• Wann genau ihr Mund damit begonnen hatte, auf Wanderschaft zu gehen, konnte Axilla noch nicht einmal sagen. Genausowenig wie bei ihren Händen. Ja, überhaupt, wieviel Zeit hier verging, dafür hatte sie jedes Gefühl verloren. Irgendwann fühlte sie Archias Hand in ihrem Nacken, wie er sie sanft von sich zog und sie mit vor Lust schwarzen Augen ansah und etwas von einem anderen Ort und ihrer Schönheit nuschelte. Jetzt das Gehirn wieder soweit zu aktivieren, den Worten einen Sinn zu verleihen und eine Entscheidung zu treffen, war gar nicht so einfach. Zumal nicht, da sie nur sehr deutlich fühlte, was er denn damit meinte, und das durchaus auch ihrem Empfinden im Moment entsprach.


    Axilla schaute einen Augenblick ins Leere, in dem nur ihr erregter Atem zwischen ihnen beiden hing, und nickte dann schließlich. Sie stand auf, zog ihn aber gleich mit sich und küsste ihn erstmal noch einmal heiß, verlangend und sich an ihn schmiegend. Der Weg in ihr Cubiculum erschien ihr mit einem Mal unerträglich lang.

  • Im Atrium der Domus Iunia wartete Merula auf die ihm soeben angekündigten Besucher. Schon seit Axillas Abschied aus Alexandria, spätestens aber jetzt nach Urgulanias Tod, fühlte er sich nicht mehr richtig wohl in dem Anwesen seines Verwandten Silanus. Er überlegte ernsthaft, in ein anderes Domizil außerhalb des Basileia umzusiedeln. Doch solange der Mord an seiner älteren Verwandten nicht aufgeklärt war, würde er diese Gedanken hinten anstellen.

  • Palaemon trat auf den jungen Mann zu, der von ihrem Besuch offenkundig unterrichtet worden war. Zwei seiner Männer hatten den Optio in das Anwesen begleitet, blieben nun aber ein paar Schritte entfernt stehen und verharrten dort ausdruckslos.
    Der Septimier sprach den Iuner sogleich an, er wollte keine Zeit für Förmlichkeiten verlieren: "Iunius Merula, nehme ich an", wiederholte er den Namen, den ihnen der Ianitor des Hauses genannt hatte. "Ich darf dir - auch in Vertretung der beiden römischen Legionen - mein Bedauern über den unglückseligen Tod der hoch angesehenen Urgulania mitteilen."
    Er machte eine kurze Pause, um dem eben Gesagten Ausdruck zu verleihen, und fuhr dann mit dem eigentlichen Grund seines Besuches fort: "Wir wurden beauftragt, Erkundigungen einzuholen, um die Urheber der feigen Tat ausfindig zu machen. Stehst du für einige Fragen zur Verfügung?"
    Die letze Frage war eigentlich keine. Selbstverständlich musste der junge Römer Zeit für die Soldaten einräumen.

  • "So ist es! Lucius Iunius Merula, Sohn des Appius Iunius Decula. Und mit wem habe ich die Ehre?" Ob Soldat oder nicht. Den Namen des Gegenübers wollte er schon erfahren.
    Unmittelbar nach Bekanntwerden des Mordes hatte Merula noch in erster Linie mit den damit verbundenen bürokratischen Unannehmlichkeiten gehadert. Dies war nun mit einigem zeitlichem Abstand einem Gefühl echten Zorns gewichen. Man hatte eine seiner Cousinen ermordet, immerhin ein Mitglied der altehrwürdigen Iunischen Gens. Eine Tat, die nicht ungesühnt bleiben durfte. Der Stationarius war demnach selbstverständlich bereit, seinen Teil beizutragen.
    "Was wollt ihr wissen? Ich bin noch nicht lange in Alexandria und kannte Urgulania nicht wirklich gut, aber wenn ich etwas zur Aufklärung beitragen kann, werde ich dies gerne tun." Er bedeutete dem Optio mit einer Handbewegung an, Platz zu nehmen. Der Mann schien es jedoch eilig zu haben, also verzichtete Merula zumindest vorerst darauf, den Soldaten irgendetwas anzubieten.

  • "Palaemon. Septimius Palaemon, Optio in der XXII. Legio", erwiderte der mittlerweile leicht ergraute Soldat, ehe er das Angebot des Gastgebers wahrnahm und sich niederließ. "Nun, ich möchte alles wissen, was du mir sagen kannst. Hatte sie Kinder, einen Ehemann, Liebhaber? In welcher Beziehung standest du zu ihr? In welche Geschäfte war sie verwickelt? Die Namen ihrer wichtigsten Geschäftspartner. Wie sah ihre Vermögenslage aus, wer ist ihr Erbe? Gab es Streitereien, Drohungen, Auffälligkeiten? Hat sie Andeutungen gemacht bezüglich ihren Beziehungen zu den lokalen Eliten?"
    Die Hinweise, die am Tatort gefunden worden waren und auf die römischen Legionen hinwiesen, sprach er nicht an. Vermutlich hatte dieser Merula davon schon gehört und wenn er es zum Thema machen wollte, würde es der Iunier noch früh genug tun.

  • Trotz aller Ernsthaftigkeit spielte ein zerstreutes, abwesend wirkendes Lächeln um seine Mundwinkel, als Merula den Namen des Soldaten vernahm. Solange dieser In Alexandria weilte, drohte der Stadt wohl zumindest vom Meer aus keine Gefahr.
    Über die Aufdringlichkeit der Fragen konnte der Iunier hingegen nicht lächeln:
    "Deine Fragen sind sehr zahlreich, meinst du nicht." Er überlegte einen Moment, womit er anfangen sollte. Soviel gab es ja nicht, was er zu erzählen hatte. "Urgulania war nicht verheiratet; hatte, so weit ich weiß, auch keine Kinder. Unsere Verwandtschaftsbeziehung? Ich glaube, mein Urgoßvater war ein Bruder ihres Vaters. Wie gesagt: Ich kannte sie kaum.
    Ob sie Feinde hatte? Vermutlich. Jeder, der im öffentlichen Leben steht, schafft sich früher oder später solche. Meine Cousine, die kürzlich abgereiste Iunia Axilla, durfte jedenfalls nur mit Begleitschutz außer Haus."
    Merula hatte das nicht verwundert. Eine junge, römische Frau sollte seiner Meinung nach grundsätzlich nicht alleine durch die Straßen einer Großstadt ziehen.
    "Urgulania besaß eine Schneiderei und ein Lupanar in der Stadt. Die Namen ihrer Verwalter kenne ich nicht, kann sie aber für dich ausfindig machen. Wenn sie kein anders lautendes Testament verfasst hat, erbt wohl Iunius Silanus. Ich glaube, er ist Präfekt irgendeiner Ala in Germanien."
    Diesem Silanus, dem unter anderem auch dieses Haus gehörte, war Merula noch nie begegnet.
    "Die führenden Bürger Alexandrias scheinen jedenfalls von ihrer Arbeit sehr angetan gewesen zu sein."

  • Ein Bordell. Betrieben von der heldenhaften Iunia. Der Optio horchte auf.
    "Ein nicht ungefährliches Gewerbe, in dem man schnell mit den Interessen gefährlicher Männer ins Gehege kommen kann." Innerlich jubilierte der Septimier beinahe. Unabhängig davon, ob die Täter wirklich aus diesem Milieu stammten, ließe sich aus dieser Information sicherlich etwas machen.
    "Die Namen ihrer Vewalter wirst du mir besorgen."
    Palaemon überlegte, wie er mit der Befragung forfahren sollte, ohne den Iunier zu vergraulen und fragte dann in versöhnlichem Tonfall nach: "Schuldete sie jemandem vielleicht eine größere Geldsumme oder einen größeren Gefallen. Versteh mich nicht falsch. Ich zweifle nicht an der Aufrichtigkeit der Verstorbenen, doch wie sie von den führenden Köpfen der Polis in den Himmel gelobt wird, daran stimmt etwas nicht."

  • "Die Namen bekommst du. Aber das Gespräch zwischen uns beiden will ich nun beenden", sagte Merula, während er sich erhob, die Bedeutung seiner Worte unterstreichend. Mehr gab es auch nicht zu sagen. Mehr wusste er ja gar nicht.
    Als der Optio das Thema Geld ansprach, fiel ihm dann aber doch noch etwas ein: "Ich habe Urgulanias Sklaven ein wenig gelöchert. Nach einigem Hin und Her hat einer von ihnen von einem kleinen Vermögen berichtet, dass er in ihrem Auftrag an einen Perser weitergeleitet haben will. Dessen Haus steht in der Nähe der Stadtmauern, unweit der via argeus. Vielleicht hilft dir das weiter." Merula bezweifelte es. Anonyme Geldtransfers waren nunmal keine Seltenheit, wenn auch nicht unbedingt in dieser Höhe.

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