• "Natürlich habe ich recht, erstaunlich, dass dir das immer wieder so erwähnenswert erscheint." entgegnete Laevina süffisant, den zarten Hinweis auf ihre eben noch unter Beweis gestellte Wissenslücke in Bezug auf das für eine politische Karriere unerlässliche Tribunat bei Angehörigen des Ritterstandes rigoros überhörend. Höchst ärgerlich, dass ihr dieser Schnitzer untergekommen war, aber immerhin war es nur in Gegenwart eines Verwandten und nicht eines zu beeindruckenden Fremden passiert. Laevina nahm sich vor, sich in dieser Hinsicht so bald wie möglich auf den aktuellen Stand zu bringen, wandte ihre Aufmerksamkeit dann jedoch wieder Sedulus zu. "Dein Vater, ja..." sagte sie versonnen und versuchte sich die Gesichtszüge von Avarus' Bruder und ihrem Cousin in Erinnerung zu rufen. "Ich kann mich noch ganz gut an deinen Vater erinnern, musst du wissen. Wir waren etwa im gleichen Alter, und Traianus war damals auf meiner Hochzeit mit...mit Vindex, musst du wissen." Beim Krater des Vesuvs... war es möglich, dass sie gerade ernsthaft hatte überlegen müssen, wie der Name ihres ersten Mannes gelautet hatte? Nicht, dass an Germanicus Vindex allzu viel erinnerungswürdiges gewesen wäre, aber den Namen des eigenen Gatten zu vergessen, gehörte sich nun wirklich nicht, da musste unverzüglich ein Riegel vorgeschoben werden. Ob sie sich angewöhnen sollte, von nun an täglich die Totenmaske ihres verblichenen Ehemannes zu begutachten und ein paar Erinnerungen wachzurufen? Schon bei dem Gedanken daran musste die alte Germanica ein Gähnen unterdrücken, aber nun ja, was tat man nicht alles, um seinen tadellosen Matronen-Ruf aufrecht zu erhalten, und danach würde sie zumindest hervorragend schlafen können.


    "Dein Vater hat damals eine sehr beeindruckende Karriere gemacht, es wäre doch wundervoll, wenn unsere Gens irgendwann wieder zum Glanz dieser Tage zurückfinden würde, meinst du nicht auch?" Und falls Sedulus in dieser Hinsicht keine Ambitionen zeigte, dann vielleicht ja sein Sohn, auf dessen Entwicklung würde die treusorgende Urgroßmutter auf jeden Fall ein besonderes Auge haben.

  • Eigentlich überhaupt nicht.


    Meinte Sedulus nur trocken. Was sich die Alte wieder einmal so alles einbildete war wieder einmal unglaublich.


    Ich wußte gar nicht, dass du und mein Vater, euch so nahe gestanden habt. Er hat selten genug von dir erzählt.


    Warum auch nur? Wenn Laevina in ihrer Jungend schon so war, dann war es klar, warum sie kaum Erwähnung fand. Vielleicht hatten sie sich aber auch nur zu selten gesehen. Zumal Vater wohl auch ganz andere Sachen im Kopf hatte, als eine Laevina... Das die alte Germanica fast den Namen ihres Mannes vergessen hatte, bekam Sedulus so gut wie gar nicht mit. Und selbst wenn, hätte er auch kein Problem damit gehabt, da Laevina ja schon in dem Alter war, wo soetwas schon einmal hin und wieder passieren konnte. 8)


    Ja das stimmt. In der Tat hat das Imperium aber vorallem die Provinz Germania ihm einiges zu verdanken. Leider war ihm die Ehre nicht zu teil geworden, einen Triumphzug abzuhalten... Aber lassen wir das.
    Wer weiß, vielleicht springe ich ja noch auf den Wagen mit auf. Warten wir es ab.

  • "Mein lieber Sedulus..." begann Laevina, und ihre Augenbraue wanderte wieder einmal in die Höhe "...ich sagte, ich könne mich gut an deinen Vater erinnern, nicht dass wir uns besonders nahegestanden hätten. Wie hört sich das denn an..." Natürlich stand es ausser Frage, dass der gute Traianus damals seinen Vetter Vindex glühend um dessen Braut beneidet hatte, wie so viele andere zweifellos auch. Warum auch nicht, schließlich hatte er selbst ja nur eine farblose Servilia abbekommen. Nicht, dass die alte Germanica noch wirklich an Sedulus' Mutter erinnern konnte, aber allein das war doch schon ein Indiz dafür, dass diese nicht allzu beeindruckend gewesen sein konnte, oder nicht?
    Nunja, sie selbst hatte seinerzeit, wenn auch unfreiwillig, bei der Partnerwahl ebenfalls tief in den Abort gegriffen, daher konnte sie das einem anderen Familienmitglied kaum zum Vorwurf machen.
    Dann kam das Gespräch jedoch auf ein Thema, das bei Laevina wie kaum ein anderes angenehme Erinnerungen weckte, und sie streckte sich unwillkürlich gemütlich in ihrem Lehnstuhl aus, während ihre Augen zu leuchten begannen. "Ein Triumphzug für einen Germanicus, oh, was für eine wundervolle Vorstellung! Verdient hätte unsere Gens das allemal, die Frage ist nur, wann der Rest dieser Stadt das auch begreift. Hab ich dir eigentlich schon mal erzählt, dass ich damals beim Triumphzug für den göttlichen Titus dabei war nach seinen Siegen in Judäa? Hach, das waren noch Zeiten, da hatten wir mit Vespasianus noch einen richtigen Imperatur, und erst sein Sohn, hach ja...."

  • Die Verhältnisse seines Vaters zu den anderen Familieangehörigen kannte Sedulus nicht. Eigentlich waren sie ihm auch mehr oder weniger egal.


    Ja stimmt. Aber du weißt ja zum Glück, was ich damit sagen wollte.


    Wimmelte Sedulus die Sache ab.


    Ja, die hatte Vater wohl auch. Allerdings kam es dann leider nicht dazu. Genauso wie seine Beerdigung. Wenn man bedenkt, dass er das Imperium vor den Barbaren gerettet hat und dann so eine jämmerliche Beisetzung. Da ist schon irgendwo arm finde ich.


    Er würde sicherlich auch keine Größere bekommen, aber er hatte das Imperium auch nicht vor Barbaren oder Verrätern beschützt, noch nicht.
    War Laevina echt schon so alt? Sedulus mußte in Gedaken zurückgehen wieviel Kaiser es denn bis zur Vespasians zurück es schon gegeben hatte.
    Sedulus kam auf 10. Also auch Gegenkaiser und was auch immer mit einberechnet.


    Wieviele Kaiser hast du eigentlich schon mitbekommen sag mal?


    Wollte Sedulus nun doch genau wissen.

  • "Auf die Dankbarkeit anderer darf man sich niemals verlassen, das hab ich in meinem Leben auch schon oft genug erfahren müssen." dozierte Laevina, nachdem sie wenig glanzvolle Beerdigung ihres Vetters mit einem ärgerlichen Kopfschütteln kommentiert hatte. "Darauf zu warten, dass irgendjemand unsere Verdienste gebührend würdigt oder überhaupt nur zu Kenntnis nimmt, ist verlorene Zeit. Viel wichtiger ist es, immer und überall soviel eigenen Nutzen wie möglich daraus zu ziehen, denn was man hat, hat man, so einfach ist das, mein lieber Sedulus."
    Die alte Germanica hatte mittlerweile ein Alter erreicht, in dem sie auf Fragen nach genau diesem nicht mehr allzu empfindlich reagierte. Zwanzig Jahre früher hätte das vermutlich noch ganz anders ausgesehen, doch so war nur ein kleiner spitzer Unterton aus ihrer Stimme herauszuhören.


    "Nun, wenn ich mich nicht irre, dann waren es insgesamt zwölf, wobei ich daran erinnern möchte, dass wir seinerzeit auch mal vier Imperatoren in einem einzigen Jahr hatten. Um genau zu sein, wurde ich geboren als der göttliche Claudius an der Macht war. Ein stotternder Hinkefuß, wie du sicher weißt, aber er hat verdammt viel daraus gemacht, sowas weiß ich immer zu würdigen."

  • Da ist wohl etwas dran.


    Stimmte Sedulus zu. Gewisse Leute sehen eh nur das, was sie sehen wollen.


    Dann bist du ja nicht mehr die Einzige hier im Hause. Ich denke Avarus ist es auch schon so ergangen. Es muß wohl an unserer Familie liegen. Aber gut, sei`s drum.


    Sedulus winkte ab.


    Ganze Zwölf? Da hast du ja einiges erlebt will ich meinen. Gutes so wie Schlechtes. Aber in der Provinz wird man da wohl eh kaum viel mitbekommen haben nehm ich einmal an.


    Wahrscheinlich würde er gleich wieder eine Standpauke gehalten bekommen, wie er nur auf so etwas käme.

  • "Ja, sei's drum." bekräftigte Laevina und nickte zustimmend. "Über Vergangenes zu lamentieren bringt ohnehin nichts, jetzt gilt es der nächsten Generation unserer Familie den bestmöglichen Weg zu bereiten. Vi.... dein Sohn hat da auf jeden Fall schon einen sehr guten Ausgangspunkt, davon hätten meine beiden damals nur träumen können." Es war seltsam, aber aus irgendeinem Grund hatte Laevina nach wie vor Schwierigkeiten, den Namen ihres Enkels auszusprechen. Sie wusste es durchaus zu schätzen, dass dieser nach seinem Großonkel mütterlicherseits Victorius genannt worden war, und dennoch rührte der Klang dieses Namens auch nach all diesen Jahren etwas an, das die alte Germanica gern tief und für niemanden sichtbar in ihrem Innern verborgen hielt. Ein merkwürdiges Gefühl war das und darüber hinaus eins der wenigen, die Laevinas über Jahrzehnte antrainierter Selbstbeherrschung wirklich ein wenig gefährlich werden konnten.
    Nein, dann doch lieber auf die immer wieder eingestreuten Freundlichkeiten ihres Schwiegerenkels eingehen...


    "In der Tat, das habe ich." Laevinas Tonfall war nach wie vor unverkennbar ein wenig spitz, auch wenn sie scheinbar völlig entspannt in ihrem Sessel saß. "Und ob du es glaubst oder nicht, wenn man wirklich auf dem Laufenden bleiben will, dann schafft man es auch. Selbst wenn man in der Campania sitzt, die, wie du sicher weißt, ja nicht allzu weit von Rom entfernt ist, mein lieber Sedulus." Natürlich hatte er Recht, denn in den Jahrzehnten ihrer zweiten Ehe hatte es Laevina ungleich mehr Mühen und Aufwand gekostet, halbwegs über die Geschehnisse in Rom informiert zu bleiben, aber das würde sie natürlich niemals freiwillig zugeben. Über dreissig Jahre hatte sie in diesem elenden Nola ausharren müssen, aber wer hätte auch geahnt, dass sich ihr so willensschwacher zweiter Ehemann als derart zäh und langlebig herausstellen würde.

  • Nein tut es nicht. Denn was geschehen ist, ist geschehen. Man muß immer noch vorne schauen und sehen was die Zukunft bringt.


    Konnte Sedulus nur bestätigen.


    Ja, dass hat er. Jetzt muß er diesen nur noch nutzen wenn er groß ist.


    Hoffentlich machte er nicht den gleichen Fehler wie Sedulus. Wobei, als Fehler konnte man es eigentlich nicht bezeichnen, zumindest nicht alles was er erlebt hatte.


    Sicherlich! Und wie ich dich kenne, wirst du alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, nur an Informationen aus Rom zu kommen. Egal wie belanglos sie waren.


    Stichelte Sedulus ein klein wenig und konnte sich ein Grinsen nicht verkeifen.


    Hmm, Campania... Noch nie gehört...


    Feixte er dann auch promt weiter bei der Frage ob er denn wisse wo diese sei. Was für eine Frage... 8)

  • "Natürlich wird er sie nutzen, schließlich ist er ein Germanicus, alles andere wäre eine Schande." behauptete Laevina im Brustton der Überzeugung. Den Göttern sei Dank vererbten sich Eigenschaften ja über die männliche Linie, auf die Weise bestand keine wirkliche Gefahr, dass sich das ominöse Iunier-Blut, das schon ihre Enkelin so spürbar verhunzt hatte, auch bei Laevinas Urenkeln durchsetzen konnte.
    Pläne für die Zukunft schmieden, damit hätte die alte Germanica zu gern noch eine Weile weiter gemacht, aber ihr renitenter Schwiegerenkel setzte natürlich mal wieder alles daran sie so gut wie möglich zu piesacken. Laevina warf Sedulus einen vernichtenden Blick zu, bevor sie so würdevoll und majestätisch wie nur möglich nickte. "Und ob ich das habe, ich war nämlich zu keinem Zeitpunkt meiner Ehe bereit, mich dort lebendig begraben zu lassen, Ehe- und Mutterschaftspflichten hin oder her. Mein zweiter Ehemann verfügte wahrlich nicht über allzu viele lobenswerte Eigenschaften, aber zumindest hat er mich in Ruhe machen lassen, was ich wollte. Und glaub mir, es gibt KEINE belanglosen Informationen, jedes noch so unwichtig erscheinene Detail über eine andere Person oder irgendein Ereignis kann sich irgendwann mal als ausgesprochen wertvoll herausstellen. Man muss nur die Augen und Ohren offen halten und warten können...Immer wachsam sein, das ist das A und O, lass dir das gesagt sein, Sedulus."

  • Tja, so unrecht hatte da die alte Germanica nicht.


    Warten wir einmal ab, bis es so weit ist. Bis dahin kann noch viel passieren.


    Sedulus hatte jetzt nicht die nötige Muse um über etwas zu reden, was noch einige Jahre Zeit hatte.


    Ja, dass kann ich mir irgendwie vorstellen.


    Meinte er nur. Womöglich hatte Laevina überalle sogar ihre Spitzel postiert und Händler bestochen und weiß der Geier was noch alles getan nur um an Informationen zu kommen, egal wie wichtig sie waren. Aber gut, wenn sie ihren Spaß daran gehabt hatte. Womöglich hielt sie es ja heute noch genauso.


    Wie du meinst Laevina. Ich glaube auch, ich habe deine Zeit und Geduld mit mir lange genug in Anspruch genommen. Wir sehen uns dann später beim Abendessen nehm ich an. Bis dahin wünsche ich dir noch eine angenheme Zeit.

  • "Ein Decimus also, bist du sicher?" hakte Laevina nur der Form halber nach, denn auch wenn Quadrata aussah, als hätte sie bereits beim Bürgerkrieg zwischen Sulla und Marius in der ersten Reihe gestanden, so hatte sie doch nach wie vor hervorragende Augen und Ohren, eine Eigenschaft, die ihre Herrin mehr als die meisten anderen Dinge zu schätzen wusste.
    "Nun, dann wollen wir mal schauen, was der junge Mann möchte. Hast du kontrolliert, ob er Gepäck dabei hat? Nicht dass der auch vorhat sich bei uns einzunisten wie dieser seltsame Kumpel von Sedulus. Naja, wir werden sehen. Bring ihn in den Hortus, ich werde gleich dort sein." Die alte Germanica wartete, bis ihre getreue Leibsklavin aus dem Cubiculum gehuscht war und zupfte dann ein wenig an ihrer sorgfältig ondulierten Haarpracht und ihrer Palla herum, bis alles zu ihrer vollsten Zufriedenheit saß. Nicht dass es in ihrem Alter noch ansatzweise vielversprechend gewesen wäre, einen Besucher mit weiblichen Reizen zu betören, aber das war ja noch lange kein Grund, um wie eine alte Vettel herumzulaufen!

  • "Abwarten? Na, wie du meinst. Allerdings hat schon manch einer so lange gewartet, bis er sich eines Tages mit beiden Füßen im Orcus wiedergefunden hat. Aber ich verlasse mich einfach darauf, dass du deinen Sohn und dessen Karriere nach bestem Wissen und Gewissen fördern und unterstützen wirst. Mehr kann ich nicht tun, schließlich bin ich nur eine schwache alte Frau, der mehr als alles andere das Wohl ihrer Familie am Herzen liegt." Laevina ließ einen kleinen dramatischen Seufzer erklingen und nickte dann.


    "Ja, du hast Recht, wir haben schon geraume Zeit mit dieser Plauderei vertändelt. Wende du dich ruhig wieder deinen Pflichten zu, Sedulus, ich werde dafür sorgen, dass dein Onkel in der gebührenden Weise empfangen wird, darauf kannst du dich verlassen."

  • Dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag und freue mich über den Empfang von Avarus. Und vielen Dank, dass du sich dem annimmst.


    Sedulus lächelte knapp und verschwand schließlich. So lange hatte er eignetlich gar nicht vorgehabt zu bleiben.

  • Ein Sklave klopfte an die Türe des Zimmers von Germanica Laevina und wartete darauf, dass er von der herrischen Stimme der Alten wie sie unter den Sklaven genannt wurde eine Wortmeldung hörte. Als dies geschah, öffnete er die Türe und sah hindruch.


    Ein gewisser Quintus Flavius Flaccus möchte zu dir Herrin.


    Kündigte er den Gast an und wartete.


    ____________
    Irgendein Türsklave

  • Turnusmäßig saß Laevina wieder einmal an den Abrechnungen ihres Landguts in Nola und war aufgrund der unübersehbaren Flüchtigkeitsfehler bestenfalls mittelgut gestimmt. "Ein Flavius? Willst du mich etwa veralbern, du elender Wurm?" fauchte sie den bedauernswerten Sklaven an, obwohl sie seit Jahrzehnten keinerlei derartig selbstmörderische Bestrebungen innerhalb des Hauspersonals hatte beobachten können. "Dann lass ihn gefälligst nicht auf der Straße festfrieren sondern bring ihn her, aber zack zack, wenn ich bitten darf!".Mal schauen, was dieses Adelspflänzlein von ihr wollte, ein wenig Abwechslung bedeutete dieser Besuch allemal.

  • Lediglich von dem mitgebrachten scriba flankiert, folgte der junge Flavius dem Sklaven von der Porta zum Cubiculum der alten Dame. Er strich sich die Falten seiner Toga zurecht, während er darauf wartete eingelassen zu werden, und trat schließlich, nachdem der Sklave den Weg freigegeben hatte, mit einem einnehmenden Lächeln ein. "Salve, ehrenwerte Germanica.", grüßte er würdevoll, "Ich bin Quintus Flavius Flaccus und in meiner Funktion als Decemvir litibus iudicandis hier. Ich hoffe du verzeihst meinen unvermuteten Besuch..." Natürlich wäre es höflicher gewesen, zuerst auf schriftlichem Weg um ein Gespräch zu bitten, doch zufällig war Flaccus gerade in der Gegend gewesen, sodass er sich entschlossen hatte, einfach sein Glück zu versuchen.

  • Laevina, die den größeren der beiden von ihr bewohnten Räume bereits vor geraumer Zeit zu einer Art Empfangszimmer umfunktioniert und mit diversen "Leihgaben" aus dem Rest der Casa Germanica repräsentabel hergerichtet hatte, hatte mittlerweile die Unterlagen aus Nola von Quadrata wegräumen lassen und sich selbst mit einem milde interessierten Gesichtsausdruck in ihrem bequemen Lehnstuhl niedergelassen, als würde sie den lieben langen Tag nichts anderes machen als Patrizier in ihren Gemächern zu empfangen.


    "Salve, Flavius, es ist mir eine Freude, dich in der Casa Germanica willkommen zu heißen. Nimm doch bitte Platz..." sie machte eine einladende Handbewegung in Richtung eines weiteren Sessels und betrachtete den jungen Mann dabei unauffällig. Irgendwie kam ihr sein Name bekannt vor, aber woher nur? "In deiner Funktion als Decemvir litibus iudicandis, sagst du? Inwiefern kann ich dir da behilflich sein?" Ob es wohl mal wieder ein weit entferntes Familienmitglied dahingerafft hatte? Vermutlich, und Laevina wäre jede Wette eingegangen, dass derjenige nicht einmal halb so alt geworden war wie sie selbst. Die Jugend von heute hatte einfach keinen Biss mehr...

  • Flaccus, über die freundliche Begrüßung erfreut, ließ sich mit einem dankbaren Lächeln auf dem angebotenen Stuhl nieder. Nun hatte auch er Gelegenheit, die ältere Dame genauer zu betrachten, wobei er seinen Blick keineswegs aufdringlich, sondern vielmehr aufrichtig interessiert auf ihren Zügen ruhen ließ. Hinter seiner Stirn manifestierte sich indessen das Bildnis einer anderen Frau, in deren imaginären Zügen er eine gewisse Ähnlichkeit zu der Germanica zu erkennen glaubte. - Ewig lange schon hatte er nichts mehr von der ehrbaren Aeditua Pedania Iunor zu hören bekommen, die ihn vor Ewigkeiten im Dienst an den Göttern unterwiesen hatte. Zweifellos verrichtete sie noch immer in unverbrüchlicher Treue ihren Dienst an den Göttern und führte die Discipuli mit strenger Hand durch ihre Ausbildung. Etwas wehmütig dachte Flaccus zurück an jene erfüllende Zeit des intensiven Studiums der religiösen Riten, welche ihm damals so aufregend und großartig erschienen waren, nun jedoch immermehr zu bloßen Alltagshandlungen degenerierten. Mit einer etwas eigenwilligen Kopfbewegung wischte der junge Flavius seine melancholischen Überlegungen fort und der nachdenkliche Gesichtsausdruck wich einer geradzu geschäftigen Miene. "Vor einiger Zeit erreichte mich die Meldung vom Tod des Galeo Germanicus Ocrea, eines Bürgers der fernen civitas Mogontiacum." Beinahe von selbst schon machte sich ein anteilnahmsvoller Ausdruck auf den ebenmäßigen Zügen des jungen Mannes breit, welchen er durch das ihm auferlegte Amt mittlerweile beinahe schon zur absoluten Perfektion verfeinert hatte. "Ich hoffe er stand dir nicht allzu nahe, sei dir jedenfalls meines aufrichtigen Mitleids versichert. Es war mir jedoch selbst nach einiger Recherche nicht möglich, Germanicus Ocrea klar in den Stammbaum eurer gens einzugliedern, und dadurch die möglichen Erben seines Vermögens zu ermitteln. Meine Hoffnung beruht nun darauf, dass du mir in dieser Angelegenheit unter Umständen helfen könntest..." Nicht ohne Grund hatte er sich an das wenigstens seines Kenntnisstandes nach älteste Mitglied der gens der Germanicer in Rom gewandt, denn wer sollte den Vater des Verstorbenen kennen, wenn nicht Germanica Laevina?

  • "Germanicus Ocrea ist tot, sagst du?" hakte Laevina mehr der Form halber nach, und ihr Gesichtsausdruck wechselte blitzschnell von höflich interessiert zu überrascht betrübt. "Wie launisch das Schicksal doch ist, dass es die jungen Triebe vom Baum reisst und die alten und mittlerweile nutzlosen Äste stehen lässt, aber darauf haben wir Sterblichen ja leider keinen Einfluss." Ein ausgesprochen passendes und hübsches Bild, wenn man mal davon absah, dass Laevina mehr als zufrieden damit war, dass es an ihrer Stelle mal wieder irgendeinen unbekannten Jungspund in den Orcus gerissen hatte, denn hätte der auch nur ansatzweise den Nutzen für seine Gens besessen, den Laevina sich selbst zusprach, dann wäre doch sicher etwas mehr über ihn bekannt geworden!
    "Es ehrt dich, Flavius, dass du derartige Mühen in deine Nachforschungen gesteckt hast, und ich glaube, ich weiß, warum sich diese als so schwierig erwiesen haben. Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, aber meine mich erinnern zu können, dass der Bruder meines verstorbenen ersten Mannes, Gnaeus Germanicus Corbulo, einen unehelichen Sohn dieses Namens hatte. Vielleicht hat er den ohne das Wissen der Familie irgendwann noch anerkannt, das könnte ich mir zumindest durchaus vorstellen." Achja, der gute alte Corbulo, was war der doch für ein Schwerenöter gewesen, der schneller aus seinem Lendenschurz gesprungen war, als man bis drei hatte zählen können! Vermutlich hatte er neben seiner rechtmäßigen Ehefrau noch halb Germanien befruchtet, in dieser Hinsicht war Laevinas Schwager Zeit seines Lebens ausgesprochen ambitioniert gewesen, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, den man zum Beischlaf förmlich hatte tragen müssen.

  • "Ich fürchte ja.", entgegnete der junge Flavius ernst, als Laevina pro forma nochmals nachhakte. "Vermutlich hat der psychopompós ihn schon vor einer geraumen Weile mit sich genommen. Scheinbar war er zuletzt im Dienst der Secunda in Mogontiacum stationiert, jedenfalls erreichte mich die Nachricht seines Todes von dort." Es war also gut möglich, dass Ocrea bereits vor Monaten verstorben war, doch Nachrichten aus Germanien brauchten einfach einige Zeit, um nach Rom zu gelangen, besonders dann, wenn ihr Inhalt nicht von allgemeiner Dringlichkeit war. Auf die etwas melancholischen Worte der Germanica hin schlich sich jedoch ein feinsinniges Lächeln auf die Lippen des jungen Mannes. "Die Götter geben und nehmen allein nach ihrem Willen...", entgegnete er kryptisch um dann ihren etwas langwierigen Überlegungen bezüglich der Abstammung des verstorbenen Germanicers zu folgen. Als sie geendet hatte, nickte er, als ob er sich durch ihre Worte in einer eigenen Vermutung bestätigt sähe. "Gehe ich richtig in der Annahme, dass du somit die nächste lebende Verwandte des Germanicus Ocrea bist, oder sind noch andere Geschwister deines ersten Gatten, oder deren Kinder am Leben?", erkundigte er sich dann vorsichtig, da er keine große Einsicht in die familiären Strukturen der gens hatte, und unter keinen Umständen einen möglicherweise zurückgezogen lebenden alten Germanicus unbeachtet lassen wollte.

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