officium TAU | Wieder da aber ganz weit weg

  • "Ich verstehe, was Du meinst", nickte Urus ernst. Und wie gut er Louan verstand! Wollte doch auch er selbst viel mehr für die Familie tun, als man ihn ließ. Auch wenn er mittlerweile seinen eigenen Weg gefunden hatte, nämlich einfach da draußen sein bestes zu geben, dadurch das Ansehen der Familie zu mehren und so seinen Beitrag zu leisten. Jedenfalls hatte er durchaus Verständnis dafür, daß Louan auch mehr tun wollte, als zu lernen.


    "Als Dein Patron bin ich in gewisser Weise verpflichtet, Dich zu unterhalten", erklärte er ruhig und fast sanft. "Und Du bist dafür verpflichtet, mich da draußen in jeder Weise zu unterstützen, die Dir möglich ist. Wobei Deine Möglichkeiten hierfür im Moment natürlich noch sehr begrenzt sind, und da liegt wohl das Problem für Dich, nicht wahr? Aber Du sollst auch jetzt schon Gegenleistungen erbringen dürfen, wenn das Dein Wunsch ist. Dabei denke ich nicht an einfache Hausarbeiten, dafür haben wir hier reichlich Sklaven. Sondern eher daran, daß Du für mich Botengänge übernimmst, mich in die Stadt begleitest und mir vielleicht auch hier bei meinen Arbeiten hilfst. Als eine Art Assistent. Bis Du weißt, was Du werden willst und ich Dich an jemand anderen weiterempfehle. Was hältst Du davon? Damit würdest Du mir nicht nur sehr helfen, sondern auch gleich Erfahrungen sammeln und Kontakte knüpfen können. Die Bedingung dafür ist, daß Du Dich um eine gewählte Sprache bemühst und Dich ordentlich benimmst." Natürlich konnte er ihn auch einfach Holzhacken schicken, doch Ursus hoffte, daß aus Louan eines Tages mehr wurde, als ein einfacher Arbeiter.

  • Ursus nickte. Er hatte verstanden, was ich sagen wollte. Zum Glück! Ich war ja froh, hier sein zu dürfen, aber geschenkt haben, wollte ich nichts!
    Sein Vorschlag, den er mir unterbreitete, hörte sich da dann schon wesentlich besser an! So eine Art Assistent, das klang richtig gut und machte auch was her. Botengänge, ihn in die Stadt begleiten und ihm bei seiner Arbeit zu helfen,das war überhaupt kein Problem für mich! Klar, das konnte ich machen!
    "Ja also, das finde ich gut! Ja, so was kann ich machen! So als dein Assistent."
    Jetzt war ich schon wesentlich erleichterter, als ich es heute morgen gewesen war. Was er allerdings gegen meine Sprache hatte, konnte ich mir nicht so richtig erklären. Ich sprach doch fast akzentfrei! Na schön, gelegentlich brach mein gallischer Dialekt durch. Aber so schlimm war das doch auch wieder nicht. So geleckt, wie diese hochnäsigen Typen, sprach ich natürlich nicht! Konnte man so was überhaupt lernen? Mit dem benehmen sah ich eigentlich auch keine Schwierigkeiten.
    "Ja, gut! Das mach ich. Das mach ich sogar gern! Und das mit der Sprache, naja, muss ich mich noch ein bisschen anstrengen. Benehmen kann ich mich, das ist überhaupt kein Problem!"

  • Alles kein Problem, soso. Ursus mußte unwillkürlich schmunzeln. Und es fiel auch noch ein wenig schief aus, denn diese schnellen Versprechen erinnerten ihn allzu sehr an Caelyn. Die Geschwister waren sich doch ziemlich ähnlich. Blieb zu hoffen, daß Louan sich mehr Mühe gab, sie einzuhalten als seine Schwester. "Nun, dann versuchen wir es einmal. Deine Sprache ist ja auch schon sehr viel besser geworden, seit wir uns das erste mal getroffen haben. Vormittags wirst Du mir ab jetzt Gesellschaft leisten und nachmittags lernen. Dafür erhältst Du Kost und Logis in diesem Haus. Ich denke, diese Regelung kommt uns beiden entgegen." Ursus hielt Louan seine Hand hin, damit dieser einschlagen konnte. Das sollte eine Sprache sein, die der Junge gut verstand. Eine Abmachung, die mit Handschlag besiegelt wurde, brach man nicht.

  • Na siehste!Nein, ich sprach es nicht aus, ich dachte es nur. Das war doch echt beruhigend, wenn er es mit mir versuchen wollte. Dass ich konnte, wenn ich wollte, hatte ich ja schon bewiesen, sonst hätte ich noch immer in der Gosse gesessen.
    Sein Angebot hatte wirklich Hand und Fuss, morgens arbeiten, nachmittags lernen. Damit war ich einverstanden.


    Der Aurelier hielt mir seine Hand entgegen, damit ich einschlagen konnte. Klar, ich wusste, was so ein Handschlag zu bedeuteb hatte. Das war nicht nur so ein dummes Geschwätz, nein das war eine echte Abmachung unter Männern!
    Ohne zu zögern, schlug ich ein. "Genauso machen wir´s! Wann soll ich morgen früh antreten, oder soll ich gleich da bleiben?" Von mir aus hätte ich sofort anfangen können. Lieber früher, als später! Jetzt konnte ich wenigstens ohne schlechtes Gewissen, hier wohnen und essen. Schade, dass Caelyn nicht da war. Sie hätte sich bestimmt für mich gefreut!

  • Es blieb zu hoffen, daß Louan den Handschlag wirklich respektierte. Sicherlich mehr als Worte allein, so schätzte Ursus den Burschen zumindest ein. "Caelyn wird Dich in Zukunft rechtzeitig wecken und Dir sagen, ab wann ich hier anzutreffen bin oder ob und wo ich Dich anderweitig brauche. Und Du kannst jetzt ruhig gleich dableiben. Siehst Du die Kiste da vorne? Sie enthält Schriftrollen und Wachstafeln, die ich mit in Germanien hatte. Alle, die blau gekennzeichnet sind, gehören in die Bibliothek. Die legst Du dort einfach auf den Tisch, ich erkläre Dir später, wie sie einsortiert werden müssen. Dann ist ein ganzer Stapel leerer Wachstafeln dabei, die stapelst Du hierher, damit ich sie immer bei der Hand habe, wenn ich sie brauche. Die Buchführung, die erkennst Du sicher, legst Du hierher. Private Briefe hierher. Wenn Du damit fertig bist, sortierst Du diese Wachstafeln, sie enthalten die Berichte des Verwalters meines Landgutes, nach Datum, wobei das neueste nach oben gehört. Du kannst Dir diese Berichte auch gerne mal ansehen und wenn Dir etwas ungewöhnliches auffällt, sagst Du es mir." Vielleicht nicht die interessanteste Tätigkeit, aber er konnte dabei einiges lernen.

  • Caelyn sollte mich wecken, aha! Ich wusste ja, wie ungern meine Schwester früh morgens aufstand. Hoffentlich ging das gut!
    "Gut, dann kann ich ja gleich anfangen!" Ich sah zu der Kiste hinüber und nickte. Ordnen, sortieren, das war ja bestimmt einfach! Jetzt musste ich mir nur noch merken, was wohin kam und wie ich die Unterlagen sortieren sollte. Naja, notfalls konnte ich ja auch nochmal nachfragen.


    Ich wartete nicht lange, sondern ging gleich ans Werk. Die besagte Kiste holte ich mir her und stellte sie neben dem Scheibtisch ab. Dann begann ich alles nacheinander auszuräumen. Dabei achtete ich auch gleich auf diese blauen Markierungen. Das waren die Schriftrollen für die Bibliothek. Die Wachstafeln musste ich mir erst genauer betrachten, um feststellen zu können, wohin ich sie ablegen musste. Beim lesen tat ich mir noch etwas schwer. Ich brauchte etwas länger, um herauszufinden, was darauf geschrieben stand. Auf jeden Fall war ich voll bei der Sache und versuchte, alles richtig zu machen. Als ich bei einer Tafel nicht mehr so ganz weiterkam, musste ich dann doch fragen. "Öhm, Entschuldigung! Da sind lauter Zahlen drauf. Gehört das zur Buchführung? Ich komme da nicht mehr so ganz weiter!"

  • Während Ursus sich daran machte, einen Brief zu verfassen, begann Louan mit der ihm aufgetragenen Arbeit. Natürlich blickte Ursus ein paar mal kontrollierend auf, doch was er sah, war nur ein fleißig arbeitender Louan. Na, wenn das so weiterging, konnte er ja sehr zufrieden sein. Ruhig arbeiteten sie beide weiter. Man konnte nur das leise Kratzen der Feder auf dem Papyrus hören und das Rascheln von Schriftrollen oder das gelegentliche Klappern der hölzernen Wachstafeln, wenn Louan davon welche herumräumte.


    Bis Louan etwas zu fragen hatte. Ursus sah sich die betreffende Wachstafel an und nickte. "Ja, die gehört zur Buchführung. Sie gehört zu drei anderen. Schau hier, 4/4 bedeutet die vierte von vier zusammengehörigen Wachstafeln. Sie müssen die gleiche Bezeichnung tragen und dann die Nummern 1/4, 2/4 und 3/4. Hier ist aus den anderen drei Tafeln alles zusammengestellt und zusammengerechnet, damit man einen Überblick hat. Schau Dir das ruhig einmal an, damit Du siehst, wo die vielen Zahlen herkommen."

  • "Ach ja! Jetzt wo du´s sagst! Danke." Langsam aber sicher stieg ich hinter das System und wenn man´s wusste, wie´s ging, war´s umso einfacher. Die Täfelchen sah ich mir dann auch tätsächlich mal genauer an.
    Das musste so eine Art Aufstellung sein. Seine Ausgaben wahrscheinlich, die er in Germanien hatte. Jungejunge, da kamen ja riesen Summen zusammen! Davon konnte man ja nur träumen. Da war auch das Kleid aufgeführt, das Caelyn gekriegt hatte. Ach ja Caelyn! Meine Schwester war jetzt schon lange nicht mehr hier gewesen. So langsam machte ich mir Sorgen um sie. Besser, ich schaute mal nach! Außerdem hätte ich jetzt auch was trinken können! Das viele Sortieren und Lesen machte auf die Dauer durstig. Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch mal nach meiner Schwester sehen. Ich war im Begriff zur Tür zu gehen, als ich nochmal zu Ursus rüber schaute.
    "Öhm, ich würd mir gern was zu trinken holen. Soll ich dir was mitbringen?" Mir machte das überhaupt nichts aus. Früher war auch keiner da gewesen, der mir mein Essen und Trinken brachte.

  • Die Erkenntnis, wie das alles zusammenhing und welche Systematik dahinter steckte, war Louan geradezu anzusehen. Ursus lächelte, bald würde der Bursche sich so gut damit auskennen wie er selbst. Und dann konnte er eine richtige Hilfe sein. Interesse brachte er offenbar mit, was mehr war, als Ursus erwartet oder gehofft hatte. Als Louan dann erwähnte, daß er durstig war, fiel auch Ursus das Fehlen von Caelyn auf. Unwillkürlich runzelte er die Stirn. Wo steckte dieser Trotzkopf nur schon wieder? Vermutlich war sie immer noch beleidigt wegen dieses Liebesbriefes.


    "Dafür ist eigentlich Deine Schwester zuständig. Schau doch mal, wo sie steckt und sage ihr, daß sie uns Wasser, Wein und Saft bringen soll. Und etwas Obst und Gebäck." Wenn sie sich nun fügte, wollte er auf dem Thema nicht weiter herumhacken. Doch wenn sie sich nun sperrte und störrisch verhielt, dann würde er ihr wohl noch einmal die Leviten lesen müssen.

  • "Ja, ist gut!" Ich ging zur Tür hinaus und sah mich nach meiner Schwester um. Aber sie war nicht da. Dann ging ich zur Küche, um dort nachzusehen. Doch auch hier war sie nicht. Ich fragte nach, ob jemand meine Schwester gesehen hatte. Niemand konnte mir aber eine stichhaltige Antwort geben. Das war jetzt echt blöd! Eigentlich wollte ich ja nicht so lange von meiner Arbeit fernbleiben. Ein Junge, der gerade aus dem Garten kam und den ich nach meiner Schwester fragte, konnte mir auch nichts genaues sagen. "Hast du schon im Hof nachgesehen?" Nee, da war ich noch nicht gewesen! "Danke! Das mach ich gleich mal!"
    Im Hof war niemand nur einige Hühner, die fleißig ihrem Hahn nachrannten, gackerten fröhlich herum. Von Caelyn aber blieb keine Spur. Vielleicht sollte ich einfach mal nach ihr rufen. "Caelyn! Wo bist du? Caelyn!" Niemand rührte sich auf mein Rufen hin. Das war doch ganz schön eigenartig! Was sollte ich jetzt bloß machen? Zurück zu Ursus gehen und sagen, Caelyn sei nicht da? Mir blieb nichts anderes übrig.
    Unterwegs besorgte ich dann noch was zu trinken. Ich sagte in der Küche bescheid, man sollte uns noch etwas Obst und Gebäck bringen. Die Getränke nahm ich selbst mit und trug alles mittels eines Tabletts in Ursus´ officium.
    "Ich konnte Caelyn nicht finden. Weiß nicht, wo sie steckt." Ich stellte das Tablett ab, wo es nicht störte und schenkte mir etwas Wasser, vermengt mit Saft ein. "Magst du auch was?"

  • Es dauerte eine ganze Weile, bis Louan wieder da war. Und was der Junge zu berichten hatte, gefiel Ursus ganz und gar nicht, was ihm auch deutlich anzusehen war. "Wenn Du sie später siehst, schickst Du sie sofort zu mir. Egal wie spät es ist." Er war sauer. Sehr sogar. Aber das wollte er nicht an Louan auslassen. Der konnte ja nichts dafür. Doch Caelyn konnte sich warm anziehen, wenn er sie erwischte. Was war nun aus den ganzen Versprechungen geworden, die sie in Germanien gemacht hatte? Nichts, und wieder nichts. Ihrem Wort war nicht zu trauen, das war nun endgültig bewiesen. Chancen hatte er ihr doch wirklich mehr als genug gegeben.


    "Ja, gib mir etwas verdünnten Wein. Und dann laß uns weiterarbeiten. Später gehen wir dann noch auf das Forum und hören mal nach, was es so neues gibt." Frische Luft. Ja, das war gut, um den Kopf frei zu bekommen. Und um zu überlegen, was er mit diesem sturköpfigen Ding von einer Sklavin anfangen sollte. Denn im Moment wußte er es nicht. Wußte er es ganz und gar nicht. Jeder andere würde sie wohl einfach mal kräftig auspeitschen. Doch schon der Gedanke an so etwas ließ einen Schauder über Ursus' Rücken laufen. Nein, das konnte und wollte er nicht tun, zumal er nicht davon überzeugt war, daß das wirklich helfen würde. Er mußte sich etwas anderes einfallen lassen, das ihr eine gehörige Lehre war.

  • Oha, der war jetzt aber richtig sauer, als ich alleine wieder kam und ihm sagte, daß Caelyn nicht auffindbar war. Aber das war mal wieder typisch Caelyn! Wenn ihr was nicht passte, dann konnte sie manchmal tagelang schmollen und auch genauso lange weg bleiben. Für mich war das jetzt ganz schön heikel. Zum einen war sie ja meine Schwester, für die ich alles tun wollte, um ihr zu helfen. Aber jetzt konnte ich auch Ursus nicht im Stich lassen. Das wäre überhaupt nicht fair ihm gegenüber gewesen. Oh Mann, echt schwierig das ganze!


    Ich goss Ursus etwas zu trinken ein und reichte es ihm.
    So richtig konnte ich mich jetzt gar nicht auf das Forum freuen. Meine Schwester geisterte in meinen Gedanken herum. So konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich legte die Wachstafel, die ich gerade studiert hatte, beiseite. "Was glaubst du, wo sie steckt? Meinst du, sie ist abgehauen? Früher hat sie so was auch gebracht, dann war sie manchmal tagelang weg." Sie war ja hoffentlich nicht so blöd, um wirklich abzuhauen. Seltsam war´s aber schon. Ich hoffte, sie würde mir zuerst über den Weglaufen, bevor sie auf Ursus traf. Dann musste ich unbedingt mit ihr reden.

  • Ich scherte mich nicht groß darum, was draussen vor der Tür passierte. Das Rufen meines Bruders hatte ich gehört. Beinahe hätte ich sogar zurück gerufen. Im letzten Moment biß ich mir aber auf die Zunge. Also schwieg ich und blieb weiter in meinem Versteck. Mir stand alles bis hier. Von denen wollte ich keinen mehr sehen, auch meinen Bruder nicht. Der entwickelte sich sowieso zu Ursus´ Speichellecker. Logisch, er war ja jetzt auch sein Klient! Na toll, dankeschön! Früher war er froh, wenn ich für ihn was zu essen mit nach Hause gebracht hatte. Heute hatte er ja so was nicht mehr nötig, der Herr Klient!
    Ursus hatte ihn bestimmt beauftragt, mich zu suchen. Aber der konnte mich mal. Die konnten mich alle mal! Heute jedenfals und morgen, wusste ich noch nicht, was morgen war.

  • Auch Ursus gelang es nicht mehr recht, seine Gedanken bei der Sache zu behalten. Doch natürlich versuchte er, sich das nicht anmerken zu lassen. Was wohl nur mäßig gelang. Oder war es Zufall, daß Louan genau die Fragen aussprach, die auch Ursus seit einigen Minuten hin und herwälzte? Doch er schüttelte den Kopf. "Nein. Jetzt, wo Du hier bist, wird sie nicht fortlaufen. Früher wollte sie das tun, um Dich zu suchen. Aber dazu hat sie jetzt keinen Grund mehr. Sie steckt irgendwo und schmollt wie ein kleines Kind. Vermutlich ist sie wütend auf mich, dabei habe ich viel mehr Grund, wütend auf sie zu sein. Und bin es auch! Sie macht eine Dummheit nach der anderen, hält ihre Versprechen nicht ein und tut dann noch so, als sei ich es, der ihr Unrecht tut." Er seufzte und schob die Schriftrolle von sich.


    "Komm, laß uns in die Stadt gehen. Etwas Ablenkung wird uns gut tun. Wegen Deiner Schwester werde ich wohl noch vorzeitig ergrauen." Sie konnte einem wahrhaftig den letzten Nerv rauben. "Hat sie eigentlich früher auch die Probleme so magisch angezogen? Und sich und andere ständig in Schwierigkeiten gebracht? Selbst wenn sie ganz genaue Anweisungen bekommt, was sie tun und vor allem, was sie lassen soll, schafft sie es innerhalb kürzester Zeit, in Schwierigkeiten zu geraten."

  • Das war echt ein guter Vorschlag. Ich hatte sowieso keine Nerven mehr dafür, um mich auf die Wachstafeln und Schriftrollen zu konzentrieren. In der Stadt konnte man ja auf andere Gedanken kommen und wenn wir zurück waren, war dann Caelyn auch wieder da. Das war zwar nur so ein Wunschgedanke, denn ich kannte meine Schwester.
    Ich hatte die Wachstafeln endgültig auf einen Stapel gelegt. Morgen wollte ich daran weiter arbeiten. Ursus Frage, wie Caelyn früher war, kam für mich etwas überraschend. Seitdem ich hier war, hatte ich gar nicht mehr so oft an früher gedacht. Ich war richtig ernst geworden, denn das Kapitel unseres Lebens war, war bisher das dunkelste gewesen.
    "Meine Schwester ist der wichtigste Mensch für mich, seitdem unsere Mutter gestorben ist. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich längst tot. Sie war damals für mich da und dafür gesorgt, dass wir nicht verhungerten. Als Mutter plötzlich nicht mehr da war und wir aus heiterem Himmel kein Zuhause mehr hatten, hatte ich das erst nicht verstanden. Ich war damals noch klein und meine Schwester war damals auch noch ein Kind. In der Zeit, als wir eine Mutter oder einen Vater dringend gebraucht hätten, waren wir auf uns alleine gestellt. Caelyn hat es immer wieder geschafft, uns über Wasser zu halten. Und ja, ab und zu hat sie deswegen auch Schwiergkeiten bekommen. Aber das, was sie getan hat, hat sie nie nur für sich alleine getan. Wenn sie´s nicht getan hätte, wären wir heute mit Sicherheit tot. Deshalb bin ich ihr für alles dankbar." Das war meine Überzeugung und dazu stand ich. Klar, meine Schwester hatte ihre Fehler und manchmal konnte sie einem echt in den Wahnsinn treiben, aber sie war meine Schwester.

  • Was für eine flammende Verteidigungsrede! Ursus blickte Louan prüfend an. "Vergiß das nie, Louan. Vergiß nie, was Du ihr verdankst", sagte er schließlich und sah dabei auch sehr ernst aus. Dann erhob er sich und rief einen der Sklaven, damit er ihm die Toga brachte und anlegte. Eigentlich auch eine Arbeit, die zu Caelyns Pflichten gehörte.


    "Ich habe nie kennengelernt, was Hunger bedeutet, Louan. Meine Kindheit war behütet und frei von solchen existenziellen Sorgen. Aber man muß für alles bezahlen, immer. Auch für eine behütete Kindheit. Mit Pflichten. Mit Verantwortung. Mit Einschränkungen bei der Wahl des Ehegatten und mit Einschränkungen bei der Wahl des Berufes." Natürlich würde er nicht mit Louan tauschen wollen, aber immerhin sollte der Junge begreifen, daß jeder sein Päcklein zu tragen hatte.


    "Alles, was man erhält, bringt Pflichten mit sich. Je mehr Besitz und je mehr Macht Du hast, umso mehr Verantwortung lastet auf Deinen Schultern. Nimm nie mehr, als Du verantworten kannst und willst. Wenn Du Deine Hand nach etwas ausstreckst, überlege vorher, was für ein Rattenschwanz daran hängt oder hängen könnte. Nicht immer ist dieser vorher erkennbar. Schau, wenn wir Sklaven besitzen, die für uns arbeiten müssen, dann übernehmen wir auch die Verantwortung für sie. Das heißt, wir haben die Pflicht, sie zu ernähren, sie zu kleiden, ihnen eine anständige Unterkunft zu geben. Aber das ist nicht alles. Wir tragen auch die Verantwortung für alles, was sie tun. Ein Fehler eines meiner Sklaven ist mein Fehler. Wenn Caelyn da draußen auf die Straße geht und einen fremden Geldbeutel an sich nimmt, dann ist das so, als hätte ich selbst es getan. Ich bin der Dieb, nicht sie. Sie ist mein verlängerter Arm, meine Augen, meine Ohren, - mein Mund." Aus irgend einem unerfindlichem Grund war es Ursus wichtig, daß Louan dies verstand. "Wenn ich streng zu ihr bin, dann nur, um mein Ansehen und das meiner Familie zu schützen. Gerne würde ich ihr mehr vertrauen. Sehr gerne, Louan. Aber sag mir ehrlich: Kann ich das?"

  • Nee, vergessen würde ich das bestimmt nicht! Deshalb tat es mir ja auch so leid, dass sie sich mir die letzten Wochen entzog. Früher hatte sie mir immer alles erzählt, was sie beschäftigte. Ich hatte echt Angst, irgendwas könnte einmal zwischen uns kommen.
    Ein Sklave kam zur Tür herein, den Ursus vorher gerufen hatte. Der half ihm bei dieser Toga. Echt ein krasses Teil! Das ging mir nicht in den Kopf rein, wie man sowas anziehen konnte! Da war ich heilfroh, keiner von den Togaträgern sein zu müssen!
    Nachdem der Sklave wieder weg war, hielt er mir eine eine fast väterliche Rede darüber, dass alles im Leben Konsequenzen hatte. Unwillkürlich musste ich an die Leute denken, die einmal unsere Verwandten waren und die uns so schändlich nach Mutters Tod behandelt hatten. Mussten die dafür auch bezahlen? Eher nicht. Die hatten einen Batzen Geld gespart, als sie sich davor drückten, uns durchzufüttern. Das klang alles schön und gut, was er sagte, wenn man auf der richtigen Seite im Leben stand. Zu blöd, dass Caelyn und ich auf der falschen Seite standen! Das sagte ich ihm aber nicht.
    Ich konnte ja verstehen, dass ihre Taten auf ihn zurück fielen. Aber verdammt nochmal, was hatte sie denn schlimmes getan? Sie hat sich in so ´nen Typen von der Legion verliebt. Mehr nicht! Sie war eben auch nur ein Mensch.
    "Ich kann das verstehen und auch dass du wütend auf sie bist, aber hast du dich jemals gefragt, wie sie sich dabei fühlt? Sie ist ein Mensch, der Gefühle hat. Gut, früher hat sie jeden Kerl, der ihr zu nahe gekommen ist, in die Flucht geschlagen. Aber sie ist älter geworden und reifer. Jetzt hat sie sich zum ersten mal verliebt und auch noch ausgerechnet in den Falschen. Was glaubst du, wie´s ihr jetzt dabei geht. Ich bin mir sicher, sie weiß, dass sie ´nen Fehler gemacht hat. Aber das was sie jetzt braucht ist Zuspruch und keine Ablehnung." Oh Mann, ich war ja selbst über mich überrascht, wie ich so daher laberte, fast wie so einer, der davon was verstand. "Du fragst mich, ob man ihr vertrauen kann? Wenn ich ihr nicht schon vertraut hätte, ware ich heute nicht hier!" Das war meine Meinung dazu.
    Da ich mich ja nicht in so eine Toga werfen musste, war ich bereit, zu gehen. Heute war es so warm, da brauchte man keinen Umhang oder Mantel.

  • Nein, er hatte es nicht verstanden. Zumindest nicht vollständig. Aber vielleicht würde er das noch. Eines Tages. Denn wenn alles so lief, wie Ursus sich das vorstellte, würde auch Louan irgendwann für andere Menschen verantwortlich sein. Dann würde er verstehen. "Ich bezweifle ja nicht, daß sie Gefühle hat. Doch sie hat auch Pflichten. Wenn sie sich nur von ihren Gefühlen beherrschen läßt, wird weiterhin alles schiefgehen. Wäre ich so gefühllos, wie Du tust, würde ich sie jetzt suchen lassen, um ihr deutlich zu zeigen, was ihre Pflichten sind. Und sei Dir gewiß, sie würde auch gefunden werden. Wenn jemand in diesem Haus wirklich alle Schlupfwinkel findet, dann bin ich das. Ich bin hier aufgewachsen, verstehst Du?"


    Er seufzte und zupfte hier und da noch ein paar Falten zurecht, bis er vollständig zufrieden war. "Weißt Du, ich bin sicher, daß sie es nicht weiß. Daß sie nicht weiß, daß sie einen Fehler gemacht hat. Manchmal scheint sie die Welt durch eine Art Nebel zu betrachten. Sie begreift nicht, daß es Regeln gibt, an die sich alle halten müssen. Daß es eben verschiedene Gesellschaftsschichten gibt. Ihr so sehr geliebter Soldat ist sogar erst Probatus gewesen. Weißt Du, was das heißt? Geschlagene 20 Jahre nicht heiraten heißt das. Besser, es ist jetzt sofort mit einem scharfen Schnitt vorbei, der ihr jetzt kurzzeitig sehr weh tut, als wenn sie sich 20 Jahre lang verzehrt nach jemandem, der sie dann sowieso nicht heiraten wird, weil sie die nötigen Vorraussetzungen sowieso nicht erfüllt. Ja, da bin ich doch gerne der Böse, der ihr jetzt schreckliches antut. Vielleicht hat sie dann eine Chance, jemanden zu finden, der zu ihr paßt und mit dem es eine Zukunft geben kann. Verstehst Du? Zuspruch wird sie von mir nicht bekommen, ich kann sie bei diesem Unsinn nicht noch bestärken. Den wirst Du ihr geben müssen."

  • Mit den Gefühlen hatte ich´s nicht so. Ich wusste nichts davon, wie es war, wenn man verliebt war. Ursus hingegen hatte seine vorgefertigte Meinung, von der er sich auch nur schwer abbringen ließ. Für meine Schwester war er gefühllos, auch wenn er sie nicht suchen ließ.
    "Ja, ich versteh!" gab ich trocken zur Antwort. Irgendwie beschlich mich das merkwürdige Gefühl, hier gerade nicht hinzugehören. Ich fand mich mehr meiner Schwester zugehörig, je länger wir über sie redeten. Sie begann mir richtig leid zu tun. Ich überlegte sogar schon, nicht mit in die Stadt zu gehen, sondern sie suchen zu gehen. Wenigsten einer würde dann normal mit ihr reden und sie nicht für das verurteilen, was sie getan hatte. Wenn ich alle Schlupfwinkel abklappern würde, dann konnte auch ich sie finden. Mit Verstecken kannte ich mich aus.
    Das mit dem Soldaten, der zwanzig Jahre lang nicht heiraten durfte, war ja einleuchtend. Das war echt hart! Hatte sie das bedacht, als sie sich auf den Kerl eingelassen hatte? Ich wusste es nicht und es war mir auch egal!
    Ja genau, Zuspruch musste ich ihr geben und das wollte ich auch tun, jetzt gleich!
    "Hör mal, sei mir nicht böse aber ich werd nicht mitgehen. Nicht heute. Ich will meine Schwester suchen. Ich glaub, sie braucht mich jetzt!"

  • Ein wenig überrascht war Ursus schon, daß Louan nun so plötzlich nicht mehr mitwollte. Aber im Grunde war ihm das ganz recht. Es beruhigte sein eigenes Gewissen, wenn Louan sich um seine Schwester kümmerte. "Na, heute war ja ohnehin noch nicht so ganz richtig Dein Arbeitsanfang. Also geh sie suchen und tröste sie." Er wollte schon weiteres dazu setzen. Aber dann ließ er es. Es war schon ganz gut so. Louan zum anlehnen und Ursus zum Kopf zurechtrücken. Daß sie ihn vermutlich dafür hassen würde, nun, damit würde er leben können.


    "Wir sehen uns dann morgen früh." Ursus nickte Louan noch einmal zu, dann verließ er das Officium und begab sich in die Stadt...

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