Die Tränen beeinträchtigten ihre Sicht. Aber es war ihr auch egal, ob sie die Leute, die an ihr vorbei liefen sich nach ihr umdrehten. Sollten sie doch glotzen. Es war ihr alles egal. Ein Leben wie dieses, ohne Liebe und ohne einen echten Halt, war wohl die schlimmste Strafe, die sie hatte treffen können. Wie sollte sie so nur weiterleben? Nie wieder würde ein Tag vergehen, an dem sie sich nicht Vorwürfe machen würde. Sie hatte alles falsch gemacht im Leben. Wäre sie nur in Misenum an der Seite ihrer toten Domina geblieben!
Plötzlich jedoch ergriff jemand ihren Arm, sie erschrak fast zu Tode, sie versuchte sich noch mit der freien Hand zu wehren und schrie dabei auf – aber ohne Erfolg. Sie konnte nicht einmal ihren Angreifer erkennen. Als sie in die nächste Seitengasse gezerrt wurde, glaubte sie bereits, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. Doch dann wurde der Griff um ihren Arm gelöst. Blitzschnell wandte sie sich um und erschrak noch mehr. Nein, es war kein Trugbild. Er war aus Fleisch und Blut und schaute ihr lange, ohne auch nur ein Wort zu sagen an. Für Beroe schien auf einmal die Zeit stehen zu bleiben. Sie traute sich nicht einmal mehr zu atmen, geschweigen denn etwas zu sagen. Er war es wirklich und er stand vor ihr. Doch würde er ihr wohlgesinnt sein oder sie am liebsten verfluchen.
Schließlich sagte er ihren Namen und wischte ihre Tränen fort. Wie sehr hatte sie sich nach seiner Berührung gesehnt! Nächtelang hatte sie wachgelegen und darauf gehofft, ihn noch einmal wiedersehen zu können. Seine Stimme hatte belegt geklungen, als habe er dieses Wort S i e b e l schon eine Ewigkeit nicht mehr ausgesprochen. Dann, allmählich füllten sich seine Augen mit Tränen und noch einmal sprach er ihren Namen aus, doch diesmal war all sein Krummer darin hörbar, den er in all der Zeit hatte erdulden müssen.
„Aulus!“, flüsterte sie ihm endlich zu. „Es tut mir so leid!“ Schuldbewusst senkte sie ihren Blick. Sie wagte es nicht, ihn zu umarmen geschweige denn zu küssen, auch wenn dies ihr größter Wunsch war. Doch sie fürchtete, von ihm zurückgewiesen zu werden. Das hätte sie nicht ertragen können.
Derweil in der Taberna
Einige der Fremden zeigten sich gegenüber Elias´ Großzügigkeit gar nicht abgeneigt und nahmen gerne die Becher entgegen. Er nickte auch den anderen aufmunternd zu, sich nicht zu scheuen. „Schon gut! Ihr seid unsere Gäste.“ Er war davon überzeugt, auf diese Weise alle eventuellen Probleme aus dem Weg räumen zu können, falls es die überhaupt gab. Denn eigentlich wusste bisher noch niemand so genau, was die Fremden eigentlich wirklich hier wollten.
„Nun, was zieht euch hierher? Können wir euch bei etwas behilflich sein?“, fragte er schließlich, als sich alle bei dem Wein bedient hatten. Nicht allen gefiel diese übertriebene Freundlichkeit. Anscheinend wuchs sogar der Argwohn bei den übrigen Christen, die den Fremden nicht das Geringste abgewinnen konnten. So war es dann auch Narseh, der an Elias herantrat und ihn zur Vorsicht mahnte. „Mein Freund, wir haben nichts zu befürchten,“ entgegnete er ihm freundlich. Im Grund hatte er ja recht. Sie taten hier nichts Gesetzwidriges. Sie waren nur eine Handvoll Männer, die die Taberna renovierten…
Zur gleichen Zeit vor der Taberna
[Blockierte Grafik: http://s1.directupload.net/images/140914/o5ayno8p.gif] | Ashraf
Nachdem er seine Arbeit in der Backstube beendet hatte, trat Ashraf hinaus auf die Straße. Seine Frau und die beiden Töchter verkauften indes das Brot in ihrem Ladengeschäft. Ihr kleiner Laden ging gut, über mangelnde Kundschaft konnten sie sich nicht beklagen. Seitdem er sich hatte taufen lassen, kauften alle Familien der Gemeinde ihr Brot bei ihm. Zufrieden schritt er die Straße hinunter, ein Liedchen auf den Lippen. Er war auf dem Weg zur Taberna. Auch er hatte Simon, dem Wirt seine Hilfe angeboten. Lieber spät, als nie, dachte er sich. Aber sein eigenes Geschäft ging natürlich vor.
Sein Lied verstummte, als er seinen Blick zum Laden des Kunstschmiedes wandte. Offenbar gab es dort Ärger. Ashraf verlangsamte seinen Schritt, um den Disput zwischen dem Schmied und seinem seltsam wirkenden Kunden zu beobachten und um einige Wortfetzen auffangen zu können. Seltsam, warum trug der Kerl einen langen Mantel und das mitten im Sommer? Spätestens bei dem Wort Urbaner wurde er hellhörig. Ashrafs Schritte wurden wieder größer. Er ließ den Kunstschmied hinter sich, überquerte die Straße und eilte in die Taberna. Ohne darauf achtend, was dort gerade vor sich ging, rief er seine warnenden Worte in den Raum hinein: „Urbaner! Es sind Urbaner im Viertel! Einer von ihnen ist gerade drüben, bei dem Kunstschmied!“