hortus | Ein Rundgang, oder: So lernt man sich kennen

  • Alle der Habseligkeiten seines dominus waren wohlverstaut, und nach dem Rundgang mit Führung, den ihm hatte der junge Kaïlos hatte angedeihen lassen, war Straton selbst ein zweites Mal losgezogen, um sich alles in Ruhe anzusehen. Er war es gewöhnt, sich einigermaßen leise zu bewegen und vor allem, irgendwelchen Flaviern aus dem Weg zu gehen, wenn man im Haushalt der Familie Flavius Atticus groß geworden war, lernte man das sehr schnell schon aus reinem Selbstschutz. Die Ehestreitigkeiten zwischen seinem alten Herrn und dessen Gemahlin waren legendär gewesen, und auch seine Kinder hatten schnell die Geschicklichkeit der Sklaven adaptiert, sich den Eltern in solchen Momenten zu entziehen. Gemütlich schlenderte der griechische Sklave über einen Steinplattenweg hinaus in den Garten, er hatte schon vernommen, dass sein dominus Dienst im Tempel tat und erst spät zurückkehren würde, sodenn hatte er noch einige Stunden der Muße vor sich, vorausgesetzt, das Kunststück würde gelingen, keinem Flavier aufzufallen.


    Warum der hortus? Er hatte nicht ein eindeutiges Ziel gehabt, aber die schön und vor allem sehr symmetrisch angelegten Blumenrabatten hatten die Neugierde Stratons geweckt, der einen ausgeprägten Sinn für Formen und vor allem Ordnung besaß. Der Gärtner jedenfalls schien sein Handwerk zu verstehen, stellte er zufrieden fest, es würde Freude machen, sich diesen hortus auch des Nachts anzusehen und dort die kontemplative Ruhe zu genießen, die meistens dann entstand, wenn die villa zur Ruhe kam und alle Bewohner schliefen. Stets war er ein Nachtmensch gewesen, und zumindest bisher hatte Flavius Aquilius, der seine Angewohnheit kannte, tags länger zu schlafen als die anderen, um dann Nachts dafür hellwach zu sein, kein Verbot ausgesprochen.


    An einer üppig blühenden Rosenhecke blieb Straton stehen, neigte sich etwas vor und atmete den würzig-süßen Geruch der Blüten ein, welcher sich hervorragend mit der Duftnote der darum herum angepflanzten Gräser ergänzte. Ja, ohne Zweifel war der Gärtner ein Meister der sinnlichen Genüsse. Straton nahm sich vor, ein Gespräch mit diesem zu führen, wenn sich die Gelegenheit bot, doch ein leises Rascheln einen Busch weiter unterbrach seine Gedanken abrupt - jemand näherte sich und der Sklave blieb aufrecht stehen, wohl alles und jeden erwartend.


    Sim-Off:

    Reserviert :]

  • So unverhofft wie es gekommen war, so bald war das beständige Gefühl der Euphorie aus Gracchus' Gemüt gewichen, und erneut hatte sich tiefe, desolate Desperation in ihm ausgebreitet. Caius war der Grund hierfür, das Theaterstück während der Feier zur Meditrinalia im Hause der Aurelia, die Erkenntnis, dass sein Geliebter sein Herz einem anderen hatte zugewandt, hatte zuwenden müssen, der Schmerz ob dessen, dass Aquilius sich nicht flüchtete in seine Liebeleien mit Frauen, nicht seine Begierde stillte mit bedeutungslosen Sklaven, sondern letztlich ihrer beider Sehnsucht hatte aufgegeben, hatte aufgeben müssen, doch gleichsam in eine ebenso aussichtslose Affäre war gefallen - ohne Zweifel konnte nur sein tiefstes Inneres ihn zu solcherlei getrieben haben, war doch die Liaison mit Aurelius Corvinus vom fehlenden Verwandtschaftsgrad einmal abgesehen keinen Deut besser, keinen Deut legitimer und öffentlich auslebbarer, denn jene mit ihm selbst. Da bereits die Sklaven der Aurelia öffentlich ihren Spott hatten dargeboten, so musste Corvinus dem ebenfalls nachgegeben haben, so musste er angenommen haben, was Gracchus stets ob der Unmöglichkeit hatte von sich gewiesen, von sich weisen müssen. Zorn stieg in Gracchus ob dessen auf, Zorn über die Unverantwortlichkeit des Aureliers, welcher seinen Vetter damit in tiefe Schwierigkeiten hinein zog - frei von jeder Schuld musste Caius in dieser Angelegenheit sein, war Gracchus doch unfähig ihm zu zürnen - und mehr noch quälte ihn eine fürchterliche Eifersucht, genährt durch seine unstillbare Sehnsucht, welche dazu angehalten war, ihn zu zermürben. Ein wenig früher am Tage war er der Regia entflohen, da er seine Gedanken unmöglich konnte bei sich halten, unmöglich konnte fokussieren auf etwas, das fern Caius war, suchte die Endlosigkeit des Himmels über der heimischen Villa, um dorthin zu entfliehen, sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Verlieren. Verlust. Sein Leben war geprägt von Verlust, von Anfang bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, und mehr noch als in all den vorangehenden Wochen durch den Verlust der Einzigartigkeit seines Anblickes, durch den schrecklichen Verlust Leontiens, den Verlust des eben erst gefundenen Zwillings, den Verlust der Nichte, mehr als je zuvor wurde dies ihm gewahr durch den mehr als alles andere schmerzenden Verlust des Vetters, des Geliebten - nicht durch Zwänge herbeigeführt, nicht durch Pflicht oder die Unmöglichkeit der Existenz begründet, sondern durch die freie Entscheidung Aquilius'. Dieser Art waren seine Gedanken, als er in ihnen verloren die stille Harmonie des hortus durchwandelte, den Odeur der langsam sterbenden Natur in sich ein sog, über welke Blätter hinweg trat und sich nur langsam dessen wurde gewahr, dass er bereits einige Herzschläge lang hatte inne gehalten und auf die gebeugten Formen einer ansehnlichen Gestalt, en détail auf das wohlproportioniert Gesäß jener Person starrte. Zu kurz war die Tunika, welche sich über den Hintern spannte und knapp darunter endete, einen Blick auf muskulöse Beine Preis gab und den Gedanken nach oben hin Freiraum ließ, um zu einem Bürger Roms zu gehören, ein Freigelassener mochte jener Mann sein, an welchem sie sich spannte, womöglich ein Peregrinus - in anderen Regionen der Welt herrschten durchaus andere Kleidungsgewohnheiten, manche davon nur zum Vorteil für das schöngeistige Gemüt. Für einen einfachen Sklaven indes war der Stoff zu fein und wichtige Sklaven im Hause kannte Gracchus zumindest vom Anblick her, auch und gerade vom rückwärtigen Anblick. Das Bildnis war viel zu delektabel, um die Komposition durch ein Wort zu zerstören, zu süß war das stille, inwendige Goutieren, doch er kam nicht umhin, seine Schritte ein wenig noch näher zu lenken, zerstörte dabei unbedacht die Ruhe, denn schon rückte die Fasson sich gerade, streckte der breite, maskuline Rücken sich durch. Deplorabel.

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  • Straton war daran gewöhnt, alles umwandern zu können, was ansatzweise flavischen Geblüts war - wie schon festgestellt, besaß er darin eine lebenslange Übung, geboren aus der harten Schule des Haushalts von Flavius Atticus. Dass ihn aber ein ganz offensichtlich der Familie angehöriger Mann noch überraschen konnte, verzeichnete der Grieche mit einigem, innerem Unbehagen. Es bedeutete, dass ihm auf der Reise wohl die Übung abhanden gekommen war, ein Umstand, der ihm nicht gefiel. Nicht zuletzt, weil Straton es nicht schätzte, überrascht zu werden. Menschen funktionierten zumeist nach sehr ähnlichen Parametern, und wenn man die meisten Variablen kannte, konnte man ihr Verhalten vorherberechnen. Im geistigen Sinne jedenfalls gesehen. Nach einer langsamen, ruhigen Bewegung - denn der Fremde sollte nicht glauben, er fühlte sich in irgendeiner Form ertappt, so etwas schadete nur dem Ruf - blickte er dem Mann entgegen, der sich ebenfalls im hortus wohl der Ruhe und der angenehmen Umgebung hingegeben haben mochte. Seine toga wies den latus clavus auf, also war er ein Senator - auch den senatorischen Ring trug er. Flavius Felix war es nicht, dafür war der Mann zu jung. Flavius Furianus weilte derzeit in Hispania, soweit war Straton ebenso informiert.


    Es musste sich also um Flavius Gracchus handeln, jenen Jugendfreund seines Herrn, den dieser nur selten erwähnte, und wenn, dann nur mit einem seltsamen Unterton - und die Familienähnlichkeit zu Flavius Vespasianus war in jedem Fall vorhanden. Die Flavier waren eine große Familie, aber einige Züge blieben ihnen stets zueigen, was die Arbeit eines findigen Sklaven durchaus erleichterte. Straton legte die Hände hinter dem Rücken ineinander, blieb aufrecht stehen und grüßte höflich: "Salve, dominus Flavius Gracchus." Natürlich war es auch ein gewisses Glücksspiel, denn wenn dieser Mann nicht Gracchus war, dann hatte er sich sicherlich keinen Freund geschaffen. Die Familienähnlichkeit und der latus clavus waren seine besten Würfel in diesem Spiel, und erst jetzt, als er auf eine Reaktion warten musste, erlaubte er sich, die übrigen Details seiner Erscheinung zu registrieren. Gracchus - wenn es Gracchus war - hatte einen fähigen tonsor, aber die Haare im Nacken waren fast etwas zu lang, das sprach dafür, dass der Flavier seinen Morgen gedankenvoll begann - sonst wäre es ihm aufgefallen - und den Tag über so beschäftigt war, dass es ihm nicht auffiel.


    Wenn dieser Mann Gracchus war, war er verheiratet, und dass seine Gattin dagegen keinen Einwand erhoben hatte, ließ auf Gleichgültigkeit in der Ehe schließen, oder aber sie mochte es, wie es war ... nun, es fehlten zu viele Fakten, zu viel Hintergrundwissen lag im Dunklen, aber er würde es noch erfahren. Die sensiblen Hände, der sinnliche Mund kamen noch hinzu, ebenso seelenvolle, trübe glänzende Augen. Ein Hinweis auf Sorgen? Doch der Blick hatte sich etwas aufgehellt, und Stratons Mundwinkel hoben sich zu einer Andeutung eines Lächelns. Wirklich lächelte er nur selten, aber diese Geste ließ sein Gesicht lebendiger wirken, den Blick bohrender, und er wusste es. Der Grieche war, auf seine Weise, ein Spieler. Und er spielte gern, besonders, wenn neue Variablen auftauchten. Eine interessante Variable war hier auf ihn zugetreten, eine Variable, mit der man würde rechnen müssen ... Noch immer roch es betörend nach den dunkelsamtigen Rosen, vermischt mit den würzigen Gräsern, es schien, als wollte dieser Geruch die beiden sich fremden Männer einhüllen und zumindest für den Moment nicht mehr freigeben.

  • Obgleich es kaum möglich war, da Gracchus ohnehin immer aufrecht ging und stand, richtete sein Körper sich ein kleine wenig mehr noch auf als der Sklave sich umdrehte, sein Rückgrad drückte sich durch, sein Kinn rückte marginal in die Höhe und unmerklich vibrierten seine Nasenflügel, als hätte er einem Episiten gleich die Witterung eines Beutetieres ausgemacht. Wohlgestaltet war nicht nur das Gesäß seines Gegenübers, sondern der restliche Mensch gleichermaßen, mit maskulinem Kinn, gerader Nase, schmalen und doch schwungvollen Lippen und bestechend braunfarbenen, beinahe endlos tief schwarzfarbenen Augen dazu. In dem Augenblicke, da er seines gesamten Antlitzes wurde gewahr und der Tatsache, durch die Begrüßung ausgelöst, dass um ein Sklaven es sich musste handeln, wusste Gracchus, dass er ihn wollte besitzen - nicht einmal so sehr, um gütlich sich an ihm zu tun, reizte äußerlich ihn doch mehr das blonde Haar, die helle Haut und die frostig blauen Augen der Menschen vom Schlage seines Leibsklaven - oder auch des verdammten Rutgers, welchen er ob der vergangenen Geschehnisse jedoch nicht einmal mehr des Tages wollte berühren - sondern mehr getrieben von seinem Hang nach harmonischer Perfektion, nach ästhetisch ebenmäßiger Formschönheit. Gleichsam mit dem Wunsch jedoch kroch in ihm die Frage empor, wer in diesem Haushalt solch ausgesuchtes Material sein Eigen nannte - abgesehen von ihm selbst. Seinen Geschwistern traute er dererlei nicht zu, Minervina hielt sich vorwiegend Exoten, bei Lucullus indes hatte Gracchus nicht einmal Besonderheiten entdecken können, womöglich umtrieben ihn derzeit ohnehin andere Sorgen. Möglicherweise vervollständigte der Mann vor ihm den Haushalt seines Vetters Aristides, respektive dessen Sohnes Serenus, denn dessen Sklave Hannibal schien sich auf die Auswahl exzeptioneller Sklaven zu verstehen. Aquilius indes konnte dieses Prachtstück kaum gehören, er würde ihn nicht seinem besten Freunde vorenthalten - oder womöglich doch? War es so weit schon zwischen ihnen gekommen? War es am Ende gar ein Geschenk für Aurelius? Gracchus' Kiefer pressten erneut sich aufeinander, doch er mahnte sich zu Contenance als er näher an den Sklaven heran trat, musternd, lauernd.
    "In wessen Besitz stehst du?"
    Ohnehin war der schlimmste Gedanke jener, dass dieses Kleinod würde den Haushalt seiner Gattin vervollständigen, denn in diesem Falle würde er tabu für ihn sein, würde schlechterdings ihn umgeben, ohne erreichbar zu sein.

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  • Er war also Flavius Gracchus, Straton hatte sich nicht in seinem Gegenüber getäuscht. Denn eine Lüge wäre wohl schnell herausgekommen, und die wenigsten Römer waren dumm genug, sich die Insignien eines Senators anzulegen. Wahrscheinlich in einer kontemplativen Laune, auf ein Gespräch schien der Flavier jedenfalls nicht aus zu sein, überlegte der Grieche, während sich aus den Tatsachen, die er als bekannt nun einordnen konnte, ein ganzer Schwarm kaleidoskopartig auf ihn hereinbrechender Vermutungen ersann. Intensiv war der Blick des Senators, forschend sogar, wenn er sich nicht irrte, und aus irgendeinem Grund fiel es Straton schwer, diesem Blick auszuweichen. Normalerweise ließ er sich von Menschen weniger beeindrucken, es war leichter, sie nur zu beobachten, denn wirklichen Kontakt zu pflegen, der über Nichtigkeiten hinausging. Er sehnte sich nicht nach Nähe irgendeiner Art, weil er festgestellt hatte, dass sie einen zumeist nur verwirrte, die Klarheit der Gedanken zerstörte.


    "Mein Herr ist Caius Flavius Aquilius, dominus. Er hat mich von seinem Anwesen in Hispania hierher gerufen, um in Zukunft seinen Haushalt zu führen," antwortete Straton höflich. Auch das gehörte zu den Dingen, denen sich kein Sklave entziehen durfte - die Frage nach seinem Besitzer war stets zu beantworten. Still glitt der Blick des Griechen über das ebenmäßige Gesicht des Flaviers, über die aufrechte, gestraffte Gestalt, die sich unter seiner tunica und der toga dennoch abzuzeichnen wusste. Die lautlose Neugierde, die sich mit in die Beobachtungen einschlißch, unterdrückte er noch, denn sie stand ihm nicht zu, zumindest nicht auf eine direkte Art und Weise. Noch konnte er auch sein Gegenüber nicht einordnen, seine Launen nicht, seine Handlungen nicht, diese Variable war für sichere Vorausberechnungen einfach noch nicht bekannt genug. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich weiter, ohne dass sich Straton abgewandt hätte, Furcht empfand er nicht, vertraute er doch meist auf seine Erfahrung, sich aus Probleme herausreden zu können - mit den Jahren als Sklave lernte man dergleichen, wenn man überleben wollte. Sein Körper drehte sich indes gen Gracchus, als dieser näher trat, straffte sich desgleichen, als ob er etwas erwarten würde ... nur was?

  • "So?"
    In die Länge war das o gezogen, gedehnt und bereits alleine einer ausschweifenden Frage würdig. Ohne Zögern trat nun Grachhus an den Sklaven heran, neben ihn, maß ihn mit seinen Blicken, hob schlussendlich seine Hand und strich mit der Kuppe seines Zeigefingers über die Rundung des ihm zugewandte Ohres des Sklaven, behutsam, beinahe zärtlich.
    "Caius also."
    Für einen Augenblick schwebte die Frage in der förmlich knisternden Luft zwischen ihnen, ob er ein Geschenk würde sein, ein Geschenk an Aurelius womöglich, doch der Sklave beantwortet diese Frage, noch ehe sie gestellt war, selbst - Aquilius' Haushalt, dies war ein Teil dieses Haushaltes, in eben diesem Hause.
    "Er hatte schon immer ein Auge für besondere Stücke."
    Viel zu lange schon hatte Gracchus sich in Hinsicht auf seine physischen Bedürfnisse zurück gehalten, seit seiner Hochzeit genau genommen, denn seitdem hatte er sein Verlangen nicht einmal mehr außerhalb des Hauses gestillt, sich einzig auf Sciurus beschränkt, in der Hoffnung, so überbrücken zu können, was ihn zu seiner Gemahlin auf Distanz hielt - vergeblich indes. Gleichsam hatte jedoch auch kein anderer Sklave im Haus seine Aufmerksamkeit auf solche Weise erregt, wie Straton dies tat. Dass jener Besitz seines Vetters war, konnte die Angelegenheit vereinfachen oder verkomplizieren, dieser Zeit jedoch nur verkomplizieren, da Gracchus selbst augenblicklich sich in solch zwiespältigem Verhältnis zu Aquilius befand.
    "Wie lange bist du bereits im Besitz meines Vetters?"
    Noch immer stand Gracchus neben dem Sklaven, musterte das kantige Gesicht von der Seite, so dass dieser ohne sich zu ihm zu wenden ihn nicht würde anblicken können.

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  • So viele Fragen stellte ein Mensch, ohne Worte zu benutzen, und Flavius Gracchus bildete darin keine wesentliche Ausnahme. Nicht, dass Straton es anders erwartet hätte, die wenigsten Menschen waren imstande, ihre Bedürfnisse verbal zu formulieren. Die meisten ließen ihre Körper, ihre Gesten sprechen, und ebenso verrieten sich die meisten durch die Sprache ihrer Körper sehr deutlich. Was dieser Flavier wollte, war offenkundig. Dafür waren seine Finger zu kundig, diese Überbrückung zwischen zwei sich fremden Menschen kam sehr schnell und vor allem sehr früh. Seine Finger fragten etwas, was seine Lippen wohl nicht formen wollten - oh, Straton kannte dies nur zu gut. "Ich gehörte vor ihm seinem Vater, und in seinem Besitz bin ich seit dem Tode des dominus Flavius Atticus. Meine Familie dient der gens Flavia nunmehr seit vier Generationen, dominus. Wir sind gemeinsam aufgewachsen."


    Es stellte klar, dass er kein Feld-, Wald-, Wiesensklave war, und dass es eine Grenze dessen gab, was vielleicht für den Flavier zu holen war - altgediente Sklaven genossen immer das Vertrauen ihres Herrn, und wurden sie misshandelt, würde es Unstimmigkeiten nach sich ziehen. Zudem war dies das einzige, was einen Sklaven vor zu rauhen Händen anderer Familienmitglieder einigermaßen zu schützen vermochte. Den Blick an Gracchus vorbei gerichtet haltend - noch wollte er dem Flavier den Triumph nicht gönnen, sich nach ihm umzublicken, verharrte der Grieche aufrecht stehend, wenngleich er doch damit kämpfen musste, die vage Gänsehaut zu unterdrücken, die seinen Rücken in jenem Moment entlang gerast war, als der Flavier sein Ohr berührt hatte. Zärtlich, sachkundig, wissend, wie man eine Berührung dosieren musste, um den maximalen Effekt zu erzielen.


    Ob er auch anderes so einzusetzen wusste wie diesen zartfühlenden Finger? Nun tat er es doch, wandte sich langsam in die Richtung seines Gegenübers, und in den dunklen, bohrend blickenden Augen des Griechen stand die Antwort auf eine wortlos gestellte Frage von Seiten Flavius Gracchus'. Und es geschah noch etwas, verbunden mit einem Seltenheitswert, das es schon fast zu einer Art Geschenk machte: Straton lächelte. Verhalten, diegeschwungenen Lippen kaum wirklich bewegend, aber unzweifelhaft ein Lächeln.

  • Prüfend taxierte Gracchus sein Gegenüber, sog dieses feine Lächeln in sich auf, eine Farce womöglich - doch wen scherte dies im Anblick eines Sklaven?
    "Ein Erbstück also, und nicht Caius' guter Geschmack. Nun, so hat er immerhin etwas Favorables von seiner Familie geerbt, indes muss auch der gute Geschmack wohl irgendwo seinen Ursprung haben, obgleich ich bisherig glaubte, dass dies das Vermächtnis unseres Großvaters ist, welches manches mal einer Laune der Natur folgend eine Generation zu überspringen weiß."
    Dieser Mann also war mit Aquilius aufgewachsen, mit dem kleinen Aquilius, nicht mit seinem Caius, denn mit diesem war nur er allein aufgewachsen, niemand sonst hatte das Recht, dies Privileg für sich zu bestimmen. Ein Spielgefährte mochte er gewesen sein, welche die Familie von Stand sich bisweilen hielt, gleich den Ammen und Kindermädchen, gleich Privatlehrern, Kampftrainern und Philosophen für den filius. Gewiss hatte sein Vetter gut daran getan, dieses sein Erbstück aus Hispania nach Rom zu schaffen, denn mit seiner Wahl würde er tatkräftiger Sekretäre bedürfen und Straton mochte wohl ein solcher sein, da Aquilius ihm die Führung seines Haushaltes anvertraute. Immerhin, vier Generationen in Besitz der Flavia garantierten einen gewissen Bildungsstand, perfekte Ausbildung und geschliffene Umgangsformen. Einen Moment lang wünschte Gracchus sich, auch seine Eltern hätten ihm ein solches Kleinod hinterlassen, doch alles in allem hatte mit Sciurus er wohl eine recht passable Alternative gefunden. Noch einmal hob er seine Hand, streckte sie aus, die Wange des Sklaven zu berühren, doch noch ehe die Hautschichten aufeinander konnten treffen, zog langsam er sie wieder zurück, hielt einen Augenblick seinen Zeigefinger vor den Mund während die herbstliche Luft er durch seine Nase zog und ließ schlussendlich seine Hand sinken, während gleichsam seine Augenbrauen ein Stück weit belustigt empor wanderten.
    "Zu deplorabel."
    Nicht konnte er Caius hintergehen und sich an seinem Besitz gütlich tun, gleichsam würde er nicht einen Sklaven nehmen, welcher Aquilius eigener Günstling war, zumal er weder dies augenblicklich konnte und wollte herausfinden, noch seinen Vetter im anderen Falle um die Einwilligung dessen konnte bitten, was seinen Sinnen vorschwebte. Hohn, dies war Straton - während Aquilius mit dem Aurelier sich vergnügte - blanker Hohn in seinen Gefilden, in seinem Gefängnis, in welchem in ehelichen Ketten er lag.
    "Wie ist dein Name?"
    Es geschah dieser Tage nicht mehr oft, dass Gracchus sich herabließ, den Namen eines Sklaven zu eruieren, doch jene, welche er dem Archiv im Inneren seines Gedankengebäudes hinzu fügte, vergaß er niemals, ebenso wenig wie deren Träger.

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  • Schätzungsweise waren die Worte des Flaviers ein Kompliment, auch wenn er eine sehr komplizierte Art hatte, sich auszudrücken. Nicht nur ein Kompliment an Straton selbst, dessen Wuchs und Gestalt seinem Gegenüber zu gefallen schienen, sondern auch an seinen Herrn. Wie nahe mochten sich Flavius Gracchus und sein Herr stehen? Es war kaum zu übersehen, was diesen Mann bewegte, denn sein Verhalten bisher war fast eindeutig gewesen. Entweder er wusste ein attraktives Äußeres mit dem Auge eines Genießers wohlgeratener Formen zu schätzen, oder er schätzte es und liebte es zudem, sich daran auch physisch zu ergötzen. Eher zweiteres, zu diesem Schluß kam Straton im Klang der Stimme dieses Mannes, der fast amüsiert, fast enttäuscht zugleich wirkte.
    Wünschte er sich, er hätte ihn berührt? Für einen flüchtigen Moment ertappte sich Straton bei einem Gedanken, den er schon lange nicht mehr gewälzt hatte. Das Liebesspiel unter Männern hatte eine ganz eigene, andere Qualität als jenes mit einer Frau - und auch Straton kannte die Tradition nur zu genau, die in seiner eigentlichen Heimat, Achaia, noch immer praktiziert wurde, auch wenn sie inzwischen natürlich unter dem römischen Einfluss weniger bedeutend war.


    Es war etwas anderes, die weichen, sanften Rundungen einer seufzenden Frau zu liebkosen als die straffen, muskulösen Formen eines Mannes - und es war Stratons wohlgehütetes Geheimnis, dass er beide Richtungen schätzte, auch wenn er selten diesem Hang nachging. Seine Bedürfnisse hatte er normalerweise gut im Griff, und behielt sie für sich - und es gab auch sonst zumeist genug zu tun, um diese vergessen zu können.
    "Mein Name ist Straton, dominus." Würde sich dieses so ausdrucksarme Gesicht in der Leidenschaft verzerren? Intensiv musterte der Grieche sein römisches Gegenüber, und das Lächeln blieb, so vage und wenig offensichtlich es auch sein mochte. Es musste im Haus einen Sklaven geben, der die Leidenschaft dieses Mannes mit lebte, anders konnte er es sich nicht vorstellen, und es würde sicherlich interessant werden, diesen herauszufinden. Am einfachsten würde es sein, in Flavius Gracchus' persönlichem Umfeld zu beginnen. Seine ohnehin stets latent vorhandene Neugierde war geweckt...

  • Die starre Haltung des Sklaven gefiel Gracchus, auch die Zurückhaltung, das Wissen darum, wo sein Platz war.
    "Straton"
    , repetierte er den Namen, gedehnt, ließ dabei das r genießerisch in seiner Kehle rollen. Ein harter Klang mit einem weichen Ende, allfällig passend für jenes kantige Gesicht vor ihm, denn womöglich würde auch dieses in einer weichen Umarmung enden.
    "Nach Straton, dem Physiker, welcher sich der Beschleunigung fallender Körper widmete? Nun denn, Straton, Erbstück des Caius, merke dir, dass Körper sich nicht nur dann beschleunigen, wenn sie im Fallen inbegriffen sind."
    Mit einem subtilen Lächeln wandte Gracchus sich ab, denn dieser Tag war nicht dazu angetan, ihm physikalische Geheimnisse zu entlocken, noch jenem Sklaven andere Dinge. Ohne sich noch einmal zu gestatten, zu Straton sich hin umzudrehen, setzte Gracchus seine Wandlung durch den Garten fort, in Gedanken lange noch bei dem überaus delektablen Körper verweilend, doch einen weiten Bogen um jenes Areal schlagend, in welchem er womöglich weiter würde verharren. Die Welt war ohnehin bereits mehr als genügend kompliziert und bevor er Caius um einen solchen Gefallen konnte oder wollte bitten, musste erst mit ihm er ins Reine kommen, der Zorn ob des Aureliers wegen sich in ihm legen.

  • Mit diesem Flavier hatte der Grieche wohl einen Meister der Vieldeutigkeit kennengelernt - aber vielleicht war es auch das, was ihn am Austausch von Worten überhaupt reizte. Sie waren so vielseitig. Manchmal ergaben sie sich der Notwendigkeit, manchmal waren sie schlichtweg nützlich und manches Mal offenbarten sie tausend und eine Möglichkeit, Tatsachen zu betrachten und sich sehr viel mehr noch unter bloßen Tatsachen vorzustellen. Erbstück des Caius. Zumindest in einem war sich Straton jetzt sicher - dass zwischen seinem Herrn und diesem Mann eine Verbindung bestehen musste, das praenomen des Aquilius wurde selten genug benutzt. Welcher Art die Verbindung war, musste noch herausgefunden werden, aber dafür würde sicher Zeit sein und bleiben. Letztendlich verrieten sich alle Menschen irgendwann, man musste nur genug Geduld aufbringen, darauf zu warten, dass es geschah.
    "Wie es die Gelehrten sagen, bedarf es für den Beginn einer Bewegung doch meistens eines Willens," antwortete der Grieche gelassen und blickte dem Flavier nach, der sich gemessenen Schritts in Richtung des Garteninneren entfernte. Eine durchaus amüsante Begegnung, stellte Straton für sich fest und wandte sich nun der villa zu, um weiteren Aufgaben nachzugehen, die sicherlich niemals geringer würden, auch wenn sie es ihm bisweilen möglich machten, sich an der Schönheit der Umgebung zu delektieren.


    - finis -

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