Der große Balkon

  • "Nichts gegen dich, Calli, aber die spinnen, die Römer." Sontje tippte mit dem Zeigefinger an die Schläfe und "drehte" einen Vogel. "Also wirklich!! Mädchen sollten, meiner Meinung nach, nicht in die künftige Familie gehen nur um deren gekaufte Kleidung passend umzunähen! Das ist doch Blödsinn! Viel Kleidung haben für Feste haben? Zum Vorzeigen?? Macht Kleidung allein den/die (?) Römer aus?" Sontje fiel auf, dass sie richtig viel Stoff zum Nachdenken bekommen hatte! Und dieser allein lenkte sie von ihrem Kummer ab! Über Callis Worte zu Silko musste sie lachen. "Hm.. da hast du anderes reagiert als ich. Ich habe ihn als Silko wahrgenommen und nicht als Mann mit schwarzer Haut. Ja, er ist sehr nett und ziemlich wortgewandt. Ich war einmal mit ihm Einkaufen und da haben wir diskutiert welche Stofffarbe ich für ein Geschenk nehmen soll.. du hättest ihn erleben sollen! Es ist total schade, dass er heimgegangen ist. Ohne ihn macht Einkaufen nur noch halb soviel Spaß." lachte Sontje. "Wieso möchtest du kein Reitpferd für dich? Wir haben Dickköpfe und Gutmüter.. äh.. ich meine gutmütige Köpfe."

  • Was die Germanin über Römer sagte ließ Calli nun lieber unkommentiert, an manchen Tagen hatte sie genau dasselbe gedacht. Und sie war nicht selbstbewußt genug sich von deren Worten nun angegriffen zu fühlen. Eine reiche, römische Ehefrau hatte nicht viele Pflichten, außer den wirklich wichtigen und das war nun mal gesunde Kinder zu gebären und in allem eine ehrbare Frau zu sein. Auch zu Silko sagte sie nichts mehr, die Vorstellung mit ihm einzukaufen war irgendwie absurd. Ungefähr so wie sie mit einem Sax in der Hand. Einfach ... seltsam.


    "Wieso brauchen ich Reitpferd? Römerinnen nicht reiten."

  • "Natürlich brauchst du ein Reitpferd... Oder willst du gar nichts von der Stadt und deren Umgebung sehen und kennenlernen? Willst du den ganzen Tag daheim hocken und darauf warten, dass Lando nach Hause kommt?" erwiderte Sontje fragend, erhob sich von der Bank. Ihr war allmählich kalt geworden vom langen Stillsitzen. Beherzt stampfte sie mit den Füßen auf und rubbelte mit den Händen die Oberschenkel samt den Hüften warm. Sich selbst zu wärmend versuchend, verschränkte sie die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Balkonbrüstung. "Du bist nicht mehr in Italia, Callista, du bist in Germanien. Rom ist weit weg und du sitzt in Mogontiacum. Dein Heim heißt Casa Duccia." Nunja... das wusste die Ältere sicher schon längst selber. Hoffentlich hatte sie sie jetzt nicht vor den Kopf gestoßen.. sie hatte sie ledliglich an die Tatsache des Wohnortes errinnern wollen. "Entschuldige bitte..." fügte Sontje sicherheitshalber hinzu. "Die Amseln piepsen sicher genau dasselbe wie daheim."

  • "Uhm" war Callistas erste, nicht sehr geistreiche, Reaktion und sie beobachtete, wie Sontje ihren Körper zu wärmen versuchte. Sofort sprang sie schuldbewußt auf und reichte ihr die Decke. Es tat ihr leid diese der Jüngeren abspenstig gemacht zu haben und sie bekam ein schlechtes Gewissen.


    "Ich nur gehe zu Tempel, das zu Fuß. Ich nicht brauche Pferd. Wieso ich gehe außerhalb Mogontiacum? Ich warte Witjon nach Hause kommt. Wieso Lando?" Sie war ehrlich verwirrt. Die Freiheiten, die Sontje hatte und gegen die niemand etwas sagte, hatten keinen Reiz für Callista. Sie war, ganz ehrlich, davon ausgegangen in der Casa zu sein oder aber im Tempel. Seit sie hier war und das waren mittlerweile schon vier Monate, war sie kein einziges Mal alleine zum Markt gegangen oder sonst wo hin. Entweder war sie in Begleitung von Witjon, der etwas mit ihr unternahm oder aber sie war mit Phelan im Tempel, alles andere spielte sich mit der Casa an. Und Callista hätte sich nicht angemaßt diese zu verlassen, nur um im Wald oder auf der Hros herumzutollen.


    Ihr wurde bewußt, dass sich Sontje und sie selbst in einem entscheidenden Punkt unterschieden. Denn die Jüngere war bedeutend unternehmungslustiger und aufgeweckter, genoß die Abwesenheit aus der Casa und war viel sozialer, hatte kein Problem damit auf Leute zuzugehen. Sie dagegen war froh, in der Casa ein zu Hause gefunden zu haben und war vollends damit zufrieden hier zu sein und darauf zu warten, endlich schwanger zu werden. Damit die Ehe ihren Sinn auch vollends erfüllte.

  • "Nein nein nein, behalt ruhig die Decke. Ich setz mich gleich wieder zu dir." wimmelte Sontje die Decke ab und legte sie stattdessen Callistas zierlichen Schultern um. "Ach ja richtig, Tempeldienst und Unterricht. Und ich meinte deinen Mann.. nicht den Ehemann von Elfleda. Oh Frau.. ich bin vielleicht dumm." ächzte Sontje kopfschüttelnd über sich selbst. Im Geiste schlug sie die Hände überm Kopf zusammen. Ihre Mutter hätte dies sicherlich genauso gemacht. Betreten blickte Sontje zu Boden und nahm nach weiteren Schweigesekunden den Weg zurück zur Sitzbank in Angriff. Sie suchte nach einem Thema und sprach ihre Gedanken dazu aus. "Ich kann dir unseren Familien-Friedhof zeigen. Da wollte ich heute noch hin, um das schlimmste Unkraut aus den Gräbern zu rupfen. Oder die Stuten und ihre Fohlen..." Und zugleich abermals für sich nachzudenken... ein paar mickrige Huster folgten der Stille.

  • "Du nicht dumm." Callista blickte erschrocken und schüttelte energisch den Kopf. "Du nur nicht denken nach. Du erst denken nach, dann sagen was, dann klingt alles besser. Nicht mehr dumm." Sie lächelte sanft und aufmunternd und legte Sontje sanft ihre Hand auf den Unterarm, als diese wieder neben ihr saß. "Ich dumm, muß reden wie Kind, weil nicht schneller kann lernen germanisch." Sagte sie und grinste. Damit hoffte sie die Jüngere etwas aufzumuntern. Sie lehnte sich zurück und sah einen Moment die Baumwipfel an, als die Stille von kleinen Hustern unterbrochen wurden. Sontje war krank, soviel hatte Callista in der Zeit herausgefunden und sie machte sich Gedanken, weil sie hier in Mantel und Decke saß. Nein, das ging so nicht.


    "Vielleicht wir besser gehen rein? Wir können sitzen drinnen und nähen oder weben? Oder lernen germanisch? Oder gehen in Balneum, muß reinigen mich und wachsen Haare." Callista wies mit einem Finger auf ihre Beine, die unter dem Kleid zwar nicht zu sehen waren, aber dennoch da irgendwo waren. Auch, wenn sie sie schon kaum mehr spürte und daher etwas hin- und herrutschte. "Du besser gehen wo warm. Du krank. Husten. Schlimm? Tut weh?"

  • "Mhm.. ich bemüh mich so darum erst nachzudenken bevor ich was sage. Immer aber spreche ich zuerst vor dem Nachdenken. Ich kann das nicht so einfach abstellen, weil ich das schon immer tue." klagte sie und erwiderte mit einem schiefen Lächeln das Lächeln von Callista. "Ich finde du redest nicht wie ein Kind! Du sprichst besser als ein Kind und kannst schon lange Sätze bilden." Ob sie mit diesem Lob nicht etwas zu hoch gegriffen hatte? Egal! Ihr schiefes Lächeln blieb auf dem Gesicht hängen und verwandelte sich zu einem anerkennenden Lächeln. "Ins Balneum gehen? Aber klar! Gute Ideen hast du auch, Callista. Nein, mein Husten ist nicht schlimm. Der ist schon immer da. Ich habe ihn schon seit kleine Sontje sein." Das war schon etliche Jahre her, seit sie klein gewesen war. "Komm.. gehen wir Sveija oder Lanthilda Bescheid sagen wegen Holz anzünden für warmes Badewasser. Du musst wissen, dass ich kalte Räume hassen. Dann tuts mit dem Husten richtig weh." Sie wartete an der Tür auf die Römerin. "Ich hole meine Sachen.. und treffe dich vor dem Bad wieder, in Ordnung?" Sie musste erneut husten.. es war wohl doch zu kalt ohne ihre Kuscheldecke!

  • Nachdem sie aufgestanden war, schüttelte Callista den Kopf. Besser als ein Kind? Nein, da versuchte Sontje gaz eindeutig ihr Honig um den Mund zu schmieren. Natürlich strengte sie sich an, aber sie machte noch soviele Fehler, dass es ihr fast selbst weh tat in den Ohren. Allerdings fand sie es sehr nett und lieb was Sontje da sagte und sie lächelte etwas schief, genau wie die Blonde. "Ich nicht gut, aber werde besser. Du mir helfen. Ragin hilft mir. Ich bin dankbar, sehr dankbar. Ich bin euch sehr dankbar." Ha, manchmal stimmte sogar ein Satz. Sie lächelte und nickte dann.


    "Du treffe mich vor Bad wieder. Gute Idee. Ich sagen Bescheid zu Sveija und dann hole auch Sachen." Somit reichte sie Sontje die Decke zurück und verließ den Balkon.

  • Es war ein kühler Morgen, wie Eila bemerkte, als sie auf den Balkon trat. Doch die warme Decke, die sie um sich geschlungen hatte, sollte wohl vorerst genügen, um sie warmzuhalten.Sie ließ sich auf einem der großen Sessel nieder, die auf dem Balkon standen, zog die Beine an, wickelte die Decke gründlich um sich und legte dann ihren Kopf auf ihren Knien ab. Sie beobachtete wie langsam die erste Licht am Horizont sichtbar wurde. Ein Neuer Tag begann... ein weiterer Tag an dem sie sich fragte, wozu sie sich das antat. Es gab wenig, dass sie hielt. Ihre Eltern und ihr Bruder waren nun schon lange tot. Sie hatte keinen Mann, und entsprechend keine Kinder. Tag ein, Tag aus erledigte sie ihre Pflichten, lebte hier, mit den anderen. Ja, sie lachte auch manchmal und wusste das ein oder andere Gespräch durchaus zu schätzen, häufig, wenn sie nichts anderes mit sich anzufangen wusste, machte sie lange ausritte mit Neisti. Die Stute war eines der wenigen Dinge, die ihr von ihrem Bruder geblieben waren. Und dennoch fühlte sie sich häufig hohl und leer. Sie war erschöpft, ohne sich wirklich angestrengt zu haben. Doch sie wusste, was sie vor allem am Leben hielt. Es waren ihre Nichte und ihr Neffe. Vor nicht allzu langer Zeit war auch Elfleda, ihre Mutter, gestorben. Eila hätte es nicht über sich gebracht, sie nun auch noch zu verlassen. Naha war mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen und war ihrem Vater, Loki, mitunter so ähnlich, dass es schmerzte. Aber eben darum liebte Eila sie auch so sehr. In Naha hatte ihr Bruder ihr immerhin etwas zurückgelassen, für das sich all ihr innerlicher Schmerz doch zu ertragen lohnte. Sie lächelte, als sie sich an die jungen Jahre Nahas erinnerte. Ihre Streiche, ihr Trotz... so viele Dinge, die sie selbst und Loki nicht hätten besser machen können. Er wäre sicher stolz gewesen. Wenn auch aus erzieherischen Maßnahmen hinter vorgehaltener Hand. So saß sie in Gedanken versunken auf dem Balkon, während die Sonne langsam aufging und die ersten noch schwachen Sonnenstrahlen begannen ihr Gesicht zu wärmen.

  • Witjon war wie immer früh auf. Er hatte sich mit der Zeit vom verschlafenen Spätaufsteher zum fleißigen Arbeitstier entwickelt, denn als Sippenoberhaupt hatte er schlichtweg keine Zeit für Faulenzerei. Schade eigentlich. Nachdem er also seine morgendliche Katzenwäsche abgehalten hatte, strebte er den Balkon an, um eine Prise frische Winterluft zu schnappen. Nicht, dass er das nicht auch bei offenem Fenster in seinem Zimmer tun könnte, aber die Aussicht konnte man auf dem Balkon wesentlich besser genießen. Zumal das Wiehern der erwachenden Pferde im Stall und das Zwitschern der Vögel ihren Reiz hatten.
    Witjon betrat also den Balkon und streckte sich erst einmal genüsslich, bevor er bemerkte, dass er nicht allein war. "Morgen Eila," grüßte er Lokis Schwester, wobei er seine müden Gesichtsmuskeln zu einem freundlichen Lächeln zu verzerren suchte. "Gut geschlafen?"

  • Eila wurde vom leichten Knarren der Tür aus ihren Gedanken gerissen und blickte zur Seite, wo sie Witjon auf den Balkon treten sah. Er sah ziemlich verschlafen aus, allerdings war es ja auch noch ziemlich früh, wie sie sich dann erinnerte. Und wie immer, wenn sie Witjon zu Gesicht bekam, überkam sie ein leichtes wohliges Gefühl. Seit dem Tod Landos war er stets für sie da gewesen, wenn sie ihn gebraucht hatte und sie wusste seine Freundschaft sehr zu schätzen. Er war einer der wenigen Menschen, die ihr noch etwas bedeuteten und mit seinem Humor auch einer der wenigen, die ihr noch ein Lächeln aufs Gesicht zaubern konnten. Während er sich streckte, kam sie nicht umhin zu grinsen, bis er sie schließlich wahrnahm.
    "Guten Morgen.", erwiderte sie dann, noch immer leicht amüsiert. Aus seine Frage hin, verging ihr das Grinsen dann jedoch. "Nein, eigentlich nicht." Sie seufzte kurz, und fügte dann mit einer wegwischenden Handbewegung nur: "Aber das spielt auch kein Rolle. Die Nacht ist vorbei. Hast du denn besser geschlafen?" Sie rückte auf der Bank ein wenig zur Seite, für den Fall, dass er sich setzen wollte.

  • Eilas Reaktion auf seine Frage ließ Witjon Augenbrauen in die Höhe schnellen. War schon wieder Vollmond und er hatte es verpasst? Er war aber noch lange nicht munter genug, um sich vernünftig Gedanken machen zu können, weshalb er einfach auf ihre Gegenfrage einging, was ihm wesentlich leichter fiel. "Joa, durchaus," nickte er, weiter schmunzelnd. "Ich kann nicht klagen," fügte er dann noch hinzu, um dann den Blick wieder hinaus auf den Garten zu richten. Er atmete noch einmal die frische Morgenluft ein, sog den Duft des anbrechenden Tages in sich auf, bevor er später auf die Straße treten und den Gestank der Straße ertragen musste. Im Winter stank es zwar grundsätzlich nicht so schlimm (und sicherlich auch noch lange nicht so derb wie in einer Metropole wie Rom, aber das konnte Witjon nicht beurteilen, weil er noch nie da gewesen war), aber es gab trotzdem immer mal wieder Stellen auf seinem Weg zur Curia, an denen die Hausbesitzer nicht gerade pflichtbewusst für ein sauberes Straßenpflaster sorgten. Den aufkeimenden Gedanken an seine Arbeit verdrängte Witjon aber schnell wieder, schob ihn noch so lange wie möglich auf, um die ruhigen Augenblicke vor dem Frühstück in der geschäftigen Küche genießen zu können. "Was steht heute bei dir an?" tat er den Versuch, dieses zarte morgendliche Gespräch mit einer Standardfrage in Gang zu halten.

  • Eila rieb sich die Augen, die zuvor in die Morgensonne geblickt hatte und sah dann zu Marsus hinüber. "Eigentlich nicht viel, das Übliche.", sagte sie dann und fügte in Gedanken ein "Was auch sonst?" hinzu. Schließlich gab es nicht viel, was ihrer Aufmerksamkeit bedurfte. "Ich denke, ich werde nachher auf den Markt gehen. Naha könnte ein neues Kleid gebrauchen, sie ist ganz schön in die Höhe geschossen. Bei der Gelegenheit könnte ich auch gleich ein nach Wachstafeln Ausschau halten, mir ist letztens eine zerbrochen." Sie erwähnte nicht, dass sie diese in einem Wutanfall selbst gegen eine Wand geworfen hatte, weil sie darauf etwas ausrechnen hatte wollen und wiederholt zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen war, bis sie ihren eigenen Verstand in Zweifel gezogen hatte. "Brauchst du noch etwas?"

  • "Oh ja, Naha ist richtig lang geworden", stimmte Witjon fröhlich zu. "Dann schau mal, was es neues auf dem Markt zu hören gibt. Zur Zeit sind wir ja um jedes Gerücht froh, das auch nur annähernd plausibel klingt." Und dann ergänzte er eine Frage: "Ach...sag mal, will Naha nicht mal selbst ein Kleid nähen? Ihr könntet ja auch ein paar Stoffbahnen holen und du zeigst ihr, wie das richtig geht." Er zwinkerte Eila und schob ein müdes Grinsen nach. Langsam wurde er halbwegs munter. Da half eine amüsante Unterhaltung auf jeden Fall weiter.
    Auf Eilas Frage hin zuckte Witjon dagegen unschlüssig mit den Achseln. "Weiß nicht", gab er wenig informativ zu. Er warf einen nachdenklichen Blick hinaus in den Garten. Ein Eheweib vielleicht, dachte er und schimpfte sich sogleich einen Trottel. Das konnte er ihr keinesfalls so sagen. "Nö, ich brauch grad nichts Spezielles vom Markt, denke ich", sagte er statt dessen und schenkte Eila noch ein schiefes Lächeln.

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