Hortus | Wie ein Blatt im Wind

  • Die frühsommerliche Sonne drängte in warmer, ermüdender Schwere auf das Land hinab, hatte sich wie ein Tuch über Rom gelegt, welches doch nichts von seiner Hektik ob dessen einbüßte. Im Garten der Villa Flavia jedoch war nichts von all dieser Hektik zu spüren, selbst die Hitze blieb unter den dunklen, grünfarbenen Blättern der fein säuberlich gestutzten Büsche und Bäume erträglich, und jene wenigen, welche dort ihre Arbeit bisweilen verrichteten - der Hausgärtner samt seines Gefolges -, stellten diese ein, sobald eine der Herrschaften im Nahen war. Nichts drängte Gracchus danach, sein Cubiculum zu verlassen, denn ohne die vollständige Herrschaft über sich selbst fühlte er sich nackt und schutzlos, verwundbar, doch hatte der Medicus darauf bestanden, dass er zumindest ein wenig frische Luft, ein wenig Tageslicht an sich heran ließ, gleichsam beteuert, der Garten würde seine Sinne in Gang und düstere Gedanken von ihm fern halten. Bereits auf dem Weg jedoch hatte Gracchus die Entscheidung bedauert, denn sein Körper schien ihm wie ein einziger Makel, schwach, unzuverlässig, fehlerhaft und unkoordiniert in seinen Bewegungen, und als Sciurus ihn endlich auf der Kline im Garten alleine ließ, schloss er die Augen und suchte einige endlose Augenblicke vergeblich seinen Fesseln zu entkommen, sich selbst zu entkommen, bis dass wie aus einer fernen, anderen Welt ein leises Rascheln ihn zurück in die Realität holte. Es dauerte einige Momente, bis er des kleinen Vogels wurde gewahr, welcher im Halbschatten unter Felix' Rosen mit seinem blassen Schnabel im Boden nach Futter pickte und die Ursache des Geräusches war.

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  • Bestürzt hatte Epicharis von einer mittelmäßigen Bekannten von dem Gerücht gehört, dass der flavische Pontifex derzeit an Schwäche und Krankheit litt. Zwar wusste sie nicht, was an der Sache dran war, doch gebot ihr das ihr eigene Wesen, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie einer ersponnenen Mär anheim gefallen war. Zur Sicherheit allerdings ging sie von der Wahrheit dieses Gerüchtes aus, und dies war auch der Grund, warum die sie begleitende Sklavin ein kleines Beutelchen mit sich führte, als Epicharis an diesem sommerlich warmen Tag die Villa der Flavier aufsuchte, um ein Treffen mit Gracchus zu erbitten.


    Bereits an der Porta hatte man ihr mitgeteilt, dass sie sich einen Moment gedulden möge, damit man den tatsächlich nicht wohlbefindlichen Flavier hierzu befragen - oder sich zumindest davon überzeugen, dass er besuchsfähig war - konnte, und Epicharis wartete mit besorgter Stirnfalte im Atrium neben dem Wasserbassin mit seinen beinahe zur Gänze entfalteten Seerosen. Die Wartezeit erschien ihr wie eine Ewigkeit, in der sie hoffte, dass es nur eine leichte Verstimmung sein mochte, die Gracchus befallen hatte. Dann, endlich, kehrte der Sklave zurück und bat sie, ihm zu folgen. Die Claudierin nahm das Beutelchen an sich, das bisher die Sklavin gehütet hatte, und ließ selbige im Atrium wartend zurück. Leichtfüßig betrat sie den Garten, und ebenso, wie ihr die üppige Blütenpracht ins Auge stach, so fiel ihr sogleich auch die Blässe des Körpers auf, dem sie sich näherte. Der Sklave trat beiseite und verließ sie sodann, und Epicharis schritt näher und ließ sich neben der Liege in die Hocke sinken. "Gracchus?" hauchte sie leise, und Sorge schwang in ihrer Stimme mit. Sie zögerte kurz, doch dann legte sie ihre Hand behutsam auf die seine und drückte sie flüchtig, ehe sie sie wieder los ließ.

  • Es war Sciurus gewesen, welchen der Sklave von der Pforte befragt hatte, ob dessen Herr Besuch würde empfangen, denn jener wachte auch ohne Gracchus' Wissen stets darüber, dass niemand diesen störte. Uneins war sich der Sklave über den Besuch der Claudia gewesen, denn obgleich er beinah jede andere Person hätte abgewiesen, so war er sich dessen bewusst, dass sein Herr die Verlobte seines Vetters durchaus zu schätzen wusste, gleichsam hatte Sciurus bisweilen nicht viele Menschen erlebt, welche Gracchus durch ihren Esprit hatten zum Lachen gebracht, weshalb er schlussendlich dem Begehr der jungen Dame hatte zugestimmt ohne auch nur seinen Herrn davon unterrichtet zu haben. Ob dessen gänzlich unvorbereitet achtete Gracchus anfangs nicht auf die sich nähernden Schritte, wandte erst langsam den Kopf als Epicharis bereits beinahe angekommen war. Es dauerte einige weitere Augenblicke, bis dass er sich ihrer Anwesenheit, ihrer Person wurde gewahr, doch in jenem Moment zog sich ein regelrechter Ruck durch seinen Leib, da er eilig suchte, sich aufzurichten, aufzustehen, wie stets den Anschein der Gravitas zu wahren. Es blieb jedoch bei dem Wunsch des Gedankens, denn gerade ob des resoluten Begehrs, mit welchem Gracchus die Bewegung zu forcieren suchte, scheiterte die Umsetzung, verlor sich irgendwo auf dem Weg zur Ausführung. Es war ihm unsäglich unangenehm, dass die Verlobten seines Vetters ihn in jenem deplorablen Zustande antraf, ungeachtet der Tatsache, dass er mit ihr bereits ohnehin beinahe mehr deplorable Zustände hatte geteilt denn selbst mit seiner Gemahlin. Er wollte ihren Namen nennen, doch von dem anvisierten Claudia blieb nur ein halb in seiner Kehle stecken bleibendes C übrig, ganz als müsse er selbst sich davor bewahren und daran erinnern, dass sie über dies bereits hinaus gekommen waren. Mochte selbst sein Mahnen und Erinnern nicht genügen, so war es denn die Berührung Epicharis', zaghaft und sanft, so similär jener, mit welcher Leontia seine Hand stets hatte gedrückt, und nicht nur ob dessen musste Gracchus sich eingestehen, dass Epicharis' immerwährend beschwingte, filigrane Anwesenheit weit schwerer wiegte denn die Anwesenheit seines eigenen, maroden Leibes und des Scham ob dessen, so dass für einen Augenblick seine Mundwinkel sich anhoben.
    "Ep'cha...ris."
    Obgleich ihr Praenomen angemessener war, so wollte auch jenes nicht recht seiner Kehle entkommen, stolperte er an der Abfolge der Buchstabenreihe. Doch die Worte drängten weiter aus ihm heraus, fürchtete er doch, sie würde sonstig allzu schnell weiter ziehen, denn ohnehin war sie vermutlich gekommen, um Aristides oder allfällig Antonia zu sehen.
    "Wie ... 's ... dir ...?"
    Die Worte aus sich heraus zu zwingen bereitete sichtlich ihm Mühe, und erst als jenes holprige Konstrukt den Weg durch seine Ohren zurück in ihn selbst gefunden hatte, wurde er sich des Defizites bewusst, suchte sich auf jenes kleine, fehlende Wort zu konzentrieren und kämpfte gegen die Barriere in seinem Inneren an, welche ihm im Wege stand.
    "... g ... g'ht ... "
    Obgleich eine Ausbeute von drei Vierteln nicht eben unbrauchbar war, stellte sie Gracchus nicht zufrieden, doch noch ehe die unzureichende Ausbeute zurück in seinen Sinnen angelangte, näherten sich erneut Schritte, leise und unauffällig. Sciurus trat mit einem weiteren Sklaven heran, welcher einen Stuhl für die Patrizierin herbei stellte, während Gracchus' Leibsklave einen weiteren Becher auf den kleinen Tisch neben der Kline abstellte und mit Flüssigkeit aus der Kanne füllte. Während der namenlose Sklave sich still wieder entfernte, blieb Sciurus einen Moment lang unauffällig abwartend stehen.

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  • Die Sorge hätte nicht deutlicher ersichtlich sein können, hätte sie in goldenen Lettern auf der claudischen Stirn geprangt. Epicharis bedachte Gracchus sowohl während seines zum Scheitern verurteilten Aufsetzens als auch während der hervorgewürgten Worte äußerst betroffen an. Sie konnte förmlich spüren, wie unwohl er sich fühlte, und wie sehr es ihm zu schaffen machen musste, dass er die Förmlichkeiten nicht wahren und sie eines Besuchers angemessen begrüßen konnte. Die ganze Situation erinnerte sie an ihren Aufenthalt in Hispania, als sie sich mehr als zwei lange Jahre um ihre Tante gekümmert hatte, bis diese letztendlich den Styx passiert hatte. Epicharis wusste, dass man eine solche Situation mit Mitleid nur noch schlimmer und unangenehmer für den Betroffenen machte, ganz gleich, ob man selbst sich einfach nur zurückziehen und in Mitleid ergießen wollte. Und dabei spielte es keine Rolle, ob derjenige nun im Sterben lag oder einfach nur krank war. So blieb die sorgenvolle Miene nur noch kurz bestehen, ehe ein wärmendes Lächeln die helle Haut Epicharis' überzog und sie Gracchus' Hand nochmals ein wenig drückte, ehe sie die Hand fort nahm.


    Der Schatten des Flaviers, Epicharis hatte seinen Namen zwischenzeitlich wieder vergessen, sorgte derweil dafür, dass sie einen bequemen Stuhl erhielt, und sie nickte ihm kurz dankbar zu, bevor sie sich erneut auf Gracchus konzentrierte. "Oh, mir geht es hervorragend", erwiderte sie und rückte sich den Stuhl ein wenig näher an die Kline heran, ehe sie Platz nahm. "Das gleiche wollte ich dich fragen, mein Lieber. Du hast dir einen herrlichen Tag ausgesucht, um die Sonne ein wenig zu genießen. Ich dachte mir, ich besuche dich einmal, dir muss schrecklich fade zumute sein. Ich habe dir auch etwas mitgebracht", sprudelte sie - scheinbar unbekümmert - weiter, während sie bereits das kleine Beutelchen hervorzog und an einem dünnen Silberkettchen etwas daraus hervorzog. Es handelte sich um einen flachen, rund geschliffenen Heliotrop von giftgrüner Farbe mit rostroten Einschlüssen, der in einer schlichten Einfassung an der Kette baumelte. "Das wird dir helfen, schnell wieder auf die Beine zu kommen. Ganz gewiss", prophezeihte Epicharis äußerst zuversichtlich und nickte. "Ein Heliotrop. Diese Steine regen den Geist an und helfen dem Körper, sich einer Krankheit zu erwehren. Außerdem schützen sie vor bösen Geistern." Das zumindest hatte ihr der ägyptische Händler glaubhaft versichern können, ebenso wie er ihr berichtet hatte, dass dieser Stein erst vor wenigen Tagen eine Segnung an einem Schrein der Cardea erfahren hatte. Zur Sicherheit hatte Epicharis selbst noch einmal einen Schrein der Göttin der Gesundheit, Scharniere und Schwellen aufgesucht und mit ein paar frischen Blumen und Opferkeksen darum gebeten, den zukunftigen Träger dieses Anhängers recht bald genesen zu lassen. Und nun, da sie die einfache Schließe geöffnet hatte, hielt sie ihm Gracchus hin, damit sie ihm die Kette umlegen konnte. Eine Widerrede würde sie nicht dulden, das machte ihr Blick deutlich.


    "Wie geht es Antonia?" fragte sie wie nebensächlich und wunderte sich gleichermaßen, dass ihre Verwandte sich gar nicht so recht um den armen Gracchus zu kümmern schien. Irgendetwas war faul daran, das vermutete sie nun schon sehr lange, und sie ahnte, dass es an der Kinderlosigkeit Antonias liegen mochte. Verstohlen warf sie dem Sklaven einen Blick zu, ließ flüchtig ihre Sorge durchscheinen und runzelte betroffen die Stirn, als wolle sie ihn stumm fragen, ob es denn nichts gab, das sie darüberhinaus noch tun könne. Doch im nächsten Moment schon sah sie wieder Gracchus an, erneut augenscheinlich fröhlich und den schlechten Zustand gekonnt überspielend, in dem er sich befand. "Vielleicht kann ich dich zu einer Runde Senet herausfordern? Es ist schrecklich", klagte sie gekünstelt. "nie findet sich jemand, der den Mut hat, gegen mich zu spielen..."

  • Viel zu schnell sprudelten die Worte der Claudia aus ihrem Munde und es kostete Gracchus einiges an Mühe, ihr durch diese Wortkaskade zu folgen, welche nur langsam in sein Bewusstsein eintröpfelte. Während sie bereits bei dem heilenden Schmuckanhänger angekommen war, blinzelte Gracchus ein wenig verwirrt in den sommerlichen Himmel hinauf, als würde ihm erst nun in diesem Augenblicke gewahr werden, dass in der Tat der Tag den Ausdruck der Herrlichkeit verdiente und die Sonne eine regelrechte Pläsir war. Sanft wiegten sich die dunklen, satt grünfarbenen Blätter der Bäume im kaum vorhanden Hauch des Windes, spendeten angenehmen Schatten, während das warme Licht der Sonne die Welt umschmeichelte und mit einem zarten Glanz belegte. Felix' Rosen reihten sich ein in ein Fest aus bunten Blüten, ließen ihr betörendes Odeur durch den Garten schweifen wie eine klandestine Reminiszenz an vergangene Tage, unterlegt vom leisen, beständigen Hintergrundrauschen eines Springbrunnens. Wann hatte er sich zuletzt an einem solchen Tage gütlich getan? Gracchus konnte sich nicht daran erinnern, zu lange hatte er die Tage mit Pflichten angefüllt, selbst Feiertage mit jenen des Cultus Deorum, und bis an diesen Tagen je alle Pflichten halbwegs erledigt gewesen waren, hatte die Sonne sich längstens vom abendlichen Himmel verabschiedet. Es musste beinahe scheinen als hätte Gracchus sich in seinen Gedanken verloren, doch schlussendlich wandte er den Kopf wieder Epicharis zu, betrachtete den grünfarbenen Stein in ihren Händen, und auch dies gereichte nurmehr, ihn weiter zu verwirren. Sie war seinetwegen gekommen. Er blickte auf zu ihr, wollte etwas sagen, doch es wollte ihm nichts in die Sinne gelangen, was jener Tatsache hätte Rechnung getragen. Sie war seinetwegen gekommen. Nicht aus familiärer Pflicht, nicht aus Klientelspflicht, nicht, um zu bitten, nicht, um zu fordern, nur um seiner selbst Willen.
    "... Dank' ..."
    Da auch dies Wort sich sträubte über seine Lippen zu treten, quittierte er das nicht ausschlagbare Angebot zudem mit einem Nicken, hob langsam die Hand, den Stein zu berühren. Angenehm kühl fühlte er sich an seinen Fingerspitzen an, und nicht nur ob dessen akzeptierte er das Kleinod bereitwillig. Gleichsam wie Gracchus überaus empfänglich für allerlei Arten von Flüchen war, so legte er mehr Hoffnung in die Hilfe der Götter und Geister denn in jene durch Ärzte gegebene, selbst dann noch, wenn die Götter ihm ihre Gunst verweigerten, wie dies in seiner Ehe der Fall war. Ob Gracchus die Nachfrage bezüglich Antonia überhörte, ob allfällig sie nicht bis in seinen Geist vordrang, er jene wollte überhören oder gar ignorierte, wusste er nicht einmal selbst, doch eine Antwort blieb er schuldig. Ohnehin hätte er keine Antwort darauf zu geben gewusst, hatte er Antonia doch nicht gesehen, seit sein Geist aus der Dämmerung erwacht war, und noch immer hatte er versäumt, Sciurus danach zu fragen, wie lange jener Zustand hatte angedauert, allfällig aus Furcht vor der Antwort. Vergessen war zudem seine Gemahlin in diesen Augenblicken, denn die sorglose Leichtigkeit Epicharis' entfaltete erneut ihre bezaubernde Wirkung auf ihn, der er sich jener epiphanen Eleganz nicht konnte entziehen, und tief in seinem Inneren, weit verborgen hinter dicken Mauern, allfällig im Keller seines Gedankengebäudes, nährte dies unbemerkt das kleine, grünfarbene Flämmchen Neid, welches er seinem Vetter Aristides entgegen brachte. In seinen Augen jedoch loderte nur ein Flämmchen freudigen Ehrgeizes auf. Er war nicht sonderlich versiert im Senet, doch taktisches Geschick mit Würfelglück zu kombinieren, dabei nie den Gegner aus den Augen zu verlieren, bot durchaus reizvolle Kurzweil, insbesondere mit einem solchen Gegner im Auge wie die Verlobte seines Vetters dies war. Er nickte darob zur Antwort auf Epicharis' Frage, gab seinem Sklaven durch einen Blick zu verstehen, dass jener ein Spielbrett sollte herbeischaffen. Einige Augenblicke der sprachlichen Stille zogen sich dahin, nicht nur durch Gracchus' Sprachlosigkeit gegeben, sondern auch da es ihn in keinster Weise drängte, jene natürliche Stille zu durchbrechen, in welcher sie beide als partizipierende Partikel dahin schwammen. Gracchus sah sehr wohl die Sorge in ihren Augen, war um so dankbarer dafür, dass sie nicht aussprach, was sie dachte, jene Sorge hinter ihrer exzeptionell Euthymie verbarg, und suchte darob unverwandt ihren Blick. Sie war so erklecklich divergent zu Antonia, und ohne jenen den beiden gemeinsamen nomen gentile hätte er kaum je vermutet, dass beide einem gemeinsamen Ursprung entsprungen waren. Er suchte sich vorzustellen, mit einer solchen Frau verheiratet zu sein, doch er wusste genau, dass es auch dies nicht würde einfacher machen. Er würde keiner Ehefrau je zur Zufriedenheit gereichen können. Die Stille verstrich und Sciurus trat erneut heran, rückte den kleinen Tisch zurecht und legte ein Senetbrett darauf. Gracchus erkannte es sofort, denn es stammte aus seinem eigenen Besitz, war ein Geschenk seiner Mutter gewesen, welche viele Jahr in Aegyptus hatte gelebt, die Einfassung aus edlem, dunkelfarbenem Holz, die Spielfelder aus Muschelintarsie, die Häuser mit filigranen, aegyptischen Schriftzeichen bemalt. Neben das Brett legte der Sklave die Spielsteine und vier kleine, beinerne Stäbe, welche als Würfel dienten, zog sich sodann wieder in den Hintergrund zurück. Mit einem Fingerzeig deutete Gracchus an, dass Epicharis beginnen möge.

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  • Das kaum hörbare Dankeswort wische Epicharis kurzerhand mit einer entsprechend leichtfertigen Geste und einem Lächeln hinfort. "Nicht dafür", wies sie ihn zurecht und platzierte den schlichten und - hoffentlich - machtvollen Anhänger sogleich dort, wo er ihrer Meinung nach schleunigst hingehörte, nämlich auf Gracchus' Brust. Wenngleich sich Epicharis selbstredend nicht anmaßte, den Heilstein auf nackte Flavierhaut zu legen. Vielleicht hätte sie dies bei Aristides getan, aber nur ganz vielleicht. So musste hier ein entsprechender Hinweis genügen. "Er entfaltet seine Wirkung viel besser, wenn du ihn direkt auf der Haut trägst", riet sie ihm also. Den leicht durcheinander erscheinenden Ausdruck auf seinem Gesicht interpretierte sie als eine Spielart der Krankheit, nicht etwa als Verwirrung über die Geste der Freundschaft, die sie zu diesem Besuch gebracht hatte. Allerdings fragte sich die Claudierin kurzzeitig, wofür genau sich Gracchus bedankte - ob für den Heilstein oder für ihren Besuch? Im Grunde war es aber auch nicht wichtig, denn Epicharis hatte beides gern getan. Und tat es noch, auch wenn Gracchus an diesem Tage kein guter Gesprächspartner war.


    Sein Nicken allerdings, gepaart mit dem flüchtigen Leuchten seiner Augen, ieß auch Epicharis kurz vorfreudig erstrahlen. Kurz huschte der Blick zu Sciurus, der sich aufmachte, das Spiel herbeizuholen, dann musterte sie zum ersten Mal seit ihrem Eintreffen im Garten die vielen hübschen Rosen, welche die Luft mit ihrem Duft beinahe zum Vibrieren brachten. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, oder eher bei Epicharis, und sie überlegte immernoch, was sie sagen könnte, um sowohl Gracchus ein wenig zu unterhalten als auch um das Schweigen nicht allzu lange vorherrschen zu lassen, als Gracchus' Sklave mit dem Spiel zurück kam. Kaum lag das Brett auf dem Tisch - der Sklave stellte soeben die Spielsteine auf -, beugte sich Epicharis mit glänzenden Augen vor und fuhr mit den Fingerspitzen die kostbaren Spielfelder entlang. Ihre Sammlerleidenschaft war entflammt. Das einzige Senetspiel, das sie besaß, war aus schlichtem Zedernholz gefertigt. Sie hatte es durch Zufall bei einem Trödler gefunden, an dem sie unter anderen Umständen ohne einen Blick vorbeigegangen wäre, doch das Spiel hatte ihr Interesse entfacht. Kostbarere Senetbretter war in Rom nur selten zu bekommen und oft vergriffen, wenn man nicht schnell genug war. Epicharis seufzte erfreut auf. "Wie wunderschön - ist das Perlmutt? Und was für ein schöner Kontrast zu dem dunkeln Holz!" begeisterte sie sich, ehe sie sich einen Spielstein vornahm, ihn zwischen Zeigefinger und Daumen drehte und genaustens beäugte. "Wie hübsch, schau doch nur", jauchzte sie entzückt und hielt Gracchus den Stein vor die Nase, ungeachtet der Tatsache, dass er dieses Set wohl zweifellos kennen musste.


    So begann sie also, setzte einen der Steine, die sie erwählt hatte - hübsch geschnitzte, kleine, sitzende Katzen - auf ein Startfeld und griff nach den Knochenstäbchen. In kindlichem Frohmut warf sie die zweiseitigen Stäbchen, erfreute sie sich an drei schwarzen Seiten und einer weißen und rückte drei Felder vor. "Du bist!" rief sie aus und drückte Gracchus die Stäbchen in die Hand. Nur noch sehr vage spukte der Zweifel in ihrem Kopf herum, dass diese Spielrunde eventuell zuviel für Gracchus sein konnte.

  • Ein wenig neigte Gracchus den Kopf, hob zaghaft den Schmuckstein zum Halsausschnitt der Tunika, wo er ihn unter den Stoff schob und dort verschwinden ließ. Einige Herzschläge lang hielt er die Luft an ob des kühlen Reizes auf seiner Haut, alsbald jedoch abgelenkt durch Epicharis' Begeisterung über das Spielbrett, welches ihm ein schmales Lächeln entlockte, denn zweifelsohne war ihre Freude ansteckend. Gracchus selbst hatte dem Brett wie seiner Mutter lange Jahre hindurch nicht viel Bedeutung beigemessen, und selbst da er nach ihrem Tode durch seine Schwester mehr über ihre lebzeitigen Beweggründe hatte erfahren und ein wenig mehr ihre Entscheidungen hatte annehmen können, so war das Spiel für ihn nicht mehr als ein Gegenstand. Dennoch musste auch er zugeben, dass es ein äußerst stilvolles Brett war, und er nickte Epicharis zu, denn es war Perlmutt, obgleich Epicharis diese Regung über ihre Begeisterung hinweg ohnehin kaum zu bemerken schien, die sie bereits ob der Spielsteine gänzlich in Entzückung verfiel. Viel mehr jedoch als an jenem Brett hatte Gracchus selbst seine Freude an Epicharis, welche mit geradezu kindlicher Begeisterung zu den Stäben griff und ihren ersten Zug tat. Hernach ließ auch er langsam die Stäbe fallen, von welchen einer seine schwarze Seite, die übrigen drei die weiße zeigten, so dass er einen seiner Spielsteine auf das erste Feld schob. Voller Enthusiasmus würfelte Epicharis erneut, warf eine Zwei, und zog einen weiteren Stein auf das zweite Feld nach dem Start. Auch Gracchus warf hernach die Stäbe so, dass sich zwei weiße und zwei Schwarze Seiten zeigten. Ein verschmitztes, für ihn äußerst untypisches Lächeln zog sich über sein Gesicht, welches er vergeblich hinter der üblichen Zurückhaltung zu verbergen suchte. Gleich für welchen Zug er sich würde entscheiden - den bereits auf dem Spielfeld befindlichen Stein auf das dritte Feld zu schieben oder aber einen neuen Stein auf das zweite Feld zu bringen - einer Epicharis' Spielsteine würde weichen müssen. Er entschied sich, den Stein, welcher bereits auf dem Brett lag, zu ziehen, denn ohnehin bot sich auf den Feldern am Anfang stets ein Gerangel. Mit der Spitze des Zeigefingers kippte er Epicharis' kleine Katzenfigur vom Brett.
    "... V'r...zeih ..."
    Sprachlos oder nicht, im Spiel inbegriffen oder nicht, seinem natürlichen Drang, sich für allerlei zu entschuldigen, konnte Gracchus sich nicht erwehren, obgleich das Lächeln auch weiterhin seine Lippen kräuselte.

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  • Zufrieden verfolgte Epicharis, wie Gracchus dem Stein den ihm bestimmten Platz zuwies. Gespannt verfolgte sie, wie seine Stäbe fielen, sich drehten und schließlich verkündeten, dass Gracchus ein Feld nach vorn ziehen mochte. Das Fallenlassen der Stäbchen schien ihn nicht zu sehr anzustrengen, und da sie an der Reihe war, warf sie die Stäbchen und zog einen zweiten Stein hinzu. Das Schweigen war ihr ein wenig ein Dorn im Auge, sie hatte beständig das Gefühl, sie würde Gracchus langweilen wo er vielleicht doch so viel lieber allein mit sich und den wärmenden Strahlen der Sonne sein würde. Ob dieser Gedanken nagte sie ein wenig auf ihrer Unterlippe und verfolgte Gracchus nächsten Wurf eher am Rande, zumindest, bis seine Stäbchen ebenfalls eine Zwei zeigten und er in jedem Falle einen seiner Steine auf ein von ihr besetztes Feld würde ziehen müssen. In gespielter Fassungslosigkeit verfolgte sie die beiläufige Geste, mit der er eine ihrer Bastetfigürchen vom Spielfeld kippte. Ohnehin fiel es ihr jetzt schon schwer, das Kichern zu unterdrücken, doch als Gracchus sich schließlich entschuldigte, wich Epicharis' ohnehin nur aufgesetzte Miene schlagartig einem erheiterten Grinsen.


    Sie nahm die kleine Bastet mit spitzen Fingern auf und setzte sie zurück ans Ende des Bretts, dann wandte sie sich Gracchus mit ernster Miene zu und sprach: "Mein lieber Gracchus, mir scheint, du hast noch niemals die Rache einer Claudia erfahren." Und das Funkeln in ihren Augen strafte ihre Worte Lügen. Energisch griff sie nach den Stäbchen, ließ sie fallen und blickte auf das Ergebnis hinab - eine Eins. Augenblicklich sah sie zu Gracchus' erster Spielfigur hin, die direkt auf dem Feld nach dem Start stand. Die Verlockung war groß, einen weiteren ihrer Steine einzubringen und Gracchus damit von seinem Feld zu verdrängen, doch Epicharis hielt an sich - Gracchus war schließlich krank - und zog stattdessen den einen Stein von Feld drei auf Feld vier. Sie reichte Gracchus erneut die Stäbchen, berührte dabei seine Finger und lehnte sich mit einem Schmunzeln und den Blick unverwandt auf ihn gerichtet zurück. Fortuna war Gracchus schließlich hold, denn die Seiten der Stäbchen bei seinem nächsten Wurf waren allesamt schwarz, was ihm vorerst die Führung eintrug. Epicharis verfolgte das Geschehen auf dem Spielbrett mit einem gönnerhaften Lächeln, was ein wenig schwand, als sich ihr im darauffolgenden Zug vier weiße Seiten präsentierten und sie damit aussetzen musste. "Spielst du gern?" fragte sie ihn. "Aber pass auf, wenn dir das Sprechen schwer fällt, brauchst du einfach nur zu nicken. Das macht mir nicht aus", fügte sie an, und nachdem sie Gracchus einen Herzschlag lang gemustert hatte, setzte sie noch etwas hinzu: "Wirklich nicht."

  • Wohl bemerkte Gracchus, dass Epicharis nach ihrem Einser-Wurf zögerte, um schlussendlich nicht seine eigene Figur aus dem Spiel zu werfen, doch er führte diese ihre Entscheidung auf taktische Überlegungen zurück, denn nicht immer war es zu Beginn des Spieles geschickt, auf den Startfeldern den Gegner vom Brett zu verweisen, da die Chance groß war, dass der eigene Spielstein nur ebenso schnell selbst wieder würde weichen müssen. Die folgenden fünf Felder, welche Fortuna ihm vorzurücken ermöglichte, brachten seinen vorderen Spielstein weit voran und aus Epicharis' Reichweite, was jedoch letztlich nicht einmal notwendig war, um ihrer Rache zu entgehen, da für die Patrizierin eine Runde des Aussetzens folgte. Noch bevor Gracchus erneut seine Hand ausstreckte, um nach den Würfeln zu greifen, warf sie nicht nur ihre Frage in den sommerlichen Raum, sondern sprach damit aus, was trotz allem gewahrten patrizischen Schein zwischen ihnen hing, einer unsichtbaren Mauer gleich, welche beständig in die ein oder andere Richtung zu kippen drohte. Er wollte nicht, dass sie glaubte, sein Geist sei in Mitleidenschaft gezogen worden, wollte nicht, dass sie aufhörte zu reden nur weil er schwieg, wollte nicht, dass sie letztlich ging. Unbewusst beinah griff er nach ihrer Hand, als würde er sie festhalten müssen, als fürchtete er, sie könne die Geduld verlieren, nach den ersten zerstückelten Worten enerviert weichen. Er hatte mit niemandem wirklich gesprochen, seit er wieder zu Bewusstsein gekommen war, nur mit sich selbst in seinem Geiste, ein paar Fragmente oder der Versuch eines Satzes zu Sciurus, doch nicht, was in ihm vorging, obgleich es ihn mehr und mehr drängte, obgleich sich mehr und mehr Worte in seinem Kopfe anstauten, und so er sie nicht würde in Laute verbalisieren können er fürchtete, in Amentia oder Defätismus ob dessen zu versinken.
    "Es 'st ... all's ... g'nz klar ... 'n me'nem Kopf. ... 'b'r ... dann ... verl'rt ' sich. ... wie umh'llt ... ' ... 'ner dick'n ... Sch'ht Neb'l ... 'll's v'r..schluck'."
    Es war mühsam gegen den Nebel anzukämpfen, als würde Gracchus auf der einen Seite laut hinein schreien und doch nur ein Flüstern auf der anderen Seite angelangen, als müsse er den dicken Wollfaden jedes einzelnen Wortes durch ein filigranes Nadelöhr zwängen, als müsse er jeden Buchstaben einzeln als Felsbrocken einen Hügel hinauf rollen, nur um auf der Kuppe hernach zuzusehen, wie die Hälfte davon den falschen Weg hinab rollte, als müsse er seinen Gedankenfluss mit bloßen Händen auffangen und in den Bachlauf der Sprache umleiten, wobei beständig Tropfen ihm verloren gingen.
    "D'r Med'cus ... sag' ... nur W'der..hol'ng .... 'nd 'bung ... k'nn dazu ... fü'ren, ... ' f'h...lend' ... Vebin..d'ng wied'rh'rg... "
    Er schien beinahe als würde Gracchus sich an den Buchstaben verschlucken, als würde der kalte Nebel in seine Kehle einziehen und er daran ersticken, als würde der Wollfaden sich um seinen Hals schlingen und ihn erwürgen, als würden die Felsbrocken auf ihn zurück rollen und ihn erdrücken, als würde der Fluss über ihn hinwegspülen, ihn mitreißen und in sich ertränken.
    " ... w'd'rh...st... "
    Kurz presste er die Kiefer aufeinander, schloss die Augen, ehedem er die sich vor ihm erhebende Mauer letztlich umging.
    "... r'pariert ... w'rd."
    Er hob den Blick einen Herzschlag lang zu Epicharis, wich jedoch gleich darauf ihren Augen aus und schien sich erst in diesem Moment seiner Berührung bewusst zu werden, da er eilig seine Hand zurück zog, gar als hätte er sich an ihrer Haut verbrannt. Mühsam kämpfte er weitere Worte aus sich hervor.
    "Üb'ng ... ."
    Langsam schüttelte er den Kopf.
    "'s 'st so ... dem't'..gend ... mi'h ... s'lbst ... z' h'ren."
    Nicht gänzlich war er sich sicher, weshalb er ihr dies offenbarte, zerstückelt und nicht minder demütigend in ihrem Angesichte, doch augenscheinlich konnte er tiefer ohnehin nicht mehr sinken.

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  • Nach Epicharis' Zug blieben die Stäbchen unangetastet, denn Gracchus streckte nicht seine Hand nach ihnen aus. Stattdessen musterte er Epicharis, die sich erst dessen bewusst wurde, als sie ihm fragend den Blick ob des nächsten Wurfs zuwandte. Eine ganze Weile sah er sie an und sie erwiderte seinen Blick, der etwas in ihr anrührte und um ein Haar verursachte, dass sie ihre fröhliche Miene fallenließ und doch das Mitgefühl durchkam. Dass Gracchus plötzlich nach ihrer Hand griff, kam für sie so überraschend, dass sie zunächst ihn ansah und dann ihren Blick senkte. Ihre eigene, zierliche Hand wirkte beinahe kräftiger als die Hand des Mannes, in der sie lag. Gracchus wirkte mit einem mal so verletzbar und sanft, dass es der Claudia glatt die Sprache verschlug. Es war aber auch gar nicht nötig, dass sie etwas sagte, denn in jenem Moment begann Gracchus, einige Worte hervorzuwürgen. Epicharis biss sich seitlich auf die Lippe und vermied es, Gracchus direkt anzusehen, obwohl sie seinen Blick sehr deutlich spüren konnte. Sie wusste, dass sie nicht länger ihre unbeschwerte Maske würde tragen können, wenn sie in diesem Moment aufsah und ihn dabei betrachtete, wie er mühselig vor sich hin stammelte. Von allen Menschen, die Epicharis kannte, war Gracchus derjenige, der erst durch die ihm eigene Eloquenz aufzublühen schien. Und genau das war es, was ihm genommen worden war. Epicharis schluckte hart, doch der Kloß wollte nicht weichen. Sie hatte ihre liebe Mühe damit, nicht in Tränen auszubrechen, sondern standhaft zu bleiben. Es würde ihm nicht helfen, wenn sie ihm so deutlich zeigte, dass sein Zustand derart schlecht erschien, dass er Tränen rechtfertigte. An dieses Bewusstsein klammerte sie sich, und ganz langsam bogen sich die herabgesunkenen Mundwinkel nun wieder ein wenig nach oben, wenngleich auch die Augen nicht mitlächelten und Gracchus diese Farce wohl nur allzu leicht durchschauen würde. Mit dem Schwung der Lippen brachte sie es auch fertig, ihren Blick von den Händen zu lösen und ihn anzusehen. Es tat ihr in der Seele weh, ihn so hören zu müssen, doch als sie sich dabei ertappte, sich weit fortzuwünschen um sich gehenlassen zu können, rief sie sich innerlich zur Ordnung und erinnerte sich des Wunsches, Gracchus aufzuheitern.


    Doch wie sollte sie reagieren? Sie wollte ihm helfen, den begonnenen Satz zu vollenden, doch das würde nur seine Unzulänglichkeit weiter hinauskehren. Zudem hätte sie ob der Verengung ihrer Kehle wohl nur ein heiseres Quietschen zustande gebracht. Nun, da sie ihn ansah, wandte er beinahe hastig den Blick ab. Und ebenso schnell ließ er ihre Hand fahren und brach damit letztendlich die aufkeimende Vertrautheit zwischen ihnen. Epicharis neigte ihren Kopf um eine Winzigkeit zur Seite und unterdrückte das erneut aufkommende, vertraute Kribbeln in ihrer Nase diesmal mit sehr viel mehr Nachdruck, um somit erfolgreich die Tränen abzuwehren, die Bahn brechen wollten. Sie ließ nicht viel Zeit verstreichen. Diesmal war sie diejenige, die nach seiner Hand griff und sie hielt, gleich wie kraftlos sie in diesem Moment auch war. "Dann werden wir üben", sagte sie schlicht, und sie war stolz darauf, dass ihre Stimme nur ein klein wenig zitterte bei diesen Worten. Ermutigend drückte sie die Hand des Flaviers, der ihr ein Stück vertrauter geworden war. So vertraut, dass sie es umging, ihn beim Namen zu nennen, da siefürchtete, dass er Anstoß daran nehmen würde, täte sie ihn Manius nennen. "Hab Geduld mit dir selbst und gräme dich nicht, nur weil die Situation dir demütigend erscheint und du selbst dir unzulänglich vorkommst." Epicharis lächelte Gracchus aufmunternd an, atmete dann tief durch und fragte ihn: "Also - was meinst du, womit wir den Nebel ein wenig lichten können?"

  • Obgleich Gracchus ohnehin nicht wusste, was er hatte erwartet, er im Grunde nichts hatte erwartet, sondern nurmehr seiner Gedanken hatte Ausdruck verleihen müssen - gleich wie bruchstückhaft -, so war ihr Vorschlag keiner, welchen er anzunehmen gedachte, denn es würde ihm alles nurmehr unerträglicher machen. Hastig schüttelte er den Kopf, zumindest war dies, was er suchte zu tun, denn tatsächlicherweise war es keineswegs eine schnelle Bewegung.
    "N'n ... nein ... bitt' ni'ht."
    Er entzog sich Epicharis' Hand, als würde ihre Berührung ihn zwingen können gegen seinen Willen zu handeln, als würde sie mit dem leichten Druck die Worte aus ihm hervorpressen können, welche er nicht aus sich wollte hören, welche er nicht wollte, dass sie musste anhören.
    "D''h ... doch h'r' ' n'ht ''f ..."
    Je eiliger er wollte ihr antworten, desto mehr der Buchstaben schienen sich ihm zu widersetzen, verweigerten ihren Klang, so dass er schlussendlich sich zur Langsamkeit selbst zwang, wodurch letzlich alles noch träger und zäher nur wurde.
    "... hör' ... du ... ni'ht ... auf ... n'r ... we..il ... i'h ... schwe'..ge."
    Stab um Stab sammelte er die Würfel ein und ließ hernach sie auf den Tisch fallen, und zwei schwarzfarbene und zwei weißfarbene Seiten zeigten sich im Ergebnis. Gracchus schob seinen Spielstein auf dem ersten Feld ein Stück weiter.
    "S'n..stig ... kom..m' i'h ... sel..t'n ... ' Spie...l'n"
    , griff er schlussendlich doch noch Epicharis' Frage auf, wenn auch ohne sie tatsächlich zu beantworten. Brettspiele erforderten oftmals nicht nur Glück, sondern gleichsam taktisches Geschick, welches Gracchus nicht in übermäßigem Maße gegeben war, darüber hinaus war er ein schlechter Gewinner und forderte zumeist aus eigenem Antrieb die Niederlage heraus, da es ihm stets mehr Freude bereitete, sein Gegenüber beim Goutieren des Sieges zu beobachten.

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  • Manchmal wurde sie nicht schlau aus Gracchus, oder sie verstand ihn erst, nachdem sie eine Weile nachgesonnen hatte. So war es auch jetzt. Zuerst runzelte sie die Stirn ein wenig, denn es war schwer, ihn zu verstehen, wenn er etwas voller Nachdruck und schnell sagen wollte. Dann aber, als ein Augenblick verstrichen war, erschloss sich ihr, was er gesagt hatte, und nun sann sie darüber nach, warum er ihre Hilfe nicht annehmen wollte. Kurz darauf fielen ihr drei mögliche Antwort wie Schuppen von den Augen - entweder wollte er es allein bewältigen oder aber er glaubte, sie damit zu belasten. Eine weitere Möglichkeit war, dass er vor ihr, die sie - noch - nicht zur Familie gehörte, nicht schwächeln wollte. Für letzteres sprach auch sein beinahe hastiger Rückzug mit der Hand. Wenn dies also zutraf, wollte er sie vielleicht gar nicht hier haben, sich nicht ihr ausgesetzt sehen. Epicharis schwieg, blickte auf das Senetspiel hinab und nagte ein wenig bekümmert an ihrer Unterlippe, unschlüssig ob dessen, was sie nun tun sollte.


    Sie hob den Blick wieder, als Gracchus sie bat, nicht zu schweigen. Sie bedachte ihn mit einem Blick aus einer Mischung aus Zweifel und Ratlosigkeit. Dass er letztendlich vom vertraulicheren Gespräch zurück auf das Spiel zu sprechen kam, bestätigte Epicharis ihren Verdacht, und sie ließ von ihrer Lippe ab, um stumm nach den Stäbchen zu greifen. Ihr Wurf resultierte ebenfalls in einer zwei, und ein wenig lustlos machte sie sich mit ihrem vordersten Stein daran, Gracchus' am weitesten entfernten Spielstein einzuholen. Verstohlen musterte sie Gracchus, und etwas wie Frustration keimte in ihr. Sie verspürte nicht viel Lust, über das Wetter oder über den anstehenden Festtag der Fortuna zu reden. Sie wollte Gracchus helfen, doch wie konnte sie das bewerkstelligen, wo er doch kategorisch alles Dahingehende ablehnte? Vermutlich verhielt er sich aber auch wie alle Männer, mutmaßte sie halbherzig. Dann würde sie nur dafür sorgen müssen, dass er entweder von selbst darauf kam oder aber nicht merkte, dass sie etwas für ihn tat. Um die Sprache wieder zu festigen, waren wohl Fragen am besten geeignet, denn dann musste er sich artikulieren. Andererseits würde ihm das nur wieder vor Augen führen, wie schlecht es um seine Sprachfähigkeit stand derzeit. Es war zum Mäuse melken! Epicharis seufzte tief und rieb sich nachdenklich die Stirn. Vielleicht vertraute er ihr auch nicht genügend?


    "Kennst du Marcus' Mutter?" fragte sie ihn aus dem Blauen hinaus, während sie bereits wieder an der Reihe war mit ihrem Zug. Sie würfelte eine drei und zog den hintersten Stein um die gleiche Anzahl Felder vor. "Ich habe das Gefühl, dass er eine besondere Bindung zu ihr hat", fuhr sie zögerlich fort und gab damit etwas Vertrauliches von sich preis. Natürlich hoffte sie einerseits, Gracchus damit in ein Gespräch zu verwickeln, andererseits etwas mehr Vertrauen zu gewinnen. "Hm... Sie möchte, dass wir cum manu heiraten." Epicharis hob den Blick und suchte nach Anzeichen von Überraschung, Missfallen oder anderen Eindrücken in Gracchus' Gesicht.

  • Neuerlich breitete Schweigen sich aus zwischen ihnen, jene durch Gracchus selbst gewählte und durch Epicharis' Zaudern sich heimlich entfaltende Stille, durchbrochen vom leisen Klackern der Stäbe auf dem Tisch, dem Rascheln der Bewegungen und der sommerlichen Melodie des Gartens. Einige Augenblicke lang schweifte Gracchus' Geist umher in seinen Erinnerungen an jene fernen Tag in Achaia, deren träge Nachmittage und Abende ab und an ebenfalls mit Brettspielen waren angefüllt gewesen, gleichsam hierbei mit angeregter und anregender Konversation über vielfältige Themen. Obgleich Gracchus seine Sätze nie kurz hielt, sich am Klang ausgefeilter Konstrukte delektierte - wobei ihm selbst seine eigene Art, Worte aneinander zu reihen, kaum je als so exzeptionell erschien wie sie auf andere bisweilen wirkte-, konnte er ebenso dem Schweigen und der daraus resultierenden Absenz der Sprache im rechten Augenblicke eine tiefe Befriedigung abgewinnen. Epicharis' beinah kontemplative Versunkenheit, welche sichtbar nicht aus der Konzentration auf das Spiel herrührte, sondern zweifelsohne von jenen Gedanken, welche durch ihren Geist ihr strichen, und die daraus entspringende Stille jedoch verunsicherten ihn ein wenig, denn womöglich bereute sie nun doch ihre Anwesenheit und sann über eine Möglichkeit nach, dem in nicht allzu ferner Zukunft baldig zu entkommen. Schlussendlich jedoch offenbarten ihre Frage, ihre Worte gänzlich andere Gedanken, Unsicherheit und allfällig gar ein wenig Besorgnis. Gracchus verzog seine Miene ein wenig in despektierlicher Weise, kaum der Beachtung wert beinahe, für ihn jedoch bereits geradezu extrovertierter Ausdruck seiner Empfindung gegenüber einer Person, mit welcher er solcherlei üblicherweise nicht zu teilen pflegte - von welchen es ohnehin nur seine beiden Vettern gab -, und nickte hernach langsam, da er Agrippina, Aristides' Mutter, mehr kannte als ihm lieb war, schlimmer noch, sie ihn genauestens kannte, wie sie jeden Flavier kannte, mit all seinen Makeln und Schwächen en détail.
    "Si' ... ' ... sel..bs' ... c'm ma..nu ... v'r..hei..rat'' ... 'ber ..."
    Weshalb genau dies so gewesen war, lag außerhalb Gracchus' Kenntnis, doch er vermutete, dass es aus Agrippinas Antrieb heraus war geschehen, in der Intention, möglichst viel Einfluss über ihren Gemahl Corvinus zu erlangen. Eine Ehe cum manu war in patrizischen Kreisen weitaus diffiziler zu trennen denn eine Ehe sine manu, rechtlich gesehen nicht unbedingt, doch allein ob des Namenswechsels und der daraus resultierenden Aufmerksamkeit wegen. Eine Frau, welche einmal ihren nomen gentile infolge der Ehe wechselte, folgte alten Traditionen, doch eine Frau, welche den angeheirateten Namen aufgrund einer Scheidung aufgab, zog nicht nur äußerst unangenehme Aufmerksamkeit auf sich selbst, sondern gleichsam auch auf die gesamte Familie ihres Gatten. Flavische Ehen wurden aus politischen und gesellschaftspolitischen Gründen geschlossen, flavische Scheidungen dagegen kündeten vom gesellschaftlichen und familiären Scheitern des Flaviers, weshalb solcherlei von Seiten des Ehemannes tunlichst wurde vermieden und nur in überaus prekären Sachverhalten akzeptabel war. Jedoch, da Gracchus bezüglich der umtriebigen Antriebe Aristides' Mutter nur Vermutungen und Halbwissen hatte vorzuweisen, schwieg er hierzu. Epicharis würde ihren eigenen Umgang mit Agrippina finden müssen, und so Fortuna ihr hold war, würde ihre künftige Schwiegermutter die Gemahlin ihres Sohnes weit mehr zu schätzen wissen denn jene männliche, flavische Verwandschaft, für welche sie stets nur Unmut und Aversion übrig zu haben schien.
    "M'r..cus 'hrt ... sei..n' Mut..t'r, ... ' ... di' Tra..d'..tio..n ... 's v'r..lang'."
    Natürlich war zwischen Tradition und Realität oftmals breiter Raum gegeben, zudem mühte sich Aristides zwar stets redlich, den Anforderungen seiner Familie an ihn sich zu stellen, doch als Musterbeispiel patrizischer Tugend konnte er nicht unbedingt sich präsentieren. Das Verhältnis Aristides' seiner Mutter gegenüber war zudem ein weitaus innigeres, und für Gracchus, welcher nach seinem Aufbruch nach Achaia seine Mutter kaum noch hatte gesehen, in keinster Weise nachvollziehbar. Gerade so der Wein bereits war reichlich geflossen gewesen, hatte sein Vetter an manchen Abenden vehement seine Mutter in Schutz genommen und nicht den noch so geringsten Spott auf sie kommen lassen. Auch dieses innige, ihm so unbekannte Verhältnis der eigenen Mutter gegenüber, welches Aristides stets so zufrieden zu machen schien, hatte ab und an die kleine, heimliche Flamme des Neides in Gracchus genährt, obgleich in Gegenwart Agrippinas letztlich sie stets war zu kalter Asche verkommen. Mit zittriger Hand griff Gracchus nach seinem Becher, welcher hälftig nur angefüllt war mit Wasser und einem Schluck Wein, und hob ihn zu seinen Lippen. Umhüllt von der warmen Sommerluft war auch das Getränk längstens nicht mehr so kühl wie noch zuvor, doch obgleich er wusste, dass der Nebel zwischen seinem Geiste und seinen Lippen sich nicht durch das kühle Nass würde hinfort waschen lassen, so hatte Gracchus das Bedürfnis den bitteren Nachgeschmack der bruchstückhaften Worte aus seiner Kehle hinfort zu spülen, ehedem er die Würfelstäbe nur knapp über den Tisch hob und fallen ließ, um seinen nächsten Spielzug auszuführen.

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  • Epicharis, die so kleinlich auf die Regungen Gracchus' achtete, entging indes nicht die kleine Abweichung ins Geringschätzende, auch wenn sie beinahe kaum wahrzunehmen war. Sie blickte auf das Spielbrett hinab, und fast schon bereute sie, dass sie sich ihm anvertraut hatte. Selbst unsicher, war Missbilligung ganz gewiss die falsche Empfindung, um ihr ein wenig der Instabilität zu nehmen, die nun umso mehr aufzukeimen schien. Sie bezog seine Mimik direkt auf sich, und da sie Aristides' Mutter noch nicht hatte kennenlernen können, war dies wohl nur allzu verständlich. Ratlos darüber, was sie nun entgegnen sollte - das Aber in Gracchus' Satz nahm ihr das letzte bisschen Mumm in diesem Moment - schwieg sie, den Blick auf das Spiel gerichtet und es doch nicht vor sich stehen sehend. Ihr wurde bewusst, wie wenig sie doch über Gracchus wusste, über die Flavier im Allgemeinen, und ein wenig Verständnis für Antonia kroch ganz allmählich in ihr Bewusstsein. Nachdenklich nagte sie auf der Unterlippe, gänzlich in Gedanken versunken und innerlich aufgewühlt. Ihr war unbehaglich zumute, doch sie hielt sich zurück, um nicht unwirsch auf dem Stuhl herumzurutschen wie ein nervöses Kind. Erhaben musste eine Patrizierin sein, in jedweder Situation. So, wie ihre Tante es noch gewesen war, als sie siechend auf dem Sterbebett gelegen war.


    Flüchtig streifte Epicharis' Blick nun wieder Gracchus, der von Traditionen sprach und davon, dass Marcus auf seine Mutter hörte. Sie wollte fragen, warum dann nicht er Antonia ebenfalls cum manu genommen hatte, doch würde er diese Frage ganz sicher als anstäßig erachten, und so ließ sie es bleiben und grübelte stattdessen selbst darüber nach, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Als würde sie nicht selbst daneben sitzen, bemerkte sie durch einen immer dichter werdenden Gedankenschleier hindurch, wie Gracchus sich am Wein gütlich tat und nach den Stäbchen griff. Kaum bemerkte sie, wie er den nächsten Zug machte, so sehr hatte sie mit sich selbst zu tun. Und was, wenn eine Manusehe das schlimmste war, was sie tun konnte? Sich selbst und auch die Flavier betreffend? Vielleicht sollte sie noch einmal mit Aristides über seine Mutter reden, auch wenn sie ehrlicherweise bezweifelte, dass er das gutheißen würde. Gracchus über sie auszufragen hielt sie ebenfalls für ungeeignet, also versuchte sie, das Thema irgendwie aus ihren Gedanken zu verbannen. Es gelang ihr allerdings kaum, und da es ihre Gedanken nun beherrschte, war dort kein Platz für andere, unbeschwertere Gedanken. So führte sie schweigend ihren Zug aus, vermied es, Gracchus anzusehen, und rettete sich dann hinter ihren Weinbecher, indem sie kaum ernsthaft zu nennende Schlucke machte.

  • Kaum hatte Epicharis sich aus ihrer Nachdenklichkeit gelöst, schien sie bereits erneut darin vertieft. Wie sie den Blick in das Spielbrett versenkte, beinahe abwesend ihren Zug machte und lustlos an ihrem Wein nippte, fragte Gracchus sich, ob seine Worte - obgleich nicht viele - allfällig die falschen mochten gewesen sein. Seit eh und je war die Wahrheit eines der höchsten Güter gewesen, welchen Gracchus sich hatte verschrieben, gleichsam war er sich wohl dessen bewusst, dass manches mal es besser war, nicht gänzlich alles auszusprechen, was der Wahrheit entsprach. Letztlich jedoch gab es ohnehin nichts, was Epicharis würde ändern können, denn Agrippina würde nicht zulassen, dass irgendwer sich ihrem Wunsche widersetzte, weder Aristides, noch seine künftige Gemahlin, noch deren Vater Claudius Menecrates, dessen Entscheidung Epicharis sich würde fügen müssen. Dennoch wollte Gracchus die junge Claudia nicht gänzlich in Zweifel entschwinden lassen, denn sofern Agrippina nicht entschied, ihren Wohnsitz permanent nach Rom zu verlegen - und in diesem Falle würden sie alle, nicht nur Epicharis, den Beistand sämtlicher Götter benötigen-, würde die zukünftige Flavia sicherlich nicht allzu sehr von ihrer Schwiegermutter behelligt werden und ein überaus angenehmes Leben in der Villa Flavia führen können.
    "'s is' ... g't, dass ... Ar's..ti..d's ... wi'd'r hei..rat''. ... 'nd es w'rd ... g't sein, ... w'nn d' hie' ... ein..zi'hs'."
    An anderen Tagen hätte Gracchus seine Worte, jene Wertschätzung Epicharis' Person, zweifelsohne in ein weit ausgefeilteres Satzkonstrukt gekleidet, doch ausgenommen der Tatsache, dass das Sprechen ihm ohnehin nicht leicht war, so hatte er bemerkt, dass mehr noch als übliche Worte er jene ausgefeilten nicht über die Lippen brachte, ohne dass gänzlich sie in sich zerfielen, jegliche Schönheit und Reiz verloren, gleichsam, dass er manches mal im einen Augenblicke noch sicher wusste, welches Wort er suchte, im anderen jedoch sich jenes nicht mehr konnte entsinnen.
    "F'r 'ris..t'des. ... 'nd au'h ... f'r Ant'..nia 'nd ... m''ne Ni'h..te Ce..l'rin' ."
    Ebenso wie für ihn selbst, doch Gracchus konnte unmöglich dies erwähnen.

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  • Sich mehr und mehr in den klebrigen Fäden der eigenen Gedanken verstrickend, machte Epicharis in ihrem nächsten Zug einen Fehler, der Gracchus später ermöglichen sollte, das Spiel zu gewinnen. Ihre eigenen Spielsteine standen ungünstig, und Fortuna war ihr zudem nicht mehr sonderlich hold, was das Würfelglück anbelangte. In der Folgerunde musste sie aussetzen, in jener danach würfelte sie nur einen Einser. So zog bereits Gracchus' zweiter Spielstein ins Ziel, während Epicharis selbst noch alle Steine irgendwo auf dem Spielfeld verteilt hatte.


    Bei seinen Worten sah sie auf und warf einen ernsten Blick auf Gracchus. Was er mit seinen Worten bezwecken wollte, ging ihr nicht wirklich auf - warum würde es gut sein, wenn sie hier einzog? Sicherlich barg dieser Umstand viele Vorteile für sie selbst, und für Aristides würde die Ehe insofern gut sein, als dass er weitere Kinder haben würde, doch darüber hinaus? Epicharis nagte ein wenig an ihrer Unterlippe und forschte in Gracchus' Gesicht, doch sie fand keinen versteckten Hinweis auf die Quintessenz seiner Wortem und da sprach er auch schon weiter. Und da ergaben seine Worte den Sinn, nach dem sie gefahndet hatte. Sie würde die flavischen Damen unterhalten können, und Aristides ebenfalls. Epicharis schluckte und griff erneut nach dem Becher, diesmal, um ihn zur Hälfte zu leeren, ehe sie ihn wieder fortstellte. Was sagen? Verdeutlichten seine Worte nicht recht deutlich, dass er sich davon ausnahm? Dass er sie nicht brauchte - oder nicht nötig hatte? Epicharis schloss für einen flüchtigen Moment die Augen und zwang das Lächeln wieder auf ihre Züge. Sie redete sich das alles nur ein. Ganz gewiss. Gracchus dachte einfach viel mehr an seine Mitmenschen als an sich selbst, so einfach war das. Epicharis' Lächeln war nun ein wenig unerzwungener.


    "Ja..." sagte sie nachdenklich und wiegte den Kopf hin und her, den Blick auf die Rosen hinter Gracchus gerichtet. "Ich freue mich auch schon darauf, die anderen alle näher kennenzulernen. Es ist doch etwas anderes, als sich nur gelegentlich auf Festen oder durch Zufall zu begegnen. Und wer weiß, vielleicht findest du auch ab und an die Zeit, eine Partie mit mir zu spielen?" Epicharis deutete ein Schmunzeln an und warf dann einen Blick auf das Spielbrett. "Hm. Vielleicht werde ich mich dann dafür revanchieren können, dass diese Partie wohl an dich geht", sagte sie trocken und nahm einen Stein von jenem Feld, das Gracchus soeben mit seiner Figur erobert hatte.

  • Die Würfel fielen, die Steine zogen in gleichförmiger Monotonie, unbeachtet beinahe, während wieder und wieder Epicharis' Blick in endloser Ferne entschwand, so dass nurmehr die Silhouette ihres Körpers blieb, dem Abbild einer Muse auf einem Gemälde gleich, deren Augen stets die schöne, ferne Wahrheit suchten, dabei niemals dem Betrachter gestatteten, eben jene in seinem Gegenüber zu blicken. Die Couleur ihrer Augen barg ein fruchtbar, erdig-dunkles Braun mit einem Hauch von Gold darin, gänzlich divergent zu dem zarten, stets so verloren schimmernden Braunton seines Vetters Aquilius Augen, doch similär zur den Irides seiner Gemahlin Antonia. Claudisches Braun. Ein solides Fundament, dazu geschaffen, leicht wie eine Feder jedem erstrebten Ziel zu folgen, nicht wie der flavische Wunschtraum in den Wolken hängend, stets schwankend zwischen Absturz und Hinfortwehen. Dass er in Starren inbegriffen war, bemerkte Gracchus erst, als die Membran seiner eigenen Augen Trockenheit vermeldete, so dass er die Lider zwinkernd zusammen kniff, um diese Ödnis zu vertreiben. Die anderen zogen an ihm vorbei, gleichsam der Zufall, beides so unbedeutend, marginal, dass es kaum nur seine Sinne streifte, wie das ferne Rauschen des Meeres an den Gestaden des Ozeans einer längst vergessenen Welt, in welchem gleichsam die Frage seinerselbstbezüglich einer brandenden Flutwelle gleich tosend auf das sandige Ufer traf. Der geraden Linie jenes Seins folgend, welches er so oft glaubte darstellen zu müssen, formten sich bereits die bedauernden, ablehnenden Worte, sich auf die zahlreichen Pflichten berufend, welche kaum je Freiraum ließen für solcherart spielerische Untätigkeit, doch noch ehe jene Satzpartikel die Gelegenheit erhielten, in Bruchstücke aufgeweicht Gracchus' Kehle zu verlassen, wurden von seinem eigenen Geiste sie verworfen, durch ein einziges Wort sie verdrängt.
    "G'...wis'."
    Für den Bruchteil eines Augenblickes, endlos gedehnt in der Furcht seiner eigenen Erwartung, harrte Gracchus auf jenes leise Summen aus den Tiefen seines Kopfes, jenes missbilligende Stieren aus der leblosen Dunkelheit heraus und den Nadel-spitzen, eisig kalten Hauch in seinem Nacken, welche stets folgten, so er sein eigenes Begehren dem der ihm gegebenen Pflichten voran stellte, doch nichts dergleichen konnte den faserigen Nebel in seinem Inneren durchringen, nicht einmal die in ihm selbst innewohnenden Daimonen. Langsam hob sich sein Mundwinkel, der bereits geäußerten, verwegenen Absicht sich anzuschließen, und zum ersten Male seitdem er sich in seinem eigenen Körper gefangen sah, fühlte Gracchus Freiheit, allfällig zum ersten Male seit langer Zeit darüber hinaus.
    "'s wä..r' mir .. ''ne Freu..d'."
    Er zog nicht mehr seinen letzten Stein auf dem Brett, denn in der Komplettierung der Perfektion des Augenblickes zeigten die schwarzen Seiten der Würfel vor ihm bereits, dass er an diesem Tage gewonnen hatte.

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  • Sie war überrascht. Überrascht deshalb, weil Gracchus doch eigentlich hätte ablehnen, sich auf die Pflichten und Aufgaben berufen müssen, doch stattdessen sagte er zu, und das verwunderte Epicharis. Gleichsam bewies es auch, wie sehr Gracchus sich selbst zurücknahm - weil er es wollte oder weil er es musste. Epicharis wusste dies nicht zu sagen. Sah er sich denn so tief am Boden? Schweigen breitete sich aus nach den Worten des Flaviers. Stille, in der Epicharis' Blick an ihm hing, gar klebte, bis sie es bemerkte und blinzelnd Ausschau nach einer Rosenblüte hielt, um nun diese anzustarren. Bildete sie es sich nur ein oder klang sein Gewiss tatsächlich danach, als hätte er es im Wissen ausgesprochen, ohnehin niemals mehr zeit - oder Lust - für eine Partie zu finden?


    Epicharis seufzte leise, zitternd entwich der Atem, und mit ihm auch der Zweifel, den sie einfach verbannte. Es war unsinnig, so vieles in Gracchus' Worte zu interpretieren, und ebenso unsinnig war es auch, ständig nach Anzeichen dafür zu suchen, wie schlecht es ihm wahrhaftig ging und wie wenig er davon doch zeigen wollte. Epicharis hatte sich verschätzt. Es ging ihm gar nicht so schlecht. Das musste es sein. Erneut wandte sie den Blick zu Gracchus, gerade rechtzeitig, um die winzige Bewegung seines Mundwinkels noch zu sehen. Unwillkürlich runzelte sie um eine Winzigkeit die Stirn, dann aber löste das zaghafte, aber mehr und mehr an Intensität gewinnende Lächeln den grüblerischen Ausdruck auf ihrem Gesicht ab. Epicharis sah auf den Würfelstab hinunter, seufzte theatralisch und lehnte sich zurück. "Wie machst du das nur?" fragte sie ihn und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Lippen. Ob er in Wahrheit Spiele spielte statt langweilige Dokumente zu wälzen und derlei? Prüfend und nur halb das Schmunzeln verbergend sah sie ihn an. "Ich wusste gar nichts von deinem Spielerglück", neckte sie ihn. Kurz darauf zuckte sie heftig zusammen, als aus heiterem Himmel ein berstender Donnerschlag ertönte. Erschrocken sah sie in den Himmel, suchte nach dunklen Wolken, doch fand keine. Erst, als sie sich umwandte, entdeckte sie die Front in ihrem Rücken. Enttäuscht wandte sie sich um. "Ach je, es war so ein schöner Tag bisher." Kurioserweise stimmte das Spielende wohl auch mit dem Ende des Sonnenscheind überein. Ein leichter Wind hielt nun Einzug in den flavischen Garten. Epicharis hatte genug Unwetter erlebt, um zu wissen, dass daraus bald ein böiger Sturm werden würde. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie hierbleiben müssen, bis der Regen aufgehört hatte. Und Epicharis war sich nicht sicher, ob sie nicht lieber bleiben wollte als sogleich aufzubrechen.

  • Für einen winzigen Augenblick, marginales Spurenelement im gewaltigen Suppentopf der Zeit, sann Gracchus darüber nach, bezüglich des Spielerglückes jenes uralte Sprichwort zu erwähnen, welches dieses konträr der Unbill in den Angelegenheiten der Liebe setzte, doch seine Vettern Caius und Marcus waren die einzigen, gegenüber denen er sich solcherlei hintergründige Offenheit würde erlauben, obgleich Epicharis bisweilen mehr ihm konnte abringen, als es seiner rationalen Ansicht nach war angemessen. Da nichts sinnvolles ihr zu entgegnen jedoch anderweitig ihm wollte in die Sinne gelangen, legte er nur ein wenig den Kopf schief und ließ neben der Andeutung eines Lächeln seine Lippen den Ansatz eines Zucken seine linke Schulter heben. Gleich Epicharis fuhr auch Gracchus alsbald in Gegenwart des Donnerschlages zusammen, vernahm nun doch die Geister, welche so leichthin er hatte herausgefordert. Die anmutige Atmosphäre schwand in ihrem durch ferne Pauken untermalten, triumphalen Einzuge, das melodische Zwitschern der Vögel, das fleißige Summen der Bienen und Hummeln wich dem zischenden Säuseln ihrer rauen Stimmen, die warme Berührung der Sonnenstrahlen wurde hinfort geweht durch den zerrenden Griff ihrer dürren, windigen Finger, und die weichen, honigfarbenen Konturen des Tages erloschen unter dem düsteren Abbild ihres gewaltigen Schattens. Gracchus liebte den Regen, Blitze faszinierten ihn, doch er fürchtete den unausweichlichen Donner, obgleich dies alles nur divergente Aspekte eines einzigen Gottes waren. Für gewöhnlich kostete es ihn Mühe, an sich zu halten im Widerhall des himmlischen Dröhnen, nicht schlagartig die Flucht zu ergreifen und sein Heil im Inneren des Hauses zu suchen, doch schlagartige Flucht war dieser Tage nichts, dessen Gracchus wäre fähig gewesen, und er war sich dessen mehr als nur bewusst. Gleichsam dieser aus der Unfähigkeit der Umsetzung schneller Reflexe resultierenden Unmöglichkeit, war er sich ebenso seines Gegenübers bewusst, jener Claudia, der gegenüber er die Ausmaße dieser Unfähigkeit noch immer zu verbergen suchte, dem bisherigen Verlauf des Nachmittages und der Offensichtlichkeit seines Unvermögens zum Trotz, womit vor seiner eigenen Flucht die ihre musste stehen. Eine freundliche, doch bestimmte Aufforderung formte in seinen Gedanken sich, etwaig im Sinne von Obgleich es mich sehr dauert gezwungen zu sein, diesen überhaus angenehmen Nachmittag auf solch deplorable Weise beenden zu müssen, so muss ich dennoch darauf insistieren, dass deine Sänfte nun für den Nachhauseweg wird bereit gestellt, denn keine Exkulpation würde sich finden lassen, so du ob meiner Person wegen der durchringenden Nässe des baldigen Regens auf deinem Wege wärest ausgeliefert, gleichsam der Gefahr, welche die rutschigen Straßen mit sich bringen.
    "'b..gl'''h ..."
    Nicht mehr als ein Versuch dessen gelangte in Freiheit, denn unvollendeten Satzkonstruktes stoppte Gracchus, schloss seinen Mund und verwarf all die gedachten Worte, da bis all jene seiner Kehle wären entrungen, wäre längst der Regen über ihnen. Ob dessen sann er erneut einige Augenblicke, setzte hernach wiederum an.
    "'s war ... ''n seh' ... 'nge..n'h..me' ... Na'h..mi't'g. ... Do'h du ... s'll..t'st ''f..bre..'h'n, bev'r ... d'r Re''n ... ''fzi'h'."
    Die Absicht war in jenen gestückelten Fragmenten allfällig mitnichten deutlicher geworden denn durch das nicht ausgesprochene, verworfene Satzkonstrukt, doch als Gracchus den Blick seines Sklaven suchte, wusste dieser, was es zu tun galt, verließ die Szenerie, um Epicharis' Sklaven Anweisung zu geben, die Sänfte des Gastes vor der Pforte der flavischen Villa bereit zu halten. Aus den Tiefen des Gartens, in einem langsamen Schwenk über den graufarben melierten Himmel hinab glitt Gracchus' Blick zurück auf die Claudia.
    "Dank' ... f'r ... d's ..."
    Es folgte eine unbestimmte Geste zu den Spielfiguren auf dem Tisch hin, denn selbst wenn es ihm ein leichtes wäre gewesen, es auszusprechen, so hätte er niemals all das erwähnt, wofür jener Dank tatsächlich galt, für ihren Besuch, ihre Worte - ausgesprochen oder unausgesprochen -, die dargebotene Ablenkung und die Pläsir ihrer Anwesenheit.

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  • Beunruhigt ob des aufziehenden Unwetters wirkte Epicharis nun unruhig. Und sie wusste immer noch nicht, ob sie besser sofort ging oder doch noch bleiben sollte, bis das Gewitter vorüber war. Gracchus blickte der Wolkenfront entgegen, die sich schier unaufhaltsam ihnen entgegen schob, und er begann einen Satz, den Epicharis nicht sofort verstand. Gleich, vermutlich wollte er ankündigen, dass es gleich regnete? Rätselnd runzelte sie die Stirn, betrachtete Gracchus eingehend, so als ob die Antwort, die er zu geben gedachte, in leuchtenden Lettern auf seiner Stirn erscheinen würde, wenn sie ihn nur eindringlich genug ansah. Doch statt auftauchenden Buchstaben nahm er ihr die Entscheidung kurzerhand ab, ob sie bleiben oder gehen sollte. Epicharis ließ noch einen Herzschlag verstreichen, dann lächelte sie ein wenig, zauderhaft ob des Unwetters, da sie Regen und Blitze und Donner nicht mochte und niemals gemocht hatte. Dennoch hatte sie den Hinweis verstanden, Gracchus mochte jetzt wieder allein sein, und sie würde seinem Wunsch natürlich nachkommen.


    "Ja. Du hast Recht, ich sollte mich besser eilen", erwiderte sie und nickte abschließend. Sie schob den Stuhl ein wenig zurück und stand auf. Dabei überlegte sie, wie sie sich verabschieden sollte. Gracchus bedankte sich noch einmal für das Spiel, und augenblicklich musste Epicharis verschmitzt lächeln. "Oh, bedanke dich besser nicht, beim nächsten Mal werde ich dich vernichtend schlagen", scherzte sie, und als wollten die Götter diese Worte unterstreichen, krachte es in diesem Moment laut und vernehmlich, und Epicharis zuckte wieder einmal zusammen. Jetzt, wo sie nun schon einmal stand, kostete es sie große Überwindung, nicht ein wenig näher an Gracchus heranzutreten. Sie hasste Gewitter wirklich! Und damit ihr nicht doch noch ein Malheur passierte, für das sie sich später würde schämen müssen, verabschiedete sie sich nun hastig. "Gut, also... Ich werde dann jetzt gehen. Werde bald wieder richtig gesund, Gracchus", wünschte sie ihm und griff nun doch noch einmal nach seiner Hand, um sie herzlich zu drücken. Kurz darauf wandte sie sich um und verließ in Begleitung eines Sklaven, der sie zur Tür geleitete, den Garten.


    Epicharis war nur noch wenige Schritte von ihrer Sänfte entfernt, als bereits die ersten, schweren Tropfen auf das Pflaster tropften. Nur wenig später hatten sich die vereinzelten Regentropfen in ein prasselndes Crescendo verwandelt, durch die die claudischen Sänftenträger mit ihrer schweren Last schnellstens heimwärts flohen.

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