"Ich bleibe noch," erwiderte Witjon tonlos auf Eilas Frage. Vermutlich wusste seine Base nicht, dass die Zeremonie noch nicht vollendet war, daher bedeutete er ihr mit einer knappen Geste zu warten und trat selbst einen Schritt vor. Den Bestattungshelfern - Leute aus seinen Betrieben, die in seiner Munt standen - gab er ein Zeichen, woraufhin sie mit Wein gefüllte Gefäße zur Hand nahmen, von denen auch Witjon eins nahm. Es folgte die Löschung der glühenden Asche mit Wein, die daraufhin in die Urne gefüllt werden würde. Während Asche und Knochen gelöscht wurden und in dem Totengefäß den Ort der ewigen Ruhe fanden, erfüllte Nordwini - Witjons Maler - die ihm zugeteilte Aufgabe. Nordwini war ein guter Sänger und so trug er zur einer bleiernen Melodie einen letzten Totengruß vor.
"Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab." *
Als er geendet hatte, war die Asche gelöscht und die Urne gefüllt. Das Gefäß war marmorn und zeigte als Inschrift folgende Worte beziehungsweise Abkürzungen:
D M PRVDENTIAE CALLISTAE
QUAE VIX ANN XX M V D XI
M DVCCIVS MARSVS
CONIVGI BENE MEREN FEC
Was so viel hieß wie 'Numerius Duccius Marsus hat diesen Stein seiner wohlverdienten Ehefrau gesetzt'. Die Urne wurde dann neben der jüngst bestatteten Prudentia Thalna platziert, wo sie für jeden Reisenden gut sichtbar war und immer daran erinnern würde wie früh die Götter Witjons junges Weib zu sich genommen hatten. Der Witwer war derweil wieder auf seinen Platz neben Eila und Elfleda zurückgekehrt und stand dort nun unbewegt. Nun verließen auch die anderen Anwesenden langsam und in Stille das Grab. Man verabschiedete sich mit einem letzten 'Vale!' und so lichteten sich die Reihen, während noch einige Grabbeigaben ins Grab hinzugelegt wurden. Wenig später war die Bestattungs vollendet und nur noch eine kleine Gruppe war übrig, darunter auch Witjon. Er spürte die mitleidigen Blicke der anderen und fühlte, dass es Zeit war zu gehen. Nicht die Zeit loszulassen wohl, denn das konnte und wollte er noch nicht. Aber ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als nun das Gräberfeld zu verlassen und sich im Kreise seiner Familie zu Bett zu begeben.
"So war es, so ist es, und so wird es immer sein," murmelte er zum Abschied und machte eine heimliche Verneigung. Dann wandte er sich zum gehen. "Kommt, wir wollen nach Hause gehen," erklärte er und ging müden Schrittes an den anderen vorbei in Richtung Stadt.
*'Die Nänie' von Friedrich Schiller