Peristyl | Periculum in mora

  • Der Wahlkamof war vorüber, das Gespräch im hortus mit Aurelius Corvinus ebenso, bei dem so einige Dinge geklärt worden waren - und jetzt kam jenes Gespräch, vor dem ich mich am ehesten noch gefürchtet hatte. Was heisst gefürchtet - mir war hundeelend bei dem Gedanken, ihn verdächtigt zu haben, so voller Schmerz und verletztem Gefühl gewesen zu sein, anstatt ihm zu vertrauen. Andererseits, im Grunde gab es auf der Ebene des Gefühls zwischen uns fast nichts mehr, was nicht ohnehin bereits ausgesprochen worden war, und ich wusste sehr genau, wie weit ich überhaupt gehen durften und ab wann es meinen Schwur berühren würde, in einer Weise, in der die Götter mich strafen würde, wenn ich ihn brach.
    So war es vielleicht auch verständlich, wieso ich dieses Gespräch vor mir hergeschoben hatte, so gut ich konnte, nur um mich dann doch zu überwinden. Mein Wahlsieg - die Spatzen piffen es in Rom überall von den Dächern, solche Beschlüsse des Senats blieben selten geheim - bedurfte einiger Besprechung, und im Grunde war mir auch danach zu feiern, auch wenn ein anderer Teil in meinem Inneren davon abriet. Unsere letzte Feier war eine Weile her, und im Grunde hatte sie die alte Wunde keinesfalls geheilt.


    Diese eine Nacht bei ihm gewacht zu haben, hatte mir die nächsten Nächte Träume beschert, die von so heftiger Intensität gewesen waren, dass ich jeden Morgen vor Bridhe aufgestanden war, um mich zu erleichtern - und ich wusste nicht, wie lange dies alles noch gehen konnte, ohne dass einer von uns zerbrechen würde. Den Gedanken beiseite schiebend, hatte ich Straton ermitteln lassen, wo sich in der villa mein Vetter Gracchus aufhielt und hatte mich schließlich auf den Weg gemacht, ihn im peristylium aufzusuchen - es wunderte mich nicht, ihn dort anzutreffen, denn er gehörte zu den Menschen, die sich ihre Gedanken an bestimmten Orten erleichtern ließen, und wie ich es erwartet hatte, fand ich ihn auch dort vor, auf einer cline ruhend, mit einer Schriftrolle in der Hand, in welcher er las. Er sah so friedlich aus, so vollkommen friedlich, dass ich ihn hätte stundenlang ansehen können, einfach nur, um in seinem Anblick zu versinken, wie ich es auch in jener Nacht getan hatte. Ein tiefes Gefühl von inniger Zärtlichkeit stieg in meinem Inneren auf, als ich ihn so sah, und ich bracht es fast nicht übers Herz, ihn aus seiner Lektüre zu reißen - was auch immer er da las, es schien ihm zumindest eine gewisse Entspannung zu verschaffen.
    Schließlich räusperte ich mich doch noch. "Salve, Gracchus ... hast Du vielleicht ein paar Augenblicke für mich Zeit? Ich will Dir Deine Lektüre nicht verderben, aber ich fürchte, ich werde in den nächsten Tagen wohl von meinen neuen Pflichten überrollt werden .."

  • Erst kürzlich war Gracchus über das Werk des Epiktet gestolpert, eines zeitgenössichen Philosophen, welcher einst als Sklave von Nero selbst ob seines hohen Sinnes war freigelassen worden, und dieser Tage in Nikopolis in Achaia eine eigene Schule der Stoa führte. Nicht die Dinge an sich beunruhigen den Menschen, sondern seine Sicht der Dinge - jener Satz des Epiktet hatte Gracchus' Innerstes zum Erzittern gebracht, seine Sinne in eine feine Schwinung versetzt, so dass er Sciurus hatte ausgeschickt, um eine Kopie der Schriften jenes Philosophen zu besorgen. So kam es, dass kurz bevor Aquilius ihn aus seinen Studien riss, er tief in das encheiridion, das Handbüchlein der Moral, vertieft war, in völliger Faszination sich den dortigen Gedanken widmete und erstaunt war, ob der Simplizität der Wahrheit darin. Nicht hörte er das Herannahen des Vetters, nicht merkte er auf als jener in die Ränder seines Blickfeldes geriet, doch Aquilius' Stimme trug letztlich innerhalb weniger Herzschläge dafür Sorge, dass jegliche Ruhe von Gracchus abfiel und augenblicklich seinen Blick er hob.
    "Caius, salve."
    Wie simpel doch war all jene Theorie, wie diffizil dagegen die Praxis. Seit den Meditrinalia wusste er nicht mehr, was zwischen ihnen war, wusste nicht mehr, ob überhaupt noch irgendetwas zwischen ihnen war, zwischen ihnen konnte sein, denn leer war sein Herz, leer seine Sinne, hin und her geworfen in Desperation und Defätismus, unerträglich der Gedanke, dass die Welt zwischen ihnen nun so war, wie stets sie sein sollte.
    "Meinen Glückwunsch zum Wahlsieg, mein Freund. Niemand hat mehr ihn verdient denn du. Die Chancen stehen indes sehr gut, dass dir ein Amt als Tresvir capitalis zuteil wird, wie den Senat du batest."
    Mit einer lockeren Handbewegung deutete er auf eine der Klinen.
    "Setze dich, du weißt doch, für dich habe ich immer Zeit."
    Gefangen in einer Farce besonders intensiven Ausmaßes, schlimmer noch als jene in Bezug auf seine Gattin, sah Gracchus augenblicklich sich selbst. Es drängte ihn danach, Aquilius mit wüsten Beschimpfungen zu überschütten, ihn anzuklagen, ihn zu flehen, ihn aus dem Leben zu nehmen auf dass kein anderer Teil seiner selbst konnte werden. Es zerfraß ihn, quälte ihn, doch all dies begrub er tief in sich, wie stets jedes Verlangen hinsichtlich seines Freundes, hob stattdessen die Schriftrolle ein wenig an.
    "Eine äußerst interessante Lektüre. Ist dir Epiktet ein Begriff? Er betreibt eine philosophische Schule der Stoa in Epirus. Höre dies."
    Den Kopf beugte er ein wenig, suchte einige Sätze nach vorn und begann sodann, langsam und betont, zu zitieren.
    "Der Begierde aber enthalte dich vorderhand gänzlich. Denn begehrst du etwas, was nicht in unserer Macht ist, so musst du notwendig das Glück vermissen; von dem aber, was in unserer Macht ist und was zu begehren sich ziemt, weißt du einstweilen noch nichts. Bei allem Begehren und Verabscheuen wende dich nur sanft und gelassen ab und zu."
    Als seinen Kopf er wieder hob, ein wenig schief ihn legte, den Blick seines Vetters suchte, ließ nichts an seinem Antlitz erkennen, welche Intention hinter seinen Worten lag jenseits dessen, sein Gegenüber teil haben zu lassen an philosophischer Erkenntnis, und doch war er sich dessen gewahr, dass Aquilius genau darum wusste - noch immer, vielleicht sogar mehr denn je.

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  • Die Stoa. Epiktet. Was für eine jammervolle Art, sich den Abend zu verderben - aber diesen Gedanken sprach ich bei weitem nicht aus. Die Stoa war eine angesehene Richtung der Philosophie, seit Cato sie einst zu Caesars Zeiten vehement vertreten hatte, und auch wenn ich mich selbst diesem Weg so fern fühlte wie sonst noch etwas, es war eine durchaus logisch durchdachte und sicherlich für so manchen Menschen sehr wohl passende Lehre. Aber für meinen Manius, in dem sehr wohl die Leidenschaft noch lebte, auch wenn er sie stets einkesselte und der Welt vorenthielt, konnte doch die Stoa nicht der letzte Gedanke sein.
    "Nun, es wäre natürlich angenehm, genau das zu bekommen, was ich mir wünschte - aber ich würde auch jedes andere Amt annehmen und versuchen, es so gut wie möglich auszufüllen, das weißt Du. Letztendlich ist es schon ein gewaltiger Gewinn, überhaupt mit so großer Mehrheit gewählt zu werden, auch wenn ich in Rom noch eher ein unbeschriebenes Blatt war. Es hat mich erstaunt, die meisten Stimmen erhalten zu haben, auch wenn der Vorsprung vor Aurelius Ursus wohl nicht allzu groß war." Auf seine Geste hin setzte ich mich auf die ihm gegenüber liegende cline, wie an einem ganz besonderen Abend vor einiger Zeit. Die Erinnerung wurde so übermächtig, als ich ihn anblickte, dass sich meine Augen kurz verschleierten und ich blinzeln musste, um wieder klaren Sinns zu sein.


    "Mir sagt Epiktet durchaus etwas, auch wenn ich seine Ansichten nicht teilen kann. Sustine et abstine* - wo bleibt denn da die Freude des Lebens? Das Unberechenbare, das einen bisweilen überfällt, zum Guten oder Schlechten? Würdest Du wirklich auf alles mit gleichmütigem Ernst antworten können wollen, ohne dass Dich etwas tief im Innersten berührt? Was wären wir ohne unsere aussichtslosen Begierden, die einen doch immer wieder antreiben, besser zu werden, höheres zu erreichen, weil wir die Hoffnung nie verlieren, man könnte doch irgendwann bekommen, was man sich wünscht? Denkst Du, ich hätte jemals den politischen Weg eingeschlagen, wollte ich nicht ..." Ich hielt inne, um dann den Kopf zu schütteln und tief einzuatmen. Nein, ich konnte es jetzt nicht sagen, nicht diesen Gedanken weiterführen, der so müßig war. Dass er es war, der meine Triebfeder war, sollte er nicht wissen, es würde ihn wohl doch eher bedrängen.
    "Wie ist es Dir in den letzten Tagen ergangen, Manius? Der Tod Agrippinas hat mich sehr erschüttert, wie muss es Dir erst ergangen sein an jenem dunklen Tag," sagte ich schließlich, um Epiktet als Thematik loszuwerden, diesen deprimierenden Fahnenträger der Begierdenunterdrückung.

  • Als hätte in einen sauren Apfel er gebissen, verzog Gracchus das Gesicht.
    "Oh, Caius, bitte, stelle dein Licht nicht in den Schatten. Ganz Rom kennt dich, und mag dem ein oder anderen womöglich auch dein Name nicht geläufig gewesen sein, so muss doch schließlich der Hinweis auf den Tempel des Mars Ultor überzeugen - denn wer kennt ihn nicht, den Sacerdos Flavius, welcher dort seinen Dienst so pflichtbewusst verrichtet? Unterschätze nicht den Weg des Cultus Deorum. Auch wenn keine großen Schlachten du zu schlagen hast, man deinen Namen nicht aus der Ferne vom Triumphzug her kennt, viel einprägsamer sind doch häufiger jene kleinen, persönlichen Begebenheiten, von welchen jene im Tempel wohl zu den persönlichsten überhaupt gehören. Dies ist die Macht des Cultus Deorum, Caius, und sie wird dich noch viel weiter tragen können, wenn du es zulassen wirst."
    Ein wenig glühten Gracchus' Augen bei diesen Worten, selten geschah, dass so offen er über dies sprach, letztlich kräuselte jedoch ein feines Lächeln seine Lippen.
    "Doch vorerst wartet anderes auf dich. Wenn du Unterstützung brauchst, gleich welcher Art, so lasse es mich wissen. Ich weiß, du willst dies alles ohne die Familie schaffen, so dass nie wieder nur eine Person deinen Wert für jene in Frage stellen können wird, doch ... nun, ich hoffe du weißt, dass mich du ob dessen nicht zu überzeugen brauchst und so ich dir helfen kann, wird niemand sonst dies wissen müssen."
    Was wären sie ohne ihre aussichtslosen Begierden, was wären sie, ohne dass je etwas sie tief im Innersten berührte? Bisweilen glaubte Gracchus, dass dann sie könnten glücklich sein, dass dann die Welt wäre angefüllt mit simpler Wahrheit und Harmonie, denn was noch würde dann sie aus dem Gleichgewicht bringen können? Gleichsam wusste er nur zu gut, dass auch dies nur Wunsch war, vielleicht sogar Trug. Den politischen Weg hatte sein Vetter eingeschlagen, um seinen Familienzweig von jedem Makel rein zu waschen - dessen war Gracchus sich sicher -, doch war dies so viel besser denn alles Gefühl von sich zu weisen, war dies so viel besser, am Ende jener Jagd nach Pflicht der Exhaustion zu verfallen? Zerstörte nicht dies sie gleichermaßen wie die vergebliche Hoffnung dies tat?
    "Der Tod der virgo vestalis maxima, jener Mord, dies ist eines der schlimmsten Geschehen, welches Rom je hat treffen können. Die Menschen sind verunsichert, und wer kann dies ihnen verdenken? Schon immer wurde in dieser Stadt gemordet, doch nie auf eine solche Art und Weise. Was ist nur los mit dieser Welt, Caius? Wie konnte nur je es so weit kommen? "
    Durchbohrend war sein Blick, desperat und flehentlich zugleich.
    "Wieso, Caius, wieso?"

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  • Ich streckte meine Beine gemächlich auf der cline aus und blickte Manius still an, während er sprach - mein Bekanntheitsgrad durch die Arbeit im Tempel war mir nie bewusst gewesen, letztendlich gab es viele Priester dort und ich war nur einer innerhalb einer Menge anderer. Gut, ich war einer der jüngsten Marspriester, und auch einer der schlanksten und athletischsten, aber in der Politik zählte es nicht, ob man einen dicken Bauch von den ganzen Opfergaben hatte oder nicht. Da sollten andere Dinge zählen, und so tat ich seine Worte mit einem leichten Schulterzucken ab.
    "Diese Macht des cultus deorum scheint weitaus geringer zu sein, als Du sie Dir vorstellst. Tag um Tag kommen die Menschen, um für ihre Verwandten zu beten, die im Krieg sind - aber kamen so viele ohne den Krieg? Nein. Haben wir genug Nachwuchs für die vielen Priesterstellen, die benötigt werden, um Rom versorgt zu halten? Nein. Ich sage Dir, der cultus deorum ist ein ausgehöhltes Konstrukt, und es wird in sich zusammenstürzen, früher oder später, wenn die Menschen nicht von sich aus lernen, den Göttern Respekt zu erweisen, wie es sich gehört. Wenn sie endlich lernen, auch in Zeiten des Überflusses zu opfern, in Zeiten des Friedens, und nicht immer aus der Not heraus."


    Kurz mahlten meine Zähne aufeinander, denn dieses Thema trieb mich allzu schnell und allzu oft in einen sinnlosen Zorn, den ich nur mit dem Willen bekämpfen konnte, mich nicht hinreißen zu lassen, und ich musste einige Male tief durchatmen, damit ich meine Beherrschung wiedergewann. Dass er mir wieder seine Unterstützung zusagte, ließ mich kurz lächeln, und ich neigte dankend den Kopf.
    "Du kannst Dir sicher sein, dass ich Dich immer fragen werde, wenn ich der Hilfe bedarf, Du hast in den öffentlichen Ämtern Erfahrung, Du bist Senator .. und Du bist der einzige in diese Familie der Hyänen, dem ich anvertrauen würde, vor einem Problem zu stehen, wenn es sich ergibt."
    Und dann ... dieser Blick, diese Verzweiflung in seiner Stimme, eine so sorgsam dosierte Verzweiflung, nur ein kleiner Hinweis auf das Leid, das er ebenso zu ertragen hatte wie ich selbst, aber doch genug, dass ich sehr genau wusste, dass es nicht nur um Aquilia ging, sondern auch noch um etwas anderes. "Diese Welt ist verrückt, Manius, das war sie immer, und dass es auf diese Weise zutage tritt, kann nur eine Warnung sein, ein Hinweis, dass etwas zu ändern ist, das wir bisher noch nicht bedacht haben."


    Und doch ... was hatte ihn denn noch mehr verzweifeln lassen? Diesen Blick ertrug ich nicht, er musste gehört haben, dass es einen Streit gegeben hatte, als mich Corvinus besucht hatte, und auch von dem zerstörten Tisch mochte er erfahren haben ... was, wenn ihn dieser Streit dauerte, wenn doch etwas zwischen ihm und Corvinus gewesen war, das nur nie zur Entfaltung gekommen war? Die Bitterkeit stieg in meinem Innersten so jäh auf, dass ich den Impuls unterdrücken musste, mich abzuwenden.
    "Manius .." sagte ich, glitt von der cline und ging vor der seinen in die Knie. "Ich bitte Dich, ich muss Dich etwas fragen. Beantworte es mir, oder beantworte es mir nicht, aber ... ich ertrage das nicht länger, es nicht zu wissen. Nur zu ahnen, zu vermuten, diesen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen. Ich ... ich kann ... ich muss damit leben, dass ich Dich nicht haben kann, aber der Gedanke, ein anderer hätte Dich ... erreichte Dein Herz, Dir das schenkend, was ich nicht schenken darf ... er zerbricht mich. Ich will Dir nicht misstrauen, ich hasse mich dafür, dass ich überhaupt vermute, dass da etwas sein könnte, ich ..." Wieder brach ich ab, ruderte im Überschwang des sich entwickelnden Gefühls. "Manius, bitte ...sage mir ... gibt es etwas zwischen Dir und Aurelius Corvinus?"

  • Ein wenig verbittert klang Caius ob der Arbeit im Cultus Deorum, und wahrlich verübeln konnte auch Gracchus ihm dies nicht, denn zu genau wusste er selbst, dass manches dort mehr Wunsch denn Wahrheit war, obgleich er auch dort wie in so vielen Bereichen das Talent hatte, die negativen Seiten der Fakten weit in den Hintergrund seiner Wahrnehmung zu drängen. Manches mal jedoch gelang dies ihm nicht, so dass bereits er inbegriffen war, seinen Vetter ob dessen Ausdrucksweise in Bezug auf die Familie mit einer Rüge zu belegen, doch die weiteren Worte dessen ließen ihn verstummen, noch ehe seine Stimme erklungen war, ließen ihn aufhorchen, da Aquilius sich bereits anschickte, sich zu erheben. Mehr noch wuchs seine Derangierung, als sein Vetter nicht etwa aufstand, sondern tiefer noch sich hinab ließ, bis dass seine Knie den Grund des Bodens berührten. Aquilius' Worte streiften Gracchus' Verstand, ohne dass jener sie zu ordnen wusste - ertragen, wissen und vermuten, damit leben, ein anderer, Herz, zerbricht, misstrauen, hassen - doch jener Sinn, zu welchem die einzelnen Splitter sich letztlich verbanden, dies war zu deutlich an dem, was er bereits hatte gewusst, doch nicht beweisen konnte, was er seit der Feier im Hause der Aurelia gefürchtet hatte. In die Ecke gedrängt fühlte er sich, rückte ab auf der Kline, fort von Caius als wäre dieser von einer Seuche befallen, bis die Kante der Liege er hatte erreicht, stand auf ohne seinen Blick von seinem Freund, seinem Geliebten - noch immer - abzuwenden. Doch seine Miene war hart - nicht würde eine Blöße er sich geben, nicht auf diese Art und Weise -, seine Kiefer pressten sich aufeinander, seine Nasenflügel erbebten für kurze Zeit, bevor fervent er sich ereiferte.
    "Mit solch despektierlichem Blicke also siehst nur mehr du mich, als devastierenden Denunzianten eurer Liaison? Glaubst wahrlich, ich würde zwischen euch mich drängen? Diese Insinuation ist absurd, allein der Gedanke eine Invektive! Oh, Caius, wie kannst du nur? Ist es deswegen, weshalb du mir dies verschwiegen hast? Ich habe geglaubt ... ich habe ... warum kannst nicht einfach du in den Betten der Frauen verweilen? Warum musst du mich fortwerfen wie eine deiner zahllosen unbedeutenden Liebschaften?"
    Er wandte sich ab, als die Desperation ihn zu überwältigen drohte, hob eine Hand, um die Schläfe sich zu reiben, seine Stimme verlor an Härte, an Stärke.
    "Ich habe immer geglaubt, dies wäre etwas besonderes. Du und ich ..."
    Langsam ließ er sich nieder sinken, zurück auf die Kline, ein freudloses Lachen echappierte seiner Kehle.
    "Ich weiß, ich habe dies zerstört und mehr als einmal habe ich beteuert, dass dein Glück mir zum Glücke gereicht. Nun da dein Glück greifbar ist, will mein deplorables Los ich tragen, doch ..."
    Er wandte den Kopf, suchte den Blick seines Vetters erneut.
    "Doch dass du glaubst, ich könnte dies zu zerstören suchen, dass nicht du mir vertraust ... oh, Caius, wie konnte nur es so weit kommen? Du, nur immer du, bist der einzige Mann, den jemals ich zu begehren mir gestattete, der einzige Mensch. So du nicht ..."
    Betrübt schüttelte er den Kopf, verloren in seiner Desperation, verloren in seinem Satze, an dessen einziges Ende die Einsamkeit wartete, denn so Caius nicht für ihn erreichbar war, nicht erreichbar sein durfte, so wollte Gracchus keinen anderen Mensch je mehr begehren, da diesem niemals er gänzlich sich würde können ergeben und so ihn nur würde defraudieren.

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  • Ein jedes Wort traf mich wie ein Schlag, und ich kniete noch immer auf dem Boden, unfähig, mich zu rühren, unfähig, irgend etwas zu sagen, irgend etwas zu tun, ich konnte mich nichteinmal verteidigen ob dieser so ungewöhnlichen, so seltsamen Anschuldigung, die nur sehr langsam, aber dafür stetig durch das dumpfe Stück Schmerz drang, welches mich mit einem Mal wieder so heftig umgab, dass ich glaubte, daran ersticken zu müssen.
    Mein fassungsloses, über alle Maßen erstauntes, fast erschrockenes Gesicht musste ihm wohl auch noch seine Worte, seinen falschen Glauben bestätigen, und doch war ich unfähig, auch nur einen Funken des Zorns herauszupressen, denn aller Zorn war vergangen, verraucht, seit ich mir in der Laube des Felix Luft gemacht hatte.
    "Das kannst Du nicht wirklich glauben, Gracchus, das kannst Du nicht gedacht haben von Corvinus und mir," flüsterte ich schließlich tonlos. "Er ist mein Freund, Manius, der einzige Mensch, den ich so zu nennen vermag außer Dir, aber er war mir niemals mehr als ein Freund, und ich wünsche mir dies auch nicht. Glaubst Du denn wirklich, ich könnte einen Mann lieben wie ich Dich liebe? Viele Frauen haben mein Bett geteilt, und es werden wohl auch weiterhin viele Frauen sein, aber ..."


    Ich schüttelte langsam den Kopf. Das konnte nicht wahr sein, es durfte einfach nicht wahr sein. Hatte er etwa dies die ganze Zeit mit sich herumgetragen? Genau wie ich meinen Schmerz still vor mich hin kultiviert hatte ... deswegen auch seine Reaktion bei Aquilias Tod auf den Stufen des Vestatempels. Dieses stille Abwenden, der stumme Schmerz in seinen Augen, den ich nur für Trauer gehalten hatte. "Manius, hör mir zu! Es gab einige Momente, in denen ich in Versuchung war bei ihm, und ja, ich hätte wohl sicher Vergnügen darin gefunden, ihn zu kosten, damals war er an der Schwelle vom Knaben zum Mann. Das ist Jahre her! Jahre, hörst Du? Inzwischen sind wir Freunde, und diese Frage hat sich mir niemals wieder gestellt wie sie es damals tat. Ich konnte damals schon nicht weiter gehen als bis zu einem einzelnen Kuss, und auch damals schon warst Du mir so im Herzen, dass es niemals irgend jemand sinst hätte füllen können. Ich habe niemals in den letzten Jahren einen Mann auf meinem Lager gehabt, nicht einmal einen Sklaven - ich habe keinen Sciurus und ich will auch keinen. Wenn ich Dich nicht haben kann, Manius, dann will ich keinen Mann, keinen Menschen sonst lieben ..." Die Stimme wurde mir schwer, die Worte quälten sich nur so hervor, hinterließen ein kratzendes, schmerzvolles Echo in meiner Kehle.


    "Ich habe damals geschworen, nach unserem letzten Streit, ich würde Dich niemals gegen Deinen Willen berühren, niemals, wenn Du es nicht wünscht, und bei Iuppiter, wie schwer fällt mir dieser verdammte Schwur, eine Kette ist er, an der ich mich irgendwann strangulieren werde ... und doch ... doch gehöre ich niemandem außer Dir, und nur Dir," krächzte ich und dann konnte ich ihn nicht einmal mehr ansehen, stützte mich mit einer Hand auf die Kante seiner cline und starrte zu Boden, ohne dass sich Tränen lösen wollten, ohne dass irgend etwas hätte geschehen können, das mir den dicken, schmerzvollen Kloß im Hals auflöste.
    "Eher würde ich mich selbst wegwerfen als Dich," flüsterte ich tonlos, und mehr zu mir. Vielleicht wäre es damals besser gewesen, ich hätte es getan, den Flug ins Nichts angetreten, diesen letzten Schritt, diesen Schritt, der die Verzweiflung beendet hätte. "Ich sah euch zusammen, so vertraut, seine Hand auf Deiner Schulter, Manius, und ich dachte, ich ... ich fürchtete, es wäre geschehen ... nichts hätte ich Dir mehr gewünscht als ein bisschen Glück, und doch ... ich konnte nichts anderes als daran zu denken, immer nur an diese Hand auf Deiner Schulter. Ich hätte ihn umbringen können an diesem Tag, und ich hätte es fast getan."

  • Mit jedem einzelnen Wort, welches durch das Peristyl drang, geriet die Welt mehr und mehr aus den Fugen, wurde verwirbelt, verwischt bis dass letztlich nur eine diffuses Wirrnis aus Farbschlieren blieb, eine undurchdringlich, indifferente Masse, verhedderter Gedankenwust, Absenz der Struktur, heillos graufarbenes Durcheinander. Jeglicher Sinn, welcher so deutlich sich hatte ergeben, verblasste mit einem Male, verrauchte wie ein Korn Weihrauch im Tempel, verdampfte dem kochendem Wasser der heißen Quellen Baiaes gleich, unsinnig mit einem Schlag, Lug und Trug.
    "Aber"
    , setzte Gracchus an, ohne noch zu wissen, wohin sein Einwand ihn sollte führen, denn ebenso wie die Welt schienen auch seine Gedanken ein einziges Chaos zu sein, undurchdringlich und fahl.
    "Das Theaterstück, die Parodie ... hast nicht selbst du gesagt, dass du dies warst, welcher dort dem Aurelius folgte?"
    Dies alles war so luzid ihm erschienen, so klar und persuasiv - die Freundschaft Caius', welche Gracchus vor der Welt kaschiert erschienen war, die Besuche des Aureliers, von welchen nur durch seinen Sklaven er erfahren hatte, die Klandestinität ihrer Beziehung, das Theaterstück - all dies hatte sich so furchtbar wahr angefühlt - und sollte nun alles Irrtum sein? Gracchus' Schultern sanken herab, eine merkwürdige Lethargie ergriff von ihm Besitz, nicht, da Aquilius ihm gleichgültig war geworden, sondern da jegliches Gefühl von ihm abfiel, von welchem er nicht mehr wusste, ob dies gerechtfertigt war, so dass nichts mehr übrig blieb außer dem stetigen, leisen Sehnen, da sonstig keines Gefühles mehr er sich konnte sicher sein.
    "Mit einem Male schien mir alles so deutlich, dass ich letztlich mich gar fragte, wie nur so blind ich hatte sein können. Ist es wahr, dass so weit wir voneinander entfernt leben, dass diese Freundschaft mir in solchem Maße verborgen blieb?"
    Doch wie konnte, wie sollte er an den Worten seines Vetters Zweifel hegen, da letztlich dies Wort ihm mehr galt als die Wahrheit selbst?
    "Dass er dort war, war einzig Zufall. Als die Nachricht mich erreichte in der Regia war dies vom Mord an einer Vestalin und obgleich dies bereits als furchtbarer Frevel mir galt, so hatte mit keinem Gedanken ich an die virgo vestalis maxima gedacht, nicht an meine Schwester. Noch in ihrem Tode war nichts an ihr von Schuld, ihr weißfarbenes Kleid war verziert mit makellos rotfarbenen Punkten und Schlieren, ihr Gesicht ruhte in friedlichem Lächeln, umrandet von ihrem eigenen Blut, schimmernd im Licht des Tages, von einer feinen Membran der Gerinnung überzogen, in tiefem, dunklen Rot, überall auf der marmornen Treppe, so unwirklich wie ein Traum, ein Bildnis aus einer anderen Welt, einer Welt fern dessen, was konnte sein, was durfte sein. Ich verlor mich in dieser Welt, verlor mich selbst in der Realität, war gekommen, um Ordnung zu schaffen, doch versank ich allmählich in meinem eigenen Chaos, wusste nicht mehr, was zu tun war, wusste nichts zu sagen, nichts, nicht einmal der Fluss ihres Lebens konnte noch mich berühren ... In all der Derangierung war Aurelius der einzig noch bekannte Fixpunkt dieser Welt. Ich kenne ihn nicht sonderlich gut, während einer cena bei Senator Tiberius wurde er mir vorgestellt, während der Meditrinalia wechselten nicht mehr wir als Höflichkeitsfloskeln, und doch stand er mit seinem Namen, seiner Person und seinem Rang als Magitrat für Rom, für Ordnung. Ich war meiner Contenance beraubt, Caius, fern von gravitas und dignitas, ferner als je zuvor in Öffentlichkeit, blamabel im Nachhinein betrachtet, doch nichts anderes blieb mir in diesem Augenblick, als um seine Hilfe zu bitten. Das einzige, was miteinander wir teilten, war dieser Moment der Schwäche und ... ich wünschte, es wäre mehr, denn wo auch immer ich ihm werde begegnen, mit der Erinnerung an dies wird in seinem Angesichte nur mehr quälender Scham ob dessen in mir erwachen."
    Vorsichtig hob er seine Hand, schob zögerlich sie zum Kopf seines Vetters, zauderte nur einen marginalen Augenblick, bevor er diesem durchs Haar fuhr knapp über dem Ohr.
    "Wenn du es sagst, Caius, so glaube ich dir, denn wenn dies uns verloren ist, so mag nichts mehr es geben, was des Lebens wert wäre."
    Langsam beugte er sich vor, legte seinen Kopf an den Aquilius', seine Wange an dessen weiches Haar, sog den Odeur des Vetters ein, schloss die Augen, seine Stimme nur mehr ein Flüstern.
    "Eines Tages werden wir beide hängen, verbunden durch die Kette, an deren Ende je einer von uns mit seinen Kopf in der Schlinge baumelt. Und doch, welches Sterben könnte schöner sein, als jenes verbunden mit dir? Ich kann dem nicht länger Stand halten, Caius, ich will es nicht, denn wir zerstören uns selbst, ich kann nicht mehr in Arbeit mich flüchten, nicht in eine miserable Ehe, nicht in Pflicht. Uns Flaviern ist augenscheinlich kein langes Leben beschert, was, wenn du der nächste bist, wenn ich der nächste bin, wenn all dies mit einem Schlag endet, einem Schiffsuntergang, einem Unfall, einem Mord? Es kann nicht falsch sein, Caius, was mit solcher Intensität sich an zieht, dies muss zusammen kommen, denn die fortwährende Spannung führt nur zu Disharmonie im Gefüge, bis dass letztlich alles zerreißt, in seinem Rückschlag mehr devastieren wird, als je das Aufeinanderprallen könnte vermögen. Es muss einen Weg geben, Caius, sag mir, dass es noch einen Weg gibt, bevor dies alles zerreißt, zerbricht, und nichts mehr von uns bleibt als Tausende Splitter, welche im Winde verwehen."

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  • "Dieses verdammte Theaterstück ..es hat sich doch letztendlich nur über alle lustig gemacht, die anwesend waren, Dich und mich eingeschlossen - dass meine Rolle mit Corvinus und dessen Mündel schließlich davon ging, war wohl eher eine Parodie meines großen Appetits auf Frauen denn ein ernster Hinweis, denn ... diese Seite meiner Vorlieben behalte ich für mich. Und, wie ich ganz sicher weiss, lag auch Aurelia Prisca noch nicht auf meinem Bett, und das hast Du schließlich auch nicht vermutet!" gab ich mit einem leichten Schnauben zurück. Wenn mir jemals dieser Kerl unter die Finger geriet, der dieses unsägliche Stück verbrochen hatte, würde er sich rechtfertigen müssen, soviel war sicher! Und das sicher nicht nur einmal. "Ich habe so einige meiner Züge in diesem Stück erkannt, ja, und dennoch, wäre es wirklich bösartig gemeint gewesen, hätte es eine Beziehung thematisieren wollen, glaubtest Du nicht, die Hinweise wären weniger zart gewesen?" Dieses Stück hatte ihn wahrhaftig verleitet - jetzt wurde mir auch nach und nach klar, wieso er so reagiert hatte an jenem Abend, er musste wohl die ganze Zeit geglaubt haben, ich hätte mich längst Corvinus zugewandt ... es war doch zu deplorabel, das alles.


    "Was diese Freundschaft anging .. sie lebte erst wieder auf, als Corvinus aus Germania zurückkehrte, nach seinem Militärtribunat, und im vergangenen Jahr, als er decemvir litibus iucandis war, haben wir uns nicht sehr oft gesehen, genauso wie wir beide, Manius. Sollte ich die wenigen Stunden, die uns bisher gemeinsam blieben, mit Worten über meinen Freund verbringen? Es gab anderes zu sprechen, und wenn ich Dir bisher nicht vieles von dieser Freundschaft erzählte, so liegt es nicht an böser Absicht, sondern an dem stillen Wunsch, sie dir so angenehm und leicht wie möglich zu gestalten, ohne dass irgendwer sonst tangiert wird," fügte ich schließlich langsam hinzu, die Worte blieben eine Weile schwer und dräuend über uns im Raum kleben. Leiser wurde ich, die Intensität meiner Worte nahm ab, denn im Grunde war es nicht mehr wichtig. Ich war so unendlich erleichtert, nun auch von ihm gehört zu haben, dass da nichts war, dass sie sich kaum kannten, und ich glaubte auch nicht, dass mich beide anlogen, dafür war sein Schmerz gerade viel zu echt gewesen. Ein vages Zittern, kaum mehr als ein unterdrücktes Beben, überlief mich, als seine Hand mein Haar berührte, brennend intensiv, als könnte er damit in die Tiefen meiner Seele greifen.


    "Manius ..." flüsterte ich, als ich seine Worte wahrnahm, und dann endlich hörte, verstand, was er damit sagen wollte. Ein zweites Mal an diesem Abend war ich atemlos, nicht fähig, zu antworten, mich zu rühren, gefangen zwischen jäh empor flackernder Hoffnung und doch der ewigen Hoffnungslosigkeit, die mir mit leisen Stimmen einflüsterte, wie sinnlos es war, zu hoffen, wie aussichtslos es war zu sehnen. "Es gab immer einen Weg, immer. Wir sind durch so vieles gegangen, Manius, so vieles haben wir gelitten, und wir haben immer ... irgendwie ... versucht, die Traditionen zu achten, die Moral zu wahren, die Schwüre zu achten, die wir sprachen. Ich weiss nicht ... wie dieser Weg aussehen kann. Ob er leicht ist, weiss ich auch nicht. Ich weiss nichts in dieser Welt, nur ... dass Du derjenige bist, für den ich sterben würde, damit Du lebst." Langsam nur hob ich den Blick noch etwas mehr an, sah in seine Augen, versuchte mich dessen zu vergewissern, dass er die Worte eben wirklich ausgesprochen hatte, dass er nicht scherzte, auch wenn ich genau wusste, dass er sonst selten scherzhaft sprach, ich musste mir sicher sein. "Sag Du es mir, ob es einen Weg gibt, Manius, sag Du es mir .."

  • Für die Dauer eines marginalen Augenblickes suchte Gracchus zu verstehen, was sein Vetter mit dem Einschluss seiner eigenen Person in das Theaterstück wollte ausdrücken, doch es erschien in diesem Moment zu banal, zu nichtig, als dass es von Bedeutung konnte sein. Essentiell war einzig und allein, dass gründlich er sich hatte geirrt in seiner Interpretation des Schlusses, selbst der Einwurf, dass er ahnungslos war, welche Frauen bereits auf Aquilius' Bett hatten gelegen, dass er dies ohnehin nicht wollte wissen, er gleichsam jedoch sich über keinen Namen würde wundern, war längst obsolet und bedeutungslos. Selbst die Freundschaft zu Aurelius war nicht, was sie schien, getrieben von seiner Furcht Aquilius zu verlieren, getrieben von irrationaler Angst einer Bindung verlustig zu werden, welche nicht einmal wahrhaftig hatte existiert, hatte er Schatten gesehen, wo kein Licht war, sie zu werfen, hatte Rauch er ausgemacht, wo kein Feuer brannte. Scham erwuchs in ihm ob dessen, dass er Caius in solcher Weise hatte misstraut, dass sein Vertrauen in ihn, in seine Freundschaft so hatte leiden können.
    "Stirb nicht für mich, Caius, lebe für mich."
    Die Ernsthaftigkeit seiner Worte spiegelte sich in Gracchus' Augen, denn nie waren Worte ihm ernsthafter, dringlicher erschienen, als jene, die endlich gesprochen werden mussten, da viel zu lange bereits sie im Verborgenen ihrer Freiheit hatten geharrt.
    "Die Tradition Achaias war es, in welcher wir aufwuchsen, die Tradition Roms ist es, welche Vettern und Basen einander weit genug entfernt stellt, so lass uns das beste aus beiden für uns herausnehmen. Wer kann bestimmen, dass dieses Sehnen, diese Zuneigung unmoralisch kann sein, wer kann über diese Moral richten, da das Sehnen in uns so beständig bleibt? Keinen Schwur wirst du brechen, da ich dich darum bitte, nur ich allein, und ich werde dies mit mir tragen bis an das Ende meiner Tage. Per iove lapidem - doch wie könnte Iuppiter mir zürnen, da er selbst jener ist, welcher die Götter liebt? Mein Leben habe ich ihm anvertraut, mein Leben ihm gegeben zu seiner Verfügung, weshalb also nahm nicht er dies Drängen aus mir heraus, wenn ihm dies widerstrebte, weshalb ließ er Tag um Tag es erwachsen?"
    Ein unscheinbares Lächeln zog über Gracchus' Lippen, zögerlich nur, doch existent.
    "Wann hat je es einen Weg gegeben, wenn nicht hier und jetzt? Ihn zu gehen wird nicht leicht sein, denn noch immer bleibt dies eine perikulöse Angelegenheit, und ich weiß bereits jetzt, ich werde jeden Tag aus Furcht vor der Dekuvrierung sterben, doch lieber sterbe ich gemeinsam mit dir, als sukzessive allein zu Grunde zu gehen. Ich ... ich will dich nicht verlieren, Caius ... ich bin bereit ... diesen Weg zu gehen."

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  • Seine Worte ließen mich stocken, und ich musste heftig schlucken, als mir die Ausmaße allein des ersten Satzes schon bewusst wurden. Caius, lebe für mich. So etwas hatte er noch nie zuvor gesagt, auch nicht in Achaia, dort war ihrer beider Spiel und Zusammensein auch noch auf ganz anderer Ebene verlaufen, hatte die verzweifelte, hoffnungslose Komponente, welche über die unerfüllten letzten Jahre gewachsen und gediehen war, nicht beinhaltet. Damals hatten wir noch geglaubt, der Welt unseren Willen aufzwingen zu können, nun wussten wir es besser.
    Ich habe doch nie etwas anderes getan, wollte ich sagen, und sagte es doch nicht, denn in meinen Augen konnte er diese Antwort zweifelsohne genausogut ablesen. Hatte nicht auch Catull offen Liebesgedichte für seinen Geliebten verfasst, den göttlich schönen Iuventius? Noch heute rühmte man den Witz und den scharfen Blick auf die Wirklichkeit, welcher in den Werken des Catull verborgen lag. Es konnte nicht falsch sein, was uns in Jahren erwachsen war, und noch immer lebte, es hatte sich niemals falsch für mich angefühlt. Schmerzhaft, ja, grauenvoll hoffnungslos, auch ja, aber niemals falsch.


    "Vielleicht ist dies Seine Prüfung an Dich, Seinen Diener, Manius, ich weiss es nicht - wüssten wir stets, was die Götter mit den Dingen wünschen, welche sie uns zustoßen lassen, wäre es wohl in vielem leichter zu leben. Vielleicht aber war auch die Prüfung, wie sehr Du zu etwas stehen würdest, das so aussichtslos ist wie unser Gefühl füreinander - auch das wäre wohl möglich, denn auch mir wurde es nie genommen, und ich scheine unfähig, einem anderen Menschen diesen Platz in meinem Herzen einzuräumen, der allein Dir gebührt," sagte ich nach einer Weile nachdenklich, fast leise und hielt seinen Blick, als müsste ich mich darin wiederfinden, genau wie ihn selbst. "Vielleicht ist es auch eine gemeinsame Prüfung, wieviel wir bereit sind zu durchleiden füreinander, durch welche Tiefen wir bereit wären, zu gehen, in welche Höhen wir bereit wären zu streben, ich vermag es nicht zu sagen. Allenfalls ein Opfer könnte uns vielleicht einen Hinweis zu geben, aber darob zu opfern ..." Ich ließ die Worte ungesagt stehen, denn es war unnötig, einem Pontifex meinen Gedankengang darzulegen, er musste ahnen, was ich meinte. Langsam nahm ich seine Hände zwischen die meinen und hielt sie, behutsam, beschützend, für Worte einstehend, die ich schon einmal gesprochen hatte. "Ich will Dein Schwert sein, wenn Du mein Schild bist." "...und wo und wann Du Gaia bist, dort und dann bin ich Gaius."

  • Mochte eine Prüfung es sein, so stand ein Test an ihrem Ende. Die vergangenen Ereignisse, die Familie tangierend, seinen Vetter betreffend, hatten Gracchus ins Wanken gebracht, doch die Erleichterung über den nicht vorhandenen Verlust beflügelte ihn geradezu, beschwingte ihn, dass keine Höhe ihm zu weit schien, sie zu erreichen.
    "Was auch immer es ist, Caius, es ist Zeit für diese Entscheidung, denn nur so kann die Prüfung enden."
    Warm umfassten Aquilius' Hände diejenigen Gracchus', welcher glaubte, eine stille, innere Zufriedenheit in sich hörbar vernehmen zu können - das leiste Knistern des Feuers, ein weiches, rollendes Rauschen gleich Tausender Kiesel am Meer, ein harmonisches Surren und Summen gleich Tausender Bienen in einem sommerlichen Blütenfeld, der ferne Hauch des Abendwindes, seine Symphonie auf Nebelschwaden spielend. Die Furcht war aus ihm gewichen, die Furcht vergangener Tage und Wochen, das Zögern und Zaudern in sich zerfallen, er glaubte an einem Punkt zu stehen, welcher entweder würde sein Ende einläuten oder aber einen Anfang, welcher ergötzlicher nicht konnte sein.
    "Ich will dein Schild sein, wenn du mein Schwert bist."
    Er löste seine Hände und umfasste das Gesicht seines Vetters, welcher noch immer auf dem Boden vor ihm kniete, näherte sich ihm und führte behutsam seine Lippen zu dessen, seine Augen geschlossen für den ersehnten Augenblick, denn mochte die Welt um ihn in sich zusammen stürzen, mochte die Villa in einer Detonation sich ergehen, mochte der Hades sich auftun und sie verschlingen, nichts konnte mehr in davon abhalten, endlich zu delektieren, nach was sein Herz, sein Geist sich seit endloser Zeit bereits verzehrte. Nicht war es die erste Berührung dieser Art zwischen ihnen und doch war es die erste, welche ohne Reue, ohne konkomitierende Selbstanklage und Bedauern sich ereignete, welche keine Hoffnungslosigkeit in sich barg, sondern einen sublimen Odeur von Zuversicht. Verzerrt tanzte der mauvefarbene Schleier vor Gracchus' Augen, ergoss sich in einen schwingenden Fall aus Purpur und Rostrot, Zwischentöne, ostinate Nuancierungen eines sehnsüchtigen, profunden Traumes, in unendlich tiefer Vibration des luziden Augenblickes, welcher schwindelnd ihn zurück ließ zwischen Zeit und Raum.

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  • Vielleicht waren dies die schönsten Worte, die ich jemals in meinem Leben gehört hatte. Ganz sicher aber waren es diejenigen, an die ich wohl mit am meisten zurückdenken würde, wenn ich mich an diesen Tag erinnern würde. Den Endpunkt dessen, was gewesen war, den Anfangspunkt dessen, was sein würde: Ich konnte nicht sagen, wie lange ich gehofft hatte, ohne Hoffnung zu haben, ersehnt hatte, was eine verbotene Sehnsucht war, wissend darum, dass er es sich weder erlauben konnte noch wollte.
    War es wirklich das Ende unserer versteckten Gefühle, die immer wieder um uns gekreist waren, ohne jemals lebendig werden zu dürfen? War dies wirklich der Anfang einer Zeit, in der wir uns ein bisschen Zeit stehlen würden, ohne jene Schuld zu empfinden, die es uns früher unmöglich gemacht hatte? Er hatte Iuppiter einen Schwur geleistet, und auch wenn ich den genauen Wortlaut nicht kannte, so war dies doch etwas, das nicht vergessen werden durfte. Und doch: Es fuhr kein Blitz auf Gracchus hernieder, auch keiner auf mich, und während seine Lippen die Worte sprachen, die ich am meisten von allen ersehnt hatte, sah er glücklich aus. Ich will dein Schild sein, wenn du mein Schwert bist.


    Und dann ... es musste ein Traum sein, das konnte nicht Wirklichkeit sein, nicht so, nicht jetzt - hatten die Götter ein Einsehen mit uns gehabt, dass uns dies geschenkt wurde? Seine Hände waren so warm, so sanft, und erst seine Lippen - es waren die vollkommensten Lippen, die ich bisher gekostet hatte, nicht zu weich, ein klein wenig rauh von den vielen gesprochenen Worten dieses Tages, und es waren seine Lippen, was sie vor allen anderen so besonders machten. Er küsste anders als zuvor, ohne Zurückhaltung, nur dem Moment ergeben, und ich nahm diese Berührung mit jeder Faser meines Leibes in mich auf, genoss sie, als müsste ich sie mir auf ewig konservieren und aufheben, um sie in stillen Stunden wieder hervorzunehmen und zu betrachten. Würde es immer so sein? Meine Lippen fassten behutsam nach, kosteten die seinen, ihn neu schmeckend, neu entdeckend diesen Zwiespalt zwischen der fehlenden, sonstigen Anspannung und doch viriler Gegenwart. Ich erhob mich langsam in diesem Kuss, stützte mich mit einem Knie auf der cline ab, auf der er sich noch befand, und zog ihn dann mit meinen Händen an mich, wie er noch mein Gesicht umfangen hielt, und es war mir im Grunde egal, ob nun irgendwer kommen und uns sehen konnte, oder ob wir ganz für uns bleiben würden - nur er zählte noch, und allein er. Ich hörte seinen Atem, konnte fast das schnellere Schlagen seines Herzens spüren, nahm seine Wärme durch die Kleidung wahr und wusste, dass ich endlich angekommen war.

  • Wie ein Körper bewegten sich ihrer beider Leiber auf die Fläche der Kline zu, eng aneinander gepresst, als würde jeder digitus an Zwischenraum dieser Verbindung ihre Nähe rauben. Doch selbst in dieser endlosen Verlorenheit, im Eintauchen in wallendes Gefühl, konnte nicht Gracchus seinen Verstand gänzlich ignorieren, denn er wusste, dass in dieser Beziehung trotz allem er derjenige müsste sein, welcher die Perikulosität würde im Auge behalten müssen, da Caius sich bedingungslos in jedes Gefühl ergab. Sanft, aber bestimmt, löste seine Lippen er von dessen Haut, drückte den Geliebten von sich.
    "Nicht hier, Caius, trotz allem."
    Er stand auf, zog Aquilius mit sich, fordernd, schob schließlich ihn zu den cubicula hin.
    "Komm."
    Wie auf plüschigen Wolken wandelten sie durch die Gänge der Villa Flavia, welche nach der Rückkehr des jungen Serenus nach Baiae wieder ruhig lagen, manches mal wie ausgestorben gar, abgenagtes Skelett einer längst vergangenen Zeit, doch nichtig diesen Tages. Kein Blick hatte Gracchus für die Umgebung - Ästhetik und Detail, welche ohnehin ihm mehr als vertraut waren - als seinen Vetter er durch die Türe zu seinem Schlafgemach schob, eben jene hinter sich schloss und mit verzücktem Blicke Aquilius in seiner Gänze wurde gewahr. Es drängte ihn nicht nach Eile, nicht nach Hast, mehr nach Genuss und Hingabe, darum fasste er den Geliebten, strich begehrlich ihm über die muskulöse Brust, den Nacken und versank schlussendlich erneut in einem Kuss, noch immer sanft, doch längst fordernd, seine Hände in beständiger Absicht, jeden digitus Aquilius' zu berühren, sich dessen Leib allein durch die haptische Erfassung einzuverleiben, ihn auf einer Art und Weise zu entdecken, welche stets verborgen ihm gewesen war.

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  • Hätte Gracchus nicht auf einem Ortswechsel bestanden, ich hätte mich dessen sicher nicht erinnert - im Grunde wäre es mir herzlich egal gewesen, auch wenn es eine wahrhaftige Gefahr bedeutete, doch verblasste sie unter der allgegenwärtigen, überwältigenden Gewissheit, dass wir etwas taten, das wir uns beide schon eine halbe Ewigkeit ersehnt hatten, das unsere Gedanken oft genug erfüllt hatte und was sich mein Herz mehr als alles andere in dieser Welt ersehnt hatte. Ich hätte auf meinen Wahlsieg verzichten können, auf eine bald zu schließende und sicherlich prestigeträchtige Ehe, auf mein Vermögen, all jene Frauen, die bisher mein Bett geteilt hatten und irgendwann auch wieder teilen würden, aber der einzige Mensch, auf den ich niemals verzichten konnte und wollte, war nun einmal er, und er schien mir plötzlich so nahe zu sein. Dennoch, ich folgte seinem Wunsch, nicht zuletzt wegen des Gedankens, dass eine verschlossene Tür zu seinem oder meinem cubiculum sicher nicht einfach so von irgendwem sonst würde geöffnet werden - glücklicherweise begegneten wir auf dem Weg dorthin niemandem, denn ich war mir sicher, dass man mir mein Glück auf viele Schritt Entfernung ansehen musste.


    Für die Umgebung hatte ich heute keinen Blick, und ich registrierte auch erst, dass dies sein Raum war, als mir die Kargheit dessen bewusst wurde - und mein cubiculum wirkte, egal wie oft Bridhe auch dort aufräumen mochte, durch meinen stetigen Einfluss irgendwie unordentlich - heute allerdings hätte es meinetwegen auch ein bis auf ein Bett leerer Raum getan, es hätte mich nicht gestört. Ich hatte alles, was ich mir gewünscht hatte, und sein zärtlicher wie leidenschaftlicher Blick ließ mich hoffen, dass wir uns eine ganz besondere Nacht schenken würden. Seinen Kuss erwiederte ich, den Mund öffnend, denn ich wollte ihn ganz schmecken, mir ganz vereinnahmen, jedes Quentchen seines Geschmacks wollte ich erkunden, so lange schon hatte ich mir das immer wieder vorgestellt, und jetzt geschah es tatsächlich. Seine Finger, die sich über meinen Leib tasteten, jagten mir heiße und kaltprickelnde Schauder über die Haut, und ich stellte fest, dass ich aufgeregter war als jemals zuvor mit einer Frau, denn dies war neu, neu in dem Sinne, dass ich noch niemals bei einem Menschen gelegen hatte, den ich liebte.


    Ich wollte es nicht falsch machen ... meine Finger fuhren leicht durch sein Haar, zerwühlten es, und mit einer Hand zog ich ihn eng zu mir heran, um zu fühlen, ob ihm dieser Kuss gleichsam durch Mark und Bein ging, ob er dabei bebte wie ich es tat. Jetzt gab es kein Zurück mehr, kein Zaudern, keine Schwüre, keine Entschuldigungen oder Ausflüchte, jetzt war ich sein, und er der meinige. Seinen Rücken mit der Hand entlang fahrend, tastete ich mich hinunter bis zu jener köstlich gespannten rückwärtigen Partie, die sich in meine Handfläche schmiegte und verriet, dass er weit weniger außer Form war, als er immer behauptete, ein Mann, der sich gehen ließ, hatte kein so gut geformtes Gesäß. Genießend hielt ich ihn so, streichelte mit den Fingern über diese so neue, unbekannte Stelle, und für den Moment war ich mir nicht ganz schlüssig, wie es weitergehen sollte - es war einfach so überwältigend, dass es überhaupt passierte, dass mir geistig gesehen einfach der Plan fehlte, nach dem ich vorgehen konnte ...

  • Schauder um Schauder durchzog Gracchus' Leib, durchströmte in wohliger Wärme und prickelnder Erwartung jede Faser in ihm, ließ eintauchen in sehnsüchtiges Verlangen seinen Geist und belegte seine Sinne mit einem Schleier aus purpurfarbenem Dunst. Dass Aquilius tatsächlich dies hatte wörtlich gemeint, dass keinen anderen Mann er je hatte bis zum Äußersten begehrt und genommen, dies lag fern seiner Sinne, selbst des leisen Hauches von Unsicherheit im Bestreben seines Vetters wurde nicht er gewahr, denn zu genau wusste er selbst, was vor ihnen lag. Es war das Gefühl, sich Fallen zu lassen, keine Kontrolle haben zu müssen über das, was geschah, keiner Schuldigkeit verpflichtet, nur Goutieren ohne zu tun. In ihrer beider Leben schwang stets die Erwartung, dass sie sich dessen gewahr waren, was zu tun war, dass immerzu fest die Zügel sie in Händen hatten zu halten, doch an diesem Abend mochten sie loslassen, sich in die Hände eines anderen begeben, frei sein, frei von Erwartungen, frei von Drängen, frei von Pflicht - beide, gemeinsam. Seit langer Zeit bereits nicht mehr hatte Gracchus den Akt in solch ausgiebiger Weise genossen, womöglich niemals zuvor, obgleich er sich an die Anfänge mit seinem ersten Vertrauten nicht mehr recht konnte entsinnen, sie gleichsam in seiner Erinnerung mochten längst überhöht scheinen. Zudem war der alte Sciurus je der einzige Mann gewesen, welcher ihn gleich einem Knaben hatte genommen, hatte auf diese Weise ihn dürfen nehmen, denn unmöglich war Gracchus später dies mit anderen Sklaven gewesen, welchen er nicht vollends vertraute, welchen er nicht die Herrschaft über sich selbst in Händen konnte legen. Niemandem sonst hatte Gracchus je wieder sich solcherart ergeben wollen denn seinem geliebten Caius. Widerstrebend nur löste er sich von seinem Vetter, griff nach dessen Gewand und zog vorsichtig ihm dies über den Kopf, nur um Aquilius aus der kurzen Dunkelheit der stofflichen Umhüllung mit einem Blick zu empfangen, welcher bereits ihn zu verschlingen suchte.
    "Amantes amentes."*
    Eilig griff er sich selbst über die Schulter, zog mit einem Rück seine Tunika sich über den Kopf und drängte Caius zum Bett hin. Da jener nicht gleichsam die Führung übernahm, tat Gracchus dies, ohne darüber zu sinnieren, führte ihn, zu sich, begehrte ihn, in sich, liebte ihn, in ihm, beglückte ihn, beglückte sich, in fortwährendem Reigen, in endloser Ergebenheit.

    ~~~


    Schwer atmend lagen ihre Leiber nebeneinander, beieinander, berührten sich über heiße Haut. Gracchus drehte zur Seite sich und legte seinen Kopf auf Caius' Brust, jeder Herzschlag, welcher durch den Körper seines Vetters pochte, hallte in seinen Ohren wider, führte zu leiser Resonanz in seinem eigenen Leib. Er griff über Aquilius' Oberkörper und nahm dessen freie Hand, um sie auf sein eigenes Herz zu platzieren.
    "Spürst du dies, Caius? Du lebst noch immer, und ich lebe noch immer, mehr als je zuvor."
    Nicht Genugtuung lag in seiner Stimme, nicht Erleichterung, einzig Feststellung - denn nie hätte dies anders können enden, dies wusste er nun, endlich.


    *Liebende sind Verrückte

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  • Seinem Atem lauschend, lag ich an der Seite meines Manius, hörte das Echo seiner schnellen Atemzüge in meinem Innersten nachhallen und mit einem Echo versehen zurückkehren, als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Stille hatte sich über sein cubiculum gesenkt, die leisen Geräusche, die wir zuvor verursacht hatten, waren verstummt, die Wände hatten unsere Seufzer, das unterdrückte Stöhnen, jene Laute einer Erfüllung tiefster Begierde verschluckt, als seien sie nie dagewesen. Aber ich wusste, was geschehen war, und um dieses Wissen zu vertiefen, musste ich nur meine Augen öffnen und neben mich blicken, seinen Augen mit den meinen begegnen, tief eintauchen in seinen Blick, wie wir nur wenige schmetterlingsflügeldünne Augenblicke zuvor ineinander eingetaucht waren. Ich fühlte meinen Körper ermatten, das warme, angenehme Gefühl der nachlassenden Anspannung, mit dem sicheren Wissen, dass mein Hunger nach ihm niemals gestillt werden würde, egal, wieviele Nächte, wieviele Umarmungen wir uns noch schenken würden. Ich musste ihn nicht einmal sehen, um zu wissen, wie nahe er mir war, jede Faser meines Leibes atmete seine Anwesenheit, atmete seine Hitze, seine Leidenschaft, ebenso seine Zärtlichkeit und Hingabe.


    War ein erstes Zusammenkommen zweier Liebenden doch oft genug von den Dichtern als höchste Erfüllung beschrieben worden, so hatte ich erst jetzt die Gelegenheit erhalten, dies auch durch eigene Erfahrung zu bestätigen, und frohgemut die ewigen Worte als wahr zu erklären. Er hatte genommen, meine Furcht, loszulassen, meine Angst, etwas falsch zu machen, meine Unsicherheit, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun, meine Kraft, die uns voran getrieben hatte, meine Lust, die ich ihm nur zu bereitwillig anvertraut hatte, meine Hingabe, das Wissen, seinen Leib nahe an dem meinen zu fühlen, mich in ihm, ihn in mir, ein ewiger Kreislauf dessen, was wir uns lange gewünscht hatten - und er hatte gegeben: Dieses Wissen, dass es etwas in meinem Leben gab, das richtig war, wie es bestand, das immer richtig sein würde, egal, was geschah. Seine leicht geöffneten, feucht schimmernden Lippen, als wir uns genossen hatten, diesen Tanz vollführten, der so anders und doch so erfüllend war, und er gab noch immer, jetzt, in diesem Augenblick, in dem wir nahe beieinander lagen, ich seinen Herzschlag fühlte, sein Atmen hörte, und wusste, dass uns diesen Augenblick niemand jemals würde nehmen können. Mochte in der Zukunft kommen, was wollte, in unserer Liebe gab es keine Bitterkeit mehr, kein saures, galletriefendes Gefühl der Unerreichbarkeit, des stetig als Damoklesschwert über uns schwebenden möglichen Verlusts.


    Es gab nur noch Manius, und mich, Manius' Atem, seinen Herzschlag, und sein Sein. "Ich würde es anders sagen, mein Manius," flüsterte ich leise, in zärtlichem Ton zurück. "Wir leben jetzt erst, denn alles davor war kein Leben, nur ein Vegetieren, ein stetiges Sehnen, ein unerreichbares Hoffen. Sollten die Götter beschließen, uns nun zu sich zu holen, dann könnte man guten Gewissens auf unsere Grabstelen meißeln lassen: Sie haben gelebt." Endlich verstand ich, warum die Welt aufhörte sich zu drehen, wenn es um die Liebe ging. Warum sich so viele Menschen so sehr danach sehnten, dass sie alles dafür aufgegeben hätten, was sie besaßen. Warum es die Liebe war, die manchmal nur wenige Worte brauchte, um sich zu erklären, und manchmal auch tausend Worte nicht genug waren - ich blickte ihn nur an und sah die ganze Welt in ihm.

  • Es fehlten die Worte ihm, auszudrücken, was in ihm war, in ihm erwuchs, neu sich gestaltete und in nie dagewesener Form sich manifestierte, es fehlten die Farben, dies zu malen, die Klänge, dies zu komponieren, denn nichts in dieser Welt würde der Erhabenheit jener Gefühle zur Wahrheit gereichen können. So schwieg Gracchus lange Zeit, ließ den Nachhall Caius' Worte im Raume erbeben, horchte weiter auf den Herzschlag des Freundes, welcher so nahe ihm war wie nie zuvor, so nahe, dass er glaubte in ihm zu schwingen, mit ihm zu treiben und auf seinen Wogen zu schwimmen. Draußen vor dem Laden des Cubiculum begann es zu regnen, sanft plätscherte das Nass vom Himmel auf die Erde hinab, erschuf auf Stein, Holz und Wasserflächen eine harmonische Percussion, eine klandestine Symphonie der pantheistischen Natur, welche dort draußen im Dunkel verborgen lag. Gracchus mochte den Regen in all seinen Variationen, wenn die Welt er reinigte von Unrat, ihre Bewohner ob seinetwegen von ihrem Antlitze flüchteten, die trommelnde Melodie der Kontinuität, das kühlende und zugleich wärmende Nass, die Klärung der Sinne gleich der Verborgenheit hinter seinem Schleier - mehr noch als sich in ruhigen Stunden einer exzeptionellen Schrift hinzugeben, konnte Gracchus das Nichtstun delektieren, solange nur vom desolat erhabenen Lied des Regens es war begleitet - gleichsam war dies der einzige Müßiggang, welchen überhaupt er je hatte mit Muse delektieren können. Von Caius' Herzschlag begleitet, mit dem beständigen Heben und Senken seines Brustkorbes, seinem leisen Atem vermischt, gewann die tropfende Regensymphonie eine ganz neue, eigene Qualität, eine Mystifikation gleichermaßen, dem Herzschlag des Lebens in seiner gesamten Vielfalt, seiner Einzigartigkeit gleich. Tiefe innere Satisfaktion durchströmte Gracchus, welcher der Melodie sich hingab, darin versank mit jedem Atemzug, unendlich erleichtert, unendlich glücklich wie niemals zuvor. Kaum wagte er seine Stimme zu erheben, ein leises Flüstern nur durchbrach den Rhythmus der Nacht, doch er musste schlussendlich sprechen.
    "Geh nicht heute, geliebter Caius. Bleibe hier, bei mir, mit mir, auf dass dies Leben nie wieder enden mag."
    Zaghaft, als würde zum ersten Male er die noch immer ein wenig sonnengebräunte Haut berühren, strich Gracchus über die Brust Aquilius', fuhr in Kreisen darüber bis zu seinem Hals, ließ seine Berührung dort enden und hob den Kopf, um seinen Geliebten anzublicken, nicht flehend, nicht bittend, nur trunken von Liebe.

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  • Das leise Prasseln des Regens außerhalb unserer gemütlichen kleinen Höhle in Gracchus' cubiculum schien mir wie eine weitere Bestätigung dessen, was wir uns in dieser Nacht aufgebaut und geschenkt hatten. Die Welt funktionierte weiter, als sei dies nur ein weiteres Detail unter vielen gewesen, ein unwichtiges Detail für das weitere Vergehen der Zeit, ein Ereignis unter sehr vielen - auch wenn es für mich unglaublich viel verändert hatte, für die Welt selbst schien es ziemlich unerheblich. De Regen fiel wie er früher gefallen war, ruckelte mit prasselnden Fingern an den hölzernen Fensterladen, die das Wetter vom Inneren der villa fernhielt, der Wind strich über die regennassen Dächer der Stadt und wusch den Dreck fort, den die Handlungen und Gedanken der Menschen darunter hinterlassen hatten, und zwei Menschen durften in dieser Nacht einfach nur glücklich sein, ohne Bedingungen, ohne Furcht, ohne Sorgen. Die Last meines Geliebten im Arm schien mir die Welt freundlicher geworden, das leise Prasseln des Regens wie eine Begleitmelodie, welche mangels anderer Instrumente versuchte, die zufriedene Stille und Erfüllung des Augenblick zu untermalen. Eigentlich eine Musik, der ich bis an mein Lebensende hätte lauschen können, ohne es jemals zu bereuen.


    Gleichsam klangen mir auch Manius' Worte wie ein Lied, an dem ich mich niemals hätte satthören können. Er bat mich zu bleiben. Von allen Sätzen der Welt hatte ich mir diesen besonders ersehnt, und nun durfte ich ihn endlich hören. Endlich wissen, dass er genau so gemeint war, wie er ihn ausgesprochen hatte, dabei seine Hand auf meiner Haut fühlen, als seien wir uns schon seit Äonen vertraut in dieser Weise, und nicht nur seit einer Nacht. Ich blinzelte träge und erwiederte seinen Blick mit einem Lächeln. "Ich bleibe bei Dir, mein Manius, solange ich kann und solange es uns die Götter gönnen, dieses Glück zu leben - Du ahnst nicht, wie sehr ich es mir immer gewünscht habe, einmal neben Dir einschlafen zu dürfen, und Dein Gesicht als erstes zu sehen, wenn ich am Morgen erwache."


    Es war die größte Dummheit überhaupt, über Nacht gänzlich bei ihm zu bleiben, denn ab dem Morgen würden viele der Sklaven in der villa unterwegs sein, eventuell gar noch Antonia in Gracchus' Gemach schlüpfen wollen, um ihre Pflichten zu erfüllen - ungesehen würde ich kaum wegkommen, aber .. was war dieses isiko schon gegen das, was ich dabei gewinnen konnte?
    "Iocundum, mea vita, mihi proponis amorem
    hunc nostrum inter nos perpetuumque fore.
    Di magni, facite, ut vere promittere possit
    atque id sincere dicat et ex anno,
    ut liceat nobis tota perducere vita
    aeternum hoc sanctae foedus amicitiae."

    Wieder war es Catull, der mir Worte für den Gedanken lieferte, den ich hegte, und leichthin war er zitiert, hatte ich diese Worte doch auswendig gelernt, im Gedanken an Manius, und sie wohl deswegen so besonders gut behalten.


    Sim-Off:

    [SIZE=7]Du, mein Leben, stellst mir vor Augen, dass diese Liebe zwischen uns glücklich und beständig sein werde. Große Götter, macht, dass sie dis in Wahrheit versprechen kann und es aufrichtig und von Herzen meint, dass wir unser ganzes Leben lang diesen ewigen Bund unverbrüchlicher Freundschaft aufrechterhalten können. (C. Valerii Catulli, carmina 109)[/SIZE]

  • Goldfarben flackerte das Licht der kleinen Öllampe auf dem schmalen Tisch neben dem Bett, tauchte die Welt in honiggleiche Konsistenz, süß und behäbig dahin fließend, zwei Liebende langsam auf sich hinfort treiben lassend. Weit hatten das feste, felsige Land der Vernunft sie hinter sich gelassen, fern schimmerten die Lichter im Leuchtturm der Pflicht und der Zwänge, verblassten je weiter das Boot aus umschlungenen Leibern und verzwirbeltem Geiste auf den güldenen Oceanos der unumstößlichen Liebe hinaus trieb. Stille rauschte in Gracchus' Ohr, keine mahnenden Stimmen der Vorväter konnten noch dazu gereichen, ihn zu berühren, keine Reue, keine Schuld durch ihre Hand auf seine Schultern geladen werden. Freiheit. Dies war es, was er sich in einem leisen Moment des Aufbegehrens von ihnen hatte geraubt, dies war alleinig seine Existenz, seine Entscheidung, sein Caius in seinen Armen.
    "Wenn nur so sehr du es dir wünschtest wie ich, so verzehrte es dich bereits ein Leben lang."
    Er wusste nicht mehr, welcher Tag es gewesen war, an welchem er seine Unschuld verloren und sich nach seinem Vetter zu verzehren hatte begonnen, doch er erinnerte sich noch allzu genau an jenen Tag im Frühling - ein Tag auf den grünfarbenen Wiesen weit vor den Mauern Athenas, ein Ausritt in die wilde, unbeschwerte Natur, nur sie beide allein, noch viel zu jung, um die Unbarmherzigkeit der Sehnsucht zu erfahren - als ihm mit all der Schwere der Erkenntnis bewusst geworden war, dass er niemals Caius würde erreichen können, ihn niemals würde erreichen dürfen. Sie hatten im weichen Gras gelegen, ein Halm steckte keck zwischen Aquilius' Lippen, und er blickte so zufrieden in den Himmel hinauf als würde dieser eine Tag ihm zur Zufriedenheit des gesamten Lebens gereichen. Beschämt hatte der junge Gracchus sich dabei ertappt, wie er mit seinen Blicken die Kinnlinie des Vetters nachfuhr, seine Wangenknochen, den Schwung seiner Brauen, die Kontur seines Antlitzes, und selbst als er sich auf den Rücken neben ihn ins Gras hatte fallen lassen und gleich ihm in den Himmel blickte, sah er dort nur ein Gesicht, welches nie wieder aus seinen Sinnen schwand. Seit diesem Tage war nurmehr er auf der Flucht gewesen vor Caius, vor sich selbst.
    "In Wahrheit, Caius, und aus tiefstem Herzen."
    Es drängte in ihm, in die Welt es hinaus zu rufen, und doch wusste er, dass dies nicht möglich war, nicht ihm, nicht in dieser Welt. Doch die Nacht war zu rein, zu kostbar, um mit solcherlei Gedanken sich zu beschweren, würde der Morgen doch ohnehin allzu früh sie verdrängen.
    "Nie wieder soll dies enden, nie wieder."
    Welch unverfänglichere Konstellation mochte ohnehin für den klandestinen Geliebten es geben, als jene des Vetters im eigenen Hause, des engen Freundes, welcher seit jeher er gewesen war. Kein ehrvoller Mensch würde je das Recht haben, ihre Freundschaft in Zweifel zu ziehen. Gracchus stützte sich auf seinen Arm, drehte den Kopf und blies mit einem langgezogenen Hauch die Flamme der Lampe aus. Er wusste um die treue Seele, den graufarbenen Schatten seines Sklaven, welcher vor dem Cubiculum würde Wacht halten, dafür würde Sorge tragen, dass niemand würde in das Schlafgemach hinein kommen, nicht bis zum Morgen, nicht, bis Caius daraus entschwunden war, ebenso wie er darum wusste, dass der Sklave eher würde sterben, als irgendwem ob seines Wissens zu berichten. Den Kopf zurück am Körper des Geliebten schloss Gracchus die Augen und wusste, dass dieser Nacht kein Träumen vonnöten war, denn der größte Traum, der schönste von allen, lag bereits neben ihm.

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