Frühlingsgefühle - Duccisch-Prudentischer Erkundungsspaziergang

  • "Wo du Recht hast, hast du wohl Recht," bemerkte Witjon sinnvollerweise. "Ich kann wohl behaupten, einen nicht unwichtigen Dienst für die Provinz zu leisten und sollte deshalb Persönliches hintan stellen." Ihre nächste Frage überraschte Witjon aufrichtig. Darüber hatte er sich bisher noch gar keine Gedanken gemacht. "Statthalter? Ich? Wo denkst du hin?" Witjon musste lachen. Er lachte Callista nicht aus, ganz im Gegenteil. Er war völlig überrascht und fand die Vorstellung einfach zu komisch, einmal selbst eine ganze Provinz regieren zu können. "Nein tut mir leid, da muss ich dich wohl enttäuschen. Ich bin doch nicht einmal Eques. Um Legat zu werden muss man Senator sein und das werde ich wohl nicht in diesem Leben." Wo nahmen Frauen nur immer solche lustigen Vorstellungen her? Mit entschuldigender Miene und nachdem er sich etwas beruhigt hatte sagte er dann: "Entschuldige, ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Aber die Vorstellung mich an der Spitze einer ganzen Provinz zu sehen war einfach zu komisch. Ich glaube ich werde dir noch so einiges über Politik beibringen müssen, was meinst du? Würde dich das interessieren?" Er lächelte jetzt wieder aufmunternd und nestelte ein wenig an seinem Metbecher herum, der eigentlich viel zu schlicht aus Holz geschnitzt war, um daran herumzunesteln.


    "Also...Iuno ist doch..." Witjon musste angestrengt nachdenken, um auf das Äquivalent der germanischen Mythologie zu kommen. Soll heißen, er hatte keine Ahnung, was für eine Göttin diese Iuno war und mit welcher germanischen Gottheit er sie vergleichen konnte. "...ähm...die Muttergöttin oder so ähnlich? Verzeih mir, jetzt glänze ich mit Unwissenheit." Verlegen nestelte er noch mehr an dem vermaledeiten Metbecher herum und trank dann nochmal einen Schluck. Entschuldigend schaute er die Prudentia an und räusperte sich. Da hatte er ihr eben noch großspurig angeboten, ihr Politik zu erklären und offenbarte jetzt, dass er von römischen Göttern keinerlei Ahnung hatte. So ein Mist aber auch!

  • Mit großen Augen beobachtete sie sein Mienenspiel und kam sich unsäglich dumm vor. Sie hatte gar nicht daran gedacht, dass er kein eques war. Sie selbst gehörte dem Ordo Senatorius an - war das nciht so, dass sich das dann auf ihn übertrug? Ganz genau kannte sie sich damit nicht aus, aber deswegen brauchte er sie ja nicht gleich auszulachen. Mutlos ließ sie den Kopf hängen und wünschte sich an einen anderen Ort, während er sich wieder beruhigte. Trotz war keiner ihrer Wesenszüge, sonst hätte sie ihn jetzt sicherlich gezeigt. Stattdessen hoffte sie einfach darauf, dass er das Thema wechseln würde. Aber es kam sogar noch besser; er entschuldigte sich! Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Erstaunt hob sie wieder den Kopf und blickte in seine braunen Augen, sah sein aufmunterndes Lächeln und begriff, dass er nicht über sie sondern nur über ihre Idee gelacht hatte. "Aber so unwahrscheinlich ist das doch gar nicht. Immerhin gehörst du zum Ordo Senatorius, wenn wir geheiratet haben. Das ist doch eine der Anforderungen, die du erfüllen müsstest, oder?" Fragte sie bescheiden nach, sie war sich nicht sicher, hatte sich vorher noch nie damit beschäftigt und wußte nicht, ob sie sich mit dieser Frage nur wieder weiter in die Misere ritt. Aber auf einen Versuch wollte sie es ankommen lassen, wo er doch eh schon annahm, dass sie eh keine Ahnung hatte. "Aber ja, wenn ich das jetzt alles falsch verstanden habe, dann erklär es mir." Sie war ehrlich interessiert und spielte es nicht nur vor um ihn zu gefallen. Es konnte immerhin nicht schaden zu wissen, was der eigene Ehemann den ganzen Tag so trieb.


    Auch sie nippte noch einmal an ihrem Becher. Ihre Stimmung war etwas gedämpft, da sie der Meinung war einen ganz und gar schlechten Eindruck zu machen, er hatte sich bestimmt eine klügere Frau gewünscht. Allerdings lag ihr das nächste Gesprächsthema viel mehr, denn damit kannte sie sich aus. Bereitwillig erklärte sie also, wer Iuno war und für was die von ihr gewählte Göttin stand. Es wunderte sie ein wenig, dass Marsus sich da nicht vorher drüber informiert hatte. Er wohnte doch mit Verus in der selben Casa oder? Hätte er ihn da nicht nach fragen können? Oder interessierte es ihn eigentlich gar nicht und er fragte sie jetzt nur und tat so betreten, weil er sie nicht kränken wollte? Ach, sie wurde aus ihm einfach nicht schlau.


    "Iuno ist die höchste römische Göttin, sie ist die Ehefrau des Iuppiters und mit ihm und der Göttin Minerva zusammen steht sie allen anderen Göttern vor. Iuno ist eine Muttergöttin, ja, denn sie beschützt das Heim und alle Mütter, wobei sie aber eine Schutzgöttin aller Frauen ist. Sie ist nicht nur die Herrin Roms, sondern wird in vielen utnerschiedlichen Aspekten eines Frauenlebens angebetet, nicht zuletzt bei der Hochzeit, Ehe und der Geburt von Kindern." Soviel dazu. "Leider kann ich dir nicht sagen welche germanische Göttin ihr ähnlich ist."

  • "Moment...ich bin mir nicht sicher, ob das so funktioniert. Ich weiß sehr wohl, dass der Ordo des Ehemannes auf seine Gattin übertragen wird, aber ob das andersherum genauso gehandhabt wird? Da bin ich mir nicht sicher. Aber es stimmt, dass in diesem Falle meine Chancen auf einen Platz im Senat steigen würden. Die Frage ist nur, ob ich das möchte und ob es sich momentan überhaupt lohnt, sich darüber Gedanken zu machen." Er schaute Callista in die Augen und hielt seinen Becher fest umklammert. "Momentan gebe ich mich mit meiner neuen Arbeit zufrieden und konzentriere mich lieber auf meine Sippe. Und da steht momentan die Heirat einer schönen Frau im Vordergrund." Er lächelte verlegen und blickte dann auf die Tischplatte, die plötzlich besonders interessant geworden war. An das Thema Politik dachte er nun nicht mehr im geringsten und hatte auch nicht wirklich vor, das jetzt weiter auszubreiten. Er würde Callista vermutlich eh nur damit langweilen und das wollte er nicht. Deshalb ging er vielmehr genauer auf das Thema Religion ein.


    "Iuno ist also vergleichbar mit der Göttin Frigg. Sie wird besonders bei Verbindungen zweier Menschen und von den Müttern angerufen. Ihr Name bedeutet soviel wie "Ehefrau"." Wie Lando bereits auf seiner Verlobung stellte Witjon in eben diesem Moment fest, dass er Frigg bisher keine allzu große Beachtung in seinem Leben geschenkt hatte, was ihn urplötzlich mit einer gewissen Unruhe erfüllte. Er schluckte die Nervosität herunter und sandte ein Stoßgebet sowohl zu Frigg, als auch zu Freya, der Göttin der Fruchtbarkeit und der Liebenden. "Ich muss gestehen, dass ich mich bisher hauptsächlich den Göttern Wodan, Donar und Teiwaz gewidmet habe. Ähm...ein Vergleich mit deinen Göttern kann wohl nicht schaden?" Das war mehr eine Feststellung, als eine Frage und so fuhr Witjon einfach mit einer allgemeinen Erklärung fort. "Also: Wodan ist der einäugige Göttervater, dessen Raben Hugin und Munin ihm alle Geschehnisse auf der Welt berichten. Er ist glaube ich ähnlich eurem Iuppe..Iuppiter? Dann wäre da Donar, der für die Fruchtbarkeit der Felder sorgt und dessen Hammer die regenbringenden Gewitter losschlägt. Er ist besonders unter den Bauern, also in Germania Magna praktisch unter allen Germanen, einer der wichtigsten Götter. Nunja und Teiwaz bin ich persönlich auch großen Dank schuldig. Er ist der Kriegsgott unserer Stämme und wird von allen Männern um seinen Segen angerufen, die in den Kampf ziehen müssen. Er hat mir Kraft geschenkt, als ich...äh..." Verdammt! Zu spät bemerkte Witjon, dass er sich verhaspelt hatte und von der Reise nach Magna zu erzählen begann, obwohl er das doch noch gar nicht hatte tun wollen. Was nun? Weiterreden, als wäre nichts gewesen? "...als wir nach Germania Magna gereist sind. Also...vor einigen Wochen. Und...so..." Seine Hände wurden plötzlich feucht und der Kloß kehrte zurück in seinen Hals. Jetzt saß er entweder in der Klemme, kam in Erklärungsnot, oder musste schlichtweg die Wahrheit sagen und das Donnerwetter ertragen. Verdammte Axt!

  • Sie war sich ja auch nicht sicher. Aber irgendwie hatte sie das angenommen, denn so nützte die Hochzeit ihm am meisten. Ihr kam aber der Gedanke, dass er vielleicht gar kein Senator werden wollte, weil das beinhaltete, dass er nach Rom gehen musste. Und wie er ihr selbst bestätigte, war ihm die Sippe wichtiger, also seine Familie. Ein wenig wußte sie ja schon über Sippen, das hatte ihr Eburnus erklärt. Wenn sie sich seine Erzählungen richtig in Erinnerung rief, dann war eine Sippe nicht unbedingt gleichzusetzen mit der Verwandtschaft, wie man es im römischen Sinne betitelte. Was dann wiederum bedeutete, dass er mit Menschen zusammenlebte, mit denen er nicht blutsverwandt war.


    Ihre Grübelei wurde unterbrochen, als sie begriff, dass er ihr soeben ein Kompliment gemacht hatte. Sie riss die Augen auf und lächelte dann, während eine sanfte Röte ihr Gesicht überzog. Sie wußte nicht recht, was sie darauf sagen sollte, bisher hatte sie noch niemand als schön bezeichnet. Jedenfalls nicht direkt. Konnte sie also nun davon ausgehen, dass er sie mochte? Und auch wirklich heiraten wollte? Nicht nur, weil sein Pater Familias das so angeordnet hatte? "Danke" hauchte sie daher nur blickte wieder einmal in ihren Becher, der sich langsam dem Ende zuneigte. Allerdings hielt sie das nicht mehr davon ab, noch einen kleinen Schluck zu trinken. Der Alkohol beruhigte sie, lockerte sie und auch wenn sie immer noch ängstlich war, vielleicht zu viel zu trinken, geriet diese Sorge nun etwas in den Hintergrund. Was auch daran lag, dass ihr Religion als Gesprächsthema viel interessanter vorkam. Dabei brauchte man nicht rot anlaufen...



    "Ja, Wodan wäre dann gleichzusetzen mit Iuppiter, er ist der Gott der Luft und des Lichts, Schutzgott des Staates und des Gesetze, aber er ist auch der höchste unserer Götter und wird als Göttervater bezeichnet." Callista hörte weiterhin zu und erinnerte sich an die Namen, denn die waren ihr bereits genannt worden. Allerdings hatte sie sich nicht näher mit diesen Göttern beschäftigt. "Und Donar ... mhhh... wahrscheinlich Mars. Mars ist eigentlich ein Vegetationsgott. Als Kriegsgott begleitet die Soldaten in die Schlacht. Er spendet Menschen, Tieren und den Feldern Fruchtbarkeit und Gesundheit, ist aber auch für Unheil und Verwüstung derselben verantwortlich." Callistas Erklärungen blieben kurz und knapp und sie erzählte ihm eigentlich nur das, was jeder Römer wusste. Dennoch gefiel ihr dieser Vergleich, denn es erlaubte ihr einen Einblick in die Gedankenwelt ihres Verlobten. Und das würde in nächster Zeit ein nicht ganz unwichtiges Thema in ihrem Leben sein. Eine gute Frau war nunmal fürsorglich und sollte wissen, wie es ihrem Mann ging. Da bei ihnen eine nicht ganz kleine kulturelle Hürde dazukam, war es wichtig, dass sie solche Dinge wußte. So unscheinbar wie sie auch wirken mochten.


    Als er plötzlich stockte, wurde sie hellhörig. Nicht unbedingt weil der Name der Gottheit ihr was sagte oder sie das Thema besonders interessierte, sondern, weil Marsus nervös wurde. Ihre weiblicht Intuition sagte ihr, dass da mehr dran war, als er auf den ersten Anschein hin Preis geben wollte. Germania Magna? Das war doch das freie Germanien oder? Das, wo die Römer nichts zu sagen hatten... Was hatte er denn da gemacht? Sie war unsicher ob sie ihn darauf ansprechen wollte oder sollte, denn wenn er es nicht erzählen wollte, dann brauchte er auch nicht. Sie hatte kein Problem damit, etwas nicht zu wissen, auch wenn sie neugierig war und es sie interessierte. Er schien richtiggehend nervös deswegen zu sein - hatte er gar ein schlechtes Gewissen? - und Callista schaute ihn einfach aus großen Augen an. Was das wohl zu bedeuten hatte!?

  • Übelkeit stieg in ihm auf. Scheiße Mann, die Frau starrt dich gerade an und erwartet eine Antwort! Sag was! *tock-tock* Der kleine Mann in Witjons Kopf lief Sturm, um die Hirnstränge des jungen Ducciers vor Aufregung nicht durchschmoren zu lassen. "Ähm...also....arghl!" Witjon knirschte mit den Zähnen und musste einsehen, dass er nicht umhin konnte, Callista von den Vorkommnissen im freien Germanien zu berichten. So schwer ihm das auch fiel, er musste mit ihr darüber reden, denn sie würden bald Eheleute sein und als solche durften sie sich nichts verschweigen!
    "Ich...wir...also Lando, Verus, ich und zwei unserer Angestellten...waren vor kurzem in Germania Magna. Wir wurden von einer Godin...ähm...also einer Seherin dorthin gerufen und hatten keine andere Wahl als Folge zu leisten. Außerdem haben wir die Gelegenheit genutzt, deine Verwandte Prudentia...Aquilia zu suchen. Nunja und auf dem Weg zu dieser Frau gab es...einige...Konflikte. Mit Menschenhändlern. Deshalb habe ich auch Teiwaz' Hilfe benötigt, er hat mich lebendig aus einem Duell hervorgehen lassen." Er schluckte laut hörbar und schaute Callista schuldbewusst und verlegen zugleich an. Im Laufe seiner Erzählung war er immer kleinlauter geworden und nach kurzem Räuspern fügte er nun nur noch hinzu: "Wir sind alle wieder wohlbehalten hergekommen...nur deine Verwandte nicht..." Seine Stimme versagte ihm kurz und er schaute traurig in seinen Becher, der beinahe leer war. Verflucht nochmal, so hatte er sich ihre erste Begegnung aber nicht vorgestellt. Callista musste ihn für einen absoluten Schwachkopf halten!

  • Nach einer Weile, die Marsus mit sich selbst rang, begann er zu erzählen und Callista hörte sehr genau zu. Schon allein die Art und Weise, wie der junge Mann da vor ihr herumdruckste, regte ihre Neugierde so an, dass sie sich sich nicht sonderlich konzentrieren musste um aufmerksam zu sein. Die Informationen, die dann allerdings auf sie einprasselten, waren etwas zu viel für sie. Außerdem verstand sie nur die Hälfte!


    "Moment, moment, nicht so schnell. Da kommt ja kein Mensch mit." Sie runzelte die Stirn und fragte sich sehr verzweifelt, von wem er da eigentlich sprach. "Nur, dass ich das richtig verstehe. Lando, Verus und du seid ins freie Germanien gereist um eine Seherin zu treffen? Und ihr hattet keine andere Wahl?" Callista wartete auf sein Nicken und schüttelte sanft den Kopf. "Jetzt musst du mir erklären was eine Seherin ist und was sie tut und warum ihr gezwungen wart sie zu treffen. Es klingt ja fast so, als hättet ihr das gar nicht gewollt."


    Jetzt lehnte sich die Prudentia etwas nach vorne und ihre Stimme wurde ebenso leiser, wie er immer leiser geworden war. Er schaute sie ja nicht mal mehr an!


    "Auf dem Weg dahin seid ihr an Menschenhändler geraten und du hast mit einem von ihnen ein Duell gehabt? Heißt das, du hast einen Mann getötet?" fragte Callista erschrocken. Das hätte sie Marsus gar nicht zugetraut, er sah nicht aus wie jemand, der dazu in der Lage war. Da waren ihre Gedanken zum Thema, ob jeder Germane kämpfen konnte, hinfällig. Ihrer konnte es anscheinend, sogar gut genug um heil aus einem Duell zu kommen. Ob er ein gewalttätiger Mensch war? Nein, so kam er ihr ganz und gar nicht vor. Er war doch so nett und witzig. Und dann sagte er noch etwas, dass sie nun wirklich überhaupt nicht verstand. Wer, bei allen Göttern, war diese Aquilia überhaupt!?


    Genau das versuchte sie ihm jetzt mit tonloser Stimme zu erklären. "Ich kenne gar keine Prudentia Aquilia." Eine Verwandte sollte das sein? Aber das hätte ihr Balbus doch erzählt, oder? Eine Verwandte aus Mogontiacum? Die hier in dem Haus wohnt? Aber warum hatte sie dann keine Kleidung gefunden und wieso hatten die Sklaven nichts gesagt? Und wie war sie denn gestorben, wo ihr doch alle immer und immer wieder erklärt hatten, wie sicher es hier in Germania war!? Irritiert und verwirrt blickte Callista nun zu Marsus, der wie ein Häufchen Elend vor ihr saß. Wenn sie nicht soviele Fragen gehabt hätte, hätte er ihr fast schon leid tun können, was immer er ihr nun auch zu erklären hatte, leicht machte er es sich auf keinen Fall.

  • Witjon hatte das Gefühl sich immer weiter in die Scheiße reinzureiten. Er schluckte und nickte. "Genau. Wir drei und zwei Männer unseres Gesindes. Die Seherin ist eine mächtige Frau jenseits des Rhenus. Sie spricht mit den Göttern, kann die Zukunft vorhersagen und kann in die Geschicke der Stämme eingreifen. Wir mussten ihrem Ruf folge leisten, auch wenn besonders Lando sich dagegen sträubte."


    Callistas nächste Frage wunderte Witjon. Er blickte auf und sah ihr bedauernd in die Augen. "Nein. Ich habe ihn nicht erschlagen. Wir sind vor Erschöpfung nebeneinander zu Boden gegangen und vermochten nicht eine Entscheidung herbeizuführen. Meinetwegen sind Lando und unser Leibwächter Silko verwundet worden und ich habe mir im Kampf auch einiges zugezogen." Er knirschte mit den Zähnen und wollte bereits sagen, weshalb es überhaupt zum Kampf gekommen war, da verblüffte Callista ihn erneut.


    "Wie jetzt? Sie ist doch eine Verwandte von dir! Dein Onkel hat dir doch sicherlich erzählt, er hat uns sogar Briefe geschrieben, dass wir bitte nach ihr suchen sollten und..." Er schluckte. Die letzten Worte waren aus ihm herausgesprudelt und Witjon brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen und die Situation vernünftig zu schildern. "Prudentia Aquilia war etwa in deinem Alter. Sie war ebenso schön wie du, was in der Familie liegen muss. Ich habe sie hier in Mogontiacum kennen gelernt und sie als lebensfrohen, aufgeweckten Quergeist wahrgenommen, der nicht viel auf Sitten und Erziehung gab. Als sie dann erfuhr, dass Balbus sie nach Rom holen wollte, um sie zu einer heiratsfähigen Römerin zu machen..." Er räusperte sich, denn seine Stimme war vor lauter Tonlosigkeit unverständlich geworden. "...da verschwand sie einfach. Von den Menschenhändlern erfuhren wir, dass sie allein nach Germania Magna aufgebrochen war und dort in eine Schlucht stürzte, wo sie den Tod fand." Betreten schaute Witjon zur Seite. Es war ihm unangenehm, dass Callista seine Trauer für Aquilia so deutlich sehen konnte, aber er hatte bisher mit niemandem darüber gesprochen und schluckte jetzt seine Gefühle so gut wie möglich herunter. Die Basilika war eindeutig nicht der richtige Ort, um über diese Geschehnisse zu sprechen. "Entschuldige, ich sollte fröhlich sein, dass du endlich hier bist um meine Frau zu werden; statt dessen vermiese ich den Tag mit meiner schlechten Laune..." Witjon schämte sich. Als Mann sollte er keine Schwäche zeigen und erst recht seine Verlobte nicht dadurch verunsichern.

  • Ihr blieb nicht viel übrig als bedauernd den Kopf zu schütteln, denn sie konnte auch nach seinen Ausführungen nicht ganz folgen. Zwar verstand sie die Fakten, aber es fügte sich nicht so recht zu einem Gesamtbild zusammen. Bis jetzt verstand sie aber sehr wohl, dass er traurig war und sie legte ihm mitfühlend die Hand auf seine. Wie immer, wenn andere in ihrer Gegenwart Schwäche zeigten oder es schafften, noch unsicherer zu sein als sie, wurde sie dadurch etwas stärker. Und so schaffte sie es auch, sich den Tag nicht vermiesen zu lassen. Sie hoffte nur, dass sie es auch schaffen konnte ihn etwas aufzumuntern, er schien wirklich betroffen und er schien ihre Verwandte auch näher gekannt zu haben. Im Gegenteil zu ihr.


    "Balbus hat mit keinem Wort erwähnt, dass ich eine Verwandte hier in Mogontiacum hatte. Und weder die Sklaven noch sonst wer hat etwas gesagt, in der Casa ist bereits nichts mehr zu erkennen. Es tut mir sehr leid, dass du sie verloren hast." Das in umständliche Worte eingepackte Kompliment erkannte die junge Prudentia zwar, ließ es aber erstmal unbeachtet. "Wenn ich es recht bedenke, war es vielleicht nicht das Schlechteste in eine Schlucht zu stürzen. Du erzähltest doch, dass es dort Menschenfänger gibt. Es ist zwar sehr schade und sehr traurig, dass sie tot ist, aber ... nun ja ... besser als eine Sklavin, oder?" Mhh, das klang jetzt nicht wirklich sehr aufbauend, oder? Sie blickte ihn mit großen Rehaugen an und dachte darüber nach, was sie noch sagen könnte. Mit ihren, doch recht kalten Fingern, drückte sie seine Hand einmal kurz, sie fand seine Scham völlig unnötig. Allerdings wußte sie von sich selber, dass man nur wenig dagegen tun konnte. Sie hätte gerne gewußt, warum diese Aquilia alleine ins freie Germanien gereist war und auch, ob Balbus mittlerweile davon in Kenntniss gesetzt wurde. Nur machte Marsus nicht den Eindruck, als wollte er noch weiter darüber sprechen. Daher sagte sie erstmal nichts mehr.

  • Sie nahm seine Hand. Ein Kribbeln durchfuhr Witjons Finger und er realisierte, dass er nicht allein war mit seinem Kummer. Er lächelte schwach und schüttelte leicht den Kopf. "Besser tot sein, als versklavt. Hmm ja das klingt sinnig." Er erwiderte ihren Händedruck und fühlte sich mit einem Mal richtig gut. Da war jemand, der für ihn da war. Der von nun an immer an seiner sein würde. Der ihm in jeder Situation eine treue Begleiterin sein würde. "Ich danke dir, Callista." Einen Moment lang sah er sie einfach nur an und sammelte sich. Er wollte hier nicht länger schlechte Laune verbreiten und riss sich am Riemen. "Nun gut, lassen wir das. Ich werde deinem Onkel einen Brief schreiben und ihm berichten was sich zugetragen hat. Punkt. Hier und jetzt möchte ich vielmehr den Tag mit dir verbringen." Witjons Miene hatte sich wieder aufgehellt und die Trauer schien verflogen. Er war jetzt in Gedanken wieder voll bei sich und seiner Verlobten und wollte auch ganz für sie da sein. "Wir sind immerhin hierhergekommen, um dir die Stadt zu zeigen, nicht wahr?" Er lächelte sie jetzt an, während er noch immer ihre Hand hielt und mit der anderen an seinem Becher herumspielte.

  • Anscheinend hatte es funktioniert! Marsus wirkte viel entspannter und schon gar nicht mehr so traurig wie noch vor Minuten, was Callista ein ehrliches Lächeln entlockte. Es freute sie sehr, dass sie sich so schnell und direkt mit ihm verstand. Natürlich konnte man eigentlich noch gar nichts sagen, denn sie kannten sich nicht mal einen halben Tag, allerdings war er ihr sympathisch. Und das war doch schon mal eine gute Basis, fand Callista. Außerdem bekam sie immer mehr den Eindruck, sie würde ihm auch gefallen. Wie zum Beispiel jetzt, wo er ihre Hand festhielt. Eigentlich hatte sie ihn nur trösten wollen und ihre Finger auf seine gelegt, aber jetzt hielt er sie fest und es störte sie nicht im geringsten. Wenn man so darüber nachdachte, dann konnte man ja fast meinen, dass sie sich sehr zugetan waren und Callista blickte verlegen zur Seite. Sie hatte keine Ahnung wie sie sich zu verhalten hatte, ob sie ihm schöne Augen machen sollte oder nicht. Vor allem, selbst wenn, sie hätte ja gar nicht gewußt wie. Und getraut hätte sie sich schon dreimal nicht! Sie hatte auch einmal gehört wie Frauen sich absichtlich uninteressiert zeigten um das Interesse des Mannes anzufachen. Aber ihr kam das etwas unehrlich vor und vor allem war das die Kategorie "Spielchen" von denen sie nun wirklich keine Ahnung hatte. Sie war nämlich ein ehrliches, schüchternes und vor allem unwissendes Mädchen, dass sich nicht wirklich verstellen konnte. Wenn es jemandem nicht gut ging, dann half sie diesem jemand, wenn jemand einen Rat brauchte, dann erteilte sie ihn, sofern sie konnte und wenn jemand Gesellschaft brauchte oder jemanden zum zu hören, dann konnte sie auch das. Ihre kranke Mutter hatte ihr das und noch viel mehr beigebracht und Callista fand das auch ganz gut so. Eine reiche, verwöhnte Römerin wollte sie nicht sein. Davon gab es sicherlich schon genügend. Und zu Marsus hätte so eine sowieso nicht gepasst.


    Als er sie dann anlächelte, wurde sie doch wieder rot. Hoffentlich hatte er ihren gedanklichen Exkurs nicht bemerkt, sie wollte nicht abgelenkt wirken, wo er sich doch so anstrengte ihr den Tag zu versüßen.


    "Stimmt genau, Mogontiacum. Meine neue Heimat."


    Callista blickte wieder zur Seite. Sie wußte nicht, wie sie es anders ausdrücken sollte, was sie empfand. Sie hatte Mogontiacum bereits als ihre neue Heimat angenommen und sich darauf eingestellt hier und an der Seite von Marsus ihr Leben zu verbringen. Sie war, kurz und knapp gesagt, mit der Wahl ihres Onkels sehr zufrieden. Vielleicht waren Männer nicht so gut, sowas aus den Worten einer Frau herauszuhören, aber sowas konnte Frau ja auch schließlich nicht direkt sagen.

  • "Mogontiacum...unsere neue Heimat," betonte Witjon lächelnd. Sein Becher war mittlerweile leer und Callistas Hand wollte sicherlich nicht bis zum Schweißausbruch gehalten werden und so gab er sich einen Ruck und ließ sowohl die Hand, als auch den Becher los. Statt dessen stand er zaghaft auf und forderte seine Verlobte auf: "Komm, wir gehen ein Stückchen weiter. Ich möchte dir die Thermen zeigen und das Handelskonsortium, das mein Vetter gegründet hat. Oder möchtest du noch etwas zu dir nehmen?" Erst jetzt bemerkte Witjon, dass er sie gar nicht nach etwas zu essen gefragt hatte und wurde mit einem Mal wieder ungeschickterweise nervös. Sein Blick lag auf der Frau, die er heiraten würde und er hielt einen Moment inne, um seinen Gedanken nachzuhängen. Einmal mehr rief er sich ins Gedächtnis, dass er diese wunderschöne, rothaarige, junge Frau mit ihren Sommersprossen und den braunen Augen und dem zierlichen Körperbau, die junge Fraue, die beinahe einen Kopf kleiner als er war, ja genau diese wunderschöne Prudentia, heiraten würde! Er, Witjon Evaxsohn, würde Callista, die wundervolle Frau aus der Gens der Prudentier, zur Ehefrau nehmen dürfen!


    Mit Callistas Einverständnis standen sie auf. Witjon hinterließ ein angemessenes Trinkgeld für den Wirt und sie stromerten eine Weile durch die Markthalle, während sie hier und da Waren bewunderten. Dort lagen weiche Pelze aus, hier wurden kunstvolle Schmuckstücke angepriesen, anderswo priesen Kaufleute ihre geschnitzten Spielzeuge feil. Sie kamen an Geldwechslern vorbei und passierten etliche andere Marktstände von Töpfern, Korbmachern, Schneidern, Zimmerleuten, Großbauern oder Wollhändlern. Witjon führte Callista, ohne sie sonderlich zu berühren, denn dazu war er nun doch zu schüchtern und es erschien ihm irgendwie anmaßend. Immerhin waren sie nach germanischem Brauchtum dennoch nur halb verlobt und kannten sich ja eigentlich kaum und überhaupt war die Situation völlig ungewohnt für ihn und verwirrte ihn zusehends. Ein Glück, dass die beiden und die Sklavin bald wieder am Ausgang der Basilika angekommen waren.


    Von dort hatte man einen guten Ausblick auf das Forum. Die Basilika lag etwas erhöht und Witjon und Callista standen am oberen Ende einer niedrigen Treppe, die hinauf zur Markthalle führte. So besaßen sie eine angenehme Sicht auf den Platz, der einige Stände und umherwuselnde Kauflustige vorzuweisen hatte. Hier und dort wurden Waren lauthals angepriesen, dort bettelten arme Schlucker um Almosen und anderswo schufteten Tagelöhner oder Sklaven in einer Ecke beim Stapeln oder Sortieren von Kisten voller Waren. Witjon warf Callista einen aufmunternden und zugleich irgendwie dankbaren Blick zu und ließ seinen Arm wie seinen Blick über das Panorama der Stadt gleiten, das sich ihnen bot. "Nun...was möchtest du als nächstes sehen? Die Thermen, die Tempel, womöglich sogar den verschluderten Hafen?"

  • Ihr Rehaugen schauten wieder in seine Richtung, als er sie korrigierte und die Stadt in der sie sich befanden als ihre gemeinsame Heimat bezeichnete. Das verdeutlichte ihr, dass er durchaus ihren kleinen Wink bemerkt hatte und er ging sogar darauf ein! Sie lächelte und stand auf, als er sie dazu aufforderte. Als er sie dann doch etwas kleinlaut fragte, ob sie noch etwas zu essen wollte, schüttelte sie den Kopf. Ihr war warm von dem Met und sie gab ihre Palla zu Vodafonis. Das große, schwere Tuch war jetzt einfach zu warm, zumal sie ja auch drinnen blieben und sich die Markthalle genauer anguckten.


    Es war einfach überwältigend! Das bunte Mischmasch aus Germanen und Römern gab ein einzigartiges Flair her, sie schnappte germanische Wortfetzen auf, ebenso wie lateinische und die Waren waren ebenso mannigfaltig und interessant wie die in Rom. Nur gab es hier kein Gedränge und aufdringliche Männer, was ihr sehr genehm war und so konnte sie den Rundgang ganz genießen und sich entspannen. Hier und da blieben sie stehen, nahmen etwas genauer in Augenschein, sprachen über die Waren, ihre Herstellung oder ihre Herkunft. Marsus war ein bereitwilliger Redner und erklärte ihr alles so gut er konnte. Überhaupt war er sehr höflich und sie fand seine schüchterne Art wirklich angenehm, denn es lenkte sie von ihrer eigenen ab und hetzte sie nicht durch ein Gespräch, dass sie nicht führen konnte.


    Dann, am Eingang wieder angekommen, standen sie erhöht und Marsus überblickte die Stadt, was ihm dann auch Callista und ihre Leibsklavin nachmachten. Es war für Vodafonis wahrscheinlich genauso interessant, auch wenn sie es hinter ihrem leicht abwesenden Gesichtsausdruck versteckte. Sie nahm ihre Aufgabe als Aufpasserin sehr ernst, auch wenn Marsus ein guter Junge zu sein schien. Daher hatte selbst sie sich etwas entspannt und genoß den Anblick der Stadt.


    "Wieso ist der Hafen verschludert?" fragte Callista. "Ansonsten die Thermen, denke ich. Die Tempel kenne ich schon etwas und dort wollte ich mich morgen in Ruhe umsehen. Das Handelskonsortium wäre natürlich auch interessant." Obwohl, eigentlich war es völlig egal. So neugierig sie auch war und so gerne wie sie Mogontiacum angucken wollte, so angenehm war seine Anwesenheit und sie hätte auch genauso gut mit ihm nur einfach irgendwo sitzen und reden können.

  • Witjon musste grinsen. "Der Hafen ist verschludert, weil es regelmäßig Überschwemmungen gibt, weil dort der ganze Dreck der Stadt zusammenfließt und weil dort teilweise das übelste Gesindel herumlungert. Hast du noch nie einen Hafen gesehen?" Natürlich übertrieb er maßlos. Im Hafen lag ein Teil der Classis vor Anker, außerdem waren dort neben Gaunern und Halunken auch Stadtwächter, Seeleute und ehrliche Kaufleute unterwegs. Er ging gemütlich los. "Komm, wir schauen uns das mal aus der Nähe an." Nach seiner Erzählung würde Vodafonis von dieser Idee ganz gewiss nicht begeistert sein, aber das war Witjon egal. Während sie also an den Marktständen auf dem Forum vorbeischlenderten, klärte er seine Zukünftige weiter auf. "Du musst wissen, dass Mogontiacum eines der wichtigsten Handelszentren am Limes ist. Hier treffen sich viele große Handelswege Germaniens. Zum einen haben wir die Rhenusbrücke, die es den Stämmen östlich von hier ermöglicht, ihre Waren in die römische Provinz zu bringen. Aber auch der Rhenus selbst ist eine äußerst wichtige und blühende Handelsstraße. Täglich landen hier etliche Schiffe und Barkassen und löschen ihre Ladung, die dann in die Lagerhäuser verfrachtet wird. Von dort nimmt sie ihre Reise nach Westen auf, nach Belgica, Gallien, oder gar Hispania. Und nach Rom wird natürlich auch viel verschifft, von Bernstein bis Pelze ist alles dabei." Hoffentlich interessierte Callista das überhaupt. Er wollte sie ja nicht langweilen mit seinem Geschwätz über Wirtschaft.

  • "Ach sooo..." sagte sie leise und ließ sich von dem Germanen weiter führen. Wobei führen wohl das falsche Wort war, liefen die beiden doch nur nebeneinander her und zumindestens sie war darauf bedacht immer einen gewissen, seitlichen Abstand zu halten. Bei seinen Erklärungen warf Callista einen besorgten Blick zu Vodafonis, die sofort etwas weiter aufschloß und ihren Blick umher schwirren ließ. Natürlich würde sie gegen ´das übelste Gesindel` auch nichts ausrichten können, aber ihre Anwesenheit beruhigte die junge Domina. Und die fand die Idee eigentlich gar nicht so gut, hatte aber keine Chance ihn zu unterbrechen, denn er redete und erklärte weiter. Innerlich nervös, aber äußerlich noch lächelnd, ging sie also neben ihm und hörte zu.


    "Das ist sehr interessant. In Rom habe ich auf dem Markt mal einen Händler gesehen, der ausschließlich mit Pelzen handelte. Er hatte sogar einen Bären dort, einen ausgestopften, den dann ein reicher Mann gekauft hat. Ich glaube, um ihn in seinem Haus aufzustellen. Er hatte viele Mäntel, aber ich habe mich darüber gewundert. Die meisten Frauen bleiben im Haus, wenn es wirklich kalt wird und er hatte so modische Stücke. Die Männer werden wohl nicht genug kaufen als das sich ein Pelzmantelhandel wirklich lohnen würde." Oh, hoffentlich langweilte sie ihn jetzt nicht. Aber viel mehr konnte sie zu einem so wirtschaftlichen Thema nun auch nicht beitragen. Vielleicht war es da besser ein paar Fragen zu stellen? "Gibt es denn viele ... Stämme ... die hier ihre Waren anbieten? Ich hatte gedacht, die Germanen aus Germania Magna wollen mit Rom nichts zu tun haben!?"

  • "Warum denn nicht? Es gibt viele Römer, die aus Italien in den Norden versetzt werden, meist Soldaten und hohe Offiziere, die irgendwelche Dienste absolvieren müssen. Die kaufen dann in Rom bereits passende Kleidung um hier nicht zu erfrieren. Wird es in Rom denn auch so kalt? Ich dachte die Läner im Süden seien so extrem heiß. Dort muss die Sonne viel näher an Midgard sein, als hier bei uns."


    Callistas Frage ließ ihn schmunzeln. Er erlebte es so häufig, dass zugereiste Römer keinerlei Ahnung über die Verhältnisse in dieser Region hatten. Gehörte so etwas nicht auch zur Bildung, die man in Rom erhielt? Oder lehrte man Frauen so etwas nicht? Aber diese Fragen behielt er lieber für sich, statt dessen beantwortete er die ihm gestellte.
    "Oh, da irrst du. Es gibt viele Stämme jenseits des Rhenus, die im römischen Reich Handel treiben. Da sind zum einen die direkten Verbündeten Roms. Das wären zum Beispiel die Mattiaker oder die Nemeter. Und dann gibt es unter den vielen anderen Stämmen auch etliche einzelne Händler, die ihre Waren hier feilbieten. Zum Beispiel kommen Männer aus dem hohen Norden von einem Meer, das Mare Suebicum* genannt wird. Von dort bringen sie den so begehrten Bernstein, der auch in meinen Goldschmieden verarbeitet wird."


    *Mare Suebicum=Suebenmeer (heute Ostsee)

  • "Ich weiß." Callista grinste fröhlich und konnte nicht verhindern, dass ihre Hand zu ihren Hals wanderte, wo seine Kette hing. Also, ihre Kette. Aber er hatte ihr diese geschenkt und sie war aus seiner Schmiede, das wußte sie. Ein weing enttäuscht war sie allerdings schon, dass er es anscheinend nicht realisiert hatte, was sie da trug. Zumal sie extra auf weiteren Schmuck verzichtet hatte. Aber vielleicht waren Männer einfach so und sie überging es (fast) kommentarlos und beantwortete lieber in Ruhe seine Fragen.


    "Manchmal kann es kalt werden, manchmal schneit es sogar. Aber das ist eher selten und ich glaube auch, dass unsere Sommer weitaus wärmer sind als die Sommer hier. Allerdings hast du Recht, jemand der hierhin reist braucht vielleicht einen Mantel schon auf dem Weg. Wieder ein Punkt, warum ich froh bin, dass Balbus meine Abreise in den Frühling gelegt hat." Sie lauschte seinen Ausführungen und nickte hin und wieder. Dann runzelte sie die Stirn. "Gehörst du nicht zu den Mattiakern? Ach nein, du bist Ubier." Sie korrigierte sich schnell selber und versuchte intelligenter auszusehen, als sie sich grade anstellte. Zu dumm aber auch, dass sie solche wichtigen Details nicht besser behalten hatte. Wo Eburnus es ihr doch erklärt hatte! Aber interessant war es schon, dass auch die freien Germanen mit römischen Händlern Geschäfte tätigten. Das hatte sie weder gewußt noch hätte sie es vermutet. "Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Ubier und einem Mattiaker oder Nemeter?" fragte sie, nun völlig vom eigentlich Gesprächsthema abkommend.

  • "Oh!" Jetzt erst fiel Witjon auf, dass Callista ja eine Kette aus seiner eigenen Werkstatt am Hals trug. Wie peinlich! Beschämt schaute er zu Boden und druckste ein wenig herum. "Ich hatte gar nicht gesehen...du trägst ja die Kette...schöne Arbeit...passt zu deinen...ähm..." Er grinste verlegen. "Passt gut zu deinen braunen Augen." Oder so. Hatte Witjon etwa Ahnung? Naja, getrau dem Grundsatz: Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit. (:D)
    Gut, dass Callista dann jedoch eine ganz andere Frage stellte, die Witjon erst leicht verwirrte, dann zum Schmunzeln brachte. "Ich bin gebürtiger Ubier, das ist richtig. Unterschiede? Na, ich kann dir viel mehr die Gemeinsamkeiten dieser drei Stämme aufzählen. Sie sind allesamt Verbündete des Imperiums, dienen als Puffer zwischen Limes und den feindseligen Stämmen und stehen dafür allerdings auch unter dem Schutz der Legionen. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch differenzierte politische Ansichten, ihre Dialekte - die allerdings alle gegenseitig verständlich sind - und durch ihre Zahl. Die Ubier sind zum Beispiel in der C.C.A.A. aufgegangen, nachdem sie von der rechten auf die linke Rhenusseite umgesiedelt wurden. Sie haben sich in der ganzen Umgebung angesiedelt und machen einen Großteil der dortigen Bevölkerung aus. Die Mattiaker sind dafür viel ländlicher und traditioneller orientiert. Sie haben noch ihre Adelsgeschlechter, die den Stamm anführen und über die Dörfer herrschen. Sie haben nur wenige Städte, eine davon ist die Aquae Mattiacorum nordöstlich von hier. Sie sind jedoch sehr wissbegierig und übernehmen viele Neuerungen von den römischen Ingenieuren, besonders in der Landwirtschaft und der Schmiedekunst.
    Über die Nemeter kann ich nicht so viel berichten. Sie leben südöstlich von hier, ebenfalls hauptsächlich jenseits des Rhenus, jedoch auch südlich des Moenus. Sie leben also noch innerhalb der römischen Grenze und sind eher wie die Ubier in der römischen Regierungsstruktur integriert. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie - wie viele Stämme auch westlich von hier - noch immer ihre Richs, also ihre Stammesführer, anerkennen und die alten Stammesstrukturen weiterhin bestehen bleiben."

    Das alles erzählte er, während sie über die breite Via Praetoria schlenderten, die mitten durch Mogontiacum verlief. Dort konnten sie allerlei Volk beobachten. Kaufleute, die ihre Waren zum Forum schafften. Handwerker, die in ihren Tabernae allerlei Alltagsgegenstände herstellten. Bäcker, Garküchen, Schankstuben. Bettler lungerten am Wegesrand, Jugendbanden verplemperten ihre Zeit mit Katzenjagd, Huren boten ihren Körper feil. Vom Hafen her wehte ein Hauch von Fisch, Abfällen, Urin und Trunkenheit herbei, denn um diese Zeit gab es bereits Menschen, die ihren Lohn für Bier verprassten. Die große Straße war halbwegs gepflegt, der Müll war nur geringfügig in der Gosse angesammelt. Zum Glück hatten die Römer ein System von Bürgersteigen, Abflüssen und Fußgängerüberwegen erfunden, das sogar in der Provinz zumindest die großen Viae und die Füße der Bürger sauberhielt.

  • Er bemerkte es doch! Sie lächelte matt und dachte bei sich, dass er die Kette damals ausgesucht hatte ohne sie zu kennen. Sehr unwahrscheinlich, dass ihm irgendwer gesagt hatte wie sie aussah und doch hatte er Schmuck gewählt, der zu ihr passte. Ob das bereits ein Zeichen war? Sie sah einen Moment grüblerisch zu ihm und lauschte dann, was er ihr zu sagen hatte. Aber das meiste der Informationen rauschte an ihr vorbei, so viele waren es. Sie versuchte angestrengt alles zu behalten und beschloß, später noch einmal mit Vodafonis darüber zu sprechen. Die ägyptische Sklavin lauschte ja sowieso jedem Wort, dass zwischen den beiden gesprochen wurde. Vielleicht behielt sie ja auch ihren Teil.


    Sie achtete dagegen mehr auf die Eindrücke der Stadt und ihr Blick wanderte rastlos umher, um möglichst viel zu sehen. Die vielen kleinen Details, die ihr auffielen, lassen sich wohl kaum in Worte fassen, zuviel strömte auf sie ein. Sie fühlte sich nicht gerade wohl und war froh mit männlicher Begleitung hier zu sein, denn alleine würde sie den Hafen ganz sicher nicht aufsuchen. Hatte Marsus hier vielleicht wegen seiner Arbeit zu tun? Kannte er sich deswegen so gut aus? "Hast du schon immer in Mogontiacum gelebt?" fragte sie ihn weiter schüchtern aus, um das Gespräch am Laufen zu halten und ihm zu zeigen, dass sie neben ihrer Angst dennoch weiterhin interessiert zuhörte. Es wunderte sie etwas, dass er keine Fragen stellte, aber vielleicht kam das wieder etwas später.

  • "Nicht doch. Ich bin im Oppidum Brogilus* geboren. Das ist zwischen Bonna und der Colonia Agrippinensium gelegen. Ein beschaulicher Ort, recht ländlich. Dort leben hauptsächlich Ubier und das Leben verläuft noch in den traditionellen germanischen Bahnen. Erst später bin ich hierher gezogen. Da muss ich achtzehn Winter gezählt haben, ist noch nicht so lange her. Und seitdem wohne ich hier in der Casa Duccia, arbeite für die Freya Mercurioque und für die Verwaltung und trage zum Wohl der Sippe bei." Sie wichen einem Karren voller Fässer und Kisten aus was Witjon daraufhin die Gelegenheit zur Gegenfrage bot. "Jetzt habe ich schon einiges von Germanien erzählt. Wie ist es denn da wo du herkommst? Ich habe zwar schon einiges gelesen, aber über Mantua weiß ich praktisch nichts."


    *Oppidum Brogilus=Brühl

  • "Und wo gefällt es dir besser? In Oppidum Brogilus oder hier in Mogontiacum?" Fragen über Fragen. Einmal die Scheu (etwas) abgelegt traute sich Callista bereits viel mehr und da er so bereitwillig erklärte und antwortete, machte es richtig Spaß. "Ich habe nicht direkt in Mantua selbst gelebt, sondern etwas außerhalb. Ungefähr eine Tagesreise weit weg, auf einem Landgut. Meine Mutter und ich und viele Sklaven. Es war schön dort, sehr warm und die Luft roch immer so gut, nach Blumen und Getreide." Sie lächelte schwärmerisch. "Aber viel passiert ist nichts, nachdem mein Vater gestorben ist, wurde meine Mutter immer stiller und immer kränklicher. Ich glaube, bevor ich nach Rom gekommen bin, habe ich unser Haus vielleicht so an die drei oder viel mal verlassen." Das musste reichlich weltfremd auf den jungen Mann wirken. Aber so war es eben gewesen.

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