Die Kleidchen der Mädchen leuchtete im Sonnenlicht wie feines goldenes Gespinst, was durch die göttlichen Finger der Moiren geglitten ist und sich zu einem Geflecht des Schicksals verwoben hat, welchem die Mädchen mit den schwarzen Locken auf dem Haupte voran schritten. Nachdem schon zahlreiche Gäste erschienen waren und auch der Bräutigam im Hof seine Präsenz offenbarte, Olympia hatte alles ausgespäht, war es Zeit für die Braut herein zu treten. Nur wenige Schritte hinter den beiden Mädchen verließ sie das Zimmer und trat mit ihren zierlichen, goldenen Calcei Mulieres hinter den Mädchen auf die Blumenblätter. Schon ihre Hochzeitskleidung zeugte davon, dass Medeia nicht das erste Mal heiratete. Denn ihre lange, aus feiner Seide genähte Tunica war in einem güldenen Ton gehalten, an der Taille mit roten Bändern geschnürt. Doch der traditionelle Flammeum umhüllte ihr Haupt und fiel weich über ihre Schultern und vermischte sich mit den Falten ihres Kleides, verbarg jedoch auch noch zur Gänze ihr Gesicht. Langsam schritt sie hinter den Mädchen her und einer hübschen, blond gelockten jungen Frau, die in eine dunkelblaue Tunica gekleidet blaue Krokusblüten verstreute. Erst vor dem Opferschrein und dem Priester, der sich bei den ersten Gästen in eine wartende und würdevolle Pose gestellt hatte, blieb Medeia stehen und hob langsam den Schleier von ihrem Gesicht.
Alabasterfarben zeigte sich ihr Antlitz, ihre Lippen waren von einem zarten Rot gefärbt und ihr schlanker Hals war mit einem feinen Netz aus Meeresperlen umwunden, ebenso waren kleine Edelsteinbänder in ihre Haare geflochten, die kunstvoll unter dem Flammeum zu einer aus vielen Zöpfen geflochtenen Frisur sich offenbarten, nur zwei lange Locken wanden sich, gewollt, aus der Frisur und an ihrem Nacken entlang. Ihre Augen erschienen durch die jadegrüne Schminke noch tiefer in ihrer smaragdgrünen Farbe zu leuchten. Diese Augen richteten sich auf Plautius und ihre Lippen wölbten sich zu einem glücklichen Lächeln. Die Menschen um sie herum schienen in dem Augenblick völlig vergessen zu sein und sie schenkte das Lächeln nur ihrem Bräutigam. Tympanon und Kymbala ertönten in einem Crescendo, ertönte noch mal in einem kurzen Sforzato und verstummte als die Worte des Priesters zum Schweigen aufriefen. „Favete Linguis!“ Der Priester zog sich den Zipfel seiner leuchtend weißen Toga über das Haupt und griff in eine Wasserschüssel. Mit einigen Handbewegungen streute er zahlreiche kleine Wassertropfen über die Gäste und dann einige mehr über das Brautpaar, was vor den Stufen des Opferaltars stand.
Medeia riss sich von Plautius Anblick los und sah nicht nur zu dem Priester, der ihren Schleier hauchzart benässte, sondern auch über die Gäste und wurde blass unter ihrer Schminke, was, den Göttern sei Dank, darum nicht bemerkt werden konnte. Starr sah Medeia in ein grünes Augenpaar, was sie nicht mehr geglaubt hatte jemals wieder zu sehen. Es war als ob die Götter ihr an ihrer eigenen Hochzeit einen Streich spielen wollten. Und ein schrecklicher Verdacht keimte in Medeia auf. Womöglich war Castus in der Fremde gestorben und hier als Toter erschienen. Denn in Mantua sah sie nun mal ständig die Toten ihrer Vergangenheit, aber auch völlig fremde Personen. Erschüttert stand Medeia vor dem Altar und konnte sich nicht rühren, vermochte nichts anderes wahrzunehmen als den Blick jenes Mannes.
So verpasste Medeia auch die würdevollen Bewegungen des Priesters, der sich umwandte und seine Arme hob. Seine Augen richteten sich auf den Himmel, seine Stimme intonierte tief und volltönend, war er doch das Sprechen vor dem Angesicht der Götter geübt, die Menschen waren da nur sekundär wichtig.
„Pater Jupiter, Mater Juno, Mater Venus,
Mater Suadela, Mater Diana
Mater Iuno
Dico ut vos autiatis ovi dato”
Seine Hände sanken hinab und er griff nach den bereit stehenden Schalen, die das erste Opfer enthielten. Das unschuldige Lamm, rein und weiß, dass der Priester am Morgen sorgfältig begutachtet hatte und dann in einer Zeremonie, die dem zweiten Opfer recht ähnlich war, dargebracht hatte. Nur würde er jetzt aus den Eingeweiden lesen und die Zeremonie unterbrechen, sollte er Übles erkennen. Und hier würde er genau schauen, denn der Priester wusste, daß der Bräutigam in den Krieg ziehen würde. Seine Finger griffen zu der kleinen Leber des Tieres. Sorgfältig besah er sich die rotbraune Oberfläche, betastete ihre Konsistenz, dann drehte er die Lebe im Schein der Sonne hin und her, schaute sie sich von Caput bis Cauda an und legte sie zurück in die Schale. Seine blutigen Finger hoben sich und er murmelte ein leises Dankgebet. Dann wandte er sich um.
„Kein Zorn der Götter liegt über dieser Verbindung, kein Schatten zeugt von schlechter Kunde. Mit Wohlwollen sehen die Götter auf diese Zeremonie.“
Er neigte den Kopf und die junge Frau, deren Gatte auch zwischen den Gästen stand und seine hübsche Frau stolz betrachtete, ergriff erst Plautius Hand und hob sie in die Höhe, dann nahm sie Medeias Hand, die in dem Moment aus ihrer Starre sich löste und immer noch etwas neben sich das geschehen ließ, und legte diese sanft auf die Hand von Plautius. Die junge Frau trat beiseite, denn jetzt war es an Plautius die Formel seines Willens zu sagen, dann an Medeia, wonach das Opfer folgen konnte.