Wenn Marcus das Innere seines Zeltes als ein Tohuwabohu empfunden hatte, so mit dem Anblick des Lagers noch sehr viel mehr. Auf der leichten Erhebung an der Stelle, wo ihre Zelte aufgeschlagen waren, schien man eine Ahnung des Lagers zu erhalten. Und Marcus, der noch auf das Eintreffen von einem Nachzügler wartete, spähte über so manch eines der Soldatenzelte, zwischen denen in der Ferne die prunkvollen und großen Zelte des Kaisers und Kommandaten heraus stachen. Wie ein großer Haufen von Ameisen schien es zwischen all den Zelten zu wimmeln. Ein Chaos, ein Durcheinander für den Beobachter, doch nur eine Ameise würde sicherlich die Ordnung und die Geometrie hinter all dem mit Leichtigkeit erkennen. Marcus, selbst eine kleine Ameise in dem Haufen von dreißigtausend Mann, sah jedoch nicht lange genug hin, denn in dem Augenblick begann der primus pilus zu sprechen. Stumm wie die anderen Männer lauschte Marcus den Worten von dem ersten centurio. Administrative Angelegenheiten war sicherlich kein Stichpunkt, was allzu große Freude in Marcus aufkeimen ließ, doch solche Dinge gehörten nun mal leider dazu, wenn er auch stets versuchte diese Arbeit auf seine Untergebenen abzuwälzen. Wie die meiste Arbeit, die ihm lästig war.
Marcus hörte mit halbem Ohr weiter zu und dachte nach. Beförderungen? Wen könnte oder sollte er aus seiner Legion vorschlagen? Er fuhr sich nachdenklich mit seiner Zungenspitze über die Unterlippe. Tallius Priscus? Eigentlich hatte der optio es wirklich verdient und er würde sich bestimmt gut als centurio machen. Doch zwei Sachen sprachen dagegen, ihn vorzuschlagen. Zum einen hatte Marcus mal munkeln gehört, daß der optio recht zufrieden war mit seinem Posten- aber es war nur ein Gerücht und Marcus wußte es nicht wirklich. Aber der Hauptgrund war eher: Marcus wollte nicht auf ihn verzichten. Priscus war sein Gewicht wirklich in Gold wert und Marcus auf ihn angewiesen, um weiterhin einen derart reibungslosen Ablauf in seiner Zenturie zu haben. Zudem schien er gut mit den Männern sich zu verstehen. So schwieg Marcus bezüglich seines Stellvertreters in der Zenturie. Auf das Lob von Avitus für die Männer nickte Marcus, sah, daß es seine Kollegen ebenso taten oder selber zufrieden schienen. Stirnrunzelnd rieb sich Marcus den Nacken und dachte weiter nach, während centurio Bruseos in die nachdenkliche Stimmung, die sich nach Avitus letzter Frage scheinbar ausgebreitet hatte, hinein fragte:
„Beförderungen von optio aufwärts oder schon bis zum optio? Die immunesposten müssen wir ja nicht bis zum tribunus vortragen. Und bei Degradierungen und Strafen wohl auch nur das Schlimmere, hm?“
Bruseus zögerte einen Augenblick und fügte dann an:
„Da wäre nämlich durchaus etwas, also mehr als die üblichen Unverschämtheiten, Trunkenheit oder Dienstverletzungen. Gestern Nacht haben zwei Männer versucht abzuhauen. Das erste contubernium meiner Einheit hat es noch rechtzeitig gemeldet und wir haben die Fahnenflüchtigen fest gesetzt."
Marcus, der gerade die Soldatenliste durch gegangen war, grübelnd, ob er einen davon zum optio vorschlagen sollte, wenn er auch gar nicht sicher war, ob überhaupt ein Posten frei war, bei ihm zumindest nicht und die anderen Zenturien hatten wohl auch fast oder sogar mehr als Sollstärke, sah bei der Nachricht auf und runzelte die Stirn.
„Herrje, direkt vor dem Kriegsgebiet ist das keine gute Sache. Da müssen wir wohl ein Exempel statuieren.“
Marcus verschränkte die Arme vor der Brust und wippte auf seinen genagelten Absätzen hin und her. Er war froh, daß niemand aus seiner Zenturie bis jetzt Fluchtversuche gewagt hatte. Den hätte er wohl eigenhändig in Grund und Boden geprügelt, bis ein Einsperren im Carcer keinen Sinn für ihn mehr machen würde.