• Merulas Befürchtung, sie würden sich als praktisch Fremde nicht viel zu sagen haben, erwies sich als unbegründet. Tatsächlich erweckte Axilla vielmehr den Anschein, als habe sie durchaus Interesse an dem, was ihr ein paar Jahre älterer Verwandte so machte. Mehrmals versuchte er vergeblich, zu einer Erwiderung auf eine ihrer zahlreichen Fragen anzusetzen, doch erst ihre eigene Verlegenheit ließ sie in ihrem Redefluss innehalten.
    "Ja, etwas zu trinken wäre nicht schlecht. An dieses Klima muss man sich erst gewöhnen."
    Er musste sich kurz sammeln, bevor er den Versuch machte, auf ihre Fragen schlüssige Antworten zu geben:
    "Also, der Reihe nach: Ich bin vor wenigen Tagen nach einer unkomplizierten Überfahrt in Alexandria angekommen. Ist wohl reiner Zufall, dass gerade hier ein Posten als Stationarius frei wurde. Aelius Archias? Also gestern war er zumindest noch in der Stadt. Er ist jetzt Praefectus des CP in Aegypten, sozusagen mein Vorgesetzter."


    Der Iunier musste wiederum einen Moment innehalten, um sich ins Gedächtnis zu rufen, was seine Cousine von ihm noch hatte wissen wollen.
    "Was Misenum und meine Tätigkeit im Cultus Deorum angeht. Das habe ich hinter mir gelassen. Auf die Dauer wurde mir das Leben fernab der großen Städte zu langweilig. Ich hoffe mal, hier in Alexandria wird mehr geboten?" fragte Merula, obwohl er diesbezüglich allein wegen der Anwesenheit zahlreicher Bildungseinrichtungen keine Sorgen verspürte.
    "Immerhin: Meine Pferde und den Großteil meiner bescheidenen Bibliothek habe ich fürs erste in Misenum zurücklassen müssen. Das sind wohl die einzigen Dinge, die ich vermissen werde.


    Und warum ich mich nicht gleich gemeldet habe? Na ja, es ging alles recht schnell und unseren Vetter Silanus, der ja laut deinem Brief der Besitzer dieses Hauses ist, kenne ich gar nicht persönlich. Meinst du, er und Urgulania wären damit einverstanden, wenn ich mich hier bei euch in der Domus über einen längeren Zeitraum hinweg aufhalten würde?"

  • Ein kleiner Blick genügte, und schon setzte sich einer der Sklaven, die wie Schatten am Rand des Raumes standen, in Bewegung, um das gewünschte zu bringen.
    Gebannt lauschte Axilla ihrem Vetter. Pferde hatte er also, und eine Bibliothek! Nun, Bücher hatten sie hier auch ein paar, aber sie würde das nicht unbedingt eine Bibliothek nennen. Vor allem nicht, nachdem sie so viele Stunden in der des Museions verbracht hatte, um zu lesen und zu lernen. Wobei mit der größten Büchersammlung der bekannten Welt wohl sowieso nichts mithalten konnte, was Vielfalt und Größe anging.
    “Oh, ja, wir haben hier einiges. Erst zu Neujahr waren hier Spiele. Die Griechen sind ja ganz verrückt bei den athletischen Dingen. Oh, und einen Wettbewerb für Dichter und Musiker gab es da auch.
    Sonst... ich weiß ja nicht, was dich so interessiert? Man kann sich schon vieles anschauen, und vieles machen. Jetzt ist es ja auch wieder ruhig in der Stadt, so dass alles wieder so friedlich ist wie vor dieser unsäglichen Geschichte in Rhakotis.“

    Dass ihr Vetter von dieser Sache womöglich gar nichts gehört haben mochte, bedachte Axilla beim Reden gar nicht. Für sie war das schon wieder ein alter Hut und damit eher weniger interessant, außerdem wusste in Alexandria das jeder. Also dachte sie nicht weiter darüber nach und plapperte fröhlich weiter.
    “Oh, Silanus ist nicht hier. Er ist Präfekt der Ala in Germania. Hatte ich dir das nicht geschrieben?“ Axilla überlegte. Sie rieb mit ihrem Zeigefinger in Denkerpose einmal unter ihrem Kinn entlang und schien wirklich angestrengt darüber nachzudenken, was sie Merula denn vor mehreren Monaten geschrieben hatte. “Hmmm, ich weiß nicht mehr. Ich hab so viele Briefe in letzter Zeit geschrieben. Auch an unseren neuen Verwandten, Brutus. Den, den Silanus aufgenommen hat.“
    Sie schaute ihn kurz an, ein Anzeichen suchend, ob er davon schon wusste oder ob sie ihm jetzt eben etwas neues erzählt hatte. Manchmal drangen Neuigkeiten nicht zu allen vor, wobei Axilla eigentlich das Gefühl hatte, dass sie sowieso IMMER die letzte war, die etwas erfuhr.
    “Aber Urgulania wird sich ganz sicher freuen. Und natürlich bleibst du hier! Es kann ja nicht angehen, dass mein engster, lebender Verwandter im Gasthaus schlafen muss. Nein, ich lass dir gleich ein Zimmer einrichten!“

  • "Unter all den großartigen Tempeln und Bildungseinrichtungen werde ich mich sicher wohlfühlen. Einem Römer ist doch deren Zugang hoffentlich nicht untersagt, oder? Es war nämlich im Zusammenhang mit Alexandria vor einiger Zeit von einigen Tumulten die Rede", entgegnete er, ohne Genaueres über die 'unsägliche Geschichte in Rhakotis' zu wissen.


    Merula meinte sich zudem erinnern zu können, dass sie in ihrem Brief Silanus neue Tätigkeit erwähnt hatte. Ganz sicher war er sich jedoch auch nicht. Für Angelegenheiten, die sich um miltärische Vorgänge und die Vergabe von Posten und Ämtern drehten, hatte der neue Stationarius noch nie ernsthaftes Interesse aufbringen können. Von dem neuen Familienmitglied - da war er sich jedoch sicher - hörte er nun zum ersten Mal.
    "Brutus?! Diesen Namen hat lange kein Iunier mehr getragen. Willst du damit sagen, dass Silanus diesen Mann adoptiert hat? Ist er eigentlich verheiratet; Silanus meine ich?" Ein Hauch von Missfallen schwang in seiner Stimme mit. Der sich aber wiederum schnell verflüchtigte, als Axilla auf die Unterkunft zu sprechen kam:
    "Das ist wirklich sehr nett von dir. Ich werde ein umgänglicher und pflegeleichter Gast sein. Das verspreche ich euch."


    Nachdem er kurz über ihre letzte Bemerkung bezüglich ihrer Verwandtheit hatte nachdenken müssen, entgegnete er ein wenig betrübt und mehr an sich selbst gerichtet: "Die Lebenserwartung von uns Iuniern ist wirklich nicht besonders hoch. Die Götter werden sich doch wohl nicht von uns abgewendet haben?!"

  • Auf seine erste Frage schüttelte Axilla lächelnd den Kopf.
    “Achwas, die Griechen freuen sich sogar, wenn man sich dafür interessiert. Manchmal glaube ich, sie denken, wir würden den ganzen lieben langen Tag nur Krieg führen und hätten keinen Sinn für Kultur. Da sind sie schon ein bisschen komisch, aber wenn man sie erstmal kennengelernt hat, sind sie eigentlich sehr nett.“
    Axilla würde nie ein schlechtes Wort über Nikolaos verlieren. Am Anfang fand sie ihn mit seiner Schminke und seiner Art etwas übertrieben, aber mittlerweile mochte sie ihn wirklich sehr gern.
    “Du solltest dir beim Gymnasiarchos – da arbeite ich übrigens! Hab ich dir das geschrieben, dass ich da Scriba bin? Der Gymnasiarchos ist eines der wichtigsten Ämter der Stadt und... ich schweife ab. Also, du solltest dir dort auch die Proxenie eintragen lassen, wenn du länger bleiben willst.
    Wusstest du, dass Alexandria gar nicht zum Imperium dazugehört? Also, nicht so richtig zumindest. Die ganze Stadt, alles hier, gehört einzig und allein dem Kaiser. Und deshalb darf sich die Stadt auch selbst verwalten, und eigene Gesetze machen. Die römischen Gesetze gelten hier zwar natürlich auch, aber für Nicht-Römer gibt es auch andere. Das ist lustig, oder? Und nach einem von diesen Gesetzen kann man sich quasi als Bürger von Alexandria einschreiben lassen, wenn man römischer Bürger ist, damit man hier die gleichen Rechte hat wie im Imperium. Ziemlich verdrehte Sache, aber... hier ist vieles etwas verdreht.“

    Axilla strahlte ihren Cousin einfach nur glücklich an. Es wäre so schön, wenn er etwas bleiben würde. Auch wenn sie bald nach Rom fahren würde, aber das war ja nur, um die Einladung von Senator Decimus Livianus anzunehmen, und dann würde sie ja wieder zurückkommen. Wäre ja ärgerlich, wenn er kam, und sie dann ging, und er wieder ging, wenn sie zurückkäme.
    “Und soweit ich weiß, hat er ihn nicht adoptiert, sondern einfach nur so in die Gens aufgenommen. Er hatte wohl Bürgerrecht bekommen und bekam das angeboten von Silanus.
    Ich weiß auch nicht... ich hätte mir auch einen anderen Namen genommen, wenn ich mir einen hätte aussuchen können. Auch wenn der erste Iunius Brutus Recht daran getan hat, den etruskerkönig zu erschlagen, als der zweite dasselbe bei Iulius Caesar gemacht hat, war das wohl nicht ganz so... edel... Ich weiß nicht, ob ich dieses Erbe durch den Namen noch unterstreichen müsste...“

    Axilla war da auch nicht wirklich glücklich darüber. Aber nun hieß ihr neuer Verwandter halt so, das ließ sich wohl ohnehin nicht mehr ändern.


    Bei seinen letzten Worten allerdings schmunzelte Axilla, auch wenn es eigentlich eine ernste Angelegenheit wäre.
    “Du bist wohl doch noch Priester, was?“, meinte sie neckend.
    Sie selbst glaubte zwar durchaus an die Existenz der Götter, allerdings glaubte sie nicht, dass diese irgendwas einmal für einen Menschen taten, egal, wie sehr jener darum bitten mochte. Folglich konnten sie sich auch nicht von jemandem wirklich abwenden.
    Und zum anderen wollte sie zu dem Thema Tod auch nicht wirklich etwas sagen. Das war ein Thema, das ihr Gemüt meistens doch mehr bedrückte, als sie zugeben wollte, und daher blieb sie lieber scherzhaft fröhlich.

  • Auch wenn Merula um die Bedeutung eines Gymnasions in einer griechischen Polis wusste, fiel es ihm doch schwer, bei einem Amt, das die Bezeichnung Gymnasiarchos trug, an eine besonders einflussreiche Position zu denken. Es bedurfte wohl doch noch einiges an Eingewöhnungszeit, bis er die Besonderheiten alexandrinischer Gebräuche und Rechtsordnungen, wie sie ihm von Axilla soeben geschildert wurden, verstehen würde.
    Seine Cousine hatte sich dem äußeren Anschein nach bestens mit den lokalen Gepflogenheiten arrangiert, was in Merula die Zuversicht weckte, es ihr gleichzutun. "Es scheint dir hier wirklich zu gefallen", quittierte er ihre fröhliche, einnehmende Art schmunzelnd. "Was ist mit der römischen Bevölkerungsschicht hier? Pflegt ihr auch Umgang mit ihr?" Zwar war den Mitgliedern senatorischer Familien der aufenthalt in Ägypten untersagt, aber Römer traf man nach allgemeiner Erfahrung überall im Reiche in großer Zahl.


    Ihr leicht spöttisches Schmunzeln entging ihm nicht: "Mach dich nur lustig! Aber wenn du erst einmal mein hohes Alter erreicht haben wirst, ..." entgegnete der 23-jährige, ohne den Satz zu Ende zu führen.
    "Nein, im Ernst: Ich teile mit so manchem den gesunden, leicht distanzierten Umgang mit der Götterwelt. Doch es schadt sicher nicht, sich auch mit der hiesigen ein wenig zu beschäftigen. Ich denke, ich werde mich in den kommenden Tagen diesbezüglich ein wenig in der Stadt umsehen." Tempelbauten hatten immer schon sein Interesse geweckt. Vermutlich der Hauptgrund, der ihn vor einigen Jahren in den Dienst des CD getrieben hatte.

  • Ob es Axilla hier gefiel oder nicht, darüber hatte sie noch nie so wirklich nachgedacht. Aber jetzt, wo Merula es erwähnte, stockte sie kurz und überlegte, ob er vielleicht wirklich recht hatte. Gefiel es ihr hier?
    “Manchmal, ja“ meinte sie schließlich fast ungewohnt sachlich, ohne es genauer auszuführen. Sie hatte sich an das Leben hier gewöhnt, an das Bunte, Laute, an die Vielfalt und Leichtigkeit des Lebens, die hier nur zu gerne zur Schau gestellt wurde. Es war ein guter Ort, wenn man vergessen wollte und sich in der Vielfalt der Welt verlieren. Aber dieses Gefühl, zuhause zu sein, dass sie aus ihrer Kindheit kannte, das hatte sie nicht.
    Als er dann von der römischen Bevölkerungsschicht anfing, war schließlich der Schalk gänzlich aus Axillas Augen erst einmal verschwunden. Das war nicht unbedingt ein leichtes Thema, und bestimmt auch nicht so, wie er es sich sicher wünschen würde.
    “Also, das mit der römischen Bevölkerung hier ist... schwierig.
    … Setzen wir uns doch“

    Axilla deutete auf die bequeme Sitzgruppe die hier im Tablinum stand und zu der nun auch einer der Sklaven den gewünschten Saft mit zwei kunstvollen Gläsern brachte. Axilla setzte sich in einen der bequem gepolsterten Sessel und kaute etwas nervös auf der Unterlippe herum, während sie die richtigen Worte suchte.
    “Also, es ist so... hier gibt es ja recht wenige Römer. Die meisten sind Soldaten bei der Legion in Nikopolis. So richtig römische Familien gibt es eher wenige.
    Also, ich versteh mich recht gut mit Aelius Archias und hab auch seine Verlobte kennengelernt, Decima... verdammt, mein Namensgedächtnis... Seiana oder Serrana oder so ähnlich.
    Aber mit dem Präfekten der Legion, Terentius Cyprianus haben wir... naja, keinen so guten Stand. Urgulania ist ja in der Stadtverwaltung, und der Terentier meint, die müsse sich der Legion ganz unterwerfen, wegen dem römischen Imperium und der Überlegenheit der römischen Sitten. Aber... naja, die Griechen hier sind... anders. Also, sie sind sehr stolz auf ihre Unabhängigkeit und ihre Kultur, und... also, es gab deswegen Streit und... einige Unruhen wegen ein paar Manövern...
    Auf jeden Fall ging es soweit, dass Terentius Cyprianus sich dazu hat hinreißen lassen, der Stadtverwaltung zu drohen, dass er jeden ans Kreuz nageln würde, wenn es zu einem Aufstand käme, oder so ähnlich. Urgulania hat es mir nicht ganz genau erzählt, ich glaube, sie wollte mich da nicht zu sehr beunruhigen...“

    Axilla kam beim Reden immer mehr ins Stocken und schaute mehr und mehr in der Gegend herum. Es war ihr etwas unangenehm, das alles so zu berichten, vor allem, da sie selbst es ja nur aus zweiter Hand hatte und weder mit dem Terentier gesprochen hatte, noch den Brief gesehen hatte. Ihre Abneigung gegen den Präfekten beruhte eher auf der Begegnung auf einem Gartenfest, wo er sie mit einem Pferd, das zugeritten werden müsste, verglichen hatte.
    “Auf jeden Fall glaubt Urgulania, dass der Präfekt nicht davor zurückschrecken würde, auch anderen Iuniern etwas anzutun, um sie zu treffen. Und tja, seitdem darf ich nur noch in Begleitung in die Stadt.“
    Ein Umstand, der Axilla doch langsam aber sicher ziemlich nervte. Früher war sie viel allein unterwegs gewesen, war über den Markt gebummelt oder hatte sich die Sehenswürdigkeiten angeschaut. Jetzt durfte sie noch nicht einmal ohne Eskorte zur Arbeit, was sie doch sehr ärgerte.


    “Und mit dem Praefectus Aegypti ist das auch so eine Sache... seine Frau mag uns nicht besonders. Also, ihr Mann schaut wohl gerne mal einer hübschen Frau hinterher, und... kanntest du Varilla? Also, sie ist ja abgereist, bevor ich angekommen bin, aber sie war wohl sehr hübsch und die beiden haben sich wohl einen Augenblick länger angeschaut, als es Germanica Aelia gepasst hat... und deshalb haben wir da nun auch nicht so viel Kontakt... Und sonst gibt es ja fast nur Soldaten hier.“

  • Nach dem zu urteilen, was Axilla so über das Geschehen in der Stadt erzählte, musste man hier sehr vorsichtig sein mit dem, was man in Alexandria tat oder sagte. Allzu leicht schien man in die Fallstricke lokaler politischer Streitereien hineinzugeraten.
    "Hört sich kompliziert an." bekundete Merula seine Ansicht zu dem Thema und nippte kurz an seinem Glas. "Aber als einfacher Stationarius habe ich wohl das Glück, mit solch unschönen Angelegenheiten nur in geringem Maße konfrontiert zu werden."
    Sollte er doch einmal mit den genannten Leuten und Problemen zu tun haben, würde er diese einfach auf seinen Vorgesetzten Archias verweisen.
    "Varilia! Du meinst die Tochter von Gracchus und Tertia?! Ja, sie hat früher schon so manchem Mann die Sinne vernebelt." Er erinnerte sich an die lebensfrohe Verwandte, die Nachricht von ihrem Tod hatte ihn sehr betroffen gemacht.
    Etwas abrupt wechselte er dann das Thema: "Wenn ich dich richtig verstanden habe, bist du selbst auch sehr an der Literatur interessiert. Würdest du mir diesbezüglich einen kleinen Gefallen tun? Es würde auch nur wenig deiner sicherlich knapp bemessenen Freizeit beanspruchen."


    Sim-Off:

    Wenn Axilla nach Rom reisen will, lass dich fei von mir nicht aufhalten! ;)

  • Axilla dachte kurz darüber nach, ob es denn wirklich so kompliziert war. Für sie war das alles ganz einfach und einleuchtend, aber sie hatte ja auch miterlebt, wie diese ganzen Konstellationen gewachsen waren. Außerdem verursachte sie selbst so viel Chaos, dass sie sich im größten Durcheinander wohl ganz wohl fühlte. Und hier in Ägypten musste man sich an ein bisschen Durcheinander trotz des gemächlichen Lebens wohl gewöhnen. Manchmal gefiel Axilla die Vorstellung, das Leben hier verlief in kreisförmigen Bewegungen, während es im Rest des Imperiums doch sehr geradlinig verlief.
    Naja, aber sie hatte eigentlich nicht wirklich die Muse für so philosophische Gedanken, außerdem lenkte Merula sie auch gleich wieder ab, indem er nach Varilia fragte. Axilla versuchte ihre Unwissenheit über die genauen Verwandschaftsverhältnisse hinter einem großen Schluck aus ihrem Becher zu verstecken und nickte einfach ein wenig achselzuckend. Sie hatte keinen Schimmer, von wem Varilia genau abstammte, sie wusste nur, dass die aus einer anderen Linie stammte und mit ihr selbst nur die Ururgroßeltern gemein hatte.


    “Was brauchst du denn?“ fragte Axilla neugierig, als er sie um einen Gefallen bat. Sie konnte sich allerdings nichts vorstellen, was sie für ihn auf literarischer Ebene tun könnte. Briefe schreiben konnte er ja selber, und seit ihrem Gedicht für Aelius Archias hatte sie sich auch an sowas nicht mehr versucht. Aber vielleicht wollte er sich ja nur ein Buch leihen? Axilla war auf jedenfall neugierig und schaute ihren Cousin offenherzig an.


    Sim-Off:

    Keine Sorge, meine Mitfahrgelegenheit ist auch noch nicht so weit, um nach Rom zu gehen.

  • Scheinbar hatte er ihr Interesse erweckt. Seine Befürchtung, sich ihrem womöglich negativ ausfallenden Urteil auszusetzen, schwand.
    "Es ist nämlich so", begann Merula umständlich zu erklären.
    "Ich übe mich seit einiger Zeit in meiner Freizeit in einer aktiven Rolle als Geschichtsschreiber. In erster Linie natürlich für mich selbst, es macht mir einfach Spaß, jedoch: Ein wenig Rückmeldung von außen wäre für meine weitere Arbeit förderlich."
    Er kramte die Schriftrollen hervor, die er bis zu diesem Zeitpunkt verborgen gehalten hatte, und hielt sie Axilla hin.
    "Würdest du sie lesen und mir deine Einschätzung übermitteln?"
    Der Großteil seiner bisherigen Freunde und Bekannten konnten kein Interesse für derartige Tätigkeiten aufbringen, weswegen er es nun also bei seiner Cousine versuchte.

  • Instinktiv nahm Axilla die Schriftrollen erstmal an, als Merula sie ihr überreichte. Allerdings schaute sie dann doch ein wenig ratlos darüber. Auch wenn Axilla viel las und auch einiges wusste, war sie doch nicht in allen Dingen so firm, als dass sie wirklich über alles in der Geschichte Bescheid wusste. Im Großen und Ganzen wies ihr Namens- und Zahlengedächtnis herrlich große Lücken auf, sobald es um Politik ging, schlichtweg, weil sie das eher langweilig fand. Und so schaute sie jetzt ein wenig verloren auf die Schriftrollen und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.
    “Ähm... meinst,, ich bin dafür geeignet? Sollte sich das nicht lieber ein Gelehrter oder so anschauen? Ich meine... wovon schreibst du da eigentlich?“
    Neugierig öffnete sie die erste Rolle und überflog ein paar Zeilen. Dass sie nicht wirklich Ahnung hatte, wovon sie da las, konnte man ihr wohl relativ unschwer am fragenden Gesichtsausdruck ablesen.
    “Ähm, ich könnte höchstens was zum Stil sagen, aber... also, ob das alles richtig ist, was du da schreibst, das weiß ich nicht.“ Und so groß war ihre Freizeit nun auch wieder nicht, als dass sie das nachrecherchieren wollte. Sie mochte zwar die Bibliothek, aber eher die Ecke, wo die Schriftrollen der Dichter und Philosophen aufbewahrt wurden.



    Sim-Off:

    Entschuldige die lange Wartezeit. Motivationslöcher sind manchmal einfach überwältigend.

  • Merula, der es ganz und gar nicht beabsichtigt hatte, Axilla unter Druck zu setzen, lächelte entschuldigend. "Nein, so meinte ich das auch nicht. Aber vermutlich hast du recht; ich sollte jemanden anderen damit konfrontieren. Vielleicht jemanden, den ich nicht so gut leiden kann."
    Er leerte sein Glas mit einem großen Schluck und machte Anstalten, aufzubrechen:
    "So, ich muss jetzt leider zu meinem Arbeitsplatz zurück. Nicht, dass die dort noch einen schlechten Eindruck von mir erhalten. Vielen Dank nochmals für die freundliche Aufnahme von dir." Aus dem geplanten kurzen Antrittsbesuch bei seinen Verwandten war ein längerer Aufenthalt geworden, was die Eile erklärte, von der der Iunier auf einmal ergriffen zu sein schien.


    Sim-Off:

    Hab auch gerade wenig Zeit (und noch weniger Lust) zu schreiben.

  • Nach meiner Ankunft nahm ich im Tablinum Platz, um die von mir geforderten Haushaltsbücher der Domus Iunia Alexandrina zu überprüfen. Während ich auf die Bücher wartete, fertigte ich eine Liste an, welche meiner Waren zu verkaufen seien. Damit konnte man dann die passenden Händler ansprechen und zur Begutachtung hierher einladen. Als der Maiordomus mit den Büchern eintraf, drückte ich ihm die Wachstafel mit der Verkaufsliste in die Hände. Sie umfasste fast alle unverarbeiteten Seidenballen. Lediglich ein Ballen, aus dem ich Vorhänge fertigen lassen wollte, stand nicht zum Verkauf. Auch die Gewürze sollten - bis auf einen geringen Eigenbedarf - verkauft werden. Die Diamanten und Edelsteine sollten vollständig verkauft werden. Nicht zum Verkauf hingegen waren sämtliche Kleidungsstücke aus Seide. Und meine Bücher und Aufzeichnungen waren selbstverständlich ebenfalls nicht zu verkaufen. Die Keramikwaren wollte ich mit nach Rom nehmen, so dass diese gleichermaßen nicht zu veräußern waren.


    Nachdem der Maiordomus sich mit der Verkaufsliste auf den Weg machte, ergriff ich die Bücher mit den Ausgaben. Ich ging Position für Position durch, während ich mir auf einer Wachstafel Notizen in serischer Sprache machte. Dadurch waren meine Gedanken für die Sklaven nicht zu erfassen. Ich wollte ja nicht, dass sie sich vorbereiten konnten, wenn ich fragwürdige Einträge finden würde. Die meisten Einträge waren Nahrungsmittel, dazu hin und wieder Kleidung und Aufträge für Handwerker. Man konnte erkennen, dass hier schon länger keine Familienmitglieder der Gens Iunia mehr hier gewesen waren. Tatsächlich war ich bei meinem Weggang vom Museion vor Jahren wohl der letzte iunische Bewohner dieser Domus gewesen. Das war zu einem gewissen Grad traurig, doch so war eben das Leben. Schließlich fand ich im letzten, erst vor kurzem angefangenen Buch, etwas. Ich machte mir eine Notiz und würde den Maiordomus später darauf ansprechen.


    Nachdem ich die Ausgabenbücher geprüft hatte, rief ich einen Sklaven, um ihm aufzutragen, den von mir mitgebrachten Tee aus Serica aufzugießen und mir einen Becher zu bringen. Bis der Sklave erschien, gönnte ich mir eine Pause. Ich betrachtete, wie die dünnen Vorhänge zum Atrium im Wind des Meeres wehten, was eine angenehme Kühle in das Haus brachte. Das ließ mich sehr schnell meine Gedanken sortieren und meinen Geist klären, um die nächsten Bücher zu prüfen.


    Bei einem Becher Tee konnte ich schließlich die Einnahmen prüfen. Es handelte sich lediglich um ein Buch. Erwartungsgemäß fand sich hier kaum etwas. Die Einnahmen beschränkten sich lange auf gelegentliche Verkäufe von Überschüssen. Außerdem schien der Maiordomus ab und an auch gezielt Handel zu treiben. Das ließ sich aus einem Abgleich von Einkäufen und Verkäufen bestätigen. Und dann war da noch eine Auffälligkeit, die ich unbedingt besprechen musste, sobald der Maiordomus wieder hier wäre. Ich machte mir hierzu eine Notiz in serischer Sprache auf meiner Wachstafel.


    Als der Maiordomus zurück war, kam er direkt zu mir. "Herr, ich habe die in Frage kommenden Händler gebeten, sich morgen deine Waren anzusehen. Die meisten werden dem Folge leisten. Außerdem habe ich den Philosophen Alexios aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass du nach langer Reise zurück bist und ihn zu sehen wünschst. Auch er wird in den nächsten Tagen hierher kommen. Er wird sich auch darum kümmern, dass deine Bücher und Aufzeichnungen ihren Platz im Museion finden werden."


    "Danke. Dann nimm bitte Platz, denn ich habe ein paar Fragen." Dabei deutete ich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. Unsicher nahm der Maiordomus Platz. Natürlich wurde einem Sklaven normalerweise kein Sitzplatz angeboten, was ihn sicher verwirrte. "Zunächst einmal möchte ich dir gratulieren. Es sieht so aus, als wärest du ein recht guter Händler."


    "Danke, Herr." Der Maiordomus lächelte verlegen.


    Ich nickte kurz. "Doch habe ich ein paar Auffälligkeiten entdeckt. Zunächst einmal bei den Einnahmen. Hier ist mehrfach eine 'Vermietung' erwähnt. Was genau wurde vermietet und an wen?"


    Der Maiordomus holte tief Luft. "Das ist... ähhh... also..."


    "Bei allen Göttern, sprich!"


    "Ähhh, ja Herr." Er atmete noch einmal tief durch. "Wir haben diese Domus vermietet." Sofort hob er beschwichtigend die Hände. "Nicht komplett, Herr. Nur das Atrium und das Peristylium. Für Feiern junger, wohlhabender Einwohner dieser Polis. Für Feiern. Es... es stehen größere Reparaturen an. Außerdem hatten wir noch größere Ausgaben. Es ist kein Herr mehr hier und Geld aus Rom schicken ist nicht sicher. Deshalb dachte ich mir... ich dachte mir... der Standort ist wirklich gut, die Leute werden viel Geld bezahlen, um hier zu feiern. Das war der beste Weg, um an Geld zu kommen."


    "Ob das der beste Weg war, entscheide ich, verstanden?" Es war klar, dass ich keinen Widerspruch duldete. So nickte der Maiordomus nur. "Aber ich werde deinen Einsatz wohlwollend würdigen." Seine Miene hellte sich auf, doch ich deutete ihm, sich nicht zu früh zu freuen. "Dann habe ich bei den Ausgaben noch eine Auffälligkeit gefunden. Zwanzigtausend Sesterzen für Sklaven. Wen genau hast du gekauft? Für den Preis bekommt man problemlos zwei Sklaven."


    Der Maiordomus senkte den Blick. "Herr, es sind zwei Sklaven."


    Ich zog eine Augenbraue hoch. "Zwei Sklaven? Dann erkläre mir bitte, welche Aufgaben die erfüllen und warum zwei neue Sklaven benötigt wurden."


    "Ja, Herr. Es sind ein junger Mann und eine junge Frau. Sie sind für allgemeine Tätigkeiten angeschafft. Nach dem Tod eines Sklaven brauchten wir Ersatz." Er erkannte an meinem fragenden Gesichtsausdruck, was ich wohl als Nächstes wissen wollte. "Also... also... einer... eine... wäre genug gewesen. Aber... aber... beide sind sehr hübsch, weißt du? Und die beiden sind ein Paar. Herr, ich hatte Mitleid. Das... das kommt nicht mehr vor, versprochen. Bitte, sei nicht zu hart mit mir!" Verlegen blickte er auf den Boden.


    Eine Weile tippte ich nur mit den Fingern auf den Tisch, während ich nachdachte. Dann ergriff ich eine neue Wachstafel und schrieb ein paar serische Zeichen hinauf. "Bring mir dieses Buch."


    Der Maiordomus schien nicht zu verstehen. "Herr?"


    "Das Buch mit diesen Schriftzeichen. Es besteht aus beschriebenen Holzplättchen. Verstanden?"


    "Ja, Herr." Der Maiordomus nahm die Wachstafel und verließ das Tablinum. Das Buch würde mir helfen, eine Entscheidung zu treffen. Bis er damit herkam, ließ ich mir noch einen Becher Tee bringen.

  • Nach einiger Zeit brachte der Maiordomus mehrere Bücher aus Bambusstreifen ins Tablinum. Seinen fragenden Blick quittierte ich mit einem wissenden Nicken. Das Lǐjì, das Buch der Riten, war eigentlich eine Schriftensammlung. Doch schien es mir die richtige Quelle zu sein, um mir bei der Entscheidungsfindung zu helfen. Da es inzwischen dunkel wurde, ließ ich mir Öllampen anzünden, damit ich lesen konnte.


    Ich nahm den Band, dem ich am ehesten zutraute, die nötigen Lehren zu enthalten. Darin fand ich aber nur die Aussage, dass der Edle die Geringeren nicht verachtete. So griff ich zu weiteren Bänden. Der Edle solle gegenüber Geringeren gnädig sein. Der Edle solle gütig sein. Der Edle solle streng sein, ohne übermäßig streng zu sein. Und immer wieder wurde darauf hingewiesen, Mitte und Maß zu halten und alles so zu entscheiden, dass die Sittlichkeit gewahrt bliebe.


    Nachdem ich eine Weile über das Geschriebene nachgedacht hatte, ließ ich den Maiordomus rufen. Mit gesenktem Blick trat er mir gegenüber. "Herr."


    "Ich habe nachgedacht," sagte ich mit neutraler Stimme, "und ich kann, was die Vermietung anbetrifft, keinen Fehler bei dir finden. Das Geld musste beschafft werden und es war der am wenigsten nachteilige Weg, dies zu gewährleisten. Was den Kauf eines Sklaven anbetrifft, so hast du ebenfalls meine Zustimmung. Jedoch vermag ich noch nicht zu beurteilen, ob der Kauf beider Sklaven meine Zustimmung findet. Dass du aus Mitleid gütig gehandelt hast, ist positiv zu würdigen. Aber du hast hierbei iunisches Geld ausgegeben, mit dem du sorgsam umgehen solltest. Hier muss ich noch eine genaue Abwägung machen. Hole mir bitte die beiden Sklaven."


    "Ja, Herr." Der Maiordomus verbeugte sich und kam nach einiger Zeit mit einer hübschen, jungen Sklavin und einem hübschen, jungen Sklaven zurück. Die beiden wagten es nicht, mich anzusehen. Allerdings warfen sie sich kurz einen Blick zu. In ihrem Blick erkannte ich Angst.


    Ich sah sie einen Moment lang an. "Ihr seid also ein Paar?" fragte ich direkt. Sie nickten. "Seht mich an." Sie taten, wie geheißen. Dabei sahen sie sich beide hin und wieder aus den Augenwinkeln an. Ich erkannte Liebe in den Blicken, die sie sich zuwarfen. "Sklavin, drehe dich doch bitte mal zur Seite." Kurz sah sie mich fragend an, folgte dann aber meinem Befehl. "Danke, ihr dürft euch beide entfernen." Sie verbeugten sich und gingen dann, während der Maiordomus wartete.


    Eine Weile tippte ich mit meinen Fingerspitzen auf den Schreibtisch, was die Nervosität des Maiordomus erhöhte. Schließlich sprach ich. "Sie sind wirklich ein Paar. Egal, ob Sklaven oder nicht, sie sollten zusammen bleiben. Du hast richtig gehandelt. Das mögen andere aber anders sehen. Wenn ich mich recht erinnere, gehörst du Lucius Iunius Silanus. Der ist zwar schon lange auf Reisen, aber du verwaltest dennoch sein Geld. Die beiden Sklaven gehören folglich auch ihm. Entsprechend kann ich meine Zustimmung eigentlich nicht geben. Wir lösen das Problem nun. Aus meinen Verkäufen werden sicher zwanzigtausend Sesterzen übrig bleiben, die du als Verkauf der beiden Sklaven an mich verbuchen wirst. Dann ist das Konto von Silanus wieder glatt gestellt. Ich bestimme dann, dass beide hier zusammen bleiben sollen. Auch das Kind, welches die Sklavin trägt, soll bei seinen Eltern bleiben."


    Die Augen des Maiordomus wurden groß und er sah mich direkt an. "Herr, ich... ähhh... ich weiß nicht..."


    Ich winkte ab. "Am besten sagst du nichts mehr. Dafür hast du eine weitere Aufgabe. Alle Sklaven, die hier wohnen, sollen lesen, schreiben und rechnen können. Und nun lass mir ein Bad vorbereiten und ein Cubiculum."


    "Ja, Herr." Er verließ schnellen Schrittes das Tablinum, um alles zu veranlassen.

  • Am nächsten Tag hatten sich vormittags die ersten Händler angekündigt. Auf Grund des in den Haushaltsbüchern erkennbaren Verhandlungsgeschicks des Maiordomus ließ ich diesen die Verhandlungen führen und griff nur hin und wieder ein. So sollte es danach aussehen, dass wir uns abgesprochen hätten und ich nur aus irgendeinem Grund es für unter meiner Würde erachtete, mit den Händlern allzu viel zu sprechen. Das schien die meisten Händler aber nicht zu kümmern.


    Nachdem die Waren fast vollständig verkauft waren und etliche Talente Silber den Besitzer gewechselt hatten, konnte ich einen ersten Kassensturz machen. Ich war genauso wohlhabend, wie vor meiner Reise. Zusätzlich kamen noch die Sachen dazu, die ich nicht verkaufen wollte. Ein Händler wäre damit sicher nicht zufrieden, doch für mich war alles zu gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte. Nun musste ich nur noch unbeschadet mit meinem Vermögen und meinen Sachen nach Rom kommen. Das würde sicher noch einmal eine Stange Geld kosten, aber wenigstens war das Ziel nun zum Greifen nahe.


    Am späten Nachmittag erhielt ich Besuch aus dem Museion. Man hatte nicht irgendwen geschickt. Die Stimme erkannte ich sofort und als er dann den Raum betrat, erkannte ich ihn sofort wieder. Sein langer Bart war inzwischen komplett grau und sein Haupthaar war auch mehr grau als schwarz, doch Alexios, der am Museion mein Lehrer gewesen war, hatte sich ansonsten kaum verändert. Er war in einen weißen dorischen Chiton gekleidet, über dem er eine blaue Chlamys trug. Die Sandalen waren aus wertvollem weichen Leder. Im Gegensatz dazu war ich in die vollständige, seidene Gewandung eines serischen Gelehrten gehüllt. "Salve, Alexios," grüßte ich ihn mit einem höflichen Lächeln, obwohl ich am liebsten vor Freude gelacht hätte. Aber das wäre eines Gelehrten unwürdig - sowohl im Stoizismus, als auch in der serischen Tradition.


    Alexios sah mich eine Weile skeptisch an. "Du hast abgenommen. Das steht dir gut. Aber komplett in Seide gekleidet? Ist das nicht zu dekadent?"


    "Nicht in Serica," erwiderte ich.


    "Ist das so?" fragte er skeptisch.


    "Ja. Gelehrte stellen dort eine der höchsten Schichten der Gesellschaft dar. Und ich wurde dort als Gelehrter anerkannt. Yúnzǐ. Das heißt Meister Yún. Daher ist das die standesgemäße Kleidung. Die Hofkleidung ist sogar noch wertvoller. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, das Wissen und die Ordnung zu repräsentieren." Ich deutete ihm, sich in einem Korbstuhl niederzulassen.


    "Du bist auf jeden Fall selbstbewusster geworden. Früher hättest du noch versucht, dich irgendwie rauszureden. Jetzt argumentierst du so, als wäre es das Normalste von der Welt. Dabei ist es immer noch Seide. Ein Arbeiter im Hafen könnte vom Wert deiner Kleidung seine Familie ein Jahr lang ernähren. Hast du wahrgenommen, wie dick deine Gewänder sind?" Während er sprach, nahm er Platz.


    Weiterhin höflich lächelnd antwortete ich. "Ja, das habe ich wahrgenommen. Vor allem in der drückenden Hitze Indiens und der Gebiete östlich davon, nah am Äquator. Aber ehrlich gesagt interessiert es mich nicht, wer wen davon wie lange ernähren könnte. Ich habe dir ja bereits erklärt, was die Kleidung repräsentiert."


    Alexios nickte. "Wie gesagt, du bist selbstbewusster geworden. Du machst dich, junger Freund."


    "Danke." Ich nickte kurz dem Maiordomus zu, der daraufhin Sklaven schickte, um die Bücher zu bringen. Es war knapp eine Kamelladung voll. "Ich nehme an, dass du die Bücher in Empfang nehmen sollst. Die Werke, die ich in der Ferne enthielt, habe ich kopiert. Das Material, auf dem sie geschrieben sind, ist dem Papyrus ähnlich und doch anders. Es wird dich an das Material, aus dem die Wespennester sind, erinnern. Außerdem habe ein Buch über die serische Schrift verfasst und eins über die serische Sprache. Außerden ein Wörterbuch. Dazu noch diverse Skizzen von Landschaften und Aufzeichnungen über Länder und Kulturen in Koiné. Das alles dürfte für das Museion von Interesse sein, nehme ich an?"


    Alexios hielt es nicht mehr in seinem Stuhl. Er ging zu meinen Schriften, nahm sie in die Hände und fühlte über die Oberfläche. "Faszinierend..." Er öffnete einige der Schriftrollen. "Diese Zeichen..." er sah zu mir "Wie funktionieren sie?"


    "Es sind Silbenzeichen," erläuterte ich, "aber manchmal haben gleich lautende Silben unterschiedliche Zeichen, weil sie unterschiedliche Begriffe bezeichnen. Das muss man dann am Kontext erkennen. Die Schrift ist sehr schwer zu lernen, die Aussprache ist einfacher, aber dennoch schwer. Dafür ist die Grammatik extrem einfach."


    "Und du beherrschst diese Sprache?" Alexios hatte diese Leuchten in den Augen, das ich kannte, wenn er forschte.


    Ich nickte kaum merklich. "Mit Akzent, aber ja."


    "Das Museion ist sehr interessiert. Was willst du dafür haben?"


    "Nun, du bist ein Priester des Apollon. Diese Bücher sind meine Opfergabe dafür, dass Apollon mich geschützt hat. Sie sollen seine Bibliothek schmücken. Du solltest sie als Weihegeschenk dem Museion übergeben." Er sah mich nur kurz ungläubig an, weil er erkannte, dass ich es ernst meinte.


    "Dann werde ich die Weihe bezeugen."


    "Gut." Ich stand auf und ging zunächst zu einer Weihrauchschale, in die ich besten arabischen Weihrauch gelegt hatte. Diesen entzündete ich und wartete, bis der süßlich duftende Rauch aufstieg. Dann ging ich zu den Büchern und hob meine Hände mit den Handflächen nach oben. "Apollon, Herr der Musen, Schützer vor Krankheit und Gefahren, der du mich auf meiner Reise geschützt hast. Du hast mich vor Banditen geschützt und vor Naturkatastrophen. Du hast mich im Gebirge beschützt und auf See. Du hast mich neue Künste lernen und die Welt sehen lassen. Dafür danke ich dir. So, wie ich es versprochen habe, soll deinem Tempel, dem Museion, mein Wissen aus dieser Reise zur Verfügung stehen. Meine Aufzeichnungen, die ich mit der Sorgfalt eines Forschers und Gelehrten geführt habe, sollen als Kopien, die ich fehlerfrei angefertigt habe, in die Bibliothek des Museions aufgenommen werden. Meine Schuld dir gegenüber ist damit beglichen. Ich werde dir auch weiter gewissenhaft opfern, so du mir weiter zur Seite stehst." Mit einer Drehung nach rechts beendete ich mein Gebet.


    "Es sei hiermit bezeugt," sagte Alexios.


    Nachdem das erledigt war, ließ ich Brot, Wein und Olivenöl bringen, um noch einen gemütlichen Abend mit Alexios zu verbringen. Natürlich fragte er mich über Serica aus und hing an meinen Lippen, während ich erzählte. Es dämmerte bereits der Morgen, als wir schließlich unser Treffen beendeten. Ich ließ Sklaven die Bücher zum Museion bringen und verabschiedete mich respektvoll, aber nicht zu herzlich von Alexios. Er verstand, dass mich die Sitten in Serica entsprechend geprägt hatten. Doch hielt ihn das nicht davon ab, mich zum Abschied kurz zu umarmen, mir auf die Schulter zu klopfen und mir zu sagen, dass er extrem stolz auf mich war. Auch wenn ich es nur mit Worten der Bescheidenheit annahm, wussten wir beide, wie viel mir sein Lob bedeutete. Er war immerhin das, was einem zweiten Vater am nächsten kam.


    Nachdem Alexios gegangen war, beauftragte ich den Maiordomus, mir ein Schiff nach Ostia zu organisieren. Danach legte ich mich schlafen. Schon bald wäre ich wieder in Rom.

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