. Einen großen Teil der Summe würde er auch an jenem Tag zusammen bekommen. Und mit genug schmeichlerische Worte, vielleicht ein paar Drohungen konnte man auch noch den Rest des Geldes erst einige Tage später bezahlen. Schließlich war Callistus, wie er gehört hat, kein Dummkopf, sondern ihm war mit Sicherheit mehr daran gelegen das Geld auch zu bekommen. Abrupt wandte sich Hannibal um und sah zu Serapio. „Also gut…wenn das Treffen hier vorbei ist, dann kommst Du einfach mit und wir kümmern uns um das mit dem Geld. Du musst Dir keine Sorgen machen, Flosculus.“


    Doch es kam alles ein wenig anders. Ein erstickter Schrei tönte draußen von Scaurus, doch schon standen in der Tür zwei massive Schränke, zwei Leibwächter, die hinein traten und Hannibal und Serapio mit finsteren Blicken taxierten. Hinter den beiden Männern folgte ein etwas vollschlanker Mann in einer weißen, langen Seidenpaenula. Der Mann in Weiß trat an den Leibwächtern vorbei und in das Halbdunkel des Tempels. „Was höre ich von Geld?“ , gab der Mann mit einer weichen Stimme von sich.


    Einst ein schöner Mann, war er deutlich gealtert, und selbst im Halbdunkel war das Rouge auf seinem intelligenten, wachen, aber verlebten Gesicht deutlich zu sehen. Selbst das wenige Licht konnte den Zahn der Zeit nicht verbergen, die leicht aufgedunsene blasse Haut und angedeutete Tränensäcke unter den dunkelgrauen, kalt blickenden Augen. An seinen Fingern prangten einige goldene Ringe, die im letzten Sonnenlicht im Tempel funkelten. „Hannibal.“, grüßte der Fremde und sah dann mit einer trägen Bewegung zu Serapio. Seine Augen streiften ihn von oben bis unten, ehe sich seine schmale gezupfte Augenbraue in die Höhe wölbte. „Wer bist Du?“, fragte der Mann mit kalter, schneidender Stimme.

  • Meine Hoffnung, dass er mir helfen könnte, schmolz unter Hannibals scharfem Blick schon wieder dahin. Unbehaglich wich ich ihm mit den Augen aus, sah auf seine Hände an meiner Tunika. Ja, 'Was hast Du nur getrieben' war eigentlich eine gute Frage....
    "Es war mehr so... Pech, einfach.",
    versuchte ich, matt, mich zu verteidigen, verfolgte dabei ängstlich Hannibals Hin und Her schreiten in dem dunklen Raum. Hoffentlich war er jetzt nicht zornig, dass ich versucht hatte, seine Gutmütigkeit auszunutzen.
    "Ich sollte halt eine Lieferung von dem Zeug überbringen, und die ist mir, äh, geklaut worden, oder... naja, ich weiß es eigentlich nicht mehr so genau, ehrlich gesagt, ich war halt ziemlich berauscht, und... -"
    Ach, ich machte alles nur noch schlimmer! Besser gar nichts mehr sagen...


    'Also gut.' Also gut? Mit großen Augen starrte ich ihn ungläubig an.
    "Wirklich? Oh, Hannibal, Du bist großartig! Du rettest mir das Leben! Ich werde Dir ewig dankbar sein, EWIG!"
    Es war um so großherziger von ihm, als er bestimmt nicht mit der Rückzahlung rechnete. Schließlich hatte das bisher, wenn ich mir sonst etwas von ihm geliehen hatte, auch nie so richtig geklappt. Ich fühlte mich ganz schlecht, dass ich vorhin darüber nachgedacht hatte, ihn vielleicht sogar zu erpressen.
    "Nach dem Treffen, ja, klar. Aber sag mal, was für ein Treffen ist das hier eigentlich...-"


    Ein Schrei.
    Ich fuhr herum, und sah den Mann in Weiß hereinschreiten, königlich geradezu zwischen seinen Leibwächtern. Wer war das? Sicher kein kleiner Straßengauner. Ich bekam eine Gänsehaut, als er sprach, so eine Eiseskälte, so eine bösartige Drohung lag in den wenigen, ruhigen Worten dieser weichen Stimme.
    "Ich?"
    Unwillkürlich hatte ich einen Schritt zurück gemacht, hätte mich am liebsten hinter den Säulen verkrochen.
    "Flosculus. Ist mein Name. Ich... will nicht stören."
    Nervös strich ich meine Haare zurück, sah schnell zu Hannibal und fragte ihn leise:
    "Soll ich gehen?"

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    Klient - Decima Lucilla

  • Schrill und hell zerbrach eine Tonscherbe unter den Calcei des weiß gekleideten Fremden. Der Mann trat einen Schritt auf Serapio zu. Stoff fiel raschelnd zurück als der Mann seine Hand hob und seine langen schlanken Finger, die an den Nägeln tief rot gefärbt und wie kleine Dolchspitzen zurecht gefeilt waren. Sanft fuhren die Fingernägel an Serapios Wange entlang, wobei der Mann ihn mit einem kalten und abschätzenden Blick musterte. Unter seinem Kinn blieb der Zeigefinger des Weißgewandeten ruhen und hob Serapios Kinn an, so dass sich die Spitze des Nagels schmerzhaft gegen die zarte Haut bohrte. Seine verlebten Gesichtszüge erhellten sich ein wenig, wenn es auch nicht mit einem Lächeln zu vergleichen war. „Warum solltest Du stören, mein Hübscher?“ , erwiderte der Mann. „Du bleibst!“ Die letzten Worte klangen wie ein herrischer Peitschenhieb, der durch den Tempel hallte. Der Mann wandte sich Hannibal um und faltete seine Hände ineinander, der weiße Stoff glitt wieder über sie hinweg und verdeckte seine roten Fingernägel.


    „Hannibal, ich bin sehr enttäuscht. Dabei habe ich mir durchaus viel von Dir versprochen, schließlich hast Du Dich für Nerva und gegen den Vogelmann entschieden. Und nun? Eine Enttäuschung nach der Anderen. Zuerst muss ich hören, dass Du auf eigene Faust arbeitest und Außenstehende involvierst…ja, ich rede vom Attentat mit dieser seltsamen Farce. Und dann kannst Du noch nicht mal für die Sicherheit im Lupanar sorgen. Und warum? Weil Du einfach abgehauen bist und Dein eigenes Ding treibst. Das geht so nicht, Hannibal.“ Wie ein Vater sprach der Mann zu Hannibal, sanft, dennoch tadelnd dabei. Hannibal starrte ihn stumm an, dachte über alle möglichen Ausflüchte nach, aber nach den Ermittlungen der Urbaner war wenig zu rechtfertigen. „Satryus, Du weißt ganz genau, dass so was in einem Lupanar nun mal passieren kann…“ Noch ehe Hannibal fortfahren konnte, bedachte Satryus ihn mit einem eisigen Blick, den ihn zum verstummen brachte. Satryus sah mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen zu Serapio.


    „Dann bist Du vielleicht meine Entschädigung? Immerhin habe ich für Hannibal vor Nerva gebürgt. Und dann hatte ich noch den Ärger mit den Urbanern vor einiger Zeit.“ Satryus trat auf Serapio zu. „Kleine Blume, was für ein niedlicher Name.“ Die Fingernägel strichen lasziv über Serapios Wange und die kalten Augen durchbohrten ihn förmlich. „Lass ihn in Ruhe.“ , warf Hannibal ein. „Geh am Besten, Flosculus. Und warte in der Schenke am Kanal.“ Satryus hob seine andere Hand, zwei der bulligen Männer traten vor und packten Hannibal, der überrascht wirkte und dann wütend knurrend sich dem Griff zu entwinden versuchte. „Flosculus…“ wiederholte Satryus den Namen, betrachtete ihn aufmerksam. „Du würdest Dich gut in meinem Haushalt machen. Doch, doch, Dich würde ich durchaus als Entschädigung annehmen. Wem hast Du vorher schon gedient?“ , fragte Satryus in der Annahme, einen Sklaven vor sich zu haben.

  • Die Anspannung in dem Raum wurde immer greifbarer, so ähnlich wie die Atmosphäre wenn sich ein Gewitter zusammenbraut, und es immer schwüler, und drückender, und explosiver wird... Ich hatte wirklich nicht den Wunsch, dabeizusein, wenn diese Spannung sich entlud.
    Unter dem kalten Blick des Fremden ließ ich es, wie das Kaninchen vor der Schlange, zu dass er meine Wange berührte, dann mein Kinn anhob, obwohl ich am liebsten schleunigst das Weite gesucht hätte.
    Ich rang mir ein nichtssagendes Lächeln ab, das starr wurde, als er einen seiner gruseligen Fingernägel in meine Haut grub. 'Als hätte er die Fingerspitzen in Blut getaucht', schoß es mir durch den Kopf.
    Ich zuckte zurück bei seinem schroffen 'Du bleibst!', schlang die Arme um mich herum, und war mehr als erleichtert, als er sich wieder Hannibal zuwandte. Aber was die zu bereden hatten, klang gar nicht gut...


    Mit einem flauen Gefühl in der Magengrube erkannte ich, dass Hannibal anscheinend ebenso gewaltige Probleme am Hals hatte, wie ich. Oder noch größere?
    Ich fragte mich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, Hals über Kopf aus der Stadt zu verschwinden, und sehnte mich in diesem Moment, wie so oft, ganz entsetzlich nach der sanften und warmen Umarmung des Opiums.


    Wieder bedachte der Mann in Weiß - Satryus - mich mit seiner Aufmerksamkeit. Für gewöhnlich schmeichelte mir sowas, aber bei diesem eiskalten gespenstischen Exzentriker machte es mir nur Angst.
    Entschädigung? Ich? Mir fiel fast die Kinnlade runter, ich sah ihn groß an, und spürte ein Gefühl in mir aufsteigen, dass man nur als Panik bezeichnen kann. Nur zu gerne wäre ich Hannibals Vorschlag gefolgt, aber Satryus schien etwas dagegen zu habe - erschrocken sah ich, wie seine Handlanger sich Hannibal schnappten.
    Ich atmete tief durch, und versuchte ruhig zu bleiben, nicht vor den Krallen dieses alternden Satyrs zurückzuschrecken. Der mich anscheinend für einen Sklaven hielt. Wie beschämend. War ich wirklich so tief gesunken? Anscheinend.


    Ich überwand mich mühevoll, und versuchte, diese explosive, und zudem absurde Situation, irgendwie ein bisschen zu entschärfen. Es gelang mir, ein kleines Lächeln auf meine Lippen zu zaubern, und mit, anfangs noch etwas unsicherer Stimme flüsterte ich:
    "Oh. Ich bin sehr geschmeichelt... Satryus."
    Mit einem koketten Augenaufschlag legte ich meine Hand ganz sacht auf seine Kralle an meiner Wange.
    "Jedoch - Du missverstehst, ich bin kein Sklave, nur ein Freund von Hannibal. Aber..."
    - ich zögerte, sah kurz zu Hannibal, der gegen die beiden Schränke keine Chance hatte -
    "...aber, werter Satryus, wenn ich Dir möglicherweise mit meiner Gesellschaft eine kleine Annehmlichkeit zu erweisen vermag, so ist es mir eine Freude Deinen Wünschen zu willfahren... hingebungsvoll..."
    Ich blickte ihm in die kalten Augen, grub meine Zähne kurz lasziv in meine Unterlippe hinein und flüsterte schmeichelnd:
    "...und ich hoffe, Dich so zu Milde zu bewegen gegenüber Hannibal, dessen Versäumnisse in der Vergangenheit doch bestimmt nicht unentschuldbar sind..."

  • Ein einzelner Schmetterling verirrte sich in das Haus von Verfall und Niedergang zeugend, flatterte mit den hellgelben Flügeln heran und landete auf dem weißen Stoff von Satryus, der Serapio mit einem satyrischen Lächeln bedachte und seine Fingernägel von der Wange zu dessen Hals gleiten ließ. „So, so, kein Sklave?“ , flüsterte Satryus mit einem leicht enttäuschten Lächeln, grub dabei die Spitzen seiner kleinen Dolche in die zarte Halshaut, so dass ein einzelner Bluttropfen erschien und an seinen weißen, knochigen Händen entlang glitt, eine dünne Spur hinterließ und sich unendliche langsam von dem Finger in einem kleinen perfekten Rund zu lösen versuchte. Die kalten Augen des Mannes bohrten sich in die tief Blauen seines Gegenübers. „Zu Schade, zu schade…“, murmelte Satryus und hatte in jenen Augenblick Hannibal völlig vergessen.


    Dieser sah zuerst mit Verwunderung zu Serapio, blinzelte einige Male, immer noch fest im Griff der beiden Männer, als er dessen Worte vernahm. Wollte dieser ihm tatsächlich in dieser Situation helfen? Hannibal war mehr als erstaunt, sicherlich hatten sie sich gut verstanden, aber das erwartete er nicht von Serapio, hatte ihn völlig anders eingeschätzt und wurde nun eines Besseren belehrt. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und er tat so als ob er sich nicht mehr dem Griff erwehren wollte. Die Ruhe vor dem Sturm.


    Der Bluttropfen fiel in die Rinne des Steinbodens. Satryus beugte sich nach vorne, sein Atem glitt warm über Serapios Ohr als er leise und mit einem zischelnden Unterton flüsterte. „Einen Sklaven hätte ich lieber gehabt. Aber wenn Du ein Freund bist, dann bedeutest Du Hannibal wohl etwas. Das ist genauso gut, denn ich…liebe außergewöhnliche Spiele, rot und weiß…Blut und die reine Unschuld des Todes…“ raunte er geheimnisvoll, schlug nach dem friedlichen Schmetterling und zerquetschte ihn zwischen seinen Fingern. Süffisant lächelnd richtete er sich auf, in seinen Augen stand ein Funkeln, was nicht in den Ausdruck eines normalen Mannes passte und das in einem sehr unguten Sinne. Hannibal atmete scharf ein als er das hörte, denn er wusste genug von Satryus, um die Art seiner Spiele zu erahnen.


    Abrupt, die beiden Männer waren wohl nicht mehr darauf vorbereitet, entriss Hannibal einem seinen Arm und holte seinen Dolch hervor. In einer fließenden Bewegung stieß er den Dolch in die Höhe. Blut benässte den steinernen und staubigen Boden und einer der Männer sackte zusammen, röchelte leise im Sterben. Satryus fuhr herum, einen mörderischen und wütenden Ausdruck im Gesicht. „Verschwinde, Flosculus, schnell…“ presste Hannibal hervor ehe sich auch schon der zweite Mann auf ihn stürzte. „Brutus!“ schrie Satryus schrill und ein Dunkelhäutiger betrat den Raum, einen Todschläger in der Hand. Sein massiger Körper verdeckte einen Moment die Sonne, so dass es düster im Raum wurde. Dennoch blieb noch eines der Fenster zum entfliehen.

  • Ich hielt den Atem an, und biss mir fest auf die Lippen um keinen Laut von mir zu geben, als dieser Wahnsinnige mir seinen Fingernagel in den Hals bohrte. Es tat verdammt weh, aber ich wagte es nicht, vor ihm zurückzuweichen, sah statt dessen wie gebannt auf den einzelnen Bluttropfen, mein Blut, das dunkelrot seinen knochenweißen Finger entlang floß.
    Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben, der Moment dehnte sich ins Unermessliche - das Blut, sein eisgrauen Augen, die mich gebannt hielten, sein böses Flüstern... - dann löste sich der Tropfen, fiel in die rot verkrustete Rinne, in der sich zu früheren Zeiten das Blut vom Altar her gesammelt hatte. Das leise Geräusch als der Tropfen auftraf, schien in meinen Ohren zu dröhnen, und ich hatte wirklich das Gefühl, dass die verwitterte Fratze des uralten Götzenbildes sich zu einem zufriedenen Grinsen verzog.


    Ein kalter Schauer überließ mich, und ich bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut, als ich Satryus Schlangenstimme auf einmal dicht an meinem Ohr hörte, und seinen Atem spürte.
    'Blut und die reine Unschuld des Todes'?
    Der war ja vollkommen durchgedreht. Mein Wille, mich für Hannibal einzusetzen, wankte und verflüchtigte sich vor der schwindelerregenden Angst, die mir dieser böse weiße Satyr einflösste. Panisch starrte ich an seiner Schulter vorbei, und sah verwundert einen Zitronenfalter, völlig unpassend in dieser Umgebung, der sich seelenruhig dort auf dem weißen Stoff niedergelassen hatte. Er war so nah, dass ich das Geflecht der feinen Adern sehen konnte, die, wie bei einem Blatt, seine hauchzarten Flügel durchzogen. Sie schimmerten wunderschön, als er sie langsam auf und ab bewegte - bis Satryus ihn urplötzlich mit einem Schlag seiner Klaue zerquetschte.


    Ich zuckte zusammen, entsetzt vor dem unheilverkündenden Funkeln in Satryus' Augen, und überzeugt, dass er als nächstes mich umbringen würde, als kleines Spiel, um Hannibal zu quälen. Doch der war noch nicht am Ende! Meine Augen wurden groß, als ich sah, wie er sich auf einmal unerwartet zur Wehr setzte, einen der Männer einfach erstach!
    Der Satyr wandte sich von mir ab, und Hannibal rief, ich solle verschwinden - einen Wimpernschlag lang zögerte ich, und erwog, mein kleines Messerchen zu ziehen und es Satryus in den Rücken zu stoßen, den er mir gerade zuwandte. Es wäre sicher eine gute, löbliche Tat gewesen, doch ich zauderte zu lange, und als der Riese in der Türe erschien, wandte ich mich instinktiv zur Flucht. Ich glaube, ich könnte das auch gar nicht... jemanden richtig verletzen oder umzubringen, einfach so, meine ich. Da bin ich nicht der Typ dafür.
    Ich stürzte auf eine schmale Fensteröfnung zu, schwang hastig ein Bein hinaus, und sah schnell noch mal zurück. Der Riese Brutus näherte sich gerade, den Totschläger in der Hand schwingend, Hannibal, der mit dem anderen Wächter kämpfte...


    'Ich bin ein Feigling.', schoß es mir durch den Kopf.
    'Hannibal wollte mir helfen. Die machen ihn fertig. Andererseits, er hat gesagt ich soll abhauen, und was bringt es, wenn wir beide sterben? Nein, nein, dann wäre sein Opfer ja ganz umsonst!'
    Diese Logik fand ich bestechend. Doch um nicht ganz und gar untätig zu sein, bückte ich mich schnell zum Boden, und schloß mein Hand um ein noch halbwegs heiles Tongefäß, das da zwischen den Scherben lag. Hastig richtete ich mich wieder auf, und schleuderte das Ding weitausholend gegen den Riesen. Und ich traf ihn auch, das Gefäß zerschellte klirrend an seiner Schulter, und Scherben flogen in alle Richtungen. Der Mann fuhr wild zu mir herum, richtete die mordlustigen Augen auf mich... und ich sprang endgültig aus dem Fenster, stand plötzlich in praller Sonne, und rannte so schnell ich konnte davon. Ich sprang über geborstenen Säulen, und matschige Gräben, spürte kaum die Brennesseln, die mir um die Beine schlugen, und war plötzlich wieder zwischen hohen Insulae. Hinter mir knackten Äste, ich meinte schwere Schritte zu hören, und stürzte, ohne einen Blick zurück zu riskieren, in eine schmale Gasse, dann in eine andere, und immer tiefer in das Wirrwarr der Subura hinein.


    Irgendwann, lehnte ich, völlig außer Puste, an der Wand in einem schmutzigen Innenhof, durch den kreuz und quer Wäscheleinen hingen, und lauschte angespannt. Doch von einem Verfolger war nichts mehr zu hören, und auch als ich vorsichtig, mit weichen Knien, den Hof wieder verließ, blieb ich unbehelligt. Furchtbar erleichtert, dass ich entkommen war, ging ich weiter, in Richtung meines Unterschlupfes, noch immer auf der Hut, und dachte traurig an Hannibal.
    Ob er jetzt tot war? Wie edel er mich beschützt hatte! Wie mutig er gegen Satryus' Wächter vorgegangen war. Aber wie kaltblütig er den einen erstochen hatte... bei dem Gedanken an das Blut, und an das Röcheln des Mannes, wurde mir ganz schlecht. Ich hoffte jedenfalls inständig, dass Hannibal irgendwie gelungen war, das ganze zu überstehen!


    Doch selbst wenn, in der Geschichte mit Callistus konnte nur noch ich selbst mir helfen. Mir fiel jetzt nichts anderes mehr ein, als zu versuchen, die Summe zusammenzuklauen. Normalerweise war mir das viel zu riskant, aber heute hatte ich dabei nicht unbedingt viel zu verlieren. Und nach einem kurzen Zwischenstopp in meiner Behausung, und etwas Hanf gegen den Schrecken, machte ich mich, getrieben vom Mut der Verzweiflung, auf zum Forum Romanum...

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