Arbeitsraum Claudius Menecrates

  • Noch immer blätterte Menecrates in alten Aufzeichnungen, als Sisenna zur Tür hereinkam. Er konnte sich zwar nicht erinnern, sie hereingebeten zu haben, aber weil sie ein Kind war, drückte er hier und da ein Auge zu. Bei der Einleitung der Nichte horchte er jedoch auf. Wer gleich als erstes um Vergebung bat, hatte nicht nur ein schlechtes Gewissen, sondern auch etwas ausgefressen.
    Er legte die Tafeln aus der Hand und musterte Sisenna.


    "Du weißt schon, dass ich dich rügen oder sogar strafen muss, wenn du gegen eine römische Tugend verstoßen hast? Hast du?" Noch blickte er nicht übermäßig streng.

  • Heftig schüttelte Sisenna den Kopf. Ihr Vergehen gehörte gewiss nicht in diese Kategorie. Sie blickte dennoch schuldbewusst auf den Boden und suchte nach Worten der Erklärung.


    "Ich dachte..., also du hast doch gesagt..., nein, also ich hatte doch Geburtstag..." Sie blickte verlegen auf, ohne jedoch den Kopf dabei anzuheben. Sie wollte den Onkel nicht durch langes Warten erzürnen, daher atmete einmal tief durch und nahm allen Mut zusammen.


    "Ich habe einen Ausflug gemacht." Ihr Blick suchte Halt an einer seitlichen Wand. "Aber ich bin in einer Sänfte gereist, hinter dem Stoff verborgen und niemand auf der Straße hat mich gesehen." Ob die Abmilderung Wirkung zeigte? Sisenna linste zu ihrem Onkel.

  • "Du hast was?", fragte er nach, obwohl er richtig verstanden hatte. Was kommt einem Kind in diesem zarten Alter in den Sinn, selbstständig einen Ausflug zu machen? "Ist dir klar, was dir hätte passieren können? Du weißt doch genau, dass du die Villa nicht alleine verlassen darfst." Etwas wie Ärger stieg in Menecrates auf. "Und wohin hast du überhaupt einen AUSFLUG gemacht?"
    Er stand auf und stellte sich nah vor Sisenna hin. Die Arme stützte er in die Seite, den Oberkörper hielt er leicht vorgebeugt.

  • Als ihr Onkel so vor ihr stand, schrumpfte Sisenna in sich zusammen. Die Glücksgefühle des Tages schwanden dahin und sie hoffte nur noch, halbwegs heil aus der Situation zu kommen.


    "Ich war beim Aedil", gab sie wahrheitsgemäß zur Antwort. Und weil sie dachte, es wäre gut, fing sie an, sich zu verteidigen. "Ich wünsche mir schon soo lange Bienen und du hast gesagt, ich kann keine Bienen haben, weil du keine", sie suchte nach dem Wort, "Kapsatität mehr hast." In ihrem Blick lag einen Anflug von Anklage, dann aber richtete sie sich auf und blickte ihrem Onkel mutig in die Augen. "Wenn du keinen weiteren Betrieb mehr haben darfst, warum denn ich nicht ich? Ich bin ja auch eine richtige Römerin und ich bin doch jetzt sieben Jahre alt." Der letzte Satz klang trotzig, aber mit der Stille sank Sisenna wieder in sich zusammen.
    "Ich dachte, der Aedil ist vielleicht nicht so streng wie du und gibt nach. Das hat er dann ja auch." Ein kleines Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. Trotz der Schimpfe ihres Onkel spürte sie Stolz in sich aufsteigen.

  • "Kapazität", verbesserte Menecrates sein Mündel.
    Er konnte kaum fassen, was er außerdem hörte. Eine Siebenjährige fasste den Entschluss, einen Amtsinhaber aufzusuchen, um eigene Interessen durchzusetzen.
    "Tzzz." Mehr kam erst einmal nicht über seine Lippen.


    "Ich verlange von dir, dass du jeden Ausflug bei mir anmeldest bzw. mich um Erlaubnis fragst! Keine Eigenmächtigkeiten mehr, ist das klar?" Insgeheim fürchtete er, dass ihn dieses kleine Persönchen wohl noch öfters überraschen und an seine Grenzen bringen würde.


    "So, und jetzt erzähl. Was hat dir der Aedil gesagt. Hast du überhaupt alles verstanden?"

  • Das größte Gewitter schien vorbeigezogen zu sein, daher wurde Sisenna mutiger.
    "Natürlich habe ich alles verstanden", erwiderte sie. "Lieber Onkel, ich bin doch nicht dumm." Sie schaute verwundert, hob die Schultern und wies die Handflächen vor. "Es war eigentlich ganz leicht."


    Von ihren anfänglichen Sorgen wollte sie nicht berichten, nur vom Erfolg.
    "Zuerst hat er gesagt, Kinder dürfen nichts haben. Dann hat er gefragt, wer sich um mich kümmert und wie alt ich bin. Ich habe ihn noch einmal ganz lieb angesehen und ganz doll gebittet. Ja und dann hat er gesagt, ich darf Bienen haben." Der Triumph strahlte aus ihren Augen.


    "Er wollte nur, dass du zu ihm gehst und sagst, dass du einverstanden bist."
    Wieder schaute Sisenna mit ihrem liebsten und bittenden Gesichtsausdruck. Der Onkel würde doch hoffentlich kein Spielverderber sein als Strafe, weil sie eigenmächtig handelte.

  • Tja, hier blieb nicht mehr viel zu sagen. Unglaublich, Menecrates schüttelte den Kopf. Das tat er nicht aus Ablehnung, sondern weil er momentan die Welt nicht mehr verstand.


    "Sollte ich einmal eine Aufpasserin für unsere Verwalter benötigen, werde ich auf dich zukommen." Er lachte zweimal glucksend und schüttelte noch einmal den Kopf.
    "Ich werde mein Einverständnis vor dem Aedil aussprechen. Bei der Betriebsführung spreche ich ein Wörtchen mit und ich möchte desweiteren über alles unterrichtet sein, was du dir in Bezug auf Geldverwendung ausdenkst. Haben wir uns verstanden?"

  • Sisenna nickte lächelnd. Der Onkel mochte es als Zustimmung und Versprechen werten, sie aber wollte sich eine Lücke aufhalten. Wer wusste schon vorab, was für Gelegenheiten kamen und wie schnell man entscheiden musste.


    "Da wäre noch was." Sisenna schaute spitzbübisch, weil sie wusste, ihr Onkel würde erneut überrascht sein, aber dieses Mal bräuchte sie sich keine Sorgen machen, dass er böse wurde.


    "Der Mann mit den kurzen Haaren und dem dünnen Bart, weißt du? Der öfters kommt und mit dir spricht. Also der hat mir gerade vorhin einen Getreidehof geschenkt. Er sagt, die Sklaven sind eingearbeitet und bleiben. Außerdem hat er gesagt, du kaufst dort ein. Für diesen Betrieb bräuchte ich dann auch noch deine Zustimmung." Jetzt grinste Sisenna über das gesamte Gesicht. Sie würde reich sein, wenn sie als junge Frau einmal die Ehe eingehen würde.


    "Er soll Sisennas Kornkammer heißen und den Bienenbetrieb möchte ich Sisennas Bienenkorb nennen."

  • "Gut, ich werde, sobald ich es einrichten kann, beim Aedil meine Zustimmung für deine Geschäfte hinterlegen. Noch was: Mir wäre es wichtig, dass die Getreidelieferungen durch diesen Betriebswechsel nicht ins Stocken kommen, weil ich sie für meine Pferdezucht benötige. Andernorts sind entweder die Preise überhöht oder die Lieferungen kommen unregelmäßig. Daher werde ich ein Auge darauf haben, was aber auch sonst verständlich ist, nehme ich an."


    Da Menecrates davon ausging, dass nicht noch ein dritter Betrieb um die Ecke kam, beendete das Gespräch.


    "Ich müsste jetzt weiterarbeiten. Wenn du mich also entschuldigst." Eine unübliche Redewendung einer Siebenjährigen gegenüber, wie Menecrates fand, aber heute hatte sie sich als deutlich älter erwiesen. Er nahm sie ernst.

  • Marco wartete mit dem Fremden vor der Tür, bis Menecrates eintraf.


    "Dominus, dieser Mann behauptet, der Bruder von einem gewissen Pitholaus Plato zu sein. Er sagt, dieser Mann arbeitet hier und er selbst sucht ebenfalls eine Anstellung."

  • Artig dackelte Tachos hinter dem mächtigen Türsteher hinterher. Er sah sich nur wenig um. Am Ende hielt man ihn sonst für einen Einbrecher, der vorab die Lage abklärte.
    Erstklassige Benimmregeln fehlten Tachos, aber machte sicher nichts falsch, wenn er erst einmal nur grüßte und abwartete.


    "Salve!"

  • Nach einem anstrengenden Arbeitstag in der Basilica Ulpia freute sich Menecrates eigentlich auf ein entspannendes Bad und ein geruhsames Ausklingen des Tages. Zur Zeit kamen seine Klienten aber weitgehend zu kurz und so kam es des öfteren vor, dass sie abends statt am Morgen ihre Aufwartung machten.
    Marcos Ankündigung ließ aber auf keinen ihm bekannten Klienten schließen und auch per Angesicht kannte Menecrates den Mann nicht. Einzig der Hinweis auf den Bruder ließ Menecrates aufhorchen.


    "Pitholaus Plato, das ist richtig. Er arbeitet für mich." Menecrates öffnete die Tür zu seinem Arbeitsraum und suchte sofort den Stuhl hinter dem Schreibtisch auf. Ein gepflegtes Erscheinungsbild besaß der Fremde nicht unbedingt, aber in den seltensten Fällen sollte man vom Äußeren auf das Innere schließen. Keiner wusste, wie lang die Anreise dauerte und wie sie verlief.


    "Mein Leibwächter sagt, du suchst eine Anstellung. Worin liegen denn deine Stärken bzw. was schwebt dir vor und was hast du bisher gemacht?"
    Menecrates nahm sich vor, bei der Antwort auf Ähnlichkeiten zu seinem angestelltem Kapitän zu achten.

  • Er wurde zwar nicht aufgefordert, trat aber trotzdem ein. Es kam ihm folgerichtig vor.


    "Mir liegen Betriebsführungen. Ich habe in den letzten zehn Jahren für verschiedene Auftraggeber Warenumschläge, Buchhaltungen inkl. Sklavenbeaufsivhtigung getätigt. Referenzen habe ich dabei." Er überlegte, ob es gut ankäme, wenn er mehr schwafeln würde. "Dazu gehörten ein Weinhandel, eine Goldgrube, eine Rinderzucht und etliche andere mehr."

  • Menecrates zeigte Aufmerksamkeit, indem er sich ganz dem Mann widmete. Mehr aus Neugier als aus einem Kontrollwahn heraus hielt er die Hand auf, damit ihm die Referenzen überreicht werden konnten.


    Er betrachtete den Mann noch einmal und fragte anschließend: "Und du bist wirklich der Bruder von Plato?" Er konnte kaum Ähnlichkeit erkennen, auch vom Alter her lagen sie auseinander, was allerdings nichts heißen musste. "In früheren Jahren arbeitete dein Bruder bei mir als Verwalter. Dann brauchte ich seine Fähigkeiten als Kapitän und seitdem wechseln hier die Verwalter im Jahrestakt. Mit keinem bin ich mehr zufrieden gewesen und ein neuer, besserer käme mir sehr gelegen. Beabsichtigst du, länger zu bleiben?"


    Ein verlässlicher Koordinator könnte die Betriebsangelegenheiten aller Familienmitglieder und Angestellten - soweit dort gewünscht - verwalten. Man müsste ihm allerdings Vertrauen schenken, was zunächst verdient werden musste. Sollte Menecrates einstellen, würde er in kleinen Schritten Aufgaben delegieren.

  • Die Referenzen wechselten den Besitzer. Es handelte sich nur um ein Papier, weil Tachos standorttreu blieb, wenn es ihm gefiel. Viele Arbeitgeber, viele Zettel. Ein Arbeitgeber, nur ein Zettel.
    Zu seinem Bruder gab es wirklich wenig Ähnlichkeit, das stimmte schon. Tachos nahm die Nachfrage mit Humor. "Ich bin die schönere Ausgabe unserer Eltern." Er hörte ein wenig vom Werdegang seines Bruders und anschließend die Frage nach seinen Plänen. "Wenn ich hier Fuß fassen kann, soll es mir sehr recht sein. Wenn es nach mir geht, ich würde gerne für lange bleiben."

  • Es handelte sich tatsächlich nur um eine einzige Referenz, aber die fiel zu Menecrates' Zufriedenheit aus.


    "In Ordnung, wir probieren es miteinander. Ich stelle dich als Verwalter ein. Deine erste Aufgabe wird sein, dich mit den Büchern zu beschäftigen. Dabei kannst du die Betriebe kennenlernen und ich sehe, was du aus den Büchern lesen kannst. Erst danach werde ich dir das Ordern von Rohmaterial und diverse Verkäufe übertragen. Alles Schritt für Schritt." Er nickte, weil ihm sein Plan gut erschien.
    "Du bekommst dein eigenes Arbeitszimmer hier in der Villa, es wird aber auch Außentermine geben. Die Bücher findest du zunächst hier bei mir. Später, wenn alles eingespielt ist, kannst du sie bei dir im Arbeitszimmer verwahren, aber so, dass ich jederzeit an sie herankomme."

  • Mit Eifer saß Tachos über den Büchern. Er prägte sich Lieferanten und Abnehmer ein, überprüfte die Umsätze und errechnete die Gewinnspannen. Beim Gewürzhändler stieß er auf eine Auffälligkeit. Nach einiger Recherche stellte er ähnliche Auffälligkeiten bei einem anderen Betrieb, nämlich dem seines Bruders fest. Nur aus Neugier betrachtete er anschließend seine eigenen Absätze und musste mit Erstaunen feststellen, dass es auch hier Auffälligkeiten gab. Etwas zu viel der Zufälle, also entschloss er sich, zu seinem Arbeitgeber zu gehen.


    Entschlossen klopfte er an.


    *klopf, klopf*

  • Zuerst beendete Menecrates das Siegeln seines erstellten Dokumentes, dann rief er: "Kann reinkommen." Er hob den Blick, nachdem das Siegelwachs zu einer festen Substanz erstarrte, und erkannte seinen neuen Verwalter, der soeben zur Tür hereintrat. Er unterstellte ihm Arbeitseifer und der gefiel ihm, denn mit einer Bitte oder einem Gehaltsvorschuss rechnete er nicht.


    "Worum geht es denn?" Menecrates lehnte sich an, indem er das am heutigen Tag schmerzende Kreuz durchstreckte, und hörte gespannt zu.

  • Tachos ließ sich nicht lange bitten. Er trat mit einem Pack voller Papiere in den Händen ein und schritt zugig zum Schreibtisch. Sachte legte er die Papiere ab. Nichts durfte durcheinander kommen.


    "Salve, ich bin bei der Bücherdurchsicht auf Auffälligkeiten gestoßen." Zeit war Geld, also redete er gleich weiter. "Zuerst habe ich mir deine Betriebe angesehen. Danach die von Plato und zuletzt habe ich aus Neugier auch noch meinen Betrieb kontrolliert. Das Auffällige ist, dass manche Waren nicht nur postwendend, wenn sie auf den Markt kommen, sondern vor allem komplett aufgekauft werden. Beispiel: der komplette Balsam mal von Quintus Claudianus Anaxander oder mal von Marcus Artorius Rufinus, die kompletten Küchengewürze von Marcus Iulius Dives, der komplette Ton von Sergia Fausta, der kommt aus dem Betrieb von Plato und bei mir hat Sergia Fausta alle Datteln aufgekauft, ebenfalls nur kurze Zeit, nachdem ich sie angeboten habe." Zu jedem Namen zeigte er auf einen Eintrag in den Büchern.


    "Ich habe da mal weiter recherchiert. Nicht die Käufer selbst, aber immer ein anderer dieser Gruppe betreibt das gleiche Gewerbe und da kam mir der Gedanken..." Er wusste nicht, ob er selbständig denken durfte, äußerte es trotzdem. "Vielleicht werden seltene Waren von einer Gruppe aufgekauft, die dann den Markt kontrollieren kann. Wenn die Waren überhaupt auf dem Markt im Angebot sind, das sind sie nämlich bei der Konkurrenz teurer als deine, meine oder die von Plato."

  • Interessiert hörte Menecrates zu, während er zufrieden feststellte, wie eifrig sein neuer Verwalter in die Tätigkeit einstieg. Als in einem Atemzug seinen Klient Anaxander und Artorius genannt wurden, horchte er auf, aber nur, weil er erst vor Tagen den beiden in seinem Amt begegnete. Er nahm weiter zur Kenntnis, welche Waren offenbar begehrt waren und dementsprechend schnell vom Markt verschwanden. Dass er selbst zum normalen Marktpreis anbot und Plato auch, seine Mitanbieter jedoch höhere Preise ansetzten, wusste er bereits. Im Senat gab es erst kürzlich darüber eine Debatte. Blieb noch die Aussage, dass die Waren postwendend verkauft wurden, was Menecrates im Brunde nicht störte - eher im Gegenteil: Es zeugte von florierenden Geschäften.


    "Ich danke dir für deinen Einsatz und deine Akribie!. Vielleicht wäre es ratsam, die Marktentwicklung über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Außerdem könnten wir die schnell vergriffenen Waren portionsweise auf den Markt bringen. Dann hätten mehr Käufer die Chance auf einen Einkauf. Natürlich ist das mit Mehrarbeit verbunden. Wir sollten es trotzdem für zwei, drei Wochen ausprobieren."


    Er nickte anerkennend. "Das ist ein hervorragender Einstand, weiter so!"

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