atrium | Die Ankunft der Aurelia Laevina

  • Es war Orestes durchaus nicht entgangen, dass Laevina sich mehr auf Ursus konzentrierte, denn auf ihn, was ihn aber überhaupt nicht störte. Schließlich hatte er sich ja in ihre Unterhaltung hineingeschmuggelt. Deswegen fuhr er weiter freundlich, wenn auch ein wenig ironisch fort: "Da hast Du Dir ja viel vorgenommen, Laevina. Aber hier in Roma findet sich immer etwas - wahrscheinlich wird Corvinus schnell ein paar Ideen haben, wie Du in die Gesellschaft hier eingeführt werden kannst. Apropos Gesellschaft -" sagte er und wandte sich Ursus zu, "Es hat schon längere Zeit keine ansprechende Feier gegeben, sollten wir nicht mal mit Corvinus sprechen, ob wir als Aurelier nicht mal die befreundeten Familien einladen sollten?" Warum er auf diese Idee gekommen war fiel ihm erst einen Augenblick später ein. "Das wäre doch vielleicht nicht schlecht, um die ganzen Neuankömmlinge mal ein wenig an die Öffentlichkeit zu bringen, oder?

  • Bereits auf dem Weg zum Atrium vernahm Fhionn die Wortfetzen einer angeregten Unterhaltung. Mittlerweile war sie mit einem großen Tablett beladen, auf dem sich auf kleinen Tellern angerichtete Leckereien befanden. Pflaumen im Speckmantel, Aprikosen, die mit Ziegenkäse gefüllt waren, eingelegte Oliven und frischgebackenes Brot. Alleine der Duft ließ einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Fhionn versuchte dem verführerischen Duft, so gut es ging, zu widerstehen. Sie konzentrierte sich darauf, daß nichts zu Boden fiel. Neben den Speisen, trug sie auch noch einen weiteren Becher mit sich. Die Getränke waren bereits vorrätig.
    Als sie das Atrium betrat, mußte sie feststellen, daß sich in der Zwischenzeit auch Aurelius Orestes im Atrium eingefunden hatte. Diesen Aurelier hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich lag es einfach daran, daß sie bewußt jedem der Römer aus dem Weg gehen wollte, so gut es ging. So versuchte sie auch jetzt, so unscheinbar, wie möglich zu wirken.
    Die Speisen stellte sie auf einem kleinen Tischchen ab. Der Becher war eigentlich für Ursus bestimmt. Sie mußte noch schnell einen weiteren für den anderen Aurelier besorgen. Schnell huschte sie davon, um einen zweiten Becher zu holen. Bald darauf war sie wieder zurück und fragte die beiden Männer, ob sie ein Getränk wünschten. "Du wollen trinken, etwas?" Für einen Moment war sie aus der Belanglosigkeit ausgebrochen. Ihr Blick wanderte fragend von Ursus zu Orestes und wieder zurück zu Ursus.

  • Ursus mußte unwillkürlich lachen. Sie war wirklich ausgesprochen reizend, ein wahrer Gewinn für die Familie. Bestimmt würden sie bald allerhand zu tun bekommen, unwillkommene Verehrer abzuwimmeln. "Na, Du wirst eher nicht verhindern können, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Im Moment scheint da wenig los zu sein. Es ist Sommer und alle sind ans Meer geflüchtet, weil es ihnen hier zu heiß ist. Aber Du wirst sehen, in wenigen Wochen wirst Du Dich kaum noch vor Einladungen retten können. In der Stadt wird von anstehenden Hochzeiten gemunkelt. Mit etwas Glück wirst Du bei der einen oder anderen Feier dabei sein können, dann bist Du im Nu bekannt in der Gesellschaft, umschwärmt und bewundert, wie Du es verdienst. - Und vielen Dank für Deine guten Wünsche. Ich kann jedes Quentchen Glück gut brauchen." Eine schöne junge Frau wie Laevina würde sicher bald überall beliebt sein und dann zu allen größeren Feierlichkeiten eingeladen werden.


    "Ja, das ist natürlich auch eine gute Idee, Orestes. Es wird mal wieder Zeit, daß Leben in dieses Haus kommt. Die letzte große Feier, die ich hier miterlebt habe, ist nun schon ... mehrere Jahre her. Natürlich weiß ich nicht, was ihr im letzten Jahr so alles verbrochen habt, als ich nicht da war. Wir sollten Corvinus wirklich darauf ansprechen. Es muß ja nicht gleich so etwas großes sein wie das Fest zur Meditrinalia damals." Er ließ sich von Fhionn einen Becher mit verdünntem Wein geben und nickte ihr anerkennend zu. Das alles sah nicht nur gut aus, das duftete auch ausgesprochen verführerisch. "Danke, Fhionn. Bleib bitte noch hier, falls wir noch etwas brauchen."

  • Eine Feier direkt im eigenen Haus. Dagegen hatte ich auch nichts einzuwenden, ich war gespannt, wie Corvinus das sah. Die "Jungs" schienen sowieso alle wichtigen Entscheidungen tatsächlich dem Haushaltsvorstand zu überlassen. Wenn Corvinus gut war, durchaus angemessen, wenn nicht, dann würde sich das sicher auch irgendwann ändern.
    Dass die Oberschicht ausserhalb Roms weilte, konnte ich verstehen, doch doof war es dennoch. Hochzeiten dagegen waren genau nach meinem Geschmack, da traf man an einem Abend alle wichtigen Menschen der Umgebung. So war es in Griechenland gewesen, hier würde es nicht viel anders sein. Der Gedanke an Hochzeit erinnerte mich daran, dass ich auch irgendwann heiraten sollte. Mein Vater hätte mich mit Sicherheit im nächsten Jahr verlobt, ich war ja schon ungewöhnlich alt dafür. Ich hoffte, Corvinus würde das nicht so eng sehen und mehr nach meinen Wünschen sehen.
    Jetzt brachte die britische Sklavin Essen. Es sah gut aus und es roch auch gut, doch seit ich ein Kind mehr war hatte ich nicht mehr richtig Hunger gehabt, ich aß, weil ich musste. Als man mir etwas anbot, nahm ich auch heute eine gefüllte Aprikose. Sie schmeckte tatsächlich gut.
    ´umschwärmt und bewundert, wie Du es verdienst`. Er machte mir Komplimente! Ein tolles Gefühl! Auch daran würde ich mich sicher in Rom gewöhnen können, doch von Ursus war es besonders schön zu hören.
    Ich genoss die Gesellschaft, aber auf einmal viel mir ein, dass ich eigentlich auf Corvinus wartete und die Müdigkeit stellte sich langsam ein.
    Ich war in Gedanken vertieft, als mich ein Gähnen überraschte und ich es nicht verhindern konnte. Natürlich hielt ich mir schnell die Hand vor den Mund und versuchte es noch nachträglich zu unterdrücken. Ich errötete leicht - das war aber peinlich! - und schaute wie üblich verlegen kurz zu Boden um dann möglichst unauffällig um Verzeihung bittend von unten zu Ursus und Orestes aufblickte. Als eine Ruhepause entstand sagte ich erklärend: "Die Reise war doch anstrengend... Ich freue mich schon auf ein Bett, das nicht schaukelt!" Das war gar nicht als Scherz gemeint, sondern ganz ernst, aber als ich mich sprechen hörte, viel mir auf, dass es auch als ironischer Humor gewertet werden konnte.

  • Fhionn hatte ein paar Kleinigkeiten zu essen und etwas zu trinken mitgebracht. Das war jetzt genau das richtige für Orestes. So nahm er sich eine Pflaume im Speckmantel genoss sie und ließ sich dann einen Becher mit Wein - verdünnt natürlich - geben. Das Gespräch plätscherte etwas dahin, seine Idee von einer Feier wurde positiv aufgenommen. Das freute ihn.


    Als das Gespräch - wie schon gesagt - weiter plätscherte, gähnte Laevina. Ob sie das auch schon getan hatte, bevor Orest in das Gespräch eingetreten war? Wahrscheinlich nicht. Das er aber auch immer so langweilig sein musste. Glücklicherweise errötete Laevina direkt nach dem Gähnen - vielleicht war sie einfach nur müde. Die aufkommenden Selbstzweifel verschwanden zwar nicht augenblicklich ebbten aber doch wieder ab, so dass er sich bemühte den Gesprächsfaden wiederaufzunehmen, der durch das Gähnen und die anschließende kurze Stille unterbrochen worden war. Da ihm nicht ganz klar war, was dieser letzte Satz von Laevina bedeutete - hörte irgendeinen versteckten Sinn oder eine Ironie, er wusste es nicht - versuchte er etwas weiter vorne im Gespräch anzuknüpfen "Vielleicht ist es doch nicht das schlechteste, dass ein großer Teil der 'Gesellschaft' gerade nicht in Roma weilt. So kannst Du Dich erst einmal eingewöhnen. Und die Römer können sich an Dich gewöhnen. Was meinst Du," sagte er und schaute zu Ursus, nachdem er zuerst so getan hatte, als ob er Laevina musterte, "Ursus, brauchen wir für Laevina eine Sondererlaubnis der Aedilen, wenn sie während der Morgen- oder Abendstunden, also wenn die Wägen und Karren durch Rom fahren, in die Stadt will. Also ich meine wegen des Chaos, das sich ohne Zweifel in den Straßen bilden wird." Für einen Scherz war der Gedankengang relativ komplex, so hoffte Orestes, dass Ursus ihn verstehen würde.

  • Meine Bemerkung wusste erst einmal niemand zu deuten. Keiner zeigte mir mein Zimmer oder führte mich ins Bad oder so. Hmm, sie würden sich schon noch daran gewöhnen, dass ich anspruchsvoll war und nicht immer alles aussprechen wollte, was ich wollte. Ein Schweigen breitete sich aus, bevor Orestes, "der andere" das Wort ergriff und noch einmal auf die Gesellschaft Roms einging. Auch er versuchte, wie Ursus vorher mir zu schmeicheln. Doch fand ich es recht unglücklich ausgedrückt: "können die Römer sich an dich gewöhnen". Das konnte ich auch anders auffassen. So lächelte ich auch nicht zu dieser Bemerkung, wie ich es für Ursus sicher getan hätte, sondern ignorierte sie. Dann weiteten sich kurz meine Augen, als er etwas über Wagen und Karren sagte. Ich fürchtete schon, er wolle mich mit diesen vergleichen oder ähnliches, bis ich verstand, dass dies auch ein schmeichelhafter Scherz war. Doch der Schock sass tief, und das Kompliment war zu gewagt und kompliziert. Ich fragte mich, wie alt Orestes war. Und wieviel älter Ursus wohl sein mochte. Da dieser angesprochen war, wartete ich auf seine Antwort an Orestes und nahm mir vor, wenn dieser mich auch nicht ins Bett bringen würde, die Initiative zu ergreifen.

  • Ursus nickte und lächelte ein wenig schief, als sie darüber sprach, sich auf ein nicht schwankendes Bett zu freuen. "Ich weiß genau, was Du meinst. Ich kann Schiffsreisen auch überhaupt nichts abgewinnen. Das besonders hinterhältige dabei ist, daß die ersten ein, zwei Nächte die Betten auf dem Festland auch irgendwie zu schwanken scheinen. Bist Du sehr müde von der Reise? Dein Zimmer ist mittlerweile sicher fertig. Und das Bad auch." Zumindest ging er schwer davon aus. Schnell warf er einen fragenden Blick auf Fhionn. Die konnte dies sicher mit mehr Sicherheit sagen. "Fhionn, begleitest Du Laevina bitte und gehst ihr zur Hand?"


    Über den Scherz von Orestes lachte er herzlich. Er fand, der Vetter hatte einen feinen Sinn für Humor. "Ja, ich bin sicher, wir brauchen dann eine Sondergenehmigung. Denn Du befürchtest zu Recht ein Verkehrschaos, wenn sich alle nach ihr umdrehen. - Diejenigen, die Dich zuerst kennenlernen dürfen, werden dies bestimmt als ein Privileg betrachten", schmeichelte Ursus der schönen Cousine in scherzhafter Absicht.


    "Also, wenn Du etwas brauchst, dann sag es nur, Laevina. Du bist hier nun zuhause. Und ich bin sicher, ich spreche in Corvinus' Sinne, wenn ich Dir sage, daß Dir alles zur Verfügung steht." Eigentlich hoffte er ja, daß sie ihnen noch ein wenig Gesellschaft leistete, doch ihre Worte hatten so geklungen, als wünschte sie, sich zurückzuziehen. Natürlich ein verständlicher Wunsch nach so einer langen Reise.

  • Wenigstens, so dachte sich Orestes, wenigstens hat Ursus meinen Scherz verstanden. Aber er hatte auch den Wink mit dem Zaunfall von Laevinas Seite verstanden. Und schon begann Manius Aurelius Orestes diese erste Begegnung mit seiner Verwandten Laevina abzuhacken. Und da der erste Eindruck ja besonders zählte, erwartete er - bis auf weiteres - nichts besonderes von seiner nun neu-bekannten Verwandten. Sie schien ihm eine von diesen eingebildeten Patriziertöchtern zu sein.
    Gut erzogen, wie er war ließ er sich von diesen Gedanken allerdings nichts anmerken sondern nickte nur freundlich zu Ursus Worten und lächelte freundlich.

  • Ursus lachte laut über Orsestes gewagten Scherz. Ich lächelte leicht doch tatsächlich nahm die Müdigkeit langsam Überhand. So stimmte ich erleichtert zu, als Ursus fragte, ob ich sehr müde sei. Als er Fhionn beauftragte, mich zu begleiten war ich nur minder begeistert, aber letzendlich war es mir egal.
    Ich erhob mich und lächelte Orestes zu, dann Ursus bedeutend tiefer in die Augen schauend und sagte: "Wenn ihr nichts einzuwenden habt, dann ziehe ich mich jetzt zurück. Aber vielleicht treffen wir uns ja morgen schon wieder. Möglicherweise zeigt mir ja jemand die Stadt! Gute Nacht!", ergänzte ich, als ich aus der Tür trat um Fhionn ins Bad zu folgen, dass hoffentlich schon jemand vorbereitet hatte.


    Den Vilicus meines Vaters liess ich hilflos zurück. Er würde diese Nacht im Haus verbringen und vermutlich morgen, sobald er sich überzeugt hatte, dass Corvinus tatsächlich hier lebte, ohne Verabschiedung davon machen. Er hatte ein kleines Stück Land in Oberitalien geerbt, dort würde er vielleicht auf seine alten Tage noch glücklich werden. Zumindest mich hatte er nicht mehr am Hals.

  • Fhionn hatte sich unscheinar in einer Ecke postiert und der Unterhaltung der Romer gelauscht. Freilich konnte sie mit dem Humor der Römer nicht viel anfangen. Der Grund dafür lag nicht etwa daran, daß sie zum Lachen in den Keller ging, nein, es scheiterte einfach am Verständnis für die Feinheiten der lateinischen Sprache.
    Innerlich hatte sie gehofft, an diesem vorangeschrittenen Abend zu keiner besonderen Tätigkeit mehr herangezogen zu werden. Doch dieser Wunsch verpuffte ganz plötzlich mit dem Nennen ihres Namens. Sie fühlte in sich die innere Anspannung zurückkehren und sah zu Ursus hinüber, der sie fragend anschaute. Sie nickte nur stumm und wandte sich schließlich der Aurelia zu. Sie sah nun wirklich müde aus.


    Nachdem sich die Römerin verabschiedet hatte, geleitete sie sie zum Bad. Fhionn hoffte darauf, daß das Bad bereits fertig war. Fast schon vor einer Stunde hatte sie einem Sklaven Bescheid gegeben, er solle das Wasser anheizen.
    "Du kommen mit mir, bitte!" Sie schritt voran.

  • "Gute Nacht", wünschte Ursus der Cousine mit einem freundlichen Lächeln, als sie doch sehr schnell beschloß, sich zurückzuziehen, "und träum etwas schönes. Du weißt doch: Was man in der ersten Nacht in einem neuen Haus träumt, das geht in Erfüllung." Schade eigentlich, daß sie schon ging. Er fand ihre Gesellschaft recht angenehm. Doch auch die Gesellschaft von Orestes war nicht zu verachten. Ganz im Gegenteil.


    "Es ist wirklich schön, daß wir uns endlich mal wieder treffen, Vetter. Hast Du noch ein wenig Zeit? Wollen wir noch einen Becher zusammen trinken und uns ein wenig unterhalten? Du hast Dich ganz dem Cultus Deorum verschrieben? Oder strebst Du gleichzeitig auch in die Politik?" Ursus wußte ja, daß dies kein schlechter Weg war, seine Karriere anzufangen, auch wenn er selbst einen anderen Weg gewählt hatte.

  • "Gute Nacht, Laevina.", stimmte auch Orestes ein - allerdings ohne die Raspelei von Süßholz, die Ursus anzuschließen pflegte. Vielleicht lag es an seinem Arbeitstag, vielleicht an Laevina. Komplimente wollten ihm nicht gelingen, also ließ er sie lieber.


    Auf Ursus Einladung die Gelegenheit zu nutzen, schritt er sogleich zur tat und füllte sich den Becher neu, da Fhionn glücklicherweise den Wein stehen gelassen hatte. "Du hast recht. Ein Becher Wein kann nicht schaden. Ich habe mich erstmal dem Cultus Deorum verschrieben, aber ich bin ja auch noch jung. Nicht mehr allzu jung zwar, da ich das übliche Alter für das Vigintivirat bald hinter mir lasse, aber noch ein, zwei Jahre im ausschließlichen Dienst der Götter wird mir - und uns - gut tun. Wenn sich bis dahin keine wesentlich anderen Wege auftun, gedenke ich dann mich um ein Vigintivirat zu bewerben. Den Ordo habe ich ja glücklicherweise von meinem Großvater geerbt.". Er wunderte sich wie leicht ihm diese Worte fielen und wie schwer ein einfaches Gerede über dies und das.Und da mir sozusagen die erste Hürde der Ordo schon in die Wiege gelegt worden ist, sollte ich dieses Geschenk da nicht zu nutzen versuchen? Die rhetorische Frage genießend nahm er einen Schluck Wein. Aber genug von mir - ich nehme an Du wirst in Bälde die Quaestur anstreben? Noch dieses Jahr würde ich tippen.

  • Auch Ursus schenkte sich noch einmal ein. Die Süßholzraspelei war für ihn eigentlich nur ein kleiner Spaß. Ein paar Komplimente und etwas Herzlichkeit, damit sie sich willkommen fühlte. Er nahm nicht an, daß Laevina daraus irgendwelche falschen Schlüsse zog. Immerhin waren sie Verwandte.


    Bequem schlug Ursus die Beine übereinander und hörte dem Vetter zu, als er berichtete. "Ein ehrenhafter Weg ist es allemal. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, nach dem Tribunat ebenfalls erst einmal in den Dienst der Götter zu treten. Für ein oder zwei Jahre erst einmal, bevor ich meine politische Karriere weiterführe. Doch als das Tribunat endete... Ich kann es nicht mal genau begründen. Es fühlt sich im Moment einfach falsch an. Ich habe mich zu nichts verpflichtet, also denke ich, ist eine Umentscheidung nicht das Problem und eine Kandidatur zum Quästor bei der nächsten Wahl der richtige Weg für mich. Ich denke, wenn ich innerlich wieder mehr zur Ruhe gekommen bin, werde ich diesen ursprünglichen Plan wieder aufgreifen." Er hatte sich die Entscheidung keinesfalls leicht gemacht. Doch er war eben der Meinung, daß ein Priester selbst mit sich im Einklang sein sollte. Wie sollte er sonst anderen helfen können? Wie sollte er sonst als Verbindung zwischen den Göttern und den Menschen fungieren können?


    Vielleicht hatte ja auch die ganze Geschichte mit Fhionn damit zu tun. Seit er damals den Brief von Corvinus erhalten hatte, war er nicht mehr richtig zur Ruhe gekommen. Vielleicht sollte er vielmehr die Dienste der Priester in Anspruch nehmen? Das könnte helfen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, hierüber nachzudenken.


    "Ich finde, das hört sich alles sehr gut an und Du hast recht, solch ein Geschenk sollte man wirklich nicht ungenutzt lassen. Wie weit bist Du denn eigentlich mit Deiner Ausbildung als Priester? Bist Du schon im Tempel aktiv eingesetzt?"

  • Als Orestes von Ursus "Planänderung" hörte kam ihm gleich Corvinus in den Sinn, der von dieser Entscheidung sicherlich nicht angetan gewesen sein musste. Aber er würde Ursus darauf jetzt nicht ansprechen - es erschien ihm nicht taktvoll. "Naja es ist ja auch nicht so, dass unsere Familie sich nicht um den Cultus Deorum bemüht. Wahrscheinlich ist es gut, gewisse Stufen des Cursus Honorum suo anno zu machen, insofern kann ich Deine Entscheidung schon nachvollziehen.


    Zum Glück - er wiederholte sich gedanklich - zum Glück, hatte Fhionn auch die Speisen stehen gelassen, so dass er sich noch eine gefüllte Aprikose nehmen und essen konnte, bevor er weitersprach. "Ich bin im Kapitol eingesetzt. Und nicht nur das, man hier mir sogar einen Schüler anvertraut. Ich bin mir sicher, dass Corvinus da seine Finger mit im Spiel hat. Es ist übrigens ein Duccier - ein Germane." Und noch eine Aprikose fand den Weg in seinen Mund. Er musste natürlich eine kleine Pause machen bevor er weitersprechen konnte. "Alles in allem, kann man sagen, dass ich hier in Roma sehr zufrieden bin und dass die Angelegenheiten sehr gut zu laufen scheinen.

  • Ursus seufzte. "Es ist ja nicht so, daß ich mich nicht einbringen möchte in den Cultus Deorum. Nicht umsonst habe ich die Probatio I bereits abgelegt. Aber eben nicht jetzt. Ich bin der Meinung, daß ein Priesteramt nicht einfach ein Amt ist. Sondern eine Berufung. In ein solches Amt sollte man nicht gehen, weil es der Karriere förderlich ist oder weil jemand in der Familie meint, man sollte doch auch mal Tätigkeiten im Dienst der Götter vorweisen können. Ich fühle, es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt."


    Auch Ursus nahm sich eine der Aprikosen, die sahen wirklich gut aus. Er aß sie erst in Ruhe, dann sprach er weiter. "Nun, es ist doch nicht verkehrt, wenn Corvinus Dich fördert. Und er würde es sicher nicht tun, wenn er Dir nicht vertrauen könnte... Ein Duccier sagst Du? Ich habe einige Duccier kennengelernt in Germanien. Und habe vergeblich versucht herauszufinden, welchem Stamm sie eigentlich angehören. Nur von Duccius Lando weiß ich es, doch er ist adoptiert und stammt von einem anderen Stamm als die anderen. Wie heißt Dein Schüler denn? Hat er mal erwähnt, welchem germanischen Volk er entstammt?" Ein Duccier in Rom im Cultus Deorum. Eine umtriebige Familie.

  • "Vielleicht,", meinte Orestes zum Thema Priesterschaft, bist Du da auch etwas zu idealistisch. So wichtig die innere Gesinnung ist, das was wirklich zählt ist, dass die Riten korrekt ausgeführt werden. Damit hilft man Rom, sich selbst und in gewisser Weise den Göttern. Du kennst das Prinzip. Aber dennoch - ich will Dich nicht überreden. Es ist auch wichtig, wenn sich die Bürger und in erster Linie die Magistraten und werdende natürlich auch Opfer darbringen und an den großen Festen teilnehmen. Die Fors Fortuna war dieses Jahr nur sehr wenig besucht. Orestes begann gerade nachzudenken, warum sie jetzt eigentlich darüber sprachen, und ob etwas dahinter steckte. Nicht im Sinne einer Absicht, sondern eines Anliegens. Da kam ihm eine Idee, ob Corvinus nicht auf ihn eingeredet hatte, seine alte Absicht wahrzumachen. Ein Schuss ins Blaue war diese Vermutung doch wert. Im übrigen denke ich, dass auch Corvinus damit zufriedenzustellen wäre, wenn Du Dich auf diese Weise an der Aufrechterhaltung beziehungsweise der Wiederherstellung der pax deorum beteiligst.


    Sein Becher war schon wieder leer. Aber anstatt ihn nachzfüllen, sprach er weiter:Nein, das ist natürlich nichts schelchtes, wenn er seinen Einfluss als Septemvir geltend macht. Im Gegenteil. Ich war nur ein wenig überrascht, immerhin ist dieser Duccius Verus nicht so viel jünger als ich. Von seinem Stamm hat er bisher nichts erzählt, aber wir sprechen auch mehr - wie könnte es anders sein - über die Götter.

  • Ursus legte den Kopf schief. Zählte wirklich nur der Ablauf der Riten? "Nein, ich glaube nicht, daß ich es so sehen kann: nichts weiter als der völlig korrekte Ablauf der Riten. Natürlich müssen sie völlig korrekt durchgeführt werden. Aber das kann doch nicht alles sein. Die Götter schauen in die Herzen. Also wenn sie überhaupt schauen, uns also überhaupt anhören. Wie könnte es da genügen, die Riten in vorgeschriebener Weise durchzuführen?" Er atmete tief durch. So rein sachlich als reinen Arbeitsgang konnte er den Tempeldienst wahrhaftig nicht sehen.


    "Zur Fors Fortuna war ich noch in Germanien. Ich wäre gerne dabei gewesen. Zu den Festtagen bin ich eigentlich immer dabei. Das habe ich stets so gehalten und Corvinus weiß das auch. Aber Du hast recht, die Bürger sollten sich wieder mehr beteiligen, die letzten Festtage, die ich hier in Rom erlebt habe, waren nicht übermäßig gut besucht. Was meinst Du, woran das liegt?" Ob die Menschen sich einfach nicht mehr interessierten? Warum hatten sie denn dann früher mehr an den Festtagen teilgenommen?


    "Ja, natürlich. Das ist ja klar, daß ihr hauptsächlich darüber sprecht. Ich dachte nur, er hätte es vielleicht zufällig erwähnt. Ich habe mich eben in Germanien ein wenig mit den germanischen Stämmen befaßt und hatte auch mit den Ducciern zu tun. Da hätte es mich interessiert, wo ihre Ursprünge liegen." Er zuckte die Schultern. Einen Versuch war es wert gewesen.

  • Er hörte Ursus zu. Er hörte ihm wirklich genau zu, denn auch wenn er diese Ansichgt nicht zum ersten Male hörte, so wurde sie dadurch nicht besser. Dennoch versuchte er mit einem wohlwollenden Herzen zuzuhören, denn schließlich war es sein Vetter Ursus, der sie vertrat."Ich sage ja auch gar nicht, dass das was ihm Herzen passiert völlig unwichtig sei. Aber stellen wir uns doch einmal vor ein sacerdos soll ein Opfer für die Gesundheit des Kaisers darbringen. Aber bei ihm zu Hause geht es drunter und drüber - und so in seinem Herzen. Da verlangt es die pietas, dass er das Opfer darbringt - unabhängig von dem was er gerade denkt oder fühlt, ja dass er beiseite schiebt was ihm Sorge bereitet, für das was Roma Sorge bereitet. Das ist seine Pflicht. Auf der anderen Seite, kennen wir alle das Gefühl, dass der Sacerdos, der mit reinem ungeteilten Herzen das Opfer darbringt ein 'besserer' Mediator ist als einer bei dem das eben nicht der Fall ist. Und von diesem Gesichtspunkt aus, kann ich Deine Entscheidung nicht jetzt die priesterlichen Teile Deiner Laufbahn anzugehen sehr gut mittragen. Von der Verwaltungsarbeit, die den größten Teil des priesterlichen Dienstes ausmachte, wollte er gar nicht reden.


    Warum die Menschen nicht mehr an den alten und geheiligten Festen teilnehmen, wenn wir das wüssten, vielleicht liegt es an diesen Mysterienkulten und den ganzen anderen Religionen, die aus dem Osten gekommen sind. Vielleicht liegt es auch daran... Er stockte ganz unwillkürlich, da er diesen Gedankengan zwar schon ein paar Mal angedacht, ihn aber noch nie ausgesprochen hatte. dass die Römer das Vertrauen in die Götter verloren haben. Die pax Deorum sie ist - glaube ich - angeknackst, der Mord an der Vestalis Maxima, der maledeite parthische Pfeil, die mysteriöse Krankheit unseres geliebten Kaisers - um nur die größten Katastrophen der letzten Jahre zu nennen.


    Und was den Duccier angeht. Wenn sich das Thema mal in diese Richtung neigt, werde ich ihn fragen. Auch wenn sich mein Wissen über die Germanen auf die Germania des Tacitus beschränkt.

  • Auch Ursus hörte sehr aufmerksam zu. Und er mußte zugeben, daß Orestes sehr viel Wahres sagte. "Ja, wie Du das so sagst, klingt es ganz richtig. Welcher Mensch, Priester oder nicht, könnte schon von sich sagen, innerlich immer im Gleichgewicht zu sein? Ich kehre dem Cultus Deorum ja auch nicht vollständig den Rücken... Hm..." Ursus' Blick wanderte zum Hausaltar und eine ganze Weile starrte er einfach nur dahin. "Ich werde über Deine Worte nachdenken, Orestes", versprach er ernst. "Du scheinst jedenfalls ganz den richtigen Weg zu gehen." Ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf seine Züge. Vielleicht erwartete er tatsächlich zuviel von sich selbst, was seine persönlichen Vorraussetzungen für den Dienst im Cultus Deorum anging? Orestes zumindest schien zu wissen, wovon er sprach und fand auch die richtigen Worte, um Ursus die andere Sichtweise nahe zu bringen.


    "Die Pax Deorum ist immer noch so stark angeknackst? Meinst Du denn nicht, daß die Lustratio da etwas gebracht hat? Ich meine, das war doch ein gewaltiges Spektakel. Die Senatoren, die die zehn Rinder geschultert hatten... Und dann das Opfer. Es schien doch angenommen worden zu sein? Hat es danach nochmal Anzeichen dafür gegeben, daß die Götter immer noch derart zürnen?"

  • Hm., sagte Orestes und folgte Ursus Blick zum Lararium. Die kurze Stille empfand Orestes als angenehm, was gewiss nicht immer der Fall ist, wenn eine solche Stille in einem Gespräch bei einem so sensiblen Thema eintritt. So musste denn auch nichts mehr zum persönlichen Teil der Unterhaltung gesagt werden, da Schweigen immer als Zustimmung gedeutet werden konnte.


    "Was die Pax Deorum anbelangt, bist Du der erste mit dem ich darüber spreche. Sicherlich die lustratio hat einiges gebracht und den - ich spreche bildlich - gröbsten Riss der pax zusammengeklammert. Aber schau es Dir doch mal genau an. Der Flamen Dialis, mein oberster Vorgesetzter sozusagen, ist schwer krank, vom Rex Sacrorum will ich gar nicht sprechen, da man von ihm eigentlich nichts, oder wenn dann nur gerüchteweise, hört. Der Pontifex Maximus ist ... krank. Die letzten Worte hatte er ohne es aktiv zu betreiben leiser gesprochen und so lehnte er sich etwas in Ursus Richtung und sprach ebenso leise weiter. "Sicher, dass sind alles keine großen Prodigien, die man irgendwie genau deuten könnte, aber ich meine, dass es sich doch um kleine Zeichen handelt, dass so etwas wie ein Ruck durch Roma gehen muss. Ich habe mich schon gefragt, ob man nicht die Sibyllinischen Bücher danach befragen sollte, aber sagen wir es mal so die Quindecimviri sind anscheinend mit den ausländischen Kulten so beschäftigt, dass man lange Zeit warten muss."

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