Irgendetwas weckte Elfleda. Sie wusste nicht so genau, was los war, irgendwas aber hatte sie geweckt. Um Lando nicht zu wecken blieb sie noch liegen mit geöffneten Augen und lauschte. Oder sie versuchte es, denn wie immer schnarchte ihr Mann leise vor sich hin und übertönte damit, was auch immer sie gehört zu haben glaubte.
Missmutig streckte sie ihre Füße einfach zu ihm gegen seine, was ihren Mann im Schlaf einmal missmutig grunzen und sich dann drehen ließ. So war das Schnarchen für die nächsten fünf Minuten gestoppt, und ihre Füße wurden gewärmt. Eine eindeutige Gewinnsituation.
Der Tag war noch nicht angebrochen. In letzter Zeit wurde es immer später hell. Der Herbst hatte Einzug gehalten, mit all seinen Folgen. Die Bäume wechselten langsam ihr Laub, und es wurde verdammt kalt. Sonst war Elfleda eigentlich nicht so verfroren, aber dieser Tage wollte sie am liebsten eingemummelt in eine Decke herumlaufen. Dann sah man auch den Bauch nicht so, der sie aussehen ließ, als würde sie bei der nächsten Berührung bald platzen.
Elfleda hatte ja nicht geglaubt, dass es bei ihr genauso schlimm sein würde wie bei ihrer Tante. Viele Mädchen blieben noch relativ dünn und der Bauch wuchs nur in den letzten vier Wochen vor der Geburt so wirklich an. Aber sie fühlte sich, als würde sie diese Kugel schon ewig vor sich hertragen, und bald würde sie wirklich platzen, wenn das Kind nicht von selbst herauszukommen gedachte. Sie hatte nachgerechnet. Dreimal. Sie hatte sogar Marga mitrechnen lassen, wie lange sie nun schon wohl schwanger war. Ausgegangen von ihrer Hochzeit war nun schon der zehnte Vollmond vorbei. 40 Wochen dauerte es normalerweise, meistens sogar etwas kürzer. Und sie war nun schon über die 41. verdammte Woche hinaus! Bald wollte sie glauben, eher ein Fohlen denn einen Menschen zu gebären.
Mit diesen trüben Gedanken lag sie also wach und lauschte auf das, was auch immer sie geweckt hatte. Aber da war nichts. Die Tiere waren alle still, auf den Straßen lief niemand. Durchs Haus huschte auch niemand, das hätte sie als allererstes gehört. Egal, ob sie sicher aufgewachsen war, egal, ob sie hier nun schon so lange hinter dicken Steinmauern lebte. Das Wissen, dass doch jederzeit ein Feind mit gezücktem Messer das eigene Leben beenden konnte, ließ einen Menschen aufmerksam bleiben.
Also, was hatte sie geweckt?
Lando fing wieder an, ganz leise zu schnarchen, und Elfleda verdrehte die Augen. Nicht, dass sie das wirklich stören würde, nur im Moment brauchte sie irgendwas, über das sie sich ärgern konnte. Und da kam ihr Mann ihr natürlich grade recht, denn immerhin war er da und greifbar, und im Moment konnte er auch nicht flüchten.
Also setzte sie sich auf – langsam und behäbig, verdammter Bauch aber auch – nahm ihr Kissen und schlug damit einmal leicht nach ihm, um ihn zu wecken. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, sollte er gefälligst auch mit ihr wach sein. Auch wenn ein klitzekleiner Teil wusste, dass es gemein war, aber dieser Teil hatte jetzt grade mal absolut nichts zu melden.
“Du schnarchst“, erklang die simple Erklärung. Leider fiel ihr nicht gleich etwas spitzfindiges hinterher ein, um ihn endgültig wachzumachen und ihm die Schuld an irgendwas zu geben. “Das noch ein Baum da draußen steht, grenzt an ein Wunder“, meinte sie also missmutig in Ermangelung eines besseren Grundes für ihr Wachsein.
Verdammt, warum war sie überhaupt aufgewacht? Es war rein gar nichts, was ungewöhnlich wäre. Überhaupt nichts, weswegen sie jetzt unbedingt schon vor Sonnenaufgang so hellwach sein musste.
“Da kann ja kein Mensch schlafen, und überhaupt...“ Vor sich hinzeternd warf sie die Decke beiseite und rollte sich aus dem Bett. “Und kalt ist es auch geworden!“, weswegen sie sich die Decke dann doch wieder schnappte und sich einwickelte.
Sie lief ein paar Schritte zu dem Fenster und schaute durch das nur halbdurchsichtige Glas in die Dunkelheit nach draußen. Nicht, dass sie irgendetwas hätte erkennen können, aber sie schaute dennoch hindurch, als sähe sie alles.
“Wo du jetzt wach bist...“, ja, wo er jetzt wach war... was eigentlich? Irgendwie musste sie ihn doch kurz rumscheuchen können? Irgendwas? Komm, Elfi, denk nach... “.. du könntest... könntest....“
Ihre Hand wanderte auf den Bauch, als sie merkte, was sie geweckt hatte. Es war noch nichts wirklich schlimmes, keine großen Schmerzen, mehr so ein Stechen, als die Bauchmuskeln sich einmal krampfhaft zusammenzogen, als übten sie schon einmal für das, was gleich folgen würde.
“... du könntest Marga vielleicht wecken?“ Jetzt klang sie gar nicht mehr sauer oder genervt oder irgendwie giftig. Elfleda empfand ihre eigene Stimme schon als unangebracht ängstlich. Immerhin wusste sie, was passieren würde. Aber irgendwie hatte sie es auf einmal gar nicht mehr so eilig.