atrium et triclinium | "Germanenankunft"

  • Es dauerte gar nicht lange, nachdem der Aurelier-Zug am triclinum angelangt war, als mein Bruder Lupus auch schon wieder das Regiment übernahm unter tatkräftiger Mitwirkung der beiden Göttergeschenke Wasser und pulsum. Obwohl Lupus noch gütig versuchte, eine Erklärung dafür zu liefern, warum nun ausgerechnet ich nicht von dem Brei essen sollte, ließ ich mich natürlich gar nicht lange bitten, ergriff einen Löffel und aß munter von dieser erlesenen römischen Speise. Dies gab mir auch die Gelegenheit, meine ehernen Gesichtszüge ein wenig zu entspannen, denn es kostete mich wirklich viel Mühe, mein Lachen zu unterdrücken. Im Unterschied zu Lupus hatte ich ja kaum eine Möglichkeit zu agieren und mich dadurch abzureagieren; und einen Bart, der meine zuckenden Mundwinkel gnädig verdeckte, hatte ich natürlich auch nicht. Ich wurde auch das Gefühl nicht los, dass mich ausgerechnet mit der Verwandten, die ich von früher her am wenigsten kannte, mit Prisca nämlich, die geheime Leidenschaft für die Beobachtung von Menschen verband. Sie verhielt sich ziemlich ruhig, sah mich nur manchmal mit ihren funkelnden blauen Augen unter ihren schwarzen Brauen so seltsam an, als hätte sie zumindest mich schon längst durchschaut.


    Der puls-Brei schmeckte mir übrigens gar nicht einmal so schlecht; gerade zum ientaculum hätte ich mir durchaus vorstellen können, so etwas öfter zu essen. Nun, mir fehlte für Gaumenschmaus aber auch einfach der Sinn und der Geschmack, ganz im Gegensatz zum "Kyniker" Lupus, wie er nun, nach einer kurzen, aber eindringlichen kynischen Meditation des Kosmos unter Beweis stellen konnte, als er das Rätsel und die ständig - vor allem bei Corvinus und Deandra - steigende Spannung löste und ein Essen ins triclinum tragen ließ, das selbst die villa Aurelia sicher lange nicht mehr gesehen hatte. Da ich Lupus bei der Vorbereitung dieses Essens ebenso frei hatte schalten und walten lassen wie bei dem Erdenken der rundum gelungenen Kyniker-Wasser-und-puls-Komödie, war ich selber überrascht und sprachlos, was die Sklaven nun alles an erlesenen Speisen und Getränken brachten. Dies war nun sicher eines Patrizier-Haushaltes würdig.


    Endlich konnte ich meinen Gesichtszügen freien Lauf lassen und lachen, beobachtete dabei aber immer noch vor allem Deandra, die von dem Theater wohl am meisten beeindruckt worden war. Mir fiel auf, dass sie nach der langen Zeit, in der ich sie nicht gesehen hatte, noch viel schöner geworden war als zuvor; Corvinus, der alte Schwerenöter, schien ihr wirklich gut zu tun. Bei diesem glücklichen Gedanken hielt ich mich allerdings nicht mehr besonders lange auf, denn nun fiel mir endlich ein, dass hier ja noch jemand fehlte: Wo war eigentlich Sisenna? Die Sklavinnen hatten sie doch fertig machen sollen.


    Schon wollte ich einer Sklavin einen Wink geben, damit diese nach Sisenna sehe, als ich einen leisen Schrei vernahm. Tatsächlich erblickte ich die Kleine nun am Eingang des triclinums, wo sie offenbar mit einem Sklaven zusammengestoßen war und sich nun die Stirn hielt. Eilig lief ich nun selbst auf sie zu - offensichtlich waren die Sklaven ja an diesem Tage mit der Aufgabe überfordert, für Sisenna zu sorgen -, doch noch bevor ich bei ihr anlangte, hörte ich aus ihrem Mund den Satz, den ich insgeheim befürchtet hatte: Sisenna stellte fest, dass auch jetzt ihre Eltern nicht da waren, was sie scheinbar immer noch gehofft hatte. Meine Versuche, sie mit der traurigen Wahrheit vertraut zu machen, hatten also nicht gefruchtet. Ich sah das Mädchen einen Moment lang an; da ich mich aber hilflos fühlte, reichte ich ihr einfach nur meine Hand, um sie nun vorzustellen:


    "Lupus und gutes Essen hin oder her; schaut mal, wen wir hier noch haben!"

  • Eigentlich war ich nicht erschöpft, um mich zu wehren. Es musste aber wohl so wirken, da Lupus ziemlich flink meine Augen mit seiner Hand beschattete. Ehe ich lautstark protestieren konnte - ich hatte schon eine Hand gehoben, um die seine von meinem Gesicht zu fegen - begann Lupus mit seinem Vortrag. Ich hörte sonst kein anderes Geräusch, Prisca, Helena und Deandra mussten wohl der Aufforderung nachgekommen sein und die Augen geschlossen haben. Verstimmt presste ich die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen und strengte meine Gehör an. Ich ertappte mich dabei, erleichtert aufzuatmen - so schlimm Lupus auch aussah...wenigstens stank er nicht. Leises, schnelles Getrappel vernahm ich dann, und kaum dass er begann, vom Essen zu reden, geschah etwas schier Unglaubliches: Ich roch, was er aufzählte!


    Kurz darauf war Lupus' Hand fort und ich öffnete die Augen. Der Puls war verschwunden und hatte erlesenen Köstlichkeiten Platz gemacht. Vor lauter Überraschung vergaß ich, dass ich eigentlich böse auf Lupus war, und Prisca, die die Bescherung ebenfalls sah, sprach mir förmlich aus der Seele. "Das..." begann ich, während alles gleichzeitig zu geschehen schien. Immer noch etwas aus dem Konzept gebracht, hob ich die Rechte und legte überrumpelt grinsend meine Hand in den Nacken. "Was für ein Schreck!" Lupus und Cotta lachten ob ihres gelungenen Scherz (und wohl auch wegen unserer verblüfften Gesichter), die Frauen schienen allesamt erleichtert und auch Sisenna hatte ihren Weg zu uns gefunden, wobei sie eine unsanfte Begegnung mit dem Tablett eines Sklaven machte. Ich sah ihr entgegen und wollte schon eine liebe Begrüßung aussprechen, als ich die Enttäuschung bemerkte, die sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet hatte. Mitgebracht? Sie? Ah, natürlich, sie musste die Geschenke meinen. Ich schmunzelte und streckte einen Arm nach Sisenna aus. "Sisenna, mein kleines probriperlecebrae*! Sei nicht so traurig, freust du dich denn gar nicht, dass wir wieder da sind? Natürlich haben wir dir etwas mitgebracht, aber die Sklaven müssen doch die Wagen erst abladen", erklärte ich.



    Sim-Off:

    *Schmeichelkätzchen :D

  • Sisenna drehte ihr Köpfchen der Quelle zu, die sie als erstes lieb angesprochen hatte. Sie rieb sich nochmals die Stirn, weil die einerseits noch immer schmerzte und andererseits überlegte sie, wer der Onkel war. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, musste sie erheblich klein gewesen sein. Natürlich kannte sie ihn, aber den Namen hatte sie vergessen.
    Über seine Worte dachte sie nicht erst lange nach. Sie verstand, was sie verstehen wollte, und strahlte über das ganze Gesicht.


    „Ihr habt sie versteckt? Wie eine Überraschung?“


    Ungeduldig trat sie von einem Bein auf das andere, rannte schließlich auf den Onkel zu, der ihr ohnehin die Hand entgegengestreckt hatte, und schaute ihn mit flehentlichen Augen an.


    „Bitte! Ich möchte sie gleich sehen!“

  • Mit einiger Verblüffung registrierte ich, dass sich Corvi nicht gegen Lupus’ Sichtbehinderung wehrte. Mit allem, aber damit hätte ich nicht gerechnet. Meine Verwunderung nahm derartige Ausmaße an, die es unmöglich machte, nun meinerseits die Augen zu schließen. Ein Blick Richtung Prisca zeigte mir, dass sie auf das Spiel einging, sie amüsierte sich ja bereits längere Zeit oder nahm die Vorgänge weniger tragisch. Ich schaute zu Cotta, er spielte ebenfalls mit. Und Lupus? Ich beobachtete ihn, wie er erste Fantasiespeisen beschrieb, und hoffte dabei, er würde nicht auf mich achten, weil ich die einzige war, die sich nicht manipulieren ließ. Oder war ich einfach nur ein Spielverderber?
    Mir blieb keine Zeit, eine Antwort auf diese Frage zu finden, denn plötzlich strebte eine Vielzahl an Sklaven in das Triclinium, einer schwerer als der andere beladen. Als die ersten warmen Speisen eintrafen, musste ich schlucken, denn Appetit stellte sich zum ohnehin vorhanden Hunger ein. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich sehr wohl eine Spielverderberin gewesen war. Ob es jemand bemerkt hatte? In das Lachen, nachdem alle die Augen wieder öffnen durften, fiel ich daher nicht ein, um die Aufmerksamkeit nicht erst auf mich zu lenken.


    „Iuno sei Dank!“, kam mir jedoch mehr oder weniger ungewollte über die Lippen.


    Bevor jedoch das Festmahl begann – und nicht anders konnte man die erlesenen Spiesen in ungeahnter Fülle bezeichnen, trat eine neue Wendung im Geschehen ein: Sisenna, meine kleine Cousine. Sie verursachte fast einen Zusammenstoß, der jedoch glimpflich ausging. Ich fand ihre gewählte Form der Begrüßung unpassend, runzelte flüchtig die Brauen, hielt mich aber auch in diesem Fall zurück. Ich war noch nie sonderlich Kinder-begeistert gewesen, und es reichte zudem, wenn Corvi stets überschwänglich begrüßte, dann musste ich das nicht auch noch tun.

  • Als ich Sisenna hörte dachte ich mir nur eins: ‚Ach du Scheiße!‘ Offensichtlich hatten Cottas Bemühungen keine Wirkung gezeigt. Wie es schien ging sie tatsächlich davon aus, dass ihre Eltern mitkommen würden. Lass mich noch mal übelegen, Mutter verstorben, Vater abgehauen. Darüber könnte ich mich stundenlang aufregen. Was soll’s, bringt ja nichts. Das arme Ding. Ein Haus voller fremder Gesichter, die Erwartungen nicht erfüllt. Was mag nun in diesem tapferen Köpfchen vorgehen. Jedenfalls nicht das, was Corvinus dachte. Da haben sich ja zwei gefunden! Er hört was er hören will und sie auch. Aber, sie ist ein Kind. Wahrscheinlich ist er unbeholfen, was Kinder angeht. Ich hätte ja zu gern gewusst, wie er reagiert hätte, wenn Sisenna ‚Nein‘ gesagt hätte, auf die Frage ob sie sich nicht freue. So sind Kinder, man muss mit allem rechnen, vor allem mit dem, mit dem man nicht rechnet! Ich sah mir dieses Treiben an und war gespannt wie das noch enden wird. Vermutlich so, dass Cotta oder ich beruhigende Worte an sie richten müssen. Wahrscheinlich eher mein Bruder als ich. Die beiden kennen sich ja schon etwas besser.


    Wie auch immer, es wurde Zeit für die gustatio. Der Hunger dürfte sich ausbreiten und ich als Zeremonienmeister sollte nun langsam mal die Fete steigen lassen. Die letzten Speisen wurden gebracht. Eier von Huhn und Pfau, Muscheln und Austern, Trüffel und Steinpilze, sowie der mulsum, von Brix gebracht. Ich ließ mir einschenken und sagte leise zu Corvinus:


    „Macht ihr mal!“


    Dann nahm ich den Becher entgegen und stellte mich neben Cotta, zwinkerte aber zuvor Deandra noch einmal zu. Sie wusste schon warum. Gut, sie hatte nicht mitgemacht, was soll’s, so ist das eben, man kann nicht alles haben. Das überhaupt jemand mitmachte war ja schon ein Wunder. Die Reise war lang, die Glieder müde, die einen reagieren resigniert, die andern gar nicht und andere regen sich auf. Sellerie, wie der Gallier sagt. Ich richtete das Wort an die Menge:


    „Meine Lieben, nur ein kurzen Wort an euch. Überglücklich seht ihr mich, da ihr den Weg unversehrt vom entlegenen Germania zurück in die Heimat bestritten habt. Ich hoffe ihr nehmt uns diesen kleinen Scherz nicht allzu übel. Um kurz zu bleiben, schön das ihr wieder zu Hause seit!“ Lasst uns essen!“

  • Etwas irritiert blickte ich Sisenna entgegen, die sich über die verstauten Geschenke wunderte. "Natürlich", erwiderte ich und zog die Kleine, kaum dass sie in Reichweite war, an der Hand an mich heran. "salve, meine kleine pupula*", sagte ich und umarmte das kleine Mädchen. Meine Freundlichkeit resultierte größtenteils um das Wissen um den Tod ihrer Mutter und die Absenz ihres Vaters. Laut Cotta musste sie erheblich lange allein gewesen sein, nur behütet von Sklaven, ehe ein Erwachsener sich um sie gekümmert hatte. Deandra und Prisca ernteten einen missgestimmten Blick, immerhin wäre ein schlichtes Salve nicht zu viel verlangt gewesen, und dass Deandra nicht erleichtert mitlachte, war zumindest mir aufgefallen. Ob es wohl an diesen Gedanken lag, die sie hegte, seiit wir Rom immer näher gekommen waren? Gedanken, die sich schnell in Trennungsängste wandeln konnten, wie ich vermutete, nur, weil ich den Sitten gemäß leben wollte und Zeit für meine politische Karriere haben wollte. Helena, die mir nahe saß, umarmte ihre Schwester hingegen vertraut und versprach, ihr schnellstmöglich alle Geschichten aus Germanien zu erzählen und ihr auch das Mitbringsel zu überreichen, welches wir gemeinsam in Mogontiacum erworben hatten. Anschließend entschuldigte sie sich, da ihr unwohl war. Sie würde ein Bad nehmen und früh zu Bett gehen.


    Kaum war Helena verschwunden, konzentrierte ich mich wieder auf Sisenna, die ich der Einfachheit halber auf meinen rechten Oberschenkel gesetzt hatte. Einige Sklaven bedienten derweil uns Ankömmlinge und die beiden Brüder. Mit dem rechten Arm hielt ich Sisenna am Platz, in der linken Hand hielt ich bald schon einen Becher Wein. "Sisenna, die Sklaven müssen erst den Wagen abladen. Deine Sachen sind ganz unten, damit sie vom Regen geschützt nicht nass wurden. Hast du denn das Päckchen bekommen, was ich dir geschickt habe?" fragte ich sie, als auch schon Lupus sprach. Nun wieder bestens gelaunt, schenkte ich ihm ein witziges Grinsen und zuckte die Schultern. "Das war zwar ein recht eigenwilliges Willkommen und ich gestehe, dass ihr mir - und den anderen sicher auch - einen gehörigen Schrecken eingejagt habt, aber wir sind zu Hause, und nur das zählt." Ich lächelte und deutete dem fragend schauenden Sklaven auf die Dinge, die ich essen wollte. "Möchtest du einen eigenen Teller oder mit mir teilen?" fragte ich Sisenna mit der Nase dicht an ihrem Ohr, was das Ganze verschwörerischer werden ließ.



    Sim-Off:

    * Augenstern

  • Sisenna setzte Corvinus’ Bemühungen, sie zu sich heranzuziehen, einen leichten Widerstand entgegen, weil ihr die Überraschung viel wichtiger als dieses Gerede der Erwachsenen war. Letztlich gab sie aber nach, weil er sie wie ein Kaiserkind behandelte. Sie liebte es noch immer, Kaiserin zu spielen, denn das gab ihr das Gefühl, wichtig zu sein. Schließlich kam sie sich oft vollkommen überflüssig vor.


    Ihr fragender Blick lockte zum Glück eine weitere Erklärung aus dem Onkel hervor, der sie mit offenem Mund begierig lauschte. Ihre Eltern lagen ganz unten, damit sie nicht nass wurden?


    „Aber da werden sie doch gedrückt“, erwiderte Sisenna gequält. Ihr Gesichtchen wandelte sich in einen Flunsch, bei dem die Augen übergroß erschienen und die Lippen vorgeschoben waren. Es fehlte nicht viel und sie würde anfangen mit weinen. Nicht so sehr, weil sie nun warten musste, sondern vielmehr ahnte sie inzwischen, dass ihre Eltern auch in diesen Reisekutschen nicht angereist waren. An das Päckchen dachte sie jetzt nicht mehr, sie war wieder einmal sehr enttäuscht.

  • Nach der Ankunft von Sisenna im triclinum und nach Lucius' Begrüßungsworten begab auch ich mich zu einer Liege, um nun endlich den schier unüberschaubaren kulinarischen Genüssen zu frönen, die mein Bruder hatte vorbereiten lassen. Während ich mich also niederlegte, ging mir einiges durch den Kopf. Hätte ich der Begrüßung durch meinen Bruder noch ein eigenes Grußwort folgen lassen sollen? Ach, ich war in solchen Fragen der Etikette und des gesellschaftlichen Anstands immer noch so unbeholfen: Einerseits hätte ich meinen Verwandten natürlich gerne noch gesagt, wie sehr ich mich darüber freute, sie nach so langer Zeit endlich leibhaftig und gesund vor mir zu sehen. Andererseits kam es mir als Jüngerem aber eigentlich nicht zu, den Worten meines Bruders noch etwas hinzuzufügen.


    Deshalb versuchte ich, die anderen wenigstens durch ein dankbares Lächeln, das ich jedem und jeder einzelnen von ihnen schenkte, wissen zu lassen, wie froh ich war, sie zu sehen. Dabei meinte ich zu sehen, dass Deandra nach wie vor ein wenig verstimmt wirkte; o je, für sie war dieser ganze "Spaß" dann vielleicht doch etwas zu viel gewesen. Ich hatte sie auch tatsächlich als eine überaus aristokratische Erscheinung in Erinnerung, die in jeder Situation des Lebens Wert darauf legte, ihrem Stand gemäß behandelt zu werden und selbst zu handeln. Oder war es gar noch etwas anderes, das ihre Stimmung trübte?


    Den geheimnisvollen Gesichtsausdruck Priscas vermochte ich fast nicht zu deuten, an Helena aber vermeinte ich, eine gewisse Blässe wahrzunehmen. Und tatsächlich: Zwar kümmerte sie sich gleich anfangs zärtlich um ihre kleine Schwester, entschuldigte sich aber schon bald, weil ihr unwohl war. Ich wollte mich schon erbieten, sie zu begleiten, ließ dieses Unterfangen dann aber doch aus Gründen der Diskretion bleiben.


    Gar nicht diskret, sondern ganz besitzergreifend hatte sich Corvinus inzwischen der kleinen Sisenna bemächtigt. Traurig beobachtete ich ihren Gesichtsausdruck, der von hoffnungsvoller Vorfreude über gereizte Begierde bis hin zu tiefer Resignation wechselte. Es tat mir weh, die Kleine so zu sehen, und setzte daher große Hoffnung in Helena, die gleich zu Anfang offenbar einen guten Kontakt zu ihrer Schwester gefunden hatte. Ich selbst warf Sisenna einen Blick zu, in den ich soviel Mitgefühl wie möglich zu legen versuchte.


    Dass mein Blick bis dato mit geringerer Intensität über all die Speisen geglitten war, die unter der Ägide meines Bruders zubereitet worden waren, war nicht etwa einer Undankbarkeit auf meiner Seite zuzuschreiben, sondern einfach meinem fehlenden Sinn für solche Dinge. Von klein auf hatten mich eben Menschen erheblich mehr fasziniert als das Aussehen und die Beschaffenheit von Dingen. Was ich nun allerdings hier vor mir sah und auch genussvoll erschnuppern konnte, verschlug mir fast die Sprache. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, wonach ich meine Hand zuerst ausstrecken wollte, und so ließ ich mir zunächst einmal verdünnten Wein geben zur Feier des Tages, ansonsten trank ich ja nie viel. Aber das musste ich natürlich sagen: Mein Bruder hatte eine wahre Begabung dafür, solche Zeremonien auszurichten; und da kam mir auch so ein Gedanke, den ich unbedingt bald ansprechen würde, keinesfalls aber heute. Denn mir lag bereits etwas anderes auf der Zunge; schmunzelnd wandte ich mich meinen Verwandten zu und sagte:


    "Ich freue mich auch sehr, dass ihr jetzt so wohlbehalten hier angekommen seid. Aber sagt mal, wie war es denn in Germania und auf der Reise bei drei so willensstarken Frauen und einem einzigen Mann dazwischen?"

  • Spätestens bei dem Anblick der Speisen war Prisca wieder einigermaßen beruhigt. Zwar schenkte sie Appius und Lucius jeweils noch einen tadelnden Blick für diesen schlechten Scherz, aber wirklich böse konnte sie den beiden auch nicht sein. Helena schien das ähnlich zu sehen vermutete Prisca zumindest an ihrem Gesichtsausdruck bemerkt zu haben. Deandra hingegen wirkte noch immer nicht wirklich entspannt oder gelöst, und sie lachte auch nicht mit den anderen mit. Um die übrigen Gespräche nicht zu stören, beugte sie sich kurz zu ihr und erkundigte sich besorgt und wollte sie ein wenig aufmuntern.


    " Deandra Was ist mit dir, wie fühlst du dich? ... Also ich bin von der Fahrt noch immer mitgenommen und dieser schlechte Scherz eben ... naja, ich habe wirklich geglaubt wir müssen bei Wasser und puls unsere Rückkehr feiern. ... Aber sieh doch mal jetzt, die vielen schönen Speisen!"


    Kurz legte Prisca noch ihre Hand auf die von Denadra und drückte sie aufmunternd, dann wandte sie sich kurz einem Sklaven zu und wählte von den Speisen aus. Das flaue Gefühl im Magen war vergessen und endlich wollte Prisca wieder zu dem Standard zurückfinden, den sie so lange vermissen musste. Etwas von dem Huhn und dem Pfau, ein paar Austern und Trüffeln sollte fürs Erste reichen. Das lenkte sie wohl ein wenig ab, da sie unablässig und ungeduldig den Sklaven beobachtete, der ihr viel zu langsam die Speisen auf dem Teller anrichtete.


    Das Sisenna den Raum betreten hatte, bekam Prisca jedenfalls erst in dem Moment mit, wie sie sich, mit dem Teller in der Hand, im Sessel zurück lehnte. Da erntete sie auch schon einen mißbilligenden Blick von ihrem Onkel, den sie zuerst gar nicht einordnen konnte. Daher erwiderte sie ihn zuerst einmal verständnislos und zog die Augenbrauen zusammen. Est da bemerkte sie wie Helena gerade ihre Schwester umarmte und sich dann zurück ziehen wollte. Achso, die Kleine! konnte Prisca nur noch entschuldigend mit den Schultern zucken.


    Natürlich ging ihr Sisennas Schicksal, von dem sie in Germanien bereits erfahren hatte, sehr nahe. Prisca zumindest hatte in dem Alter noch eine Mutter, aber Sisenna? die Kleine war ganz allein und wirkte irgendwie verloren zwischen all den Erwachsenen. Je länger sie Sisenna so betrachte, wie diese nach den Geschenken zu fragen schien, wurde sie auch wieder an ihre eigene Kindheit erinnert. "Hoffentlich haben Appius und Lucius es dem kleinen Mädchen schonend beigebracht ... haben sie doch, oder?" irgendwie fragend und auch etwas zweifelnd musterte sie die die beiden Brüder und lies ihren Blick dann wieder zu ihrem Onkel wandern, der sich ganz liebevoll um Sisenna kümmerte.

  • Ein Sklave tat mir eine gebratene Wachtel, ein Stück phenicopterus und etwas von dem ficatum auf, garniert mit Gemüse. Auf die cocleae verzichtete ich bewusst, sie waren etwas, das ich noch nie gemocht hatte. Da Sisenna meine Frage überhört hatte, schüttelte ich dem fragend schauenden Sklaven den Kopf, als dieser auf die Kleine deutete und bereits im Begriff war, einen neuen Teller zu nehmen und ihr aufzutun. Indes schien Prisca gar nicht zu wissen, warum ich sie strafend angesehen hatte. Doch weder sie noch Deandra hielten es für nötig, Sisenna noch zu begrüßen. Ich schob es auf die schlechten Reiseverhältnisse und hoffte, die drei würden später warm werden miteinander.


    Bei Cottas Frage warf ich ihm ein Schmunzeln zu und zuckte dann mit den Schultern. "Och weißt du, man härtet ab mit der Zeit. Ich hatte aber noch Glück im Unglück und war mehr im Kastell denn in der mogontiacischen villa", erwiderte ich grinsend und zwinkerte anschließend den verbliebenen zwei Damen zu, ehe meine Aufmerksamkeit erneut Cotta galt. "Es war reich an Eindrücken, für mich zumindest. Lehrreich, interessant und, naja, eben anders als hier oder in Mantua. Hätte der Kaiser mir ein Tribunat in Italien zugedacht, wäre mir sicherlich einiges nicht gewährt worden, ob es nun neue Bekanntschaften oder das detailliertere Wissen um militärische Praktiken gewesen wären, von der Ortskenntnis und der fremdartigen Kultur einmal abgesehen", berichtete ich. "Und deswegen danke ich dem Kaiser dafür, dass er mich nach Germanien entsandt hat, auch wenn es mir zu Anfang insgeheim wie eine Verbannung vorkam. Doch ich habe es als Bewährungsprobe angesehen und will hoffen, dass ich die Situation zufriedenstellend gemeistert habe. Wir werden es bei den Wahlen sehen."


    Schließlich bot ich Sisenna meinen Teller dar, nachdem der Sklave ihn mir gereicht hatte und ehe ich mir selbst etwas nahm. "Jetzt iss erstmal etwas, hm? Deine Geschenke bekommst du später. Es sind drei. Möchtest du vielleicht raten, was wir die mitgebracht haben aus dem kalten Germanien?" fragte ich Sisenna.

  • Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    Schließlich bot ich Sisenna meinen Teller dar, nachdem der Sklave ihn mir gereicht hatte und ehe ich mir selbst etwas nahm. "Jetzt iss erstmal etwas, hm? Deine Geschenke bekommst du später. Es sind drei. Möchtest du vielleicht raten, was wir die mitgebracht haben aus dem kalten Germanien?" fragte ich Sisenna.


    Während ich interessiert den Erzählungen meines Vetters über seine Zeit in Germania lauschte, war mein Blick auf ein Stück Turteltaube gefallen, das eine aufmerksame Sklavin mir auch sogleich kredenzte. Doch mir blieb keine Zeit, mich diesem Stück zu widmen, noch gar, Corvinus zu antworten. Denn als dieser seine Rede mit der Einladung an Sisenna beendete, sie solle doch einmal raten, was er ihr aus Germania mitgebracht habe, fuhr ich auf. Ich wollte schon etwas sagen oder Marcus wenigstens einen Wink geben; doch dann besann ich mich: Vielleicht war dies eine heilsame Schock-Therapie für die Kleine, die das bewirkte, was ich vergebens erstrebt hatte.

  • Je mehr Speisen eintrafen umso stärker band das bevorstehende Mahl meine Aufmerksamkeit, was nach der dürftigen Verpflegung der letzten Wochen nicht verwunderlich war.


    „Diese Speisen lassen keine Wünsche offen, mein Kompliment. So groß der Schreck auch war, so groß ist jetzt die positive Überraschung.“ Ich blickte zwischen Lupus und Cotta hin und her, weil ich nicht wusste, wer möglicherweise den größten Einfluss auf die Zusammenstellung hatte. Eine Weile dachte ich über Lupus’ Zwinkern nach, das ich in mehrere Richtungen deuten und daher nicht wirklich zuordnen konnte, aber schließlich kam die Aufforderung zum Essen, der ich bereitwillig nachkam.


    „Zunächst eine kleine Portion mit Muscheln, zwei Eier, Pilze und etwas Brot. Ach ja, etwas Wein“, gab ich einer Sklavin in Auftrag, beobachtete ihre Handgriffe mit Interesse und streckte bereits die Hand aus, als der Teller noch nicht ganz in Reichweite war. Der Becherinhalt fand ohne weiteres Bedauern einen netten Platz auf dem hellen Marmorfußboden, weil ich mir einerseits wenig aus Wein machte und andererseits den Göttern zunächst erst Genüge getan werden musste. Einmal den Teller in der Hand zögerte ich anschließend aber nicht lange, sondern fasste eine bereits ausgeschälte Muschel mit spitzen Fingern, um sie ohne weitere Betrachtung in den Mund zu stecken. Erst nach dem Verzehr weiterer Muscheln, eines Eies und Brot blickte ich auf und beobachtete das Schauspiel um Sisenna weiter. Corvis strenger Blick wegen meiner ausgebliebenen Begrüßung war mir zum Glück entgangen, denn ich mochte es nicht, wenn er mich vorwurfsvoll ansah. Und doch konnte ich nicht anders als oft die Kraft in dem Maße zurückzufahren wie er vorpreschte. Es war wohl ein Ausgleich, den ich häufig, aber auch unbewusst herstellte.


    Der kurzen Unterhaltung zwischen Corvi und Sisenna folgte ich mit einem inneren Kopfschütteln, das man mir hoffentlich nicht äußerlich ansah. Was für ein verwöhntes Mädchen, dachte ich bei mir. Sie sieht nur ihre Überraschung und denkt nicht an die Erschöpfung und den Hunger der gerade erst Angekommenen. Es würde sich zeigen, ob ich sie einmal mögen würde. Warum jetzt aber Cotta auch noch mitleidig schaute, verstand ich nicht im Ansatz. Ich blickte ihn fragend an, weil ich der Meinung war, man durfte ein Kind nicht verziehen, indem man es mit Aufmerksamkeit überschüttete. Und prompt zog sie einen Flunsch, weil Corvi ihr nicht nachgab. Oje.


    Ich ließ den Teller auf meinen Schoß sinken und wollte das Schauspiel noch interessierter als zuvor beobachten, als Cotta die alles entscheidende Frage nach Germanien stellte. Wie es uns ging, drei Frauen und Corvi? Naja. Mein Blick wanderte also zu Corvi zurück, dabei konnte ich mir seine Antwort im Grunde bereits ausmalen. Er wird es wohl genossen haben. Ich legte den Kopf kurzzeitig in Schräglage und dachte über das ‚willensstark’ nach, das Cotta benutzt hatte. Fast klang es, als stellte er sich das Ganze schwierig vor, aber da kannte er Corvi offenbar nicht gut.


    Als mich kurz darauf Prisca ansprach, wurde ich wieder nachdenklich. Sie erinnerte mich an meine Sorge, die im Grunde allgegenwärtig war, die ich nur im Augenblick verdrängt hatte. Ich blickte sie an und lächelte dankbar, weil sie so feinfühlig war.


    „Lieb, dass du fragst, aber … Ich weiß nicht, ob wir jetzt die Ruhe zum sprechen haben. Die Zukunft ist es, die mir Sorgen macht.“


    Weil sie meine Hand drückte, überkam mich der Wunsch, sie zu umarmen, weil es so erholsam war, ihre Fürsorge zu spüren. Sie erinnerte mich an Mutters Art, wenn ich einmal traurig war. Ich stellte meinen Teller auf den Tisch, beugte mich hinüber und drückte sie kurz. Mit einem Lächeln setzte ich mich wieder zurecht, nahm das Essen erneut auf und folgte wieder dem Schauspiel Corvi – Sisenna.

  • Ich nickte leicht mit den Kopf um Deandra Dank zu signalisieren.
    „Wir gaben uns auch alle Mühe um den Schrecken groß werden zu lassen, damit die Überraschung um so größer wird. Ich hoffe doch, dass der Schrecken nicht zu groß war und mein kleiner Scherz euch nicht auf den Magen schlägt.“
    Dieser Gedanke verflüchtigte sich schnell, als ich sah das Deandra zu essen begann. Ich lächelte sie an.
    „Ich sollte lieber meinen puls aufessen, sonst wird es morgen regnen. Entschuldigt mich kurz, das wollt ihr euch sicherlich nicht ansehen.“;)


    Mein Becher war leer und ich wandte mich den Damen ab, ging einige Schritte auf Corvinus und Sisenna zu und ließ mir von einem Sklaven Wein einschenken und ließ mir Austern und Pilze geben, aß aber zuerst den Rest von meinem puls. Wenn es 3 Geschenke sind, wird auch sie jetzt Gewissheit haben, dass es sich nicht um ihre Eltern handelt. Wie wird das noch enden mit den Beiden? Bestimmt nicht gut! Ja, ja, die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse, das konnte man wieder erleben. Ich überlegte noch, ob ich etwas sagen sollte, aber wusste es nicht. Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden. Bevor ich irgendeinen Entschluss fassen konnte umarmte Deandra Prisca. Hatte dieser Scherz doch tiefer gesessen? Ich trat wieder an sie heran


    „Alles in Ordnung bei euch?“

  • Sisenna verabschiedete ihre große Schwester mit einer Umarmung. Auf das Versprechen, ihr viele Geschichten zu erzählen, würde sie später sicherlich zurückkommen. Jetzt aber wandte sie sich wieder Onkel Corvinus zu, der ihre Betrübnis so vollständig ignorierte wie ein Stein leckere Haselnusscreme missachtete. Den angebotenen Teller schob sie daher mit beiden Händen energisch fort. Sie legte Onkel Corvinus ihre Hände auf die Wangen und versuchte, seinen Kopf derart zu drehen, dass er sie anschauen musste.


    „Ich habe keinen Hunger“, sagte sie eindringlich trotz ihrer leisen Stimme. Dabei führte sie ihr Gesicht ganz nahe an seins, damit er ihr diesmal auch ja ordentlich zuhörte und nicht wieder wegsah oder mit anderen sprach oder nicht richtig verstand.


    „Kann ich meine drei Geschenke jetzt gleich haben, wenn ich sie richtig errate?“


    Ohne eine Antwort abzuwarten, äußerte sie mit Überzeugung: „Es sind Mama, Papa und Helena.“
    Sisenna nahm es nicht so genau damit, dass nur zwei der Geschenke versteckt waren.

  • Ein wenig erleichtert war Prisca schon, dass Deandra endlich ein wenig entspannter wirkte und das Essen auch genießen konnte. Es wäre auch eine Schande gewesen, diese ganzen Köstlichkeiten verkommen zu lassen. Trotzdem, irgend etwas bedrückte Deandra! Das hatte Prisca schon auf der ganzen Fahrt hier her bemerkt. Und ihre Aussage jetzt über die Sorgen für die Zukunft, zerstreuten nicht wirklich Prisca´s Bedenken.


    "Weisst du was, lass uns doch nach dem Essen in den hortus gehen. ... Nur wir beide! ... Dort sind wir ungestört und können uns ein wenig unterhalten."


    schlug Prisca vor, denn es lag ihr am Herzen zu erfahren, was genau mit Deandra los war. Viel Zeit und Gelegenheiten sich wirklich einmal ungestört zu unterhalten, hatte es auf der ganzen Reise hierher nicht gegeben. Doch jetzt würden sie diese endlich haben, dachte sie sich und wollte gerade weiter reden, als sie durch die Frage von Lupus - ob bei ihnen alles in Ordnung sei - davon abgelenkt wurde.


    "Mein lieber Lucius, das war ein gehöriger Schreck den ihr uns da eingejagt habt. Ich hoffe, du und Appius habt es wenigstens genossen, uns so schamlos an der Nase herum zu führen! Aber dieses Mahl entschädigt in der Tat mehr als genug dafür. ... Ich gratuliere dir und Appius für die gelungene Wiedersehensfeier."


    entgegnete sie ihm zuerst gespielt beleidigt und sah dabei auch zu Deandra, ob sie denn ihre Meinung teilte oder etwas dazu sagen wollte. Doch schnell lies Pirsca ihrerseits mit einem Lächeln durchblicken, dass sie den Schreck bereits verwunden hatte, das Fest genießen konnte und den beiden Brüdern auch nicht weiter nachtragend war.


    "Ich hoffe nur, ihr beide seid bei Sisenna etwas gefühlvoller gewesen und habt sie schonend auf das vorbereitet ... ich meine das mit ihren Eltern ...."


    fügte Prisca dann nach einer kurzen Pause mit einem leichten Kopfnicken und mit deutlich gesenkter Stimme an. Dem Blick Deandra´s folgend sah nun auch Prisca zu ihrem Onkel und Sisenna hinüber, die just in dem Moment von ihren Eltern sprach. Dann blickte sie wieder fragend zu Lupus und bedachte auch Appius mit einem kurzen Blick. Sie hatte es nicht direkt ausgesprochen, aber es war wohl offensichtlich, was sie in dem Moment zu fragen beabsichtigte. Weiss die Kleine überhaupt schon, dass ihre Eltern tot sind?. Jedoch begann Prisca immer mehr daran zu zweifeln.

  • Bei einem Mahl von sechs - ohne Helena jetzt nur noch fünf - Erwachsenen, die sich teilweise seit Jahren nicht gesehen hatten, zuzüglich eines kleinen Mädchens, das den Verlust seiner Eltern noch nicht verarbeitet hatte, gingen wohl allen Anwesenden viele Gedanken durch den Kopf, von denen die ausgesprochenen Worte nur einen trüben Eindruck vermitteln konnten. Vor allem Deandra schien einiges zu beschäftigen, und nach einem ersten gewissensgeplagten Erschrecken kam ich nun mehr und mehr zu der Einsicht, dass es vielleicht doch nicht in erster Linie Lupus' und mein Scherz gewesen war, welcher die Verlobte meines Vetters derart beschäftigte. Prisca, die mir ohnehin eine gute Beobachterin zu sein schien, hatte es als erste bemerkt und Deandra darauf angesprochen; diese hatte auch dankbar darauf reagiert. Auch mein Bruder war dieser Sache jetzt gewahr geworden und fragte vorsichtig nach; ich selbst hielt mich zurück, da mir schien, dass Deandra vielleicht das Bedürfnis haben könnte, mit Prisca alleine darüber zu reden. Und genau diesen Vorschlag machte Prisca nun auch. Wenigstens aß Deandra etwas - meiner Meinung nach immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass noch Lebensgeister in einem steckten; hoffentlich wusste sie auch, dass natürlich auch ich immer für sie da sein würde. - Etwas anderes wollte ich aber auf keinen Fall unwidersprochen stehen lassen, und das war die Bemerkung Priscas zu der gelungenen Wiedersehensfeier.


    "Prisca, es freut mich, dass du dich mit dieser Art der Bewillkommnung nun doch anfreunden kannst! :D Der Dank gebührt allerdings ganz Lucius, vor allem, was diese Gaumenfreuden hier anlangt."


    Ich blickte lachend zunächst zur angesprochenen Prisca und deutete dann auf meinen Bruder. Um ihn noch deutlicher in den Vordergrund zu schieben, was ihm nach all der Arbeit wirklich gebührte, lehnte ich mich auf der Kline ein wenig zurück. Diese Bewegung eröffnete mir auch wieder den Blick auf das Turteltäubchen auf meinem Teller, das ich auch sicher nicht länger so unberührt gelassen hätte, wenn nicht ein neuerliches Lebenszeichen Sisennas mich aufgeschreckt hätte. Sie sprach es nun offen aus: Ja, sie erwartete, dass man ihre Eltern als Geschenk für sie mitgebracht hatte. Betroffen blickte ich verstohlen zu den anderen, zu meinem Bruder, vor allem aber zu Corvinus, für den ich im Stillen betete, die Götter möchten ihm nun die rechten Worte schenken.

  • Priscas Vorschlag ließ mich erneut Corvi und Sisenna aus den Augen verlieren. Ich blickte sie mit einem Lächeln an und überlegte nicht lange.


    „Das ist eine gute Idee, nur wir beide.“ Ich nickte zustimmend, weil mir die Aussicht auf ein Gespräch unter vier Augen gut gefiel. Es würde sich zeigen, was ich Prisca alles anvertrauen würde, manches behielt ich nicht aus Vertrauensmangel, sondern vor allem aus Diskretion für mich. Aber wenn nicht gegenüber Prisca, dann würde ich mich vermutlich keinem gegenüber öffnen. Gut, Corvi in aller Regel noch, aber das war eine gänzlich andere Ebene. Flüchtig grübelte ich, ob ich ihm auch die aktuellen Sorgen erzählen würde, denn sie betrafen ja zu einem nicht unerheblichen Teil ihn direkt, aber schnell stand fest, dass ich nicht von mir aus kommen würde. Vielleicht wenn er fragen würde, aber das tat er die ganze letzte Zeit nicht, warum also sich Gedanken darüber machen?


    „Ich könnte jetzt ohnehin nicht schlafen oder auch nur ruhen, dafür bin ich viel zu aufgekratzt. Also nach dem Essen …“


    Nun war es Lupus, der meine Aufmerksamkeit abzog.
    Er fragte uns, ob alles in Ordnung sei, und Prisca übernahm die Antwort. Ihren Versuch, über die furchtbare Begrüßung beleidigt zu sein, unterstützte ich mit strenger Miene und einem bestätigenden Kopfnicken, als sie zu mir blickte. Ihrem entschärfenden Lächeln schloss ich mich aber sofort an, denn einmal abgesehen von der ersten Bestürzung empfand ich genau diese ungewöhnliche Art des Empfangs als erfrischend anders, belebend und auch ablenkend. Ich hatte zeitweise tatsächlich meine Sorgen vergessen.


    Über Priscas Hoffnung, Sisenna betreffend, staunte ich als nächstes. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Kleine noch nichts von ihrem Schicksal wissen könnte. Aber auch diesen Gedanken schon ich schnell beiseite. Für Sisenna konnte ich derzeit wenig Interesse aufbringen, dann schon eher für Lupus. Ich betrachtete ihn gewisse Zeit, neigte anschließend den Kopf und legte die Stirn die Denkerfalten.


    „Wärst du an einer Geschichte interessiert, die ich erzählen könnte?“


    Mein Blick wanderte über die Gestalt meines ehemaligen Verwandten. Wieder einmal stellte ich bedauernd fest, dass ich durch den Familienwechsel nur verloren, aber nichts gewonnen hatte.

  • Ein leichtes Schmunzeln, welches sich zu einem Grinsen entwickelte folgte auf Priscas Worte. Und weil ich dafür bekannt bin, nicht aus meiner Haut zu können erwiderte ich in lachendem Ton:


    „Und wie wir das genossen haben, zumindest ich! Du doch bestimmt auch, Cotta? Von diesem Erlebnis werden wir noch auf vielen Familienfeiern erzählen können. Aber, auch dir mein Dank für diese lieben Worte“


    Ich sah zu Cotta und pikste ihn in die Seite, wie große Brüder das so machen


    „Jetzt mal nicht so bescheiden! Du weißt doch, wie schnell ich rot werde. Ohne deine zustimmenden Worte und Anregungen wäre dieser Tag doch nur zäh geworden. Die üblichen Begrüßungsfloskeln und hochtrabende, ernste Worte, oder? Bei einer reinen Familienfeier muss das doch nicht sein. Wenn man unter sich ist, unter den Menschen die einen lieben, braucht man sich nicht an Schemata zu halten, sondern kann sich einfach fallenlassen. Die lieben dich auch, wenn du mit langem Bart und ungepflegtem Äußerem vor ihnen stehst. Das macht doch eine Familie aus!“


    Bei dem letzten Satz umarmte ich lächelnd meinen Bruder und klopfte ihm einige Male sanft auf den Rücken. Anschließend blickte ich zu Deandra und sah ihr bei meinen Worten in die Augen:
    „Nicht das mir das hier falsch verstanden wird. Reine Familienfeier heiß reine Familienfeier, es sind nur Familienmitglieder vorhanden. Eine Familie zu der auch du immer gehören wirst, auch wenn sich das rechtliche Verhältnis ändert. Familie ist man im Herzen, nicht in Worten oder Namen!“


    Dann ging ich auf ihre Frage ein und ging vor ihr in die Hocke. Sie konnte nicht nur das Weiß, sondern auch das Grün in meinen Augen erkennen. Lange blickte ich ihr tief in die Ihrigen. Für ernste Worte war ich schon lange kein Typ mehr, zu viel gesehen, zu viel erlebt! Aber wenn sie mir angebracht erschienen, benutzte diese sogar ich. So auch jetzt:


    „Deine Geschichte interessiert mich sehr!“

  • Ich sah die kleine Sisenna noch einen flüchtigen Moment an, dann seufzte ich und stellte den Teller vorerst neben mir ab, denn mit der Rechten hielt ich das kleine Mädchen ja auf seinem Platz, und wenn ich etwas essen wollte, musste der Teller demnach irgendwo stehen, damit ich mit links essen konnte. Ich nahm ein Stück Brot, kam jedoch nicht mehr dazu, es in garum zu tunken und zu essen, denn in diesem Moment drehte Sisenna meinen Kopf in ihre Richtung und sah mich äußerst eindringlich an. Verwundert und interessiert zugleich legte ich das Stückchen Brot also wieder ab und betrachtete meine Cousine. Auf ihre Frage hin musste ich lächeln und wollte ihr vorschlagen, gleich nach dem Essen mit mir nachsehen zu gehen, wie weit die Sklaven mit dem Entladen der Wagen waren, doch da verblüffte mich ihre Vermutung, die Geschenke seien ihre Eltern und Helena. Verdutzt sah ich sie an, wandte dann den Kopf und suchte den Blick Cottas. Hatte er mir die Aufgabe überlassen, die Kleine einzuweihen? Sein betroffener Blick konnte mir bedauerlicherweise keine Klarheit verschaffen. Auch Deandra sah mich nur interessiert an, und Lupus brachte ebensowenig Aufschluss wie Prisca. Erneut sah ich zu Sisenna und fürchtete, sie gleich in Tränen ausbrechen zu sehen.


    "Sisenna..." begann ich und sah sie zerknirscht an. Ich musste den Seufzer unterdrücken, der hinaus wollte. "Es sind nicht deine Eltern, die wir mitgebracht haben. Sie wohnen nun dort, wo wir zu Lebzeiten nicht sein können", versuchte ich zu erklären und lächelte sie betrübt mit nur einem Mundwinkel an. "Aber es geht ihnen gut und sie denken immer an dich." Ich überlegte einen Moment und fügte hinzu: "Ich kann es dir zeigen - gleich heute Abend wenn du möchtest."

  • Während Lupus sprach, nahm meine geplante Geschichte konkrete Formen an. Ich fand es höchst aufschlussreich, was er zu Cotta sagte, denn seine Auffassung von Familie traf bei mir vollkommen ins Schwarze. Dabei konnte er gar nicht wissen, dass genau dieser Punkt derzeit meine wunde Stelle war. Ich wusste nicht einmal, ob ich mich angesprochen oder ausgeschlossen fühlen sollte, wenn Corvi die Familienmitglieder zusammenrief. Ich gehörte nicht tatsächlich zur Familie – nicht mehr und gleichzeitig auch noch nicht.


    Und als ob Lupus meine Gedanken erraten konnte, richtete er nachdrückliche Worte an mich, die ausgerechnet meine Unsicherheit betrafen. Dabei war es weit mehr als Unsicherheit, die mich derzeit belastete. Es war die Überzeugung, nirgendwohin so richtig zu gehören. Weil er aber die von mir angekündigte Geschichte ansprach, riss er mich aus diesen trüben Gedanken, und sein Hinhocken lockte sogar ein flüchtiges Lächeln hervor.


    „Also gut, dann fange ich einmal an.“ Im Grunde befand ich diese Einleitung als überflüssig, aber sie half, die Gedanken zu sortieren.


    „Vor einigen Jahren zog ein junges Mädchen aus ihrem Elternhaus aus, um sich selbst zu beweisen, dass es etwas Vorzeigbares auf die Beine stellen konnte. Sie kaufte von dem Geld ihres Vaters ein paar Pferde, baute die Nebengebäude der kleinen Villa in Ostia zu Stallanlagen aus und beschaffte sich Personal. Nachdem der Zuchtbetrieb hervorragend lief, sodass selbst das Kaiserhaus zu ihren Kunden zählte, fasste sie den Entschluss, zum ersten Mal in ihrem Leben auf den Sklavenmarkt in Rom zu gehen, um sich nach eigenem Urteil einen kräftigen Sklaven zu kaufen. Sie musste im Nachhinein feststellen, dass der Kauf zur damaligen Zeit nicht unbedingt preiswert war, aber die Qualität des Sklaven wog ihre Unkosten wieder auf. Sie besaß fortan einen zuverlässigen Schatten an ihrer Seite, der stets über ihre Sicherheit wachte, in seiner Loyalität ohne Makel war und ihr, als sie ihr Elternhaus durch eine Adoption zu den Claudiern für immer verließ, stets ein Stück aurelische Vergangenheit vorgaukelte.
    Zu dieser Zeit war in ihr Herz bereits die Liebe eingezogen, die sie letztlich jede Zugehörigkeit zu einer fremden Familie vergessen ließ. Aber nachdem das Schicksal es über Jahre gut mit dem jungen Mädchen, das bereits zur Frau gereift war, gemeint hatte, brach ein Unglück nach dem anderen über sie herein. Zuerst verlor sie ihren treuen Sklaven, danach spürte sie Distanz bei einer Verwandten, erlebte ohne den Schutz ihres Sklaven verstärkt die Feindschaft von Seiten einer Sklavin und verlor zu allem Überfluss noch beide Elternteile ihrer Kindheit.“


    Das Nacherleben der belastenden Ereignisse in ihrer Zusammenfassung verursachte erheblichen Druck, der sich in einem langen Seufzer Luft machte. Corvis Zurückweisung, die ich lange nicht verstanden hatte, unterschlug ich sogar bei dieser Aufzählung, obwohl sie mich schwer belastet hatte, aber bei allem Kummer – nie würde ein Wort ihn betreffend über meine Lippen kommen. Das ging nur ihn und mich etwas an.


    „Die junge Frau steht nun verloren da mit ihrem schweren Gepäck. Verloren – weil sie nicht bleiben darf, wo sie bleiben möchte, weil scheinbar auch niemand ihre Lage versteht, und niemand da ist, der ihr beim Tragen hilft.“


    Ich machte eine Pause, weil mir auffiel, dass ich mich inzwischen selbst bemitleidete.


    „Eigentlich wollte ich gar nicht so viel von der jungen Frau erzählen“, begann ich nach kurzem von neuem. „Mir ist heute einiges anderes noch aufgefallen. Deine grobe Optik, aber selbst die äußerlichen Feinheiten, deine Einstellungen, deine Lebensweise, deine Art dich auszudrücken, selbst der Zeitpunkt, den du für die Anreise gewählt hast, er lässt mich an eine sonderbare Fügung der Götter glauben, deren Deutung ich mir von niemand ausreden lasse. Du erinnerst mich nicht nur an jemanden, ich glaube fest, jemand wurde in dir wiedergeboren. Frag nicht nach, es wird mein Geheimnis bleiben.“


    Vielleicht sprach aber auch mein Blick Bände.

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