Decimus Serapio

  • In ihrem besten Hauskleid, die Haare zu einem ordentlichen Haarkranz geflochten, der ihr Antlitz wie ein Heiligenschein rahmte, stand Stella vor dem Officium ihres Cousins. Von drinnen vernahm sie Geräusche und hoffte es wäre nicht nur ein Sklave, der für Ordnung sorgte.
    Sacht pochte sie an die Porta.

  • Freudestrahlend trat das Mädel wieder hinaus... Sie durfte zur Cena laden. Oh wie sie sich freute. Gleich würde sie einen Boten mit einem Wachstäfelchen sowohl zu Crispina und ihrer Familie schicken. Wie auch zu Messalina.


    Aufgeregt rieb sie sich die Hände. Sie würde sich noch mit Candace beratschlagen, was man speisen könnte. Mehr hüpfend als laufend machte sich der Lockenkopf auf den weg in die Culina, nachdem sie die Briefe dem Boten mitgegeben hatte.

  • >>


    Die Türe schloß sich hinter uns. Uns... Er und ich, war es nicht ein Naturgesetz, dass zwischen uns unüberwindliche Entfernungen waren, das Mare Nostrum, oder eherne Standesgrenzen, oder der Umstand dass er ein Proskribierter war und ich... Gardepräfekt! (Ein Dichter hätte das nicht krasser ersinnen können, als es die Wirklichkeit erschaffen hatte.) Aber er war hier, in meinem Arbeitszimmer, dessen vollkommen alltägliche, banale Erscheinung absolut nicht der angemessene Rahmen für dieses weltenerschütternde Wiedersehen war.
    Ich betrachtete ihn ungläubig, ohne auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können... aber dann war ich auch schon auf ihn zugegangen und hatte ihn fest in die Arme geschlossen.
    "Du lebst." flüsterte ich, ihn in meiner Umarmung haltend... ja, er war es. (Und wäre er mit der Absicht gekommen, ein Attentat auf mich zu verüben, dann wäre ich ab dem Moment Geschichte gewesen. Aber da hatte ich nochmal Glück gehabt.)
    Ich schloß die Augen und, noch immer frei von Gedanken, spürte ich seine Schultern, von mir umschlungen, seinen Körper, seinen Atem, den rauhen Stoff seiner Tunika, das Bartgewirr, das meine Wange streifte. Er roch ganz anders als in meiner Erinnerung, nach Garküchendunst und Pferd anstatt nach den exquisitesten Duftölen, aber ich ließ diese Wahrnehmung und das wofür sie alles stand, nicht bis in meine herrliche gedankenfreie Zone vordringen, ich hielt die Augen geschlossen und verspürte in diesem der Welt gestohlenen Augenblick nur eines: er lebte und das machte mich unbeschreiblich glücklich.

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    Klient - Decima Lucilla

  • In all seinen rationalen Vorstellungen über dies Zusammentreffen hatte stets das Wohl des Imperium Romanum an erster Stelle stehen müssen, hatte Gracchus fest sich vorgenommen, seine eigenes Sehnen, sein eigenes Verlangen zu intermittieren, sich ganz darauf zu konzentrieren, den Praefectus Praetorio zu persuadieren, die Welt zu retten. In den Armen Faustus' jedoch zersetzten all diese Vorhaben sich rapide, lösten schneller noch sich auf als der Rauch einer in freier Natur ausgeblasenen Kerze im Winde verwehte, und mit einem Male schien alles Geschehen, welches hinter ihm lag, gänzlich unbedeutend, schien allfällig gar notwendig gewesen sein, um zu diesem Punkt zu gelangen. Der Tod des Imperators, der Tod Tiberius', die Trennung von Antonia und den Kindern, nicht zuletzt von Sciurus, die entsetzliche Flucht aus Rom, die Machtergreifung Vescularius', die Proskriptionsliste und der Verlust seiner gesamten Existenz, all die Entbehrung und Strapazen, die perniziöse Reise zurück nach Rom als Feind des Staates, alle Furcht und Reue, alle Desperation und Sorge - wenn all dies nur hatte geschehen müssen, dass er nun, in diesem Augenblicke die Umarmung seines geliebten Hephaistion durfte verspüren, so gab es nichts mehr zu bedauern. Fort geweht waren alle Gedanken an das Imperium, alle Gedanken an Gerechtigkeit und Ideale, an das Leben Tausender - denn nurmehr diese zwei Leben waren von Bedeutung, welche in diesem Augenblicke endlich wieder zu einem einzigen verschmolzen.
    "Ich ... ich war mir nicht mehr si'her."
    Gracchus' Arme umfassten den Leib, der ihm so ungewohnt war und doch gleichsam so traut als würde eine Erinnerung vor ihm sich manifestieren, ein längst vergessener Traum, und seine Hände erkundeten diesen Körper als müsse er dessen sich versichern, als müssten seine Sinne nachgerade begreifen, dass Faustus tatsächlich vor ihm stand.
    "Doch nun ... ja, ich lebe"
    , flüsterte er, sein eigenes Leben, seine Vergangenheit und Gegenwart wieder anerkennend, ehedem seine Lippen begannen sich über den Hals Serapios mit Küssen empor zu arbeiten, zaghaft zuerst.
    "Und mag es nurmehr für diesen Augen..blick sein, so danke ich den Göttern, und ... bitte nur darum, dass er endlos mag währen."
    Fordernd suchte er nun die innige Berührung und alle Schwere, alle Verzweiflung und Last sank tief in ihn hinab, wurde verdrängt von dem unbändigen Verlangen, der Erlösung seines Sehnens als seine Lippen endlich diejenigen Faustus' berührten, als die Welt um ihn her versank in Bedeutungslosigkeit.

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  • Ich hatte gedacht, über ihn hinweg zu sein. Das hatte ich tatsächlich gedacht, nachdem mein Zorn darüber, dass er mich am Ende einfach nur sang und klanglos versetzt hatte abgeebt war, nachdem alles 'ich hasse ihn' und 'nie wieder' in den Wind geschrien und verweht war. Ich hatte ihn fein säuberlich in eine kleine Kiste gesteckt, beschriftet mit 'weiteres Desaster', und ihn zwischen die Kisten 'Hannibal' und 'Massa' gestellt. Aber das war.... mehr als voreilig gewesen. Hier, in seinen Armen, war von einem Augenblick zum anderen alles so, als hätte es allen Hader niemals gegeben, als wären wir noch immer... Liebende.
    Küssen, ihn küssen... ich versank in einem Meer von Glückseligkeit, ich wollte nie wieder etwas anderes tun als ihn küssen, innig küssen, er hielt mich in seinem Bann... oder vielleicht wollte ich doch noch was anderes, ich schmolz dahin unter seinen Berührungen, ich erwiderte sie zärtlich, fuhr ihm über den Rücken, zog die Tunika aus dem Weg, suchte bloße Haut um mit meinen Fingerspitzen darauf zu schreiben wie sehr ich ihn wollte.
    "Manius!" murmelte ich, mich seiner vergewissernd, "Manius... Ich hatte solche Angst du wärst tot."
    War es die Erinnerung daran? Jedenfalls öffneten sich die Schleusen meiner Gedankenströme erneut, und ich hielt inne, meine Arme um ihn geschlungen, meine Wange an seiner. Warum war er hier? Er schwebte in tödlicher Gefahr. Er war sicher nicht hierhergekommen um eine alte Liebschaft aufzufrischen.
    "Warum bist du hier?" fragte ich leise, beinahe verlegen, so unpassend, ja, kleinlich erschien es mir angesicht der Überwältigung durch unser Wiedersehen mit solch banalen Dingen in die Freude einzubrechen. "Sag mir..." - ich lachte auf, aber nicht weil mir nach Lachen war - "sag mir bitte, dass du nicht hier bist, um mich zum Verrat zu überreden."

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    Klient - Decima Lucilla

  • Er konnte nicht dem entkommen, was sein Leben war geworden, konnte nicht der Realität entrinnen, nicht einmal in der Versenkung Faustus' Armen der Wahrheit entfliehen, sie weit von sich schieben, für den Augenblick einer Ewigkeit vergessen. Müde blickten Gracchus' Augen mit einem Mal den so sehnsüchtig vermissten Geliebten an, entkräftet und leer, wich ein Gutteil der Euphorie über ihre Zusammenkunft aus seinem Leibe, dass nurmehr die Strapazen der letzten Wochen, der letzten Tage und Stunden in ihm verblieben, allzu deutlich sich wieder in seine Sinne schoben.
    "Nein"
    , langsam schüttelte Gracchus den Kopf, ein Ausdruck von Bedauern in seinem Blicke da Serapios Frage beinahe ihm schon Antwort auf seine eigenen Fragen schien, es allfällig würde besser sein, ihm nurmehr eine Lüge zu präsentieren und den Versuch zu wagen, noch einmal zu entkommen - doch entkommen wohin? Gracchus war der Flucht - der Ausflucht nicht zuletzt - überdrüssig, gleichwohl war Faustus seine letzte, persönliche Hoffnung, ob deren er in Zukunft würde aufrecht sein Leben weiter bestreiten wollen oder aber zumindest aufrecht in seiner Überzeugung im Carcer sterben, so dass er langsam, ein wenig nachdenklich seine Worte wählte, welche er unzählige Male schon auf der Reise hatte durchdacht, hatte geformt und letztlich doch immer wieder verworfen, dass ihm nichts blieb in diesem Augenblicke als sie wiederum neu zu konstruieren.
    "Seitdem Vescularius Salinator Kaiser Valerianus hat er..mordet, ist nicht mehr geblieben von meinem Leben, ist meine Existenz verblasst dem Imperium gleich, an welches ich stets habe geglaubt, für welches ich stets habe gelebt. Mir und den anderen Männer auf seiner Pro..scriptionsliste, ebenso wie jenen, welche er ins Exil hat verbannt oder in seinen Carcern torquiert, hat er in aller Öffentli'hkeit alles entrissen, was von Bedeutsamkeit ist. Doch er hat bereits lange zuvor begonnen, das Imperium Romanum, das Ideal unseres Reiches von innen heraus zu zerstören, die Idee unseres Staates sukzessive zu zer..setzen, und er wird nicht davon ablassen solange bis es zerfällt oder jemand ihm Einhalt gebietet - denn seine Dreistigkeit kennt keine Grenze, glei'hwohl wie seine Skrupellosigkeit, da er nicht einmal davor zurück schreckt, den göttlichen Imperator hinterrücks zu ermorden."
    Durchdringend lag nun Gracchus' Blick auf Serapio, vor welchem er noch immer so nahe stand, dass er glaubte, jedes Zucken in dessen Antlitz erkennen zu müssen, zweifelsohne mit Bestimmtheit detektieren zu können, auf welcher Seite Faustus stand, und es war kein Zweifel mehr in ihm, dass die Geschichte eben in dieser Art ihren Lauf hatte genommen.
    "Als wäre dies nicht bereits des Unheiles genügend, so wird auch seine Ma'htgier kein Ende finden, wird er mit aller Vehemenz an dem usurpierten Throne festhalten, selbst dann noch wenn das gesamte Imperium gegen ihn opponiert, und wird ohne einen Funken der Reue hunderte Römer, tausende womöglich in den Tod schicken. Ein Bürgerkrieg ist unausweichli'h, es sei denn ..."
    Er sprach nicht weiter, führte den Gedanken nicht zu einem Ende.
    "Ich bin nicht gekommen, um dich zu irgendetwas zu über..reden, doch ... doch als ich Kenntnis erhielt, dass du zum Praefectus Praetorio wurdest befördert ... ich konnte, ich wollte nicht glauben, dass du ... nun ... dir ist zweifels..ohne bewusst, dass du einer der wenigen, wenn nicht gar der einzige Mensch im Imperium Romanum bist, welcher den drohenden Bürgerkrieg noch kann abwenden, welcher die Welt davor kann bewahren, dass Brüder gegen Brüder, Väter gegen Söhne kämpfen müssen, dass tausende römische Familien ihre Väter, Brüder und Söhne werden betrauen müssen - und dies nicht, indem du Verrat begehst, Faustus, sondern schli'htweg den Idealen folgst, welche dem Imperium Romanum stets zu Größe und zu Frieden haben verholfen."
    Mit einer unterbindenden Geste suchte Gracchus einer Erwiderung Serapios zuvor zu kommen, letztlich sein Anliegen zu formulieren.
    "Ob dessen bitte ich dich nur darum, mir die Frage zu beantworten, auf welcher Seite du stehst, ob du ... ob du tatsä'hlich für den Vescularier einstehst oder ... oder ob noch Hoffnung besteht für das Imperium."
    Obgleich Gracchus dies nicht konnte sich imaginieren, so war es durchaus möglich, dass Serapio den widerwärtigen Korruptionen des Vesculariers war erlegen, und er wusste, dass es in diesem Falle sinnlos würde sein, sich gegen ihn zur Wehr setzen zu wollen, dass der Geliebte seinen Kopf würde eintauschen gegen einen lächerlichen Betrag an Sesterzen oder allfällig einen Gefallen des perfiden Kaisers - denn letztlich wusste er viel zu wenig über Serapio, über dessen alltägliches Leben oder alltägliche Sorgen. Sollte jedoch auch nur ein winziger Funken an Zweifel in seinem Gegenüber glimmen, so mochte Gracchus ihn entfachen zu einem Feuer, welches den verhassten Vescularier würde vernichten können - und im günstigsten Falle spielte Serapio ohnehin bereits ein doppeltes Spiel.

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  • Hätte ich doch nicht gefragt... ZACK! zerbrach der uns gerade noch so sanft umhüllende, von der grausamen Welt entrückende Kokon, und ich konnte nur noch hilflos den Kopf schütteln, als er ausholte, und sprach, und all diese hochverräterischen Dinge so voll Überzeugung vorbrachte, dass ich unwillkürlich zurückwich, abwehrend die Hände hob. Was zum Hades verlangte er da von mir?!! Wie konnte er einen derart infamen Verrat von mir fordern?! Glaubte er denn wirklich an das was er sagte, oder.... oder....
    Ich erblasste, schüttelte vehement den Kopf. "Manius, du irrst! Vescularius hat den Kaiser nicht ermordet! Es war Palmas Verschwörerklüngel, Tiberius und Vinicius! Vinicius hat mir das gestanden, es besteht kein Zweifel! Du mußt mir glauben, Manius..." Ich umfasste seine Hände, hielt sie flehentlich in den meinen, blickte ihm tief in die Augen, versicherte ihm mit verzweifelter Inbrunst: "...du mußt mir glauben, ich würde niemals einem Kaisermörder dienen! Und darum bekämpfe ich Palma und seine Verräterbrut, darum diene ich dem rechtmäßigen Kaiser, und das ist Vescularius, er ist der legitime Nachfolger. Was du mir hier.... nahelegst, das wäre der allerschwärzeste Verrat, und ich bin mir sicher, du hättest all das nie gesagt, wenn du nicht von so völlig falschen Annahmen ausgehen würdest, und... und es ist doch nicht alles verloren für dich, es kann doch nur ein Irrtum sein, dass du da auf der Liste stehst, und es wird sich rückgängig machen lassen, der Kaiser ist großzügig, und ich bin in seiner Gunst und ich werde alles dafür tun, damit die Proskription über dich aufgehoben wird, wir werden einen Weg finden, ich verspreche dir, wir können gemeinsam einen Weg finden, damit du sicher zurückkehren kannst in deine verlorene Existenz!"
    Mehr als alles andere wollte ich ihn wieder umarmen und küssen und festhalten, aber etwas hielt mich davon ab, so hielt ich nurmehr weiter seine Hände umklammert und starrte ihm bis zum Zerreißen angespannt in die Augen. Das schlimmste an dem was er gesagt hatte war: egal wie falsch seine Annahme war... es ließ sich nicht von der Hand weisen, dass ich, wenn ich jegliche Moral über Bord würfe, die Möglichkeit hätte sehr, sehr viel Blutvergießen zwischen Römern zu verhindern. Aber....... der Preis wäre dermaßen abscheulich...... dass ich nicht einmal daran denken wollte. Mein Magen krampfte sich zusammen, zu einem harten Knoten, und mir war, als würde alles um mich herum in einen schwindelerregenden Wirbel gesogen, nur er war noch da, und seine Hände, an denen ich mich festhielt... inständig hoffend, dass er auf meinen vernünftigen Vorschlag eingehen und seine entsetzliche Forderung zurücknehmen würde.

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    Klient - Decima Lucilla

  • 'Erwache, Selbst, erwache, denn ich bin meiner Beherrschung verlustig gegangen, erwache, denn die Schatten sind auf dem Marsch, und ich kann nicht alleine gegen all jene ankämpfen, welche aus dem Boden sich erheben, aus den Wänden sich lösen, mich hinab zu ziehen in die Tiefen ihrer Finsternis! Erwache, Selbst, erwache und entzünde den Docht, dass Licht sich erheben mag, die Schatten meines Lebens zu verdrängen, gieße Wasser in den trüben Dunst der Erinnerung, schwemme die Düsternis von meinen Gedanken, dass sie nicht mich hinab ziehen in die Tiefen ihrer Welt!'
    Es waren keine zusammenhängenden Gedanken mehr, welche Gracchus' Sinne noch durchstreiften, nur Fragmente aus Reminiszenz, aus Hoffnung, aus Trug und Selbstschutz, aus Erinnerungen an ein Leben, welches hinter ihm lag, an viele Leben, welche hinter ihm hätten liegen können, denn unweigerlich hatte sein Selbst der Dissoziation sich ergeben, in der Aussicht in zahllosen Erinnerungen zumindest eine zu finden, ob welcher es nicht der Insania würde anheimfallen müssen. Sein Leib konnte noch sich dessen entsinnen, wie die Wahrheit sich hatte abgespielt, dass in seinem Magen ein untrügliches Gefühl des Unwohlseins empor keimte, seine Seele trug noch in sich eine Ahnung, dass er den Geschmack einer Lüge auf seiner Zunge konnte verspüren, obgleich auch sie danach trachtete, zu vergessen, doch sein Verstand leugnete längst die Wirklichkeit, war gleichsam entrüstet wie erstaunt über des Faustus' Worte.
    "Palmas Ver..schwörerklüngel? Tiberius und Vinicius? Aber ..."
    Unwillkürlich ballte Gracchus seine Hände, welche noch immer der Geliebte mit den seinen umfangen hielt.
    "Aber dies betraf Vescularius! Vescularius allein war das Ziel dieser Kon..spiration, von Beginn an!"
    Tatsächlich entsprach dies der gänzlichen Wahrheit, dass Gracchus' Worte voller Überzeugung seine Kehle verließen, war doch der Imperator im Grunde nur eine traurige Randfigur im Ansinnen der Konspiranten gewesen.
    "Warum hätten wir den Imperator ermorden sollen und Vescularius auf den Thron setzen? Das ist voll..kommen absurd!"
    'Kaisermörder!'
    Suchend fixierte er Serapios Blick, suchte daraus die Essenz seiner Worte zu exzerpieren, allfällig darin den Trug zu erkennen oder die Wahrheit, doch in ihm wurden die Mauern seines Gedankengebäudes eingerissen und errichtet, einem sich ständig neu erschaffenen Labyrinthe gleich, bald neben, bald vor und bald hinter ihm, dass er gänzlich verloren darin umherirrte.
    "Hat ... hat Vinicius den Mord gestanden bevor oder nachdem er gefoltert wurde?"
    Er kannte den Vinicius trotz allem nicht allzu genau, wusste nichts über dessen Schwächen, wusste nur allzu genau, dass er selbst in den Fängen der Tortur würde letztlich für deren Ende zweifelsohne alles gestehen, selbst dass er den Kaiser hätte exekutiert.
    'Kaisermörder!'
    Abrupt zog Gracchus seine Hände zurück.
    "Selbst wenn Vinicius den Imperator eigenhändig hätte er..mordet, so wäre dennoch der Vescularier niemals der legitime Nachfolger des göttli'hen Kaisers!"
    'Schatten erheben sich, Schatten fallen.'
    Gracchus schüttelte langsam den Kopf, er mochte sich selbst hassen dafür, dass er die ihm seit jeher stets leidige und unliebsame Politik zwischen sie musste drängen, doch wenn Serapio die Wahrheit sprach, so gab es tatsächlich noch diesen winzigen Funken Hoffnung, nach welchem er hatte gesucht.
    "Nein, ... nein ... nur Vescularius war das Ziel, doch … doch augenscheinlich waren wir seiner Skrupellosigkeit nicht gewachsen, und obgleich wir bereit waren bis zum Äußersten zu gehen, so waren wir nicht darauf vorbereitet, dass er längst unseren Idealismus in seine abscheuli'hen Pläne hatte integriert, dass er weit über das Äußerste hinaus würde gehen, und dort in der Ödnis der uner..bittlichen Erbarmungslosigkeit alles und jeden würde devastieren, welcher noch im Wege seiner Ma'htgier stand, selbst ehrbare Männer des Staates, selbst den Imperator und letztlich gar das Imperium!"
    Es war nun in Gracchus' Augen, in welchen die Verzweiflung lag, denn er mochte nicht glauben, dass Serapio wahrhaftig diesem Scheusal mochte Glauben schenken.
    'Bleibt am Ende noch ein Unterschied zwischen einer Gorgone und dem Geist einer Gorgone?'
    "Mein Name findet sich nicht ohne Grund auf dieser Liste, denn es ist keine Proskription der Feinde des Imperium Romanum, sondern lediglich eine solche derjeniger Männer, welche Vescularius Salinators Machtgier und Skrupel..losigkeit im Wege stehen, all jener Männer, welche an das Imperium Romanum glaubten und welche noch immer daran glauben, welche daran glauben, dass der Mörder eines Kaisers mit dem Tode sollte be..straft werden und nicht mit dem Kaiserthron belohnt. Nichts werde ich jemals von diesem Unmenschen erbitten, nicht einmal den Tod!"
    'So verlasse ich die Welt für eine Weile, geliebtes Selbst, verlasse die Welt und treibe durch diese merkwürdigen Tage, stets auf der Suche nach dem einen Weg, welcher mich zurück führen mag zu dir. Darob lasse nicht zu, dass ich gehe, lasse nicht ab von mir, lasse nicht mich fortwehen von dir, von hier, denn ich kann nur verlustig gehen auf meinem Weg, werde verloren sein, wenn du zurück kehrst, um nach mir zu sehen. So höre meinen Ruf, geliebtes Selbst, so eile meinem Ruf hernach und komme zu mir, da ich längst verloren bin, da ich verloren bin auf allen Pfaden, längst verloren in der Dunkelheit.'
    "Er wird uns alle verni'hten, Faustus, gleich ob und welche Schuld wir auf uns geladen haben, ebenso wie er tausende Römer in den Tod wird führen, um die usurpierte Macht sich zu bewahren."

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  • Es ist kein Irrtum. Es ist kein Irrtum, dass er auf der Todesliste steht. Die Erkenntnis dröhnte in meinem Schädel. Ich hatte es nicht glauben wollen, hatte es zwar gefürchtet doch für mich nie wirklich in den Bereich des Möglichen gerückt... dass er tatsächlich einer der Verschwörer war, dass er nicht nur aufgrund seines Standes und weil er mit Tiberius Umgang gepflegt hatte, unter die Prokription gefallen war. Ungläubig starrte ich ihn an. "Mein" Manius, ein Unbekannter und... eine große Gefahr.
    "Das hat er ohne Folter gestanden." sagte ich mit schwacher Stimme. Natürlich war er vorher mal härter angefasst worden, und Isolation und Aushungern waren ja auch zermürbend, aber die wirklich üble Tortur, bei der jeder irgendwann alles sagte, die hatte er nicht erlitten. Wenn wir auf diese Weise arbeiten würden, dann hätten wir ja wohl schon längst falsche Geständnisse in Hülle und Fülle gehabt!!
    Stumpf sah ich Manius an, benommen von diesen unerhörten Dingen, die er da an mich herantrug. Die alte, schon totgemutmaßte Frage – warum überhaupt den Kaiser töten. Nur dass ich eben mehr als Mutmaßungen hatte, nach meinen langen Ermittlungen. Ich wollte ihm nicht glauben, denn meine Erkenntnisse, die Muster meines sorgsam zusammengesuchten Mosaiks, sprachen dagegen, und... ihm zu glauben würde zudem heißen dass ich die ganze Zeit auf der falschen Seite gestanden hatte!! Und ich wollte ihm glauben, denn er.... er durfte kein Kaisermörder sein.


    Er zog seine Hände zurück, und damit war ich meines letzen Haltes beraubt, mir schwindelte, ich taumelte durch einen wilden Schwarm von Anschuldigungen, lauernden Implikationen, abgründigen Perspektiven... und ich taumelte auch körperlich, und zwar zurück, bis ich gegen die Kante meines Schreibtisches stieß. Ein schweres massives Möbelstück mit Löwentatzen, ich stützte mich darauf, krallte die Hände um die Kante herum, versuchte Manius zu unterbrechen, vergeblich, er sprach ohne Unterlass, mit einer Vehemenz die wie ein lodernder Brand war, mit einem Glanz in den Augen der mich ungut mitzureißen suchte, mit Worten vor denen ich meine Ohren verschließen hätte wollen, war ich doch schon immer, von dem Augenblick an als Atons Maske sich mir zuwandte, seinen Worten verfallen gewesen.
    Wenn... wenn das wahr wäre was er sagte, dann wäre ich nichts als der Scherge eines grausamen Ungeheuers... und es war ja nicht so dass ich zum ersten Mal daran zweifelte ob mein Tun richtig war, aber.... aber...
    "Nein! Verkauf mich nicht für blöd! ICH GLAUBE an unser Imperium! Und darum diene ich dem rechtmäßigen Kaiser! Ich sage dir was geschehen ist, Manius! Ihr habt um eure Privilegien gebangt! Ihr hattet Angst, dass Vescularius als Mann des Volkes eure uralten, verstaubten Vorrechte antastet! Und darum, und weil Kaiser Valerianus dies zuließ, habt ihr beschlossen einen von euch auf den Thron zu setzen. Einen Patrizier! Cornelius! Aber ihr habt euch verkalkuliert! So war es doch!" Ich richtete mich auf, von Zorn gepackt begehrte ich auf, nein, ich würde mich hier nicht länger verunglimpfen lassen, von einem verflossenen Liebhaber, einem Flüchtling, Verschwörer, Verfemten. Anklagend streckte ich die Hand gegen ihn aus.
    "IHR habt Valerianus auf dem Gewissen. Ihr habt dem Küchensklaven das Gift zugespielt! Weißt du eigentlich wie qualvoll der Kaiser gestorben ist?! Sein eigener Sohn ist vor seinen Augen zuerst gestorben, sich in Krämpfen windend! Und seine Frau, die die Güte in Person war! Die habt ihr gleich mit aus dem Weg geräumt! Ich weiß es, weiß wie sie gelitten haben, weil ich es unzählige Male hören mußte, bei meinen Verhören!"
    Und wie bei meinen Verhören fasste ich Manius stechend ins Auge, suchte nach den Zeichen der Schuld und hoffte doch keine zu finden.
    "Und du sagst mir, ihr hättet damit nichts zu tun? Kannst du das beschwören?!" drang ich heftig und immer heftiger auf ihn ein, "Kannst du mir das schwören?! Bei Iuppiters Stein?!"


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    Klient - Decima Lucilla

  • 'Tausend Kammern voller Taten, tausend Kammern voller Träume, tausend Türen ohne Schlüssel, tausend leere Räume.'
    Der Abstand zwischen ihnen - körperlich, wie auch emotional - vergrößerte sich mehr und mehr, wie auch die Zweifel in Gracchus' Innerem, das Durcheinander in seinem Geist, die Desperation in seinem Verstand. Und mit einem Male hagelten all die Vorwürfe auf ihn ein, welcher er nicht sich konnte erwehren, welche keinen Sinn ergaben und doch so untrüglich durch seine Haut bis in sein Herz hinein sich bohrten, welche nicht sein durften, nicht sein konnten ohne seine gesamte Existenz ad absurdum zu führen, welchen er doch nichts hatte entgegen zu setzen. Auch Gracchus wich nun zurück, als wären des Serapios Worte physisch, als wären es harte, praetorianische Fäuste, welche auf ihn einschlugen, bis dass sein Leib aufgehalten wurde von einer Wand in seinem Rücken, welche nicht zuließ, dass er weiter noch konnte fliehen.
    "Nein ..."
    , keuchte er leise und glaubte dabei unter dem stechenden Blick des Prätorianers zerbersten zu müssen.
    "Das ... das ergibt keinen Sinn. Das er..gibt keinen Sinn!"
    'Kaisermörder!'
    Langsam schüttelte Gracchus den Kopf, verlor dabei den Halt in Serapios Augen, schlug in seinem Gedankengebäude gegen Türen, welche jedem Widerstand trotzten, nicht preisgaben, was er dahinter hatte verborgen. Eine Reminiszenz blitzte auf an die Tage in Mantua, an den Wahnwitz und Irrsinn in seinen Gedanken, an das Rasen in seinem Verstand und der Furcht davor, sich selbst zu verlieren. Tiefer noch als alle Vorwürfe seines Gegenübers schob ein Keil sich in seinen Leib, ihn zu zerteilen, ihn zu zerbrechen, dass aus einem Leben Tausende wurden, dass er tausende Scherben in Händen hielt, von welchen er nicht mehr wusste, welches die seinen waren und welche nur zufällig in diesem Haufen seines Selbst lagen, welche allfällig irgendwer dort hatte mit Absicht platziert, ihn zu derangieren, seiner Sinne zweifeln zu lassen. Hatte er nicht wenige Tage zuvor auf dem Weg nach Rom noch mit sich gehadert seiner Person wegen, hatte er nicht bis zuletzt gezweifelt an der Erinnerung seines Lebens? Was, wenn er den Imperator Caesar Augustus des Imperium Romanum hatte ermordet?
    'Mörder!'
    Einem Schlag in den Magen gleich spürte er die Auswirkung dieses Gedankens, dass er ein wenig sich krümmte, dass er die Augen schloss und sein Antlitz von Schmerz sich verzerrte. Er hatte so viele Menschen auf dem Gewissen, so viele Larven an seine Seele gebunden - seine halbe Familie zerrte an seinem Leben - doch der Imperator Caesar Augustus war weit mehr als dies, er war ein Symbol, er verkörperte alles, an das Gracchus glaubte, er war das Ideal aller Ideale, er war die unfehlbare Gewissheit, dass nichts im Leben ohne Sinn war, dass alles Streben letztlich einem höheren Ziel folgte, dass nicht der Mensch im Einzelnen bedeutsam war, sondern einzig und allein das Wohl des Imperium Romanum.
    "Das ... ergibt keinen ... Sinn."
    Geleitet von einem leisen Zittern im gesamten Leib öffnete er die Augen, den Blick des Geliebten zu suchen.
    "Der Vinicius ist doch selbst ein Mann des Volkes"
    , suchte er seine Gedanken zu sortieren.
    "Und welches Privileg würde re'htfertigen, dass wir das Imperium verraten? Dass man uns bevorzugt, wenn es um die Besetzung kultischer Ämter geht, welche ohnehin niemand möchte ausfüllen, der nicht an die Idee Staates glaubt, da sie nichts weiter bringen als Pfli'hten, Auflagen und Aufgaben? Dass wir zur Quaestur kein Militärtribunat ableisten müssen, die wir seit Jahren schon im Senat sitzen?"
    Und letztendlich das liebste Argument aller Plebejer, welche von Reichtum träumten, da sie diesen mit persönlichem Einfluss und Macht gleichsetzten, welche ihr eigentliches Ziel mochten sein, und beinahe mischte sich ein wenig Resignation in die Couleur Gracchus' Stimme.
    "Oder allfällig die Steuerfreiheit? Ich weiß nicht einmal, in welchen Dimensionen sich das flavische Vermögen bewegt, meine Familie besitzt Ländereien, welche ihren Wert nicht einbüßen, ob auf die Gewinne, welche sie er..wirtschaften eine Steuer erhoben wird oder nicht. Diese Steuerfreiheit mag für jene, welche für ihr kleines Vermögen hart arbeiten müssen, von Bedeutsamkeit sein, doch weshalb sollte sie es für uns sein, die wir weit mehr be..sitzen als wir je benötigen werden? Nein, ich kann solche Privilegien nicht entdecken, welche das Imperium zu verraten würden lohnen."
    Träge hob Gracchus seine Hand zur Stirn und rieb darüber, spürte mit einem Male wieder die Strapazen und Entbehrungen der letzten Tage, dass er seit dem frühen Morgen schon nichts mehr hatte gegessen, und gab der Versuchung seiner Beine nach, sich hinabsinken zu lassen an der Wand - nicht uneingedenk dessen, dass dies augenscheinlich zu seinem natürlichen Platz in der Welt geworden zu sein schien, die schmale Fuge zwischen Untergrund und Wand, dass schlimmer noch, sein Leib dort perfekt sich einzufügen schien.
    "Das alles ... ergibt keinen Sinn. Nur Vescularius Salinator hatte die Chance und den Nutzen."
    'Mörder!'
    "Er schert sich um keine Moral, Gesetze und keine Tradition - er präsentierte doch bereits sich als Kaiser, während Valerianus noch seine Leiden kurierte. Mehr als einen viablen Mann hat er aus dem Senat aus..geschlossen, Männer, welche dem Imperium stets treu hatten gedient und das Wohl des Reiches zum Ziel - nicht weil sie gefehlt hatten, sondern einzig um Platz zu schaffen für seine Günstlinge, eigennützige und untaugli'he Männer, deren Handeln stets nur auf ihr eigenes Wohl abzielt. Er hat dem Senat das Wort verboten, uns gedroht, hat jede Beanstandung und Anfrage an den Imperator zurück gehalten und nach seinem Gutdünken entschieden, hat sich öffentli'h mit vierundzwanzig Liktoren umgeben - vierundzwanzig! - und spazierte durch die Straßen der Stadt als wäre er auf einem Triumphzug! Er schreckte nicht vor dem Mord an einem Senator und Pontifex zurück, und hat nur darauf gewartet, in die Tat umzusetzen, was ohnehin bereits Tatsache war, und den Thron en..dgültig an sich zu reißen."
    Einem Häuflein Elend gleich saß Gracchus nurmehr auf dem Boden an der Wand, denn er hatte diese Worte zu oft gedacht, zu oft durch seine Sinne gespult, dass sie ihm beinahe schon lästig waren, allfällig auch, da er tief im Inneren verspürte, dass dies alles mochte der Wahrheit entsprechen, die Quintessenz dessen jedoch eine Lüge blieb - eine Lüge, welche seine eigene Existenz in Frage stellte.
    'Geboren unter dem Fluch, niemals das Gute zu sehen, stets nur das Übel, wird doch mit der Zeit die Schlage ihre Haut abstreifen, eine andere Schlange daraus hervor zu entlassen.'
    "Ja"
    , nickte er schließlich.
    "Ja, wir haben Valerianus' Tod zu ver..antworten. Wir hätten viel früher noch dem Vescularier Einhalt gebieten müssen, wir tragen die Schuld, da wir durch unseren Dilettantismus unser eigenes Scheitern und damit seinen größten Triumph erst ermögli'hten."
    Obgleich in diesen Worten die reine, unverfälschte Wahrheit verborgen lag, so lagen sie nicht minder schwer auf Gracchus' Seele als jede Lüge zuvor.
    'Kaisermörder!'

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  • Seiana war unsicher. Unsicher und, was selten vorkam, unschlüssig. Nachdem sie das Haus des Pompeius unverrichteter Dinge hatte verlassen müssen, hatte sie das drängende Gefühl, etwas tun zu müssen. Irgendetwas. Diese lächerliche Ausrede, die der Procurator ihr aufgetischt hatte, konnte nur eines bedeuten: die Iunia wollte nicht mit ihr reden. Und das bedeutete nichts Gutes, davon war Seiana überzeugt. Sie musste also etwas tun. Es war keine Option, hinzunehmen, dass die Lectrix sie mied, und einfach abzuwarten was passierte – einfach zu hoffen, dass alles ruhig blieb. Das Risiko konnte sie nicht eingehen. Wenn nur ein Wort nach außen drang... Seiana wagte gar nicht daran zu denken. Es war im Grunde schon zu viel, dass überhaupt jemand Bescheid wusste, erst recht ausgerechnet diese Frau. Dass Seneca es offenbar nicht geschafft hatte seine Verwandte zu besänftigen, oder besser noch: ihr ein ordentliches Benehmen einzubläuen, das war einfach nicht tragbar.


    Seneca. Das war es. Sie musste mit Seneca reden, musste ihn informieren. Und dann musste er sich darum kümmern. Das war er ihr schuldig, nachdem er ihren Namen verraten hatte. Er war es ihr schuldig dafür zu sorgen, dass dieses Risiko eliminiert wurde, umso mehr da sie so viel mehr zu verlieren hatte als er. Nur wie sollte sie ihn nun treffen... sie konnte ihn kaum zu sich rufen, genauso wenig wie sie in der Castra auftauchen konnte. Und ein Treffen zu organisieren, das unauffällig sein würde, würde Zeit kosten. Viel zu viel Zeit. Sie konnte nicht Tage oder gar Wochen warten, bis Seneca sich um die Sache kümmerte... sie hatte im Grunde jetzt schon zu viel Zeit verstreichen lassen, wenn man bedachte, wie die Iunia sich ihr gegenüber verhalten hatte. Aber sie hatte Seneca genug Zeit geben wollen, um erst selbst mit seiner Cousine zu reden... Seiana verfluchte lautlos die Zwickmühle, in der sie saß. Sie würde ihn kaum schnell treffen können, ohne dass es mehreren Leuten auffallen würde. Es sei denn...
    Seiana zögerte einen Moment. Es war nicht richtig... und ganz ohne jedes Risiko war es auch nicht. Aber es war nun mal dringend. Genau genommen war es fast ein Notfall. Kurzentschlossen wandte sie sich ihren Sklaven zu, und nur einen Moment später lief Raghnall schon davon, während Seiana und ihre Leibwächter die Richtung änderten, und statt zur Casa Terentia nun zur Casa Decima unterwegs waren.


    Als sie die Casa Decima erreichten, hielt Seiana sich nicht lange mit dem Ianitor auf, vergewisserte sich nur kurz bei ihm, dass ihr Bruder da war, und ließ ihn wissen, dass sie offiziell nicht im Haus war – nicht dass sie glaubte, dass jemand nachfragen würde, aber sie wollte nicht, dass er möglicherweise anderen Familienmitgliedern oder Sklaven erzählte, dass sie heute hier war. Kurze Zeit später stand sie vor der Tür zum Officium ihres Bruders, klopfte kurz und trat dann ein, ohne auf eine Antwort zu warten. „Entschuldige bitte, dass ich dich so kurzfristig störe, Faustus. Hast du einen Augenblick Zeit für mich?“



  • Klarheit! Hätte ich doch endlich Klarheit! Wie ich danach hungerte, wie es mich zermürbte, mir immer wieder die selben Frage zu stellen, nie Gewissheit zu haben ob ich das Richtige tat, ob das was ich tat, die Verhöre und Verhaftungen und alles was da noch hinzugehörte... ob dieser ganze Scheiß gerechtfertigt war, weil es nun mal dem Schutz des Imperiums diente – oder ob ich selbst einem gigantischen Betrug erlegen war??!! Nein. Das durfte nicht sein. Nein... Das war nicht so. Was ich tat richtete sich gegen die Feinde des Reiches, und ich durfte dabei nicht zögern, ebensowenig wie ich hatte zögern dürfen in Parthien auf dem Schlachtfeld, zögern, zaudern, falsche Skrupel, Befindlichkeiten.... zögern, einen Wimpernschlag lang nur, und man war tot, und zwar für immer.


    Es tat mir weh zu sehen wie meine Worte Manius trafen... wie Hiebe... aber doch zürnte ich weiter, es war genug, wer war ich, mich, mein Handeln, meine Loyalität von einem Verschwörer anprangern zu lassen?!
    "Blödsinn!" fluchte ich, "So ein BLÖDSINN!! Gerade weil ihr so viel habt, habt ihr so viel Angst es zu verlieren! Das sieht doch ein Blinder!"
    Meine Ohren hätte ich verschließen wollen. Ich wollte nichts mehr hören. Keine Moral. Günstlinge. Untauglich. Vierundzwanzig Liktoren. Und ich selbst wusste: der Libertus hatte Kontakte zu beiden Seiten gehabt. Wer sagte, dass nicht... Nein, ich wollte das nicht mehr hören. Nichts hören. Nicht sehen. Aber selbst als er zu Boden gesunken war, sprach er immer noch weiter...
    "Sei endlich STILL!" fuhr ich ihn an, mich vom Tisch hochstemmend, blieb hoch vor ihm aufgerichtet stehen. "Oh zum Cerberus, sei doch endlich STILL! Verschone mich mit euer miesen Propaganda! Ich glaube dir kein Wort! Du bist ein Verschwörer! Du bist gekommen um mir... deine Worte ins Ohr zu träufeln, wie Gift, wie das Gift dass ihr dem Kaiser gegeben habt! Du hast mich kaltherzig abserviert, ohne ein Wort, aber jetzt, jetzt auf einmal kommst du wieder, und... willst... mich benutzen, und glaubst wegen dieser alten Scheiß-Meditrinaliengeschichte kannst du den Gardepräfekten zum Überläufer machen?!!"
    Fremd klang meine Stimme in meinen Ohren, kalt und metallisch,
    "Dann lass dir gesagt sein: die Meditrinalien sind lange vorbei! - Ich... schulde ihm Treue. Ich habe dem Kaiser Treue gelobt. Honor et Fortitudo." Meine Stimme wurde brüchig an der Stelle, und mein Blick begann zu verschwimmen, Tränen liefen mir über das Gesicht.
    "Ich sollte dich ausliefern!"

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Es war die aufbrandende Aggressivität, die anklagende Schärfe, mit welcher Serapio mit einem Male ihn anging, welche in Gracchus' Innerstem Saiten zum erklingen brachten, welche aus seiner Lethargie und Ergebenheit ihn zu lösen vermochten, denn eine Wut stieg ob dessen in ihm empor, welche nicht in Verbindung stand mit dem Geliebten, nicht mit dem Praefectus Praetorio, nicht mit dem Imperium, nicht einmal mit dem Vescularius - welche gar weitaus älter war als viele seiner Erinnerungen.
    'Schweig still! Was bist du, ein Weib oder ein Flavius?!'
    Doch während Gracchus vor langer Zeit zerbrochen war unter Adhortation und Schelte, bäumte dieser Tage der ihm inhärente Furor sich auf, dass er seine Kiefer aufeinander presste, sich empor stemmte - stets die Wand schützend in seinem Rücken - bis dass seine Augen jene Serapios trafen, für dessen Tränen er doch blind war in diesem Augenblick.
    "Kaiser Valerianus hast du Treue gelobt, Kaiser Valerianus schuldest du Treue!"
    presste er knurrend zwischen den Zähnen hervor und seine Stimme war eindringlich, nur mäßig befreit von Ingrimm.
    "Wenn ich meinen Vater töte und seinen Haushalt auf mich einschwöre, so macht mich dies nicht zu seinem re'htmäßigen Erben, auch wenn das Erbrecht es vorsieht - denn allem voran bin ich ein Mörder, ein Mörder, welcher nicht mehr ver..dient als den Tod!"
    'Vatermörder! Kaisermörder!'
    Mit den letzten Worten wurde Gracchus wieder ein wenig lauter, packte nun Serapio bei den Schultern als suchte er alle Zweifel aus dem Praefectus herauszuschütteln, denn er wollte noch immer nicht glauben, dass Faustus, dass sein Hephaistion dem Vescularius war verfallen.
    "Du hast Kaiser Valerianus Treue geschworenen, der Kaiser und das Imperium haben dir vertraut! Doch du dienst seinem Mörder! Dem Usurpator!"
    Es war wenig Kraft in seinem Leib, dass er Serapio nur leicht konnte von sich stoßen, ehedem er ihn losließ, die Couleur der Anklage nun in seiner Stimme, vermischt mit einem Hauch bitterer Enttäuschung.
    "Du hast geschworen, den Tod für den römischen Staat nicht zu scheuen! Des..wegen bin ich gekommen, deswegen habe ich alles riskiert, weil ich an deine Integrität als römischer Soldat, als römischer Bürger habe geglaubt, weil ich glaubte, dass du ein kaisertreuer, loyaler Römer bist, wel'hem das Schicksal die Gunst erwiesen und ihn in eine Position hat erhoben, das Imperium Romanum und sein Volk vor einer abominablen Zukunft zu bewahren!"
    Ein wenig trotzig, doch mit gerader Statur und hoch erhobenen Hauptes streckte er seine Hände nach vorn, Serapio entgegen.
    "Du brauchst mich nicht ausliefern, denn ich war mir des Wagnis dieses Unterfangens durchaus bewusst. Wenn der Vescularius also auch die Besten des Reiches hat korrumpiert, ... so ist dieses Imperium Romanum nicht mehr das meine, so ist mein geliebtes Imperium Romanum, für welches unsere Vorväter haben gekämpft und ihr Leben gelassen, end..gültig verloren. Du kannst mich selbst in den Carcer führen - ich werde dir keine Gegenwehr entgegensetzen - und dem Usurpatorenkaiser von deinem Erfolg berichten - allfällig erhältst du dafür, was du augenscheinlich dir von ihm ersehnst. Und ich hoffe, du wirst deine Augen auch dann noch vor Recht und Gere'htigkeit verschließen können, auch dann noch voller falscher Überzeugung diesem Scheusal freudig dienen können, wenn der Tag meiner Exekution ge..kommen ist - denn ich war es nicht, welcher Rom im letzten Herbst ohne ein Wort hat verlassen, welcher ohne eine Spur aus dem Leben verschwand, unauffindbar und unerrei'hbar noch für das lauteste Sehnen und Klagen! Nein, ich habe dich einmal ziehen lassen, und wenn dies dein Glück ist, dem Usurpator in Verblendung zu dienen, so will ich dem zuträglich sein."
    Einen Augenblick, einen Lebens-langen Augenblick erkannte Gracchus schlussendlich, was aus ihm geworden war, und dass es niemals eine Option hatte gegeben, dem zu entkommen. Er hob die Hände noch ein wenig empor, in gleicher Art wie die Lautstärke seiner Stimme ein wenig sank.
    "Nicht für Macht, nicht für Geld, nicht für Ideale oder Prinzipien, und auch nicht für eine Meditrinaliengeschichte, nicht für eine Erinnerung. Nur der Gegenwart eines Feuers wegen, gegen welches ich ma'htlos bin."
    Er sprach nicht weiter, nicht aus, ob es das Feuer der Sehnsucht in seinem Herzen war, gegen welches er nicht konnte aufbegehren, oder das Feuer des Molochs, welcher Rom drohte zu verschlingen.

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  • Und weiter, und immer weiter, ich konnte seinen Worten ebensowenig Einhalt gebieten wie einer wütenden Sturmflut, die unermüdlich anbrandend Stück für Stück der Küste wegriss, unterspülte, in die Tiefe stürzen ließ.
    "Nein!" keuchte ich, gegen seine Worte ankämpfend, sträubte mich gegen den Griff an meinen Schultern, sprach stockend gegen ihn an: "So bequem das auch für eure Sache wäre, er ist verdammt nochmal nicht der Mörder, und ich... und du hast kein Recht... und ich diene verdammt noch mal dem rechtmäßigen Kaiser, und er ist ausserdem ein ganz passabler Kaiser, und ihr, ihr seid diejenigen die Blut an den Händen haben, ihr wolltet Palma an die Macht bringen und dafür mußte Valerianus sterben, und ....... "


    Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht, wischte Tränen weg, aber es kamen noch mehr. Manius hielt mir die Hände entgegen und sprach ohne Unterlass auf mich ein, ich sah ihn nur starr an, schüttelte den Kopf, schüttelte wieder den Kopf.
    Ihn ausliefern?!
    Unmöglich.
    Kaum hatte das Wort meinen Mund verlassen, graute mir schon vor dem was ich gerade gesagt hatte. Wenn ich selbst schon so weit war, dass ich in Betracht zog, meine große Liebe dem Tod in den Rachen zu stoßen...... bestätigte das nicht seine Vorwürfe?! Eine eisige Hand legte sich auf meine Brust.War ich verdorben, verblendet, Scherge eines Despoten, hatte ich mir vielleicht selbst meine Ermittlungsergebnisse so zurechtgerückt dass sie in mein Trugbild passten?!
    "Hör auf... hör endlich auf...!" bat ich verzweifelt. "Ich halt das nicht mehr aus! ... Das kann nicht sein."
    Aber das schlimme war: ich glaubte ihm. Nicht mit dem Verstand, der sagte mir weiter, dass Manius log oder selbst getäuscht worden war, und aller Wahrscheinlichkeit nach der Verschwörerklüngel hinter dem Mord steckte. Aber tief drinn.... vertraute ich Manius einfach, liebte ihn und vertraute ihm, und der schon lange (seit der Sache mit meinem Vater) immer mal wieder nagende Zweifel erhob, durch Manius' flammende Überzeugung angefacht sein Haupt und sagte mir, dass es nicht richtig war, Vescularius zu dienen. Aber ich war so dermaßen WEIT gegangen auf diesem Weg, dass allein die Vorstellung umzukehren vollkommen wahnwitzig war!
    Ich senkte den Kopf, vergrub das Gesicht in der Hand. Es war zu viel. Es zermalmte mich.
    "Ich wollte dich sehen. Ich hab dir geschrieben, und ich habe die halbe Nacht auf dich gewartet. Du bist nicht gekommen." widersprach ich erschöpft. "Manius, ich.... ich... weiß nicht mehr was ich denken soll." Vom Tun ganz zu schweigen.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Erst nun begann Gracchus zu realisieren, dass Serapio nichts wusste von seinem Bemühen, dass der Geliebte zwar ohne ein Wort war von Dannen gezogen, doch dass er nichts hatte ahnen können von der Misere, wiewohl dem Sehnen und Bangen, dass er hinwieder hatte annehmen müssen, Gracchus hätte ihn vorsätzlich versetzt.
    "Die Nachricht!"
    entfuhr es ihm, als müsse er selbst die Worte aussprechen, dass sein Geist sie konnte vernehmen und somit als Erinnerung an eine tatsächliche Begebenheit erfassen.
    "Ja, ... ja, ich habe sie erhalten, doch ... doch viel zu spät, Tage erst nach jener Nacht. In einem Anflug von trügerischer Hoffnung sandte ich einen Boten dorthin, doch … selbst..redend warst du nicht mehr dort. Und … du warst auch sonst nirgends mehr in Rom, verschluckt vom Angesi'hte der Welt, einem Fischerboot gleich, welches das gierige Maul der Charybdis hat verschlungen, dass niemand wusste, wohin du gegangen bist oder dies nicht wollte preisgeben, nicht einmal deine Familie."
    Selbstredend hatte Gracchus dort nicht direkt nachfragen lassen, doch sein Vilicus Sciurus hatte alle Möglichkeiten ausgeschöpft, an Informationen über den Verbleib des Faustus Decimus Serapio zu gelangen - vergeblich. Neuerlich fasste Gracchus die Schultern des Geliebten, sanft diesmalig jedoch, zog ihn ein wenig zu sich.
    "Ich ... ich habe beständig darauf gewartet, dass irgendwo ein Lebenszei'hen von dir zu Tage tritt, dass die militärischen Akten dich zurück in Aegyptus wissen, in Germania oder einem anderen Winkel der Welt. Doch dein Name emergierte nirgends, nirgends."
    Süß stieg wieder der Odeur Serapios' Leib in Gracchus' Nase, dass er genießend ihn einsog, die Augen schließend, um einzig des Geliebten Anwesenheit zu spüren.
    "Ich wünschte, ich hätte ihn nicht derart wieder vernommen, wie es letztli'h geschehen ist. Ich wünschte, ein zierlicher Vogel hätte sich herniedergesetzt auf meine Schulter, mir gesungen in lieblicher Weise von den idyllischen Gefilden, in welchen du dich fern dieser Welt hast nieder..gelassen, um meiner zu harren. Der beschwerliche Weg nach Rom wäre nichts gewesen im Verglei'h zu jener strapaziösen Reise, welche ich auf mich hätte genommen, um zu dir zu gelangen, um all dies hinter mir zu lassen, was uns zerbrechen lässt."
    Ein wahnwitziger Gedanke schlich sich in für einige Augenblicke in seinen Geist, dass dies noch immer alles mochte möglich sein, dass sie mit wenig Gepäck würden Rom verlassen können, gemeinsam in ein Leben zu fliehen, welches gänzlich divergent würde sein zu dem jetzigen. Doch er schob diesen sehnsüchtigen Traum beiseite, denn obgleich er bereits alles hatte verloren, dass es keinen Unterschied mehr für ihn würde geben, so konnte er doch nicht von Serapio verlangen, alles hinter sich zu lassen nur für ihn. Endlich legte er seine Arme um den Geliebten, ihn zu umfassen in der trügerischen Hoffnung, nie wieder von ihm lassen zu müssen.
    "Es ... es tut mir leid, Faustus, ich ... ich hätte nicht zu dir kommen dürfen, nicht verlangen dürfen ..."
    Er fand kein Ende für seine Worte, dass er von neuem begann.
    "Sofern du überzeugt bist, dass dieser Weg der rechte ist für dich, dass keine Gefahr dir zu drohen ver..mag durch den Vescularius, so werde ich dies akzeptieren."
    Zweifelsohne würde dies das Ende dieser Liaison bedeuten müssen, wie generell das Ende seiner Existenz, denn Gracchus war jene Gefahr durch den Vescularius allgegenwärtig, wiewohl er selbst so Serapio ihn würde ziehen lassen nach Verlassen des Hauses der Decima kaum mehr Hoffnung mochte sehen für sein eigenes Leben, hatte er Fortuna doch bereits zu oft herausgefordert in den zurückliegenden Tagen, dass es nurmehr eine Frage der Zeit noch konnte sein, bis dass irgendwer dort draußen ihn erkannte und verriet, gänzlich ungeachtet dessen, dass er nicht einmal mehr wusste, wohin dort draußen er noch sich sollte wenden. Doch dies alles schien nurmehr unbedeutend und marginal, denn die ihm letzte Möglichkeit, noch irgendetwas im Imperium zu bewegen, ihm zwischen den Fingern zerronnen, die letzte Pflicht somit erfüllt, dazu sein Gesicht in Serapios Haar vergraben war das Leben ihm mit einem Male leicht zumute, einem zarten Lufthauch im Frühlingswinde gleich. Für einen winzigen Augenblick alles Glück der Welt in seinen Händen halten und hernach eintreten in das Elysium - was konnte der Mörder eines Kaisers, was konnte ein Staatsverräter mehr verlangen?

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  • Meine Augen wurden weit. Ein Mißverständnis?! Nichts weiter als ein blödes Mißverständnis?! Mit einem ungläubigen Laut, halb Keuchen, halb Lachen, ließ ich die Hand sinken, schüttelte den Kopf.
    "Ich dachte......-"
    Es wäre ja auch kein Wunder gewesen, nach dem Streit wegen seiner Rolle im Prozess, nach meinem panischen Ausweichen im Tempel... Aber egal was ich gedacht hatte, ich kleinmütiger, zweifelnder Tonto ... ich hatte mich getäuscht, und ich schämte mich sofort dafür, den Glauben an das, was uns verband, nicht trotz alledem festgehalten zu haben.
    Seltsam.... seltsam wie auf einmal das große, entsetzliche Dilemma in den Hintergrund trat, zwar noch immer bedrohlich, wie ein wilder Löwe, der geduckt mit dem Schweif den Arenasand peitscht, der jeden Augenblick losspringen kann... aber ich war in Manius Armen, und das war gerade das einzige was zählte. Ein leichtes Zögern versteifte meine Schultern, die Furcht dass er mich im nächsten Moment schon wieder von sich stoßen würde... aber dann ließ ich mich an ihn ziehen, berührte seine Wange, ganz vorsichtig, denn er schien mir so kostbar und flüchtig wie ein glücksseliger Traum, den man nach dem Erwachen noch bewahren möchte, und der doch gleich darauf im hellen Tag zerfasert.
    "Ich war in Syrien. Wegen der Verschwörung. Durfte keiner wissen." sagte ich leise, und dann schniefte ich verstohlen, wischte mir mit den Tunikaärmel die letzten Spuren vom Rumheulen weg.
    Idyllische Gefilde, fern der Welt.... Ich lächelte wehmütig. Wahrscheinlich wäre so ein Ort der einzige Ort, an dem wir es endlich mal schaffen würden, zusammen zu sein. Wie hatte ich in diesen Wunschvorstellungen geschwelgt... Aton und ich, in seiner Sonnenbarke über den Horizont hinaussegelnd... oder besser, Manius und ich, auf einer einsamen griechischen Insel, mit weißen Tempeln und uralter Weisheit, oder Manius und ich, incognito, auf der abenteuerlichen Reise durch die exotischen Ostprovinzen.... Aber mit einem Mal lief mir ein Schauder über den Rücken, ein eisiger Hauch, denn vor meinen Augen zog das Bild von ganz anderen idyllischen Gefilden auf: den elysäischen Feldern, und der grausige Gedanke, dass es uns in dieser Welt verwehrt war, zusammen zu finden, und dass diese Gefilde die einzigen sein würden, die uns am Ende blieben...
    Ich biss die Zähne zusammen und verscheuchte diesen entsetzlichen Gedanken! Schmiegte mich in Manius' Arme, legte meine um ihn und zog ihn fest an mich. Er war da, real, würde sich nicht auflösen, und ich... war Gardepräfekt, immerhin, und würde ihn gegen jede Gefahr beschützen. Wo er wohl gewesen war, sich versteckt hatte? Was mußte er durchgemacht haben! So tief zu fallen, alles zurückzulassen, gejagt werden...


    "Ich bin froh, dass du hier bist!" sagte ich trotzig. Die Gefahr war natürlich enorm, falls jemand ihn hier entdeckte... andererseits, wer sollte ihn hier vermuten?! Ein Proskribierter im Haus des Gardepräfekten? Absurd!
    "Manius, ich... glaube schon dass es das richtige ist, und Gefahr... ach, Gefahr droht doch von allen Seiten... Aber mir ist das alles... zu viel gerade, meine Gedanken drehen sich immer nur im Kreis."
    Ihn zu spüren... ich rieb meine Wange an seiner, suchte seine Lippen. Küssen, ihn küssen, es war so unendlich viel besser als streiten zu müssen. Dann nahm ich sacht sein Gesicht zwischen die Hände und erklärte felsenfest:
    "Manius, ich liebe dich! Ich will mich nie wieder von dir trennen! Wir haben uns schon zu oft verloren. Das darf nicht noch mal passieren! Ich werde dich verstecken, hier, und zwar so lange bis... " Ab dem Punkt ging meine Felsenfestigkeit flöten, ich hatte ja keine Ahnung was die Zukunft bringen würde. "... bis klar ist, wie es weiter geht. Niemand wird dich hier vermuten, im Auge des Sturms sozusagen, und sowieso siehst du ganz anders aus als früher. Du darfst nur meiner Schwester nicht begegnen – aber sie wohnt im Haus ihres Gatten und kommt nur selten vorbei – und dem Nomenclator – aber den schicke ich einfach irgendwohin weit weg – und Massa – den du im Atrium gesehen hast, der kennt mich zu gut, aber der wird zum Glück auch sehr bald abreisen. Wir sagen du bist... ein Freund aus Alexandria, und... arbeitest jetzt für mich.... als Gelehrter... oder so in der Art?"

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    Klient - Decima Lucilla

  • In Hinblick auf dräuende Gefahr mochte Gracchus den beinahe leichtfertig gesprochenen Worten des Geliebten nicht recht Glauben schenken, fürchtete er doch, der Vescularius würde auch seinen Praefectus nicht nur leichthin fallen lassen, sobald er ihm irgendwann in naher oder ferner Zukunft nicht mehr von Nutzen war, sondern im gleichen Atemzuge noch ihn zu beseitigen wissen, da Faustus sodann nurmehr eine Gefahr würde darstellen. Und doch wog für einige Augenblicke die Gegenwart weit schwerer als alle düstere Zukunft, waren Serapios ergötzliche Küsse alles, was noch um ihn her von Bestand war, mochte er sich verlieren in dessen Worte über Liebe und Trennung, welche nie wieder durfte sein - doch allzu schnell wurde auch diese kurze Zuflucht zerstört durch die Aussicht auf die nahe Zukunft.
    "Verstecken?"
    Ein wenig skeptisch hob Gracchus' linke Braue sich empor, denn obgleich er nichts anderes seit Tagen und Wochen schon tat, so schien ihm die Aussicht, sich unter falschem Namen im Hause des Praefectus Praetorio ganz offen zu verbergen doch mehr als gewagt. Indes war der Gedanke gleichsam derart absurd, dass wohl sonstig niemand mochte darauf kommen, bei unauffälligem Verhalten dies wohl tatsächlich mochte aussichtsreich sein. Und doch würde es alles ändern, wäre dies doch nicht nur dem Leben eines Gefangenen gleich, sondern er nach all dem bereits widerfahrenen Unheil auch gezwungen den letzten Rest seines Lebens noch aufzugeben, welcher ihm geblieben war - sein Name, seine Vergangenheit, seine Identität, seine Hoffnung, und nichts würde noch übrig bleiben von Manius Flavius Gracchus als nur jene Liebe, welche ihn mit Faustus Decimus Serapio verband, denn während letzterer noch darauf hoffte, dass irgendwann sich Klarheit bot ob der Zukunftsaussichten des Reiches, so vermochte Gracchus diese Hoffnung nicht mehr zu sehen, da ob aller Qual, Strapaze und Desperation, seines Informationsdefizites dazu und nun der Abweisung seines letzten verheißungsvollen Behufes durch den Praefectus Praetorio ihm unmöglich schien, dass er je wieder Gelegenheit würde finden, zu seinem angestammten Platze im Imperium Romanum zurück finden zu können. Leer blickten Gracchus' Augen durch die Silhouette des Geliebten hindurch, in die endlose, devastierte Leere seiner Existenz, in welche der Vescularius den Palast hatte gewandelt, welcher einst dort hatte gethront - angefüllt mit einer noblen Herkunft und ruhmreichen Ahnen, mit Tugenden, Pflicht und Ehre, mit einer halbwegs erfolgreichen Karriere, einer perfekten Ehefrau und perfekten Nachkommen.
    "Ich ..."
    Er senkte den Blick, noch immer gerichtet in die Unendlichkeit. Nichts war ihm mehr geblieben als sein Selbst, da er alles andere bereits hatte zurücklassen, versteckt oder verleugnet, und selbst an jenem nagte noch der Zweifel. Alles hatte der Vescularius ihm zerstört, was je von Bedeutung war gewesen in seinem Leben, ob dessen die einzig mögliche Replik seinerseits noch musste sein, erhobenen Hauptes gegen diesen Feind zu ziehen - selbst im Angesichte der Vergeblichkeit dessen -, oder aber ein Gladius sich zu suchen und diesem Elend seines Versagens ein Ende zu setzen. Sich hier nun, in ihm gänzlich fremden Gefilden, zu verstecken, seine Identität zu verleugnen, sein gesamtes Leben, dies würde letztlich nur beweisen, dass er am Ende doch nicht mehr war als der verträumte Feigling, welchen sein Vater stets in ihm hatte befürchtet. Deutlich zeigte die Spur der Qualen seiner Gedanken sich auf Gracchus' Antlitz, zog der Kampf, welchen Seele, Verstand und Geist miteinander rangen, sich über seine Miene, ehedem er zögerlich Serapios blaufarbene Augen suchte, sich an den unerschütterlichen Banden seiner Gefühle festzuhalten.
    "Ich fürchte, … es würde dann nichts mehr noch übrig bleiben von mir als diese Liebe zu dir, welche unendli'h mag sein, doch eben nicht mehr. Wenn ... wenn dies dir genügt, ein ... ein ausgehöhltes Nichts angefüllt mit Liebe, so werde ich bleiben, denn ..."
    Es war als würden die Worte ihm tief in seinem Inneren stecken bleiben, als wollte sein Leib verhindern, dass er sie aussprach.
    "... denn ... mir ..."
    Sein Magen verkrampfte sich als überschlugen Felsbrocken sich darin, ein eisiger Schauer zog über seinen Nacken - das Flüstern der Larven, welche ihren Triumph bereits in die Welt hinaus zischten - und ein klandestines Zittern seines Unterkiefers verriet die Anstrengung, welche es kostete, seinem Leben dies mentale Ende zu setzen.
    "... mir würde es genügen."
    Da dies gesprochen war, da sein Tod bestimmt war in der einen oder anderen Weise, brach in ihm die letzte Barriere und seinerseits drückten nun schimmernde Perlen aus Tränen sich aus seinen Augen. Er war gestürzt, tief und tiefer gefallen, beständig die Furcht vor dem Aufprall auf dem harten Grund in sich tragend, grenzenlose Angst und unbändiges Grausen - doch er erwachte nicht mit zerschmetterndem Leibe, nicht zerborsten auf felsigen Gestein, denn nicht immer folgt auf den Fall das Ende; manches Mal entfalten sich schlichtweg Schwingen und der Träumer beginnt zu fliegen.

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  • Jetzt, wo er mich nicht mehr mit diesen schrecklichen Forderungen bedrängte, jetzt wo ich nicht mehr vor allem damit beschäftigt war, mich gegen seine Worte zur Wehr zu setzen... jetzt sah ich ihn mit ganz anderen Augen. Ich sah einen Mann am Abgrund. Mein Vorschlag, mein vielleicht etwas verrückter aber gutgemeinter Vorschlag, stürzte ihn in eine... Qual, die schier unerträglich mitanzusehen war. Ich hielt ihn in den Armen, ja, ich wollte ihn halten, ihn mit all meiner Kraft davor bewahren in diesen dunklen Schlund hineinzustürzen...
    Aber ich bekam auch Angst davor, selbst mit rein gezogen zu werden, in diesen Abgrund von Verzweiflung und... Vernichtung. Und dann tauchte vor meinem inneren Auge das sonnige junge Gesicht des schönen Marcus Dives auf, und ich dachte daran, wie sorgsam ich ihn von meinem Inneren fernhielt, dabei hatte er nun wirklich nichts düsteres an sich, aber ihn hatte ich ziemlich rüde weggeschubst, und nun stand ich hier und war drauf und dran mich wieder mit Haut und Haar etwas zu verschreiben, das überlebensgroß war, und unendliches Scheitern und unbeschreiblichen Schmerz bereithielt, und (ohne dramatisch sein zu wollen!) tödliche Gefahr.
    Aber das Problem war: es gab da gar nichts mehr für mich zu entscheiden, die Entscheidung war mir schon abgenommen, ich steckte da schon wieder ganz tief drin. Ich liebte ihn eben.


    "Manius... Manius!" murmelte ich besänftigend, "Du bist immer noch Du. Und ich liebe dich auch, ich liebe dich un-end-lich, und.... ich kann mir gar nicht vorstellen was du alles durchgemacht hast..." Wo war seine Familie? Ich wagte gar nicht zu fragen... "...aber jetzt sind wir zusammen. Wir sind zusammen und... wir stehen das durch. Wir stehen das durch, mein Geliebter, hörst du?"
    Ich streichelte sein Gesicht, und wischte ganz sanft mit den Fingerspitzen Tränen beiseite, dann umarmte ich ihn fest, stand eben so da, mit ihm, hielt ihn in meine Arme geschlossen wie in die Mauern eines festen Kastells. Erst nach einer Weile sprach ich wieder. "Komm, lass uns erst mal was essen und trinken, und ein bisschen in der Casa-Therme entspannen, währenddessen lass ich dir ein Zimmer richten, und dann kannst du dich ausruhen, und dann sieht schon wieder alles ganz anders aus."
    Es war eine Erleichterung, sich wieder mit so simplen, konkreten Dingen beschäftigen zu können! Ich rief Ravdushara, traf ein paar Anweisungen, und der Plan wurde in die Tat umgesetzt...


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    Nuha


    Mit der Tabula in der Hand, nähere sich Nuha dem Officium des Präfekten. Um diese Zeit war er kaum anzutreffen und in den letzten Tagen, sah die Grauhaarige selten ein Gensmitglied in der Casa. Deshalb war sie auch ziemlich entspannt, als sie vor der Tür ankam und sie öffnete. Mit einem kurzen Blick hinein, vergewisserte sie sich der Leere des Raumes und trat dann gänzlich hinein. Wie ihr aufgetragen, fand die Nachricht einen gut sichtbaren Platz und die Alte ungehindert den Weg wieder nach draußen.

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