Typisch: Wenn erst einmal einer vorausmarschiert, kommen sie alle hinterher. - Das jedenfalls dachte sich Plotina, als sich, kaum dass sie selbst sich vorgestellt hatte, das Atrium schlagartig mit weiteren Gästen zu füllen schien. Die energische Sergierin kannte diese Rolle des Vorausmarschierens schon seit ihrer Kindheit zur Genüge und war wiederholt dafür von ihrem paedagogus getadelt worden, doch war ihr klar, dass er sie insgeheim auch ein bisschen für diese Eigenschaft bewunderte.
An diesem Abend in der Villa Aurelia erbrachte ihr ihr Vorausstürmen zumindest die Gelegenheit, die gastgebenden Aurelier in genauen Augenschein nehmen zu können, bevor ihr andere, längere Gäste die Sicht und andere, bedeutendere Gäste den Zutritt zu den Patriziern versperren würden. Besonders erfreut aber war Plotina über die Begrüßung durch Aurelia Prisca:
"Prisca! Ich freue mich, dich wiederzusehen! Auch wenn du offenbar keines der Kleidungsstücke trägst, die du bei Eurydike auf dem Markt erstanden hast, muss ich sagen, dass du hier alles überstrahlst! Aber was rede ich; deine Schönheit wird man an diesem Abend sicherlich noch oft loben!"
Eine Frage nach ihrem Befinden erübrigte sich angesichts der unfassbaren Schönheit Priscas von selbst. Als nächstes kam die Sergierin in den Genuss einer Vorstellung der gesamten Aurelia-Gens, soweit sie sich bereits im Atrium versammelt hatte, durch Aurelius Corvinus selbst. Dessen Schmeicheleien registrierte sie durchaus, doch durchschaute sie sie augenblicklich als von einer solchen Art, wie er sie sicherlich den gesamten Abend jeder Frau gegenüber äußern würde, die sich nicht weit genug von ihm entfernt hielt. Aber immerhin:
"Aurelius Corvinus, ich freue mich sehr, dich kennen zu lernen und damit endlich einem Mann gegenüberzustehen, dessen rasanten Werdegang ganz Rom gebannt verfolgt dank der Acta Diurna, für die ich in der Tat ab und zu schreibe, ja."
Der Vigintivir stellte der Subauctrix nun noch zwei seiner Verwandten vor, deren Namen Plotina neu waren und die sie deshalb nur mit einem freundlichen Nicken begrüßte. Sie überlegte allerdings, ob es sich bei diesen beiden wohl nicht um die neu aufgenommenen Sodales bei den Salii Collini handelte, von denen die Acta berichtet hatte. Verstohlen musterte sie die Figuren der beiden, um abzuschätzen, wer von ihnen bei Vortanzen wohl die bessere Figur machen würde, allein sie kam noch zu keinem abschließenden Ergebnis, zumal nun noch der Duumvir von Mantua, Annaeus Modestus, mit einer Verwandten das Atrium betrat, ihr vorgestellt wurde und ebenfalls begrüßt werden wollte, was Plotina mit einem Lächeln und einem Nicken auch tat. Als nun eine weitere Verwandte der Aurelier hinzutrat, die ebenso schön anzuschauen war wie Prisca, bemerkte Plotina, dass nun bereits der Zeitpunkt gekommen war, von dem sie natürlich gewusst hatte, dass er alsbald eintreten würde: Nun stand die kleine Plebejerin störend im Weg. Indem sie Aurelia Helena, der neu Hinzukommenden, und natürlich noch einmal Prisca zulächelte, trat sie einen Schritt zurück und nahm dankbar einen Becher mit Apfelsaft an, den ein Sklave anbot. Bis zum Opfer würde es vermutlich doch noch etwas dauern.