Decima Seiana

  • Mit dem Griechischen schien die Sklavin tatsächlich nicht die geringsten Probleme zu haben – ganz im Gegenteil war ihre Aussprache besser als Seianas, die einen vagen lateinischen Akzent nie ganz fortbekommen hatte, trotz der Bemühungen ihres Lehrers. Sie schmunzelte ganz leicht, als Aristea von germanischen Schimpfwörtern sprach, aber sie ging nicht darauf ein, hörte sich stattdessen mit Interesse an, was die Sklavin noch erzählte. Lesen, Schreiben und Rechnen konnte sie – das war tatsächlich etwas, was von Nutzen sein konnte und würde, auch wenn sie bisher damit noch nichts Wichtiges gemacht zu haben schien. Vorlesen also… konnte gelegentlich nützlich sein. „Wie sieht es mit anderen Unterhaltungsfähigkeiten aus? Singst du, spielst du ein Instrument?“ Livianus war in der Zwischenzeit – unbemerkt von ihr – aus ihrem Zimmer gegangen und hatte sie allein gelassen, aber zu ihrem Gespräch hatte er ohnehin nichts mehr beitragen können. „Nun… schade, dass du noch keine Erfahrung hast, was Geschäfte betrifft.“ Seiana überlegte einen Moment, ob sie damit nicht zu weit ging, jetzt schon. Aber es konnte nicht schaden, Aristea ein Ziel zu geben, auf das sie hinarbeiten konnte. Ob sie es erreichte, stand auf einem anderen Blatt. „Aber sofern du möchtest und das nötige Talent hast – und dich selbstverständlich als vertrauenswürdig erweist –, wirst du mir in Zukunft vielleicht bei der Verwaltung meiner Betriebe behilflich sein können.“ Es wurde ihr jetzt beinahe schon zu viel, was sie an Arbeit hatte, nach einem Verwalter hatte sie sich also ohnehin umsehen wollen. Ebenso wenig war sie jedoch bereit, die Verwaltung ihrer Betriebe auf einmal und zur Gänze aus der Hand zu geben – einen gewissen Überblick würde sie immer behalten wollen, und was den Rest anging, hatte sie eher daran gedacht, Stück für Stück ein wenig Verantwortung abzugeben. Umso besser also, wenn sie das tatsächlich in die Hände ihrer eigenen Sklavin geben konnte.


    Dann lächelte Seiana erneut, wenn auch nur leicht und ohne echte Herzlichkeit – die ihr aber ohnehin nur selten anzusehen war. „Ich meinte deine eigenen Interessen. Abgesehen von deinen Tätigkeiten als Sklavin.“ Sklaven waren Menschen, das war Seiana durchaus bewusst, auch wenn sie Sklaven waren. Natürlich hatten sie eigene Interessen. Und genau das war es, was in der Regel mehr Aufschluss gab über sie als das, was sie konnten oder bisher getan hatten. Und Seiana schloss noch eine weitere Frage an, eine Frage, die ebenso wie die vorige Aufschluss geben konnte über Aristea. „Hast du irgendwelche Fragen an mich?“

  • "Meine musikalischen Fähigkeiten sind leider äußerst beschränkt, ich kann mir Melodien leider nie richtig einprägen, geschweige denn sie richtig reproduzieren. Wenn ich singe dann nur zu meinem eigenen Vergnügen und ich glaube für die anderen ist es dann wirklich kein Vergnügen;)"


    Nach Seianas Ausführungen zu urteilen hatte sie es mit ihrer neuen Herrin nicht allzu schlecht getroffen, sie stellte ihr sogar relativ verantwortungsvolle Aufgaben in Aussicht, die man ihr vermutlich sonst nie zugetraut hätte, darum antwortete Aristea auch. "Wenn ihr es mir zutraut und ich es lernen kann, würde ich euch gerne bei der Verwaltung eurer Betriebe helfen." Allerdings fragte Aristea sich immer noch warum Seiana sich all die Arbeit machen wollte, ihr das nötige Wissen beizubringen ohne zu wissen ob ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt waren und nicht gleich einen Sklaven gekauft hatte, der es schon konnte. Aber vielleicht, würde sie es noch irgendwann erfahren. Sie sollte sich vielleicht schon einmal daran gewöhnen das sie bei ihrer neuen Herrin ohnehin nicht alles verstand, denn deren Frage nach ihren Interessen war tatsächlich auf ihre persönlichen Interessen bezogen gewesen. Seiana würde ihr natürlich nicht wirklich erlauben diese nach ihren eigenen Wünschen nachzugehen, aber offenbar verband sie mit der Frage einen Hintergedanken, denn auch Seianas Lächeln hatte bei dieser Frage auf Aristea nicht ganz ehrlich gewirkt.
    "Ihr wollt also meine eigenen Interessen wissen. Nun wenn sich mir die Gelegenheit bietet, gehe ich gerne zu Wagenrennen oder auf den Markt." Ein wenig unangenehm war es Aristea schon ersteinmal nur solche Interessen zu nennen, die in den Augen ihrer Herrin vermutlich ziemlich oberflächlich wirkten. Allerdings war sie eine Sklavin, ihr Alltag bestand hauptsächlich aus Arbeit, deren Nutzen sich meist nur indirekt in der Zufriedenheit der jeweiligen Herrschaften zeigte, jede Ablenkung oder Abwechslung die ihr selbst ein wenig Glück und Freude lieferte mochte sie daher. "Und wenn ich könnte, würde ich gerne mehr Lesen. Ich mochte es wie gesagt gern meiner Herrin vorzulesen, auch wenn ich vielleicht nicht immer alles verstanden habe." Sie war sich nicht sicher, ob dieses Interesse für eine Sklavin nicht doch zu anmaßend war. Darum fuhr Aristea auch gleich mit den Fragen fort, bevor Seiana noch etwas dazu sagen konnte. "Ich habe nicht viele Fragen, ich würde nur gerne wissen, was meine Aufgaben in den nächsten Tagen sein werden?" Schließlich lagen die anderen Aufgaben die ihr in Aussicht gestellt wurden, erst in ferner Zukunft. "Bzw. wie werde ich mir die Arbeit mit den anderen Sklaven die ihr habt teilen?" Es gab im Grunde auch keine anderen Fragen die sie stellen konnte, dass Meiste andere würden ihr ohnehin die Sklaven erzählen die bereits im Haus lebten.

  • Keine musikalischen Fähigkeiten also – und den Worten der Sklavin nach zu schließen, auch keine Aussicht darauf, dass sie das würde lernen können. Ein gewisses Talent musste dafür einfach gegeben sein, und davon ganz abgesehen: wenn Aristea bis jetzt kein Instrument gelernt hatte, war es ein bisschen spät, nun damit anzufangen. Was Seiana auf eine weitere Frage brachte: „Wie alt bist du?“ Was das Musikalische betraf, fand sie es in jedem Fall nicht sonderlich schade, dass Aristea ihre Frage verneint hatte. In der Casa Decima gab es genug Sklaven, die zur Unterhaltung beitragen konnten, Seiana würde es eher für Verschwendung halten, eine Sklavin ihr eigen zu nennen, der sie dann nur Aufgaben dieser Art geben konnte. Das gleiche galt für die Tätigkeiten einer Ornatrix. Natürlich war es von Vorteil, wenn die eigene Sklavin derartiges beherrschte, aber Seiana erwartete mehr. Und wenn Aristea nicht zeigte, dass sie zu mehr in der Lage war, würde sie auf Dauer – egal wem sie auf dem Papier gehörte – ein normales Leben als Haussklavin in der Casa Decima führen, aber nicht sonderlich viel mit Seiana zu tun haben. Eine Gesellschafterin jedenfalls brauchte die Decima nicht. „Ob ich dir das zutraue oder nicht, spielt keine Rolle. Wir werden sehen, ob du in diese Aufgaben hineinwachsen kannst.“ Seianas Tonfall war in keiner Weise wertend, sondern völlig neutral. Im Grunde war es tatsächlich so einfach für sie. Livianus schenkte ihr diese Sklavin – was hieß, sie selbst konnte mit ihr keinen Verlust machen, nur Gewinn. Im schlimmsten Fall erwies sich Aristea als unfähig, und sollte dieser eintreten, so würde sie eben als Haussklavin hier arbeiten. Wenn überhaupt war Livianus derjenige, der dann einen Verlust gemacht hatte – vorausgesetzt er hatte mehr gezahlt als für eine Haussklavin üblich war.


    Seianas Gesichtsausdruck änderte sich auch nicht, als Aristea nun von ihren eigenen Interessen sprach. Ein wenig oberflächlich mochten sie vielleicht anmuten, andererseits waren das auch genau die Dinge, die Elena gern tat, abgesehen vom Lesen. „Wenn du gute Arbeit leistest und zuverlässig bist, wirst du auch Gelegenheit bekommen, deinen eigenen Interessen nachzugehen.“ Was öffentliche Veranstaltungen betraf, ging sie in der Regel ohnehin nie ohne Sklavenbegleitung, und auch freie Zeit für Marktbesuche oder ähnliches würde Aristea haben – sofern sie sich gut machte. Es hatte seine Vorteile, keine normale Haussklavin zu sein, jedenfalls bei Seiana. „Was das Lesen betrifft, haben wir offenbar etwas gemeinsam. Allerdings ziehe ich es zumeist vor, selbst zu lesen – dein Können als Vorleserin werde ich nur selten beanspruchen. Du kannst aber gern deine freie Zeit nutzen, um zu lesen – in der Hausbibliothek wirst du sicher fündig.“ Fragen an ihre neue Herrin schien Aristea dagegen wenig zu haben, und keine persönlichen – wenn doch, dann stellte sie sie nicht. Seiana fand das eher positiv. Ein Mindestmaß an Interesse ihrer neuen Familie und Herrin gegenüber sollte zwar da sein, aber zu große Neugier bei Sklaven war nichts, was sie gebrauchen konnte, ebenso wenig das Überstrapazieren eines – im Moment noch nicht einmal vorhandenen – Vertrauensverhältnisses. „In den nächsten Tagen wirst du zunächst Aufgaben als Ornatrix wahrnehmen, vor allem bei mir, aber auch bei der Frau meines Onkels, wenn sie in Rom weilt und deine Hilfe benötigen sollte.“ Seiana begegnete Venusia nur selten, zu sehr nahm sie ihre Arbeit in Anspruch, aber sie wusste, dass die Duccia von Zeit zu Zeit in Rom war. „Darüber hinaus möchte ich, dass du dir in den nächsten Tagen überlegst, wie du dir die Verwaltung eines Betriebs vorstellst, und es aufschreibst. Und du wirst dir das Haus zeigen lassen und die anderen Sklaven kennen lernen, ebenso wie die Aufgaben, die sie erledigen. Ich werde Demochares, den Vilicus, informieren, damit er sich darum kümmert.“ Unabhängig davon, ob Aristea sich als Verwalterin als geeignet erweisen würde oder nicht – es konnte nicht schaden, wenn sie über alles Bescheid wusste, was die Tätigkeiten der anderen in diesem Haus anging.

  • Aristea hatte versucht in Seianas Gesicht ein Zeichen von Zufriedenheit oder Ablehnung gegenüber dem zuvor gehörten zu erkennen. Aber sie hatte nichts entdecken können, entweder war es Seianas Art oder Absicht. Sie hoffte nur das Seiana sie in Zunkunft nicht ebenso im trüben fischen lassen würde, denn im Grunde war für einen Sklaven nichts wichtiger als seinen Herren zufriedenzustellen und schlechte Stimmung bei diesem zu erahnen, ansonsten konnte man schnell das Opfer, von Wutausbrüchen, Beschimpfungen und sogar durch die Gegend geworfener Gegenstände werden, durchaus auch ungerechtfertigter Weise. Zumindest hatte sie diese Erfahrung bei ihrer früheren Herrin machen dürfen.
    Seiana machte momentan zwar nicht so einen Eindruck, aber was wusste sie schon über sie. Ja was wusste sie schon über sie? Das sie offenbar ebenfalls gerne las. Andere Vergnügungen waren ihr dagegen wohl nicht ganz so wichtig denn dazu hatte sie nichts gesagt und damit hatte es sich. Gut und sie hatte Aristea im Fall zufriedenstellender Arbeit ein paar Privilegien bzw besondere Freiheiten in Aussicht gestellt. Allerdings war Aristea weit davon entfernt, dies für eine reine Nettigkeit von Seianas Seite zu halten. Es sollte wohl eher eine besondere Motivation für sie sein, eine Art mach was ich will, dann bekommst du was du willst, so lief es doch meist. Trotzdem musste sie bei der Aussicht darauf lächeln.


    "Ich bin 23. Aber ich darf in meiner freien Zeit..." vorausgesetzt sie hatte sie irgendwann tatsächlich"wirklich die Hausbibliothek benutzen? Ohne vorher zu fragen?" Gerade bei letztem Punkt war sie sich nicht sicher, denn die Schriften dort waren schließlich wertvoll und einige Sklaven schreckten nicht davor zurück ihre Herren zu bestehlen, nicht dass sie selbst zu dieser Sorte gehört hätte.

  • Seiana registrierte das Lächeln der Sklavin, und sie erwiderte es flüchtig. Hätte sie geahnt, was Aristea durch den Kopf ging, hätte sie ihr nur beigepflichtet – natürlich war es keine reine Nettigkeit, die sie dazu brachte, ihr ein paar Freiheiten in Aussicht zu stellen. Allerdings war das etwas, worauf Aristea sich auch verlassen konnte – arbeitete sie gut, war sie loyal, würde sie diese Freiheiten auch bekommen. „Ja“, antwortete Seiana auf die Frage nach der Hausbibliothek. Die wirklich wertvollen Schriften hatten die jeweiligen Besitzer auf ihren Zimmern, und auch so würde es letztlich irgendwann auffallen, sollte Aristea versuchen zu stehlen. Und: eine Einschränkung hatte Seiana dann doch. „Sofern du in der Bibliothek liest. Wenn du eine Schrift mitnehmen möchtest in deine Unterkunft, dann gib vorher dem Sklaven Bescheid, der sich um die Bibliothek kümmert.“


    Seiana musterte Aristea einen Moment lang. Bisher machte sie einen guten ersten Eindruck – kein Wunder, immerhin war sie von Geburt an Sklavin. Es machte einfach einen Unterschied, ob sie frei geboren waren oder nicht. „Nun, sofern du keine Fragen mehr hast, würde ich sagen, dass wir vorerst fertig wären. Lass dir das Haus zeigen. In den nächsten Tagen wirst du auch noch das Zeichen der Decima erhalten.“ Ob ihre vorherige Besitzerin sie hatte zeichnen lassen oder nicht, fragte Seiana nicht – letztlich war das egal, denn behalten würde Aristea es nicht. „Nutz deinen ersten Tag hier, um dich etwas einzugewöhnen. Ab morgen erwarte ich dann, dass du dem nachkommst, was ich dir aufgetragen habe.“

  • Aristea nickte, als Seiana von den zusätzlichen Bedingungen die an die Benutzung der Bibliothek geknüpft waren sprach, sie würde sich in Zukunft daran halten.
    Aber letztlich wäre das alles allein zu schön gewesen, letztlich musste es doch noch einen Haken geben. Das Zeichen der Decima hatte Seiana gesagt. Bisher hatte Aristea den Gedanken, das so etwas möglicherweise auf sie zukommen könnte verdrängt, jetzt wurde ihr Gesicht ernst und sie senkte ein wenig den Blick, damit Seiana nicht so gut darin lesen konnte. Es zeigte sich darin nämlich nicht nur Angst vor möglichen Schmerzen sondern auch ein wenig Bitterkeit bei dem Gedanken an ihre früheren Besitzer, die ihr zwar auch ihren Stempel aufgedrückt hatten, sich aber recht mühelos von ihr getrennt hatten, obwohl sie ihr bisheriges Leben bei ihnen verbracht hatte.
    "Ja domina, das werde ich tun."antwortete Aristea auf die weiteren Anweisungen Seianas. Sie wartete noch einen einen Moment ob Seiana noch etwas hinzufügen wollte, als dies nicht geschah verließ Aristea das Zimmer ihrer Herrin.

  • Ein Sklave hatte Seiana das flache Päckchen gebracht, das für sie abgegeben worden war. Zunächst ein wenig verwundert, verriet ihr ein Blick auf den Absender, von wem das Päckchen stammte – und sofort war ihr ein wenig mulmig zumute. Was auch immer darin war, es würde auch die Reaktion ihres Bruders auf die gelöste Verlobung enthalten. Nun, diese war zwar inzwischen eine ganze Weile her, aber dennoch behagte der Gedanke daran Seiana nach wie vor nicht. Und ebenso wenig daran, was ihr Bruder wohl zu sagen hatte. Sie glaubte nicht, dass er sie tadeln würde oder ähnliches, so wie er von Caius dachte, würde er sich eher freuen… dennoch kam sie nicht um die Tatsache herum, dass sie versagt hatte, und dass sie immer noch unverheiratet war. Und darum würde auch Faustus nicht herum kommen. Am liebsten hätte sie zunächst nachgesehen, was in dem Päckchen war. Aber sie schalt sich einen Feigling und nahm zuerst die Schriftrolle zur Hand, die beigelegt war, brach das Siegel und begann zu lesen. Und spürte schon beim ersten Absatz, wie sich Erleichterung in ihr breit machte. Faustus gab nicht ihr die Schuld an dieser ganzen Misere. Und er schrieb kein Wort davon, dass er es gewusst hätte und dass sie von Anfang an auf ihn hätte hören sollen. Sie spürte, wie ihre Augen ein wenig feucht wurden, aber sie blinzelte die einzelnen Tränen fort, die sich bilden wollten, und las weiter, las den Brief zu Ende und las ihn gleich noch einmal – ohne den ersten Absatz –, bevor sie dann erst den Stoff auspackte und gebührend bewunderte, um sich schließlich hinzusetzen und eine Antwort zu schreiben.


    Nachdem sie fertig war, rief sie Demetrios zu sich und übergab ihm den fertigen Brief, mit dem Auftrag, ihn wegzubringen – und trug ihm zugleich auf, den neuen Sklaven zu ihr zu schicken, bevor er das Haus verließ. Inzwischen dürfte Xanthias Zeit genug gehabt haben, sich zu waschen und umzuziehen, und sie wollte mit ihm reden. Es dauerte nicht lange, bis es an ihrer Tür klopfte und der Grieche ihren Raum betrat, und Seiana winkte ihn zu sich und bedeutete ihm, Platz zu nehmen auf dem Korbstuhl ihr gegenüber. „Xanthias. Erzähl mir ein bisschen etwas von dir“, forderte sie ihn auf, und wartete dann erst mal ab. Dass er durchaus wortgewandt war, hatte er ja bereits bewiesen.

  • In der Tat hatte Xanthias genügend Zeit gehabt, die deutlichsten äußeren Zeichen der Strapazen der letzten Wochen halbwegs zu beseitigen, auch die Wunden zu reinigen, die die grobe Umgangsart der Sklavenhändler ihm eingebracht hatte. - Er war zwar kein Arzt, hatte sie aber so gut versorgt, dass sie sicherlich in den nächsten Wochen heilen würden. Nicht allerdings, ohne Narben zu hinterlassen - die deutlichste wohl an seiner linken Brust. Viel schlimmer jedoch waren die Wunden, die der Verlust seines bisherigen Lebens tief in seinem Innern geschlagen hatte. Sehr lange würde es sicherlich dauern, bis auch diese Wunden vernarbten - heilen würden sie wohl nie.


    Nichts jedoch von alledem ließ sich Xanthias anmerken, als er frisch und kraftvoll das Cubiculum seiner Herrin betrat und sich in dem Korbstuhl ihr gegenüber niederließ. Gewiß würde sie nun Fragen nach seiner Herkunft, seinen Talenten stellen und überlegen, wie er sich wohl am besten einsetzen ließe. Umso überraschter war Xanthias jedoch, als Seiana zu sprechen begann. - Eine offene Frage, weit genug gestellt um dem Gesprächspartner viele Richtungen zu eröffnen, in die sich der Dialog entwickeln könnte. - Ganz anders hätte Xanthias die erste Frage seiner Herrin erwartet, war das doch einfach eine freundliche Einladung zum Gespräch.


    Also schlug der Grieche schwungvoll die Beine übereinander und begann zu erzählen: "Ihr wisst bereits, dass mein Name Xanthias ist - Sohn des Ktesias und der Xanthippe. Meine Eltern waren wohlhabende Landbesitzer in der Region Phokis, nahe dem berühmten Orakel von Delphi. Mein Leben ist Apollon geweiht, meine Liebe gehört den Musen. Doch auch für die Philosophie hege ich großes Interesse, wenn auch nicht in solchem Ausmaß."


    Kurz dachte er nach. Sie hatte ihn nichts Bestimmtes gefragt, seine Antwort konnte also auch nicht falsch oder unzureichend sein. Zweifelsohne würde sie sowieso noch genauer nachfragen.


    "Aber erlaubt mir eine Frage, domina.“


    „Warum bei den Göttern habt ihr heute morgen auf dem Markt gesteigert? Wieso hat euch meine Hasstirade gegen Rom nicht abgeschreckt, mein so unsklavisches Auftreten? Die Aussichten mich zu einen demütigen, gehorsamen Sklaven machen zu können müssen euch doch äußerst gering erschienen sein?"

  • Xanthias machte einen deutlich besseren Eindruck als noch zuvor auf dem Sklavenmarkt. Seiana musterte ihn, während er durch den Raum ging und sich dann ihr gegenüber niederließ, konnte aber immer noch nicht recht entscheiden, ob der Kauf nun gut oder schlecht gewesen war. Günstig in jedem Fall, aber sollte Xanthias sich tatsächlich als sehr aufsässig erweisen, wäre er noch nicht einmal geschenkt wirklich gut gewesen. Seine ersten Worte, seine Beschreibung woher er stammte, trugen ebenso wenig bei zu einer Entscheidungsfindung, aber davon ging Seiana auch nicht aus. Wirklich zeigen würden das erst die nächsten Wochen – aber er erzählte durchaus bereitwillig und wirkte dabei ehrlich. Es gab durchaus unterschiedliche Ansichten unter Römern, wie man mit Sklaven am besten umging. Und Seiana war es zum einen lieber zu wissen, woran sie war, und Xanthias’ jetziges Verhalten gab doch wenigstens etwas Rückschluss auf seinen Charakter – zum anderen gehörten auch Sklaven im weiteren Sinn zur Familie. Seiana interessierte es durchaus, welche Geschichten die ihren hatten, zumindest die, die tatsächlich in ihrem nächsten Umfeld waren.


    Sie wartete zunächst ab, ließ ihn erzählen, und als eine kleine Pause entstand, nutzte er die Gelegenheit und fragte, ob er sie etwas fragen dürfte. Ein kurzes Nicken von ihr, und der Grieche begann erneut zu sprechen. Seiana kreuzte leicht die Finger auf Höhe ihres Kinns, die Ellbogen rechts und links auf den Armstützen aufgelehnt, und fuhr sich mit der Daumenkuppe leicht, in einer nachdenklichen Weise, über die Unterlippe. „Wer sagt, dass ich einen demütigen Sklaven will?“, stellte sie dann zunächst eine Gegenfrage, bevor sie fortfuhr, ohne ihm die Gelegenheit zur Reaktion zu geben – und ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Gehorsam ist etwas, das ein Sklave definitiv zeigen sollte. Demut dagegen… Nun, den Sklaven, die die Haushalte jeder höheren Familie hier in Rom am Laufen halten, steht sicherlich auch Demut gut zu Gesicht. Aber auf dem Sklavenmarkt hast du gezeigt, dass es Verschwendung wäre, dich einfach irgendwo im Haushalt arbeiten zu lassen.“ Seiana machte eine kleine Kunstpause. „War es Trotz oder Mut, der dich dazu gebracht hat ausgerechnet diese Epode zum Besten zu geben?“

  • Seianas Einstellung gegenüber Sklaven gefiel Xanthias. Auch in seiner Familie hatte ein äußerst lockerer Umgang mit den Sklaven geherrscht - er selbst hatte sie ohnehin stets eher als Freunde als Untergebene betrachtet. Auch lange Diskussionen mit den Sklaven hatte er genossen, in denen sie frei und ohne Rücksicht auf den Standesunterschied ihre persönliche Meinung vertreten konnten.


    Die Frage seiner Herrin wollte Xanthias ehrlich beantworten, auch wenn er dadurch in Gefahr lief, sich unbeliebt zu machen: "Es wird euch nicht gefallen das zu hören, domina, aber diese Epode des Horaz spiegelt meine innere Einstellung Rom gegenüber wider. Ich bin tief überzeugt von der geistigen und kulturellen Überlegenheit Griechenlands über Rom. Wenn überhaupt, so war es wahrscheinlich Mut, der mich bewog, so klar zu sprechen."


    Manche würden es wohl töricht nennen, als Sklave seiner neuen, römischen Herrin gegenüber so zu sprechen. Doch Xanthias war ein Mensch, der seine Überzeugungen nicht leichtfertig traf, sondern immer erst nach intensiver Beschäftigung und mit aller Bestimmtheit seines Geistes und Herzens. Wenn er sie allerdings getroffen hatte, so behielt er sie nicht für sich, und würde - wenn es das Schicksal verlangte - auch mit seinem Leben für sie einstehen. Deshalb stand es auch jetzt für ihn nicht zur Debatte, sich seiner neuen Herrin gegenüber als ein anderer Mensch auszugeben, als er tatsächlich war. Grieche mit Leib und Seele.

  • Mut also, wenn sie seinen Worten Glauben schenken konnte. Mut gefiel Seiana besser als Trotz, auch wenn Xanthias durchaus Recht damit hatte, dass ihr seine Einstellung nicht gefallen konnte. Aber während Trotz hieß, dass der Sklave wohl schlicht gegen alles sein würde, bedeutete Mut, dass er sich vielleicht würde anpassen können, genug, um ihr tatsächlich von Nutzen zu sein. Und es hieß vor allem eines: dass er ehrlich war. Wenn sie schon sonst nichts über ihn wusste, glaubte sie inzwischen zumindest doch, sich auf eines verlassen zu können: dass er ehrlich war und sein würde. Und wenn sie einem Sklaven eines nicht übel nehmen würde, dann war es Ehrlichkeit. Auch wenn das einen Sklaven möglicherweise unbrauchbar machte für ihre Zwecke, aber immerhin: viel hatte sie für ihn nicht ausgeben müssen. Einen Sklaven wie ihn nannte sie zum ersten Mal ihr eigen, einen, der so frisch in Sklaverei war, so deutlich von sich eingenommen, so klar in seinen Überzeugungen und Meinungen, und dabei so bewusst gegen Rom positioniert. Im Grunde hatte sie weder die Lust noch die Muse, sich allzu sehr mit Sklaven dieser Art auseinander zu setzen. Xanthias war also in gewisser Weise ein Experiment für sie, ein billiges jedoch, bei dem sie im Grunde nicht allzu viel verlieren konnte. Und die Diskussionen mit versprachen interessant zu werden.


    Auf seine Worte hin erlaubte sie sich ein vages Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte, während der Rest ihrer Miene ruhig blieb. Anstatt darauf einzugehen, was er gerade so klar dargelegt hatte, ihm zu sagen, dass er seine Meinung wenigstens zum Teil würde revidieren müssen – was sie durchaus fand –, sondern stellte ihm erneut eine Gegenfrage. „Wenn du so überzeugt bist von der geistigen und kulturellen Überlegenheit der Griechen gegenüber den Römern, warum ist es dann ausgerechnet ein römischer Dichter, den du zitierst?“

  • Nun, die Decima schien zumindest nicht in die für Römer so typische barbarische Wut auszubrechen, wenn man ihre Kultur als unterlegen darstellte. Das machte sie für Xanthias schon etwas sympathischer. Ganz im Gegenteil schien seine Aussage die Römerin sogar zum Lächeln gebracht zu haben. Sie dachte wohl, sich in einer überlegenen Position zu befinden. Doch diese Illusion würde Xanthias wohl zerstören müssen. Also holte er aus zu einem apologetischen Verteidigungsschlag.


    "Nun, domina, Horaz mag zwar Römer gewesen sein, doch wenn wir die Epoden betrachten, so ist er in ihnen doch nur Nachahmer des großen Ioniers Archilochos von Paros. Insofern demonstriert er selbst als bestes Beispiel wie sehr die römische Lyrik abhängt von der griechischen und ohne sie nicht existieren kann. Diese Tatsache mochte mich zum einen bewegt haben, eben dieses Stück auszuwählen, zum anderen und vor allem war es jedoch sicherlich die Aussage des Stücks an sich. Denn wenn selbst ein Anhänger eines Volkes nicht umhin kommt, dessen Mordlust auf das Heftigste zu kritisieren, so müsste das eben diesem Volke wohl zu denken geben."


    In der Tat schien diese Diskussion eine interessante Entwicklung zu nehmen, und der Grieche war bereits sehr gespannt ob und wie seine Herrin kontern würde.

  • „Rom ist zu fast allen Zeiten kriegerisch gewesen, daran besteht kein Zweifel. Ob dies nun als Mordlust zu bezeichnen ist, darüber kann man geteilter Ansicht sein. In besagter Epode beklagt Horaz jedoch hauptsächlich, dass zu viel an römischem Blut vergossen wurde.“ Seiana machte eine kurze Pause und musterte ihren neuen Sklaven, während sie zugleich überlegte, wie sie ihn am besten einsetzen könnte. Er tendierte zu Widerspruch, jedenfalls dann, wenn er anderer Ansicht war, und er schien nicht allzu viel von Römern zu halten, in jedem Fall nicht von dem Volk. Und sie ging davon aus, dass auch die Familie seiner neuen Besitzerin bei ihm auf keine allzu große Liebe stoßen würde, waren die Decimer doch eine Familie, die eine große Militärtradition pflegten. Es mochte allerdings durchaus sein, dass er in der Lage war, den nötigen Respekt vor ihr zu entwickeln, und wenn das der Fall war, wäre er ein unschätzbarer Gewinn.


    „Ich bestreite nicht, dass die römische Dichtkunst über die Jahrhunderte nicht das zu Wege gebracht hätte, was sie hat, wäre nicht der griechische Einfluss gewesen. Und nicht nur die Dichtkunst, auch in zahlreichen anderen Bereichen haben wir profitiert von dem Können und Wissen deines Volkes.“ Wieder dieses vage Lächeln, das nicht so wirklich zu verraten schien, was sie tatsächlich dachte. „Aber zeigt es nicht die wahre Überlegenheit eines Volkes, imstande zu sein, sich das Wissen anderer anzueignen und mit dem eigenen Können zu kombinieren?“ Nicht umsonst nannte Rom ein Weltreich sein eigen. So sehr die Römer ihr Geschick im Militär haben mochten, so wenig könnte dies auf Dauer dieses Reich erhalten, kämen nicht noch andere Fähigkeit hinzu. „Ich würde sagen, derjenige ist dumm, der von vornherein – ob nun aus Hochmut oder Ignoranz – ablehnt, was andere ihn lehren könnten.“

  • Seianas Entgegnung viel anders als erwartet aus. Ihre Worte ließen Xanthias nicht nur auf ein großes diplomatisches Geschick schließen, welches die Römerin zweifellos besaß, sondern vielmehr auf Klugheit, ja nahezu Weisheit, die den Griechen im Laufe ihrer Antwort unweigerlich auf ihre Seite zog, sodass er schlussendlich etwas verdutzt dasaß und nicht mehr anders konnte als ihr beizupflichten. Die Decima hatte es doch tatsächlich fertig gebracht, den sonst so wortgewandten Griechen etwas in Verlegenheit zu bringen, was Xanthias nicht nur in Erstaunen sondern vor allem in Bewunderung versetzte - ein Gefühl, das er anderen Menschen, und am wenigsten Römern, nur äußerst selten empfand.


    "Es ehrt mich zutiefst, domina, dass Ihr das Können und Wissen meines Volkes nicht nur schätzt, sondern auch vom fruchtbaren Einfluss unserer Kultur auf die Eure die richtigen Ansichten habt. Ich muss Euch außerdem beipflichten, dass das Talent eines Volkes, die Errungenschaften anderer Völker anzuerkennen, und in den eigenen Alltag zu integrieren, von wahrer Überlegenheit zeugt - schließlich sind auch wir Griechen uns unserer kulturellen Wurzeln, die zum Teil auch im Humus anderer Völker ranken, wohl bewusst." Auch wenn die meisten Griechen das nicht ohne weiteres eingestehen würden, wodurch sie sich von den Römern nicht allzusehr unterschieden, wie Xanthias leider feststellen musste. Diese römische Dame allerdings, die ihm jetzt gegenüber saß, und als deren Sklave er wohl die nächste Zeit zu verbringen gezwungen sein würde, schien zu wissen, wovon sie sprach, und ihre Worte imponierten dem jungen Griechen. Sein Los schien ihm mit einem Mal leichter zu ertragen, da seine Herrin ihm offenbar intellektuell mindestens ebenbürtig war.
    "Es gehört zu den edelsten Tugenden, seine eigene Unkenntnis einzugestehen, um von anderen zu lernen. Hochmut und Ignoranz halten in der Tat nur Narren auf, sich der Weisheit eines anderen Menschen - oder Volkes - zu beugen."


    Während er sprach, wurde er sich plötzlich seiner gewaltigen Müdigkeit bewusst, die ihn fast schon zu überwältigen drohte. Er musste das Gespräch wohl, selbst mit dem Risiko, unhöflich zu wirken, in eine andere Richtung lenken. "Entschuldigt, domina, doch es war ein sehr anstrengender Tag für mich, ich möchte Euch um die Erlaubnis bitten, mich zurück zu ziehen." Bewusst hatte der Grieche sie nicht nach etwaigen Aufgaben gefragt, schließlich würde sie ihm diese wohl ohnehin zukommen lassen, sobald sie sich über ihn ausreichend Gedanken gemacht hatte.

  • Noch während sie sprach, änderte sich der Gesichtsausdruck des Griechen, bis er schließlich – so jedenfalls ihr Eindruck – ein wenig verblüfft auszusehen schien. Das vage Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte, änderte sich jedoch nicht in seinem Ausdruck, und auch ihre Miene blieb gleich. Seine Antwort dann allerdings ließ ihr Lächeln sich ein wenig verändern. Es gefiel ihr, was er sagte. Seine Worte zeigten, dass er nicht aus Prinzip oder Trotz gegen Rom war, und das war die beste Voraussetzung – und mehr noch, er schien tatsächlich jemand zu sein, mit dem man diskutieren konnte. „Es liegt mir fern in Abrede zu stellen, was die Griechen und ihre Kultur für Rom bedeuten.“ Zum ersten Mal schenkte sie ihm ein offenes Lächeln. „Es freut mich, dass wir in dieser Hinsicht einer Meinung sind.“


    Anschließend bat er darum, gehen zu dürfen, und Seiana nickte leicht. Sie wusste nicht, wie anstrengend sein Tag tatsächlich gewesen war, aber sie konnte sich immerhin vorstellen, dass es kein leichter gewesen sein musste – so wie die letzten wohl auch, musste doch beispielsweise die Reise nach Rom erst hinter ihm liegen. „Sicherlich. Demetrios und Aristea werden dir helfen, dich hier zurecht zu finden. Sie werden dir zunächst alles zeigen, und solltest du Fragen haben, kannst du dich an sie wenden. In den nächsten Tagen werden wir darüber sprechen, was deine Aufgaben sein werden. Vorerst genügt es, wenn du einlebst, Demetrios zur Hand gehst und Haus und Familie kennen lernst.“

  • Bereits zum wiederholten Mal las Seiana inzwischen den Brief durch, den ihr ein Sklave gebracht hatte. Der Duccius wollte sie also wieder sehen. Er lud sie zum Essen ein, sie und eine Begleitung – eine Begleitung, die sie nicht hatte, nebenbei bemerkt – und lehnte zugleich eine Absage ab. Was sie in eine Bredouille brachte. Sie könnte Mattiacus fragen, der einzige ihrer Verwandten, der derzeit in Rom war, aber er schien selten Zeit zu haben, und sie zögerte, ihn wegen dieser Einladung anzusprechen. Es würde Fragen aufwerfen, mutmaßte sie, Fragen, wie sie diesen Duccier überhaupt kennen gelernt hatte. Und sie wollte nicht auf die leidige Begebenheit bei der aurelischen Hochzeit zu sprechen kommen. Seianas Finger bewegten die Schriftrolle leicht. Sie grübelte. Die Unterhaltung im Park hatte ihr ja durchaus... nun ja, in gewisser Weise Spaß gemacht. Wie verunsichert sie stellenweise gewesen war, hatte sie inzwischen teilweise verdrängt. Übrig geblieben war eine gewisse Faszination, und das Wissen, dass sie hatte nachdenken müssen. Dass es ihr nicht leicht gefallen war, Antworten zu finden. Dass es eine Herausforderung gewesen war, sich mit ihm zu unterhalten, und das hatte ihr, im Nachhinein betrachtet, ganz sicher gefallen. Gerade die weibliche Gesellschaft bot ihr nicht immer das, was sie suchte in einer Unterhaltung, und Männer tendierten häufig dazu, Frauen nicht auf dieser Ebene ernst zu nehmen. Der Duccier hingegen... nun, sie konnte nicht sagen, ob er sie tatsächlich ernst nahm, aber es ließ sich doch gut mit ihm unterhalten, und sein Brief, seine Worte, seine Einladung machten deutlich, dass es ihm ebenso gefallen hatte. Doch, um seine Wortwahl aus dem Brief zu nutzen: ihr war auch daran gelegen, die Diskussion mit ihm fortzuführen.


    Nur blieb da das Problem mit dem Begleiter. Sie war unverheiratet. Sie konnte nicht einfach so seine Einladung annehmen, wenn sie niemanden hatte, den sie mitnehmen konnte. Andererseits... Seiana zog nachdenklich die Unterlippe zwischen die Zähne. Sie war vor Jahren allein nach Ägypten gereist. Um Caius wieder zu sehen, um ihn zur Rede zu stellen, um herauszufinden, ob er geeignet wäre als Ehemann. Sie war für die ersten Wochen sogar zu ihm gezogen und hatte sich im Anschluss im selben Haus eingemietet. Sie hatte viel Zeit mit ihm verbracht, allein, obwohl sie nicht verlobt gewesen waren. Gut, Alexandria war auch völlig anders als Rom gewesen, aber das war es gewesen, was sie getan hatte. Und jetzt... nun ja, sie war über 20. Hatte eine gelöste, langjährige Verlobung hinter sich. War immer noch unverheiratet. Die Leute verrissen sich wohl ohnehin schon den Mund über sie, nicht zuletzt nach der Aktion, die Caius mit dem Brot gebracht hatte, und die in die in der Acta breit getreten worden war. Dieser Gedanke war schließlich ausschlaggebend. Gut, sie war in Rom, aber wenn die Leute eh schon redeten, dann spielte es keine Rolle – und was sie bei Caius gemacht hatte, konnte sie auch bei jedem anderen. Und: es musste ja noch nicht einmal jemand davon erfahren. Kurzentschlossen griff sie nach Schreibmaterial und setzte eine Antwort auf, schrieb gleich darauf noch einen zweiten Brief, den sie ursprünglich hatte verfassen wollen, bevor ihr das Schreiben des Ducciers gebracht worden war, und im Anschluss ließ sie Aristea und Xanthias zu sich rufen.

  • Xanthias befand sich gerade im Garten, als ihn die Nachricht erreichte, dass Seiana ihn zu sich rufen ließ. Unverzüglich und im Gewissen, dass ihm die Decima nun wohl seinen ersten Auftrag geben würde, machte er sich auf zum Cubiculum seiner Domina. Am Weg stellte er schon Überlegungen an, welcher Art der Auftrag wohl sein würde und ob seine Herrin ihn als eine Art Probe benutzte, um den neuen Sklaven zu prüfen.


    Als er bei Seianas Räumlichkeiten angekommen war, klopfte er kurz an die Tür und trat dann ein. "Ihr habt nach mir rufen lassen, Domina?"

  • Einer der Sklaven hatte Aristea bescheid gesagt, dass ihre Herrin sie sehen wollte, also hatte sie sich auf den Weg zu ihrem Cubiculum gemacht.
    Nachdem sie kurz angeklopft hatte, betrat sie das Zimmer und stellte fest, dass Xanthias ebenfalls hier war. Seiana hatte wohl nach ihnen beiden geschickt. Um welchen Auftrag es wohl gehen könnte, der ihrer beider Anwesenheit erforderte? Aristea lächelte Xanthias kurz zu, bevor sie sich ganz auf Seiana konzentrierte und darauf wartete was sie ihnen mitzuteilen hatte.

  • Es verging nicht allzu viel Zeit, bis Xanthias kam, und Seiana sah auf, als er eintrat. „Xanthias“, grüßte sie ihn, bedeutete ihm mit einer Handbewegung sich zu setzen und schloss gleich eine Frage an, da Aristea noch nicht hier war. „Wie sind deine ersten Tage hier?“ Bisher schien er niemandem im Haus negativ aufgefallen zu sein, aber Seiana wollte eine Einschätzung aus seinem Mund haben. Er – ebenso wie Aristea – war nun lange genug hier, um beide mit wichtigeren Aufgaben zu betrauen. Aristea musste vielleicht in der ein oder anderen Hinsicht noch angelernt werden, aber das war etwas, was Xanthias gut und gerne übernehmen konnte, mutmaßte Seiana. Umgekehrt hatte Aristea – als Sklavin, die nie etwas anderes gekannt hatte als dieses Leben und den damit verbundenen Gehorsam – vielleicht einen positiven Einfluss auf den Griechen.


    Nur kurze Zeit später betrat auch Aristea ihre Räume, und Seiana bemerkte, wie sie Xanthias zulächelte. Seiana grüßte auch sie und bot ihr einen Platz an, bevor sie anfing. „Ich möchte für die Acta ein Profil des Praefectus Urbi verfassen und aus diesem Anlass ein Gespräch mit ihm führen. Ihr beide werdet zur Castra Praetoria gehen, um einen Termin für mich auszumachen, sofern der Vescularius sich einverstanden erklärt. Sagt den Wachen am Tor, dass ihr im Auftrag der Auctrix kommt, ich möchte aber, dass ihr über den Grund Stillschweigen bewahrt. Für den Fall, dass sie euch dann nicht zu den Scribae des Praefectus Urbi vorlassen, gebt ihnen dieses Schreiben mit der Bitte, es zu überbringen.“ Seiana schob eine bereits versiegelte Schriftrolle nach vorn.




    Praefectus Urbi
    Potitus Vescularius Salinator
    Cohortes Urbanae
    Castra Praetoria, Roma



    Salve Praefectus Urbi,


    für die Acta Diurna ein Profil über dich und deine Arbeit zu schreiben, möchte ich gerne ein persönliches Gespräch mit dir führen. Ich denke, die Bürger würde es sehr interessieren, über einen der mächtigsten Männer Roms zu lesen.


    Es würde mich sehr freuen, wenn du meine Bitte nach einem Gespräch erfüllen würdest, und warte auf deine Antwort.


    Mögen die Götter dich behüten,


    [Blockierte Grafik: http://img442.imageshack.us/img442/8797/seianaunterschriftkj1.png]



    „Es beinhaltet das, was ich euch gerade gesagt habe. Wenn möglich, dann wartet auf Antwort, aber besteht nicht darauf, wenn ihr merkt, dass die Wachen in der Hinsicht unkooperativ sind. Ich verlasse mich darauf, dass ihr die Situation richtig einschätzt und einen guten Eindruck macht.“ Seiana lehnte sich zurück und musterte die beiden. Sie hätte auch von vornherein einen Brief schreiben können, aber das hier war eine Möglichkeit, die beiden Sklaven auf die Probe zu stellen – nicht zu verantwortungsvoll, aber auch nicht zu bedeutungslos. „Habt ihr Fragen?“

  • Xanthias trat näher heran und nahm, nach der Handbewegung seiner Herrin, auf der angebotenen Sitzmöglichkeit Platz. Seiana erkundigte sich über seine ersten Tage in der Casa und Xanthias musste lächeln. Er hatte sich von Anfang an gut in den Räumlichkeiten zurechtgefunden und kannte inzwischen auch schon alle Sklaven der Familie - zumindest beim Namen. Um sie näher kennenzulernen würde es wohl noch einige Wochen brauchen, doch im Grunde kam er mit den meisten gut aus.


    "Danke, die letzten Tage erschienen mir gleichsam dem Elysion, wo der Nektar aus der Quelle der Lethe den unsterblichen Helden auf ewig alles Vergessen iridischer Leiden ermöglicht.", gab er der Decima eine blumige Antwort, doch tatsächlich kam ihm das einfache Leben bei den Decimern im Vergleich zu den Wochen in den Händen der Piraten und Sklavenhändler nahezu paradiesisch vor.


    Eben wollte er sich nach der größeren Aufgabe erkundigen, die er bereits erwartet hatte und die sicherlich der Grund für dieses Gespräch war, hatte er doch in den letzten Tagen lediglich kleine Aufgaben im Hause bekommen, um sich etwas einzuleben, als Aristea, in Xanthias Augen gleichsam einer griechischen Göttin, voll Anmut und strahlender Schönheit, das Cubiculum betrat und ihn sogar mit einem kleinen Lächeln beschenkte, bevor sie sich ganz der Domina widmete.


    Dann lauschte der Grieche konzentriert den Erklärungen, die Seiana ihnen bezüglich des Auftrages, den sie für die beiden ersonnen hatte, gab. Als sie geendet hatte, und die beiden Sklaven musterte, überlegte Xanthias einen Moment. Es war sicherlich kein allzu verantwortungsvoller Auftrag, schließlich hätte die Decima auch einfach einen Brief schreiben können, doch sicherlich war er nicht belanglos und zumindest ein Schritt in Richtung bedeutenderer Aufgaben.


    Xanthias nickte also ernst und antwortete: "Ich für meinen Teil habe keine Fragen." Dann blickte er zu Aristea, um zu sehen, ob auch sie mit dem gemeinsamen Auftrag einverstanden war.

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