Es dauerte gar nicht lange, nachdem der Aurelier-Zug am triclinum angelangt war, als mein Bruder Lupus auch schon wieder das Regiment übernahm unter tatkräftiger Mitwirkung der beiden Göttergeschenke Wasser und pulsum. Obwohl Lupus noch gütig versuchte, eine Erklärung dafür zu liefern, warum nun ausgerechnet ich nicht von dem Brei essen sollte, ließ ich mich natürlich gar nicht lange bitten, ergriff einen Löffel und aß munter von dieser erlesenen römischen Speise. Dies gab mir auch die Gelegenheit, meine ehernen Gesichtszüge ein wenig zu entspannen, denn es kostete mich wirklich viel Mühe, mein Lachen zu unterdrücken. Im Unterschied zu Lupus hatte ich ja kaum eine Möglichkeit zu agieren und mich dadurch abzureagieren; und einen Bart, der meine zuckenden Mundwinkel gnädig verdeckte, hatte ich natürlich auch nicht. Ich wurde auch das Gefühl nicht los, dass mich ausgerechnet mit der Verwandten, die ich von früher her am wenigsten kannte, mit Prisca nämlich, die geheime Leidenschaft für die Beobachtung von Menschen verband. Sie verhielt sich ziemlich ruhig, sah mich nur manchmal mit ihren funkelnden blauen Augen unter ihren schwarzen Brauen so seltsam an, als hätte sie zumindest mich schon längst durchschaut.
Der puls-Brei schmeckte mir übrigens gar nicht einmal so schlecht; gerade zum ientaculum hätte ich mir durchaus vorstellen können, so etwas öfter zu essen. Nun, mir fehlte für Gaumenschmaus aber auch einfach der Sinn und der Geschmack, ganz im Gegensatz zum "Kyniker" Lupus, wie er nun, nach einer kurzen, aber eindringlichen kynischen Meditation des Kosmos unter Beweis stellen konnte, als er das Rätsel und die ständig - vor allem bei Corvinus und Deandra - steigende Spannung löste und ein Essen ins triclinum tragen ließ, das selbst die villa Aurelia sicher lange nicht mehr gesehen hatte. Da ich Lupus bei der Vorbereitung dieses Essens ebenso frei hatte schalten und walten lassen wie bei dem Erdenken der rundum gelungenen Kyniker-Wasser-und-puls-Komödie, war ich selber überrascht und sprachlos, was die Sklaven nun alles an erlesenen Speisen und Getränken brachten. Dies war nun sicher eines Patrizier-Haushaltes würdig.
Endlich konnte ich meinen Gesichtszügen freien Lauf lassen und lachen, beobachtete dabei aber immer noch vor allem Deandra, die von dem Theater wohl am meisten beeindruckt worden war. Mir fiel auf, dass sie nach der langen Zeit, in der ich sie nicht gesehen hatte, noch viel schöner geworden war als zuvor; Corvinus, der alte Schwerenöter, schien ihr wirklich gut zu tun. Bei diesem glücklichen Gedanken hielt ich mich allerdings nicht mehr besonders lange auf, denn nun fiel mir endlich ein, dass hier ja noch jemand fehlte: Wo war eigentlich Sisenna? Die Sklavinnen hatten sie doch fertig machen sollen.
Schon wollte ich einer Sklavin einen Wink geben, damit diese nach Sisenna sehe, als ich einen leisen Schrei vernahm. Tatsächlich erblickte ich die Kleine nun am Eingang des triclinums, wo sie offenbar mit einem Sklaven zusammengestoßen war und sich nun die Stirn hielt. Eilig lief ich nun selbst auf sie zu - offensichtlich waren die Sklaven ja an diesem Tage mit der Aufgabe überfordert, für Sisenna zu sorgen -, doch noch bevor ich bei ihr anlangte, hörte ich aus ihrem Mund den Satz, den ich insgeheim befürchtet hatte: Sisenna stellte fest, dass auch jetzt ihre Eltern nicht da waren, was sie scheinbar immer noch gehofft hatte. Meine Versuche, sie mit der traurigen Wahrheit vertraut zu machen, hatten also nicht gefruchtet. Ich sah das Mädchen einen Moment lang an; da ich mich aber hilflos fühlte, reichte ich ihr einfach nur meine Hand, um sie nun vorzustellen:
"Lupus und gutes Essen hin oder her; schaut mal, wen wir hier noch haben!"