Der große Balkon

    Schweigend nippte Valentina an ihrem Weinbecher und stellte fest, dass dieser mittlerweile leer war. Scheu lächelte sie auf seine letzten Worte. Ja, sehen würde sie ihn auch sehr gerne wieder. "Es gibt nur noch meinen Bruder, der auf mich aufpasst." Mit diesem Satz war eigentlich alles gesagt. Zumindest aus ihrer Sicht. Niemand war da, der an den Sitten und Gebräuchen Anstoß nehmen konnte. Sie selber hielt sich auch nicht unebdingt daran.
    Auf seinen fordernden Blick hin fügte Valentina hinzu. "Warum gehen wir miteinander nicht einfach so um, wie wir vom anderen behandelt werden möchten? Dann können wir nichts falsch machen."


    Sie stellte den Becher zurück auf den Tisch. "Es ist schon spät. Die Sitte besagt dass ich mich jetzt besser auf mein Zimmer zurück ziehe." Sie lächelte wieder und zeigte ihm so, dass sie von diesen strengen Regeln nicht viel hielt. Das jedoch als Frau nicht anzweifeln durfte. "Vielen Dank für deine nette Gesellschaft und den Wein." Sie deutet auf den Becher und stand dann auf. "Ich bin mir sicher, dass wir uns wieder sehen. Denn ich möchte dies ebenfalls." Wieder huschte eines ihrer scheuen Lächeln über ihre Lippen. "Eine geruhsame Nacht wünsche ich dir."

    Loki erhob sich als Valentina sich verabschiedete, und verneigte sich knapp lächelnd.


    "Eine geruhsame Nacht, Römerin. Ich hoffe auf unser nächstes Wiedersehen!"


    Als Valentina gegangen war, ließ sich Loki wieder auf seinem Stuhl nieder und verfolgte erneut seine düsteren Gedanken an die folgende Reise... wenig später erhob er sich jedoch, um sich ausnahmsweise mal etwas mehr Schlaf zu gönnen.

    Da sein Vorhaben am Würfelabend durch unvorhergesehene Müdigkeit vereitelt worden war, musste Loki sein Projekt auf später verschieben. Am heutigen Abend jedoch fand er den richtigen Zeitpunkt gekommen, und so ließ er Dagny auf den großen Balkon, der seit dem Umbau noch um einiges größer geworden war, rufen.


    Drei Krüge Met standen schon bereit, und zwei Becher.


    Ernst zur Tür schauend wartete Loki darauf dass seine Adoptivcousine erschien.

    Dagny war etwas überrascht darüber das ausgerechnet Loki sie hatte rufen lassen. Sie überlegte aber kam nicht dahinter was er wohl wollte. So machte sie sich auf und betrat neugierig den Balkon.


    „Heilsa Loki.“

    Da war sie auch endlich. Fast ein halbes Jahr war sie schon hier, und bald wurde es an der Zeit sich einen Mann für sie zu suchen. Bevor es dazu kam, mussten aber noch gewisse Dinge geklärt werden. Deshalb nickte Loki Dagny nur stumm zu, und wies ihr sich auf den anderen Stuhl zu setzen. Draußen war es recht kühl, aber nicht zu kalt, und die Sonne ging langsam unter, was man vom Balkon der Casa beobachten konnte.


    "Hallo, Dagny."

    Erst füllte Loki zwei Becher mit dem goldenen Trank, um ihr dann einen rüberzuschieben.


    "Bald ist der Winter vorbei, in dem wir dich geholt haben, junge Frau. Und viel hat sich seitdem getan. Du bist kurz davor das Alter zu erreichen in dem du zur Frau wirst, das ist wichtig für uns alle, und ein besonderer Schritt."


    Götter, war er froh sich das vorher gut aufgeschrieben zu haben.


    "Also, da du dich ja nun einigermaßen eingelebt zu haben scheinst, und auch Anschluss an alle hier gefunden hast, bleibt mir nur übrig dir dazu zu gratulieren. Wir haben gut daran getan dich aus dem Norden mitzunehmen."

    Sie nahm den Becher entgegen und sah ihn immer noch etwas skeptisch an.


    „Ja, ich bin euch allen auch sehr dankbar dafür. Endlich habe ich eine Familie, eine Familie die mich sogar liebt…“ sie sah ihn an und lächelte, „…hoffe ich doch zumindest, oder?“


    Sie glaubte das es Bier war, was er ihr gab den als sie das letzte mal vom Met naschen wollte haben alle sie daran gehindert. So prostete sie ihm zu und nahm eine tiefen Schluck….oh es war süss und schmeckte wirklich gut. Mhhhhhhhhh noch einen gleich hinterher.

    Loki kommentierte Helenas Reaktion auf den Met mit einem süffisanten Grinsen.


    "Nun. Wie ich sehe gefällt es dir hier, sehr schön.", meinte Loki mit viel Schalk in den Augen, und leerte mit einem Schluck seinen Becher, um die beiden gleich wieder aufzufüllen, "Und wie schaut es aus? Das Leben bei den Römern? Als ich rüberkam, war das der absolute Kulturschock."

    Das Zeug war einfach zu gut und sie reichte ihm ihren Becher freiwillig.


    „Ein Schock, ja das war es und auch jetzt ist es noch so ab und zu. Ich kann so manches einfach nicht verstehen. Sie nehmen alles so schrecklich ernst, vor allem sich selbst. Sie haben viele große Dinge erbaut und doch frage ich mich wozu?“


    Sie lacht


    „Ach ja ein Bad im dem es immer warm ist und es heißes Wasser gibt ohne das man es ranschleppen muss, ja das ist wirklich etwas auf das ich bestimmt nicht verzichten mehr möchte und auch die Häuser wie unseres. Warm und gemütlich selbst beim Sturm und nicht alle Tiere mit dabei. Aber der Wein mit dem Wasser, ihh bäh. Das hier ist das doch schon was ganz anderes.“


    Erneut nahm sie einen herzhaften Schluck.

    Seltsam. Das was Loki am Reich begeisterte waren weniger die Annehmlichkeiten der Lebensumstände hier, als die Möglichkeiten die man als freier Mann hatte.
    Der Luxus tangierte ihn nur peripher. Das Balneum benutzte er nur um sich morgens und abends kurz zu waschen, baden tat er immernoch in den kalten Wassern des Rhenus. Irgendwie weil ihm das Gefühl warmen Wassers aus der Haut nicht behagte.


    "Ja, es ist schon einiges anders hier. So, und nun zum eigentlichen Thema, was zum Waldschrat läuft da zwischen dir uns Harlif? Ich meine, ich könnte ihn fragen, aber bei ihm kommen Geschichten immer um einiges fantastischer rüber als sie wirklich waren."

    Sie verschluckte sich an dem Met und hustete. Was zwischen ihr und Harlif lief.


    „Nichts, was soll schon sein? Wir haben uns gestritten und jetzt mag er mich wohl nicht mehr sehen. Ich weiss das er mit dir im Stall würfelt.“


    Sie stellte ihren Becher weg den jetzt wurde ihr irgendwie andes, warum musste gerade er sie nach Harlif fragen?

    So war das also...


    "Verstritten, aha.", murmelte Loki während er weiter an dem Honigwein gütlich tat. Unweigerlich fing er an zu grinsen. Die Tatsache dass sie sich mit Harlif verstritten hatte war einfach zu komisch.


    "Oh mann...", grinste er, und als er ihren fragenden Blick spürte hob er abwehrend die Hände, "Tut mir leid. Ich kann nichts dafür. Ich streite mich seit Dekaden mit Harlif, und es ist immer wieder das gleiche. Von daher kann ich es verstehen wenn du davon ein wenig... genervt bist. Manchmal hat es den Anschein als würden wir verschiedene Sprachen sprechen. Ich sage etwas, und er antwortet was vollkommen anderes..."


    Er schüttelte lachend den Kopf. Es gab schon einige sehr interessante Episoden...


    "Im Endeffekt glaube ich, dass sein Geist die Realität nicht verkraften kann, und deswegen versteht er immer alles anders als es gemeint war. Das ist zumindest meine Theorie... aber egal. Gut, anscheinend läuft da nichtsmehr. Themenwechsel."


    Er schaute sie breit grinsend an.


    "Sag, was willst du eigentlich machen? Den klassischen Weg? Heiraten, Hausfrau? Kinder? Herd? Noch mehr Kinder?"

    Sie hatte den Becher wieder angehoben und erneut was daraus getrunken, irgendwie war ihr Kopf etwas schwer oder wackelte er sogar.
    Sie sah ihn an was sagte er da gerade?


    „Hey, was fällt dir ein? Er ist nicht realitätsfremd, er ist der liebst und gütigste Mensch den ich kenne. Du hast ja keine Ahnung, nicht so ein Stinkstiefel wie du? Dir kann man ja es nie recht machen, immer weist du alles besser, immer muss es nach deinem Kopf gehen.
    Vergiss es das ich mich einfach mit einem alten langweiligen grauen Mann verheiraten lasse, das habe ich auch schon Irminar gesagt.“


    Sie merkte gar nicht was sie da sagte, es kam einfach so aus ihrem Mund , als sie geendet hatte sah sie ihn entgeistert an. Was hatte sie da gerade gesagt? Ohje, so hatte sie das doch garnicht gemeint.


    „Äh ich, entschuldige. Das meinte ich nicht. Nein du hast ja auch viel Verantwortung und ich bin dir so dankbar das ihr mich mitgenommen habt. Nein bitte , ich meinte das nicht aber ich…ich . Ach nein, mir kann da eh niemand helfen. Auch schon Phelan hat gesagt das ich falsch bin. Aber er, er hat mir so weh getan als er sagte das er wohl heiraten will.“


    Sie hob den Becher an und trank ihn mit einem Zug leer und streckte ihn ihn entgegen. Das Zeug schmekt aber auch zu gut.

    "So so...", grinste er sie breit an. Er war weit davon entfernt ihre Emotionen zu seinen eigenen zu machen, und er war schon so lange ein Meister im provozieren dass es ihn nichtmehr störte wenn das zwischendurch auch mal ungewollt durchschien. Und im Endeffekt kannte sie ihn nicht gut genug um auch nur einen Punkt zu treffen an dem man ihn wirklich treffen konnte...


    Ihr Ausbruch kam unerwartet, aber nicht unerhofft. Loki verschränkte lässig die Arme hinter seinem Nacken, ließ den Stuhl nach hinten kippen und legte die Füße auf den Tisch, so wie er es immer tat wenn es ihm grad gut ging.


    "Er will dich also heiraten? Interessant dass er bei deinem Anblick selbst die Traditionen vergisst... oder hat ihm sein Patron schon so sehr den Kopf gewaschen, dass er vergisst wo er herkommt? Wieso fragt er uns nicht? Ich meine.. bei aller nichtvorhandenen Liebe. Du hast garnicht zu bestimmen wen du heiratest, und wen nicht. Aber vielleicht... hat er Aulus schon um deine Hand gebeten?"

    Wieder war ihr Blick erstaunt, hatte er ihr nicht zugehört? Sie zog den Arm zurück da er keine Anstalten machte den Becher erneut zu füllen.


    „Nein, du verstehst das falsch. Er kann mich doch gar nicht heiraten oder nein er will ja gar nicht oder nein auch nicht ach ich weis doch auch nicht.“


    Sie war wieder den Träne sehr nah doch jetzt hatte sie sich, trotz des langsam sehr schwer werden Kopf, ganz gut im Griff.


    „Ich weis nicht, ich hab da wohl was nicht so richtig mitbekommen und nein, wo denkst du hin, natürlich hat er Aulus noch nicht gefragt. Ich bin doch noch…“


    Sie machte mit den Händen eine abwehrende Bewegung.


    „Ach was, er will mich doch gar nicht.“


    Warum hatte sie nur so einen Durst und auch noch Hunger auf einmal?


    „Hast du was zu essen hier oder soll ich was aus der Küche holen?“


    Sie wollte aufstehen doch als sie fast oben war wurde ihr schwindlig und sie setzte sich wieder.


    „Oh man ist mir komisch…ich hab Durst.“

    "Du bist doch noch WAS?", schlug Loki die Bresche breiter, während er es sich mit größter Mühe verkniff nicht siegessicher zu grinsen. Letztendlich wurde es doch noch interessant... er ließ die Füße auf den Boden fallen, kippte mit dem Stuhl wieder nach vorne, füllte beide Becher neu und brachte sich wieder in die bequemst-mögliche Position.


    "Du meinst er will dich nicht? Dann würde der Mann mich letztendlich doch noch überraschen. Wenn er Sinn für eins hat, dann ist es dafür Dinge zu erfassen die ihn weiterbringen. Wenn er dich nicht liebt, was ich bezweifle, denn selten ist er einer Frau so hinterhergestiegen wie dir, dann weiß er doch ganz genau was eine Heirat mit dir für ihn bringen würde."


    Als sie darauf zu sprechen kam dass sie Hunger hatte winkte Loki ab.


    "Schon. Aber irgendwie hab ich wenig Lust jetzt aufzustehen. Aber vielleicht kommt ja einer unserer guten Geister hier vorbei... man weiß ja nie.", winkte Loki verbal quer durch die Casa mit einem enormen Zaunpfahl. :D

    Vorsichtig trug Sveija das große Tablett vor sich her. Marga hatte ihr aufgetragen, es auf den großen Balkon zu bringen. Das Holzbrett war mit zwei Tellern, einer Schüssel mit Fleisch in einer dicken, dunkelbraunen Sauce, einer Schüssel mit gekochtem Gemüse und einem großen Laib Brot beladen. Dazu noch Löffel und Messer sowie zwei Fingerschalen mit Wasser, in denen Scheiben einer gelben Frucht schwammen, die Marga citrus genannt hatte.


    Als sie auf den Balkon trat, konnte sie dort Dagny sehen und den Mann, von dem man ihr gesagt hatte, dass er Lando hieß.


    Langsam brachte die junge Ubierin das Tablett zu dem Tisch herüber, an dem die Herrschaften saßen und stellte es dort ab. Sie platzierte jeweils einen Teller und eine Fingerschale vor den Personen am Tisch und legte je ein Messer dazu. Die Schüsseln und das Brot stellte sie in die Mitte dazwischen und steckte die Löffel in die Schüsseln. Schließlich nahm sie das Tablett mit beiden Händen vor sich und verbeugte sich leicht.


    Kann ich euch sonst noch etwas bringen?

    Lando hatte Witjon und Ragin rufen lassen, die beiden einzigen mit Wahlrecht die sich zur Zeit in Mogontiacum befanden.
    Er selbst stand nach getanem Tageswerk auf dem großen Balkon, der Winterfest gemacht worden war indem sämtliche Pflanzen in eine Hütte hinter der Casa geschafft worden, damit sie nicht kaputtfroren, und das Mobiliar in einem Abstellraum verstaut worden war. Er beobachtete aus der erhöhten Position heraus den Nebel, der sich auf der ausladenden Weide der Hros bis zur Stadtmauer hin aus dem Boden zu erheben schien. Zwei störrische Tiere standen dort noch herum, doch er konnte Pepino, den guten Jungen, erkennen der sich gerade auf die Weide bemühte um das fix zu ändern.


    Die Wahlen standen an, und damit waren gewisse Fragen zu klären, die Lando hier erledigen wollte. In eine dünne Weste aus Schafsfell gehüllt, darunter ein einfaches Hemd und die obligatorische Wollhose, machte er einen äußerst germanischen Eindruck, und fühlte sich mal wieder ausnahmslos Wohl dabei. Er nippte an einem Becher mit heißem Met und wartete darauf dass die beiden Jungs eintrafen...

    Zur gegebenen Zeit trat Witjon auf den Balkon hinaus. Er hatte ebenfalls seine 'Freizeitkleidung' angelegt, also eine gewöhnliche Hose, seine gemütlichen Bundschuhe und zwei übereinandergezogene Wollhemden. Dort fand er Loki vor, ebenfalls in seine Volksmännische Kleidung gehüllt, der die Hros beobachtete. Witjon trat neben ihn und warf einen kurzen Blick auf Pepino, während er seinen Vetter begrüßte.
    "Heilsa Loki."
    Mehr fiel ihm zunächst nicht ein, deshalb lehnte er sich einfach ans Geländer an und beobachtete den jungen Stallburschen, der die beiden übrigen Tiere von der Weide zu holen versuchte.

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