Cubiculum | AVGR - Antonia vs. Gracchus - Requiem

  • Der für das Wetter verantwortliche Iuppiter schien sich an diesem Tage einen Scherz zu erlauben und sandte trotz der kalendarischen Wintertages warme Sonnenstrahlen über die Hauptstadt des Imperium Romanum hinweg, ein Wetter, welches nicht im Geringsten zu Gracchus' Stimmung und Vorhaben wollte passen, so dass er beinahe schon schwankte, ob das vor ihm liegende Gespräch nicht doch besser um einige Tage noch zu verschieben war, bis womöglich wieder anhaltender Regen oder Nebeldunst die sieben Hügel umfangen hielt. Indes nützte alles Warten und Harren nichts, ein Mann musste tun, was ein Mann tun musste, so dass Gracchus all seine Entschlossenheit und jedes Quäntchen Mut, dessen er in seinem Geiste fündig wurde, zusammen klaubte, die kleine bronzene Statue in seine Hände nahm und sich anschickte, zielstrebigen Schrittes zum Gemach seiner Ehefrau zu eilen. Mit jedem gradus jedoch wurde sein Gang langsamer, seine Füße wurden schwerer gleich seines Herzens, so dass er schlussendlich nur zögerlich, zaudernd vor jener Tür angelangte, auf deren Maserung er schon so oft hatte gestarrt, tiefsinnig sich in den feinen Linien und Flächen hatte verloren. Er kannte sie so gut, die kleine, filigrane Schwingung neben dem Scharnier, den gebogenen Wirbel knapp unter dem Griff, den schmalen, nebulösen Flecken, welcher sich von der oberen Hälfte bis fast zur Unterkante der Türe zog, die unzähligen Schattierungen, von welchen nicht wenige einem Gesicht, einer Maske oder auch einem Tier ähnelten - Daimonen, Strigae, Larven und Inferiores schienen es ihn an diesem Tage, welche maliziös ihm entgegen grinsten, kein Wort sprachen und doch damit mehr auszusagen wussten als mit infernalischem Geschrei. Die Stille ließ Gracchus sichtbar frösteln, als habe ihn ein eisiger Windhauch gestreift, welchen nur er zu bemerken vermochte, als habe er urplötzlich entdeckt, dass nichts so war, wie es nur einen winzigen Augenblick davor zu sein schien, als habe er den unvermeidlichen Gast in seinem Ohr flüstern hören: Gräm' dich nicht heute und nimm morgen dir nichts mehr vor. Doch er fürchtete, dass auch dies nur Trug war, dass sein Morgen längst nicht würde kommen und dass eben das endlose Verharren im Heute sein Fluch war, jene Bürde, welche er hatte zu tragen, ob derer er längst nicht mehr wusste, aus welchem Grunde. Als Gracchus hinter sich das leise Streichen von nackten Füßen über den Boden vernahm, war er sich dennoch sicher, dass sein Tag in eben diesem Augenblick würde enden, er ihn würde vor der Schmach bewahren. Er schloss seine Augen in Erwartung des Augenblickes und fühlte eine seltsame Ruhe in sich empor steigen, als auf völlig ungustiöse Weise eine Person hinter seinem Rücken die Nase hochzog und eilig weiter schlich. Langsam öffnete Gracchus die Augen und wandte den Kopf, es war nur ein Sklave gewesen. Ein Seufzen echappierte Gracchus, aus den tiefsten Untiefen seiner Seele empor, und er fragte sich, wie lange er schon vor der Tür verharrt haben mochte. Es würde dennoch nicht besser werden, nichts würde besser werden, je mehr Zeit verstrich, so dass er endlich die Hand empor hob und an die Türe zum Gemach seiner Gattin anklopfte.

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  • Die (noch) ahnungslose Gattin saß, wie meist zu jener Stunde, mit einigen Rechnungen in der Hand in ihrem bequemsten Korbstuhl. Ihr Aussehen ließ sich allgemein am ehesten mit ‚leger‘ beschreiben, erwartete sie doch zu dieser Zeit keinen Besuch mehr, am allerwenigsten ihren Gatten. Diese Hoffnung hatte sie vor einigen Wochen endgültig aufgegeben.
    So hob sie auch kaum den Kopf, als ein Klopfen an ihre Ohren drang. Einer der Sklaven, vermutlich.
    Hätte sie gewusst, wer vor der Türe auf Einlass wartete, sie wäre in blanke Panik ausgebrochen. So sollte Gracchus sie wahrlich nicht sehen: Aufgelöstes, teils schon zerstrubbeltes Haar, eine nicht besonders kleidsame Tunika, welche allerdings den unschätzbaren Wert eines hohen Tragekomforts hatte, ein Paar beiger Socken über den Füßen und die Füße selbst auf einem Hocker liegend. Allein ihre Körperhaltung hätte ihre Lehrer in den Freitod getrieben. Von der stolzen, aufrechten Sitzposition, die sie sonst einzunehmen pflegte keine Spur. Stattdessen lag sie mehr auf dem Sessel, als dass sie saß. Kurzum, Antonia lümmelte herum.
    „Herein.“, rief sie und wandte den Blick wieder ihrer Lektüre zu.

  • Aus weiter Ferne klang Antonias Stimme zu ihm, als würde sie längst nicht nur ein wenig Luft und eine ordinäre Holztür durchdringen müssen, sondern aus den verborgenen Tiefen des Orcus hinaus flüchten. Noch einmal atmete Gracchus tief ein und bereitete sich mental auf das vor, was folgen mochte. Sie konnte ihn nicht mehr brechen, denn er war bereits gebrochen, sie konnte ihn nicht mehr anblicken wie ein minderwertiges Exemplar Ehemann, denn er war ein minderwertiges Exemplar Ehemann. Er war das unzureichende Element in ihrem perfekten Leben, er war sich dessen nur allzu gewahr, und es galt nun, den Schaden zu begrenzen, dieser Ehe ihre Ehre zu lassen, gleichsam ohne ihre Notwendigkeiten zu vernachlässigen. Entschlossen öffnete Gracchus die Türe, trat ein und schloss die hölzerne Barriere hinter sich.
    "Salve, Antonia. Es ist unumgänglich, dass wir ..."
    Er stockte, denn in diesem Augenblick wurde er sich jener Person gewahr, deren Haltung auf dem Korbsessel weder als Sitzen, noch als Liegen zu bezeichnen war. Mehr noch jedoch irritierten ihn die unscheinbaren Haarsträhnen, welche sich in aufmüpfiger Art und Weise vom Haupte seiner Gemahlin steckten, als wollen sie auf etwas hinweisen, was an der Decke oder den Wänden des Raumes verborgen war, so dass er unbewusst ihrem Zeig mit dem Blicke folgte, jedoch nichts ungewöhnliches konnte entdecken. Abgesehen von seiner Gattin, zu welcher der Blick nur allzu bald wieder zurück kehrte. Helle Socken umwanden ihre Füße, so dass Gracchus glaubte, sie bei einer Kurpackung gestört zu haben, welche ihre, vermutlich vom Einkaufen geplagten, Füße sollte erfrischen.
    "Verzeih ... ich ..."
    Der Anblick brachte ihn vollkommen aus seinem Konzept, welches ohnehin nur auf wankelmütigen Säulen errichtet worden war. Sie sah so völlig anders aus als gewöhnlich. Menschlich.
    "Ich wollte nicht ... störe ich?"
    In einer langsamen Bewegung stellte Gracchus die kleine bronzene Götterstatuette auf dem Tisch ab. Es war Viriplaca, die gute Göttin der Ehe, zu welcher verheiratete Paare gemeinsam sprachen, wenn häusliche Probleme sie plagten. Anfänglich hatte Gracchus seine Gemahlin zu deren Tempel auf den Palatin bringen wollen, denn Viriplaca war immerhin bekannt dafür, dass sie nur glückliche Paare wieder aus ihrem Tempel nach Hause entließ. Doch natürlich wusste Gracchus als Pontifex um den klandestinen Betrug hinter jenen Worten, denn so das Glück oder die Übereinkunft nicht hergestellt wurde, entließ die Göttin die Eheleute nicht mehr als Paar, sondern als Einzelpersonen. Zudem hatte er Antonia nicht in aller Öffentlichkeit sein Geständnis darbringen wollen, so dass letztlich er sich dazu entschieden hatte, nur ein Bildnis der Göttin mitzunehmen - ein wenig göttliche Hilfe konnte immerhin nicht schaden.
    "Ich wollte nur ... über unsere Ehe mit dir sprechen ... und ... ihre Zukunft ..."
    Noch immer konnte er seinen Blick nicht von den Haarsträhnen losreißen, welche das helle Licht, das durch das Fenster in den Raum hinein fiel, über Antonias dunkelfarbenem Haupt einfingen.

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  • Sie schenkte dem Geräusch der sich langsam öffnenden Tür kaum mehr Aufmerksamkeit, als dem vorangegangenen Klopfen. Wohlig bewegte sie ihre Zehen, um die dauerkalten Füße ein wenig zu wärmen. Doch Gracchus begann zu sprechen.
    Oh, aus tausenden und abertausenden Stimmen hätte sie diese Stimme heraus erkannt. Jene Stimme, die es schaffte, ein Kompliment so auszusprechen, dass es wie eine Beleidigung klang. Jene Stimme, die nie ein Wort des Vorwurfs geformt hatte und sich dennoch unentwegt danach anhörte. Wie gut kannte sie diese Stimme, obwohl sie sie so selten gehört hatte. Mit einem Mal waren ihre kalten Zehen vergessen.
    „Manius!“, keuchte sie tonlos, wagte kaum von ihrer Lektüre aufzusehen, um dem unausweichlichen ins Gesicht zu sehen. Die patrizischen Augen weiteten sich zunehmend, als Antonia erkannte, dass ihr Gatte tatsächlich im Raum stand und sie ansah.
    Starr vor Schreck, wusste sie nicht, womit sie beginnen sollte. Rechnungen weglegen, Haare richten, aufspringen? Sie entschied sich für eine Kombination aus allem, warf die Wachstafeln unachtsam auf ein kleines Beistelltischchen, erhob sich erstaunlich flink von ihrem Sitzplatz und zupfte zugleich an ihrer, nennen wir es ‚Frisur‘, herum.
    „Was“, zischte sie ungehalten, „Was willst du denn hier? Jetzt? Du hättest doch…“
    Oh bei allen Göttern – er wollte doch nicht etwa? Endlich wollte er wieder seinen Pflichten nachkommen und sie selbst sah aus wie eine detonierte Kokosnuss.
    Die zittrigen Hände waren kaum imstande, das Haar zu glätten und so hielt die verzweifelte Gattin schließlich inne.
    „Starr mich doch nicht so an! Ich sehe furchtbar aus!“
    Wie sehr fühlte sie den durchdringenden Blick auf ihrer Haut, obgleich sie ihren Gemahl nicht einmal ansah. Gewiss, in seinen Augen konnte sie nie bestehen, doch nun, in einem solchen Aufzug? Sich innerlich verfluchend presste sie die Kiefer aufeinander.
    „Warum kommst du nur immer dann, wenn ich.. wenn.. was..“
    Sie war den Tränen nahe. Nichts war richtig. Ohne ihre schützende Fassade aus Schminke, Schmuck und Kleidung, fühlte sich die Claudia nackt und schutzlos. Gracchus gegenüber wohl mehr als jedem anderen. Unwohl verschränkte sie ihre Arme vor ihrem Körper. Das Gefühl des Versagens und der Unfähigkeit blieb. Es verstärkte sich nur umso mehr, als der flavische Gatte auf den Grund seines Besuchs zu sprechen kam.
    Ehe. Zukunft. Diese beiden Wörter reichten bereits, um ihr zu offenbaren, was das Ziel dieses Gesprächs sein würde. Er wollte die Scheidung. Sie konnte ihm keinen Erben schenken, darum setzte er sie vor die Tür. Einen Augenblick lang ist sie versucht, schluchzend und händeringend um eine weitere Chance zu bitten. Zu beteuern, sie würde es schaffen, sie konnte ihm einen Sohn gebären, sie wusste es.
    „Ihre Zukunft?“, wiederholte sie mit unstetem Blick.
    Die kleine Götterstatue bemerkte sie nicht, nichts im Raum nahm sie bewusst wahr. Nichts, außer ihm. Unter seinem Blick schien sie selbst immer mehr zu schrumpfen, während er selbst überlebensgroß wurde.

  • Sie reagierte, wie immer sie es tat in seinem Angesichte - abweisend, als wäre er das Schlimmste, was je ihr geschehen war - und vermutlich war es so - als könne nichts mehr sie stören denn seine Anwesenheit, als wäre er Scylla und Charybdis gemeinsam, gekommen, um sie zu verschlingen. Vorhaltungen trafen ihn aus ihrem Munde, trafen ihn tief wie eh und je, denn nichts konnte er je in ihrem Sinne richtig machen, einem einzigen, gewaltigen Makel kam er gleich. Sein Geständnis würde sie nur noch weiter auseinander treiben, dessen war er sich gewahr, und mit einem Male fürchtete er sich nurmehr abgrundtief vor der Wahrheit. Sie würde ihn verlassen. Für sie, eine Claudia, die perfekte Frau, würde er nichts mehr zu bieten haben, sie würde binnen Wochen sich scheiden lassen und einen neuen Ehegatten finden, jenen, welchen sie hatte verdient. Er dagegen würde bei den pedarii enden, aus dem Collegium Pontificium ausgeschlossen werden, wenn er Glück hatte noch ein Mittelsmann eines seiner Vettern werden können. Hatte er nicht stets behauptet, sie nur glücklich wissen zu wollen? Wäre es nicht darum besser, sie ziehen zu lassen? Er sehnte sich danach, sie zu berühren, sie zu halten, nicht aus Verlangen, nur, um ihr zu zeigen, dass er sie respektierte, sie mit allem würde umsorgen, was ihm möglich war, dass trotz allem er dem Bildnis eines guten Ehemannes mochte entsprechen können. Doch sie verkeilte ihre Arme vor sich, ließ nicht ihn auch nur ansatzweise in ihre Nähe, ließ nurmehr ihn wieder zweifeln an allem, was er war. Um nicht gänzlich sich selbst aus den Augen zu verlieren, besann er sich auf jene Worte, die seit Tagen, seit Nächten, er sich hatte zurecht gelegt - verworfen, neu arrangiert, variiert, rezitiert - die mit jedem Male wahrer hatten geklungen, und doch noch immer so falsch waren.
    "Es ist nicht zu leugnen, dass wir eine im Grunde adäquate Ehe führen."
    Verheiratet vor den Göttern, wohnhaft im gleichen Hause, immer wieder einmal gemeinsam in der Öffentlichkeit präsent - eine von zahllosen patrizischen Ehen, und in Anbetracht dessen, dass sie beide ihrem Leben nachgingen, ohne sich allzu sehr einander in gewalttätigen Worten oder Taten zu zürnen, war es vermutlich sogar als gute Ehe anzusehen. Gracchus zog einen Stuhl neben den Tisch und ließ sich darauf nieder sinken, senkte gleich seinem Leib auch seinen Blick, denn er konnte nicht Antonia anblicken.
    "Dennoch ist wohl uns beiden bewusst, dass etwas fehlt, um dies Bündnis zu komplettieren, und je mehr Zeit in seiner Absenz vergeht, desto dringlicher wird es. Bereits vor einiger Zeit habe ich begonnen, mir ernsthaft ob dessen Gedanken zu machen."
    Seine Finger verkeilten sich ineinander, unbehaglich knetete er sie, zögerte, kaute einen Augenblick auf seiner Unterlippe herum, suchte auf dem Boden einen Strang, an welchem es sich festzuhalten, entlang zu hangeln galt, wartete darauf, dass die Villa über seinem Kopfe würde zusammenbrechen, um ihn aus dieser unbeschreiblichen Misere zu erretten. Doch nichts geschah.
    "Ich ... verzeih mir, doch ich musste wissen, wessen Verschulden dies ist. Über mehrere Monate hinweg wohnte ich darob jeden Abend einer Sklavin bei."
    So war es denn ausgesprochen. Er schämte sich ob dessen, zutiefst. Doch ohne zu wissen, weshalb er sich seiner Sache sicher war, hätte Antonia ihm nicht geglaubt, dessen war er sich sicher.
    "Doch es ... ich ..."
    Mit einem Male sehnte er sich danach, dass der Hades sich vor ihm mochte auftun und ihn verschlingen. Es war wahrhaft genügend unangenehm, sich selbst gegenüber dies sich einzugestehen, es war bereits eine Überwindung gewesen, Caius einzuweihen, es wäre eine Schmach, einem anderen Mann dies zu gestehen, doch einer Frau, noch dazu seiner Ehefrau - dies war mehr, als Gracchus konnte ertragen. Seine Stimme verlor ihre einstudierte Festigkeit, die zurechtgelegten Worte lösten sich in eine diffuse Wolke aus Nebel auf und die feste Absicht versank im Grund einer endlosen Ödnis.
    "Kein Kind reift in ihrem Körper heran, obgleich sie allen Grund gehabt hätte, meinen Bastard auszutragen. Nichts. Nicht einmal der Anschein eines Keimes. Es ist ..."
    Ein Hauch in der erdrückenden Stille.
    "Es ist allein mein Verschulden, Antonia."

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  • Er bewegte sich. Sie spürte es mehr, als dass sie es sah, wagte sie doch noch immer kaum, ihren Mann unverwandt anzublicken. Je länger er im Raume verweilte, desto mehr schnürte sich ihre Kehle zu, desto fester krallten sich ihre Fingernägel in jene abgewetzte Tunika, die sie umhüllte. Jeden Moment mit dem verbalen Faustschlag ins Gesicht rechnend, bewegte sie schließlich doch langsam die Augen zu Gracchus. Sie war eine Claudia. Zumindest in die Augen sehen wollte sie ihm, wenn er ihr Leben auf den Kopf stellte. Ihre Mitgift würde sie zumindest haben. Eine kleine Villa auf dem Lande mit ein wenig Grund dazu, damit sie den Rest ihres Lebens in Ruhe und Frieden verbringen konnte. An einen neuen Mann war nicht zu denken, wer würde sie schon nehmen? Eine gebrauchte Frau? Noch dazu eine, die ihrem Gatten keine Kinder schenken konnte. In Rom bleiben? Undenkbar. Direkte Verwandte hatte sie ja kaum noch, die Flavier waren die einzige Familie, zu der sie noch ansatzweise eine Verbindung spürte. Und bald würde all dies vorbei sein. Doch all das hätte sie ertragen können, würde nur nicht jener Mann ihr all dies aufbürden. Jener Mann, dem sie um jeden Preis hatte Gefallen, alles hatte recht machen wollen. Nie hatte er es gewürdigt, geschweige denn zur Kenntnis genommen.
    Selbst zu Blinzeln traute sie sich in diesem Moment nicht, fürchtete sie doch, dadurch alles nur zu beschleunigen, im Laufe eines Augenaufschlags alles zu verlieren, was sie hatte. Und war es auch nicht viel, sie hing daran. Doch was tat ihr Gatte? Nicht ein Wort des Trostes vorab, kein beruhigendes ‚Es wird schon alles gut werden‘. Hätte er es nicht sagen können? Um ihretwillen? Nur ein einziges Mal um ihretwillen gelogen, anstatt um sie zu verhöhnen? Nein, er tat so etwas nicht.
    Wie hatte sie jenen unausweichlichen Moment gefürchtet. Nun war er also gekommen. Noch keine dreißig und schon das Leben verworfen. Was sollte sie nur tun? Zeit zu überlegen blieb nicht, denn schon kam der erste Schlag, endlich ausgesprochen, nicht mehr nur durch Blicke unmissverständlich an sie getragen: Es fehlte etwas in ihrer Ehe. Und er setzte sich, als er es sagte. Natürlich. Er, der tadellose Ehemann, er konnte sitzen. Die Last seiner nichtsnutzigen Ehefrau auf seinen Schultern war zu groß, um sie im Stehen zu tragen. Sie, die arme Sünderin, die Kinderlose, sie blieb stehen. Wie der Sklave vor dem Kaiser, so fühlte sie sich. Es fehlte nur der obligatorische Kniefall des Unfreien. Doch noch trugen sie ihre Beine.
    Keines Blickes würdigte er sie, während unablässig und gnadenlos die Vorwürfe auf sie herabprasselten. Ein Hagelschauer hätte nicht schmerzhafter sein können und so krümmte Antonia unbewusst ihren Rücken. Es zerfraß ihr Innerstes.
    Und noch immer starrte sie ihn aus leeren Augen an.
    ‚Sag es endlich.‘, schoss es ihr durch den Kopf. ‚Sag mir endlich ins Gesicht, wie abstoßend ich bin.‘
    Es folgte ein weiterer Tiefschlag. Und zugleich die Erklärung, für die Absenz seiner Person aus dem ehelichen Bett. Eine Sklavin. Ihr Gemahl ¬vergnügte sich mit einer Sklavin. Wundervoll. Als ob alles andere an diesem Tag nicht bereits Hiobsbotschaft genug für sie war. Warum nur zögerte er es so hinaus? Bereitete es ihm am Ende noch vergnügen ihr zu eröffnen, dass jene Sklavin nun vollbracht hatte, wozu sie, Claudia Antonia, Nachfahrin von Kaisern, nicht fähig gewesen war? Wahrlich, es musste sehr befriedigend sein.
    Und wenn sie auch von Natur aus mit allem rechnete, sich auf jede Gemeinheit und jede Eventualität innerlich vorbereitet hatte, die Beichte traf sie härter als alles, was er sonst hätte vorbringen können.
    „Deine Schuld.“
    Sie musste es wiederholen, um sicher zu sein, dass tatsächlich dies die Worte waren, die Gracchus soeben an sie gerichtet hatte. Vorbei mit der Beherrschung. Die Anspannung von Jahren löste sich in diesem einen Moment. Es begann langsam. Zunächst zuckten nur ihre Lippen kurz nach oben.
    „Deine Schuld.. Deine.. “
    War es ein Trick? Erneut eine Farce, um sie loszuwerden? Doch welcher Mann gestand so etwas, wenn es nicht der Wahrheit entsprach?
    Ihre Augen wurden feucht, bereits jetzt rannen erste salzige Tränen die blasse Wange hinab. Seine Schuld. Nicht ihre. Seine. Er, Manius Flavius Gracchus, er, der alles konnte, der in nichts scheiterte und immer die Kontrolle über alles und jeden hatte, er konnte keinen Erben zeugen. Ein undefinierbarer Ton entfleuchte ihrer Kehle.
    „Nicht meine, deine.“
    Es war wohl das schönste Geschenk, das er ihr hätte machen können. Er nahm die Schuld auf sich. Völlig egal, ob es wahr war, er sagte es.
    Das erleichterte Lachen, das aus ihrem Körper dringen wollte, hielt sich mit einer Hand vorm Mund zurück, die andere umklammerte noch immer ihren nun zitternden Körper. Zitternd vor Freude, zitternd vor Stress. Die Beine versagten endgültig ihren Dienst, in einer fließenden Bewegung, als bestünde ihr Leib lediglich aus Seide, glitt sie auf den Boden. Auf den Knien kauernd, wurde ihr Oberkörper immer heftiger von einer Mischung aus Lachen und Weinen durchgeschüttelt. Nicht einmal in Kindertagen hatte sie ihren Emotionen so freien Lauf gelassen.

  • Zwei mal repetierte sie sein Eingeständnis, als wolle sie sicher gehen, dass auch er selbst es in jedem Fall laut und deutlich vernehmen konnte, als würde ihr exorbitante Freude bereiten es auszusprechen, da sie ohnehin es schon immer hatte gewusst. Die Anspannung und Last der Jahre rieselte auf Gracchus herab, beständig, häufte langsam einen Berg an Sandkörnern über ihm auf, unter welchem zu ersticken er drohte. Zu all seinem Versagen konnte nun er auch noch eine gescheiterte Ehe hinzufügen, er spürte genau an ihrem Tonfall, dass sie ihn würde verlassen, dass nichts mehr nun sie an ihm hielt, endlich ihr Vorwand gefunden war, diese Bindung zu lösen. Es waren die erstickten Laute und das Rascheln von Stoff, welches ihn aufblicken ließen, gerade rechtzeitig, um Zeuge dessen zu werden, dass Antonia zu Boden sank. Zu allem Überfluss glaubte zudem er feuchte Spuren auf ihren Wangen zu entdecken. Ein unbändiges Drängen keimte in Gracchus auf, aus den dunkelsten Tiefen seines Selbst, jenes Verlangen, welches seit jeher ihn begleitete, welchem nur allzu gerne und bereitwillig er nachgab - dem Hang zur Flucht. Sein Leben glitt an ihm vorüber, in Sekunden, ein einziges Versagen vom ersten Augenblick, ein ständiger Verlust all dessen, was kostbar war, und schlussendlich stetige Selbstverleugnung. Und doch - in diesem Augenblick ging es nicht um ihn, nicht um seine Person. Er stand auf, nur um einige Schritte weiter vor Antonia sich wieder hinab sinken zu lassen. Sein Herz raste, Gracchus fühlte sich wie in einem Traume gefangen, aus welchem jeden Moment er musste erwachen, zögerlich streckte er seine Hände aus, doch Antonia zerplatzte nicht unter seiner Berührung. Vorsichtig umfasste er sie, noch immer nicht sicher, ob sie lachte oder weinte, noch immer nicht sicher, ob er zerstörte oder rettete, was geblieben war, und drückte ihren Körper sachte an den seinen.
    "Es tut mir leid, Antonia, es tut mir so unendlich leid."
    So oft waren jene Worte bereits aus seinem Munde gedrungen und doch verloren sie mit keinem Mal an Gravation, denn zu seiner eigenen Schande sprach er sie tatsächlich ein jedesmal in tiefster, wahrhafter Absicht aus. Gleichsam wusste nichts anderes er zu sagen, nichts anderes zu tun, wartete nur bangend darauf, dass sie sich würde lösen, ihm eine Ohrfeige verpassen und die Scheidung aufsetzen.

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  • Sämtliche Dämme brachen, als Antonia nun auch noch Gracchus‘ Berührung spürte. Ein einziges Mal in ihrer Ehe, war sie nicht die Schuldige, war sie nicht verantwortlich dafür, dass etwas nicht wie geplant geklappt hatte. Und dennoch wurde ihr in jenem Moment klar, dass es nichts änderte. Er würde sich trotzdem scheiden lassen, er brauchte sie nicht mehr. Wozu eine Frau, wenn man wusste, man würde niemals ein Kind von ihr haben? Noch dazu eine Frau, die einem nichts als Schande und Sorgen bereitete. Sie war unnütz, überflüssig. So erstarb der lachende Teil nur zu bald, machte einem umso gequälteren Schluchzen Platz.
    Allzu locker drückte er sie an sich, konnte seine Abscheu wohl doch nicht gänzlich verleugnen in jenem Augenblick. Es war ihr egal. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, presste ihren Körper nur umso fester an den seinen. Ein letztes Mal, so wie die Dinge standen. Eine ganze Zeit lang klammerte sie sich an ihren Gatten, nur um noch ein wenig länger ihr gewohntes Leben festhalten zu können. Denn kaum ließ sie los, würde er ihr sagen, sie könne ihre Sachen packen und schnellstmöglich die Villa verlassen. Das Unvermeidliche ließ sich jedoch nur Hinauszögern, nicht gänzlich abwenden, das wusste Antonia. So lockerte sie nach einer Weile ihren Griff, wischte mit einer Hand die Tränen von ihrer Wange und ließ sich nach hinten sinken. Langsam nickend signalisierte sie, dass sie seine Entschuldigung gehört hatte. Sie glaubte kein Wort, doch sie hatte es gehört. Erleichtert. In ihren Ohren klang er erleichtert, keineswegs bedauernd.
    „Ich.. verstehe schon.“
    Antonias Stimme klang ungewöhnlich krächzig, doch nach einem derartigen Heulkrampf war dies vermutlich nicht weiter überraschend.
    „Wann?“
    Nein, sein Mitleid wollte sie nicht. Wenn sie schon gehen musste, dann aufrecht und stolz. Schlimm genug, dass sie soeben vor seinen Augen sich derart hatte gehen lassen. Jedes Quäntchen Selbstbeherrschung, das sie finden konnte, kratzte sie zusammen, um endlich aufzublicken.
    „Wann soll ich gehen?“

  • Völlig überrumpelt von ihrer Reaktion hielt Gracchus ein wenig ratlos die Arme um seine Gemahlin und schloss aus ihrem Schluchzen, dass sie nicht gewillt war, ihn zu verlassen, dass die gesamte Misere sie ebenso traf wie ihn. Dauerte es sie tatsächlich so sehr, dass sie von ihm kein Kind würde gebären, von ihm, den sie doch so sehr verabscheute? Oder nicht? Wie kleine, messerscharfe Regentropfen prasselten die Erinnerungen an Aquilius' Worte auf Gracchus herab, doch noch immer schienen sie ihm so unwirklich und unglaublich. Ein gewaltiger Kloß formte sich in Gracchus' Kehle und war schwerlich nur hinab zu schlucken. Er war kein liebenswerter Mensch, nicht unbedingt abominabel, doch völlig unzulänglich und makelbehaftet - einzig Caius war so verrückt, ihm mehr als Freundschaft zu schenken, doch Antonia hatte zu solcherlei nicht den geringsten Grund. Und doch, es gab ebenso keinen Grund für sie, so zu zerbrechen, wenn sie sich von ihm wollte scheiden lassen - nur dann, wenn ihr tatsächlich etwas an dieser Ehe lag. Nichts war mehr sicher, nichts, und Gracchus derangierter als je zuvor in seinem Leben er es gewesen war.
    "Wann?"
    wiederholte er zögerlich ihre Frage und hob eine Hand, um ihr, sich dessen nicht gänzlich bewusst, mit dem Daumen die Tränen von der Wange zu wischen.
    "Wohin gehen?"
    Zu einem anderen, dem sie beiliegen sollte? Unbezweifelt musste auch sie zu dieser Erkenntnis gelangt sein, doch dass sie so schnell dies anbot, rührte Gracchus tatsächlich. Sie war gewillt, diese Ehe zu retten - fürwahr, niemals hatte er solch eine Gemahlin verdient, nicht, nach all dem, was er versäumt hatte zu tun, nicht bei all dem, was er niemals in der Lage wäre, zu tun.
    "Ich bitte dich, das hat doch Zeit."
    Sie sah so furchtbar verletzlich aus, dass Gracchus nurmehr Scham ob dessen verspürte, in welche Lage er sie hatte gebracht, welch überaus unzulänglich und unzureichender Ehemann im Grunde er war.

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  • Wohin gehen. Genau das war die Frage, die sich auch Antonia stellte. Zurück in die Villa Claudia? Dort war sie nun fremd, kannte kaum jemanden besser, als man es durch einige Familienfeiern tat. Sie würde dort nur zur Last fallen und wäre niemandem von Nutzen. Nein, zurück in ihr altes zu Hause wollte sie nicht. Sie sah es regelrecht vor sich, sie würde wie eine alte Jungfer enden, allein in einem Mietshaus sitzen, die anderen Mietparteien durch Zetern und Geschrei in den Wahnsinn treiben und sich damit vergnügen, dreimal am Tag eine Katze zu füttern. Ihr schauderte bei dem Gedanken.
    Wie gnädig er doch war. Sie musste noch nicht am nächsten Tag aus der Villa ausziehen. Natürlich, er würde es nie aussprechen, dazu war er viel zu höflich. Doch sie verstand auch so. Sobald wie möglich musste sie hier verschwunden sein. Stumm nickte sie.
    „Sobald ich eine Wohnung gefunden habe.“, erwiderte Antonia daher und atmete tief durch.
    Es war nicht ihre Schuld, dass diese Ehe zerbrach. Die Götter waren ihre Zeugen, sie hatte wahrlich alles getan, um zumindest den Schein aufrecht zu erhalten.
    Ihre Hände lagen mittlerweile gefaltet in ihrem Schoß, nervös knetete sie die Finger. In ihren Ohren klingelten bereits die Ratschläge und Kommentare der Hyänen, welche sie beste Freundinnen nannte. ‚Sei doch froh, nun bist du endlich frei. Ich sage dir, nach meiner ersten Scheidung.. ‘. Gewiss würden sie die Claudia von einem Gelage zum nächsten Zerren und das, wo Antonia Gelage und Feiern hasste. Und er? Saß immer noch den großzügigen spielend vor ihr. Wischte ihr sogar mit seinem perfekten Daumen die nassen Zeugen ihrer Schmach von der Wange. Wem machte er denn noch etwas vor? Und warum musste er sie nur so durchdringend ansehen? Sie sah furchtbar aus, rotgeweinte Augen, aufgelöstes Haar – unter seinem Blick schmolz jede Selbstsicherheit, die sich wieder hätte aufbauen können, um zumindest wieder auf die Beine zu kommen. Er ließ es nicht zu. Genau so wollte er sie wohl sehen. Am Boden. Zerstört. Am Ende.

  • Jedes Wort aus ihrem Munde gereichte dazu, seine Derangierung zu erhöhen.
    "Eine Wohnung? Wozu?"
    Bei allen Götter - sie hatte sich dies bereits überlegt, es konnte nicht anders sein. Doch war es nicht weitaus unauffälliger, der Vater ihres Kindes würde in die Villa kommen, um dort bei ihr zu liegen? Oder wäre es doch besser, sie würde ihn irgendwo außerhalb Roms treffen, womöglich während eines kleinen Ausfluges gemeinsam mit Gracchus, eine Reise zu einem der Landgüter unter Ladung einiger Gäste, er unter ihnen? Ohnehin war dies eine ernstzunehmende Angelegenheit, denn obgleich Gracchus sich der Tatsache bewusst war, dass es sein musste, so hatte er doch geflissentlich die Gedanken daran, wer es sein konnte, bisher verdrängt. Es konnte nicht jedweder beliebige Mann sein, immerhin würde das Kind trotz allem ein Flavius werden, doch andererseits, wer bei allen Göttern würde sich zu solch etwas überhaupt bereit erklären? Es war unzweifelhaft ein einziger Name, welcher sich ihm in die Sinne drängte, doch er wollte nicht ihn hören, er wollte und konnte dies nicht von ihm verlangen. Doch hatte er nicht ihm versprochen, so ihm etwas sollte geschehen, seinen Sohn an sich zu nehmen und ihn wie sein eigen Fleisch und Blut aufzuziehen? Wo wäre der Unterschied, sein Kind an seines Kindes statt erwachsen zu sehen? Dennoch, Gracchus fröstelte leicht allein beim Gedanken daran. Es war bereits mehr als beschämend, die Reihe seiner Ahnen zu brechen.
    "Hast du denn ... bereits über einen Kandidaten nachgedacht?"
    fragte er zögerlich, nicht einen Augenblick ob dessen in Zweifel, dass keine seiner Annahmen in Anbetracht Antonias Verhalten einen Sinn ergab.

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  • Immer wieder tat er es. Er überschüttete sie mit Spott und Hohn. Wozu eine Wohnung, fragte er. Wozu. Wollte er sie am Ende unter einer Brücke sehen, bei all dem anderen unwürdigen Gewürm, das von seiner Familie verstoßen worden war?
    „Soll ich etwa auf der Straße.. ?“
    In höchstem Maße irritiert sah sie ihren Gatten an. Jedes Wort, das er sprach, schien ein Rätsel zu sein. Wie eine Sphinx. Einfach geradeheraus zu reden war ihm seit jeher fremd gewesen. Doch heute, hier in dieser Situation, vermochte Antonia nicht des Rätsels Lösung zu erblicken. So stürzte auch die nächste Frage die Claudia nur noch tiefer in die Verwirrung. Was meinte er nur? Einen Makler, der ihr Wohnungen empfahl? Nein, gewiss nicht. Es half nichts, sie musste fragen. Fragen und so auch noch ihre Dummheit eingestehen. Nichts sollte ihr wohl an diesem Tage erspart bleiben.
    „Kandidat? Was.. für ein.. Kandidat?“
    Als hätte er ihr eröffnet, es gäbe keine Götter, so starrte sie ihn an. Hatte er ob Mangels seiner Zeugungsfähigkeit etwa den Verstand verloren? Oder war er betrunken? Hatte sich dem Wein ergeben, um zu vergessen, weil er bereits geahnt hatte, wie sehr seine Gemahlin ihn beschämen würde, sobald er ihr die Wahrheit eröffnete. Allerdings war kein Alkohol zu riechen. Auch lallte und schwankte er nicht.
    „Ich fürchte, ich verstehe nicht.“
    Es machte nun ohnehin nichts mehr. Für dumm hielt er sie ohnehin, warum nicht einfach seine Annahme bestätigen, spielte es doch jetzt keine Rolle mehr. Einmal nichts mehr vorspielen.

  • Auch Gracchus wollte das Schicksal keine Entwirrung des Knotens gönnen, mit jedem Augenblick, da er glaubte, endlich seiner Gemahlin folgen zu können und im Konsens mit ihr zu enden, da begann sie von neuem ihn zu derangieren. Unmöglich konnte sie darüber nachgedacht haben, ein Kind auf der Straße zu zeugen, nicht einmal im Scherze würde solcherlei sie erwähnen, zudem erweckte kaum sie den Anschein ihn neckisch düpieren zu wollen.
    "Auf der Straße?"
    Wäre er sich dessen gewahr gewesen, dass seit einiger Zeit er nurmehr ein wenig tumb ihre Sätze und Fragen repetierte, vermutlich wäre er erneut ob dessen in Scham verfallen, doch gänzlich waren seine Gedanken verwirrt.
    "Ich fürchte, auch ich teile dieses Unverständnis."
    Mit einem Male traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. So sehr hatte er sich gewünscht, so sehr ersehnt, dass sie würde bei ihm bleiben, dass er blindlings jedes Wort aus ihrem Munde welches nur annähernd danach hatte geklungen, für eben dies hatte angesehen.
    "Wir werden ... trotz allem ... einen Nachkommen brauchen."
    Es war ein letzter, verzweifelter Versuch, bereits in Erwartung, dass in schallendes Lachen sie würde ausbrechen, einen Tor ihn nennen und aus der Villa entschwinden.
    "Nicht wahr?"
    Als zweifle er selbst an seinen Worten drangen diese in äußerst fraglichem Tonfall nur über seine Lippen.

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  • Sie wäre wohl versucht gewesen, aufzuspringen und ihm entgegen zu rufen, was er sich einbilde, sie derart vorzuführen, sie zu allem Unglück immer weiter zu verhöhnen. Doch brachte sie weder die Kraft, noch die rechten Worte auf, um dies zu tun. Wohl Glück für beide, denn wie sie erkennen musste, hatte sie ihn völlig missverstanden. Oder nicht?
    Antonia schwieg. Kaum hatte Gracchus geendet, umfing eine alles verschluckende und schwere Stille die beiden Eheleute. Immer und immer wieder wiederholte sie seine Worte in Gedanken, suchte eine List, einen verborgenen Sinn, etwas, das nicht auf den ersten Blick erkennbar war. Das konnte er nicht meinen, es war schlicht unmöglich. Warum sollte er das wollen?
    „Du.. du meinst.. du und ich? Wir beide? Zusammen?“
    Nach allem, was sie in dieser Ehe erlebt, beziehungsweise nicht erlebt hatte, hätte sie niemals auch nur den Bruchteil einer Sekunde angenommen, dass er länger als das sprichwörtliche Handumdrehen zögern würde, um sie los zu werden. Und nun wollte er, dass sie blieb?
    „Ich soll nicht.. du willst gar nicht, dass.. “
    Sie hatte sich vorgenommen, sich unter Kontrolle zu halten. Nie wieder hatte sie sich solche Blöße geben wollen, wie vor wenigen Momenten. Gracchus Befürchtung erfüllte sich. Sie begann zu lachen. Doch aus einem anderen Grund. Es klang jedoch auch anders als das Vorige. So musste ein zum Tode Verurteilter lachen, wenn er seine Begnadigung erhielt. Ein Ertrinkender, der aus den Fluten des Meeres gerettet wird. Und erneut rannen Tränen ihre Wange hinab. Sie hätte nicht geglaubt, dass überhaupt noch genug Flüssigkeit in ihrem Körper war, um dies zu bewerkstelligen, doch es geschah.
    Schnell beeilte sie sich zu Nicken, denn kein Wort brachte sie aus ihrer heiseren Kehle. Es war noch nicht alles vorbei. Sie konnte bleiben. Sie würde doch noch erfüllen, wozu sie bestimmt war. Dass das Unterfangen, doch noch ein Kind zu zeugen bedeutete, dass sie sich einem anderen Mann hingeben musste, kam ihr in diesem Moment nicht in den Sinn, obwohl es mehr als klar war.

  • "Dass ...?"
    setzte er das gewaltige Fragezeichen im Raume fort, welches spürbar, sichtbar über ihren Köpfen schwebte, aus leuchtend orangefarbenen Nebelschwaden geformt über ihnen waberte und allmählich drohte, die Luft aus Antonias Cubiculum zu verdrängen und sie beide in dichtem Rauch zu ersticken.
    "Dass du ...?"
    Sie beide, zusammen. Sie sollte nicht. Er wollte nicht. War dies etwa tatsächlich, was sie glaubte? Waren all die Jahre rhetorischer Ausbildung, das Schleifen und Feilen an seiner Ausdrucksweise, das Studium großartiger Schriften und Reden, tatsächlich am Ende nur vergeudete Zeit gewesen, sollte all dies letzten Endes nicht einmal dazu gereicht haben, dass er seiner Ehefrau konnte unmissverständlich erläutern, von was im Grunde er sprach? War es das, was Sciurus damit meinte, wenn er davon sprach, dass Gracchus' Ausdrucksweise an manchen Tagen derart filigran war, dass sie dazu gereichen konnte, eine Ameise damit zu erwürgen? Womöglich sollte er doch bei Zeiten ein ernsthaftes Wort mit seinem Sklaven sprechen, wenn dieser glaubte ihn düpieren zu können, vor allem, wenn dies in einer solchen Weise geschah, dass Gracchus es selbst nicht bemerkte. Doch dies war ein anderes Thema, welches zu andere Zeit würde auf ihn harren.
    "Dass du die Scheidung forcierst?"
    Als wäre dieser Gedanke unglaublich absurd - was im Grunde er immerhin tatsächlich war - schüttelte langsam Gracchus seinen Kopf.
    "Aber nein, mitnichten!"
    Womöglich legte sie es darauf an, dass er sie bat, zu bleiben, dass er sie anflehte? Was mochte es noch ändern, er musste es tun, sie war die einzige Ehefrau, welche er je im Leben würde haben, sie war seine einzige Chance, all dem nachzukommen, was seine Pflicht, seine stets festgeschriebene Zukunft war, und so sie tatsächlich nicht freudestrahlend sich von ihm würde scheiden lassen, so war sie wahrlich mehr, als er je verdiente.
    "Ich bitte dich, Antonia, dies nicht zu tun. Ich bin mir dessen mehr als bewusst, dass ich ein fürchterlicher Ehemann war ... bin ... und einiges davon wird vermutlich niemals sich ändern, doch anderes ... kann sich ändern. Vermutlich ist ohnehin es besser, wenn nichts von all dem Makel, welcher mir innewohnt, weiter gegeben wird, womöglich ist es eben darum so, wie es ist, doch wenn ich das Kind eines anderen an meines Kindes statt annehmen muss, so wünsche nichts mehr ich mir, als dass du, meine Ehefrau, die Mutter dieser Kinder bist."

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  • Eindringlich musterte Antonia ihren Gatten während dieser seiner Angst Wortgestalt verlieh. Genau dieselbe Angst, wie sie selbst sie die ganze Zeit über gehegt hatte.
    „Ich?“
    Als hätte Gracchus einen Scherz gemacht, dessen Pointe sich erst nach genauem Nachdenken offenbarte, so sehr legte sie ihre Stirn in Falten. Beinahe hätte sie erneut angefangen zu lachen ob solcher Absurdität. Wie kam man nur auf solche Gedanken, wenn man war, wie er?
    „Du denkst.. Aber ich dachte, du willst die Scheidung?“
    Nagten an ihm etwa die gleichen Zweifel und Befürchtungen wie an ihr? Es schien ihr nichts absurder als diese Annahme. Dennoch war er hier, saß vor ihr, wie ein geprügelter Hund, der sich trotz allem freut, ein freundliches Wort von seinem Herrn zu hören. Bislang war es der Patrizierin jedoch immer vorgekommen, als sei sie selbst der Hund und ihr Gatte der Herr. War es möglich, dass es ihm ebenso ging wie ihr? Das konnte doch nicht sein, sie war nicht wie Gracchus. Sie war nicht so kalt und abweisend. Sie erreichte nicht annähernd seine Perfektion. Wieso sollte er sich von einem unvollkommenen Wesen wie ihr dergestalt verunsichern lassen?
    Ein unbeschreibliches Gefühl absoluter Zufriedenheit kroch in ihr empor. Gewiss, eine Ehe ohne diese Missverständnisse wäre weitaus einfacher gewesen, doch war es gut zu wissen, dass sie nicht die einzige gewesen war, die nachts wach gelegen und sich gegrämt hatte. Er bat sie sogar zu bleiben. Er. Er bat sie zu bleiben. Sein Gerede von seinen angeblich zahllosen Makeln konnte sie jedoch schon wieder nicht nachvollziehen. Kaum glaubte sie, Gracchus zumindest in gewissen Bahnen folgen zu können, begann er erneut mit einem Mysterium. Unsagbare Rührung erfasste sie. Vielleicht mochten diese Zeilen auswendig gelernt oder einer griechischen Tragödie entnommen sein, doch verfehlten sie ihre Wirkung nicht.
    „Manius.“, begann sie sehr leise, „Du bist die einzige Familie, die ich noch habe. Niemals würde ich dich freiwillig verlassen.“
    Nicht ein einziges Mal während ihrer Ehe hätte sie außerdem angenommen, dass sie diese Worte einmal aussprechen würde.
    „Ich hätte dir so gerne einen Erben geschenkt.“, seufzte sie. Einen richtigen Erben. Einen, in dem sein Blut floss. Das Blut der Flavier. Nun wurde ihr klar, dass sie bestenfalls einen Bastard zur Welt bringen würde. Sie. Eine Claudia. Kaum eine patrizische Familie war mit den Flaviern vergleichbar, ihre eigene einmal ausgenommen. Wer also sollte der Vater sein? Ein Sklave? Ein Gladiator am Ende? Das konnte er kaum wollen, schließlich würde es für alle anderen das Kind des Manius Flavius Gracchus sein.
    „Wer soll es sein?“

  • Es war dies eindeutig zu viel, zu viel, um noch unbeschadet es auf den Schultern der Gravitas eines einzelnen Mannes zu balancierten, zu viel, um es in Händen der ohnehin völlig überflüssigen Dignitas zu wahren, zu viel, um nicht Mensch zu werden unter seinem Gewicht. Das Eingeständnis vor sich selbst, die Ahnenreihe zu brechen, unfähig sein ein Kind zu zeugen, diese Schmach, welche ungleich schwerer wog als alles Versagen vorher, das Wissen, kein vollwertiger Mensch, kein vollwertiger Mann zu sein - dazu die Befürchtung, dass dies alles würde ruinieren, was er sich mühsam hatte aufgebaut, dass Antonia ihn würde verlassen, die Scheidung einfordern - die Erkenntnis schlussendlich, dass sie dies nicht würde tun, eine unbeschreibliche Woge der Erleichterung - hinfort gespült von neuerlicher Befürchtung, nur um schlussendlich gänzlich in Erleichterung sich zu lösen. Doch ihr Geständnis, dass ob all seiner Makel und selbst eben mit jenem gewaltigen Defizit sie ihn als ihre Familie betrachtete, dies brach alle Barrieren, brach jede Mauer, welche Gracchus je um sich herum hatte errichtet, ließ ihn zurück wie ein kleines Häufchen Elend, welches auf den Windhauch wartete, welcher es hinfort wehen mochte, denn nichts daran klang wie eine Lüge, und die Erkenntnis dessen, dass er ihre Familie war - er allein, er, welchem nichts mehr wog als die Familie - brach jäh über ihn wie das warme, rotfarbene Blut eines Stieres während eines taurobolium, mit gleicher Wucht, mit gleichem Effekt. In diesem Augenblicke war es, dass er seine Gemahlin zum ersten Mal überhaupt nicht als patrizische Gemahlin, nicht als perfekte Matrone oder Pflichterfüllung ansah, sondern als das, was sie tatsächlich war - Antonia. Nicht mehr konnte er an sich halten, vergaß, was er vorgab zu sein - patrizischer Gemahl, perfekter Flavier in steter Pflichterfüllung - und war, was er tatsächlich war - Manius. Er zog sie an sich und drückte ihren auf einmal so verletzlich scheinenden Körper an den seinen, als würde sie vor seinen Augen zerbröseln, sich in Luft auflösen, wenn nicht er sie hielte. Es musste weit mehr im Leben einer Ehe geben als die fleischliche Lust, dessen war mit einem Male er sich sicher, denn Antonia hatte Recht, die Ehe war Teil einer Familie, mehr noch, der erste Schritt dazu ohne den es nichts weiter würde geben. Doch selbst mit ihr war kein Garant dafür geboten, was schlussendlich Gracchus zurück zu jenem Thema brachte, welches mehr als alles andere ihn noch immer zu erdrücken drohte.
    "Ich weiß es nicht. Ich will und kann dies nicht allein entscheiden."
    Mehr noch als zuvor sanken seine Schultern hinab. Wie zwei kleine Häufchen Elend saßen nun sie inmitten des Raumes auf dem Fußboden, welche darauf warteten, dass ein Windhauch sie würde hinfort wehen, um sie vor dem zu bewahren, was vor ihnen lag. Stunden zuvor noch hatte kaum je einer von ihnen geglaubt, dass sie überhaupt jemals eine Entscheidung würden gemeinsam treffen, doch da es soweit war, war es längst nicht einfacher.
    "Kein Bankert."
    Das Kind würde trotz allem ein Kind der Flavier sein, es würde sein Erbe, wenn auch nicht seine Linie, fortsetzen müssen, und dies würde er keinem Sklavenbalg anvertrauen. Für den Moment eines Augenblickes driftete die Erinnerung an seinen Zwilling durch Gracchus' Sinne, er hätte nicht nur sein Erbe, sondern auch seine Linie fortführen können, da sie doch so gleich gewesen waren, doch womöglich hatte auch ihm der Makel innegewohnt. Sein letzter verbleibender Bruder dagegen kam ihm nicht in den Sinn, denn obgleich auch er die Linie ihrer Familie würde fortführen können, so war Lucullus für ihn ein Fremder und er traute ihm nicht. Vertrauen würde eine große Rolle bei all dem spielen, denn so sie den Vater des Kindes nicht nach der Zeugung beseitigen lassen wollten, würde das Wissen um seinen wahren Ursprung stets eine Gefahr bergen. Da Gracchus keinen Vater für sein Kind wollte dulden, welcher so minderwertig war, dass er sich leicht beseitigen ließ, musste es ein Mann sein, welchem er vertrauen konnte. Womit mit einem Male ihm nur noch zwei Männer im Sinn blieben.
    "Marcus."
    Immerhin hatte Aristides bereits zwei Mal bewiesen, dass er fähig war äußerst wohlgefällige, intelligente Kinder in die Welt zu setzen. Möglicherweise würde man die Zeugung gar derart gestalten können, dass er nichts würde davon wissen, es brauchte dazu nur eine Menge Wein. Ein Seufzen echappierte Gracchus. Er würde nicht seinem Vetter ein Kind rauben und gleichsam ihn darob belügen können, allein das schlechte Gewissen ob dessen würde ihn in das Gladius seines Vaters treiben. Doch würde Aristides in solcherlei freiwillig und in nüchternem Zustand einwilligen? Zudem verlor er manches Mal über sich die Kontrolle im Weinrausch - ein Umstand, welcher wohl alle Flavier bisweilen traf, Aristides jedoch vermutlich mehr als die übrigen, da er sich öfter als alle dem Weinrausch hingab - und dann achtete manches mal er nicht mehr darauf, was er sprach, würde vielleicht gar von seiner Zeugungskraft prahlen. Gracchus liebte seinen Vetter - nicht wie seinen Vetter Aquilius, sondern auf sehr familiäre Art - doch ebenso wusste er um dessen Schwächen.
    "Caius."
    Erneut gelangte er bei ihm an. Unbezweifelt, Aquilius würde dies für ihn tun, denn er würde alles für ihn tun. Wenn nicht sein eigenes kleines Abbild Gracchus würde heranwachsen sehen können, was konnte je ihm gefälliger sein als das Caius'? Und dennoch wohnte dem Gedanke ein schaler Nachgeschmack bei. Diese Bitte konnte dazu gereichen alles zu zerstören, was zwischen ihnen war, dieses Kind konnte dazu gereichen, sie weit auseinander zu treiben. Diese Kinder - ein einziges mochte der Anfang sein, doch es würde nicht ausreichen, eine Familie zu komplettieren - wie sollte er sie je anblicken können, ohne sich seines Versagens bewusst zu sein, wie sollte er je Caius anblicken können, ohne sich dessen gewahr zu werden?
    "Ich weiß es nicht."
    Beiläufig strich er Antonia über ihr Haar, glättete die wilden, dunkelfarbenen Strähnen, denn trotz allem schwelte in ihm noch immer der Hang zur Harmonie und das Chaos auf ihrem Haupte irritierte ihn darob, zudem war es eine überaus beruhigende, beinahe kontemplative Tätigkeit, ihre Haarsträhnen zu ordnen.

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  • Trotz aller Geständnisse und Offenbarungen überraschte es Antonia, dass er sie erneut in seine Arme schloss, erneut Trost und Wärme spendete von einer Seite, die sie nie vermutet hätte. Es war, als säßen hier zwei andere Menschen. Nicht das gleiche Paar, das seit Jahren nebeneinander her lebte, sich mied, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas vorgespielt hatte. Auch sie schloss ihre Arme um ihn, hielt fest, was sie sonst nicht einmal erkennen konnte. Gewiss, nun würde alles gut werden. Denn er brauchte sie. Und, wie die Patrizierin erkannte, er brauchte sie viel mehr, als sie ihn. In einer früheren Generation Claudier hätte Antonia dies wohl schamlos für ihre Zwecke missbraucht. Doch die Zeiten waren ruhiger und Antonia solche Intrigen fern.
    Stattdessen erkannte sie nun, wie niedergeschlagen er zu sein schien. Es musste schrecklich sein zu wissen, dass man keine Kinder zeugen konnte. Sie konnte dies nur zu gut nachfühlen, war sie sich doch lange Zeit sicher gewesen, dass bei ihr die claudischen Fruchtbarkeitsgene nicht angeschlagen hatten, dass sie die Schuldige der Kinderlosigkeit war.
    Während ihr Gatte in Gedanken bereits zwei potentielle – und potente – Kandidaten ausfilterte, versuchte sie selbst das Gleiche, kam jedoch zu keinem befriedigenden Urteil. Vielleicht auch, weil ihr die Überlegung Unbehagen bereitete. Marcus, eröffnete er den ersten Namen. Er nannte ihn beim Praenomen, es musste also ein Flavier, einer seiner Verwandten sein. Natürlich, was läge näher? Ihr selbst war die Idee gar nicht gekommen, hatte sie doch nicht angenommen, dass sich in seiner Familie ein Mann fände, welcher eine derartige Aufgabe auf sich nähme. Welcher Marcus es genau war bedurfte indes einiger Überlegung. Marcus. Marcus. Aristides? Antonias Augen weiteten sich. Epicharis‘ Verlobter.
    „Nein.“, sagte sie schnell. „Nicht Aristides.“
    Zur Bekräftigung schüttelte sie den Kopf.
    „Das geht nicht. Das.. kann ich meiner Verwandten nicht antun.“
    Womöglich war nicht allein die Rücksicht auf ihre junge Cousine der Grund für Antonias Ablehnung, hatte sie doch seit jeher Aristides‘ Kinder für eine Bande schlecht erzogener verwöhnter Gören gehalten. Dass dies vermutlich nicht an der Erbmasse sondern mehr an der Erziehung lag, blieb hierbei nebensächlich. Im Übrigen weilte der Flavius ja derzeit im fernen Parthien. Und sie wollte jene Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    Caius. Der zweite Name, der fiel. Noch ein Verwandter. Einer, bei dem allein die Erwähnung seines Namens bei diesem Thema genügte, um der Claudia die Schamesröte ins Gesicht steigen zu lassen. Sie fühlte sich ertappt. Ob Gracchus es wusste? Von jenem kurzen Kuss im Garten? Von jenem Geständnis, das Aquilius ihr auf den Märkten gemacht hatte? Sicher nicht, niemals würde er ihn vorschlagen, wenn er es wüsste.
    „Aquilius.“
    Sie wiederholte sein Cognomen mehr für sich, war sie sich doch relativ sicher, dass Gracchus jenen Caius gemeint hatte und keinen anderen. Ein Widerspruch fiel ihr nicht ein und so beließ sie es bei der Repetition.
    Ihre Haare ließ sie indes anstandslos sortieren, es war ihr sogar gänzlich entfallen, dass sie keineswegs so aussahen, wie sie sollten. Entspannend, regelrecht angenehm fühlte sich die monotone Berührung seiner Hand an.
    „Mir fällt niemand ein.“, gestand sie schließlich. Niemand, der annähernd geeignet wäre und nicht bereits genannt worden war. Sicher, es gab weitere Flavier. Doch waren sie nicht unbedingt das, was Antonia sich unter dem perfekten Vater ihrer Kinder vorstellte. Furianus? Gut, Proconsul Hispanias. Doch war er nicht einst bei den Vigilen gewesen? Gracchus hatte wohl noch einen Bruder, doch verkroch dieser sich noch tiefer in der Villa Flavia, als sie selbst dies tat, was wahrlich weder ein besonders gutes Zeichen, noch sehr einfach war. Felix? Würde sicher in schallendes Gelächter ausbrechen ob eines solchen Vorschlages.

  • Nicht Aristides - durchaus konnte Gracchus die Bedenken seiner Gattin nachvollziehen, obgleich er nicht wusste, wie nahe Antonia ihrer Verwandten stand - wiewohl er ohnehin wenig über Antonia wusste, was in diesem Augenblicke ihm bewusster wurde denn je. Aquilius indes lehnte sie nicht ab. Vermutlich kannte sie ihn ohnehin zu wenig, um eine persönliche Entscheidung zu treffen, und vordergründig gab es keinen Grund, welcher gegen ihn sprach. Vordergründig. Hintergründig jedoch um so mehr. Der Gedanke daran, Aquilius mit seiner Gemahlin in Beischlaf zu wissen, verstörte Gracchus bereits jetzt - nicht ob seiner Gemahlin, sondern Caius' wegen. Sein Caius. Mit seiner Gemahlin. Und er irgendwo dazwischen. Als Bindeglied. Oder außerhalb. Als drittes Rad am Streitwagen. Es wäre ein leichtes für Aquilius, immerhin war Antonia eine wunderschöne Frau, eine der Schönsten in Rom, wie auch Gracchus als ästhetischer Gourmet sich schon immer hatte eingestanden, und von schönen Frauen ließ sein Vetter sich nur allzu gern bereitwillig locken, vor allem, wenn zudem der Hauch einer Verwegenheit jenem Tun anhaftete. In Gedanken malte Gracchus sich aus, wie die beiden mit einem verschämten Lächeln in einem stillen Cubiculum verschwanden, beide ein leichthin gesprochenes 'Bis später, mein Manius.' auf den Lippen, und während ihre Leiber sich innig umeinander wandten, wohliges Stöhnen gedämpft durch die Türe würde dringen, würde er, ein Gläschen Wein in den Händen, auf einer Kline ausharren, womöglich ein wenig in Epiktets Das Buch vom geglückten Leben schmökern oder in Platons Werk Über Tugend und deren Lehrbarkeit. Hernach würden sie, ein entzücktes Lächeln auf den Lippen, aus dem Cubiculum treten, sich zu ihm setzen und ein wenig Wein und etwas Obst zu sich nehmen, gemeinsam mit ihm sich an der künstlerischen Couleur delektieren, welche der Himmel indessen hatte angenommen - Lavendel und Mauve, mit einem Hauch von Hyazinth. Womöglich - mitnichten, vermutlich und ohne Zweifel - würden sie Gefallen an ihrem Tun finden - ein Mann, eine Frau, wie könnte es anders sein - so dass Gracchus bald sich Vater einer reich mit Kindern gesegneten Familie würde schimpfen können, um welche halb Rom ihn würde beneiden, jene wundervollen kleinen Geschöpfe mit den seidig glänzenden, schwarzfarbenen Haaren ihrer Mutter und den tiefen, braunfarbenen Augen, die unzweifelhaft sie von ihrem Vater hatten geerbt, und im Scherze würde man ihn fragen, wiewohl er es nur geschafft habe, in Hinblick auf seine unzulängliche Person solch prachtvolle Wonneproppen in die Welt zu setzten, und mit einem hintergründigen Lächeln auf den Lippen würde er humorig entgegnen, dass bei solch einer perfekten Ehe, wie er mit Antonia sie führe, nichts anders könnte entstehen.
    "Aquilius"
    repetierte auch er noch einmal bestätigend, dass eben jenen Caius - seinen Caius - er im Sinne hatte.
    "Es gibt keinen Mann, welchem ich mehr vertraue, keinen, welcher geeigneter wäre, und keinen, dessen Nachkommen ich lieber an meines Kindes statt würde annehmen."
    Es gab keinen Mann, welchen er mehr liebte. Es würde alles zerstören, was zwischen ihnen war, jene zarte Pflanze endlich erblühender Leidenschaft gleich jenem festen Band seit Ewigkeiten bestehender Freundschaft. Es war das alte Leid, der ewig währende Fluch - er musste sich entscheiden zwischen seiner Pflicht und seiner Liebe. Gracchus wusste, wo es würde enden, und er hasste sich bereits in diesem Augenblick ob dessen.
    "Wenn es dir beliebt, so werde ich mit ihm ob dessen sprechen."
    Eine letzte Hoffnung blieb, womöglich würde sie Nein sagen, ihn zwingen, eine Alternative zu wählen, einen Bankert als sein Kind anzuerkennen oder doch den gesamten Plan zu verwerfen, seine Linie in Schmach und Schande zu stürzen, doch seine Liebe dafür zu bewahren.

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  • Bei ihrem täglichen Rundgang (Iuno wollte trotz oder gerade wegen ihrer Migräne wissen, ob die Sterblichen ihr endlich im richtigen Maße huldigten, so wie es sich für Sterbliche gehören sollte) kam sie, eigentlich eher zufällig und vollkommen unmotiviert, auch hier vorbei.


    Das was sie da hörte, liess sie erschaudern. Herzzerreissend. Wirklich herzzerreissend. Iuno hatte selten solch merkwürdige Menschen gesehen. Als sie jedoch auf ihre Liste - DIE Liste - blickte, änderte sie ihre Meinung sofort. Merkwürdig? Nein, das war noch viel zu minder. Sie schüttelte den Kopf und hätte ihnen noch einen Vogel gezeigt, wenn sie nicht unsichtbar gewesen wäre.

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