• Ich war nun schon vier Wochen und drei Tage in der Villa.
    In der Zwischenzeit hatte ich auch einige der Bewohner kennengelernt, doch der für mich am wertvollste von allen, war Severus. Vom ersten Tag an verband uns eine besondere Art der Freundschaft. Er war für mich der Fels in der Brandung. Für ihn nahm ich gerne die Strapazen auf nich, neben den täglichen Aufgaben, die man mir gab, auf schnellsten Wege, diese eigenartige Sprache zu lernen. Dadurch eröffnete sich für mich die Möglichkeit, mit ihm meine Gedanken zu teilen.
    Es war ein schöner Spätsommertag gewesen, der sich gerade seinem Ende neigen wollte.
    Nach getaner Arbeit, verkroch ich mich in den hinteren Teil des Gartens, dort wohin sich selten die Herrschaft verirrte. Ich wollte noch ein wenig die Abenddämmerung genießen.
    Ein Lied kam mir in den Sinn, welches die Schönheit meiner Heimat beschrieb und die Sehnsucht wiederspiegelte, die ich in diesem Augenblick empfand. Es war ein trauriges Lieb. Trauer umhüllte auch meine Gedanken.
    Man hatte mich meinen Wurzel entrissen, denen die mir lieb und teuer waren, gestohlen und mich in eine fremde Welt gebracht. Nur meine Lieder waren mir geblieben.


    Sim-Off:

    Wer möchte?

  • Ein tief schwarzfarbener Rabe krächzte und folg in den Himmel hinauf als Sciurus sich dem Stück des Gartens näherte, wo das Vogeltier in der Erde nach Beute hatte gesucht, ein dunkler Körper welcher durch den dämmrigen Abend trieb, jedes Licht in seiner Mattigkeit verschluckte, Gefangener in einer Welt ohne Erinnerung. Doch es war nicht das Tier, welches die Aufmerksamkeit des Sklaven erweckte, es war eine andere Art von Bewegung, kaum vorhanden, flüssiger und doch gleichsam viel weniger erhaben. Es kauerte am Boden des Gartens, untätig, in sich versunken und wie es schien in sich verloren, Bridhe - ein unfähiges Ding, wie zu Kaufen es sich nur der Herr Aquilius konnte hinreißen lassen. Alles konnte sie ein wenig, doch nichts davon wirklich, nicht einmal der lateinischen Sprache war sie gänzlich mächtig, und Sciurus fragte sich, weshalb ihr Herr versuchte sie in den Haushalt zu integrieren, wo ohnehin deutlich war, dass sie nur dazu diente, sein Bett des Nächtens zu wärmen. Doch Sciurus hatte kein Recht zu Fragen und hinsichtlich des Herrn Aquilius nicht einmal ein Recht zu Denken, darum ließ er es alsbald sein. Fakt war, dass er das braunhaarige Geschöpf nicht leiden mochte, was jedoch kaum weiter verwunderlich war, da Sciurus ohnehin kaum je irgendwen mochte leiden, was vermutlich - zumindest in den Kreisen der Sklavenschaft - auf Gegenseitigkeit beruhte, und darum nur mehr als gerecht war.


    Als er sich dessen sicher war, dass seine Füße sich längstens in das Blickfeld der jungen Sklavin hatten geschoben, erhob er seine Stimme und durchschnitt die friedliche Harmonie des vergehenden Tages. "Was sitzt du hier herum?" Seine Stimme war leidenschaftslos, emotionslos. "Wenn du nichts zu tun hast, werde ich dafür Sorge tragen, dass du etwas zu tun bekommst. In diesem Haushalt gibt es keinen Müßiggang für deinesgleichen."

  • In meinen Gedanken versunken, erschrak ich plötzlich, als sich jemand von hinten mir näherte und mich in einem agressiven Ton ansprach.
    Es war Sciurus, ein sehr unangenehmer Zeitgenosse, der alles und jeden haßte. So kam es mir jedenfalls vor.
    Ich konnte mir nicht erklären, warum er auch mich haßte und verachtete. Ich hatte ihm bislang keinen Grund dafür geliefert. Mußten wir nicht alle das gleiche Schicksal teilen?
    Ich stellte mich ihm entgegen und suchte die richtigen Worte.


    Sciurus, was ist los? Warum du so böse?


    Ich glaubte, tief in ihm müßte es doch irgendetwas Gütiges geben. In seinem Leben mußte irgendetwas geschehen sein, das ihn so werden ließ, wie er war. Ich empfand Mitleid für ihn.


    Bitte komm, du setzen zu mir. Wir können reden.


    Zu gerne hätte ich ihm geholfen. Doch er mußte dazu den ersten Schritt machen.

  • Natürlich war etwas geschehen, was Sciurus hatte so werden lassen, wie er war, und dies war das Leben selbst. Er war ein Sklave, geboren als Sklave in eine Welt ohne Rechte, von Beginn an Spielball zwischen Auflehnung, Grausamkeit, bedingungsloser Hingabe, Tücke und Taten, welche er niemals verstehen konnte, da sie mit dem Streben und dem Verlangen nach Freiheit in Zusammenhang hingen, einem Konzept, welches er nie hatte kennen gelernt und darum weder misste, noch sehnte. Das Bewusstsein darum, was er war, hatte ihn bis an die Seite seines Herrn gebracht, die Willenlosigkeit, die Rechtelosigkeit, Folgsamkeit, gleichsam hatte er dafür Sorge getragen, dass er die Fäden über sich in der Hand behielt und manches mal sogar die seines Herrn. Die einzige Verfehlung, welche Sciurus sich leistete, war die seiner eigenen undurchsichtigen Geschäfte, gleichsam war es die einzige Freiheit, denn jene Geschäfte verfolgten keinen weiteren Zweck denn denjenigen aus sich selbst heraus.
    Doch es gab nichts in Sciurus, was die Bezeichnung 'gütig' verdient hätte. Er zerquetschte keine Käfer, doch nur weil sie der Mühe nicht wert waren. Er war ein Mensch wie ihn niemand freiwillig zum Freund haben wollte, ein Geschöpf mit beinah widerwärtigem Charakter und dennoch völlig in Einklang mit seiner merkwürdigen Welt, denn gleichsam wollte auch er niemanden freiwillig zum Freund haben.


    Sciurus hasste die neue Sklavin nicht, doch sie widerte ihn an, ihre Unnützigkeit, ihre augenscheinliche Verletzlichkeit, ihre Person an sich. Dennoch war er gewillt ihr eine geringe Chance einzuräumen, sich dem zu ergeben, zu was sie bestimmt war.
    "Ich bin nicht böse. Ich habe dafür Sorge zu tragen, dass Sklaven wie du nicht faul im Garten herumlungern oder wie die Waschweiber ihr Geschwätz austauschen. Was auch immer du in deinem vorherigen Leben getan hast, es existiert nicht mehr, es ist nichtig und es hat nie stattgefunden. Du hast keine Vergangenheit wie du keine Zukunft hast. Du gehörst nun zum Haushalt der Flavia, du bist Teil eines patrizischen Haushalts, gehörst damit selbst zu den Privilegierten. Du bist ein Patrizier unter den Sklaven. Verstehst du das? Du gehörst zum Adel deiner Art und es wird dir darum besser gehen als den meisten deiner Art. Doch dafür wird von dir erwartet, dass du deine Aufgaben erfüllst, dass du tust, was man dir sagt. Wenn du das nicht tust, wirst du im Circus landen, bei den Löwen." In einer eindeutigen Geste fuhr sich Sciurus mit dem Daumen über den Hals.

  • Ich konnte mir nicht helfen, Sciurus war mir irgendwie unheimlich. Doch dann verwirrte er mich noch mehr, als er sich tatsächlich dazu hinreißen ließ und mit mir in einem ruhigen, ja fast freundschaftlichen Ton sprach. Doch mit dem,was er sagte, rieb er mir noch mehr Salz in meine Wunden. Es verletzte mich sehr, doch ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen.
    Ironischerweise hatte er in manchen Dingen ja recht. In vielerlei Hinsicht ging es mir hier besser! Es gab immer zu Essen, meine Tätigkeiten verlangten mir nicht so viel ab, so wie es früher zu Hause der Fall war und ich hatte hier die Liebe kennengelernt.
    Wäre da nicht die Tatsache gewesen, die mich zu einer rechtlosen, dem Wohlwollen meines Herrn, ausgelieferten Frau gemacht hatte, hätte ich mich tatsächlich als Patrizier fühlen können.


    Du haben recht, in Eireann immer viel schwere Arbeit! Fünf kleine Schwestern und Brüder, Mutter tot.


    Ich schaute ihn an, doch seine Mimik ließ keinerlei Gefühle zu.


    Ich nicht herumlungern! Habe Arbeit gemacht! Ich gleich zu dominus Aquilius gehen!


    Was hatte er da noch erwähnt? Löwen? Dieses Wort hatte ich nicht verstanden. Er unterstrich dieses Wort auch noch mit einer eigenartigen Handbewegung. Das machte mir noch mehr Angst!
    Doch die Neugier trieb mich dazu, nachzufragen, was denn Löwen seien.


    Löwen?! Was ist das?


    Fragend, gepaart mit einer gewissen Scheu, sah ich ihn an.

  • Beinahe wäre Sciurus die Bemerkung entkommen, dass es immer besser war, wenn Mütter tot waren. Doch selten entkam dem Sklaven etwas, was er nicht beabsichtigte und so geschah es auch in diesem Falle nicht. Es hätte ihn zudem zufrieden stellen können, dass das Mädchen ihm recht gab, doch auch dies war eine Regung, welcher er weder bedurfte, noch welche er sich würde gestatteten. In keinem Falle jedoch hatte Mitleid über das vorherige Leben der Bridhe eine Chance aus seiner Miene zu spreche. Ihr früheres Leben tangierte ihn nicht einmal peripher, einzig was sie dieser Tage im Haushalt tat, fiel in seinen Zuständigkeitsbereich, marginal womöglich nur, doch immerhin. Es war eine Tatsache, welche Sciurus am Sklavendasein verabscheute, doch im tatsächlich schlimmsten Falle eines Falles konnte ein einziger Sklave den gesamten Haushalt ins Verderben reißen und nichts und niemand würde dann noch das Schicksal aller verhindern können.


    "Löwen sind goldfarbene Bestien, größer als Wölfe noch. Sie jagen dich eine Weile, schlagen ihre Pranken in deinen Leib, ziehen ihre scharfen Krallen über deine Haut, bis dass der Geruch von Blut sie mehr als hungrig macht. Wenn du Glück hast, fangen sie bei deinem Kopf an, brechen dir mit ihrem Biss das Genick. Wenn du Pech hast, begnügen sie sich vorerst mit deinen Gliedmaßen, reißen dir langsam und genüsslich Haut und Fleisch von den Knochen, reißen dir deine Eingeweide aus dem Bauch und füllen sich den Magen, während du dabei zusiehst. Ein Sklave, welcher zu nichts zu gebrauchen ist, erfüllt so seinen letzten Zweck, die Menge zur Ehre seines Herrn zu belustigen." Er sprach ohne eine Regung, neutral, als würde er ihr erklären, mit welchen Handgriffen sie das Mahl ihres Herrn zu servieren hätte.

  • Sciurus´ Definition des Wortes Löwen ließen mich erschaudern. Ich hatte zwar noch nie ein solches Tier gesehen, doch seine detailgenaue Beschreibung dessen, was sie mit einem Menschen machen konnten, gab mir eine genaue Vorstellung davon, was dieses Tier war.
    Er ließ diese Bemerkung fallen, daß ein Sklave, der nichts taugte, seinen letzten Zweck erfüllte, indem er zu Ehren seines Herrn, die Menge belustigt. Ich wußte zwar nicht, was er damit genau sagen wollte, doch ich konnte mir vorstellen, was er damit meinte.
    Ich schluckte. Ich wollte mich von ihm nicht einschüchtern lassen. Ich war mir sicher, im Haus meine Sache gut zu machen. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, daß Aquilius mich zu den Löwen schicken würde. Plötzlich kamen mir Zweifel. Was, wenn doch? Ich hatte ihn bislang nicht wütend erlebt, eher belustigt, wenn ich aus Unwissenheit etwas falsch machte.
    Mehr aus Selbstschutz , denn aus Trotz blaffte ich ihn an.


    Ich nicht unnütz! Aquilius guter dominus! Nicht schickt zu Löwen!


    Am liebsten wäre ich jetzt weggerannt. Doch die Zeit, da ich ein kleines Mädchen war, war schon lange vorbei.

  • Ein unscheinbares Zucken der Augenbrauen war Sciurus einzige Reaktion auf den plötzlich aggressiven Tonfall der Sklavin. "Hoffnung ist die personifizierte Schönheit, die Welt liegt ihr zu Füßen, vergöttert sie. Doch inmitten der Dunkelheit liegt die Hoffnung verloren und zerrissen, und wenn es keine Hoffnung mehr gibt ist aller Ruhm so flüchtig wie die Liebe. Schmerz und Ruhm, Hand in Hand, ein Opfer zum höchsten Preis. Inmitten dieser Dunkelheit liegt die Hoffnung tot auf dem Boden, und wenn es keine Hoffnung mehr gibt, ist auch alle Liebe so flüchtig wie der Ruhm. Wie ein Flüstern entschwebt sie, wie ein Geist, der aus dem Leben geht."


    Langsam beugte Sciurus sich zu der Sklavin herunter, bis seine Lippen nah an ihrem Ohr angelangt waren, so dass seine Worte in einem Flüstern genügten. "Liebe deinen Herrn, Bridhe, glaube an ihn und hoffe. Doch an mich und meine Worte wirst du denken, wenn die goldfarbene Schönheit dir gegenüber steht."


    Er erhob sich, wandte sich ab. "Und nun scher dich zurück ins Haus, oder ich werde dafür Sorge tragen, dass deine Hoffnung noch vor dem nächsten Morgengrauen entschwebt." Ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen, verließ Sciurus den Hortus und ging dem nach, weswegen er ursprünglich diese Richtung hatte eingeschlagen.

  • Ich wurde aus seinen Worten nicht schlau. Wie konnte er nur so reden. Es gab immer Hoffnung. Selbst für ihn! Ja, es gab sogar Hoffnung im Tod, denn wenn man sich im ewigen Kreis befand, war der Tod nicht das Ende, sondern immer wieder der Anfang zu etwas Neuem.
    Es widerte mich an, wie er sich an mein Ohr beugte und mir etwas zuflüsterte.
    Meinen Herrn lieben? Das war keine Liebe! Das war nur Abhänigkeit von seinem Wohlwollen. Wobei ich es immer noch nicht wahr haben wollte, er könne mich eines Tages fallen lassen, wie einen heißen Stein.
    Dann droht er mir auch noch. Spätestens jetzt sollte ich vor Sciurus gewarnt sein. Zukünftig wollte ich, so gut es ginge, ihm aus dem Weg gehen. Verächtlich blickte ich ihn an und war heilfroh, als er schließlich ging.
    Als ich endlich wieder allein war, ließ ich mich zu Boden fallen und ließ meinen Tränen freien Lauf.
    Niemand würde mir meine Erinnerungen und meine Hoffnungen nehmen können. Sie waren fest eingebrannt in meinem Kopf und es gab immer wieder Dinge und Menschen, die halfen, meine Erinnerungen und meine Hoffnungen am Leben zu halten. Erst wenn ich meinen letzten Atemzug ausgehaucht hätte, würden auch meine Erinnerungen vergehen! Doch die Hoffnung nie! Nein, mein Weg nach Tir na nÒg wäre meine Erfüllung!

  • Melancholischen Sinnes streifte er durch den Garten, sah das Verglühen dieses goldenen Spätsommertages. Still plätscherte ein Brunnen vor sich hin, und die Rosen leuchteten blutrot zwischen den leise bebenden Zweigen.
    Natürlich war auch der Garten kein für die Sklaven der Villa bestimmter Ort. Doch er war weitläufig genug, um nicht sogleich einem indignierten Flavier über den Weg zu laufen. Und die für die Sklaven bestimmten Orte, waren hässlich und voll Menschen, und eigneten sich nicht dazu still der Schwermut nachzuhängen.
    Neben einem mamornen Silenen, der ein verschmitztes Grinsen auf den schon leicht verwitterten Zügen trug, blieb er stehen. Stimmen drangen an sein Ohr. Bridthas Stimme?


    Er zögerte. Seit dem Dämpfer, den er am ersten Abend im Balneum hatte einstecken müssen, versuchte er geflissentlich, dieses Mädchen nicht zu nahe an sich ranzulassen. Zwar war er freundlich, brachte ihr lateinische Worte bei wenn sich die Gelegenheit bot, und versuchte ihr beizustehen wenn er konnte. Doch sein Inneres hielt er verschlossen, oder versuchte es jedenfalls. War sicher besser so.


    Trotzdem folgte er nun dem Klang. War ja sowieso seine Richtung. Ihr extra aus dem Weg zu gehen wäre ja albern gewesen - oder nicht? Jedenfalls ging er langsam über einen weichen, kurzgeschnittenen Rasen. Er hörte Schritte sich entfernen. War sie schon weg? Er bog um einen großen, penibel in Form gebrachten Rosenstrauch herum, da sah er sie - zu Boden gesunken! Weinend gar.
    "Britha."
    Er trat zu ihr, beugte sich hinunter, berührte mit der Hand leicht ihre Schulter.
    "Was ist los?"
    Wenn er sie doch nur vor all dem hier beschützen könnte!

  • Völlig in meine Traurigkeit wimmernd versunken, hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme, die auf diese einmalige Art und Weise meinen Namen rief.
    Seit jenem leidenschaftlichen Abend im balneum, der leider ein abruptes Ende gefunden hatte, verhielt er sich mir gegenüber sehr distanziert. Doch glücklicherweise wies er mich nicht gänzlich ab, sondern war so etwas wie ein guter Freund geworden. Mehr nicht!
    Ich wußte, ich hatte ihn damit sehr gekränkt und die Sache bescherte mir auch ein ganz schlechtes Gewissen, doch an jenem Abend hatte ich keine andere Wahl!


    Ich sah auf und strich mir die Tränen aus dem Gesicht.


    Severus! Ich so traurig! Muß denken an zu Hause.


    Mit den Worten, die ich bislang gelernt hatte, wollte ich ihm mitteilen, wie ich mich fühlte. Das war eine Herausforderung für sich. Es fiel mir immer noch schwer, die richtigen Worte zu finden.
    Sollte ich ihm auch über meine eigenartige Begegnung mit Sciurus erzählen?
    Doch eines lies meine Gedanken nicht mehr los.


    Severus? Du schon mit Löwen gekämpft?


    fragte ich auf eine ganz naive Art und Weise. Noch immer konnte ich mir nicht recht vorstellen, wozu diese Tiere fähig waren.


    Und natürlich lag auch die wichtigste aller Fragen auf meiner Zunge.
    Nämlich liebst du mich noch? Doch im Augenblich hatte ich einfach nicht den Mut, danach zu fragen.

  • Der Jammer der aus ihren wenigen Worten sprach, griff ihm ans Herz. Heimweh. Das konnte er nun wirklich nachempfinden. Er nickte, setzte sich neben sie auf das Gras, verzog einen Mundwinkel zu einem halben, aufmunternden Lächeln. Vorsichtig, als wäre sie ein scheues Tier das er nicht verjagen wollte, hob er dann den Arm und legte ihn um ihre Schultern. Tröstend drückte er sie ein bisschen. Nur tröstend!
    Lass das, warnte da schon wieder seine innere Stimme, Du bist viel zu weichherzig, überhaupt nicht severus, es ist wie eh und je! Ein paar Frauentränen sind doch verdammt noch mal noch kein Ragnarök...


    "Löwen?"
    Verwundert über diesen Themawechsel sah er in die tränenverschleierte Bläue ihrer Augen. Da war noch so eine kleine Träne, die wischte er, den wütenden Protest seiner inneren Stimme entschlossen überhörend, mit dem Daumen von ihrer Wange.
    "Nein. Ich habe noch nie einen Löwen gesehen. Nur auf einem Bild. Es gibt ein Bild von einem Löwen an einer Wand in der Villa. Der Sklavenhändler, der mich nach Rom brachte, sagte immer, ich würde bei den Löwen enden. Aber er hat Unrecht behalten."
    Bisher. Ob er auf der Gladiatorenschule wohl mal gegen einen kämpfen würde? So ganz wohl wars ihm nicht bei der Vorstellung. Der Löwe auf dem Fresko sah schon sehr ungeheuerlich aus, mindestens so gefährlich wie ein Lindwurm war so ein Vieh bestimmt.
    "Elefanten habe ich aber schon gesehen. Kennst Du die? - Es gibt keine Löwen da wo ich herkomme. Wölfe habe ich natürlich schon gejagt, und Bären, wilde Keiler oder Auerochsen."
    Wenn auch die letzteren nicht unbedingt allein.
    "Warum?", fragte er, "Haben die Flavier sich denn einen Löwen zugelegt, zur 'Zierde' für den Garten?"
    Grinsend hob er die Hand vor Augen, sah sich suchend um. Seehr verwegen lächelte er Bridhe dann an und prahlte:
    "Der soll nur kommen, ich mach ihm einen Knoten in den Schwanz, und zähme ihn für Dich bis Du auf ihm nach Hause reiten kannst."

  • Wie sehr hatte ich diese Nähe vermisst! Doch ich spürte immer noch diese unsichtbare Barriere, die seit jenem Abend zwischen uns herrschte. Es war nur Trost, den er mir spenden wollte. Mehr nicht.
    Doch ich genoß jede einzelne seiner Berührungen und dürstete noch nach mehr. Hätte ich doch nur den Mut gehabt, ihm frei heraus zu sagen, was ich für ihn empfand! Doch offensichtlich hatte es das mutige, starke Mädchen, welches ich einst war, nicht in die Villa geschafft!


    Sein Reden über die Löwen nahm mir etwas die Furcht. Er konnte sogar Witze darüber machen. Doch mich fesselte immer noch eine Frage. Würde mich der Herr wirklich bei dem geringsten Fehler zu diesen Bestien schicken? In den wenigen Wochen, in denen ich jetzt hier war, konnte ich ihn noch nicht recht einschätzen. Sicher er war etwas nachgiebig, wenn es um Dinge, die ich falsch gemacht hatte, von denen ich aber vorher nichts wußte. Glücklicherweise akzeptierte er, daß ich wahrhaftig aus einer anderen Welt zu kommen schien. Doch was würde sein, wenn eines Tages seine Geduld zu Ende war?


    Dominus mich nicht schicken zu Löwen, oder?


    Mein Blick war immer noch betrübt und ich konnte auch nicht recht über seinen Scherz lachen, solange ich nicht wußte, ob ich Gefahr lief, als Löwenfutter in der Arena zu landen. Ich wollte einfach wie ein Kind beruhigt werden, daß nicht einschlafen konnte weil es schlecht geträumt hatte.

  • Das mit dem Aufmuntern hatte noch nicht so recht geklappt. Sie schien wirklich große Angst zu haben. Wieder ganz ernst legte der Germane den Kopf schief bei ihrer Frage. Ob ihr wohl jemand von der Sklavin erzählt hatte, die die Flavier angeblich, vor einigen Jahren, den Löwen zum Fraße vorgeworfen hatten?
    "Nein."
    Er schüttelte bestimmt den Kopf.
    "Ganz sicher nicht. Das ist nicht seine Art. Da musst Dir keine Sorgen machen, Bridtha, wirklich nicht! Ich meine - schau mich an. Ich hatte wirklich schon sehr... großen Ärger hier, und ich, ähm, lebe ja noch immer...."
    Mehr oder weniger, dachte er bitter, lehnte sich ein wenig zurück und blickte melancholisch in den klaren Himmel hinauf. Ein Schwarm Vögel, kleine schwarze Punkte in der Höhe, zog dort oben vorbei. Mehr, auf jeden Fall, wenn er neben diesem Mädchen saß.


    "Ich verstehe Flavius Aquilius zwar nicht - überhaupt nicht - aber ich weiß, dass er kein Blutvergiessen mag, und nichts, das offen brutal ist. Obwohl er ein Gode ist, ein Priester, des Kriegsgottes der Römer. Er findet das wohl... unzivilisiert. Und ich glaube auch, dass er sich eigentlich wünscht, dass wir - seine Unfreien, die wir in seiner Hand sind - ihn mögen. Ihn vielleicht sogar verehren. Er will nicht ein 'Unmensch' sein. Deshalb schreckt er vor richtigen Strafen lange zurück. Glaube ich. Oder er ist wirklich so großmütig, ich weiß es nicht."
    Er zuckte die Schultern und hustete kurz. Soviel auf einmal hatte er schon lange nicht mehr gesprochen. Obwohl er nicht genau wusste, wieviel Bridhe von seinem Monolog da eigentlich verstand.
    "Also - Du musst Dir wegen der Löwen wirklich keine Gedanken machen, glaub mir!", schloss er, und streichelte aufmunternd ihre Schulter.
    "Aber wie kommst du drauf?"

  • Ich wußte, daß Aquilius so eine Art Druide war. Deswegen war ich ja auch so beunruhigt, als Sciurus mir dieses Schauermärchen mit den Löwen erzählte.
    In schlechten Zeiten konnte es schließlich passieren, daß unsere Druiden nicht nur Tiere opferten! Es schien so, als sei er,im Gegensatz zu den Druiden, ganz anders. Außerdem war er jünger als die meisten Druiden und auch wesentlich gut aussehender! ;)
    Erleichtert atmete ich auf. Zwar hatte ich nicht alles von seinen Ausführungen verstanden, doch konnte ich davon ausgehen, daß es eben nicht so war, wie mir Sciurus weismachen wollte. Warum ließ ich mir nur einen solchen Bären auf binden?


    Sciurus hat mir Angst gemacht!


    sagte ich dann vorwurfsvoll. Doch der Ärger, der gerade in mir auflodern wollte, verflog auf der Stelle.
    Endlich konnte ich wieder etwas lächeln. Er war da und er streichelte meine Schulter.


    Doch was hatte er da noch erzählt? Er hatte großen Ärger gehabt? Was war denn passiert?


    Großen Ärger? Was ist passiert?


    Das wollte ich jetzt genauer wissen!

  • "Das sieht ihm ähnlich!", grollte der Germane voll Abscheu. "Der ist ein scheeler Kriecher, ein arger Hundsfott, ein widerlicher Speichellecker! Ein Wichtigtuer! Und tückisch dazu!"
    Nur zu gut konnte er sich vorstellen, dass dieser Kerl Spaß daran hatte, liebe junge Mädchen zu ängstigen. Wahrscheinlich zertrat er auch Käfer, und riss allen Schmetterlingen die Flügel aus, derer er habhaft werden konnte. Und dann gab es da ja auch diese Dinge, die da über ihn gemunkelt wurden. Abscheulich, einfach nur abscheulich. Der Germane beschloss: mit dem würde er mal ein ernstes Wörtchen reden! Der sollte sich gefälligst von Bridtha fernhalten!


    "Ach."
    Seine Flucht, und all die Ereignisse, die daran anschlossen, schienen ihm in unendlich weiter Ferne zu liegen. Wirklich wie in einem anderen Leben. Dieselbe Jahreszeit wie jetzt war es gewesen, goldener Spätsommer, als das ganze Verhängnis seinen Anfang nahm. Er stützte sich auf den ausgestreckten Arm, zog ein Bein an. Daran zurückzudenken, an diese wenigen Tage in denen er wieder frei gewesen war, an den Ritt durch die Berge, an Arrecina... das führte ihm das was er jetzt war nur wieder all zu deutlich vor Augen. Ein Sklave. Ein niemand.
    Düster glitt sein Blick ins Leere.
    "Bin abgehauen. Geflohen. Hat aber nicht geklappt."

  • Hatte ich da gerade richtig gehört? Abgehauen? und offensichtlich wieder eingefangen worden!
    Ich bemerkte, wie sich Severus´ Gesichtsausdruck änderte. Diese Erinnerungen schienen ihn sehr zu belasten!
    Ich fand, es war ganz natürlich, wenn ein Sklave, der die Freiheit einmal kannte, wieder frei sein wollte. Mir ging es da nicht anders. Ich würde keine Sekunde zögern, einen Weg nach Hause zu finden, wenn man mir sagen würde, du bist wieder frei!


    Ich auch gerne wieder frei sein!


    Wie selbstverständlich kamen mir diese Worte über meine Lippen. Ein Mensch wird schließlich nicht als Sklave geboren, sondern man macht ihn dazu!
    Doch würde Aquilius mir gegenüber auch so großmütig sein, wenn ich eines Tages abhauen würde und man mich wieder einfangen würde?
    Ich schwieg mit ihm einen Augenblick.
    Doch die Neugier, einem typisch weiblichen Laster, dem auch ich machtlos ergeben war, trieb mich dazu, weiter zu fragen.


    Wiso nicht geklappt! Und was dominus sagen?


    Vielleicht konnte es ihm ja auch helfen, darüber zu sprechen.

  • "Versuch das lieber nicht.", murmelte er. "Sie kriegen Dich."
    Sein Arm rutschte von Bridhes Schultern, und abwesend umgriff er ein Stück Rinde, das da auf dem Gras lag. Er ließ es durch die Finger gleiten, brach kleine Stückchen davon ab. Unwirsch zuckte er die Schultern auf ihre Frage hin. Über kaum etwas hatte er mehr nachgegrübelt, während der zermürbenden Haft, als: wieso hat es nicht geklappt? War es aussichtslos gewesen, von Anfang an? War er ohne den Beistand seiner Götter ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen? Oder hatte es allein an seinem fatalen Fehler mit Arrecina gelegen?
    "Ich hatte einfach Pech, schätze ich.", sagte er trübsinnig, und schnippte einen Fetzen Rinde davon. "Ich war schon ein paar Tagesritte weit. Mit... einer Geisel. Aber ihr Vater hat uns eingeholt. Flavius Aristides!"


    Unvermittelt loderte Hass in seinen Augen auf. Das Rindenstück zerbrach als er die Faust ballte.
    "Der Neiding, der mich einst gefangennahm! In meiner Heimat. Ich hätte ihn töten sollen, als ich es konnte..."
    Das kannst du noch. Wenn er wieder in die Villa kommt. Sie glauben du bist gebrochen. Zahm. Harmlos. Er wird nicht damit rechnen...
    Der Germane schüttelte den Kopf, abwehrend. Mit leiser, harter Stimme sprach er weiter:
    "Es war ein Tal ganz oben in den Bergen. Wir rasteten, da kam er angeritten. Flavius Aristides... Er ist ein starker Krieger. Ich war verwundet von der Flucht, und hatte nur einen schlechten Speer. Der zerbrach, als wir kämpften. Ich unterlag."
    Sein Blick ging starr ins Leere.
    "Danach war ich... sehr lange im Carcer. Aquilius - naja, er hat eine Menge gesagt. Aber am Ende wollte er mich doch ans Kreuz schlagen. Es war dann... alles ziemlich knapp."
    Wieder zuckte er die Schultern, und unwillkürlich fuhren seine Finger zu seinem Hals, wo die Würgemale schon seit längerem verblasst waren. Dann schwieg er. Schließlich konnte Bridtha ja sehen, dass er noch hier war.

  • Das war ja wirklich unglaublich, was ich da hörte! Er wurde also von einem Familienmitglied gefangengenommen und hierher gebracht. Wie sehr erniedrigend mußte das für ihn, einen stolzen Krieger, gewesen sein. Sicher haßte er diesen Mann noch immer.
    Und er war geflohen, mit einer Geisel. Mit ihr? Wer war sie? Wo war sie jetzt?


    Du geflohen mit Geisel? Wer war Geisel?


    Seine Geschichte wurde immer verworrener. Welche Tragödie war hier nur passiert?
    Ich folgte weiter seinen Worten. Er mußte sehr viel durchgemacht haben. Alleine schon, nachdem man ihn wieder eingefangen hatte. Sicher war es ihm als Krieger unangenehm, darüber zu sprechen.
    Doch dann stutzte ich schon wieder. Was meinete er damit, als er sagte, Aquilius wollte ihn ans Kreuz schlagen und was war das da an seinem Hals?


    Severus, was ist an Kreuz schlagen? Was ist das an deine Hals?


    Mit meinem rechten Zeigefinger strich ich ihm leicht über das Mal an seiner Kehle. Es schien eine Art Bluterguß zu sein. Wie sollte denn hier ein Bluterguß hingelangen?


    Sicher fand er mich mit meinem Wissensdurst ziemlich aufdringlich. Doch ich wollte einfach nur lernen und verstehen. Noch immer war vieles fremd für mich.
    Doch seine Geschichte über seine Flucht, löste in mir auch etwas aus. Wie erfolgreich wäre so eine Flucht? Welche Chancen hätte ich, wieder nach Hause zu kommen? Würde er es mit mir vielleicht noch einmal versuchen?

  • "Sie war... Ich meine, sie ist die Tochter des Flavius Aristides. Eine junge Römerin, so lauter wie ihr Vater niederträchtig ist...", hub er an, denn Bridhes Interesse und ihr aufmerksames Zuhören hatten ihm doch schon sehr die Zunge gelockert. Eine tiefe Wehmut überkam ihn, als er an Arrecina zurückdachte. In einem Ort namens Baiae war sie jetzt, so hatte er erfahren, weit weg, unerreichbar für ihn, ganz abgesehen davon, dass der Rutger, dem sie ihre Liebe geschenkt hatte, gar nicht mehr unter den Lebenden sein durfte.


    "Der Tod am Kreuz", fuhr er unvermittelt, in ganz distanziertem, nüchternem Tonfall fort, "ist die schlimmste Art zu verrecken die es gibt. Sie binden einen an ein Kreuz von Balken, das man selbst zum Richtplatz trägt, treiben Nägel durch die Gliedmassen, und stellen das dann am Wegesrand auf. Das Sterben dauert tagelang. Die Passanten sehen zu. Es ist eine sehr römische Art der Hinrichtung."
    Als Bridhes Finger seine Kehle berührte - war da etwa noch was? - wurde seine Miene starr. Er umschloss ihre Hand mit der seinen und führte sie bestimmt fort von seinem Hals.
    "Nichts. - Aber ich hab viel geredet. Erzähl mir doch von Dir, Bridtha. Wo kommst Du her? Und was warst Du bevor Du in Gefangenschaft gerietest?"

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