Decima Seiana

  • Seiana grinste, konnte aber nicht verhindern, dass sie leicht rot wurde. „Appius, du übertreibst. Davon abgesehen bist du mein Bruder, du musst das sagen. Aber danke.“ Sie stellte sich kurz auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, dann ließ sie beide eintreten und rückte Appius einen Sessel zurecht, bevor sie ihm ebenfalls einen Becher Wein einschenkte und ihm diesen reichte. Danach machte sie es sich ebenfalls bequem, nippte an ihrem Wein und schüttelte auf Faustus’ Frage hin den Kopf. „Nein, ich wusste nicht dass du nach Germanien bist.“ Wie auch, Appius hatte sich nicht mehr gemeldet, nachdem er verschwunden war, genauso wenig wie Faustus – und im Gegensatz zum Jüngsten der Familie hatten die Kontakte ihrer Mutter über den Zweitältesten nichts herausfinden können, oder sie hatte es nicht mitbekommen.


    Die Beine inzwischen wieder angezogen, gelegentlich einen Schluck Wein trinkend, lauschte Seiana den Erzählungen von Appius, und musste unwillkürlich den Aelier denken, der ihr ebenfalls von Germanien berichtet hatte. Archias war aber schnell aus ihren Gedanken verschwunden, als Appius davon sprach, dass er verliebt gewesen war. Betroffen hielt sie inne, als er einen Unfall erwähnte – aber es gab nur einen kurzen Moment, in dem er die Fassung zu verlieren schien, dann sprach Appius bereits weiter, ging darüber hinweg, als wenn es nichts wäre, schien nicht darüber reden zu wollen… Und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Appius hatte sie noch länger nicht mehr gesehen als Faustus, und auch wenn sie ein gutes Verhältnis hatten, war es doch nicht so eng wie das zu ihrem jüngsten Bruder. Sie musste feststellen, dass sie schlicht nicht wusste, was sie sagen könnte, um Appius auch nur zu verdeutlichen, dass sie da war, wenn er sie brauchte… und sie fühlte sich auf einmal hilflos. Der Blick, den sie Faustus zuwarf, drückte genau das aus: Hilflosigkeit. Sollte sie das tun, was Appius offenbar das liebste war, nämlich darüber hinweg zu gehen? Oder sollte sie ihm wenigstens sagen, dass er darüber reden konnte, wenn er wollte – vielleicht dachte er ja, sie würden nichts hören wollen darüber…


    Seiana biss sich kurz auf die Unterlippe, dann zwang sie sich zu einem Lächeln. „Es klingt aufregend, was du erlebt hast.“ Einen Moment zögerte sie noch, dann gab sie sich einen Ruck. Sie hatte nie ein Blatt vor den Mund genommen, und auch wenn sie in den letzten Jahren gelernt hatte, wann es besser war – in den meisten Fällen hieß das, wann es sich für eine Frau gehörte – zu schweigen, betraf das doch nicht ihre Brüder, egal wie lange sie sie nicht gesehen hatte. „Hör mal… es tut mir leid, was du erlebt hast. Was der Frau passiert ist, die du geliebt hast. Ich weiß nicht, ob du darüber reden willst oder nicht, aber wenn du willst, dann kannst du das. Ich möchte nur, dass du das weißt.“

  • Ich hing förmlich an Appius' Lippen, als er von seinen Erlebnissen im hohen Norden erzählte. Und wieder mal hörte ich, dass die Provinz doch ganz anders war, als man sich das so vorstellte.
    "Schade, ich stell mir das sehr grandios vor, so einen richtigen Schneesturm, das Walten der Naturgewalten, ganz entfesselt, ganz ursprünglich sozusagen!", schwärmte ich zwischendurch. "Ich würde es gerne mal in echt erleben... natürlich mit einem Dach über dem Kopf."
    Irgendwann musste ich wohl doch auch mal dorthin reisen, und mir das mit eigenen Augen ansehen, da könnte ich dann auch gleich Sparsus besuchen - aber der Dienst erlaubte das ja nicht, leider, leider...
    Eines war auch ein bisschen seltsam, oder was heisst seltsam, es sprang mir einfach ins Auge - kaum war ich in Gesellschaft meiner Geschwister war ich auf einmal wieder der Kleine - ich fühlte mich auch so, trotz allem was ich in der Zwischenzeit erlebt hatte, und ich war mir nicht sicher, ob ich das mochte.


    Erschrocken liess ich meinen Becher sinken, als Appius ganz kurz - fast beiläufig - einen schlimmen Schicksalsschlag erwähnte, der ihm widerfahren war. Ich nagte an meiner Lippe, und blickte ihn betroffen an, wollte schon zu ihm gehen um ihm den Arm um die Schulter zu legen, da war er bereits darüber hinweggegangen, und hatte sich wieder im Griff. Unsicher sah ich zu Seiana, und begegnete ihrem Blick, der mir ebenso hilflos schien wie der meine.
    "Da bist Du ja ganz schön rumgekommen...", sagte ich und erwiderte zaghaft Appius' Lächeln. Aber jetzt prompt umzuschwenken, und fröhlich von meinen Abenteuern zu erzählen, erschien mir, obwohl ich natürlich voll Mitteilungsdrang war, irgendwie nicht so ganz angebracht.
    "Ja... ähm..."
    Seiana war dann die, die richtigen Worte fand, und ich nickte nachdrücklich dazu. "Ja genau", murmelte ich nur. Bedrängen wollte ich Appius auch nicht, schliesslich hatten wir uns wahnsinnig lange nicht gesehen, und es trugen ja auch nicht alle ihr Herz so auf der Zunge wie ich.

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  • Zitat

    Original von Decima Seiana
    „Hör mal… es tut mir leid, was du erlebt hast. Was der Frau passiert ist, die du geliebt hast. Ich weiß nicht, ob du darüber reden willst oder nicht, aber wenn du willst, dann kannst du das. Ich möchte nur, dass du das weißt.“


    Drusus las nicht die weibliche Neugier, sondern das Mitgefühl in Seianas Augen. Er hatte gehofft, ja sogar erwartet, daß sie ihn nach dem, was ihn bedrückte und das er nicht vergessen konnte, fragte. Und er war sich darüber im Klaren, daß er sich selbst nichts Gutes damit tat, wenn er seine Erlebnisse hinunterschluckte.


    Für ihn war der Zeitpunkt gekommen nach vorne zu schauen. Er mußte sich von der Vergangenheit lösen ... und das schien ihm nur mit der Hilfe seiner beiden jüngeren Geschwister möglich zu sein: mit Seinana - welches weibliche Wesen konnte nicht trösten? - und mit Faustillus, der ihm ans Herz gewachsen war und der auch der Kleine blieb, solange sie unter sich waren. Coram publico wollte er es jedoch bei Faustus belassen.


    Drusus nahm noch einen Schluck Wein und begann ohne Umschweife:


    "Es fing damit an, daß unsere Mutter immer und immer wieder den Soldatenberuf idealisierte. Bestimmt erinnert Ihr Euch daran. Ich konnte es damals, die Betonung lege ich ausdrücklich auf damals, nicht mehr hören, packte mein Bündel und verließ ohne mich noch einmal umzudrehen das Elternhaus. Mit Euch wollte ich nicht reden. aber nicht aus Böswilligkeit. Ich hielt es damals für besser; einerseits wart Ihr noch zu jung, andererseits wollte ich es vermeiden, daß Ihr mich vielleicht überredet hättet zu bleiben.


    Um Geld zum Überleben zu verdienen, arbeitete ich mal hier mal dort. Irgendwann schloß ich mich einer Gruppe von lixae an. Das sind diese rüden Burschen, sog. Marketender, die die Armee begleiten. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um Plünderer, die zu Überfällen auf feindlichem Territorium befugt waren, um das Heer zu beliefern und dabei Gewinn machen durften. Und so ging es dann immer weiter in die Germania hinein.


    Schließlich fand ich Arbeit auf einem großen Weingut in der Nähe von Mogontiacum, dessen Besitzer sich als äußerst zuvorkommend erwies.
    Aeala war seine Tochter. Sie war wunderschön. Bei ihrem ersten Anblick hatte ich das Gefühl, als ob mich Amor mit mehreren Pfeilen traf. Ihre Eltern hatten nichts gegen eine Verbindung einzuwenden, zumal Aeala ihr einziges Kind war und mir der Weinbau trotz der beschwerlichen Arbeit Freude bereitete.


    Eines Tages, es war ein schöner, sonniger und heißer Tag im August, wollte ich mit Aeala wieder zum Fluß. Wie so oft wollten wir uns nach der Arbeit erfrischen. Wie so oft machten wir einen Wettlauf, wer von uns zuerst am Fluß war.


    Aeala war zuerst am Fluß. Lachend winkte sie mir noch zu. Dann verschlang sie der Fluß.


    Ich sah sie untergehen. Obwohl ich kurz nach ihr im Wasser war, konnte ich sie nicht mehr finden. Zwei Tage später zogen Flußfischer ihren leblosen Körper aus dem Wasser."


    Drusus hielt inne. Die drei Geschwister sahen betroffen vor sich ihn.
    Keiner sprach ein Wort bis Drusus fortfuhr:


    "Ihre Eltern machten mir keine Vorwürfe, im Gegenteil, sie versuchten mich davon zu überzeugen, daß ich keine Schuld an diesem Unglück hätte. Es half nichts. Das Schuldgefühl war zu groß. Ich wollte weg, weit weg, und der Einladung eines Freundes folgend bin ich nun schon längere Zeit in Rom. Der Rest ich Euch bekannt.


    Und nun bin ich soweit, daß ich die Mutter verstehe. Ich konnte mich bei ihr nicht mehr für mein damaliges Verhalten entschuldigen, sie, die es gut mit uns Kindern meinte, und alles daransetzte, daß wir uns der gens würdig erwiesen.


    Aber trotz des besten Willens dies alles zu vergessen, mich zieht es zurück in die Germania. Ich werde mich bei der II Germanica einschreiben und in memoriam unserer Mutter Soldat werden. In ein paar Tagen, wenn ich hier alles erledigt habe, mache ich mich auf nach Mogontiacum."

  • Faustus stimmte ihr zu, aber etwas anderes hätte Seiana auch kaum erwartet. Erneut warf sie ihm einen kurzen Blick zu, der mehr um Hilfe suchte als alles andere, während Appius einen Schluck Wein trank – ob er damit Zeit schinden wollte, ob er nicht wusste was er sagen sollte, ob er auswich oder sich selbst Mut machen wollte, konnte Seiana beim besten Willen nicht sagen. Sie griff ebenfalls nach ihrem Weinbecher, trank aber nichts, sondern drehte ihn nur nachdenklich in ihren Händen und starrte in die rote Flüssigkeit, die im warmen Licht der Öllampen zu funkeln schien. Erst als ihr älterer Bruder wieder das Wort ergriff, sah sie hoch, sah ihn an, während er zu erzählen begann, zuerst von zu Hause, warum er gegangen war, ohne ein Wort, ohne eine Nachricht, was er getan hatte… Um schließlich zu dem Moment zu kommen, in dem ihn das Schicksal offenbar so hart getroffen hatte. Mit jedem Wort wurde ihr Gesichtsausdruck betroffener, und als Appius eine Pause machte, wusste sie nicht, was sie sagen sollte, und so schwieg sie, bis er wieder das Wort ergriff und seine Geschichte zu Ende erzählte.


    Langsam beugte sie sich vor, griff nach Appius’ Hand und drückte sie kurz, bevor sie sich wieder zurücklehnte. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Appius. Es tut mir so leid… Ich weiß, dass es in der Situation kaum etwas gibt, was man sagen oder tun kann…“ Sie musste an ihre Mutter denken, an die letzten Wochen und Monate, in denen es immer mehr bergab gegangen war – und sie konnte nicht sagen, was leichter war. Einen geliebten Menschen zu verlieren, wie es Appius geschehen war, so schnell, so unvorhergesehen… oder langsam, über einen längeren Zeitraum, dem Leiden dieses Menschen zusehen zu müssen, ohne etwas tun zu können außer einfach da zu sein, was oft genug so unglaublich schwer war, und mit jedem Mal noch schwerer wurde – aber dafür die Gelegenheit zu haben, sich wenigstens ein bisschen vorbereiten zu können auf den Verlust, der unweigerlich folgen würde, die Gelegenheit zu haben, Abschied zu nehmen. Seiana seufzte leise. „Ich denke nur, jeder von uns muss den Weg gehen, der richtig für ihn ist. Auch wenn es manchmal fast zu schwer scheint… Irgendwas haben sich die Götter dabei gedacht, irgendwie hat es doch einen Sinn, auch wenn man ihn nicht gleich erkennen kann, und es vielleicht nie tut.“

  • Drusus fuhr auf, seine Gesichtszüge wurden hart und dann brach es aus ihm heraus.


    "Diese ewigen Götter! Wenn es sie überhaupt gibt und sie fähig zum Denken oder was auch immer sein sollten und das auch noch einen Sinn haben sollte --- was habe ich ihnen getan? Wieso strafen sie mich, indem sie mir den liebsten Menschen nahmen? Ich glaubte an sie. Ich lebte in der Überzeugung, unter ihrem Schutz zu stehen. Ich brachte ihnen den gebotenen Respekt entgegen und Opfer dar, so wie sie es verlangten. Nein, ich kann im Handeln der Götter keinen Sinn erkennen,"


    und ohne daß ihn seine Geschwister verstehen konnten, fügte er hinzu


    "und ich will es auch nicht!"


    Dann stand er auf und starrte zum Fenster hinaus. Niemand sprach ein Wort. Unwillkürlich drehte er sich um und ging auf Seiana zu, nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und küßte sie auf die Stirn.


    "Verzeih` meinen Gefühlsausbruch, Seiana. Ich hätte mich so nicht gehen lassen dürfen. Bitte verzeih`!"

  • Seiana hielt betroffen inne, als Appius auffuhr. Sie konnte seine Meinung nicht teilen, obwohl oder vielleicht gerade weil sie den Tod, mehr noch, das Sterben ihrer Mutter so nahe und direkt mitbekommen hatte wie keiner ihrer Brüder. Aber sie konnte ihn auch verstehen. Auch wenn sie nie so abfällig über die Götter gesprochen oder auch nur gedacht hatte, auch wenn sie nie wirklich den Glauben daran verloren hatte, dass es einen Sinn hatte, hatte sie doch mit dem Leben gehadert. Und die Frau zu verlieren, die man liebte und heiraten wollte, in ihrem Alter, war noch etwas anderes als die Mutter zu verlieren – war das doch etwas, das früher oder später einfach passierte, wenn das Leben seinen normalen Gang nahm.


    Sie schwieg, als Appius dann plötzlich aufstand und zum Fenster ging, wusste, wie so oft in der letzten halben Stunde, nicht was sie sagen sollte, und wartete einfach ab – und tatsächlich, nach nur wenigen Augenblicken drehte Appius sich wieder um und kam zu ihr. Seiana schloss kurz die Augen, als er sie auf die Stirn küsste. „Da gibt es nichts zu verzeihen, Appius. Vielleicht ist es vermessen, das zu sagen, wenn man selbst nicht derselben Situation war, aber ich kann nachvollziehen, wie es dir gehen muss. Und wir sind eine Familie, mehr noch, wir sind Geschwister – wir haben uns lange nicht gesehen, aber daran ändert sich nichts. Wenn wir untereinander uns nicht so zeigen können, wie wir sind, wo dann?“ Sie hob eine Hand und strich Appius langsam über die Wange.
    „Es gibt nichts zu verzeihen“, wiederholte sie leise.

  • Drusus sah seine Schwester dankbar an. Ihr Mitgefühl, ihre Anteilnahme an seinem Schicksal und ihre Hand auf seiner Wange, all das hatte er vermißt. Aber wer hätte ihn auch verstehen können oder auch nur wollen? Wem hätte er sich anvertrauen können?


    Aber trotzdem zuckte er unmerklich zurück. Mit dieser liebesvollen Geste hatte ihn Aeala immer getröstet, wenn es bei der Arbeit in den Weinbergen nicht so recht klappen wollte oder wenn sie ihren Wettlauf zum Fluß machten, an dem sie immer als Erste ankam. Sie ließ es sich nicht anmerken, daß sie längst bemerkt hatte, daß Drusus absichtlich meistens langsamer wurde.


    Warum nur hatte sie damals nicht wie immer auf ihn gewartet und war sofort in den Fluß gesprungen?


    Drusus starrte in Gedanken für einen Augenblick vor sich hin und murmelte:


    "Wenn nur die Vorsehung nicht wäre!"


    Dann wandte er sich an Seiana.


    "Lieb von Dir, daß Du mich verstehst. Aber alles in allem: Ich weiß nicht warum es so ist, aber ich muß wieder zurück in die Germania, und das so schnell wie möglich. Nur so kann und werde ich Ruhe finden, davon bin ich überzeugt! Das soll jedoch nicht bedeuten, daß ich von der familia nichts mehr wissen will, im Gegenteil, gerade jetzt ist mir zum Bewußtsein gekommen, wie sehr ich Euch brauche. Wenn ich auch vielleicht lange weg sein werde, die Verbindung zu Euch bleibt bestehen."


    Lächelnd sah er seine Schwester an.


    "Und wie steht es mit Dir, hast Du Dein Herz schon vergeben oder ist es verfrüht, diese Frage zu stellen?""

  • Mein Bruder hatte recht. Solche Dinge waren einfach nur entsetzlich. Einen Sinn gab es nicht darin! Ich knetete meine Finger und starrte, den Kopf halbgesenkt, auf den Boden des Zimmers, und dachte an die vielen vielen Kameraden, die in Parthien gestorben waren, in Stücke gehackt oder im Feuer verkohlt, oder am Wundbrand elend verreckt. An Lucullus dachte ich, an seinen letzten Gruss als die Reiter auf uns zukamen, und ich war mir in dem Moment ganz sicher, dass man sich das mit dem Sinn nur einbildete. Entweder die Götter waren so grausam, oder es war ihnen einfach egal.
    Dann gab ich mir einen Ruck, stand auf und ging zu Appius. Ich legte ihm einen Arm um die Schultern und drückte meinen Bruder kurz aber ganz fest.
    "Es ist schade dass Du gleich wieder weg willst", sagte ich, selbst ganz aufgewühlt von dem ganzen, "...oder musst. Aber es ist bestimmt das richtige, also ich meine wenn Du Dir da so sicher bist. Ich, ähm, ich bin aber sehr froh dass wir uns mal wieder gesehen haben. Und die Secunda ist doch wirklich eine sehr gute Legion, das hört man ja immer wieder. Mein bester Freund, der lässt sich auch gerade dorthin versetzen... Ich glaub auch, Mutter hatte recht mit dem was sie für uns wollte, aber ich habe es erst nach ihrem Tod erkannt. Oder naja, eigentlich erst so richtig als ich schon eine Weile in der Legion war. - Jedenfalls musst Du uns schreiben. Nicht dass Du wieder einfach so verschwunden bist!"
    Die Frage an Seiana liess mich dann auch schmunzeln, und dieses bedrückende Gefühl von Schicksal und Verlust trat wieder zurück, stand nur mehr nebulös im Hintergrund.
    "Ja, das wüsste ich auch mal gerne", neckte ich meine Schwester, "Du hast doch sicher so ein paar Dutzend Verehrer, nicht? Und, oh je, wir sind gar nicht da um auf Dich aufzupassen." Ich rollte 'besorgt' mit den Augen und forderte Seiana grinsend - aber dabei wirklich neugierig - auf : "Erzähl doch mal!"

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  • Drusus sah zu Faustus. Es war wie in alten Zeiten. Kaum war der Kleine bei ihm, dann schien die Sonne, sämtliche Unbillen des Lebens schienen wie weggeblasen. Er versprühte einen Frohsinn, für den man beinahe dankbar sein mußte!


    Jaja, so war Faustillus! Er hatte sich nicht in allem geändert: Er war zwar erwachsen geworden, unverkennbar!, er war auch nicht neugierig, aber er wollte immer noch alles wissen.


    Und da schien ihm die Frage des größeren Bruders gerade recht zu kommen. Lachend meinte er zu Seiana:


    "Nun kommst Du nicht mehr aus. Wenn Dich gleich zwei Brüder bedrängen, sei nicht böse wegen der Wortwahl, heißt das aber noch lange nicht, daß Du Rede und Antwort stehen mußt. Faß` unsere Frage einfach als interfamiliäres Interesse Deiner Brüder, die Dich verehren, auf".


    Drusus versuchte seinem Lachen einen sie anhimmelnden Ausdruck zu
    verleihen.

  • Seiana spürte das Zurückzucken, obwohl es nur einem Hauch glich, lag ihre Hand doch an seiner Wange. Zart strich sie ihm noch einmal darüber, bevor sie ihren Arm wieder zurückzog. Sie lauschte den Worten ihres anderes Bruders und fühlte sich auf einmal zerrissen. Was ihre Mutter für sie gewollt hatte… Hatten ihre Brüder Recht? War das das Richtige für sie? Für die beiden hier offenbar, aber was war mit ihr? Hätte ihre Mutter gewollt, dass sie nach Rom ging, dass sie ihre eigenen Pläne versuchte zu verwirklichen? Sie wusste es einfach nicht. Für einen Moment fühlte sie sich allein, aber sie zwang ein angedeutetes Lächeln auf ihr Gesicht und nickte zustimmend. „Ja, wenn du diesmal wieder gehst, dann schreib bitte. Ich würde gerne wissen, wie es dir ergeht…“


    Im nächsten Moment verschwand das Lächeln wieder von ihrem Gesicht und machte einem verdutzten Ausdruck Platz, als zuerst Appius sie nach möglichen Verehrern fragte und Faustus dann auch noch in dieselbe Kerbe schlug. „Ähm“, machte sie, einen der seltenen Augenblicke erfahrend, in denen ihr die Worte fehlten. „Also. Hm.“ Dann stimmte sie in Appius’ Lachen ein, und Schalk blitzte in ihren Augen auf. „Oh ja, dutzendweise Verehrer, natürlich. Alle hecheln sie hinter mir. Nein, aber ernsthaft – ich weiß es nicht. Ich muss ehrlich gesagt gestehen, dass ich darauf eher weniger achte.“ Sie dachte an den Aelier, dessen Interesse an ihr durchaus zu merken gewesen war, jedenfalls wenn sie Elenas Worten glauben schenken durfte. „Von einem weiß ich, dass er wohl Interesse hat.“ Sie zögerte einen Moment. Wie viel sollte sie erzählen? Sie war sich ja selbst nicht sicher, was sie von Archias halten sollte, oder von seinem Besuch bei ihrem Onkel, oder davon, dass er nicht mit ihr selbst geredet hatte… Wobei sie auf der anderen Seite gestehen musste, dass das kein unübliches Vorgehen war. Sie war mehr Unabhängigkeit gewöhnt, aber das war bei weitem nicht bei allen Frauen der Fall. „Im Moment ist er nicht in Rom, aber wir haben Briefkontakt. Mal abwarten…“ meinte Seiana schließlich, ihre Worte bewusst eher neutral wählend. Sie war verwirrt, was den Aelier anging – und sie ließ sich nur ungern anmerken, wenn sie verwirrt oder unsicher war, weswegen sie sich in solchen Situationen meistens zurückhielt. Was sie in diesem Moment nicht bedachte war, dass ihre Brüder sie kannten.

  • Unsere sonst so forsche Schwester wurde auf einmal ganz wortkarg. Natürlich war meine Neugierde, äh Anteilnahme, damit nicht gestillt, und ungeniert fragte ich nach:
    "Ja, und Du? Hast Du auch Interesse? Überhaupt, wie ist er so, und was macht er so?"
    Für Seiana war natürlich nur das Beste gut genug, das Allerbeste, das verstand sich ja von selbst! Argwöhnisch dass sie so harmlos tat warf ich Appius einen bedeutungsvollen Blick zu.
    "Du hattest mir doch von jemandem geschrieben mit dem Du Dir schreiben wolltest", überlegte ich, "ist das derselbe? - Und, ach, da fällt mir noch was ganz anderes ein!", meinte ich, noch im selben Atemzug zu meiner Schwester. "Wegen, ähm, also dem Geld, da würde ich Dich gerne unterstützen, wenn Du erlaubst."
    Nicht dass sie meinte, sie müsse jetzt nach einem Mann Ausschau halten, um versorgt zu sein.
    "Ist ja auch meine Aufgabe", setzte ich schnell hinzu, weil ich mir schon denken konnte dass das meiner stolzen Schwester womöglich nicht recht war, "schliesslich verdiene ich solide in der Legio, und werde dazu noch verpflegt und alles, und - ach das hab ich ja noch gar nicht erzählt - stellt euch vor, Tante Lucilla hat mir ein Stück Land geschenkt, bei Tarraco, mit einem Olivenhain drauf, und einer Ölmühle! Ich bin jetzt übrigens Klient von ihr, sie ist ja eine einflussreiche Matrona. Ist das nicht toll?!"

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    Klient - Decima Lucilla

  • Drusus hatte nur noch Augen für seine Schwester. So wie sie sich gab, ihre Gesten, ihr Lachen, ihre Nähe und schließlich ihre Hand auf seiner Wange ...


    ... und wieder sah er Aeala vor sich ...


    Zitat

    Original von Faustus Decimus Serapio
    "... und - ach das hab ich ja noch gar nicht erzählt - stellt euch vor, Tante Lucilla hat mir ein Stück Land geschenkt, bei Tarraco, mit einem Olivenhain drauf, und einer Ölmühle! Ich bin jetzt übrigens Klient von ihr, sie ist ja eine einflussreiche Matrona. Ist das nicht toll?!"


    Nur mit halbem Ohr hatte er Serapios Frage mitbekommen.


    "So ein Stück Land, und noch dazu geschenkt, ist nicht zu verachten. Ich habe mich auch mit dem Gedanken getragen, bei irgendeinem Onkel oder einer Tante Klient zu werden. Aber von der Verwandtschaft ist mir keiner bekannt und zudem bin ich schon gar nicht mehr hier."


    ... und wieder zog Seiana seine Blicke auf sich..


    Ihm war bewußt, daß er damit anfing, in seiner Schwester seine Aeala zu sehen und Vergangenheit und Gegenwart zu verschmelzen begannen. Aber soweit durfte er es nicht kommen lassen. Seiana war seine Schwester!


    Abrupt stand Drusus auf.


    "Seid mir nicht böse. Es ist spät geworden. Morgen ist ein langer Tag, an dem ich noch einiges zu erledigen habe und übermorgen mache ich mich auf die Reise nach Germanien. Vielleicht bringe ich es dort zu etwas, vielleicht gehe ich dort unter!"


    Mit gemischten Gefühlen sah Drusus seine Geschwister an. Fast wehmütig ruhte sein Blick auf Seiana ...

  • Faustus wurde gerade durch ihre Schweigsamkeit neugierig – sie hätte es sich denken können, schoss Seiana im Nachhinein durch den Kopf. „Na ja…“, murmelte, etwas verlegen. „Ich weiß es nicht. Er wirkt nett…“ Sie kannte ihn kaum. Trotzdem, die wenige Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte, hatte sie durchaus genossen. Sie hatte mit ihm lachen können. „Ja, das war der. Er ist in Ägypten im Postdienst tätig – daher schreiben wir uns auch.“ Sie verfiel wieder in Schweigen und musterte für einen Moment ihren Weinbecher, als ob etwas unglaublich Interessantes darin wäre. Das Ansinnen des Aeliers beschäftigte sie nun schon seit Tagen, und sie bekam es einfach nicht aus dem Kopf – wie denn auch? Er wollte sie heiraten, wie hätte sie das so einfach wegschieben können? Seiana wusste, wie wichtig die Familie war – ihre Mutter hatte darauf geachtet, dass allen ihren Kindern das klar war. Mehr als nur darauf geachtet. War das nicht der Grund gewesen, warum die beiden Brüder, die jetzt in ihrem Zimmer saßen, verschwunden waren? Weil sie dem Druck nicht mehr hatten standhalten können oder wollen? Es hatte eine Zeit gegeben, da wäre sie am liebsten auch verschwunden, und wie übel hatte sie es damals Faustus genommen, dass er es einfach getan hatte, hatte tun können, während sie, als Mädchen, als Frau, nicht wirklich die Wahl gehabt hatte… Oder war das nur eine Ausrede gewesen? Seiana seufzte lautlos. Die Familie war wichtig, das wusste sie, und es war nicht nur Pflichtgefühl oder Erziehung, die aus ihr sprachen – das Alter, in dem ihnen allen zu viel geworden war, wozu ihre Mutter sie hatte drängen wollen, war vorbei, bei ihnen allen, wie es schien. Nein, die Familie war ihr wichtig – und aus diesem Blickwinkel betrachtet war ein Aelier eine hervorragende „Wahl“. Nur… was war mit ihr? Mit dem, was sie wollte? Seiana schloss für einen winzigen Moment die Augen. Ihre eigenen Wünsche hin oder her, eine Ehe mit einem Aeliers war, gerade in der momentanen politischen Situation, eine zu gute Verbindung für ihre Familie, um sie nicht wenigstens in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus mochte sie Archias ja. Sie kannte ihn nur kaum…


    Während, ohne dass sie selbst es bewusst registrierte, in Seiana der Beschluss zu reifen begann, nach Ägypten zu reisen, lauschte sie ihren Brüdern. Dass Appius begann, sie auf eine etwas seltsame Art anzusehen, bemerkte sie gar nicht, dafür war sie für Augenblicke dann doch zu versunken in ihre eigenen Gedanken. Erst als sie hochsah, in seine Augen, meinte sie für einen Moment einen merkwürdigen Glanz zu sehen – aber im nächsten war er schon verschwunden, und sie schob den Gedanken weg. Sie lächelte und nickte, als Appius Faustus antwortete, schwieg aber zuerst zu dem Angebot, das ihr jüngerer Bruder ihr gemacht hatte. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, auch wenn es sie rührte, dass er sich um sie kümmern wollte. „Ähm. Ja. Hm. Danke für dein Angebot, das ist wirklich lieb von dir…“ Der ältere Bruder rettete sie für den Augenblick, indem er plötzlich aufstand und sich verabschiedete. Seiana machte sich nichts vor, Faustus würde auf sein Angebot zurückkommen, und sie hatte auch vor, ihm zu antworten – nur was, wusste sie noch nicht recht… Sie sollte ihm von ihren Plänen erzählen. Sie sollte ihm von so viel erzählen. Seiana verdrängte die Gedanken für den Moment, erhob sich ebenfalls und lächelte Appius an. „Nein, mach dir keine Gedanken. Ich hab mich gefreut, dich endlich mal wieder zu sehen, zu hören, wie es dir ergangen ist…“ Nicht ahnend, was sie damit möglicherweise anrichtete, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf die Wange, bevor sie ihn umarmte. „Ich wünsche dir alles Gute – und dass du in Germanien findest, was du suchst. Dass du Frieden findest.“

  • Das Wiedersehen mit seinen Geschwistern hatte Drusus als wohltuend empfunden. Die Aussprachen und die Anteilnahmen taten ihr übriges. Vielleicht hätte es noch vieles mehr gegeben was der Erwähnung würdig gewesen wäre, aber letztendlich war ein jeder selbst seines Glückes Schmied und mußte den Weg gehen, der ihm vorgezeichnet war.


    Zitat

    Original von Decima Seiana
    „Ich wünsche dir alles Gute – und dass du in Germanien findest, was du suchst. Dass du Frieden findest.“


    Drusus verabscheute Abschiedsszenen, vor allem dann, wenn es sich um Menschen handelte, die ihm nahe standen. Er küßte Seiana flüchtig auf die Stirn und ergriff ihre Hände.


    "Danke für alles, kleine Schwester, danke dafür, daß Du mir so geduldig zugehört hast, danke dafür, daß Du für mein Schicksal soviel Verständnis aufgebracht hast und danke für Deine guten Wünsche. Ich wünsche Dir nicht nur alles Gutes, ich wünsche Dir das Beste. Möge alles so geschehen, daß Du glücklich wirst. Lebe wohl!"


    Noch eine kurze Umarmung und schon hatte Drusus Seianas cubiculum verlassen.

  • Hatte ich was verpasst? Mir war so, als sähe Appius Seiana jetzt ganz anders an, so intensiv irgendwie. Und schon machte er sich wieder auf, und verabschiedete sich abrupt. Es war ein Abgang, der einem dramatischen Bühnenstück alle Ehre gemacht hätte.
    "Mach's gut Appius, viel Glück in Germanien!", rief ich ihm hinterher, blickte noch einen Moment lang fragend die Türe an, nachdem sie sich schon wieder geschlossen hatte. Ich war schon ein bisschen beleidigt, dass er keine Notiz mehr von mir genommen hatte, und mürrisch murmelte ich:
    "Was war denn da jetzt auf einmal los?"
    Mich wieder in dem ungemein bequemen Sessel zurücklehnend, leerte ich meinen Becher und taste mit den blossen Füssen nach den Caligae, die ich vorhin abgestreift hatte.
    "Mhm, in Ägypten? Ganz schön weit weg..."
    Ein Postdienstler aus der Provinz, das klang erst mal nicht gerade beeindruckend. Aber, so überlegte ich, wenn Seiana sich entschieden hatte, mit ihm eine Korrespondenz zu pflegen, über so eine weite Distanz, dann musste der Mann schon was besonderes an sich haben.
    "Also, so langsam muss ich mich dann auch wieder aufmachen, weil ich... ähm... also ich muss nochmal in die Stadt. - Aber was sagst Du denn zu meinem Angebot? Ich bestehe darauf, wirklich."

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  • „Leb wohl…“, murmelte Seiana, als Appius sich bedankte und dann verschwand. Einen Moment lang musterte sie die Tür, die sich hinter ihrem Bruder geschlossen hatte, dann wandte sie sich Faustus zu, der sie im selben Augenblick ansprach. „Keine Ahnung.“ Wieder zog sie die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Ihr war ebenfalls aufgefallen, dass Appius’ Abschied etwas abrupt ausgefallen war – so abrupt, dass er sich von Faustus kaum wirklich verabschiedet hatte. „Wir haben ihn so lang nicht mehr gesehen… Ich weiß nicht, ich… also, das Gespräch selbst war gut, und… da war schon die Vertrautheit von früher, jedenfalls hat es sich so angefühlt. Aber trotzdem… irgendwie war auch gleichzeitig was Fremdes da. Die Jahre, die wir uns nicht gesehen haben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn wirklich noch kenne, weißt du? Das hat nichts damit zu tun, ob ich das will, ich meine, er ist mein Bruder, ich liebe ihn, und ich werd für ihn da sein, wenn er mich braucht, genauso wie für dich und Caius, so gut ich kann… Nur, wir haben uns eben alle weiterentwickelt. Verändert. Und was er erlebt hat…“ Seiana seufzte. „Ich weiß nicht.“


    Sie grinste, etwas verlegen, als Faustus auf den Aelier zurückkam. „Jaaa. Ich hab ihn gefragt, warum er nach Ägypten will, und es waren wohl verschiedene Gründe – er interessiert sich für andere Länder, er war auch schon in Germanien. Karrieremöglichkeit war auch ein Grund. Er möchte sich selbst einen Namen machen, meinte er. Ich hab neulich erst einen Brief von ihm bekommen, inzwischen ist er Praefectus Vehiculorum von Ägypten.“ Sie zuckte andeutungsweise die Achseln. „Und er… Na ja, das klingt vielleicht komisch, aber er hat mich zum Lachen gebracht. Ist schon länger her, dass das jemand geschafft hat…“ Seiana wurde nachdenklich, zuckte dann schließlich erneut die Achseln und nippte an ihrem Wein. Dann sah sie überrascht hoch. „Wie, du willst auch schon gehen? Musst du schon wieder zurück?“ Nein, in die Stadt musste er – und Seiana fiel das kurze Stocken durchaus auf. Für den Bruchteil eines Augenblicks blitzten Erinnerungen in ihr auf, an den Tag, als ihre Mutter den ersten Bericht bekommen hatte über Faustus und was er in Rom getrieben hatte – dem Seiana ohne das Wissen ihrer Mutter gelauscht hatte. Aber es war nur Erinnerung. Diese Zeit hatte Faustus hinter sich, das wusste Seiana, sie spürte es. Trotzdem legte sie den Kopf schief und musterte ihn, nicht misstrauisch, sondern offen und neugierig. „Was willst du denn noch in der Stadt?“ Danach stützte sie ihren Kopf in beide Hände. „Ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen. Aber… hm… also, finanzielle Probleme hab ich nicht. Ich werd von der Familie unterstützt, und ein bisschen was von Mutter ist ja auch noch da… Aber… na ja, ich möchte gerne was eigenes machen, weißt du? Wenn ich davon dann irgendwann mal leben kann, umso besser. Und das würd ich gern aus eigener Kraft schaffen. Ich hab schon ein paar Ideen, und ich möchte mir auch einen Patron suchen, weil das eben, na ja, der normale Weg ist, jedenfalls, wenn man von der Familie keine Unterstützung bekommt, weißt du?“ Seiana musterte ihren Bruder. Dann grinste sie plötzlich. „Solltest du tatsächlich darauf bestehen, dann müsstest du Partner werden – in welcher Form auch immer. Dann bekommst du eine Gegenleistung. Ah ja, und wenn ich auf die Nase falle und mein Patron mich verstößt – das heißt, wenn ich überhaupt einen finde –, dann kannst du mir natürlich auch gern helfen.“ Jetzt lachte sie. Natürlich meinte sie das nicht wirklich ernst. Sie hatte nicht vor, auf die Nase zu fallen, ganz im Gegenteil, und sie würde sich einen Plan überlegen, würde strukturiert vorgehen bei der Umsetzung ihrer Ideen, um das Risiko eines Fehlschlags so gut es ging zu vermindern. Aber selbst wenn dieser Fall eintreten sollte, würde sie lieber schuften, um es wieder gerade zu biegen, als ihren Bruder zu bitten, für sie einzuspringen. Sie konnte durchaus Hilfe annehmen, aber es gab einen Unterschied zwischen Hilfe annehmen und sich aus der Verantwortung ziehen, und letzteres würde sie ganz bestimmt nicht.

  • "Mmhm stimmt, wir haben uns alle verändert...", pflichtete ich Seiana bei. "Aber Du warst immer schon unser Fels in der Brandung."
    Ich fand nicht dass Seiana sich soo sehr verändert hatte - zum Glück. Aber vielleicht merkte man - ich - es ihr auch bloss nicht an. Früher hatte sie jedenfalls nichts für Jungs übrig. Glaube ich. Vielleicht irre ich mich auch, und ich kleiner Bruder hatte es bloss nicht mitgekriegt.
    "Ägypten muss toll sein, ach, das Land würde ich gerne mal sehen. Vor allem auf das grosse Serapeion in Alexandria wäre ich neugierig. Und die Märkte sollen ja noch bunter sein als in Syrien!"
    Grossonkel Ocrea (der nicht ganz richtig im Kopf war) hatte mir mal anvertraut, dass mein Vater (angeblich) einen Hang zum Serapis-Kult gehabt hatte, und mich deshalb so genannt hatte. Seitdem regte das meine Phantasie an. Meine Mutter hatte mir das Thema aber streng verboten, denn sie hatte es unrömisch gefunden.
    "Klingt nett. Und ehrgeizig."
    Ausserdem erinnerte ich mich wohl, dass Seiana mir von einem Aelier geschrieben hatte. Klang schon nach einer guten Partie.
    "Aber beim Cursus Publicus, also ich weiss nicht..." mäkelte ich, "das muss doch eine total öde Arbeit sein.", und schlug (nur halb-scherzhaft) vor: "Willst Du nicht lieber einen strammen Soldaten - naja, besser Tribun Dir anlachen?"
    Ich fand ja mittlerweile, dass ein echter Römer gedient haben sollte.


    "Jaaa..." Ich beugte mich runter, zog das Band fest, das sich durch die Lederriemen meiner Caligae schlang, und gestand, den Kopf halb unter dem Tisch: "Ich hab noch eine Verabredung."
    Dann tauchte ich auf. "Ähm. Wir haben uns auch geschrieben, als ich im Krieg war, und jetzt kann ich, uh, die Person endlich richtig treffen. Also, wir haben uns schon ganz kurz in Ravenna gesehen, aber das war nur flüchtig, total gehetzt... Ich bin ganz aufgeregt..."
    Ich lachte leichthin, spürte aber wie meine Wangen heiss wurden und zog eine Grimasse um das zu überspielen.
    "Ja. So ist das. Frag nicht..." Schnell Faustus! Ein anderes Thema! "....ah, was eigenes, naja, Deine Entscheidung, ich dachte nur für Frauen ist das viel schwieriger, deshalb, ähm, aber wenn Du das so nicht willst werden wir halt Partner, das klingt auch gut, also wenn du ein Geschäft eröffnen willst sag mir Bescheid, ich darf offiziell ja nicht... Aber was ich irgendwann mal, nach dem Militär eröffnen will ist ein Theater! Ein kleines Theater, mit ausgesuchten Mimen und einem anspruchsvollen Programm."
    An dem Traum hielt ich fest, auch wenn er weder solide noch gut angesehen war. Aber man könnte dort bestimmt auch patriotisch wertvolle Stücke inszenieren!
    "Also dann!"
    Ich stand auf, lächelte meine Schwester liebevoll an, und schloss sie zum Abschied kräftig in die Arme.

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  • „Der Fels in der Brandung?“ Seiana zog die Brauen leicht hoch, als sie das hörte. „Also ich weiß nicht… Aber wenn du meinst.“ Sie grinste. Sie selbst hätte das nicht über sich gesagt, aber wenn Faustus so von ihr dachte, freute sie das. Dann nickte sie, und ihre Augen begannen zu glänzen. „Ja, Ägypten – ich meine, allein der Name klingt schon faszinierend. Ich war ja sonst noch nirgends“ – im Gegensatz zu ihren Brüdern – „und hab daher keinen Vergleich, aber… hm… mal sehen, vielleicht besuch ich ihn ja mal. Dann kann ich dir erzählen, wie es ist. Und Tribun anlachen, will ich einen Mann, bei dem ich ständig Angst haben muss, dass er irgendwohin abgerufen wird? Reicht schon, dass zwei von meinen Brüdern Soldaten sind… Außerdem, was heißt hier überhaupt anlachen – ich hab mir niemanden angelacht, wir schreiben uns nur, da ist gar nichts…“ Noch nicht. Seiana biss sich auf die Zunge, während ihr gleichzeitig, jetzt wo sie es ausgesprochen hatte, der Entschluss bewusst wurde, der sich in ihr gebildet hatte – den Aelier zu besuchen. Sie hatte ihm bisher noch nicht wieder geschrieben, einfach weil sie nicht gewusst hatte was – fest hatte für sie gestanden, dass sie ihn darauf ansprechen wollte, aber jedes Mal wenn sie sich hingesetzt hatte, um ihm zu schreiben, hatte sie irgendwann wieder aufgegeben. Entweder fand sie nicht die richtigen Worte, oder sie war unzufrieden mit dem Brief, wenn sie ihn im Nachhinein noch einmal durchlas. Nun, vielleicht würde ihr das auch so gehen, wenn sie dem Aelier gegenüber stand, aber dann konnte sie nicht mehr zurücknehmen, was sie gesagt hatte. Und sie würde eine Reaktion bekommen, würde hören können, was er zu sagen hatte.


    Dennoch behielt sie diesen Entschluss vorerst für sich. Er war zu frisch, für sie selbst noch so neu, dass sie sich erst wirklich klar werden musste darüber. Und die Reise erst planen… Plötzlich begann sich Aufregung in ihr breit zu machen, und weil sie gerade mit den Raupen in ihrem Bauch beschäftigt war, bemerkte sie nur am Rande, dass Faustus auf einmal um Worte verlegen war und auch sonst seltsam wirkte. Erst als ihr kleiner Bruder schon beim nächsten Thema war, fiel ihr auf, dass er seltsam gewirkt hatte, und sie runzelte flüchtig die Stirn, während sie noch einmal über seine vorigen Worte nachdachte. Eine Person? Der er geschrieben hatte? Und er war aufgeregt? Seiana legte den Kopf schief, und ihre Mundwinkel zuckten. Wenn sie sich nicht irrte, dann konnte das zusammen mit Faustus’ Verhalten eigentlich nur den Schluss zulassen, dass er eine Frau traf, eine in die er offensichtlich verliebt war. Dass er bewusst die Bezeichnung Person gewählt haben könnte, kam ihr nicht in den Sinn – aber sie fragte auch nicht nach, hatte sie doch noch zu gut im Kopf, wie sie sich gerade eben gefühlt hatte bei der Befragung durch ihre Brüder. „Ja, was eigenes. Ich weiß nicht, ob es schwieriger ist, aber ich werd schon klar kommen. Du kennst mich doch.“ Wieder grinste sie, bevor sich der Ausdruck in ein warmes Lächeln verwandelte. „Ein Theater, das klingt gut, sehr gut. Da bin ich auch gern dabei, wenn’s dir Recht ist. Oh, das könnte ich mir gut vorstellen. Wir beide irgendwann…“ Sie stand ebenfalls auf und erwiderte Faustus’ Umarmung, so fest sie konnte. „Also dann… Lass dich bald mal wieder blicken. Und ich wünsch dir viel Spaß noch bei deiner Verabredung.“ Sie küsste ihn zum Abschied auf die Wange und ging mit ihm zur Tür, die sie leise hinter ihm schloss, nachdem er ihr Zimmer verlassen hatte.

  • Seiana hatte an jenem Abend, als Faustus und Appius zu Besuch gewesen waren, noch länger hin und her überlegt – aber letztlich hatte ihr Entschluss festgestanden: sie würde nach Ägypten reisen. Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass sie keine andere Wahl hatte, jedenfalls nicht, wenn sie den Aelier tatsächlich auf seinen Besuch bei ihrem Onkel ansprechen wollte. Und auf sein Vorhaben. Und warum er ihr nichts gesagt hatte. Sie konnte es einfach nicht in schriftliche Worte fassen, alles erschien ihr ungenügend – und allein das Wissen, wie lange sie auf eine Antwort würde warten müssen – die dann womöglich wenig zufriedenstellend ausfiel – gab letztlich immer den Ausschlag. Wenn sie ihm gegenüber stand, konnte er ihr nicht ausweichen, oder nicht so gut. Und davon abgesehen… was war denn, wenn er es zugab? Wenn er auf ihren Brief antwortete und schrieb, dass er tatsächlich Interesse an einer Ehe mit ihr hatte? Von vornherein absagen, ohne eine Verbindung überhaupt in Erwägung zu ziehen, würde sie nicht – dafür war der Aelier nicht nur eine zu gute Partie, sondern ihr zu sympathisch erschienen, und darüber hinaus war ihre Neugier einfach zu groß. Um aber eine Entscheidung treffen zu können, dafür kannte sie ihn zu wenig. Und so, wie die Dinge momentan standen, konnte sie ihn nicht besser kennen lernen, es sei denn… es sei denn sie reiste nach Ägypten. Besuchte ihn. Lernte ihn kennen. Aber vorher würde sie ihm gehörig den Kopf waschen. Was fiel ihm ein, mit Meridius zu reden, sie aber nur ganz unschuldig zu fragen, ob er ihr schreiben dürfe?


    So hatte sie sich in den anschließenden Tagen und Wochen daran gemacht, die Reise vorzubereiten. Sie hatte Erkundigungen eingezogen, hatte mit Bekannten gesprochen, die bereits in Ägypten gewesen waren, und hatte schließlich in der Familie ihren Entschluss bekannt gegeben – auf eine Art, die klar machte, dass sie sich davon nicht abbringen lassen würde. Nachdem sie das hinter sich gebracht hatte, hatte sie sich nach einer Reisegruppe umgesehen, in deren Begleitung und Schutz sie und Elena nach Alexandrien reisen konnten, hatte eine Schiffspassage gebucht und sich um alles gekümmert, was sie sonst noch brauchte. Und schließlich war der Tag der Abreise gekommen.

  • Seiana war zurück! Sobald ich am Abend zur Haustüre hereingekommen war, hatte Marcus mir die Neuigkeit verkündet. Natürlich eilte ich sofort zum Zimmer meiner Schwester. Als ich dann vor der Türe stand, zögerte ich aber doch einen Moment lang: ob sie mir noch böse war? Wegen meines dummen Briefes... Wir hatten einfach das Talent, uns bei jeder Gelegenheit in die Haare zu bekommen. Mit dem festen Entschluss, dass das heute nicht passieren würde, klopfte ich schnell an und riss auch schon die Türe auf.
    "Seiana! Elena!" Ich stürmte in den Raum, im Slalom um die Reisekisten herum, und schloss meine Schwester in die Arme, drückte sie fest und strich ihr liebevoll übers Haar. "Bona Dea, wie schön dass du wieder da bist! Wie geht es dir, wie war die Überfahrt, du siehst ganz schön erschöpft aus!"
    Es war eine gewaltige Erleichterung, meine Schwester wohlbehalten hier zu sehen, wo ich mir doch jede Menge Sorgen gemacht hatte, bei dieser ganzen Ägypten-Geschichte. Und dann eine Überfahrt, so spät im Jahr, das war auch nicht ohne.
    Elena umarmte ich ebenfalls herzlich zur Begrüssung, ich hab sie ja immer sehr gemocht. (Im zarten Alter von 15 Jahren war ich sogar eine Zeitlang der Meinung gewesen, unsterblich verliebt in sie zu sein und ihr Herz mit Gedichten gewinnen zu müssen.)
    "Ihr beiden Abenteurerinnen..." Grinsend blickte ich hin und her, von einer zur anderen, und neckte sie: "Ihr seid ja ganz sonnenverbrannt."

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