In der Villa | Kein doppeltes Lottchen, aber zwei in einem? Oder: Die Ankunft einer neuen Sklavin

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    Hannibal


    Es war gut, dass Hannibal meist keinen Sinn für Geister und übersinnliche Erscheinungen hatte, er hatte weder eine sensible Ader dafür, noch das Talent, in die Zwischenwelt von Leben und Tod zu sehen, um die herum spuckenden Seelen zu erkennen, die die Menschen tagein, tagaus begleiteten, danach suchten sie zu schützen oder ihnen nach ihrem Glück und Frieden zu trachten. Aber dennoch war auch Hannibal nicht frei von solchen Dingen, es gab Momente in denen die Schatten sich um ihn herum zusammen zogen, Augenblicke, in denen seine Sinne verklärt waren, durch gewisse Substanzen, damit er seine Schuld und seine Taten erneut vor Augen geführt bekam. Dann sah er die Gesichter, dann sah er die Menschen, die ihm sein ganzes Leben lang folgen würden. Rehaugen, die ihn voller Hass ansahen, die Liebe längst erloschen, Romana. Jadegrüne Augen, die ihn traurig mustern, schwarze Hände, die nach Hannibals schlagendem Herzen greifen, eifersüchtig um jenes Leben spendende pulsierende Organ, dass mit jedem Schlag davon zeugte, dass Hannibal noch lebte, im Gegensatz zu ihnen. Viele Schatten begleiten den Sklaven, schon seit vielen Jahren und immer wieder kommt ein weiterer dieser geisterhaften Silhouetten hinzu, die Hannibal nur sah, wenn sein Geist jenseits von Verstand und Klarheit schwebte und er sich all dessen entsann, was er in seinem Leben verbrochen hatte. Nicht, dass Hannibal es nicht auch in wachen Momenten tat, aber er versuchte es immer zu verdrängen, was ihm in den letzten Wochen und Monaten sichtlich schwerer fiel. Zudem glaubte Hannibal in manchen Momenten auch noch die dunklen Augen von Arrecina zu sehen, und wenn es besonders schlimm wurde, dann sah er ihre Augen, ihre leuchtend blauen, ihre strahlenden und lachenden schönen Augen und dann war es für mehrere Tage um Hannibal geschehen und er kaum zu etwas in der Lage. Dann konnte er stundenlang vor sich hin brüten, ohne etwas um sich herum wahr zu nehmen.


    Aber, werter Leser, verlassen wir doch die Gefilde von Hannibals Befindlichkeiten, seinem Seelenzustand, wenn ihn seine, zugegebenermaßen selbst verschuldeten, Geistererscheinungen einholten und seine Augen dieses Flackern erhielten, in dem Augenblick man den Sklaven besser nicht ansprach und Hannibal nicht mehr er selbst war. Nein, widmen wir uns lieber wieder dem heutigen Tage, der Sklavenunterkunft und dem ersten Tag einer jungen Sklavin, die doch hervorragend zu einem Teil der Flavier passte, womöglich nicht alle, aber zumindest zu der alten Liga der Flavier und Sklavenschaft, ehe Humanismus, Nächstenliebe und Menschenfreundschaft, der vor christlichen Art, in die Villa Flavia einzog. Zudem machen wir doch einen kleinen Ausflug in Didos Befindlichkeiten, denn gerade legen sich zwei verführerische Köstlichkeiten auf ihr Bein.


    - Dido -


    Das voll geschnupfte Taschentuch hatte Dido zur Seite gelegt, mittlerweile war der Tränenfluss aus ihren Augen getrocknet, die Wogen des blauen Nass verblieben nun in der Farbe ihres Meeres und schienen keine weiteren Sturmfluten auf den Gefilden ihrer Wangen auslösen zu wollen. Misstrauisch verfolgte Dido den Bewegungen von Asny, sah, wie sich ihr Beutel öffnete, der Hort ominöser Schätze und großer Leckereien, und wie tatsächlich erneut etwas von dem delikaten Naschereien den Weg ans Tageslicht, viel mehr dem Dämmerlicht der Sklavenunterkunft, fand. Verschnupft beäugte Dido die süßen Teile, denn im Grunde wollte sie noch weiter sauer sein und sich nicht so leicht umgarnen lassen. Aber das Dilemma war nun mal: Dido war einfach bestechlich, in jeder Hinsicht. Und gerade was Essen anging, war sie nun mal recht empfänglich. Wenn das Gegebene dann auch noch honigsüß war, dann war es um ihre bockige Standhaftigkeit geschehen. So dauerte es auch nicht lange, da griff Dido schon zu und steckte sich schnell das erste Teilchen in den Mund und kaute. Natürlich kam Dido nicht auf den Gedanken zu teilen. Zum einen teilte Dido nicht gerne, wenn, dann nur im Notfall und bei Menschen, die sie wirklich mochte, davon gab es nicht sehr viele, zum anderen hätte Dido schon gar nicht erwogen mit Hannibal zu teilen. Nein, nein, der konnte sich seine süßen Verlockungen schließlich selber kaufen, der war auf solche Geschenke nicht angewiesen. Dido kam natürlich nie auf den Gedanken, dass es auch Menschen geben konnte, die solche Honig getränkten Früchte gar nicht mochten. Schon war die zweite Frucht in ihren Mund gewandert, wobei sie etwas langsamer kaute als beim ersten Mal und dabei ihre Augen anhob und Asny mit ihren noch rot geränderten Augen ansah, kauend, schmatzend und ohne ein Lächeln oder sonstige Regungen zu offenbaren, außer ein gewisses Wohlgefallen an den Früchten.


    So viel erst Mal zu Dido und zurück zu Hannibal...


    Mit einer leichter Bewegung seines Kinns registrierte Hannibal den Wunsch, die Lyra zu lernen, er wüsste nichts, was dagegen sprechen sollte, im Gegenteil, es würde wohl mehr Wohlgefallen bei seinem Herrn finden und das konnte Hannibal durchaus gebrauchen, wenn sein Herr von Parthia zurück kehrte. Schuld und Sühne; Schuld nagte an ihm, die Sühne suchte Hannibal noch, hatte sie nicht gefunden bis anhin. Seine Mundwinkel wölbten sich nach oben. „Den Griechen sagt man nach, sie würden die Flöte nicht als ein Instrument der schönen Künste halten, verstellt es doch das Gesicht des Künstlers. Und im Wettstreit mit Apollo wäre ein Lyra sicher auch vorteilhafter. Ich werde mich in der Villa um hören, wer die Lyra spielt, ansonsten werde ich einen anderen Lehrer für Dich auftreiben, Asny.“ Was die Sklavenschaft in der Villa anging, war sich Hannibal nicht absolut sicher, ob dort ein Lyraspieler war, aber er meinte einen Sklaven zu kennen, ansonsten hatte er noch jemand im Auge, den er noch aus seiner Zeit in der Subura kannte und der zwar nicht mehr der virtuose Spieler von früher war, aber doch ausreichend für eine Anfängerin mit diesem Instrument. Schließlich musste auch erst erkundet werden, ob Asny ein Talent für das Instrument hatte und ob sich eine Vertiefung lohnte. Aber wenn sie das selbe Potential wie bei der Flöte besass, dann versprach das durchaus einiges. Doch das würde die Zeit zeigen und Hannibal war gewiss kein ungeduldiger Mensch.


    Ob es ihn erleichterte, dass Asny nicht zu dem Christengott betete? Eigentlich war es Hannibal egal, denn der Glaube eines Sklaven zählte nicht besonders und darum und womöglich weil die römischen Götter wenig auf die Seelenwelt der Sklaven achtete, hatte gerade der Christengott so viel Zulauf von der Sklavenschaft. Aber wer gab schon zu, ein Christ zu sein? Selbst wenn in dieser Zeit nicht mehr Tod und Arena auf einen Christen wartete, der Kaiser die Christen sogar in seinem Reich tolerierte, so lange sie nicht offen predigend herum zogen und ihre kultischen Angelegenheiten im Stillen und Verborgenen vollzogen. Hannibals rechter Mundwinkel hob sich eine Nuance. Bei Asnys letzter Offenbarung blinzelte Hannibal einen Moment, dann wanderte auch der andere Mundwinkel in die Höhe und ein Lachen löste sich aus einem Mund. Es war kein gehässiges Lachen, freundlicher Natur und selten in den letzten Wochen von Hannibal genutzt, womöglich war er schon außer Übung geraten, denn lange lachte Hannibal nicht, gleichwohl ihn die Geständnisse von Asny noch länger amüsierten. Er beugte sich etwas nach vorne und fixierte Asny mit seinen braunen Augen. „Was die Buchführung angeht, mache Dir diesbezüglich keine Sorgen. Alles was die Finanzen meines Herrn angeht, darum kümmere ich mich.“ Dass das nicht sonderlich kompliziert war, erwähnte Hannibal nicht. „Und zu den Nachtstunden...“ Hannibals Lippen verzogen sich zu einem belustigten Grinsen. „Auch in dieser Hinsicht kein Bangen. Sicherlich musst Du Deine Jungfräulichkeit wohl nicht Deinem neuen Herrn opfern.“ Hannibal hob die Hand und ergriff einer der hellen, fast schon weißen Haarsträhnen von Asny. „Hübsch bist Du, Asny, und es gibt viele hier in der Villa, vor denen Du Dich sicherlich in Acht nehmen solltest, von der Herrschaft natürlich, die Sklaven musst Du nicht an Dich heran lassen. Aber mein und Dein Herr bevorzugt andere Frauen.“ Weich fühlte sich die Haare zwischen Hannibals Fingern an, langsam ließ Hannibal die Haarsträhne wieder dort hin zurück sinken, wo sie sich mit ihren Schwestern vereinen konnte. „Du wirst Aristides sicherlich mit Deiner Musik gnädiger stimmen können als mit Deinem Körper, Asny!“


    Hannibal zog seine Hand wieder zurück und verschränkte sie vor der Brust. „Was die Wahl des Gottes angeht.“ Hannibal betrachtete das Gesicht der jungen Sklavin und war sich einen Moment unschlüssig. Er war kein Gelehrter, was die Dinge der römischen Kulte anging, noch der Verehrung, es ging nicht über das hinaus, was ein jeder Römer wissen musste. Und Hannibal musste das wissen, um seinem Herrn, sollte er mal wieder eine grobe Bildungslücke offenbaren, damit aushelfen konnte. „Dein Herr gehört zu den Saliern!“ Hannibal sah in Asnys Augen, um zu sehen, ob ein Erkennen dort sich wieder spiegelte. „Die Salier sind eine kultische Vereinigung von Patriziern. Sie ehren mit ihren Tänzen die Kriegsgötter, Mars und Quirinus!“ Hannibals Finger seiner linken Hand tippten gegen seinen Oberarm, während er nachdachte. „Bellona wäre möglich. Mars natürlich. Vica Pota, des Sieges Willen, Pax, um Frieden zu schaffen, Virtus, um ihm Stärke zu verleihen. Oder Du betest zu dem Genius der Flavier!“


    - Dido -


    Mittlerweile hatte Dido auch den letzten Rest von den süßen Früchten herunter geschluckt und sah mal von Hannibal, dann zu Asny. Sie hatte irgendwann in dem Gespräch den Faden verloren, worum es eigentlich ging. Das mit der Lyra leuchtete Dido ein, auch, dass Asny wohl die Buchhaltung nicht mochte, aber was meinten sie mit Nachtstunden? Was hatte Blut damit zu tun? Und wie kam Hannibal zur Jungfräulichkeit? Womit konnte Asny nicht erfreuen? Mit ihrem Körper nicht? Mochte der Vater ihres Herrn etwa kein Tanz? Denn etwas anderes fiel Dido in dem Moment einfach nicht ein, was sonst gemeint sein könnte. Aber Dido wollte sich ihre Verwirrung nicht anmerken lassen. Sie tat, als ob sie absolut den Durchblick hatte, nickte hin und wieder, rümpfte die Nase oder sah zur Seite, als ob sie das Ganze eher langweilen würde, dabei dachte sie fieberhaft darüber nach, worum es ging. Als es dann zu den Göttern ging, wurde das Terrain wieder vertrauter, schließlich hatte Serenus Lehrstunden bei Gracchus gehabt und darum hatte Dido doch einige Dinge mitbekommen. „Mars wäre am Besten!“, verkündete sie darum selbstsicher. „Aber wenn Du ihm ein Tier opfern willst, musst Du darauf achten, dass es die richtige Farbe hat. Kein weißes und kein schwarzes Tier für Mars. Das würde er nicht annehmen. Aber natürlich kannst Du auch ein un...ähm...unblutiges...oder?...ja, ein Opfer ohne Tier machen, aber das ist natürlich nicht so viel Wert!“ Sie merkte, dass Hannibal sie betrachtete und den Kopf schüttelte, dabei an Asny wandte. „Auch ein unblutiges Opfer hat einen hohen Wert! Es genügt für Dein Anliegen mit Sicherheit!“ Dido verzog schmollend das Gesicht. Pah, SIE wußte es besser, glaubte sie zumindest!

  • Nachdem sie tatsächlich die Kunst fertiggebracht hatte, selbst als Tote fast noch einmal an einem ausgewachsenen Erstickungsanfall zu sterben, kehrte auch Asa auf die kurzfristig verlassene Bühne der Sklavenunterkunft zurück, nachdem sie für einige Augenblicke etwas unkontrolliert in das Mauerwerk darunter abgedriftet war. Hätte sie gewusst, dass es etwas nutzen würde, wäre sie wohl so frei gewesen, ihre gemütlich plaudernde Schwester auf anwesende Kinder aufmerksam zu machen. Aber es stellte nichts anderes als Naivität dar, anzunehmen, dass Asny bei ihren Ausführungen auf irgendwelche Anwesende Rücksicht nähme, schließlich wusste sie sich gewählt auszudrücken. Und dass Dinge existieren, für die Dido womöglich noch zu jung wäre - nun, mit dieser Meinung stand Asa wohl recht alleine da. So hoch, wie der lebende Zwilling das reine Wissen an sich schätzte, stellte gewollte Unwissenheit einen Frevel höchsten Ausmaßes dar. Doch mit ein wenig Glück interessierte sich Dido herzlich wenig für derartigen Kram. Und mit noch wesentlich mehr Glück beließ Asny es bei dieser einmaligen Bemerkung.
    Dass die weißblonde Sklavin auch weiterhin so versessen darauf war, für einen vollkommen Unbekannten zu beten, mochte noch seltsamer anmuten wenn man wusste, dass ihr älterer Bruder ebenfalls der römischen Armee als einfacher Fußsoldat beigetreten war - wenn man denn freundlich war, und es auf diese Weise ausdrücken wollte. Bereits vor einigen Wochen, inzwischen Monaten, hatte seine Legion Rom verlassen und kämpfte... irgendwo. Asnys Wissensdurst hatte leider nicht ausgereicht, um sich dafür zu interessieren, wo denn ihr älterer Bruder möglicherweise gerade sein Leben aushauchte. Asa, die trotz aller Geisterqualitäten recht eng mit dem Kopf ihrer Schwester verbunden war, wusste es natürlich ebenso wenig, obgleich es sie erheblich mehr interessiert hätte. Doch der lebende Zwilling hatte sich bereits vor einigen Jahren eine bestimmte Meinung von jenem Familienmitglied gebildet, aufgrund von verschiedenen Taten und Worten seinerseits. Diese Meinung hatte sie, diesmal den wohlmeinenden Worten ihres ehemaligen Mentors voll und ganz folgend, sogar recht kurz und knapp auf einen einzigen Begriff zusammengestaucht.
    'Säufer'?
    'Schläger'?
    'Krimineller'?
    'Mörder'?
    'Vergewaltiger'?
    'Erpresser'?
    'Betrüger'?
    'Untergrundherrscher'?
    Nicht doch.
    'Dummkopf'.
    Damit war das Thema 'älterer Bruder' für Asny vom Tisch, obgleich Kjartan nicht wirklich zu blöd war, um einen Löffel richtig herum zu halten. Er besaß eine sachte Neigung zur Einfachheit, zur Einfalt, machte diesen Hang jedoch meistens mit optimistischer, selbstbewusster Ader wieder wett und wurschtelte sich so dennoch irgendwie durch sein Leben, dabei nicht wirklich ein Ziel vor Augen. Asny wechselte das letzte Wort mit ihm vor ungefähr zwei Jahren. Von diesem Zeitpunkt an gestalteten sich die Unterhaltungen ältester Bruder/älteste Schwester durchweg wie Selbstgespräche. Denn Kjartan hing an seiner Schwester und füllte die ansonsten zwischen ihnen herrschende, nicht wirklich bösartige, aber auch nicht gerade angenehme Stille weiterhin mit fröhlichem Geplaudere in der Hoffnung, dass seine Lieblingsschwester irgendwann doch noch einmal reagieren würde. Ebenso gut hätte er sich mit einer Steinwand unterhalten können. Wäre er zu jenem Zeitpunkt zu Hause gewesen, hätte er zweifellos niemals zugelassen, dass ihre Eltern Asny in die Sklaverei verkauften, deren verdächtiges Verhalten er stets überaus ehrenhaft verteidigt hatte. Nicht, dass er seiner Schwester damit in irgendeiner Weise eine Freude gemacht hätte. Kjartan hatte sich irgendwann nach einem etwas ungeschickten Spruch *poff* in Luft aufgelöst und wahrscheinlich wäre Asny eher über ihn gestolpert, als nur noch ein Wort mit ihm zu wechseln. Und was sein Schicksal in der Armee anbelangte - herrje, die menschliche Lebensspanne war zu kurz, um über Nichtigkeiten nachzudenken.


    Jenes Geschwisterkind, das Asny sehr wohl wahrnahm, auch wenn der Rest der Welt nicht dazu in der Lage war, sah nach einem kurzen Ausflug in schwesterliche Grausamkeiten wenigstens ihre vormalige Wette als gewonnen an, denn Dido etwas Süßes hinzuschieben bot eine größere Vernichtungsgarantie als die gesamte römische Armee. Und natürlich wurde nicht geteilt, alles andere hätte vermutlich auch eherne sklavische Grundsätze erschüttert. Immerhin schien der Honig auch die letzten Tränen zum Versiegen gebracht zu haben, wie Asa zufrieden feststellte. Dido als ihre mögliche Wiedergeburt sollte auch wahrhaftig nicht allzuviel heulen, erst recht nicht vor Hannibal, der nach wie vor streng beäugt wurde. Nicht, dass ein Geist im Notfall allzu viel hätte ausrichten können, doch vielleicht sollte sie wenigstens versuchen, in der kommenden Nacht ein wenig Albdruck zu spielen und Hannibals Brust ein klitzekleinwenig zu beschweren. Die Nächte, in denen Asny schlief, waren langweilig und in einen fremden Kopf zu schlüpfen war eine verlockende Vorstellung für einen Plagegeist in Ausbildung.
    Die lebende Schwester indes war derzeit sowohl von Dido wie natürlich noch viel weiter von ihrem unnützen Bruder entfernt. Ihre konzentrierte Aufmerksamkeit galt einzig Hannibal, oder vielmehr dessen Worten, denen sogar das Kunststück gelang, Asnys Herz ein wenig schneller schlagen zu lassen. Eine Lyra... ein Wettstreit mit Apollon... ein Lehrer... Asnys Ehrgeiz stand so lichterloh in Flammen, dass selbst durch die Nebelschleier ihrer Augen fahles Sonnenlicht zu blinzeln schien. Keinen angepeitschten Pulsschlag lang gab sie sich auch nur mit dem Gedanken ab, dass die Kunst des Lyraspiels womöglich nicht für sie geeignet wäre. Jeder, der sie schon einmal bei innerlich völlig auf ihr Tun fokussierten, die Umgebung, die Zeit, die Welt vergessenden Übungen von was auch immer gesehen hatte, wusste zumindest zu sagen, dass ihr Erfolg gewiss nicht an Dingen wie Willen, Faulheit oder Ablenkungen scheitern würde. Ihr alter Mentor hatte einmal direkt neben ihr einen aufgrund leichter Herzstörungen auftretenden Schwächeanfall bekommen, ohne dass Asny es völlig vertieft in ihr Studium griechischer Vokabeln überhaupt bemerkt hatte. Ebenso gut hätte er schreiend und gurgelnd abgeschlachtet werden können, solange keine Blutspritzer ihren Weg aus herausgerissenen Gedärmen durch die Luft und auf vokabelhaltiges Pergament fänden, wäre von seiner übereifrigen Schülerin keinerlei Hilfe zu erwarten gewesen.
    "Ich werde härter trainieren denn je um bei Marcus Aristides' Rückkehr bereits Ergebnisse vorweisen zu können", erwiderte sie an jener Stelle überaus schlicht und ruhig, mit keinem Laut ihren inneren Tumult andeutend, der seine Kraft zwar aus freudigem Chaos schöpfte, jedoch sehr schnell in sinnvolle, strebsame Bahnen gelenkt wurde, um Verschwendungen von Energie vorzubeugen.


    Was das Christentum betraf, so besaß Asny zwar einen groben Überblick über das Wie und Warum, da es ihrer Meinung nach irgendwie zur Allgemeinbildung gehörte, sich auch Andersgläubigen zu widmen, doch für sie selbst kam eine einzelne Gottheit einfach nicht in Frage, schon allein aufgrund ihres teilweise nach Gottheit geordneten Repertoires an Tänzen, Liedern und Gedichten. Wäre es indes anders gewesen, hätte sie dies nach Hannibals Frage mit großer Gewissheit rundheraus zugegeben, da sie sich in Fragen ihre Meinung und Einstellung betreffen betont offen und ehrlich gab. Es existierten viele Themen, bei denen sie aufgrund vorangegangener Auseinandersetzungen und Meinungsbildungen mitdiskutieren und -argumentieren konnte, weit jenseits des üblichen seichten Konservationsgeplauders junger Frauen, deren verzweifelte Eltern einen brauchbaren Ehemann suchten. Das Problem bestand vielmehr darin, einen brauchbaren Diskussionspartner zu finden, der bestechend logisch vorgebrachten Elementen nicht mit einem simplen 'Find' ich aber doof irgendwie' gegenübertrat. Äußerst frustrierend.
    Hannibals gutmütiges Lachen forderte bei Asny in keinster Weise eine Reaktion heraus, während der Geist neben ihr von einer Schwester zu einem grollenden Kampfhund transformierte und mit schwärzesten Zornesblitzen die Atmosphäre auflud - wenigstens für jene, die ein Gespür für das Übersinnliche besaßen. Das warnende Knurren nahm konstant an Lautstärke zu, ebenso wie die Anzahl von albträumerischer Misshandlungen, die Asa anstrebte, sobald Didos Erzeuger sich in der Hoffnung auf ein wenig Ruhe, Frieden und Vergessen in Morpheus' Arme warf. Um zwanzig Jahre gealtert würde er am nächsten Morgen aus dem Bett kriechen, mit weißem Haar, zitternden Händen, und für alle Zeiten der Lust auf fleischliche Vergnügungen beraubt. Verdammt, wenigstens einen simplen Schluckauf könnte er bekommen bei derartigen Mengen schadhafter Impulse!
    Asnys Gedanken freilich drehten sich vielmehr um das Erlernen der Buchführung durch eben jenen Mann, den sie aufgrund der negativen Energiewolken, die ihn inzwischen umgaben, nach längerer Blinzelpause kaum noch erkennen konnte. Sicherlich würde es nicht schaden, wenn zwei Sklaven des Marcus Aristides die Buchführung beherrschten, sollte Hannibal wider Erwarten einmal unpässlich sein, um dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen. Beispielsweise weil ihn unsichtbare Hände von hinten zu erwürgen versuchten. Die neue Sklavin nahm sich vor, jene überaus eigennützige Überlegung bei Gelegenheit vorzutragen, empfand es jedoch als höflicher, ihr vorgebeugtes Gegenüber erst einmal seine Ausführungen zu Ende bringen zu lassen.


    Zugegeben, nach den Klängen rechts von ihr, die inzwischen an eine ganze Horde tollwütiger Wölfe erinnerten, drangen Hannibals Worte bezüglich körperlicher Dienste ein wenig verzerrt zu ihr, dennoch wich der Ausdruck ruhigen Interesses nicht einen Herzschlag lang aus ihren Augen. Ebenso gut hätte man ihr etwas über die Heizsysteme der örtlichen Thermen erzählen können. Ihr Verständnis mit einem Nicken bekundend verriet sie zunächst keinen ihrer Gedanken, die jedoch wie so oft in guter Anzahl vorhanden waren. Doch sie ließ auch das Thema der Götterwahl zunächst noch folgen, wobei Asa Didos Vorschlag nur triumphierend nickend zustimmen konnte. Asny indes blieb ein wenig länger bei der Erwähnung der Salier hängen, von denen sie sehr wohl bereits etwas gehört hatte, bedauerlicherweise nur im unzufriedenen Klatsch der schlechtbehandelten Bevölkerung. ' 'ne neue Ausrede dieses reichen Gesocks, um sich in die Waagerechte zu saufen und 'rumzuhuren und teures Essen in sich 'reinzustopfen, diesmal mit dem Grund, den Göttern zu huldigen! Ich sach's ja immer, gib' Dreck 'nen hübschen Namen und alle fressen ihn!' Ja, so in etwa mochte der meistgehörte Wortlaut gewesen sein, doch zweifellos würde sie hier eine andere Definition derselben Sache hören und lernen. An sich klang dies mit dem Tanz und den Kriegsgöttern doch auch recht überzeugend, weswegen Asny wiederum sacht nickte. Allerdings kannte sie sich auf diesem Gebiet bedauerlicherweise nicht ausreichend aus. Womöglich gab es festgelegte Tanzschritte, Figuren, Darstellungen, die sie zunächst lernen sollte. Sie würde zweifelsohne nachfragen müssen. Und wollen.
    Ihr Instruktor und sein Spross hatten geendet und Asas blutrünstiges Geknurre war auf vertretbare Lautstärke abgesunken.


    "Die Tänze zu Ehren der Kriegsgötter klingen vielversprechend, sofern ich diese verwenden darf. Falls es vorgeschriebene Schritte gibt, müsste ich die natürlich zuvor erlernen, ansonsten wäre es mir eine Ehre. Wie Dido schon vorschlug", ein kurzes, dankbares Lächeln in Richtung der kleinen Sklavin folgte, "wäre Mars vermutlich doch eine sinnvolle Wahl. Womöglich wäre ein Tieropfer auch eine Überlegung wert, um überhaupt die rechte Aufmerksamkeit des Kriegsgottes zu bekommen...." Nicht, dass es ihr für einen guten Zweck etwas ausgemacht hätte, einem Tierleben ein rasches, blutiges Ende zu bereiten, vielmehr beunruhigte sie ihr Mangel an Erfahrung auf diesem Gebiet ein wenig, doch auch dies betreffend würde sie sicherlich jemanden finden, nach dessen Anordnungen sie handeln könnte.
    Diesbezüglich noch uneinig mit sich selbst wechselte sie erst einmal zum nächsten angesprochenen Thema und begann sogleich mit ebenfalls typischem, leichtem Schulterzucken, um einem weiteren mystisch umwölkten Gebiet mit vernichtender Sachlichkeit und Logik zuleibe zu rücken. Selbstredend mit höflichstem, zartem Lächeln.
    "Derart romantisch verklärt, um meine Jungfernschaft zu bangen, bin ich nicht. Man sollte nur einfach wissen, wo die eigenen Grenzen liegen. Was nutzt es so zu tun, als besäße man Erfahrungen auf einem Gebiet, die nicht vorhanden sind? Eigentlich vertrete ich ohnehin die Meinung, dass die Jungfräulichkeit und deren Ende allgemein ein wenig zu hochgeschätzt wird."
    Sagt die Jungfrau, die eben noch unbedingt zu Vesta beten wollte.
    "Von den Vestalinnen vielleicht abgesehen. Wie ich gelernt habe, liegt das ganze hochgelobte Geheimnis in einem dünnen, schmalen, mäßig durchbluteten Stückchen Haut, das den gesamten Vorgang vielleicht etwas unangenehm macht, welches im Grunde jedoch kaum eine Erwähnung wert ist und einzig durch zuviel Symbolisierung jenen Status erhielt, von dem es nun nicht mehr weichen will. Die gesamten darum schwirrenden Begrifflichkeiten wie 'opfern', 'schenken' oder 'rauben' sind eigentlich nichts als imaginäre, inhaltslose Übertreibungen und könnten ebenso für das Durchstechen eines Ohrläppchens oder das Schneiden der Haare gelten, wo sie dem normalen Menschen überraschenderweise jedoch vollkommen banal erscheinen, außer natürlich sie unterliegen einem kultischen Ritus. Eine Jungfräulichkeit ist kein Päckchen, das man bei sich hat und verlieren kann, sondern ein einfacher körperlicher Zustand, in dem man sich entweder befindet, oder eben nicht mehr. Entweder, das Ohr wurde durchbohrt, oder es ist noch ganz. Es ist, wie es ist, kaum ein Grund, das Firmament auf den Kopf gestellt zu sehen. Oh, aber ich bilde mir keineswegs ein, alles über dieses Thema zu wissen und ich möchte auch keinesfalls deine besondere Einstellung dazu Lügen strafen. Es ist nur meine persönliche Meinung."
    Während Asa noch leise wimmernd anmerkte, dass sich weiterhin ein Kind in der Mitte jener unglücklichen Debatte befand, ergänzte ihre Schwester mit gleichbleibend ruhiger und gelassener, fast entspannt wirkender Stimme:
    "Kann ich dann durch den Satzteil 'die Sklaven musst Du nicht an Dich heran lassen' aber davon ausgehen, für die Sklavenzucht der Flavier nicht in Frage zu kommen?"

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    Hannibal


    Einst gab es womöglich eine Zeit, eine Zeit, die so fern erscheint, wie das Licht der Sonne in der Sklavenunterkunft, in der der Geist von Asa sich in guter Gesellschaft der gehobensten Art von ganz Rom befunden hätte, auf die gequälten Geister bezogen. In der die Menschen in der Villa noch gezittert hatten vor dem Zorn und der Grausamkeit, die den Flaviern an zu haften schien, an dem Wahn, den man den Familienmitgliedern nachsagte und die sie für die Sklavenschaft umso unberechenbarer machte, doch womöglich waren die Strahlen der Sonne ein Zeichen dafür, dass andere Zeiten in der Villa herein gebrochen waren, ausgedünnt war das Blut der Flavier, wässrig in der Natur geworden, seicht im Gemüt und milde in den Stimmungen. Keine heulenden Geister flogen mehr durch die Räumlichkeiten, Sklavenlachen ertönte stattdessen in dem Gesindetrakt und der Gang der Unfreien war leichter in jenen Monaten und Wochen geworden. Der Letzte der Flavier, dem man noch mit Fug und Recht einen Flavier nennen konnte, weilte schon lange nicht mehr in der Villa, er war nach Sardinia gewandert und manche munkelten, selbst der Sklave Sica war der Grausamkeit des Felix am Ende anheim gefallen. Doch solche Satanie schien fern zu sein und die Folterkammer nur noch ein trauriger Rest des einstiegen Schreckens, der von den Flaviern ausging. Neue Zeiten, neue Sitten hatten sich eingeschlichen, Menschenfreundlichkeit oder einfach auch nur die Ignoranz gegenüber dem Ruf, den es eigentlich zu wahren galt. Dachte Hannibal über solche Dinge nach? Nein, werte Leser, selbst wenn er sich dessen bewusst war, womöglich sogar mit Erleichterung, aber nicht mit großer Freude, so war er mit gänzlich anderen Dingen beschäftigt, zudem gewiss, dass in Baiae ganz sicher noch den alten Traditionen der Flavier gefrönt wurde. Braune Augen versanken in himmelblaue Seelentore, die geschlossen vor ihm lagen und sich keinen Zoll öffnen wollten, um Hannibal zu verraten, was hinter den Toren vor sich ging, was Asny wirklich dachte und fühlte. Ob ihre Worte mehr ein Einschmeicheln waren oder von großem Ernst beseelt, zeigend, dass sie schon jetzt, obwohl sie ihren Herrn noch nicht einmal kannte, von Ehrgeiz ergriffen war. Ihm zu gefallen oder ihm nicht zu missfallen? Die Grenzen waren fließend und nicht zu bestimmen. Hannibal nahm die Erwiderung mit einem leichten Kopfnicken hin, kommentierte es jedoch nicht. Es würde sich zeigen, ob ihr Ehrgeiz sich auch in Taten zeigte oder es nur leere Worte von einer jungen Frau war, die gerade in eine fremde Umgebung kam und danach suchte, zu gefallen.


    Verspürte Hannibal tatsächlich etwas von all den bösen Wünschen, die ihm entgegen schlugen? Schwer zu sagen, aber dann zuckte doch Hannibals Nase, seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er musste niesen. „Entschuldige...“ Ein Blick auf das voll geschnupfte Taschentuch genügten Hannibal, dass er den Impuls, danach zu greifen, unterließ. Stattdessen ließ er seine Hand sinken und lauschte den Worten von Asny. Zuerst verstand er nicht ganz, was sie wollte, doch dann blinzelte er verblüfft und sah Asny erstaunt an. Sie wollte die Tänze der Salier einüben, sicherlich, der Zug der Salier wurde auch von tanzenden Frauen begleitet, angemietete Tänzerinnen meistens, aber auf den Gedanken, eine Sklavin könnte den heiligen Tanz der Salier, der noch aus den Zeiten der römischen Könige stammte und eine tiefe römische Tradition war, erlernen wollen, das war für Hannibal neu. Aber amüsant fand er das, darum breitete sich ein Schmunzeln auf seinem Gesicht aus. Aber es kam noch besser. Die sachlich, nüchternen Worte aus dem Mund einer Frau, die womöglich gerade erst noch ein Mädchen war und wohl kaum viel von der Welt gesehen haben konnte, geschweige denn große Erfahrung in solchen Angelegenheiten hatte, erweckten Heiterkeit in Hannibal. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Augenbrauen zuckten einige Male, seine Mundwinkel folgten diesen im Takt und er nickte, in dem Versuch, verstehend zu sein. „Hmh!“, murmelte. „Ach ja?“, fügte er an. Die Serenität wuchs und wuchs, je länger Asny sprach und Hannibal über die Nichtigkeit und Bedeutungslosigkeit der Jungfernschaft aufklärte. Hannibal nickte, scheinbar verständnisvoll und gab ein: „Ah so ist das!“, von sich. Doch ein aufmerksamer Beobachter würde sicherlich sofort sehen....Moment mal, war Asny aufmerksam? Wohl eher nicht, oder? Aber der Schwester Asa würde es sicherlich nicht entgehen, dass Hannibal schwer mit sich kämpfte, um den Lachkrampf zu unterdrücken. Es war ein Gefecht, dass die Wangen des Sklaven leicht rötete, ein fröhliches Leuchten in seine braunen Augen trieb und letztendlich gewann. Einen triumphalen Sieg über den Willen des Sklaven und sich in einem herzlichen Lachen entlud, das die gesamte Sklavenunterkunft füllte und bei Dido auf einen verständnislosen Blick traf, die jedoch schon seit dem Ende des Tanzgespräches nicht mehr den Worten von Asny folgen konnte und sehr irritiert aus der Wäsche schaute.


    Von den befremdeten Blick seiner Tochter ließ Hannibal sich nicht aus dem Lachen heraus reißen, auch schien sich Hannibal keinerlei Gedanken darüber zu machen, ob das Thema für die junge Seele von Dido nicht zu deftig war. Rom war nun mal eine Stadt, in der man um solche Dinge nicht herum kam, warum einer Sklavin, einer kindlichen Serva etwas vor gaukeln und sie in einer Welt leben lassen, die so eminent wichtige Angelegenheiten außen vor ließ. Sprich: Hannibal hatte keine Skrupel, derlei vor Didos Ohren zu besprechen, im Gegenteil. Je mehr Dido lernte, desto besser. Es trieb Hannibal einige Lachtränen in die Augen, so sehr konnte er sich dem Heiterkeitsausbruch nicht erwehren, aber es war wohl das erste Mal seit Monaten, dass Hannibal sich derart amüsierte. Schließlich verklang das Lachen, nur noch ein schnelles Atmen blieb übrig und ein Wegwischen der Lachtränen. „Ich sehe schon...“, meinte Hannibal und atmete tief ein. „Ich habe eine belesene und sehr reflektierte junge Frau vor mir. Also gut, dann möchte ich dem natürlich nicht widersprechen und Dir voll und ganz Recht geben. Zudem ist die Bewertung Deines körperlichen Zustandes und den damit einhergehenden Implikationen natürlich Dir überlassen oder Deinem Herrn, schließlich gehört Dein Körper auch gänzlich ihm.“ Noch einige Male zuckte es um Hannibals Mundwinkel, einem Echo gleichend, dass von dem Lachen hervor gerufen wurde.


    „Die Tänze der Salier hingegen wirst Du wohl nicht zu lernen brauchen, denn es sind die Patrizier selber, die die Kriegstänze vollführen. Sie tragen dabei die archaischen Rüstungen von der Zeit der Könige und einer der zwölf Salier bei den Tänzen hält das heilige Schild des Mars' in seinen Händen, ein sehr alter Kultgegenstand. Aber ob Sklaven dort zugelassen sind...da fragst Du lieber Deinen Herrn selber.“ Natürlich gab es noch zwei andere Salier im Haushalt, Gracchus und Aquilius, aber er würde gewiss nicht die Sklavin dort hin schicken, schließlich waren die Sklaven zum Dienen da und nicht die Herrschaften, um sie über Kult und Sitte zu informieren. Das oblag höchstens dem eigenen Herrn, so sah das zumindest Hannibal. „Ein blutiges Opfer also? Was möchtest Du denn Mars für Deinen Herrn opfern und noch viel mehr, woher willst Du das Tier nehmen, Asny?“ Ein Seitenblick genügte um Hannibal zu zeigen, dass es bereits in Didos Geist rumorte, sie sicherlich Ideen von Hühnerstall bis Küche durchging, um an das nötige Opfertier zu kommen. Hannibal wusste, dass Dido vor dem Diebstahl des herrschaftlichen Besitzes gewiss nicht zurück schreckte und Hannibal hatte in dieser Hinsicht auch vollkommen Recht. Doch darum würde sich Hannibal, wenn überhaupt, später kümmern. Nachdenklich betrachtete Hannibal Asny schließlich. Sklavenzucht? Hatte Dido ihr gar schon davon erzählt? Das wunderte Hannibal auch nicht, Dido prahlte zu sehr damit. „Ich glaube, die Sklavenzucht ist etwas, worum Du Dir im Moment noch keinen Gedanken machen musst. Ich meinte viel mehr, dass Du nicht glauben musst, ein anderer Sklave im Haus könnte Dir, bezüglich seiner Gelüste, seinen Willen aufdrücken. Du gehörst Deinem Herrn und nur er kann darüber bestimmen...“ Hannibal beugte sich etwas nach vorne und stützte seine Hände auf seinen Oberschenkeln ab. „Was nicht heißt, dass Du züchtig leben musst und darauf warten, dass Dein Herr Dir in dieser Hinsichten Anweisungen gibt. Verstehst Du, was ich damit meine?“

  • Die kleine rote Spinne, welche während der letzten Zeit ruhig lauernd an Asnys Fingerknöchel geschmiegt verharrt hatte und offenbar testete, ob diese Umgebung still und unbewegt genug war, um sich längerfristig hier niederzulassen, begann mit langsamen, eleganten Schrittchen ihrer acht Beine die leicht gebogenen Finger abzulaufen, ehe sich ein schwach klebriger, hauchdünner Faden aus ihrem Hinterleib zu schlängeln und die ersten sich treffenden Stützen für ein ordentliches Netz zu schaffen begann, das jedoch vermutlich nicht allzu lange für den Fang eines üppigen Mittagessens gespannt bliebe. Doch in diesen Monaten fiel die Beute gewohnheitsgemäß ein wenig geringer aus und Spinnen pflegten einen zähen, willensstarken Lebenswandel zu führen, der sie auch längere Zeit mit ausbleibender Nahrung überleben ließ. Irgendwann würde sie die winzigen Mandibeln schon wieder in ein unaufmerksameres Insekt schlagen und sich dessen Lebensessenz genüsslich einverleiben können. Oder sie entschloss sich zu einer Paarung und vertilgte einfach anschließend den Bräutigam, um auch dessen Existenz einen angemessenen Sinn zu verleihen. Abseits der instinktgelenkten Natur eines Tieres hätte der kleine Jäger seine Handlungsweise durchaus auch direkt aus dem Sklaventrakt der Villa Flavia schöpfen können, deren Bewohner größtenteils vermutlich ein ähnliches Schicksal bevorstand, wie dem des männlichen Krabbeltieres, das nach Erfüllung seiner einzigen Aufgabe in dieser Welt nur noch dazu gereichte, zu ernähren und eine sehr willige Beute darzustellen. Zumindest dann, wenn man sich nicht ein wenig klüger anstellte und der natürlichen Ordnung nachgab, ohne sein Schicksal ändern und beeinflussen zu wollen. Womöglich war es gar nicht so weise, seinen Herrschaften, die über das eigene Leben entscheiden konnten, gar zu sehr von den eigenen Vorteilen zu überzeugen, lenkte diese Handlungsweise doch nur noch stärkere Aufmerksamkeit und größeres Interesse auf sich, hatte eine solche Art nur ein noch festeres Band um den eigenen Hals zur Folge. Vielleicht lag das Geheimnis eines relativ zufriedenen Sklavendaseins vielmehr darin, nie alles von sich zu geben und ein kleines Stück in sich selbst zu bewahren, von dem die Herrschaft genau wusste, dass sie es niemals würde erobern können. Man blieb interessant und es wert, sein eigenes Dasein weiterzuführen.
    Abseits dieser theoretischen Vergleiche zwischen Tierwelt und jener aus Herren und Sklaven war Asny nach wie vor weit davon entfernt, sich überhaupt wie die natürliche Beute in dieser Beziehung zu fühlen, besonders da sie bislang für sich nichts als Vorteile sah. Diese Aussicht konnte sich selbstredend sehr rasch ändern, wenn ihr Herr denn überhaupt einmal anwesend wäre und jeder Realist würde sich vermutlich spätestens an dieser Stelle dezent räuspern und daran erinnern, dass die neue Sklavin bei jenem Süppchen, das sie da vor sich hin köchelte, einige wichtige Komponenten außer acht ließ. Dies hätten die Realisten übrigens auch mit jenen Menschen gemeinsam, die die Kleine ein wenig besser kannten. Dass die Dinge sich genau in die Bahnen hineinentwickeln würden, die Asny für sie auserkoren hatte, wäre absonderlich und gewiss viel zu simpel gedacht. Obgleich die Überlegungen der jungen Sklavin eigentlich alles andere als einfach aussahen.


    Asa gab sich indes - zumindest für den Moment - mit deutlich simpleren Entwicklungen zufrieden.
    Ha! HA!! Hast du DAS gesehen?! Ein durchsichtiger, nichtsdestotrotz stolz ausgestreckter Zeigefinger zischte durch die Luft und verharrte mit leichtem Nachzittern etwa einen Zentimeter von Hannibals verräterischer Nase entfernt, während die Augen der inzwischen aufgesprungenen Geisterschwester triumphierend aufblitzten. Wahrlich, Hannibal hatte eine eindeutige Reaktion auf ihre negativen Energieströmungen gezeigt, denn nur aufgrund von ein wenig Staub nieste niemand so stark. Wenn dieser kleine Perversling (in jener Sparte landete man bei Asa relativ rasch) jedoch glaubte, dass sein unbekannter Albtraum durch einen harmlosen Nieser besänftigt wäre, hatte er sich heftigst getäuscht. Bald würde er sich mit einer ausgewachsenen Lungenentzündung auf seinem Lager wiederfinden und die Götter anflehen, triefend, heulend und sich vor Schmerzen windend, dass sie diesen Fluch von ihm nähmen, den ihm eine finstere, unglaublich mächtige, starke und gutaussehende Macht da aufgezwungen hatte! Bei Iunos wechseljahrbedingten Hitzewallungen, was würde dieser Kerl leiden! So sehr, wie noch kein Mensch bislang unter Rachegeist Asa gelitten hätte!
    Gut, andererseits hatte er ihre Wiedergeburt gezeugt und die geisterhafte Schwester musste wenn auch zähneknirschend eingestehen, dass er das recht gut hinbekommen hatte. Allerdings schien er auch nicht viel anderes im Kopf zu haben. So hartnäckig, wie er trotz der Anwesenheit seiner kleinen Tochter bei diesen komischen Themen blieb. Außerdem machte er sich auch noch über Asny lustig, wie Asas Adlerauge keineswegs entging, schließlich durfte sie keine noch so winzige Reaktion auf den ebenmäßigen Zügen dieses Kerls versäumen. Was bildete sich dieses geistige Treibgut da überhaupt ein?! Er, der nicht einmal ahnte, dass er sich mit jedem blöden Kichern einen größeren Feind fürs Leben schaffte, weil er die übernatürliche Sensibilität einer dicken Marmorsäule besaß! Asny musste ganz dringend ein paar scharfe, sorgsam platzierte verbale Gegenschläge lernen, denn ihre eher verborgenen und irgendwie nie ganz beabsichtigten Beleidigungen waren viel zu harmlos, um einer solchen Demütigung gerecht zu werden.


    Asny war es umgekehrt natürlich inzwischen gewöhnt, hin und wieder Gelächter zu ernten, doch wer lachte, warf nicht mit Steinen, weswegen sie eine solche Reaktion auch im Grunde gar nicht behelligte. Was die Leute von ihr hielten war ihr gänzlich einerlei, weswegen sie den lachenden Hannibal auch nun lediglich völlig ruhig betrachtete und sich wieder jenes milde Interesse in ihren Augen zeigte, vielleicht weil man einen solchen Heiterkeitsausbruch bei ihr ganz bestimmt nicht würde beobachten können. Also musterte sie ihr Gegenüber während dessen Fröhlichkeit in etwa wie das seltene Exemplar einer merkwürdig dreinschauenden Spezies, was auch sein folgendes - laut Asa überhaupt nicht ernst gemeintes - Kompliment nicht zu ändern vermochte. Bei der Erwähnung von Aristides' Besitz zuckte sie lediglich flüchtig und nichtssagend mit den Schultern und hob die Hand, um einige lange blonde Haarsträhnen hinter ein Ohr zurückzustreichen.
    Bei Erwähnung der Kriegstänze wuchs hingegen deutlich wiederum die Wissbegierde in Asnys Innerstem und sie kam nicht umhin, ein versonnenes
    "Das würde ich wirklich zu gerne einmal sehen...", vor sich hinzumurmeln, während sie sich die Szenerie vor ihrem geistigen Auge ausmalte und besonders der Anblick dieses extraordinären Schildes ihre grenzenlose Neugier entzündete. Es musste ein faszinierendes Ereignis sein, und sie hoffte sehr, dieser religiösen Zeremonie einmal beiwohnen zu können, ganz gleich ob mit oder ohne Erlaubnis. Schon allein aufgrund der Rüstungen, der Atmosphäre, und natürlich wegen des außergewöhnlichen Tanzes. Ohne Frage würde die neue Sklavin ihren Herrn danach fragen. Um tatsächlich an jenem Ritual zu Ehren des Mars teilnehmen zu können, müsste sie zweifellos phänomenal tanzen können und sich dadurch als würdig erweisen. Ein weiterer kleiner Ansporn, der in seiner antreibenden Glut ihre Beinmuskeln kurz und leicht zucken ließ. Eigentlich saß sie schon viel zu lange bewegungslos hier herum, sie würde trainieren müssen, viel härter und ausdauernder als bisher. Allerdings gab es zugegeben auch noch die ein oder andere Frage, die sie Hannibal zu stellen gedachte. Oder Themen, die sie gerne diskutieren würde.


    Beispielsweise natürlich auch die Herkunft des Opfertieres. Nachdenklich neigte die junge Sklavin den Kopf leicht zur Seite, richtete den stetig verträumt wirkenden Blick zunächst kurz gen Decke und schloss endlich für einen kleinen Moment die Augen, innerlich anscheinend ihre Möglichkeiten überschlagend. Endlich richteten sich nebligblaue Augen wieder auf die lebendigbraunen Hannibals und das Lächeln verstärkte sich einen zufriedenen Hauch.
    "Ich kenne einen Händler, der mir sicherlich eines seiner Tiere für diesen guten Zweck überlassen würde. Er schuldet mir noch einen Gefallen." Jene etwas undurchsichtige Information ergänzte sie mit einem nicht weniger kryptischen
    "Er ist Ägypter", dazu in einer Weise, als böten diese drei Worte bereits restlos jede Antwort, die man für das Verständnis und die Umsetzung ihrer Absicht weitesgehend benötigte.
    Ich kenne einen Händler, dessen letzte an dich adressierte Worte hysterisch etwas von Ladenverbot schrieen. Meinen wir zufällig denselben? erwiderte Asa mit der Trockenheit brennendheißen Wüstensandes, während sie nun wieder im Schneidersitz schwebend ein wenig trotzig wirkend die Arme vor der Brust verschränkte. Das optimistische Gemüt ihrer Schwester wurde erwartungsgemäß von einem so unwichtigen Einwand nicht weiter beeinträchtigt, sondern wanderte zum nächsten angesprochenen Punkt, schließlich hatte sich Hannibal
    Dieser Perversling!
    sogar vorgebeugt, also musste ihm daran eine ganze Menge liegen, dass sie ihn auch wirklich richtig verstand. Verständnisschwierigkeiten in einem Gespräch tauchten für gewöhnlich eher bei demjenigen auf, welcher das Pech hatte, Asny gegenüberzusitzen, so dass sie auch nach dieser rhetorischen Frage kurz nickte, ehe sie sich ebenfalls etwas vorbeugte, und ihre so versonnen wie verschlossenen Augen den seinen ein wenig näherte, um ruhig und freundlich (wenn man es denn so interpretieren wollte) zu antworten.
    "Ja, ich verstehe was du meinst. Aber tut sich dort nicht ein Widerspruch auf, wenn mein Körper angeblich meinem Herrn gehört, ich aber dennoch theoretisch in der Gegend herumkopulieren darf, was meinem Körper und meinen Fähigkeiten mit Sicherheit spätestens in dem Moment massiv schadet, wenn ich mich in anderen Umständen befinde? Mit einem Kugelbauch sind die meisten meiner Tänze nicht ganz reibungslos umsetzbar. Von den vielen Krankheiten, die man sich bei derartigen Kontakten holen kann einmal ganz zu schweigen. Wäre ich der Herr einer schwangeren - und Schrägstrich oder - einer mit juckenden, unansehnlichen Ausschlägen an prekären Stellen befallenen Sklavin würde mich dies nicht gerade hocherfreut stimmen. Es wäre eine massive Beschädigung meines Eigentums, von den anfallenden Kosten und Umständen ganz zu schweigen. Wie also kann man von einer Sklavin keine Züchtigkeit fordern und trotzdem voraussetzen, seinen Besitz nicht in völlig deformiertem, derangiertem Zustand vom Lager irgendeines anderen Sklaven zurückzuerhalten? Wie kann man von höherem Nutzen denn Aufwand bei einer Sklavin sprechen, wenn man zusätzlich zu Kauf und Unterhaltskosten auch noch einen Schwangerschaftsabbruch und einen Medicus bezahlen muss, weil das Eigentum vergessen hat, wem es eigentlich gehört? Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass Sklaven mit derartigen leidenschaftlichen Gefühlen oftmals von ihrer Arbeit abgelenkt werden, wodurch erneut ein Nachteil für den Herrn entstünde. Alles in allem erscheint es mir ökonomisch betrachtet als ein großes Manko, Sklaven eine solche Seite anzuerkennen. Doch ich bin nur neugierig, im Grunde besitze ich von derartigen Dingen überhaupt keine reelle Vorstellung."
    Wieder in ihr undurchsichtiges Lächeln hinabsinkend richtete sie sich nun erneut gerade auf und blickte Hannibal mit einer erwartungsvollen Spur an, während ihre Finger sich bewegten und das halbfertige Spinnennetz zerrissen.

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    Hannibal


    Ohne sie mit einem Wort zu unterbrechen hatte Hannibal der neuen Sklavin der Villa Flavia gelauscht, hatte beobachtet, wie ihre Lippen die vielen Worte formten, die einem jungen Mädchen eher selten entschlüpften. Ehrliches Interesse breitete sich in Hannibal aus, stieg aus den Untiefen seines Geistes hervor, den er hervorragend in den letzten Monaten mit Wein und anderen berauschenden Mittel gedämpft, unterdrückt und bezwungen hatte, damit nicht all jenen Gedanken hervor kamen, die in den schmerzenden Wunden herum wühlten, analysierten, spekulierten, welche Zukunft hätte sein können, seine Fehler vor Augen führte und ihn einfach selber quälten. Aus diesen Tiefen, die seinen Intellekt und seine Ratio beherbergte, trat die Neugier zu Tage. Neugier, was die junge Frau vor ihm, noch alles offenbaren würde. Denn immer mehr schien aus der Schatzkiste namens Asny an das Licht der Welt zu kommen, weitere Fassetten einer interessanten und viel geschichteten Persönlichkeit. Eine wache und kluge junge Frau hatte er vor sich. Eine, die bedacht ihre Worte wählte und die Antworten des Gegenüber mit geistiger Schärfe durch leuchtete und auf Lücken in der Argumentation hinwies. Das gefiel Hannibal, denn wenige Sklaven in der Villa waren in der Lage eine interessante Disputatio zu führen. Jung an Jahren war Asny, aber inspirierender als so manch ein Sklave, der schon viele Jahrzehnte sein Leben gefristet hatte und wenig seinen Geist durch seine monotone Arbeit geschult hatte. Aber nur wenigen Sklaven war es vergönnt, anspruchsvollere Aufgaben vollführen zu müssen. Hannibal war ebenso privilegiert und da er bei Asny einen klugen Geist im Laufe der Unterhaltung erkannte, würde er schon dafür sorgen, dass sie nicht in der Küche oder als Waschmagd enden würde. Sofern er noch den Einfluss auf seinen Herrn hatte wie in früheren Zeiten, ganz so sicher war sich Hannibal diesbezüglich nicht mehr. Nicht nach all dem, was in den letzten Monaten passiert war. Womöglich war Hannibal nicht mehr so wertvoll in seinen Diensten wie früher. Ein düsterer Schatten glitt in jenem Augenblick über die Gesichtszüge des älteren Sklaven.


    Nicht lange umwölkte Hannibals Miene die skeptische Aura über seinen eigenen Wert für den Flavier. Seine Mundwinkel zuckten. So, einen Händler kannte sie also, der ihr noch einen Gefallen schuldig war? Ein durchaus vorhandenes Potential konnte Hannibal in der Sklavin erkennen, was so manch einer der flavischen Sklaven nutzten oder genutzt hatten. Sica zum Beispiel, Sciurus auch, selbst Hannibal frönte solcherlei, was ihren Herrn hin und wieder zu großem Nutzen gereichte. Wobei Hannibal sich noch nicht im Klaren war, welche Rolle Sciurus in manchen Kreisen spielte. Sica war leichter zu durchschauen gewesen, Sciurus entglitt immer wieder Hannibals Gedankennetz, was er um den anderen Sklaven schlingen wollte. Sciurus zerriss dieses Gespinnst genauso, wie es Asny mit dem der kleinen Spinne tat. Durchdringend musterte Hannibal die junge Asny bei der Erwähnung des Händlers, ließ es jedoch dabei auch bewenden. Was sie aus dem Opfer machen würde, ob es ihr in der Tat gelang, das Opfertier zu besorgen, würde sich noch zeigen. Und Hannibal würde lediglich beobachten und erneut ein wenig über die junge Frau vor sich lernen.


    So nahe vor sich, konnte Hannibal noch sehr viel intensiver die hellen Augen von Asny mustern, die feine Aderung, die das blasse Blau durchzog, wie es jede Iris eines Menschen zu eigen war, der Glanz des Lichtes auf der klaren Oberfläche, der mit dem Schwarz ihrer Pupillen verschmolz und die Tore zu ihrer Seele aufzufressen drohte, je nachdem, wie sich Asny bewegte und das Licht auf ihre Augen fiel. Hannibal merkte durchaus, dass eben jene Augen ihn gleichsam durchdringend fixierten und keinen Moment der Aufmerksamkeit entließen. Interessant!, dachte sich Hannibal. So nahe an Hannibals Gesicht war das Zucken um seine Mundwinkel unstreitig nicht zu übersehen. Diese Worte aus dem Munde einer jungen Frau erheiterten Hannibal jedes Mal aufs Neue. Womöglich, weil er diese eher von einem älteren Satyriker erwarten würde, aber gewiss nicht von einem Mädchen, die erst fünfzehn Jahre erlebt hatte. Es gefiel Hannibal erneut, der Kauf von der jungen Sklavin stellte sich immer mehr als großer Gewinn heraus und jeder Sesterces, den sein Herr in sie investiert hatte, durch Hannibals Entschluss, schließlich wusste Aristides noch nichts von seinem Glück, war gut angelegt. In ihrer unbestechlichen Logik, ihrem scharfen Verstand und den klaren Schlussfolgerungen hatte Asny nicht nur Recht, sie hatte Hannibals Worte in der Absurdität und der inneren Diskrepanz entlarvt. Hannibal, dessen Gedanken durch die vielen durchlebten Nächte und sein flatterhaften Lebenswandel getrübt waren, nannte sich selber einen Narren. Schon von Anfang an hätte er erkennen müssen, dass man Asny nicht mit banalen und derart stümperhaften Aussagen abspeisen konnte. Mit seinem Kopf deutete er schon während ihrer Rede an, dass er den berechtigten Einwand einsah und akzeptierte.


    „Wohl denn, die Repugnanz meiner beiden Aussagen hast Du gut enttarnt und damit den Nonsens aller unsinnig daher gesprochenen Worte meinerseits offenbart. Bitte entschuldige, Asny, ich sehe durchaus, dass Du sehr bedacht bist und Dich und Deinen Corpus alleine den Anforderungen als Sklavin des Marcus Aristides zur Verfügung stellen wirst. Somit verkörperst Du sicherlich eine aufmerksame, loyale und folgsame Sklaven. Dann will ich meinen Atem nicht damit verschwenden, Dir Ratschläge zu geben, Dir, die Du doch durchaus reflektiert genug ist, Konsequenzen und Folgen des eigenen Handelns zu bedenken.“ Hannibal sah, dass sie, was einfach nicht zu leugnen war, durchaus klug genug war, um das Wesentliche zu erkennen. Und dass Sklaven durch Romanzen nicht nur abgelenkt waren, sondern gar ihrer Arbeit unfähig und den Herrn in arge Not sogar bringen konnten, dafür war Hannibal der schlagende Beweis. Immer und immer wieder. Aber, vergessen wir nicht, Hannibal hatte doch der Liebe abgeschworen. Nie wieder, so seine Selbstlüge, würde er sein Herz hin weg schenken, um nur erneut enttäuscht zu werden, was manchmal blutig, manchmal einfach nur schmerzlich endete. Hannibal lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Temporär unterbrach Hannibal den Blickkontakt, ganz als ob er sich nicht wohl fühlte. In der Tat hatte Hannibal das Gefühl, dass Asny in ihm las, wie in einer Schriftrolle. Als ob sie ihm bis auf den Grunde seiner trüben Seele sehen konnte, als ob sie in einen moosgrünen Teich sah, der voller Schlamm und Algen war.


    Die braunen Augen des Sklaven schweiften durch die Sklavenunterkunft. „Natürlich steht es an Dir, auf Dich so zu achten, dass Du weiterhin für Deinen Herrn von Wert bist. Aber in dieser Hinsicht und in Anbetracht Deiner schlagenden Argumentation hege ich keine Sorge, was diese Angelegenheit betrifft. Ansonsten, Asny, zweifele ich ebenso wenig daran, dass Du Deine eigenen Erfahrungen machen wirst. Weder Worte, noch Schriften werden Dich darauf vorbereiten und jede Lebenserfahrung ist nicht mit der von Älteren zu vergleichen.“ Hannibal lächelte dünn. Natürlich war das eine phrasenhafte Verallgemeinerung und Hannibal wusste, dass Asny ihn auch in dieser Hinsicht durchschauen würde, zumindest vermutete er das. So manch eine Situation ähnelte der Anderen und andere Erfahrungen konnte man vergleichen mit dem, was man selber erlebte. Um nicht weiter Oberpaedagogushaft zu wirken, suchte Hannibal danach, die Schritte vom Pfad der Liebe und der körperlichen Leidenschaften in eine andere Richtung zu lenken und einen Weg zu suchen, der weniger von Gradwanderungen und tiefen Schluchten durchzogen war. „Ich werde in den nächsten Wochen Dich beobachten und Deine Arbeit beurteilen. Am Morgen, nach dem Frühstück der Sklaven, und bis zum Mittag wirst Du mit den anderen Sklaven im Haushalt arbeiten. Sicherlich sind die Flavier reich genug, um sich auch Sklaven alleine für Sonderaufgaben zu leisten, selbst wenn es nur in dem Einschenken des Weines bei der Cena besteht, aber ein Mensch muss arbeiten, ansonsten verlernt er es wieder!“ Meinte Hannibal nicht ein höhnisches Lachen in sich zu vernehmen? Wann hatte er zuletzt mal anständig gearbeitet? Lange war es her, aber die Zeiten würden sich auch wieder ändern, wenn sein Herr zurück kam und er würde es auch nicht schätzen, wenn Hannibal die anderen Sklaven zur Faulheit anregte. Oder sein Herr würde es gar nicht merken, die Wahrscheinlichkeit dafür war wesentlich größer.


    Aus den Augenwinkeln bemerkte, dass Dido gelangweilt Löcher in die Luft starrte und anfing leise vor sich hin zu summen, aber im Moment war das Hannibal mehr oder minder egal. Diese Angelegenheiten mussten erörtert werden und Kinder waren sowieso von Natur aus ungeduldig. „Den Nachmittag kannst Du anschließend für Deine Übungen und Deine Weiterbildung nutzen.“ Selbst den Sklaven stand, wie sonst auch im Imperium ein geregelter Arbeitstag zu. Natürlich waren die Horae im Sommer wesentlich länger und im Winter sehr viel kürzer, aber dennoch hatte auch der Arbeitstag eines Servus irgendwann sein Ende. So fügte Hannibal noch an: „Der Abend steht Dir dann zur Verfügung, wie Du ihn nutzen möchtest. Das kann sich natürlich noch etwas ändern, wenn Dein Herr zurück kommt. Womöglich bedarf er Dich dann mehr am Abend als am Morgen, aber einige Stunden am Tage werden auch Dir gehören. Und wenn Du Dich in den nächsten Wochen folgsam und tatsächlich so ergeben zeigst, dann wirst Du auch gerne die Villa verlassen dürfen für einige Stunden. Wobei Du das lieber in Gesellschaft von anderen Sklaven der Villa tun solltest.“ Schließlich waren die Straßen von Rom nicht ungefährlich in den späten Abendstunden. „Manchmal wirst Du auch so hinaus kommen, schließlich führen die Aufträge der Sklaven auch öfters mal außer Haus.“ Ermahnungen, nicht zu fliehen, die glaubte Hannibal nicht machen zu müssen. Die Strafen der Flavier, von Manchen zumindest, waren in dieser Hinsicht drakonisch und in dieser Materie war selbst Aristides nicht kompromissbereit, so gut kannte Hannibal ihn. Aber wenn Asny bereits Fluchtpläne schmiedete, so verbarg sie solche Intentionen zu gut. „Hast Du noch Fragen, Asny?“

  • Auch Asny hatte ihr Gegenüber ruhig und geduldig aussprechen lassen, ohnehin pflegte sie für gewöhnlich mehr von ihrer Umgebung zu absorbieren, als von sich selbst preiszugeben. Zumeist gab sie lediglich kleine, unauffällige Anstöße in bestimmte Richtungen, die sich für sie als interessant erweisen könnten, und beobachtete und lauschte anschließend dem Weg, welche die rollende Kugel nahm. Obgleich die junge Sklavin eigentlich recht wortgewandt war und dies auch gerne in Konversationen unter Beweis stellte, doch in den letzten Jahren hatten sie äußere Umstände und die darin befindlichen Menschen in eine eher passive Rolle gedrängt. Oder, noch schlimmer, man ließ sie nur bestimmte verbale Schablonen ausfüllen und verbot ihr alles, was darüber hinaus ging. Und dieses 'darüber hinaus' stellte eine ordentliche Menge unausgesprochener Worte dar.
    Aufgrund dessen hatte sie mehr zwangsläufig als gewünscht die Rolle einer Zecke eingenommen, die alles, was sie zum Leben brauchte, aus der Außenwelt in sich aufsog und ansonsten meistens unauffällig und still blieb, während sie auf das nächste Opfer lauerte, das als Wirt herhalten konnte. Keine sehr schmeichelhafte Darstellung ihrer selbst, doch wie eine Zecke besaß sie eben auch einen hartnäckigen Selbsterhaltungstrieb, ganz gleich, wie widerwärtig und abstoßend ihre Umwelt sie auch fand. Anpassen würde sie sich nicht, also schwieg sie eben. Meistens.
    Inzwischen besaß Asny wohl dank eines gewissen Alters die Einsicht, dass ihr das bloße passive Beobachten längst nicht als einzige alternative Möglichkeit zur Verfügung stand. Zumindest nicht bei Menschen, die außerhalb ihrer engsten Familie existierten. Sie selbst war imstande, zu beeinflussen und den Gesprächspartner zu lenken, wenn sie es nur klug und vorausschauend genug anstellte. Die meisten Leute mochten jene Art von Kontrolle nicht, also galt es, dieses Mittel so dezent und harmlos wie möglich einzuschätzen, ohne dass der behutsam Geführte wirklich bemerkte, dass man ihn führte. Selbstverständlich war das fortwährende Beobachten und Beurteilen immer noch erforderlich, doch der daraus gewonnene Eindruck musste nicht länger in irgendeinem staubigen Regal im Keller der Erinnerung vor sich hinmodern. Man konnte ihn anwenden und einen Gewinn daraus ziehen. Ihn mit ein wenig Provokation feiner abstimmen, durch die Vermischung mit anderem im Endeffekt klären und verstärken. Und die Lehre daraus ziehen, sich niemals auf den ersten, oberflächlichen Anblick zu verlassen.


    Denn obgleich Asa mit ihrer Meinung beispielsweise über Hannibal wie öfters überaus schnell gewesen war und auch ihre Schwester sich nicht scheute, gnadenlos unbarmherzige Urteile zu fällen, so nahm diese dem Sklaven mittleren Alters seine im Umgang mit ihr bereits begangenen kleinen Fehler mitnichten übel. Ganz im Gegenteil. Fehleinschätzungen und -deutungen ließen brauchbare Rückschlüsse zu, denn die Wenigsten begingen Fehler aus einer willentlich herbeigeführten Absicht heraus. Die meisten wollten perfekt wirken und sich keine Schwäche geben, interessanterweise ganz besonders nicht vor ihr. Geschah es doch war es spannend zu sehen, in welchem Bereich dieser Fehltritt vonstatten lief. Es war ein Blick hinter die Fassade der alltäglichen Maske und immer wert, sich ausführlicher damit auseinanderzusetzen.
    Zudem schien sie gerade Hannibal betreffend noch längst nicht alles erblickt zu haben, was sich in den Untiefen seines Seelenwesens tummelte. Das merkte sie spätestens, als sich mit einem Male seine Wortwahl drastisch veränderte. Hatte er sie etwa prüfen wollen? Den Grad ihrer Bildung, ihres Verständnisses, ihres Wertes? Auszuschließen war es nicht, immerhin musste er sich ebenso langsam an sie und ihre Art heranpirschen, wie umgekehrt. Zumindest so nahe, wie sie ihm gestattete, sich an ihre Wirklichkeit heranzutasten. Ihre Bildung und ihren Willen zu lernen konnte sie ihm getrost preisgeben, musste sie sogar, wenn sie erwarten wollte, nicht wie ein dummes Kind behandelt zu werden. Die Anrede ‚Kind‘, welche ihr Käufer noch auf dem Sklavenmarkt verwendet hätte, schien er sich indes bereits abgewöhnt zu haben, auch sehr zur Genugtuung der verstorbenen Schwester.
    War sie ehrlich zu sich selbst, so wusste Asny noch nicht recht die Frage zu beantworten, wie viel sie den Bewohnern der Villa Flavier von sich und ihrem seelischen Innenleben offenbaren wollte. Mitnichten weil sie fürchtete, dadurch in irgendeiner Weise Vergangenes zu wiederholen und Strafen erwarten zu müssen. Die Reaktionen der Welt auf sie beeinflussten sie nach wie vor in keiner Weise. Es verlangte sie weder nach Anerkennung, noch störten sie Drohungen und Beschimpfungen - an sich. Was sie durchaus zum Nachdenken verlockte war vielmehr das, was hinter diesem Verhalten ihrer Mitmenschen steckte, was sie eben dazu brachte, so und nicht anders zu reagieren, abgesehen einmal von Asnys eigenen, vorangegangenen Taten. Darum richtete sich der innere Blick der jungen Sklavin nicht deswegen intensiver und beharrlicher auf Hannibal, weil er sie derart lobte und ihren geistigen Leistungen Beifall zollte, sondern weil er gar so schnell zu dieser positiven Meinung gefunden hatte und sie scheinbar konsequent beizubehalten beabsichtigte. Da war kein Misstrauen, keine Suche nach dem 'Aber', dass es immer geben MUSSTE, eines der ehernen Gesetze des Lebens. Permanente positive Erfahrungen, das Leben als ein einziges Honigschlecken, war nichts als reine Illusion. Nichts und niemand, ganz besonders kein Mensch, bestand aus puren Vorteilen, brachte nichts als gute Eigenschaften mit sich, ohne, dass sie eine frischgebackene Sklavin in einem unter recht schlechtem Ruf stehenden Haushalt zu sein brauchte.


    Er hat dich gekauft. Er lobt nicht dich, sondern sich selbst. Für seine ach so weise Entscheidung und das kluge Geschäft, das er seinem Herrn beschert hat.
    Asny musste ihrer Schwester stumm beipflichten und ging dazu über, Hannibals Worte anhand dieser Ausgangsposition zu analysieren. Ihr Blick in seine Augen forcierte sich mit wachsender Konzentration und erweckte dadurch das ungute Gefühl, dass sich jenseits des blassblauen Nebels ihrer Augen etwas befand, dem man viel lieber offen entgegenzutreten wünschte, weil man sich instinktiv vor diesem Etwas in acht nehmen wollte. Es stellte definitiv die Art von Aufmerksamkeit dar, die man nicht auf sich spüren wollte; etwa wie die eines Schülers der Medizin, der am lebenden, tierischen Objekt unter Anwesenheit sämtlicher seiner Mitstudenten herumexperimentierte. Unangenehm, harmlos ausgedrückt, und wie die meisten, in deren Unterbewusstsein sich dieses Gefühl der unbekannten Beobachtung schlich, wich auch Hannibal alsbald dem Blick seines Gegenübers aus, begleitet von Asas Triumphgeheule.
    Ruhig und mit dem üblichen milden Lächeln bewaffnet folgte Asny den weiteren Anweisungen und Erklärungen bezüglich ihres neuen Lebens im Hause und der Einteilung ihres Tages. Es barg wirklich eine atemberaubende Aussicht, den Abend für sich zu besitzen, ohne sich um kleinere Geschwister kümmern oder beunruhigten Eltern in einem kleinen Haus aus dem Weg gehen zu müssen oder für lächerliche Botengänge und Arbeiten fortgeschickt zu werden oder stets aus den Augenwinkeln heraus misstrauisch beobachtet zu werden. Ausnahmsweise hatten ihre Eltern mit ihrem Verkauf tatsächlich einmal gut und sinnvoll gehandelt.
    Ohne Hinzuschauen und Hannibal die kurze Erleichterung ihres gesenkten Blickes zu gestatten - vielmehr schien es so, als bräuchte sie sogar kaum noch zu blinzeln - bewegten sich ihre Finger langsam unter den huschenden, unruhigen Schritten der roten Spinne.
    "Ich verstehe, hab Dank für deine Instruktionen. Was meine erforderlichen Übungen und Weiterbildungen betrifft, so sei versichert, dass ich damit gewiss auch die Zeiten verbringen werde, die du als 'Freizeit' tituliertest. Zudem gelingen mir geistige Übungen auch bei körperlichen Arbeiten, mich lediglich auf eine Sache zu konzentrieren empfinde ich meistens als nicht optimal genutzte Zeit. Doch mach dir keine Sorgen, ich achte darauf, dass meine Arbeit nicht darunter leidet."
    Das oberflächlich entrückt wirkende Lächeln blitzte so flüchtig ein wenig stärker auf, dass man sich anschließend fragen musste, ob man nicht nur einer Sinnestäuschung erlag.
    "Und ich muss dir völlig recht geben, was das Verlernen von untrainierten Fähigkeiten anbelangt. Ich bin stets bemüht, dem vorzubeugen."
    Ihre Schwester, die sich gerade wieder einmal kräftig streckte und gen Himmel gähnte, gab ein undefiniertes, aber zustimmendes Gegrummel von sich. Ohja, Vergessen, eines von Asnys größten und gewaltigsten Widersachern. Neben solchen wie Langeweile, Müßiggang und Dummheit.


    "Aus diesem Grunde drücke ich mich auch manchmal etwas umständlich aus. Den Gebrauch gewisser Begrifflichkeiten möchte ich nicht verlernen."
    Eine sehr knappe, überaus dezente Angabe zu einem weitaus größeren Thema, doch nach wie vor war Asny noch nicht bereit, gegenüber Hannibal allzu viel von sich preiszugeben, ganz gleich, wie seine Einschätzung ihrerseits aussah. Außerdem hatte er seinerseits die Beantwortung ihrer Fragen angeboten, eine Verlockung, die man der weißblonden Sklavin nicht zweimal offerieren musste.
    "Nun, ich trage stets eine große Menge an Fragen und ungelösten Problemen mit mir herum, doch wahrscheinlich würde dich die Beantwortung bis zum nächsten Aufbruch in kriegerischer Absicht unseres Herrn beschäftigen, also beschränke ich mich erst einmal auf die Drängendsten", begann sie und entließ die rote Spinne endlich auf den Boden, indem sie sich in einer geschmeidigen Bewegung bis zu eben jenem hinabbeugte. Nach einem knappen Ordnen und Zurückstreichen einiger Haarsträhnen fuhr sie in demselben, höflich-sachten Tonfall fort:
    "Bezüglich der Opferung und dem folgenden Gebet beschäftigen mich noch einige Unklarheiten, besonders hinsichtlich des Ortes. Ich möchte niemanden stören und ich möchte ebenfalls nicht gestört werden. Ich brauche einen gewissen Freiraum dafür, unter freiem Himmel würde ich bevorzugen. Muss jemand anderes dabei anwesend sein, und wenn ja, wer? Ich habe Priestern zwar schon bei dieser Tätigkeit zugesehen, sie jedoch selbst noch niemals durchgeführt. Ist es mir überhaupt erlaubt, alles eigenständig und persönlich zu vollbringen? Stehen mir die üblichen Opferungswerkzeuge zur Verfügung? Sollte ich ein besonderes Gewand tragen? Etwas Spezielles tun oder aussprechen, weil es sich um einen Flavier handelt?"
    Sicher, Worte wie 'trotzdem', 'dennoch' und 'ich weiß, aber' wollen die Götter hinsichtlich der Flavier garantiertest hören. warf Asa trocken dazwischen und versenkte ihren kleinen Finger dabei wiederum in ihrem rechten Ohr.
    Auch wegen dem Einwurf ihrer Schwester hielt Asny kurz inne, zunächst hatte es den Anschein, als wolle sie ihren Gesprächspartner, an den sie sich trotz gewisser selbstgesprächiger Tendenzen durchaus noch erinnern konnte, zu Wort kommen lassen. Tatsächlich war ihr gerade eine weitere Möglichkeit eingefallen, weswegen Hannibal derart optimistisch und gutgläubig ihrem Leben in der Villa entgegenschaute. Sicherlich mochte der tote Zwilling recht haben mit der Ansicht, dass er als der Käufer ebenfalls gut dastünde, wenn sie sich brav und strebsam verhielte, aber trotzdem wäre es doch noch natürlich gewesen, nachzuhorchen, ob bei ihr nicht noch irgend etwas verborgen läge, das seinem Herrn eben nicht gefiele, und das vor dessen Rückkehr dringend noch korrigiert werden müsste. Dies stellte in Asnys Augen das logische Verhalten eines Sklaven dar, der eine Sklavin für seinen Herrn besorgt hatte. Ware musste geprüft werden. Ganz besonders die Sorte Ware, die dem Herrn aus einer wahnsinnigen Intention heraus eine Nadel in die Kehle rammen konnte, nur als eines von vielen ungemütlichen Beispielen. Das hatte sie zwar eigentlich nicht vor, doch dies konnte er nicht wissen.


    Nein, irgend etwas stimmte da nicht. Möglicherweise war Asny selbst an zuviel Misstrauen gewöhnt, um dessen völliges Ausbleiben bereits als Seltsamkeit zu empfinden. Oder hinter dem Abbruch des Blickkontaktes schlummerte einfach mehr, als nur das übliche mulmige Gefühl, welches andere in ihrer Gegenwart oft und gerne empfanden. Aber wenn er sie so hoch lobte, während er gleichzeitig nicht ihrem Blick standhalten konnte, musste der Grund für dieses Verhalten theoretisch doch bei ihm liegen. Entweder das, oder er wollte sie zum Bleiben überreden, obgleich er wusste, dass sein Herr in Wirklichkeit gerne blonde Mädchen bei lebendigem Leibe verspeiste, was Hannibal ein schlechtes Gewissen bereitete. Doch unter diesen Voraussetzungen wäre es derzeit wohl nicht Didos einziges Problem, die angestrebte Summmelodie zu halten.
    "Noch eine Frage habe ich, Hannibal", erhob die junge Sklavin schließlich erneut ihre leise, etwas abwesend klingende Stimme und neigte weiterhin lächelnd den Kopf eine Winzigkeit zur Seite, ehe sie fortfuhr, als interessiere sie sich für die Herkunft des in der Villa für die Böden benutzten Marmors.
    "Ist es aus deiner Sicht meine Aufgabe, dich vor unserem Herrn gut dastehen zu lassen, oder soll ich einfach nur von etwas ablenken, das während seiner langen, fernen Abwesenheit in der Villa vorgefallen ist, und wofür du die Verantwortung trägst? Denn so sehr ich auch glauben möchte, dass du mich ehrlich für den größten Glücksfall des gesamten Sklavenmarktes hältst, so belehrt mich dein Verhalten doch eines Besseren. Ich habe kein Problem damit, benutzt zu werden, ich wüsste nur gerne, wofür. Dabei bin ich mir noch uneins, auf welche Art ich lieber die Wahrheit erfahren würde - jetzt durch dich, oder später durch meine eigenen Nachforschungen."
    Die Kugel war angestossen, welchen Weg sie entlangrollen würde, blieb abzuwarten.

  • Laaangweilig! Das schoss Dido durch den Kopf. Sie rollte mit den Augen als das Gespräch immer abgehobener wurde und lauter Worte benutzt wurden, die sie nicht im Ansatz verstand. Ungeduldig wippte sie mit ihren Füßen, hob mal ihr Bein an, um einen kreisenden Zeh zu beobachten, der sich geschwind in diesen blöden neuen Sandalen herum drehte. Doch die letzte Geduld von Dido schwand, sie seufzte und stand auf. Mit mauligem Gesicht trottete Dido zu einem Fenster, stellte sich auf die Zehenspitzen und sah durch den schmalen Schlitz nach draußen. Dürre Äste eines Baumes schaukelten vor ihrer Nase hin und her. Die Vögel zwitscherten munter an jenem sonnigen Tag, der sich schon mehr dem Abend zuneigte. In einem der Äste turnte ein Eichhörnchen entlang, es sprang mit seinem buschigen Schwanz von Zweig zu Zweig, kletterte mit den kleine Pfötchen leicht hin den Stamm hinab und fing an im Erdreich zu graben, wohl nach der Nuss, welche das Hörnchen noch vor einigen Monaten dort vergraben hatte, für genau jenen Tag, an dem es sich die Nuss schmecken lassen wollte. Sofern es diese Köstlichkeit wieder fand und nicht erneut in dem tiefen Erdreich verlegt hatte. Es fing an unter Didos Fußsohlen zu jucken. Sie wollte einfach nicht mehr still neben den Beiden sitzen bleiben, sie wollte herum springen und tollen wie ein junges Zicklein es auf der Wiese tat, wenn die Sonne schien und es die Freuden des Lebens erfuhr. Ihre Hand fuhr herunter, dort, wo einst ihr Beutel mit der Zwille hing. Verflixt! Die war ja noch bei Lucanus. Dennoch drehte sie sich um und dackelte wieder zu Hannibal und Asny zurück. „Darf ich raus gehen? Ich könnte im Garten helfen oder so!“ Sie kümmerte sich gar nicht darum, ob sie inmitten eines Satzes mit ihrer Frage hinein platzte. Hannibal nickte kurz, während er den Blick von Asny nicht löste. Dido grinste hingegen breit und winkte Asny noch einmal zu. „Bis später!“ Dann sprang sie schon auf die Tür zu, riß sie wie üblich ungestüm auf und eilte nach draußen. Die Tür hinter sich offen lassend.



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    Hannibal



    Zu Anfang hatte Hannibal noch einen milderen Ausdruck offeriert, insbesondere bei dem Gebrauch von Asnys Vokabular und die Bedeutung, die sie darin sah. Hannibal neigte zustimmend den Kopf. Früh übt sich, wer Meister werden will. Darum hielt er es nicht verkehrt, wenn Asny sich schon in jungen Jahren in der Ästethik des Wortschatzes übte und lernte, schöne Worte zu nutzen, wenn er es auch nicht gut heißen konnte, wenn man mit schönen Worten um eine Materie herum reden wollte. Aber dass Asny diesen Fehler schon jetzt nicht begann, merkte er durchaus an geradlinigen Zügen, die ihre Rede offenbarte. Hannibal verfolgte das Absetzen der Spinne mit einem Zucken um seine Mundwinkel und betrachtete neugierig die Gesichtszüge der jungen Frau vor sich, als sie zu den Fragen, die ihr auf der Seele zu brennen schien kam. Ah, das Opfer. Hannibal nickte nachdenklich und rieb sich das glatt rasierte Kinn. Ab und an war er selber noch verwundert darüber, dort keine Barthaare zu spüren, den er doch mehr als ein Jahrzehnt lang getragen hatte. Es fühlte sich zu Zeiten immer noch etwas nackt dort an. Stumm verharrte Hannibal, seine Augenbrauen zogen sich zusammen als er über die nicht unwichtigen Fragen nachdachte. Erst hatte er noch ihre Absicht mit dem Opfer etwas unterschätzt, es als Albernheit eines jungen Mädchens abgetan, die am Ende doch ein paar Dinkelkekse, ein Gebet und womöglich noch Weihrauch den Göttern darbot. Etwas, was in seinen Augen auch sehr viel vernünftiger war, als das Verlangen ein blutiges Opfer durch zu führen, etwas, was noch nicht mal alle römischen Bürger taten, auch diese begnügten sich oftmals mit einem unblutigen Opfer, was nicht weniger an Wert haben konnte. Selbst wenn Dido etwas anderes behauptet hatte. Hannibal sah Dido noch kurz hinter her, nachdem sie ihm die Frage gestellt hatte. Er erhob sich, ging zur Tür und schloß sie hinter Dido.


    Dann nahm er wieder auf dem Bett, Asny gegenüber, Platz und stützte sich wieder auf seinen Oberschenkeln ab. „Du meinst es also ernst mit einem blutigen Opfer?“ Hannibals Augenbraue zuckte etwas nach oben. “Wen Du tatsächlich ein blutiges Opfer durchführen möchtest, dann brauchst Du dafür Hilfe. Ein solches Opfer sollte nicht alleine vollzogen werden. Insbesondere, wenn das Opfertier die Größe eines Kaninchens überschreitet. Das wird es doch hoffentlich nicht?“ Hannibal musterte sie prüfend. Alles andere wäre nur vermessen für eine Sklavin, befand Hannibal. Aber aus einem unerfindlichen Grund war sich Hannibal nicht ganz sicher, was ihre Absichten betraf. Er vermochte in der jungen Frau nicht zu lesen, wie in den Schriftrollen der Bibliothek, die sich mit der Psyche beschäftigten. “Mir dünkt, es wird größer als ein Kaninchen? Wenn dem so ist, dann werde ich Dir bei dem Opfer behilflich sein, es sei denn, Du findest noch jemand anderes, den Du eher dabei haben möchtest. Für geeignetes Werkzeug würde ich schon sorgen können.“ Hannibal könnte auch leicht hin ein gutes Opfertier besorgen können, aber er wollte sehen, wozu die junge Asny in der Lage war. Was ihm ebenfalls sehr viel Aufschluss über die junge Frau bieten würde. “Du könntest das Opfer anleiten und ich werde Dir behilflich sein. Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Rolle eingenommen habe, unser Herr hat schon selber das eine oder andere Opfer angeleitet. Was die Wahl des Ortes angeht...“ Hannibal pausierte nun einen winzigen Augenblick lang. “Es hängt davon ab, welchem Gott Du letztendlich Opfern möchtest. Ein sakraler Ort sollte es schon sein. Keiner, an dem profane Tätigkeiten vollführt werden. Eventual, ich müsste mich noch mal umsehen, wäre es uns sogar möglich in einem Tempel das Opfer zu vollführen. Wobei wir uns da sehr wahrscheinlich einschleichen müssten. Die Tempel sind für die Herrschaft da, nicht die Sklaven. Auch solltest Du Dich festlegen, denn die Wahl des Opfertieres hängt auch von dem Gott ab, dem Du es übergeben möchtest. Ein weißes Tier dem Mars zu opfern wäre eher unpassend. Das Tier für Mars sollte rot sein, er ist dem Element des Feuers mehr zugeschrieben.“


    Hannibal befand die ganze Angelegenheit als recht kompliziert, denn Asnys Anliegen war in seinen Augen sehr außergewöhnlich. Sicherlich, Hannibal war oft bei Opferungen dabei gewesen, sein Vater selber hatte immer wieder zu den Göttern gebetet, aber Hannibal hatte schon vor langer Zeit jegliche Hoffnung in die Götter verloren. Darum hatte er sich immer nur auf das konzentriert, was für seinen Herrn notwendig war und für diesen galten etwas andere Regeln. “Dein Haupt sollte bedeckt sein, aber komme nicht auf den Gedanken eine Palla dafür zu nutzen. Ein Tuch wird es auch tun. Ziehe Dich ordentlich an, halte Dich an die Regeln der Reinlichkeit und der rituellen Waschung. Etwas spezielles für die Flavier wirst Du nicht tun müssen. Sie sind auch nur Sterbliche in den Augen der Götter.“ Ein blutiges Opfer, das erste Mal und dann alleine? Undenkbar. Darum war der Entschluss von Hannibal nun endgültig gefällt. “Ich werde Dir dabei helfen!“, bekräftigte er nun. Jegliche offenen Fragen, die im Laufe noch auftauchen könnten, würde er dann auch noch vor dem Opfer mit ihr abklären können. Und einen geeigneten Ort ausfindig machen, an dem das Opfer ungestört und vor allem im passenden Rahmen vonstatten gehen konnte, sofern das Opfertier überhaupt von Asny errungen werden konnte. Sonst blieben noch die Dinkelkekse.


    Noch eine Frage? Hannibal nickte leicht und legte den Kopf etwas zur Seite. Nun schwand der milde Ausdruck in den Augen, was Hannibal noch, eben wieder besser gelaunt, in seinen braunen Augen getragen hatte. Wenn auch sich die Miene von Hannibal wenig veränderte, womöglich ein klein wenig starrer wurde. Stumm taxierte Hannibal Asny und schwieg lange Zeit lang. Ließ die "Kugel" rollen, ohne sie mit seinem Fuß oder einem Wort aufzuhalten oder gar zurück zu stoßen. Erst als das Schweigen fast greifbar wurde und schwer in der Luft hing, durchschnitt Hannibal dieses. "Wenn die Menschen den guten Dingen soviel Sorgen angedeihen ließen, wie sie Eifer verwenden auf Unzuträgliches und Nutzloses sowie auf vieles, was sogar gefährlich ist, würden sie weniger vom Zufall beherrscht anstatt ihn zu beherrschen!“, gab er ein Zitat von Sallust aus dem Bellum Iugurthinum als Antwort. „Du kannst Dich in den nächsten Stunden hier einrichten, Du wirst ein Bad nehmen, einer der anderen Sklavinnen wird Dir das Sklavenbad zeigen und aus der Kiste dort eine flavische, neue Sklaventunika nehmen. Deine alten Sachen darfst Du behalten, aber Du wirst in Zukunft die Dinge des Haushaltes an Deinem Leib tragen. Schmuck und Zierde solltest Du unter dem Stoff verbergen. Keine Waffe, keine Messer! So etwas ist Dir nicht mehr gestattet! Morgen lässt Du Dich der normalen Arbeit hier im Haushalt zuteilen und am Nachmittag dem nachgehen, wie ich es Dir gesagt habe.“ Hannibal stand auf und ließ die angestoßene “Kugel“ an sich vorbei rollen. „Alles andere ist nicht Dein Belang, Asny. Schon gar nicht meine Angelegenheiten!“ Kalt sah Hannibal auf die junge Sklavin herunter. Selbst wenn seine Worte recht neutral im Tonfall klangen, so schwang dennoch ein bedrohlicher Unterton mit. Halte Dich aus meinen Angelegenheiten raus oder Du wirst es bereuen!, schien damit noch gesagt zu werden. Oder vielleicht auch nicht? Hannibal wusste um seinen Wert und würde sich gewiss nicht von einem gerade erwachsen gewordenen Mädchen gegenüber seinem Herrn ausbooten lassen. „Wenn Du das Opfertier hast, lasse mir eine Nachricht zukommen oder komme persönlich zu mir. Ich kümmere mich derweil um die passende Örtlichkeit. Willkommen in der Villa, Asny!“ Mit den Worten stand Hannibal auf, eindeutig mit der Absicht die Sklavenunterkunft zu verlassen und Asny ihrem ersten Tag nun in der Villa Flavia zu überlassen.

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