[Trans Tiberim] Eine kleine Taverne

  • Diese Frau vertraute ihm wirklich, sie fing an zu erzählen, plauderte fast schon mit ihm… und der Iunius würde dafür sorgen, dass sie und alle ihre Christianer-Freunde im Carcer landeten. Sie glaubte daran, dass er ihr helfen wollte. Stattdessen würde er ihr Weltbild zerstören und ihr Leben gleich mit. Doch er ermahnte sich, sich vom äußeren Schein nicht trügen zu lassen. Sie mochte als hilflose und naive junge Frau vor ihm sitzen, doch sie gehörte immer noch zu jenen Leuten, die alle Götter verachteten, an die er glaubte, römische Sitten und Bräuche ablehnten, bei Versammlungen in Kellern angeblich unvorstellbares anstellten und seit Jahrzehnten unaufhörlich Zwietracht im Volk säten.
    Aus freien Stücken schlossen sich die Leute ihnen also an. Natürlich, weil sie durch leere Versprechungen angelockt, manipuliert und dazu gebracht wurden, den Lehren der Sekte Glauben zu schenken. Genau so, wie er es jetzt mit ihr tat. Sie erzählte ihm alles vollkommen freiwillig. Bei so viel Leichtgläubigkeit war es kein Wunder, dass sie Christainerin war.
    "Gut... ich verstehe. Wir haben Zeit, vielleicht kann sie uns später noch ein paar Fragen beantworten...", meinte Avianus zum Zustand der Wirtin und ließ sich noch einmal den Rest des Gesagten durch den Kopf gehen.
    "Kannst du mir noch von diesen Versammlungen erzählen?", fragte er dann weiter und ließ ihr absichtlich eine Wahl. Schließlich hatte er sie genau da, wo er sie haben wollte. Und wenn er Glück hatte, würde seine kleine Vorstellung als nette Urbanertruppe dazu führen, dass auch der Rest der Sekte sich wieder etwas beruhigte. Und je ahnungsloser die Christianer waren, desto besser waren ihre Chancen, wenn sie versuchen würden, dem wuchernden Geschwür von einem Christianernest ein Ende zu machen.
    "Dann darfst du von mir aus gehen, und dein Freund hier ...", er deutete mit einer flüchtigen Geste zu dem Perser hinüber, "... kann dich begleiten."



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    Narseh


    Kein Stück traute er dem Kerl. Er lullte Sarah vollkommen ein, sie ahnte es nicht einmal und er musste hilflos zusehen, denn der Soldat, der neben ihm stand, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, fast so, wie er den Optio unverwandt anstarrte. Und jeden Satz, den er aussprach, sezierte er, um einen Beweis für seine Theorie herauszulesen, nämlich, dass diese Männer ihnen nichts Gutes wollten. Er würde sie gehen lassen, hieß es dann plötzlich und Narseh machte ein noch skeptischeres Gesicht als zuvor.
    "Was?", rutschte es ihm ungläubig heraus. Der Soldat neben ihm musterte ihn aus schmalen Augen, was Narseh wieder schweigen ließ. Er ließ sie einfach gehen? Seit wann ließen einen die Urbaner einfach gehen? Der Kerl führte was im Schilde, es konnte gar nicht anders sein.
    "Du hast richtig gehört", bekam er jedenfalls als Antwort.
    Der Perser warf Sarah warnende Blicke zu, selbst wenn er nicht daran glaubte, dass sie ihnen Beachtung schenken würde.

  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Sarah legte umsorgend ihren Arm um die Schulter Wirtin und war froh darum, dass der Optio Verständnis für die verwirrte Wirtin aufbringen konnte. Es war wirklich beruhigend, dass es auch unter den Urbanern noch anständige Männer gab. Genau aus diesem Grund glaubte Sarah auch, ihm vertrauen zu können. Sie hatte keinen Moment an seiner Aufrichtigkeit gezweifelt. Selbst dann auch nicht, als ihr nach dem Zwischenfall mit Mirjam und Simon hätte auffallen müssen, dass eben jener Optio heute nicht zum ersten Mal in der Taberna gewesen war. Andererseits hatten die beiden Wirtsleute in den letzten Wochen und Monaten viel erdulden müssen, was letztendlich ihre Sinne getrübt hatte. Mit Sicherheit hatten sie ihn mit jemand anderem verwechselt. Dieser Mann hier war ihr wohlgesonnen. Das spürte sie. Als er sie dann noch versprach, sie und Narseh dürften dann gehen, sah sie sich nur noch bestätigt. Der Perser schien allerdings in dieser Hinsicht noch skeptisch zu sein. Da er Sarah nicht mit Worten warnen konnte, versuchte er es mit Blicken. Sarah jedoch konnte oder wollte sie nicht deuten. So freimütig wie zu beginn, fuhr sie fort:
    „Unsere Versammlungen? Wenn es möglich ist, treffen wir uns täglich. Dann beten wir zu Gott, preisen ihn mit unseren Liedern und hören Geschichten von seinem Sohn. Zu unseren Versammlungen kommen manchmal auch Leute, die sich uns anschließen möchten und sich taufen lassen. Wir nehmen dann auch ein gemeinsames Mahl ein, zu dem alle eingeladen sind, auch Arme und Bettler. Ja sogar Sklaven.“ Ja, selbst diejenigen, die ganz unten in der Gesellschaftsordnung ihren Platz hatten, waren den Christianen willkommen und stießen bei ihnen auf Nächstenliebe.
    „Dürfen wir nun gehen?“, fragte Sarah schließlich. Sie hatte alles gesagt, was der Optio von ihr wissen wollte. Indem er nun zu seinem Versprechen stand, konnte sie Narseh von seinen guten Absichten überzeugen. Vielleicht war er ja sogar einer von ihnen und dieses Verhör veranstaltete er nur, um bei seinen Männern nicht auf Mistrauen zu stoßen.

  • Naiv genug, ihm die genauen Tageszeiten und den Versammlungsort zu verraten, war nicht einmal Sarah. Damit hatte Avianus auch nicht gerechnet, dafür hatte er schließlich die Wirtin und den Verrückten, den sie mit in die Castra nehmen würden. Er war also durchaus zufrieden mit seinem Ergebnis. Die Christianerin war ahnungslos, hielt ihn für einen Freund und Helfer und er würde ihr Vertrauen in ihn vorerst noch weiter belohnen.
    "Nun, das habe ich euch versprochen…", antwortete er der jungen Christianerin schließlich und gab dann Pennus mit einem Wink Bescheid, den Peregrinus, der mit Sicherheit ebenfalls zu der Sekte gehörte, ziehen zu lassen.
    "Bringt die beiden nach draußen."
    Dann würde er sich auch endlich angemessen der Wirtin zuwenden können, denn bisher hatte sich die alte Frau lediglich vor Fragen gedrückt und ihn blöd dastehen lassen. Das tat er nun auch, da die junge Frau und ihr kräftiger Freund sich nicht mehr in Hörweite befanden. Er lehnte sich in seinem Stuhl vor und stützte sich auf der Tischplatte ab, um Mirjam etwas näher zu sein und so den Worten, die nun folgen würden etwas mehr Nachdruck zu verleihen.
    "Was wenn ich dir sage, dass die Cohortes Urbanae in Trans Tiberim aufräumen werden, und dass wir deine Taberna ganz genau im Auge haben?", begann er und musterte sie eindringlich, "Und ich mag ja nur ein kleiner Optio sein, was aber, wenn ich die… Macht habe, Leuten die Chance zu geben, heil aus der Sache rauszukommen? Ich bin der, der die Berichte schreibt, Mirjam. Und wenn da drin steht, dass du nicht mit den Christianern unter einer Decke steckst, werden diese… ich nenne es mal… Aufräumarbeiten an deiner Taberna vorbeiziehen."
    Diese Worte ließ er erst einmal auf die wirre Frau wirken, damit sie sich auch vollends dessen bewusst wurde, was er gesagt hatte. Nein, er würde sie nicht mitnehmen, und heute würde man sie nicht mitnehmen. Doch sie wollte mit Sicherheit, dass es auch in Zukunft so blieb.



    [Blockierte Grafik: http://i60.tinypic.com/30jiss6.jpg]
    Narseh


    Anstandslos und schweigend ließ Narseh sich nach draußen führen, kaum dass sich jedoch die Tür hinter ihnen schloss, hatte sich auch seine Schweigsamkeit in Luft aufgelöst.
    Noch immer leicht verblüfft, dass der Optio sein Wort gehalten hatte, blickte der Perser zu Sarah hinüber. Sehr viel mehr verblüffte ihn allerdings deren Gutgläubigkeit, mit der sie nicht nur sich selbst sondern alle Mitglieder ihrer Gemeinschaft in Gefahr brachte.
    "Du hättest lügen sollen!", sagte er ärgerlich. So wie er, wenn auch der Allmächtige es ihnen eigentlich verbot, so lud er doch lieber die Sünde einer Lüge auf sich, als das Leid seiner Brüder und Schwestern. Denn was auch immer der Römer im Schilde führte, es war mit Sicherheit nicht zu ihrem Besten. Doch er ahnte bereits, dass er bei ihr auf taube Ohren stoßen würde. Mit der seltsam gelassenen, freundlichen und glatten Art des Optios konnte er nicht mithalten, und irgendwelche Versprechen von Sicherheit und Schutz konnte er ihr ebenfalls nicht geben.

  • Sim-Off:

    Sorry für die verspätete Antwort! :(


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Der Optio hielt Wort und ließ sie und Narseh gehen. Sarah dankte ihm dies mit einem Lächeln und ging. Sie sah sich darin bestätigt, alles richtig gemacht zu haben. Schließlich taten sie ja nichts Unrechtes. Narseh aber sah dies ganz anders. Draußen vor der Tür begann er ihr Vorwürfe zu machen. Sie hätte besser lügen sollen, meinte er. Wie konnte er nur so etwas sagen! Hatten nicht ihr Bruder und auch der Prediger, den man vor einigen Wochen verhaftet hatte gesagt, nur die Wahrheit würde sie frei machen? Sarah blieb stehen, denn sie konnte den Ärger in Narsehs Stimme hören. Natürlich hatte sie Verständnis dafür, dass er gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit noch immer zweifelte. „Aber Narseh, warum hätte ich lügen sollen? Wir haben nichts zu verbergen. Du wirst sehen, nur mit der Wahrheit können wir die Menschen davon überzeugen, dass wir nichts Böses im Schilde führen.“ In Sarahs Miene schien die Zuversicht fest verankert zu sein. Daran glaubte sie und daran glaubte auch ihr Bruder.


    ~~~


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/5c9hed8l.gif] | Mirjam


    Zusammengekauert und tief in ihre Trauer versunken saß Mirjam da. Sie hatte nicht einmal ihren Blick erhoben, als Sarah aufgestanden war und die Taverna verlassen hatte. Für sie war es im Augenblick nur wichtig, Zeit zum trauern zu finden und darüber hinweg zu kommen, dass es nicht einmal einen Leichnam gab, den man hätte beerdigen können. Diese Römer, sie hatten nicht nur ihre Tochter auf dem Gewissen, nein – sie hatten sogar das Andenken an sie ausgelöscht! Aber das Schlimmste war, dass sie nicht dagegen tun konnte. Weder sie noch ihr gebrechlicher Mann hatten die Kraft dazu.
    Als der Optio sich schließlich zu ihr herüber lehnte und auf sie einzureden begann, ließ sie das zunächst kalt. Er konnte ihr so viel drohen, wie er nur wollte. Mirjam hatte nichts mehr zu verlieren, was sie nicht schon längst verloren hatte. Auch wenn sich die jungen Leute von der Christianergemeinde so sehr engagiert hatten, um die Taverna wieder auf Vordermann zu bringen, bedeutete ihr das nicht mehr viel.


    „Du hast die Macht?“, fragte sie nach einiger Zeit völlig unerwartet. Mirjam sah endlich auf und musterte den Optio sehr genau. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie er das letzte Mal hier gewesen war. Damals war er voller Sorge gewesen, wegen Beroe, dieser verräterischen Hure. Doch inzwischen keimte in ihr der Verdacht auf, das diese Sorge nur gespielt war und er sie damals nur aushorchen wollte – genauso wie jetzt. Mit dem kleinen Unterschied, dass er nun die Macht besaß.


    „Wenn du die Macht hast, dann gib mir mein Kind zurück!“ In ihrer Stimme schwang all ihre Verbitterung mit. Sollte dieser Optio doch hier in Trans Tiberim „aufräumen“, wie er es nannte. Das würde er ohnehin tun, ganz gleich was sie sagte oder tat. Er war kein Deut besser, als all die anderen, die damals ihren Mann mitgenommen hatten.

  • "Red' keinen Unsinn", entgegnete Avianus gleich darauf, "Seh' ich so aus, als könnte ich Tote zurückholen?"
    Es reichte ihm. Irgendwo würden sich die Informationen, die er benötigte bestimmt auftreiben lassen, ohne dass er sich auf der Nase herumtanzen lassen musste. Er stand auf, machte zwei, drei Schritte durch den Schankraum, wollte bereits seine Soldaten zu sich pfeifen, und den Befehl geben, den verrückten Fast-Messerstecher mitzunehmen...
    Doch andere, die eigentlich tot sein sollten, leben noch, kam es ihm im selben Moment. Wenn er auch absolut keine Ahnung hatte, was dazu geführt hatte. Und Mirjam wollte ihre Tochter, wie schon damals, als er nach seiner Rückkehr aus Germanien mit ihr gesprochen hatte. Ihre Tochter und ihr Mann waren alles, worum sie jemals gebeten hatte.
    "Wenn ich noch einmal alle Aufzeichnungen durchsehe… und die Kerkerzellen überprüfe, ob dort noch etwas von ihr zu finden ist…" Er glaubte nicht daran, dass sie noch dort war. Und Dokumente über die damaligen Geschehnisse existierten nicht. Es war viel Zeit vergangen, seit man den Keller, in dem die Christianerversammlung stattgefunden hatte, gestürmt hatte. Nach so langer Zeit hatte man sich der Gefangenen zumeist schon auf die eine oder andere Weise entledigt. Aber was wusste schon die Wirtin. Was wusste schon irgendwer, der nicht selbst Zugang zu allen Unterlagen und den Zellen hatte. Die Frage war nur, ob er so weit gehen wollte, der gebrochenen Frau Hoffnungen zu machen, wo praktisch keine mehr waren, lediglich für ein paar Informationen. Oder auch nicht. Denn er hatte ihr den Vorschlag bereits gemacht, für Rückzieher war es zu spät.


    Seit der grimmige Christianer mit dem naiven Mädchen die Taberna verlassen hatte, war der Rubrius mehr oder weniger überflüssig. Man konnte nicht behaupten, ihn würde das sonderlich stören. Der heutige Tag war für seinen Geschmack bereits schräg genug gewesen, da konnte er eine kleine Pause durchaus gebrauchen.
    "Glaubst du, das hier wird nochmal was?", murmelte Pennus zu dem Tiro hinüber, von dem wohl irgendwer weiter oben entschieden hatte, dass er mehr auf dem Kasten hatte als seine Anfänger-Kameraden. Zumindest hatte er sich nicht bei der erstbesten Gelegenheit abstechen lassen. Eine Herausforderung, der bei weitem nicht alle Tirones gewachsen waren.



    [Blockierte Grafik: http://i60.tinypic.com/30jiss6.jpg]
    Narseh


    "Du trägst die Schuld, Sarah. Wenn etwas geschieht, bist du dafür verantwortlich", knurrte Narseh zurück. "Die brauchen wir von nichts mehr zu überzeugen, diese Leute haben sich ihre Meinung schon gebildet, lange bevor sie hier angetanzt sind." Aber was auch geschah, er würde vorbereitet sein und sich ganz bestimmt nicht so einfach geschlagen geben. Verdammt nochmal, wenn selbst dieses halbe Hemd von einem Kerl - Elias - den Mumm dazu gehabt hatte, sich den Urbanern entgegenzustellen, dann doch er erst recht. Ganz bestimmt nicht würde er seine Brüder, Schwestern und sich selbst in irgendeinen Carcer stecken lassen. Für heute hatte er genug. Ein grimmiges Schnauben, dann stapfte er weiter.

  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/5c9hed8l.gif] | Mirjam


    „Nein, du ganz bestimmt nicht!“, gab die Wirtin desillusioniert zurück. „Männer von deiner Sorte nehmen nur Leben.“ Mirjam war nun an einem Punkt angelangt, an dem sie keine Rücksicht mehr nehmen musste. Für sie war der Sinn ihres Lebens mit ihrer Tochter gestorben. Zurückgeblieben war nun nur noch die Wut auf jene, die sie auf dem Gewissen hatte. Und der Optio hier hatte ihrer Meinung nach im doppelten Sinne Schuld auf sich geladen, denn er war es, der ihr das Unheil mit ins Haus gebracht hatte, als er hier für seine Freundin ein Zimmer gemietet hatte. Verflucht war der Tag, an dem sie ihr erlaubt hatte, in der Taberna zu arbeiten!
    Allmählich versank Mirjam wieder in ihrem Gejammer und in ihrer Trauer. Nichts und niemand konnte ihr ihre Tochter wieder zurückbringen. Nicht einmal dieser Wichtigtuer, der ihr erzählt hatte, er habe die Macht. Niemand anders außer ihr Gott hatte wirklich die Macht. Doch ausgerechnet von ihm fühlte sie sich verlassen. Das war ihr Dilemma. Vielleicht hatte sie und Simon deshalb die Christianer in ihre Taberna gelassen, weil sie ihr wieder Hoffnung gemacht hatten. Vielleicht war dieser Yeshua ben Yosef ja doch der Messias, wie die Christianer behaupteten.


    Ihr Gegenüber schien jedenfalls etwas in Grübeln geraten zu sein und begann nun auch seine Gedanken auszusprechen. Womöglich tat er es auch, um vor ihr nicht ganz ohne irgendetwas in seinen Händen stehen zu müssen. Am Ende untergrub dies noch seine Authorität. Und wer weiß, vielleicht brachte er Mirjam dadurch ja doch noch zum Reden. Die Wirtin jedenfalls begann aufzuhorchen. Ihr Jammern verstummte und sie hob ihre Augen. „Das könntest du tun?“ Ein wenig Hoffnung schwang wieder in ihrer Stimme. Wenn sie doch wenigstens noch irgendetwas von ihrer Tochter wiederhaben konnte!


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Narsehs Worte gingen nicht spurlos an Sarah vorbei. Er gab ihr die Schuld, für alles, was ab nun geschah. Warum war er nur verbohrt und hatte kein bisschen Zuversicht? „Du würdest also lieber gegen diese Leute den Aufstand wagen und gegen sie die Hand erheben?“ Die junge Christianerin glaubte es einfach nicht, was sie da von Narseh hören musste. Hatte Jesus nicht selbst gesagt, dass nur die Friedfertigen Gottgefällige waren? Vergeltung brachte nur noch mehr Unheil über sie. Warum lernten die Menschen einfach nichts dazu? Ihr eigenes Volk hatte dies doch am eigenen Leibe spüren müssen! Sie war inzwischen stehen geblieben und sah ihrem Mitbruder nach, wie er grimmig schnaubend davon stapfte.
    Was sollte sie denn jetzt tun? Zu ihrem Bruder laufen und ihm von Narsehs Ansichten berichten? Zweifelsohne wusste aber Elias bereits davon, dass es gewisse Elemente in der Gemeinde gab, die es lieber sahen, wenn man sich endlich öffentlich gegen die Staatsmacht erhob. Solche Leute wie Narseh waren die eigentliche Gefahr, vor der man sich schützen musste! Sarah ging langsam wieder zur Taberna zurück.

  • Er war fast schon soweit gewesen, seine Worte zu bereuen und abzuziehen, als sich bei der Wirtin plötzlich eine Veränderung abzeichnete. Zum ersten Mal während ihres Gespräches glaubte er bei ihr den Hauch von einem Willen zur Kooperation zu sehen. Er hatte voll ins Schwarze getroffen. Nein, er brauchte gar nichts zu bereuen, wenn sie ihm nur endlich sagte, was er wissen wollte. Mirjam hatte ihre derzeitige Situation doch zum größten Teil selbst zu verantworten, wenn sie auch Sibel dafür die Schuld zu geben schien, und gleichzeitig hatte der Iunier das Gefühl, dass die Wirtin auch gegen ihn nicht unerheblichen Groll hegte. Dass ihr Unglück vielleicht damit zusammenhing, dass sie mehr Christianer um sich hatte, als er je auf einem Haufen gesehen hatte, und diese Sekte bei ihr wohl seit jeher ein und ausging und es noch immer tat, darauf schien sie nicht zu kommen. Oder dass man mit bestimmten Leuten besser zusammenarbeitete – wie etwa mit den Cohortes Urbanae. Erstaunlich. Mutter und Tochter hatten offenbar ähnliche Fehler gemacht. Der Apfel fiel wohl tatsächlich nicht weit vom Stamm.
    Die Frau brauchte ihm nicht leid zu tun, sagte er sich selbst, da konnte sie noch so vor sich hin jammern.
    "Natürlich könnte ich. Wenn du mir etwas Brauchbares über diese Christianer zu erzählen hast", antwortete Avianus ernst. Er machte wieder ein paar Schritte zurück zum Tisch, stützte sich mit den Händen darauf ab und musterte sie eindringlich. "Letzte Chance, Mirjam... sag' mir endlich was du weißt. Alles."

  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/5c9hed8l.gif] | Mirjam


    Natürlich könnte er... Mirjam ließ diese Worte des Optios langsam auf ihrer Zunge vergehen. Der Drang nach etwas Greifbarem war groß. Etwas, was sie mit ihrer Tochter verbinden konnte und das sie, statt einem kalten Leichnam, den man in die Erde legen konnte, dazu benutzen konnte, um die Erinnerung an ihre Tochter aufrecht zu erhalten. Dazu musste sie nur etwas „Brauchbares“ über die Christianer erfinden und ihn damit füttern. Na ja, das konnte nicht allzu sehr schwierig sein. Schließlich gab es jede Menge Gerüchte, die über die Christianer im Umlauf waren. Andererseits waren es ja eigentlich friedliche und hilfsbereite Leute gewesen. Einige Wochen nach der Razzia hatten einige der Christianer an der Türe der Taberna geklopft und hatte ihr ihre Hilfe angeboten. Und zum Dank wollte sie sie nun ans Messer liefern? Jedoch würden die Christianer ihr kein Andanken an ihre ihre Tochter beschaffen können.


    „Ja also, wenn ich es mir recht bedenke…“ begann sie nachdenklich. „Gegen die meisten von ihnen kann ich nichts Schlechtes sagen. Wirklich nicht! Allerdings…“ Die Tür zur Taberna ging auf und bevor Mirjam weiter sprechen konnte, verstummte sie wieder aus Scham. Denn in der Tür erschien plötzlich Sarah wieder. Ihr unsteter Blick ging durch den Schankraum und blieb an dem Optio haften. Sie kam auf ihn zu und blieb unmittelbar vor ihm stehen.


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    „Es gibt da etwas, was du noch wissen solltest.“ Sarahs Augen musterten den Optio, dann schweifte sie zur Wirtin hinüber. Ob es wohl klug war, einer der Ihren vor Mirjams Augen und Ohren zu verraten? „Kann ich dich unter vier Augen sprechen?“

  • Ohne ein weiteres Wort hörte Avianus zu, wie Mirjam zu reden begann. Sie redete. Für nichts. Einfach nur, weil er die richtige Idee gehabt und Hoffnungen in ihr geweckt hatte, wo nichts war. Und sie wusste es natürlich nicht, und war leichtgläubig wie alle anderen. Man brauchte lediglich herauszufinden, wonach sie sich sehnten, was ihnen wichtig war, und ihnen zu sagen, was sie hören wollten, und schon fraßen sie einem aus der Hand. Den Christianern versprach er Nachsicht und Freiheit, Mirjam lockte er mit der Erinnerung an ihre Tochter.
    Doch die sich öffnende Tür unterbrach die Wirtin, noch bevor sie ihm wirklich etwas verraten hatte, und als er sich umwandte, erblickte er wieder die junge Frau von zuvor. Und ob ihm die aus der Hand fraß. Jeder andere hätte einfach nur das Weite gesucht.
    "Natürlich", antwortete er knapp, wenn auch leicht verwundert. Er trat vom Tisch weg und zu der Tür, die in die Küche führte. Für eine kurze Unterhaltung würde es reichen, sich in den Nebenraum zurückzuziehen, und seine Leute würden solange sicherlich aufpassen, dass der Verrückte still sitzen blieb und die Wirtin nicht davonlief.
    "Wenn du noch etwas zu erzählen hast, sag' es meinen Soldaten …", sagte Avianus zu Mirjam, während er Sarah die Tür aufhielt.
    "Also gut, was willst du mir erzählen?", fragte er dann in der Küche die Christianerin.

  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/5c9hed8l.gif] | Mirjam


    Mirjam sah der jungen Frau noch neugierig nach, als sie mit dem Optio in der Küche verschwand. Sie fragte sich, weshalb das junge Ding nur so geheimnisvoll tat. Hatte sie etwa etwas vor ihr zu verbergen? Und natürlich hätte sie auch nur zu gerne gewusst, was sie letztendlich dem Optio erzählte. Vielleicht wurde sie und ihr Mann gerade in der Küche von Sarah angeschwärzt, schwante es Mirjam. Warum sonst hätte sie den Optio wohl unter vier Augen sprechen wollen? Schlimme Befürchtungen stiegen in der Wirtin auf. Sollte sie sich so sehr in diesen Christianern getäuscht haben? Nun, da es den Sektierern an den Kragen gehen sollte, beschuldigten sie andere, um von sich selbst abzulenken. Das war die einzige Erklärung. Aber da hatten sie ihre Rechnung ohne Mirjam gemacht!


    Die Wirtin sah sich nach einem der Soldaten um, bei dem sie ihre „Aussage“ machen konnte und ging auf ihn zu. „Ich hätte da noch eine Aussage zu machen,“ flüsterte sie und sah sich dabei mehrmals verunsichert in Richtung Küche um. „Die Kleine, die eben mit deinem Optio verschwunden ist, die hat es faustdick hinter den Ohren! Sie ist nicht so unschuldig, wie sie tut!“


    Währenddessen in der Küche


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Sarah war sich sicher, das Richtige zu tun. Auch wenn sie niemand gerne verraten wollte, so wollte sie doch größeren Schaden von der Gemeinde abwenden. Leute wie Narseh schadeten nur ihrer Gemeinschaft. Seine aufwiegelnden Reden vergifteten die Köpfe ihrer jungen Männer und stachelte sie dazu an Dummes zu tun.
    Als sie nun mit dem Urbaner allein in der Küche war und sie die Gewissheit hatte, dass niemand sie belauschen konnte, begann sie nach Worten zu suchen, die sie dann auch fand. „Leider gibt es unter uns einige Geschwister, die es lieber sehen würden, wenn wir uns offen gegen die Obrigkeit erheben, ganz nach dem Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn. Doch das widerspricht allem, woran wir glauben! Noch sind ihre Gedanken nicht auf fruchtbarem Boden gelandet. Doch bevor dies geschieht und sie uns alle gefährden, dachte ich, ich sollte noch einmal hierher zurückzukommen. Du scheinst mir ein gerechter Mann zu sein, der auch zu seinem Wort steht.“ Mit einer gewissen Erwartungshaltung sah sie ihn an, bevor sie sich entschloss weiter zu sprechen. Er würde ihr doch sicher versprechen können, dass es im Falle einer Untersuchung nur die Aufwiegler treffen würde und nicht die ganze Gemeinde.

  • Der unaufhörlich auf das Dach prasselnde Regen, die schwüle Wärme im Schankraum, die nachlassende Anspannung, das endlose Hin und Her von Fragen und Antworten, all dies hatte Antias zunehmend schläfrig gemacht. Nach wie vor lauschte er angestrengt der Vernehmung, hatte aber hart mich sich zu kämpfen, ihr auch wirklich folgen zu können. Die Milites schienen diesen Kampf bereits verloren zu haben. Mit offenen Augen dösend lehnten sie an der Wand oder stützten sich gähnend auf den Tischen ab. Sogar das lauernde Grinsen des Cluviers war zu einer angeödeten Grimasse erstarrt. Allein Hispo und Antias bemühten sich weiterhin um Haltung, sie waren Tirones, da galten andere Regeln. Als der Optio die junge Frau und den dunklen Südländer schließlich gehen ließ, war Antias kurz versucht, Avianus zu fragen, ob er sie verfolgen solle. Nur stand ihm das zum einen nicht an und hätte zum anderen das Versprechen des Optios hinfällig gemacht. Also verharrte er weiter reglos im schweren Dunst seiner nassen Klamotten und mühte sich um Aufmerksamkeit.


    Erstaunlicherweise kam die junge Frau wieder zurück und gab vor, dem Optio eine vertrauliche Mitteilung machen zu wollen, was Avianus wiederum dazu bewegte, mit ihr in der Küche zu verschwinden. Sulca verdrehte vielsagend die Augen, Hispo glotzte blöde, Antias war es recht. Hauptsache, sie kamen hier irgendwann einmal zu einem befriedigenden Ende. Der Optio wusste schon, was er tat. Leise und völlig unerwartet wurde er plötzlich von der verbitterten Wirtin angesprochen. Eine Aussage? Ihm, einem Tiro? Unentschlossen blickte Antias in die Runde. In die Miene des Cluvius kehrte augenblicklich das verschlagene Blitzen geweckten Interesses zurück. Nein, den würde er nicht auf die Frau loslassen, der hatte sein enormes Feingefühl heute schon zu genüge unter Beweis gestellt.
    „Mirjam, richtig?“ entgegnete Antias nicht unfreundlich. „Wenn du etwas auszusagen hast, setzten wir uns am besten dort drüben an’s Fenster. Etwas frische Luft täte uns wohl allen gut.“ Mit einer aufmunternden Geste winkte er die Wirtin hinter sich her.

  • Währenddessen in der Küche


    "Nun, dessen bin ich mir bewusst, dass manche von euch …", begann er, als Sarah geendet hatte.
    wahnsinniger sind, als der Rest, träfe es wohl am besten. Avianus behielt den bissigen Kommentar allerdings für sich.
    "… keine Freunde Roms sind", suchte er irgendwelche anderen Worte, um den Satz zu beenden, und wusste nicht wirklich, wie er weitermachen sollte, denn so recht verstanden, worauf sie hinaus wollte, hatte er nicht. Oder wollte sie ihm etwa noch mehr verraten? Vermutlich. Sonst wäre sie wahrscheinlich nicht hier. Es war durchaus eine angenehme Überraschung, dass offenbar eine Christianierin selbst es war, die freiwillig zu ihnen kam, um ihre eigenen Leute anzuschwärzen.
    "Willst du mir mehr über diese Leute erzählen?", ergriff er also wieder das Wort und blickte sie fragend an. "Ich bin zwar nicht sicher, welche weiteren Maßnahmen meine Vorgesetzten ergreifen werden, doch ich befürchte, bei dieser heutigen kleinen Untersuchung wird es nicht bleiben. Sollte es wieder zu Festnahmen kommen, wäre es bestimmt in unser aller Interesse, wenn wir diese Störenfriede einfangen können, und alle wieder ihre Ruhe haben."
    Wobei er zugeben musste, am liebsten entschied er noch immer selbst, wer eine Gefahr war und wer nicht. Aber vorerst brauchte ihn das nicht zu kümmern. Bis jetzt hatte er weder weitere Befehle, noch hatte sie ihm etwas Neues verraten.

  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/5c9hed8l.gif] | Mirjam


    Ob die Wirtin nun völlig dem Wahnsinn verfallen war oder ob sie wirklich nur darauf hoffte, noch ein Relikt ihrer Tochter zu erhalten, war schwerlich zu erkennen. Ihre geweiteten Augen hätten vielleicht auf ersteres schließen können. Auf jeden Fall aber hatte sie das Interesse des jungen Soldaten geweckt, der bis dahin, seinen Kollegen es gleichtuend, gelangweilt herumgestanden hatte. Er bedeutete ihr, näher zu treten worauf Mirjam ihm zum Fenster folgte und bei ihm Platz nahm. In der Tat waren die frische Luft und der Duft frischen Regens sehr erholsam.
    „Ja richtig, ich bin Mirjam und du musst wissen, dass mein Mann und ich keine von denen sind! Wir sind Juden… keine Christen und wir respektieren den Kaiser. Wir haben uns nie etwas zu Schulden kommen lassen und haben immer pünktlich unsere Steuern gezahlt. Nur seitdem sich dieses Gesocks in unserer Taberna herumtreibt, will das Unglück nicht mehr von uns ablassen! Sieh dir nur meinen armen Mann an! Nur wegen dieser Sektierer wurde er abgeholt und musste wochenlang im Carcer schmoren, bis man ihn gebrochen und verkrüppelt wieder laufen ließ.“ Mirjam wies auf ihren vorzeitig ergrauten Mann, der auf einer Bank lag und eingeschlafen war. Dann sah sie wieder hinüber zur Küchentür, die immer noch geschlossen war. Was mochte nur darin vorgehen? Mirjams Gedanken wurden immer abstruser, wenn sie daran dachte, was Sarah dort drinnen dem Optio alles erzählte. „Dieses Mädchen… Sarah, sie erzählt nur Lügengeschichten und schwärzt damit ehrbare Leute an. In Wirklichkeit ist es sie selbst und ihr Bruder, die die Leute verhexen und sie dazu bringen, sich ihnen anzuschließen! Das haben sie auch mit meiner armen Rachel gemacht!“ Wieder begann sie zu schluchzen und zu jammern.


    Währenddessen in der Küche


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Sarah schätzte die Offenheit ihres Gegenübers. Sie wusste, in ihm hatte sie jemanden gefunden, der gerecht war und ihrem Wort Glauben schenken würde. so würde am Ende nicht die ganze Gemeinde unter der Repressalien der Stadtkohorten leiden, sondern nur die, die es auch betraf. Wenn sich die Urbaner nur auf Leute wie Narseh oder Evander konzentrierten und diese, wie ein böses Geschwür, mit einem sauberen Schritt aus ihrer Mitte heraustrennten, konnten sie und die anderen wieder nachts in Ruhe schlafen. Dann hatten sie nichts mehr zu befürchten und konnten wieder auf friedliche Weise ihrem Gott dienen.
    „Genau aus diesem Grund bin ich noch einmal zurückgekommen. Damit es nur die Störenfriede trifft und nicht all die anderen, die nichts Böses wollen.“ Wie es schien, waren sie darin einer Meinung und diese Feststellung bestärkte sie nur noch mehr, keine Skrupel mehr zu haben, wenn sie nun einige Namen nannte, die ihr in letzter Zeit besonders negativ aufgefallen waren.
    „Zum einen wären da Evander. Aber den habt ihr ja schon erwischt. Evander drängt meinen Bruder schon seit Wochen dazu, sich endlich zu wehren. Und zwar nicht nur mit Worten. Er meint, jeder unserer Brüder sollte sich bewaffnen, damit sie sich und ihre Familien schützen könnten, wenn sie von deinen Männern angegriffen werden. Und Narseh, der Perser, den du mit mir gehen ließest, denkt genauso. Er vertraut keinem von euch und meint, ihr wäret alle unsere Feinde, die man mit Waffengewalt bekämpfen müsste. Es gibt noch ein paar wenige, die auch so denken. Aber die muss man stoppen, bevor sie uns alle in Unglück stürzen!“

  • Der frische Lufthauch, der durch die halbgeöffneten Läden in den Schankraum drang, machte Antias langsam wieder wach und stimmte ihn milde. Er versuchte, Verständnis für die Lage der Wirtin aufzubringen, sah darüber hinweg, dass sie sich noch vor kurzer Zeit gebärdet hatte wie eine Furie, hörte ihr zu und begriff allmählich, dass nicht nur ihr Mann gebrochen war. Sie selbst war es auch. Gebrochen, verbittert und voll Hass auf ihr Schicksal und dessen Personifikation, die Christianer. All das konnte er durchaus nachvollziehen. Gerade deshalb zwang er sich zur Skepsis. Hass hatte die Eigenschaft, das Blickfeld schrumpfen zu lassen und Vermutungen in Tatsachen zu verwandeln. Zweifellos glaubte Mirjam, was sie da sagte, aber sie glaubte ja auch, dass der Umstand, Jude zu sein gleichbedeutend war mit Respekt vor dem Kaiser. Antias hatte schon als Junge die Schriften des Flavius Josephus gelesen. Er wusste sehr wohl, dass nicht die Christianer Rom jahrelang erbittert bekämpft und die Zwölfte bei Bethoron vernichtet hatten. Das waren die Judäer gewesen. Aber auch darüber konnte er letztlich hinwegsehen. Ob nun Jüdin oder Christianerin, Mirjam war Schlimmes widerfahren. Sie hatte es verdient, ernst genommen zu werden, also ließ er sie in Ruhe zu Ende erzählen und dachte dann einen Moment über das Gesagte nach, bevor er antwortete.


    „Ich verstehe, Mirjam. Diese Sarah und ihr Bruder sind also gefährlich.“ entgegnete er schließlich. So sah es zumindest die Wirtin. Gut möglich, dass die junge Christianerin in ebendiesem Moment genau die selben Vorwürfe gegen Mirjam erhob. Im Moment spielte das allerdings keine Rolle. „Du sagst, sie verhexen die Leute, nun gut, aber wie gehen sie dabei vor? Wie muss ich mir das vorstellen? Suchen sie nach Opfern, um ihnen den Willen zu rauben oder lauern sie auf ihre Beute wie die Spinne im Netz?“

  • Währenddessen in der Küche


    Avianus ließ die Frau ausreden und nickte zum Schluss. Er hatte verstanden, was sie wollte, und war doch etwas erstaunt, dass sie dafür sogar ihre eigenen Geschwister, wie sie sie nannte, an ihn verriet. Nur hatte alles auch immer seinen Haken.
    "Danke, dass du uns helfen willst, aber so einfach ist das leider nicht …", begann er vielleicht nicht gerade zur Freude der jungen Frau. Aber dass die ganz schön naiv war, war ja nichts neues. Wie stellte die sich das vor? Zuallererst war es doch die ganze Sekte mit ihrem Misstrauen und ihrem verrückten Glauben, die dafür sorgte, dass Leute wie Evander oder der Perser herumliefen. Die tauchten nicht einfach von selbst auf. Und noch dazu liefen Christianer nicht gerade mit Schildern herum, auf denen zu lesen war, ob sie zu den etwas verrückten oder komplett fanatischen gehörten, die im Ernstfall auch dazu bereit waren, Soldaten der Cohortes Urbanae abzustechen.
    "Was ich meine ist: Wenn wir den Befehl haben Leute festzunehmen, sehen wir denen für gewöhnlich nicht an, welche Sorte Christianer sie sind. Denn sobald irgendwo eine Truppe der Stadtwachen auftaucht, führen sich praktisch alle von euch irgendwie verdächtig auf. Wir müssen dann entweder vor Ort nach Gefühl entscheiden, oder eben die Leute mitnehmen", erklärte er ihr das Problem genauer, damit sie wusste, was er zuvor gemeint hatte.
    "Es sei denn, jemand wäre bereit, uns zu helfen."

  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/5c9hed8l.gif] | Mirjam


    Der junge Soldat schien sie ernst nehmen zu wollen. Zumindest gebärdete er sich nicht wie die anderen Urbaner, die damals nach der Razzia hier aufgetaucht waren und ihren Mann mitgenommen hatten. Mirjam beruhigte sich langsam wieder. All die vielen Tränen und die vielen Klagen konnten ihr ihre Tochter nicht zurückgeben. Noch immer aber schwebte die Hoffnung über ihr. Die Hoffnung, die ihr der Optio gemacht hatte. Darum konzentrierte sie sich wieder auf die Fragen, die ihr der junge Urbaner stellte.
    Natürlich konnte sich der gar keine Vorstellungen machen, wie die Christianer vorgingen, wie sie die Leute einlullten, die anfällig waren für ihre Heilsversprechen. Nach Rachels Tod hatten sie es auch bei ihr versucht. Unter dem Schleier der Nachbarschaftshilfe hatten sie sich hier eingeschleust. Mirjam und Simon aber hatten ihnen bis jetzt widerstanden. „Ja, das tun sie wirklich! Vornehmlich wenden sie sich an Menschen, die sich in einer schwierigen Lage befinden oder denen es nicht gut geht. Sie versprechen ihnen das Blaue vom Himmel. Sie reden von ewigem Leben und Auferstehung. Außerdem behaupten sie, Jehoshua sei der Sohn Jhwhs, was eine pure Gotteslästerung ist! Damit locken sie die Leute zu ihren Treffen. Dort werden sie dann getauft und trinken das Blut und essen vom Leib Jehoshuas.“


    Währenddessen in der Küche


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Sarah hatte es also tatsächlich getan! Sie hatte die Namen genannt und somit in Kauf genommen, dass einige ihrer Glaubensbrüder demnächst verhaftet würden. Nun ja, Evander hatte sich ja schon selbst ins Aus befördert. Aber Narseh wog sich noch in Sicherheit. Sarah sah aber immer noch eine gewisse Berechtigung, in dem was sie tat. Wenn einige wenige für das Allgemeinwohl geopfert wurden und die Gemeinde fortbestehen konnte, dann war das doch gut! Oder?
    Nein, Sarah musste kein schlechtes Gewissen haben… jedenfalls bis sie den Einwand des Optios hörte, der ihr zu verstehen gab, dass es nicht so einfach war, die Störenfriede aus der Masse herauszusieben. Es sei denn…
    Die junge Frau wurde zusehends blass um die Nase. Der Optio verlangte einen Spitzel, der seine Leute regelmäßig mit Informationen versorgte. Aber wer sollte das tun, wenn nicht sie? Natürlich war ihr klar, was geschehen würde, wenn in der Gemeinde herausbekam, was sie da tat. Was würde ihr Bruder dazu sagen? Andererseits konnte sie so viele ihrer Glaubensbrüder vor der Verhaftung schützen. Sarah war hin und hergerissen. ein regelrechter Kampf entbrannte in ihrem Kopf. Doch sie musste sich jetzt und hier entscheiden.
    „Also gut, ich werde euch helfen.“

  • Antias ließ Mirjam erzählen, schabte sich über das stoppelige Kinn und betrachtete dabei das bewegte Gesicht der Wirtin. Ihre Züge waren verzerrt, hatten aber nichts perfides an sich. Angst war darin zu erkennen, Schmerz und auch Hass. Jedoch hatte der Hass es noch nicht vermocht, tiefe Spuren in dieses Gesicht zu graben, er war dort nicht zuhause, nur zu Gast. Lidyas’ trauernde Augen lagen tief in den Höhlen, umflort von bläulichen Höfen, aber aus ihren Augenwinkeln fächerten sich feine Linien über die dunkle Haut, die gleichen dünnen Fältchen, die auch ihre Mundwinkel umspielten. Mirjam hatte einst viel und gerne gelacht. Was sie sagte, war bitter, böse und bizarr, vor allem aber war es plausibel. Das Ausnützen von Schwäche war seit jeher ein probates Mittel, sich seine Mitmenschen gefügig zu machen. Spann man diesen Gedanken konsequent weiter, erschien es sogar logisch, dass Schwäche und Not am zuverlässigsten ausgenutzt werden konnten, wenn sie zuvor absichtlich herbeigeführt worden waren. Den Glauben alleine konnte man den Christianern nicht anlasten, wenn sie ihn allerdings mit aggressiven Mitteln verbreiteten, sah das ganze schon sehr viel anders aus.


    „Gut. Ich glaube dir, Mirjam.“ stellte er ruhig fest. „Wir werden deinen Hinweisen nachgehen, auch wenn sie schon etwas haarstäubend klingen, aber ich glaube dir. Eine Sache macht mir dabei allerdings Kummer. Du und dein Mann, ihr wisst das alles und beherbergt die Christianer trotzdem unter eurem Dach? Ein weniger wohlwollender Urbaner als ich es bin, würde daraus schließen, dass wohl auch ihre Versammlungen hier stattfinden. Es ist doch nicht etwa so, Mirjam?“

  • Währenddessen in der Küche


    Sarah stimmte nicht sofort zu, und man sah ihr an, dass es ihr nicht leicht fiel, eine Entscheidung zu treffen. Avianus beobachtete sie abwartend, immerhin würde er sie nicht zwingen, sich gewissermaßen auf ihre Seite zu schlagen, und tatsächlich trug seine Geduld Früchte. Ein dünnes Lächeln glitt über seine Züge.
    "Gut, beobachte deine Leute. Wer verhält sich auffällig? Wer zeigt sich dem Princeps und seinen Soldaten gegenüber feindselig? Wie viele sind sie? Sammle nützliche Informationen. Falls du mich dringend sprechen willst, frag' am Tor der Castra nach mir. Optio Iunius Avianus, Cohors XII Centuria III", gab er Sarah einige kurze Anweisungen, wobei sie selbst vermutlich ohnehin am besten wusste, was unter Christianern normal war und wer eine Gefahr darstellen könnte. Für ihn waren sie schließlich alle mehr oder minder auffällig.
    "Ich werde mich in der Zwischenzeit mit meinen Vorgesetzten unsere weitere Vorgehensweise abklären, und versuchen, sie für diese zu gewinnen, falls sie andere Pläne haben." Würde er das? Er war mit der Überzeugung in die Taberna getreten, diesen Schwachsinn ein für alle Mal zu beenden. Er hatte sich noch nie wohl dabei gefühlt, Leute zu belügen, und nicht sicher zu sein, ob man log oder nicht, schien ihm keinen Deut besser. Aber je schneller er die Sache hinter sich brachte, desto eher konnte er hier raus, und in Ruhe seine Gedanken ordnen. Oder einfach einzig und allein dem Praefectus die Entscheidung überlassen.
    "Kann ich dich auch in Zukunft über diese Taberna finden?"

  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/5c9hed8l.gif] | Mirjam


    Mirjam war richtig in Rage geraten, was wohl auch dazu beigetragen hatte, dass der junge Soldat ihr nun Glauben schenkte. Nun ja, vielleicht hatte sie ein bisschen dick aufgetragen. Und dass die Christianer Blut tranken und Menschenfleisch aßen, hatte sie nur einmal auf der Straße aufgeschnappt. Den Christianern, die ihnen seit einigen Wochen beim Wiederaufbau ihrer Taberna halfen, traute sie das zwar nicht zu. Dennoch hatte sie sich bisher nicht zu dem letzten Schritt überwinden können, sich ihnen anzuschließen.
    Der Urbaner allerdings sprach dann etwas an, was wohl jeden anderen dazu veranlasst hätte, sie und ihren Mann mit samt dem ganzen Rest der Christianertruppe dingfest zu machen. Langsam aber sicher fühlte sich die Wirtin in die Enge getrieben. Ja sie wusste dass alles über die Christianer. Andererseits waren sie aber die Einzigen, die ihnen in dieser schwierigen Zeit geholfen hatten und nun auch noch mit anpackten… und zum Dank dafür verriet sie sie nun!
    Mirjams Gesicht nahm eine rötliche Farbe an. Eigentlich schämte sie sich hierfür, doch im Augenblick blieben ihr nicht viele andere Möglichkeiten, um aus der Nummer wieder herauszukommen und gleichzeitig auch noch Neuigkeiten zum Verbleib ihrer Tochter zu erhalten.
    „Es ist nicht so, wie es aussieht! Sie haben sich uns aufgedrängt. Und da mein Mann zu schwach ist, haben wir ihre Hilfe angenommen. Doch für ihre Versammlungen ist hier kein Platz! Mein Mann würde das keinesfalls dulden!“


    Währenddessen in der Küche


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Auch nachdem sie sich entschieden hatte, fühlte sie sich noch immer nicht besser. Ein fahler Geschmack im Mund blieb zurück. Aber sie wusste auch, dass nur ihr Verrat sie noch retten konnte. Also nickte sie bei allem, was der Optio ihr nun sagte. Sie würde von nun an ihre Augen aufhalten und jeden genauer unter die Lupe zu nehmen, der auch nur eine falsche Bemerkung machte. Auch seinen Namen und wo sie ihn finden konnte, prägte sie sich gut ein. „Optio Iunius Avianus, Cohors XII Centuria III,“ wiederholte sie. Sie hoffte auf ihn, dass es ihm gelang sich bei seinen Vorgesetzten für ihre Leute verwendete. Er würde das ganz sicher tun, davon war sie überzeugt. Dieser Urbaner war ausnahmsweise ein guter Mensch. Gott selbst musste ihn ihr geschickt haben, um die Gemeinde in diesen schwierigen Zeiten vor großem Unheil zu bewahren.
    „Ja, ich bin öfters hier, um Mirjam zur Hand zu gehen,“ antwortete sie ihm. „Kann ich jetzt gehen?“ Sicher würde es mit der Zeit Aufsehen erregen, wenn sie noch länger mit dem Optio alleine sprach.

  • Antias begriff durchaus, in welcher Zwickmühle sich die verbitterte Wirtin befand. Jede Anschuldigung, die sie gegen die Christianer erhob, konnte eben so gut auf sie selbst und ihren Mann zurückfallen. Je gefährlicher sie die Umtriebe dieser Sarah und ihresgleichen beschrieb, desto fragwürdiger musste Mirjams’ eigene Rolle bei alldem erscheinen. Hätte Antias es darauf angelegt, es wäre ihm ein leichtes gewesen, ihr aus ihrer Mitwisserschaft einen Strick zu drehen, aber das hatte er nicht vor. Mirjam war kein kalt berechnender Mensch, sondern eine verzweifelte Mutter, die sich an jeden Funken Hoffnung klammerte, etwas über das Schicksal ihrer Tochter zu erfahren. Noch immer konnte er sich nicht vorstellen, was diese obskure Razzia damals derart aus dem Ruder hatte laufen lassen. Die Urbaner konnten ihre Augen und Ohren nicht überall haben und waren nach seinem Dafürhalten auch auf eine gewisse Unterstützung der Cives und Perigrini angewiesen, um ihrer Aufgabe, die Urbs und ihre Bewohner zu schützen, wirklich gerecht werden zu können. Mit brutaler Willkür und blinder Zerstörungswut verschüttete man nur kostbare Quellen und machte das Volk zu heimlichen Feinden der Ordnungsmacht.


    „Schon gut, Mirjam.“ lächelte er der Wirtin besänftigend zu. „Beruhige dich, ich glaub dir ja. Wären wir gekommen, um euch mitzunehmen oder euer Haus zu verwüsten, hätten wir das längst getan. Leider sind nicht alle Urbaniciani gleich, die Offiziere schon gar nicht. Mein Optio ist wahrlich kein Unmensch, euch beiden droht keine Gefahr von unserer Seite. Dass du offen mit mir sprichst, kann sich nur zu eurem Vorteil auswirken.“ Nachdenklich lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und gönnte sich ein paar tiefe Züge der feucht frischen Regenluft. Nein, er war nicht hier, um den Wirtsleuten Schwierigkeiten zu machen, es ging um Informationen. Was im Hinterhof geschehen war, konnte Mirjam nicht angekreidet werden. Dennoch war es geschehen.
    „Ich werde deine gut gemeinte Warnung vor Sarah und den demagogischen Elementen ihrer Sekte ebenso weitergeben wie meine Überzeugung, dass deren Rituale nicht unter eurem Dach stattgefunden haben. Wo sie stattdessen stattfinden, weißt du aber sicher, nicht wahr?“

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