Arbeitsraum Claudius Menecrates

  • Die Spiele stellten ungewollt für Menecrates einen Wendepunkt dar. Außerdem bildeten sie den Abschluss seiner Praetorentätigkeit - mehr oder weniger. Er wusste nicht, ob es an dem makaberen Ausgang des Events lag oder ob das Ende seiner Amtzeit, gleich wie es ausgefallen wäre, derart ernüchternd auf ihn wirkte. Menecrates fühlte sich jedenfalls ein wenig nutzlos, auch ziellos. Es gab keine Pflichten, keine Aufgaben, nicht mal zu lösende Probleme.
    Immerhin - einen glücklichen Umstand gab es: Faustus wohnte seit den Spielen unter seinem Dach. Das bot die Möglichkeit, sich mit jemand zu unterhalten, der auf ihn stets betriebsam wirkte. Denn wenn Menecrates für sich nicht bald eine sinnvolle Zielstellung auskundschaften würde, fiel ihm sicherlich die Decke auf den Kopf. Zeit seines Lebens fühlte er sich rastlos. Eingesperrt in zugegebenermaßen weitläufige Wände fühlte er sich rastlos wie ein Tiger. Das derzeitige Tageseinerlei raubte ihm jeglichen Nerv.


    Er beauftragte einen Sklaven, an Faustus' Tür zu klopfen und ihn zum Arbeitsraum des Claudiers zu bringen.

  • Es war schon merkwürdig, mit dem Arbeitgeber unter einem Dach zu leben. Bei jedem anderen hätte ich gedacht, der will mich Tag und Nacht griffbereit haben und mich ausnutzen. Hier jedoch hatte ich ein sehr schlechtes Gefühl. Die arbeit war weit weniger geworden und ich wohnte und aß hier in der Villa Claudia. Wie konnte ich es anfangen ohne die Gastfreundschaft zu verletzen und Claudius Mencerates zu beleidigen, das Problem aus der Welt zu schaffen?
    Gerade dachte ich wieder einmal darüber nach als es klopfte und ein Sklave mich bat zum Arbeitsraum von Claudius Menecrates zu kommen. Endlich es gibt es was zu tun, schon stand ich vor seiner Türe und klopfte an.

  • Als es Klopfte, wandte sich Menecrates zur Tür. Er hätte rufen können, entschloss sich aber, selbst zu öffnen. Das tat er nicht aus übertriebener Höflichkeit, sondern weil er mehr und mehr die Bewegung suchte. Er stellte fest, mit fortschreitendem Alter rostete der Körper schneller als gedacht ein. Außerdem bekam er vom längeren Sitzen Rückenschmerzen. Diese Erkenntnis kam ihm erst seit seiner Zeit als Praetor. In keinem bisherigen Amt musste Menecrates derart viel sitzen wie im letzten Jahr.


    Mit dem Elan eines im Wochenende gefangenen Arbeitstiers öffnete er die Tür.
    "Immer herein, Faustus", begrüßte er seinen Sekretär. "Wenn du magst, kannst du dich setzen. Ich für meinen Teil habe genug gesessen, ich stehe lieber oder laufe herum." Er lächelte, während seine Hand ins Rauminnere wies. "Ich möchte heute gern ein wenig Gedankenaustausch betreiben", begann er ohne große Umschweife und Wartezeit. "Ich habe im Senat Rechenschaft über meine Amtszeit abgelegt, bis auf die Übergabe eines Rechtsfalls sind alle Akten abgeschlossen und in ein paar Tagen wird mein Nachfolger vereidigt sein. Es stellt sich für mich die Frage, was nun?" Er schlenderte zu seinem Schreibpult, drehte sich zu Faustus und fügte an: "Hast du über die Anstellung bei mir hinaus Pläne für die Zukunft? Willst du eventuell einem anderen Magistraten als Liktor dienen? Hat dir diese Tätigkeit überhaupt Spaß gemacht, sodass eventuell auch ich - sollte ich einmal das Consulat anstreben - wieder mit deiner Unterstützung rechnen kann?"

  • Salve,
    grüßte ich etwas verwirrt, weil der Claudier mir selber die Türe öffnete, blieb aber trotz des Angebotes mich hinzusetzen stehen. Ich mochte nicht ständig nach oben schauen, aber noch weniger, dass auf mich herabgesehen wurde.
    Gedankenaustausch also, dachte ich. Kam jetzt das Thema was ich schon länger auf mich zukommen sah? Richtig, da war es schon. Meine Hoffnung war aber noch immer Scriba war ich doch noch oder? Sollte ich den Posten jetzt auch verlieren?
    Die Fragen die Claudius Menecrates mir stellte, halfen mir jedoch irgenwie Mut zu fassen. Natürlich hatte ich keine Pläne für die Zukunft, auch wenn ich wusste, Liktor wäre ich nur für eine begrenzte Zeit.
    Mir hat die Arbeit sehr gefallen, vor allem weil es nicht nur Schreibarbeit war. Zudem habe ich auch eine Menge gelernt. Nein, ich möchte nicht für einen anderen Magistraten arbeiten. Natürlich kannst du jederzeit mit meiner Unterstützung rechnen.
    Nach einer kurzen Gedankenpause seufzte ich, bevor ich zögernd begann.
    Ich kann verstehen wenn du jetzt keine Verwendung mehr für mich hast. Gleich Morgen werde ich die Villa verlassen.
    So nun war es raus. Irgendeine Arbeit würde ich schon finden, im Notfall konnte ich dann noch immer zurück auf mein Landgut.

  • "Na, das hört sich doch gut an", erwiderte Menecrates und meinte damit nicht Faustus‘ Konsequenz, ausziehen zu wollen, sondern seine geäußerte Freude an der Arbeit.
    Menecrates legte ein paar Schritte zurück, während er darüber nachdachte, was er für sie beide ins Auge fassen konnte. Er dachte nicht im Traum daran, seinen Sekretär gehen zu lassen, nur weil sich die Praetorenzeit dem Ende näherte. Einen Liktor benötigte er zwar nicht mehr und es stand ihm von Rechts wegen auch keiner mehr zu, aber für einen Sekretär gab es immer Arbeit. Die verursachten alleine schon die vielen Grundstücke und Betriebe, die zum claudischen Haushalt gehörten. Die Verwaltung derselben füllte Menecrates jedoch nicht aus, zumal sie in den Händen vertrauensvoller Angestellten lag, wo sie auch hingehörte.


    Eine Patentlösung schien nicht in Sicht, aber vielleicht brachte ihn der Dialog auf Ideen. Er blieb stehen und wandte sich seinem Sekretär zu. "Ich wollte den Gedankenaustausch, um Pläne zu schmieden, Faustus. Vorab: Ein Auszug deinerseits passt in keinen meiner Pläne. Selbstverständlich habe ich Verwendung für dich und ich wäre auch schön dumm, dich gehenzulassen, selbst wenn ich kaum Verwendung für dich hätte." Er schmunzelte, bevor er weitersprach. "Ich werde also eine Beschäftigung für uns beide auftreiben, das steht schon einmal fest. Was es sein wird, muss sich noch zeigen. Ich könnte mich zum Beispiel bei den Sallii verstärkt einbringen, dort wäre aber dir der direkte Zugang versperrt. Ich könnte mich auch auf eine Belebung der Factiones konzentrieren. Interessierst du dich für Pferderennen?"
    Es würde schließlich wenig Sinn machen, Faustus gegen seine Sympathien einzusetzen.
    "Es gibt für jede Jahreszeit eine Factio. Natürlich gibt es auch noch die Möglichkeit, ein Verwaltungsamt zu bekleiden, wo wir in ähnlicher Konstellation wie bei meiner Amtszeit arbeiten würden. Oder aber wir suchen uns jeder ein Verwaltungsamt. Erstere Vorschläge sind mehr oder weniger privat und beinhalten Unabhängigkeit, letztere bedeuten Verpflichtungen. Was meinst du? Ich höre mir gerne an, was dir für dich und separat für mich geeignet erscheint."

  • Ich schüttelte mit dem Kopf,
    nein ich glaube Sallii und Factiones liegen eher weniger in meinem Interesse.
    Nur so wirklich weiß ich nicht wozu meine Fähigkeiten wirklich reichen. Auch habe ich Landei keine Ahnung welche Vorbildung man für gewisse Aufgaben oder Ämter besitzen muss. Ich habe schließlich nur die einfachen oder sagen wir die normalen Grundlagen in Schreiben, Lesen und grundlegendes Rechnen erhalten. Die Zeit die die Söhne von Patrizier oder reichen Erben für Wissenschaftliche Ausbildungen oder anderen wie etwa, philosophia Epicuri, Medicinae, Architecturae, Rhetorik, hatte ich nie.

    Nachdenklich, vergessend wo ich mich befand, wanderte ich durch den Arbeitsraum des Claudiers. Schließlich blieb ich stehen und schaute meinen Arbeitgeber an. Es war zu freundlich von ihm mich nach meiner Meinung, mehr noch, nach meiner Vorstellung zu fragen.
    Ich kann dir nur sagen welche Aufgaben mich interessieren würden, ob es da für mich Möglichkeiten gibt entzieht sich meiner Kenntnis. Es sind die Aufgaben von Curatoren. Des Curator viarum, Curator aquarum, Curator aedium sacrarum et operum locorumque publicorum, Curator alvei Tiberis. Bei ihren Aufgaben kann ich sehen worum es geht, also sehen, vergleichen und beurteilen. Bei anderen Arbeiten geht es oft nur um rein theoretisches, ich bin halt auch ein Praktiker.
    Jetzt hoffte ich nur, dass ich mich verständlich ausgedrückt hatte und Claudius Menecrates wusste was ich meinte.

  • Solange Faustus über sich sprach, musste Menecrates nicht über seine Pläne nachdenken, was ihn in gewisser Weise entlastete. Er hörte gerne zu und lernte seinen Sekretär dabei besser einzuschätzen. Als Faustus seine Ausführungen beendete, trat ein Schmunzeln in Menecrates Züge.
    "Der Posten eines Curators ist für dich im Bereich der Möglichkeiten", erwiderte Menecrates, wiegte den Kopf und fügte an: "in ein paar Jahren. Um so ein Amt zu bekleiden, müsstest du zunächst die Senatorenlaufbahn beschreiten und Senator werden. Liegt dir daran, kann ich dich fördern." Er blickte mit erhobenen Augenbrauen, was ihm einen fragenden Gesichtsausdruck verlieh.


    "Was mich betrifft, ich könnte alternativ auch ein Consulat ins Auge fassen und mich darauf vorbereiten." Die Unschlüssigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben, da er sich nicht bemühte, in den eigenen vier Wänden und in Gesellschaft Vertrauter eine Maske zu tragen. "Wüsste ich, was ich tun soll, könnte ich sagen, welche Aufgaben dich bei mir erwarten." Er zuckte mit der rechten Schulter.
    "Ich weiß nicht, warum mich die Götter mit Unentschlossenheit strafen. Ich schiebe auch noch immer die Entscheidung vor mir her, ob ich gegen den Verleumder, diesen Advocatus, klagen soll. Erinnerst du dich?"

  • Ich lachte kurz auf,
    also nein, ich bitte dich, ich und Senator, das passt nicht zusammen. Ich meinte auch nicht direkt die Arbeit eines Curators, ich dachte dabei an eine Art Gehilfe, denn er wird ja nicht alles alleine machen. Aber vergiss es, dass würde ja bedeuten ich müsste die Stelle bei dir aufgeben.
    Wieder begann ich die Wanderung, durch den Arbeitsraum. Erschrocken hielt ich plötzlich ein.
    Entschuldige bitte, oft kann ich besser beim gehen nachdenken. Zu Hause rannte ich zwischen den Feldern umher. Doch bitte sage mir, was hindert dich daran ein Consulat an zu streben? Wer wenn nicht du, mit deinem großen Erfahrungsschatz, sollte dafür geeigneter sein?
    Nach kurzem zögern fügte ich hinzu,
    ja an diese unverschämten Verleumdungen erinnere ich mich und wenn du erlaubst meine Meinung dazu ist zwiespältig. Solltest du dich zur Wahl stellen, wird das wieder aufgenommen werden um deine Wahl zu verhindern. Wenn du aber dagegen angehst und der Verleumder so verschlagen ist wie ich vermute, wird er versuchen, es möglichst lange hin zu ziehen. Die dritte Möglichkeit ist, er wartet bis du ein neues Amt inne hast und beginnt sein Spiel von vorne.
    Ich war fest davon überzeugt, dass der, der da am Werke war, immer weiter machen würde, dabei aber schlüpfrig wie eine Qualle war.
    Bitte mach dir keine Sorgen um mich, ich habe keine hohe Ziele. Ich will nicht hoch hinaus, außerdem bin ich trotz meines Alters zu unerfahren, denn schließlich kam ich nur aus meinem heimischen Loch, weil ich ein wenig mehr von der Welt sehen wollte. Dass ich, das Glück hatte, bei dir unterzukommen, ist mehr als ich je erwartet hätte.
    Dankbar und zufrieden nickte ich.

  • Etwas verpeilt und noch nicht ganz wach nach ihrem Schläfchen wankte Silana mit zerzausten Haaren durch die Flure des Hauses und wollte zu Großpapa, um diesen um etwas zu bitten. Weil sie es gewohnt war, trat sie einfach durch die Tür und stellte erschreckt fest, dass bereits jemand bei ihrem Opa war. "Ehm," stammelte Silana, während sie sich nervös die Haare zwirbelte und mit tapsenden Schritten näherkam. Verdammt! Warum musste jetzt auch jemand dort sitzen? Es würde ihre Bitte vollkommen seltsam erscheinen lassen! Silana überlegte schnell und versuchte Ausweichstrategien zu entwickeln. Eine davon war, dass sie einfach breit grinste.

  • Die Entschiedenheit, mit der Faustus eine eigene senatorische Laufbahn ausschloss, überraschte Menecrates zwar, aber er nahm sie hin, ohne sie in Frage zu stellen. Die Ziele der Bürger konnten nicht alle identisch sein, so viel stand fest. Klar wurde immerhin, dass Faustus gern in einem Angestelltenverhältnis stand und nicht so gern die Bürde eines hohen Amtes anstrebte. Mit einer Last und Belastung ging tatsächlich jedes Amt und jeder hohe Posten einher, aber auch mit Eigenverantwortung und der Möglichkeit mitzugestalten. Trotzdem besaß das Consulat eine erhöhte Hemmschwelle auch für Menecrates.


    "Was mich daran hindert?", wiederholte er lächelnd die Frage seines Sekretärs. "Manchmal kommt es mir vor, als lässt meine Aufmerksamkeit nach. Ich arbeite nicht mehr ganz so fehlerfrei und präzise wie vor Jahrzehnten. Der eine oder andere überflüssige Patzer ist mir in der letzten Zeit passiert. Nichts Gravierendes, trotzdem - das grämt mich und macht mich unzufrieden." Wie gesagt, er fühlte sich unschlüssig und folgte gern dem neuen Thema.
    Er ließ Faustus' Gedanken zu den Verleumdungen wirken, bevor er antwortete. Nicht in allem teilte er dessen Meinung, aber er schätzte sie. Warum er sie nicht teilte, mochte an seiner gutgläubigen Grundhaltung liegen, denn trotz vieler Querschläge hatte sich die im Laufe seines Lebens kaum geändert.
    "Wenn ich dich richtig verstehe, erwartest du, ganz gleich, was ich unternehme oder auch nicht unternehme, dass mir diese Angelegenheit wieder auf die Füße fällt." Er dachte kurz nach, dann fügte er an: “Vielleicht sollte ich den Rat der Sibylle einholen. Früher galt ihre Weissagung vielen etwas. Heute habe ich den Eindruck, keinen interessiert diese Seherin mehr, die Schicksale ergründen kann.“ Er reiste gedanklich in die Vergangenheit und blickte dabei aus dem Fenster.


    Plötzlich öffnete sich die Tür und Silana stand im Raum. Während Menecrates zurück in die Gegenwart fand, ruhte sein Blick auf seiner Enkelin. "Na, wer verfolgt dich denn?", fragte er schmunzelnd und auch etwas verwundert über die Aufmachung. Dann wurde ihm klar, wie geschmacklos seine Frage war in Anbetracht der Flucht vor Tagen. Trotzdem besaß die Situation auch etwas Komisches. Silana erinnerte ihn an die Kaiserin, die vor Monaten ähnlich zerzaust in eine Audienz platzte. Hoffentlich verkündete Silana nicht auch eine Schwangerschaft.

  • Silana suchte nach Worten, denn sie war wirklich überrascht einen gutaussehenden Mann in der Arbeitsstube ihres Großpapas zu finden. Kurz huschten ihre Augen über den Fremdling. Ein Klient oder Angestellter des Hauses? Silana überlegte aber fand keine Antwort. Immerhin kannte sie diesen Mann nicht in negativer Natur. In letzter Zeit hatte sie erheblich Pech mit ihren Kontakten, so dass sie schon froh, wenn jemand nicht in schlechter Erinnerung war. Die Claudia gab mehrere Vokale von sich, bevor sie einen Satz formen konnte: "Ich verfolge niemanden...," wehrte sie den schmunzelnden Vorwurf ihres Opas ab. Sie hatte die lustige Intention zwar verstanden aber wollte Gerüchte dieser Natur gleich zerschlagen. "Großpapa," versuchte sie wieder in den Gedanken zu finden, warum sie hier war. "Ich muss dir etwas beichten," sagte sie schließlich und blickte auf den Boden vor sich. Wie begann man dies nun am Besten? Vielleicht sollte sie es vertagen, denn es lauschte jemand, den sie nicht kannte. Nicht alles sollte in der Öffentlichkeit breitgetreten werden. "So schlimm ist es nicht," ruderte sie angestrengt zurück und hob beide Arme in seltsamer Pose, um das Problem auch mit Geste von sich zu schieben. Ihre Augen erhoben sich und suchten wieder die Anwesenden. "Wir können es auch später besprechen," deutete sie an, dass dies privater Natur war. Ein Lächeln verriet sie unschuldig.

  • Menecrates' Aufmerksamkeit blieb bei seiner Enkelin, die - ungewöhnlich genug - zunächst kaum Worte fand. Er korrigierte sie auch nicht, weil sie seine Frage verkehrt aufgefasst hatte. Er fragte nach einem Verfolger, nicht ob sie selbst jemand verfolgte. Als sie von einer Beichte sprach, wurde er vollends hellhörig. Er beherrschte sich, die Augen vor Schreck ein wenig zu weiten und befürchtete schon, mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen zu haben.
    'Bei den Göttern, bloß keine Schwangerschaft', flehte er insgeheim, bevor er sich an seinen Sekretär wandte.


    "Faustus, wir führen unsere Unterhaltung ein anderes Mal weiter. Ich werde hier gebraucht." Dabei zweifelte er nicht am Verständnis seines Sekretärs für die Situation. Allerdings vergaß er auch, ihn Silana vorzustellen, weil ihm ein wenig der Schreck in den Gliedern saß.


    Er wartete, bis Faustus das Zimmer verlassen hatte, dann wandte er sich an Silana. Er kam ein paar Schritte auf sie zu und fragte: "Wir verschieben nichts Wichtiges auf später. Also, was ist nicht so schlimm, dass du es mir auch später hättest beichten wollen?" Die Leichtigkeit der Worte verhüllte nur bedingt die dahintersteckende Sorge.

  • Also geschah es gleich und Silanas Flucht musste scheitern. Ihr Opa kam auf sie zu und Silana erstarrte zu einer Säule, da sie überrascht und verwirrt gleichermaßen war. Eigentlich wollte sie garnichts mehr beichten, denn in Wahrheit erahnte sie bereits, dass dem alten Herren ihr Abenteuer missfallen würde. Aber nun hatte sie das Feuer entzündet und musste zudem stehen, was sie aus Ehrlichkeit bereits angeboten hatte. "Ich...Ich... bin...," begann sie Worte zu finden und fügte dann einen ganzen Satz zusammen: "Ich bin außerhalb des Hauses gewesen, als die Unruhen noch im Gange waren, um Bürgern zu helfen. Ich habe mich aus dem Haus geschlichen." Ja, jetzt war es raus und Silana immer noch erstarrt in Ehrfurcht vor ihrem Großvater. Warum wollte sie unbedingt die Wahrheit vermitteln? Vielleicht - weil ihre Familie ihr alles bedeutete und diese stets im Bilde sein sollte. "Ich wollte nicht tatenlos zusehen und habe verkleidet als einfache Frau an einer Tiberbrücke verwundeten Römern geholfen," erklärte sie nun überzeugt, obwohl sich ihre Anspannung nicht wirklich löste und ihre Augen flehend bei ihrem Opa lagen. Sie erhoffte sich Absolution aber würde diese Erfahrung nicht verleugnen. Dort hatte sie etwas Wichtiges gelernt: Mitgefühl.

  • Wegen dem aufkommenden mulmigen Gefühl in der Magengegend nahm Menecrates sicherheitshalber Platz. So bewahrte er sich vor einem eventuellen Versagen der Beine. Da sich seine Kehle verengt anfühlte, sparte er sich jedes weitere Wort und schaute Silana nur auffordernd an.

    Die Spannung stieg, weil seine Enkelin anfangs nur stammelte. Endlich kam ein klarer Satz, den Menecrates zunächst in seiner Bedeutung nicht verstand, weil er anderes erwartete. Entsprechend verdutzt schaute er. Als weitere Erklärungen zum Inhalt der Beichte folgten, kam ihm die Erleuchtung. Er schüttelte den Kopf, blickte zu Boden und musste schmunzeln. Der befürchtete Kelch war noch einmal an ihm vorbeigezogen. Er musste sich zur Ernsthaftigkeit zwingen, als er aufsah, damit seine Erleichterung nicht erkennbar wurde.

    "Seit wann besitzt du denn diese soziale Ader?", fragte er und befand sofort, dass dies nicht der richtige Einstieg war. Der Gedanke, dass Silana gegen seine Anordnung verstoßen hatte, half ihm, in der Folge überlegter zu reagieren.
    "Die Tatsache, dass du sofort zu mir kommst, honoriere ich. Mehr als Ungehorsam verabscheue ich Unehrlichkeit. Ich möchte meiner Familie vertrauen könne und zwar jedem." Das bedeutet auch, dass er Silana wegen ihrer Offenheit nun nicht rügen durfte. "Ich hoffe, du siehst ein, dass du dich in Gefahr gebracht hast." Er versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, ob sie das einsah. "Und ich hoffe, dir ist bewusst, dass du daran arbeitest, deinen Großvater vorzeitig an den Styx zu bringen."
    Zugegeben, die größere Schockvorstellung stellte vorhin noch eine verfrühte Schwangerschaft dar, aber Silanas Ausflug - vorzeitig bemerkt - hätte ihn ebenfalls extrem gestresst.

    "Mach sowas nicht noch einmal, Silana. Sprich vorher mit mir." Er merkte, dass diese Lösung ihn nicht entlasten, sondern über längere Zeit besorgt sein lassen würde. Er seufzte. Wie er es drehte, in Erziehungsfragen versagte er immer wieder und oft vollends. Sein Blick ruhte auf den ebenmäßigen Zügen seiner Enkelin.

    "Was mache ich falsch?", fragte er, ohne nachzudenken. Der Gedanke entstand und rutschte ihm heraus.

  • Wie sollte sie nun reagieren? Silana war sich recht unsicher und versuchte die Antwort durch ein Mimenspiel hinaus zu zögern. Doch schließlich gab sie eine ehrliche Antwort: "Seitdem ich weiß, wie die Welt wirklich ist. Ich kann mich nicht mehr davor verstecken oder den Eitelkeiten folgen." Die Claudia war überzeugt, dass es nun mehr geben musste als Schmuck, Schminke und hübsche Kleider. Auch, weil Silana immer schon anders und interessierter als andere in ihrem Alter war. "Ja, ich sehe es ein," gab sie kleinlaut zu und wischte sich nervös mit der Linken durch die Haare. Die Worte zur Familie nahm sie verstehend zur Kenntnis und nickte aufrichtig ab, wobei ihre Augen groß waren und die Pupillen weit. "Deswegen spreche ich auch mit dir...," ergänzte die bedrückte Claudia, die eigentlich flüchten wollte aber durch fremde Macht an diesem Ort gehalten wurde. Es war ihr Gewissen, welches nur wirkmächtig war. Besorgt streckte sie ihre Hand aus, um eine Brücke durch den Raum zu schlagen, obwohl ihre Hand ihren geliebten Opa nicht erreichen konnte. Es war eine symbolische Geste der Fürsorge und Liebe. "Nein, ich möchte dich nicht an den Styx bringen," erklärte sie mit fester Stimme, welche jedoch auch im bedrückten Tonfall versiegte. "Ich werde alles mit dir besprechen. Alles," war ein ängstliches Versprechen, das sie als Antwort gab. Silana wusste, dass dies nicht immer eingehalten werden konnte aber eine Absicht war schon viel wert. Sein Seufzen und die Frage, was er falsch machte, trafen die junge Claudia, die sich mit einem hektischen Schritt auf ihren Großvater zu bewegte, um diesen fest zu drücken. Eine überraschende Umarmung. Diese Geste wirkte etwas seltsam, da sich Silana etwas bücken musste, um ihre dünnen Arme um den sitzenden Herren legen zu können. "Du machts nichts falsch," versuchte sie liebevoll zu wirken und für ihren fürsorglichen Opa eine gute Enkelin zu sein. Wenigstens etwas, so hoffte sie, nachdem sie ein wenig versagt hatte.

  • In der Familie der Claudia gab es wenige Frauen, die Eitelkeiten in den Hintergrund stellen würden. Dass Silana zu ihnen zählte, überraschte Menecrates. Er urteilte aber über keinen, denn er sah sich selbst nicht als Maßstab. Vielleicht waren fast alle Patrizier normaler als er. SEINE fehlende Eitelkeit rührte vermutlich aus dem langen Militärdienst. Er musste aber zugeben, dass er sich oft genug von der Dekadenz vieler Patrizier abgeschreckt sah. Offiziell würde er jedoch nichts auf seinen Stand kommen lassen.
    Eine Spur von Verständnis für Silanas Handeln offenbarte sich in einem kleinen Lächeln. Dennoch - die Sorge um ihre Sicherheit überwog, weswegen er erleichtert ihre Einsicht zur Kenntnis nahm. Ihr Versprechen nahm er ihr ab.
    Silanas Reaktion auf seine Frage nach dem Versagen überraschte ihn. Noch vor Wochen wäre er davon ausgegangen, eine Auflistung vieler Gründe zu hören, heute jedoch ereilte ihn eine Umarmung und ein fester Druck. Er wirkte für einen Atemzug hilflos, während ihm die Rührung einen feuchten Schimmer in die Augen trieb. Dann legte er seinerseits die Arme um die zarte Frau und streichelte ihr den Rücken.

    "Habe ich mich verändert? Die erste Zeit nach deiner Ankunft sah es für mich aus, als mache ich sehr viele Fehler." Er entließ Silana noch nicht aus der Umarmung, weil er sich der glänzenden Augen schämte. Stattdessen arbeite er daran, die Ergriffenheit zu bezwingen.

  • Die Umarmung schien beide zu erlösen. Silana fühlte eine Entspannung und die Hand ihres Großvaters gab ihr das Gefühl, wirklich zuhause zu sein. Die junge Frau atmete erleichtert aus, lächelte aber nicht, sondern zeigte eine entspannte Gesichtszeichnung, bevor sie antwortete. "Wir alle machen Fehler. Ich denke, dass wir lernen müssen demütig zu sein. Mit uns und anderen," erklärte sie etwas altklug, wie sie eben war. Silana verbarg selten ihre Gedanken und sprach offen aus, was sie dachte. Nicht immer waren ihre Gedanken wirr oder unklar, oft sogar klug. "Ich mache noch viele Fehler," scherzte sie mit einem leichten Grinsen, welches ihr Großvater nicht sehen konnte, da die Position jenes unterband. Doch die Stimme verriet ihren wohlgemeinten Scherz, der nicht unwahr war. "Und auch du, Opa, wirst noch viele Fehler machen aber verändert hast du dich nicht...," meinte sie und wollte noch etwas anderes sagen, welches ihr jedoch in der gedachten Sekunde entfallen war. Natürlich hatte er sich verändert aber nicht in dem Umfang, wie sie eine Beobachtung handfest nachweisen konnte. Jeder Mensch veränderte sich regelmäßig in speziellen Parametern seiner Charakterstruktur. Der Mensch war eben eine ständige Entwicklung eines Bewusstseins. Silana hatte darüber oft nachgedacht aber war noch nicht in der Lage, konkrete Veränderungen sofort zu bemerken. Hingegen genoss sie die vertraute Familie und dieses Zuhause, welches sich gerade zeigte. Nein, sie wollte die schützende Umarmung ihres Großvaters nicht verlassen, der sicherlich ähnlich ergriffen war sie. Nun füllten sich auch ihre Augen mit der Erinnerung an die schönen aber auch traurigen Zeiten im Hause Claudia, welche die Pupillen mit sanftem Glanz umspielten. Silana verstand etwas Wichtiges.

  • Umarmungen besaßen in Menecrares' Leben Seltenheitswert. Hätte man ihn gefragt, würde er behaupten, er benötigte derlei Gefühlsduseleien nicht. Aktuell nahm er aber wahr, wie viel eine solche Umarmung geben konnte und er realisierte auch, dass dieser Bereich seines Daseins deutlich verkümmerte. Er genoss daher den Augenblick, der noch lange in seiner Erinnerung bleiben würde.
    Seine Gedanken liefen in die Vergangenheit, streiften seine beiden Ehefrauen und die eigenen Kinder, als diese noch klein waren. Das Leben schritt in Riesensätzen voran. Längst hatte der alte Claudier die Hoffnung aufgegeben, noch einmal ein persönliches Glück zu finden. Ein Arrangement musste er nicht finden, seine letzte Ehe hatte weiterhin auf dem Papier Bestand, obwohl er seit unzähligen von Jahren kein Lebenszeichen seiner exzentrischen Frau mehr gehört, gelesen oder gesehen hatte.

  • Die Zeit verzog sich nur langsam. Silana wollte nicht weichen, da er dieser Moment in den unruhigen Zeiten Sicherheit verhieß. Diese Claudia war vielleicht doch noch nicht so erwachsen, wie sie gerne glaubte zu sein. Ihr Verstand war immer noch umfangen von wüsten und wilden Phantasmen von Abenteuern, Märchen und Geschichten. Mitunter würde sie dies niemals vollens ablegen. Silana war eben anders. Vielleicht auch einfach verrückt. Doch diese Verrücktheit erlaubte es ihr, Brücken zu bauen und zwar zwischen Wunsch und Hoffnung. Echte Brücken zwischen Menschen. Sie konnte nicht wissen, woran ihr Opa dachte. "So still, Großvater?" - fragte sie stattdessen betont harmlos, weil sie nun wissen wollte, warum ihr geliebter Opa nun so still war, da er ansonsten immer ein tadelndes Wort hatte. Oder eine kluge Lebensweisheit.

  • Er unterdrückte ein Seufzen, bevor er antwortete.
    "Es gibt Momente, die veranlassen uns, nach hinten zu schauen. Und nicht alles, was man da zu sehen bekommt, heißt man im Nachhinein noch gut. Du, mein Kind, blickst glücklicherweise nur auf einen kurzen Zeitraum zurück, während mein Zeitraum bereits so lang ist, wie manch ganzes Leben oft nicht. Nicht alle Werte erkennen wir in der Jugend und nicht jeder Mangel wird uns als solcher bewusst. Jetzt wirst du vielleicht denken, worin könnten wir schon einen Mangel erleiden, aber glaub mir, es gibt viele Dinge auf dieser Welt, die nicht mit Geld, Macht oder Beziehung zu erlangen sind. An solche Dinge musste ich gerade denken. Und ich glaube, solche Dinge hast du vor kurzem erlebt und sie haben dich beeindruckt."


    Aussprechen wollte er seine 'Dinge' jedoch nicht, weil sie ihm selbst gerade erst bewusst geworden sind und er sich ihrer Tragweite noch klar werden musste.


    "Lass uns den Tag nicht mit trügen Gedanken beenden und auch nicht mit Pflichterfüllung. Lass uns einfach einmal den Tagesrest genießen, uns des Daseins erfreuen und der vielen schönen und oft kleinen Dinge um uns herum. Dann schöpfen wir Kraft für den nächsten Tag, der uns wieder fordern wird." Er versuchte ein Lächeln, was ihm weitgehend gelang. Deswegen löste er sich aus der Umarmung, strich abschließend noch einmal über Silanas Haar und machte Anstalten, sich zu erheben.

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