„Ich weiß es nicht, dafür kenn ich dich nicht gut genug“, giftete Seiana zurück, nur um sich im nächsten Moment die Stirn zu reiben. „Es tut mir leid, das war unfair. Nein, das glaube ich nicht.“ Sie seufzte und schloss die Augen, bevor sie Daumen und Zeigefinger für einen Moment auf die Lider presste. „Ich weiß. Ich kenn die Traditionen, und mir bedeutet meine Familie viel – und damit auch die Traditionen.“ Die Formulierung war durchaus bewusst so gewählt, ließ sie doch erkennen, dass es zumindest einige Traditionen gab, die Seiana nur der Familie wegen achtete. „Natürlich hat der Pater Familias das letzte Wort, und selbst wenn nicht würde ich nicht gegen Meridius’ Willen handeln. Und mir ist auch klar, warum du ihn zuerst gefragt hast – du konntest nicht wissen, dass ich selbst entscheiden kann, und selbst wenn, hättest du ihn nicht übergehen können. Nur, danach… warum hast du mir danach nichts gesagt, warum hast du mich auflaufen lassen? Wir haben uns Briefe geschrieben, und die ganze Zeit hattest du diesen Hintergedanken, und mein Onkel wusste auch Bescheid, während ich nichts geahnt hab. Ich mein, du hast ja noch nicht mal irgendwelche Andeutungen gemacht, jedenfalls hab ich nichts davon gemerkt. Ich kam mir ehrlich gesagt ziemlich dämlich vor, als Meridius mir von deiner Anfrage erzählt hat.“
Seiana atmete tief durch und blies sich dann eine Strähne aus dem Gesicht. „Meridius hat’s mir aber nun mal vorher erzählt“, murmelte sie. Daran ließ sich nichts mehr ändern, genauso wenig wie an der Tatsache, dass der Aelier bei Meridius gewesen war und ihn gefragt hatte, und ihr davon nichts erzählt hatte. Auch wenn sie das nach wie vor störte, konnte sie doch nachvollziehen, warum er geschwiegen hatte. „Was ich will? Wenn ich das wüsste…“ seufzte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm gewandt. Dann sah sie ihn wieder an. „Ich will, oder besser wollte wissen, warum du nicht auch mit mir geredet hast. Und ich will wissen, warum du überhaupt dieses Interesse an mir hast. Und ich will dich näher kennen lernen. Das wollte ich sowieso, und jetzt…“ Sie sprach es nicht so deutlich aus, aber ihre Worte machten doch klar, dass sie eine Verbindung mit ihm zumindest nicht ablehnte, wenn nicht sogar in Erwägung zog. „Dein Interesse besteht ja offenbar nach wie vor noch. Tut es doch, oder?“ fragte sie nach, plötzlich etwas misstrauisch und mit der Befürchtung, sich gänzlich lächerlich zu machen.