Nikolaos lächelte milde.
"Du enttäuschst mich keineswegs. Warum sollte man die Redekunst lernen, ohne sie anzuwenden? Dabei dürfen wir allerdings nie aus dem Auge lassen, dass wir in erster Hinsicht zum Wohlgefallen der Götter Künste erlernen und ausüben sollten."
Er ließ die Fingerknöchel knacken und sah einen Augenblick in den schattigen Garten hinaus. Vom Meer her kam eine salzige Brise. Im Garten zwitscherten Vögel. Eine schöne Insel hatten die Ptholomäer den glänzenzenden Gelehrten der Oikumene errichtet. Eine schöne und verlogene Insel angesichts der schmutzigen Flut, die da draußen brandete. Nikolaos hoffte, diese Insel würde den Stürmen wenigstens noch einige Jahrhunderte lang trotzen, oder wenigstens solange Nikolaos lebte.
"Ich möchte dir zu deiner ersten Unterrichtsstunde eine Aufgabe geben:
Ein Stadtoberster eines Municipiums, der sich zuvor nie etwas zu schulden kommen ließ, nimmt Geld aus der Stadtkasse und verkauft Staatssklaven unter der Hand, um aus den Einnahmen seiner Tochter, die sein einziges lebendes Kind ist, eine große Mitgift in die Ehe zu geben und das Haus der zukünftigen Brautleute zu vergrößern und verschönern. Er besticht Stadtsekretäre, um sein Vergehen zu verschleiern. Als ein Dekurio ihm auf die Schliche kommt, läßt er diesen von - heimlich von ihm gedungenen- Räubern in seinem Haus überfallen.
Dies alles kommt ans Licht.
Nun wird der Stadtoberste angeklagt.
Schreibe eine Rede für seine Verurteilung und eine zu seiner Verteidigung. Du wirst merken, dass eine der beiden Aufgaben wesentlich schwerer ist. Dennoch sollen beide Reden gleichermaßen überzeugend sein. Schreibe sie und lerne, sie aus dem Gedächtnis aufzusagen."
Er sah dem Gast tief in die Augen.
"Möchtest du auch als Schüler des Mouseions in die Listen eingetragen werden? Dies hätte den Vorteil, dass du damit im Mouseion leben dürftest und auch an den Speisungen teilnehmen könntest."