Decima Seiana

  • Casca schien sich wirklich anzustrengen, aufzupassen und einen guten Eindruck zu machen nach seinem Fehltritt. Seiana wusste das durchaus zu schätzen, und so ließ sie ihre Gesichtszüge sich nun ein wenig entspannen. Und sie beschloss, den Kommentar zu unterdrücken, der ihr auf der Zunge lag: dass er besser nicht zu früh danken sollte, weil er vielleicht feststellte, dass das Führen von Betrieben nicht seins war... aber nun, das würde er ohnehin früh genug merken, und so lange er keinen halbwegs einflussreichen Posten innehatte, würde er wohl oder übel tun müssen, was seine Familie wollte. Ihr Bruder in seiner Position konnte es sich leisten, sich um keinen der Familienbetriebe zu kümmern, sondern das anderen zu überlassen... die jungen Decimi konnten sich das nicht.
    Sie lächelte allerdings nur und nahm seinen Dank mit einem leichten Nicken an. „Versuch nicht, es allen recht zu machen.“ Ihr Lächeln vertiefte sich ein wenig. Nachdem sie ihm die Betriebe übergab, reichte die ihre... aber das wiederum sagte sie nicht laut. „Du wirst es nicht schaffen. Aber solange die Geschäfte gut laufen, wird es für die Familie reichen. Was du allerdings von nun an genau tust, ist deine Entscheidung. Bei wichtigen Fragen kannst du dich an mich wenden, im Übrigen bist du nun erst einmal auf dich allein gestellt“, antwortete sie dann auf seine letzten Worte, ohne ihm diesmal dabei zu sagen, was sie von seinen Vorschlägen hielt. Das war nun seine Sache, vorerst.
    Etwas anderes allerdings wollte sie ihm noch mitgeben: „Eines noch: wenn du merkst, dass du zu viel Wein getrunken hast und jemand mit dir reden möchte... lass einen Sklaven ausrichten, du seist unpässlich und bittest darum, das Gespräch später zu führen. Das erspart dir auf Dauer einige Fehltritte.“

  • „Er ist was?“ Seiana starrte den Sklaven an, ungläubig, fassungslos, schockiert.
    „Dein Bruder, Herrin. Er hat die Casa verlassen. Keiner weiß wohin.“
    „Und wieso hat das keiner mitbekommen?“
    Der Sklave sah sie nur etwas hilflos an. Es war der Abend der Amtseinsetzung. Es war viel los gewesen an diesem Tag in der Casa, und Faustus war derzeit ohnehin sehr zurückgezogen, ging kaum aus dem Zimmer, und verließ sich in der Regel nur auf seine eigenen Sklaven. Kein Wunder, dass bis jetzt keinem aufgefallen war, dass Faustus das Haus verlassen hatte. Trotzdem versetzte Seiana dem Sklaven eine schallende Ohrfeige. Sie wusste selbst, dass er nichts dafür konnte, aber sie war schockiert über das Verschwinden ihres Bruders, und sie brauchte ein Ventil. „Ich will wissen, wo er ist!“ fauchte sie den Sklaven an, und dankbar dafür, entkommen zu können, verschwand der Mann. Und Seiana war allein. Allein mit ihren Gedanken, und allein mit dem Versuch fertig zu werden mit der Tatsache, dass Faustus weg war. Wieder einmal. Ohne dass sie noch einmal miteinander gesprochen hätten. Momente lang kämpfte sie gegen die Tränen an, die aufsteigen wollten, würgte einen Heulkrampf hinunter, und am Ende, auch wenn es knapp war, gewann sie diesen Kampf. Aber sie wusste nicht, wie oft noch. Sie wusste nicht, wie viel Kraft ihr noch blieb weiter zu machen, und trotzdem machte sie weiter, irgendwie, immer weiter. Aufgeben war nie in Frage gekommen... bisher. In letzter Zeit spürte Seiana die Verlockung einfach aufzugeben immer mehr, immer stärker. Sie hatte all ihre Energie, mühsam zusammengekratzt, darin investiert bei ihrem Bruder zu sein, an seinem Bett zu wachen. Alle Energie, die sie noch übrig hatte nach den letzten Monaten. Sie hatte nichts anderes getan, hatte sich bisher nicht einmal darum gekümmert, die Unterkunft des Kindes zu regeln, ihres Kindes. Dass Faustus sie nicht um sich haben wollte, hatte sie schon tief getroffen. Dass er jetzt gegangen war... traf sie in einem Ausmaß, das sie am Ende leer und ausgebrannt zurückließ.


    Sie brauchte Ablenkung, sie wusste das. Sie hatte derzeit lange nicht mehr so viel zu tun wie früher noch... Sowohl aus der Acta als auch der Schola hatte sie sich zurückgezogen, hatte Stellvertretern die Arbeit überlassen, bis Nachricht vom Kaiser kam, und obwohl sie sich danach sehnte etwas zu tun zu haben – je mehr Zeit verging, desto weniger konnte sie sich vorstellen einfach zurückzukehren, desto verlockender wurde der Gedanke, einfach selbst ihren Rücktritt anzubieten. Was vielleicht genau das war, worauf der Kaiser wartete. So oder so: sie hatte lange nicht mehr so viel zu tun wie früher, aber sie hatte immer noch ihre Betriebe, die Landgüter, die Verwaltung dessen. Immer noch geschockt von der Neuigkeit setzte sie sich an ihren Schreibtisch und zog ein paar Tafeln herbei, Post, die sie bekommen hatte, und ging sie durch, versuchte sich durch methodisches Arbeiten abzulenken... was ihr auch gelang. Bis ihr eine weitere Nachricht in die Hand fiel, die gestern gebracht worden war. Diesmal konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie saß da und starrte auf das, was Seneca ihr geschrieben hatte, starrte auf die Worte, die ihr sagten dass auch er fort war, weit fort, für unbestimmte Zeit, und spürte kaum die Tränen, die ihr lautlos über die Wangen rollten und auf Senecas Botschaft tropften.

  • [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img40/8946/icarion.jpg| Decimianus Icarion


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    Nur haarscharf war Icarion den bohrenden Fragen der Decima Seiana entkommen, beim letzten Mal. Ganz knapp war das gewesen.
    Und nun... nun stand er doch tatsächlich... freiwillig vor dem Cubiculum der Herrin. In den Händen hielt er, noch immer, das zusammengerollte Pergament, das alles veränderte, und noch immer fiel sein Blick wieder und wieder darauf, und hielt daran fest, sich voll ungläubigen Staunens versichernd, dass es wirklich war.


    "Domina Decima Seiana?" erhob Icarion schließlich die Stimme – deren melodisches Timbre im Augenblick eher belegt klang – und klopfte beklommen an die Türe der Dame.
    "Hier ist Icarion." Er verbesserte sich schüchtern: "Decimianus Icarion."



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  • Seiana saß in einem Sessel am Fenster, eine Pergamentrolle in den Händen, in der sie aber nicht wirklich las. Obwohl sie sich inzwischen bemühte, wieder mehr ins Leben zurückzufinden, in das alltägliche Leben, sich mehr zu beteiligen, mehr zu tun... fiel es ihr dennoch nach wie vor recht schwer. Und so starrte sie nur auf den Bericht aus einem ihrer Betriebe, las auch hin und wieder eine Zeile, aber ohne wirklich zu verstehen – verstehen zu wollen –, was da geschrieben stand. Ihre Gedanken glitten immer wieder ab, verloren sich auf verschlungenen Wegen, ohne dass sie später noch genau hätte sagen können, woran genau sie gedacht hatte. Das konnte sie nie so wirklich nach solchen Phasen.


    Als es klopfte, brauchte sie einen Moment, bis sie genug in die Realität zurück gefunden hatte. Dann allerdings drang zu ihr vor, wer dort vor ihrer Tür stand. Icarion. Der Sklave ihres Bruders. Den musste sie empfangen – wenn auch nur die geringste Chance darauf bestand, Neuigkeiten von Faustus zu hören, dann musste sie. Erst einen Augenblick danach sickerte ebenfalls durch, was er noch angefügt, verbessert hatte. Decimianus. Als ihr das bewusst wurde, war sie von einem Moment zum anderen völlig klar. Ruckartig hob sie den Kopf. „Komm herein“, rief sie, mit kräftigerer Stimme als in all den vergangenen Wochen – sah man mal von jenen Momenten ab, wenn sie versucht hatte etwas über den Verbleib ihres Bruders herauszufinden, wozu sie allerdings in der Casa selten Gelegenheit gehabt hatte... und außerhalb hatte sie nicht danach gesucht, weil sie sich gar nicht außerhalb aufgehalten hatte. Als Icarius eintrat, stand sie auf, ging ein paar Schritte auf ihn zu und sah ihn scharf an. „Decimianus?“ fragte sie einfach nur, aber die Aufforderung in ihrer Stimme war deutlich zu hören.

  • [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img40/8946/icarion.jpg| Decimianus Icarion


    "So ist es, werte Domina. Dein Bruder hat mich freigelassen." antwortete Icarion, selbst noch immer verblüfft über diese Tatsache. Zwar hatte er immer an sich geglaubt und nie daran gezweifelt, dieses große Ziel irgendwann eines fernen Tages zu erreichen... doch dass es ihm nun so plötzlich in den Schoß gefallen war... das war ihm beinahe unheimlich. Unter dem scharfen Blick der Dame zumal, fühlte er sich geradezu wie ein Hochstapler.
    "Per epistulam." Verschüchtert wies er auf die Urkunde, bot sie der Decima an, falls sie sich selbst davon überzeugen wollte, dass dies alles seine Richtigkeit hat.
    "Er hat uns alle freigelassen, alle die wir mit ihm nach Trans Tiberim gekommen waren, alle auf einmal... uns mit einem Peculium versehen und uns fortgeschickt." berichtete Icarion weiter. Seine Miene war besorgt, es bedurfte, nach all dem was zuvor geschehen war, ja nicht viel, dabei weiteres Unheil zu wittern. Darum hatte er sich ein Herz gefasst und sich in die Höhle des Löwen gewagt. Die Domina würde schon wissen was zu tun war. Und selbst wenn nicht, so wäre er dann zumindest der Verantwortung ledig...



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  • „Freigelassen“, echote sie. Es war nicht einmal eine wirkliche Nachfrage, sondern nur ein simples, weil recht fassungsloses Wiederholen dessen, was der Sklave... der Libertinus gesagt hatte. Nur flüchtig warf sie einen Blick auf die Urkunde, nahm sie aber nicht zur Hand, obwohl Icarion den Eindruck machte als wollte er sie ihr geben. Sie glaubte ihm wenn er sagte, dass Faustus ihn freigelassen hatte. Icarion hatte ihrem Bruder immer gut gedient. Nur... sie kam nicht umhin sich zu fragen: warum jetzt. Warum so plötzlich. Und- „WAS?“ entfuhr es ihr dann heftig. „Alle?“ Sie starrte Icarion an, noch fassungsloser als zuvor. Einen Sklaven freizulassen, dafür konnte es jede Menge gute Gründe geben, selbst – vielleicht sogar gerade – in einer Lage wie der ihres Bruders. Aber alle? Wenn Faustus alle freiließ, und dann auch noch fortschickte, dann stimmte etwas nicht. Plötzlich bekam Seiana Angst. „Was ist los? Was ist passiert, und wo bei Pluto kann ich ihn finden?“

  • [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img40/8946/icarion.jpg| Decimianus Icarion



    Was war los? Icarion wand sich, wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken, ganz zerrissen zwischen dem Drang, der Domina gehorsam Rede und Antwort zu stehen, und der Sorge um seinen Herrn... und seiner Ehre als Gesellschafter, der die persönlichen Angelegenheiten seiner Herrschaft stets mit allergrößter Diskretion zu behandeln hatte.
    "Es... Ähem... Nun. Dein Bruder hat seit seinem Auszug ja in größter Zurückgezogenheit gelebt. Er hatte keinerlei gesellschaftlichen Umgang. Doch schließlich hat einer, ein einziger, seiner früheren Freunde den Kontakt gesucht. Zu Beginn schien dieses einen wohltuenden Einfluß auf meinen Herrn zu haben, und führte auch dazu, dass er wieder unter Leute ging, doch dann... - Jener Freund hat ihn letztendlich wohl ebenfalls fallen gelassen." berichtete Icarion widerstrebend. "Und seitdem ist mein Herr... verändert. Ich vermute, dass er den Entschluß gefasst hat, dieser Stadt endgültig den Rücken zu kehren. Er sprach gelegentlich davon, nach Hispania zurückzugehen. Doch es gefällt mir nicht, ihn ohne Custodes zu wissen. - In der Herberge zum Salamander, nahe der Via Portuensis."



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