Nocturnae delectationes

  • Iuvat inconcessa voluptas
    ~ Spaß macht das unerlaubte Vergnügen


    Eine dunkle Gasse wand sich zwischen den schlafenden Häusern,schwarze Fensterhöhlen starrten mich an, auf meinem nächtlichen Weg. Ich hatte den Tiber überquert, sein Rauschen verklang hinter mir, der sumpfige Dunst hing mir noch immer in der Nase. Leise trugen mich meine Füße nach Trans Tiberim hinein. Sie steckten in weichen Sandalen, nicht in Caligae, und auch meine leichtgegürtete Tunika wies mich nicht als Soldaten aus, bloß meinen Pugio trug ich unter der Lacerna verdeckt bei mir. Für alle Fälle.


    Hier in Trans Tiberim hatte die Stadt einen ganz anderen Charakter als drüben. Großzügiger zum einen, man merkte, dass beim Bau der Häuser nicht so penibel Platz gespart worden war, wie auf dem anderen Ufer. Und sehr abwechslungsreich, bunt, was wohl an den vielen Peregrinen lag, die sich hier angesiedelt hatten. Ich mochte das Viertel, es hatte Flair, auch wenn’s an vielen Stellen recht schmuddelig war. Und es hatte einen großen Vorteil: meine Centurie machte hier keine Patrouillen, so war die Gefahr, zufällig auf einen Bekannten zu treffen, sehr gering.


    An der großen Kreuzung der Via Aurelia bog ich ab, und war mit einem Mal mitten im Vergnügungsviertel. Laternen beleuchteten die Gasse, Tavernen säumten sie. Ich ging durch Stimmengewirr, Becherklirren drang aus offenen Türen, Zecher drängten sich in die Schenken. An einer Ecke wurde trotz der späten Stunde noch immer an einem Gebäude gehämmert, es sollte offenbar eine neue Garküche werden. Zum hohen Stapel aufgeschichtet lagen die glattgehobelten Bretter, ein frischer Kieferngeruch ging von ihnen aus.
    Zwischen den Scharen der Nachtschwärmer auf nocturna grassatio, die sich feuchtfröhlich amüsierten, fehlten nicht die Huren, Huren jeder Art, die hier nach Kundschaft fischten. Für die aufgetakelten Mädchen hatte ich keinen Blick, ging rasch vorüber an den schwellenden Reizen und aufdringlichen Rufen, aber als ich zum Cloeliusbrunnen kam – die Gasse öffnete sich dort zu einem kleinen Platz – und auf die angrenzenden Arkaden zuschlenderte, da ließ ich meine Blicke ungehemmt schweifen. Denn hier boten sich ihre männlichen Kollegen feil, hier lockten breite Schultern, schmale Hüften und muskulöse Schenkel... eingeölte Haut schimmerte verheissungsvoll... kräftige und schmale, helle und dunkle, athletische sowie auch knabenhafte Körper präsentierten sich einladend dem Auge des Betrachters. Meinem Auge.


    Ich musste schlucken als ich dort entlangging und die Prostituierten musterte, trocken schlucken. In dem Bestreben, ein vorzeigbarer Decimer und tadelloser Soldat zu sein, war ich allzu lange nicht mehr hier gewesen, nicht mal nach dem letzten amourösen Desaster. Aber jetzt... Was war schon dabei?! Es kannte mich ja keiner.
    Ein verbotenes Paradies tat sich auf. Am allerbesten gefiel mir ein gutgebauter Orientale - ich habe einfach eine Schwäche für diesen Menschenschlag. Ich mag das Exotische, diese natürliche Eleganz. Ein Bronzeschimmer glitt über seine Haut, als er, meinen Blick richtig deutend, auf mich zutrat. Etwa in meinem Alter, schöne schwarze Auge, und stramme Hinterbacken, die sich deutlich unter dem knappen Hüfttuch abzeichneten.
    “Salve Dulcis... was kostest du für zwei Stunden?“


    Er war nicht billig, doch bei dieser Aussicht vergass ich zu feilschen. Den Arm um seine Schultern gelegt, nahm ich ihn mit in die nächste Absteige. Das Zimmer war stickig, der Wein, den ich bestellte, auch nicht der beste, aber der Orientale verstand sich auf die Liebeskunst, und ich vergnügte mich ausgiebig mit ihm. Dachte an nichts mehr, und kostete es ganz und gar aus, diesen schönen Mann für mich zu haben, solange bis ich schliesslich sehr zufrieden und ermattet auf die strohige Matratze sank.
    Mit einer Hand angelte ich mir meinen Gürtel vom Boden und suchte die Denare heraus, entlohnte ihn und gab ihm auch ein großzügiges Trinkgeld. Er bedankte sich, etwas abwesend. Ich fragte mich einen Augenblick lang, ob er seinen Lohn wohl für sich behalten durfte, oder abliefern musste, aber eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Vielleicht, so überlegte ich träge, sollte ich mir einen Sklaven wie ihn kaufen, dann müsste ich nicht den weiten Weg nach Trans Tiberim auf mich nehmen. Aber das könnte zu Gerede führen.


    Längelang ausgestreckt, den Kopf auf die Hände gestützt, sah ich dem Orientalen zu, wie er sich erhob, die Münzen in einem kleinen Beutel sorgfältig verstaute, und seine Hüften wiederum mit dem Lendentuch verhüllte. Gerade eben noch hatte der Mann heftiges Verlangen in mir geweckt, jetzt, nüchtern betrachtet, fand ich ihn auf einmal gar nicht mehr so anziehend. Die Nase zu breit. Das Lippenrot, das er nun vor einem kleinen Handspiegel auffrischte, zu grell, zu vulgär.
    “Vale.“
    Ich sah ihm nach, wie er müden Schrittes durch die Tür verschwand, und wusste, dass ich ihn wohl kaum nochmal aufsuchen würde. Dann machte auch ich mich auf, zurück in meine Welt, und kehrte, mit einem schalen Geschmack im Mund, Trans Tiberim den Rücken.

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  • Am Festtag der Victoria


    Wieder kam der Tag, an dem sich die Schlacht von Edessa jährte, und genau wie im vorigen Jahr war ich völlig neben der Spur. Alles war mit einem Mal wieder so nah. Den ganzen Tag schon war ich unaufmerksam und reizbar, am Abend wurde die Rastlosigkeit immer größer, die Erinnerungen immer aufdringlicher. Ziellos war ich durch die Stadt gestreift, oder vielleicht nicht ganz so ziellos, denn am Ende landete ich wieder in Trans Tiberim. Nach den letzten, eher kühlen Tagen war es heute auch zu dieser späten Stunde noch recht mild. Ein lauwarmer Wind strich von Süden her durch die Strassen, in ihm mischten sich die verschiedenen Noten des städtischen Gestankes – gammelige Abfälle und Exkremente, fauliges Flusswasser, Wagenschmiere, der beissende Geruch der nahen Gerberwerkstätten. Ich krauste die Nase. Aber da war noch etwas. Etwas köstliches, ein sublimer Duft, der sich kaum merklich unter diese groben Gerüche gemischt hatte... Er kitzelte meine Nasenflügel und weckte verschwommene Reminiszenzen von süssem Taumel und der Lust sich zu verlieren... von Traum, Flug und Vergessen und Momenten überwachen Verstehens...


    Ich witterte, wie ein Reh im Wald, und wandte den Kopf zu einer Nebenstrasse. Dunkel war es dort, bis auf den Schein einer Laterne, der beleuchtete ein Schild, das an hübsch verschnörkeltem Gestänge über einer Tavernentüre hing. Darauf war der Kopf eines jungen Mannes gezeichnet, der den Finger an die Lippen hielt, und auf den wirren Locken einen Kranz von Mohnblumen trug... Warum ich das so genau erkennen konnte? Weil meine Füsse mich schon ganz nahe herangetragen hatten, bevor ich überhaupt einen Gedanken fassen konnte. Ehrlich, ich kämpfte dagegen an – aber in dieser Nacht war ich einfach nicht in der Verfassung dieser Versuchung zu widerstehen. Ein geheimnisvolles Lächeln zierte die Lippen des Morpheus auf dem Tavernenschild. Der Duft war sehr stark hier, das Einatmen köstlich, und mein Widerstand hatte nicht mehr Chancen als ein mesopotamischer Bauernmob gegen einen römischen Schildwall. Ich trat ein.

  • Die Kohle im Dreifuß glühte düsterrot. Sacht fachte ich sie mit meinem Atem an, das Glimmen wurde kräftiger, sein Rot erinnerte nun an frisches Blut. Die Vorfreude machte meine Hände fahrig, als ich das kleine Opiumkügelchen aus der Schale nahm, und sacht in den Kopf der Pfeife hineindrückte. Alleine die Berührung, das Gefühl der weich nachgebenden, leicht klebrigen Masse an meinen Fingerspitzen jagte einen Schauer des Wohlbehagens durch meinen Körper. Ich leckte mir begehrlich über die Lippen, als ich fortfuhr, die Pfeife vorzubereiten, mit wachsender Ungeduld, aber bewusst, dass das Ritual, das Herauszögern, den späteren Genuss noch verstärken würde.
    Ich lag auf einer weichen Kline am Rande des Raumes, der erfüllt war von gedämpftem Licht, und den zarten Klängen einer Harfe. Wie Geister bewegten sich die Angestellten zwischen den Gästen, mal raschelte Stoff, klang ein Tablett als es den Tisch berührte, gluckerte Wein der in ein Glas geschenkt wurde. Schön war es hier. Schön still. Auch die Gäste unterhielten sich nur leise, die meisten rauchten, oder träumten schon. Dichte Rauchschwaden waberten in der Luft, wie die Schleier, die zwischen Tag und Traum liegen, und verschwommen glommen in diesem Nebel die Punkte roten Feuerscheines, wenn die Raucher an ihren Pfeifen sogen.


    Ich lehnte mich zurück, den Arm über die gedrungene Lehne gelegt, atmete tief die opiumgeschwängerte Luft und konzentrierte mich ganz auf die Empfindung des Momentes. Keine anderen Gedanken sollten den Genuss trüben, keine unschönen Dinge Eingang finden in die Welt, die ich nun betreten wollte... doch es gelang mir nicht, diese angestebte weihevolle Ruhe zu finden, zu gross war meine Gier. Mit der Zange nahm ich ein glühendes Stück Kohle, hielt es nahe an die schwarze Masse, aber nicht zu nahe, und als diese sich in der Hitze zu regen begann, feiner Dampf sich kräuselte, führte ich mit unsteter Hand die Pfeife zum Mund. Das Mundstück war geformt wie eine Schlange, ein schuppiger Kopf mit starren Glasaugen. Ich umschloss es mit den Lippen und sog voll Verlangen den köstlichen Rauch in meine Lungen... die Essenz des Glücks.
    Der Rauch kratzte in der Kehle, ich war es nicht mehr gewöhnt, hatte diesem Genuss ja theatralisch entsagt....warum eigentlich? Es gab nichts besseres auf der Welt... Und hin und wieder mal eine Pfeife, das schadete ja nicht... Gut, früher war es damit nicht so gut gelaufen, aber damals hatte ich es auch ein bisschen zu sehr übertrieben... Ich war ja noch ein Adoleszent gewesen, frisch aus der Provinz gekommen, hingerissen von den Verlockungen der grossen Stadt... jetzt hingegen, älter und charakterlich gefestigt, konnte ich mir das schon erlauben und die Sache dabei im Griff behalten...


    Wohlig seufzte ich auf, als nach und nach das vertraute Schwindelgefühl über mich kam. Ganz langsam liess ich den Rauch aus Mund und Nase ausströmen, legte den Kopf zurück und sah den aufsteigenden Schwaden nach. Und sog wiederum an dem Schlangenkopf, immer wieder, begierig nichts der herrlichen Essenz zu vergeuden. Schwer wurden meine Glieder, und zugleich leicht, als ich mich löste von dem was um mich war... von der Erinnerung an die Schlacht, an Lucullus' Tod... mich löste von allem was auf mir lastete, letztendlich auch von dem was was ich darstellte aber nicht war. Ein seliges Lächeln legte sich über meine Züge. Dies hier war um so viel besser als die Lust, ein Gespann im vollen Galopp zu lenken, besser auch, als am Bug eines Schiffes über die Wogen zu brausen, besser als die Ekstase einer Liebesnacht.
    Pures Glück durchströmte mich, so rein und klar wie nie zuvor, als ich verstand, auf eine Weise die dem Uneingeweihten niemals zugänglich sein kann, wie sich das Grosse mit dem Kleinen verband, wie sich das kosmische Prinzip wiederspiegelte in ALLEM, allem was ich sah, fühlte, wahrnahm! Zum Beispiel im Muster des Rauches, der WUNDERSCHÖNE Schattierungen zeigte, in denen sich wiederum ganz FASZINIERENDE Schemen bildeten... maskenhafte Gesichter umgaukelten mich, ich verfolgte sie mit glasigem Blick, und als sich das Tor aus dem Nebel festigte, das Tor aus Horn, erhob ich mich, und stebte, gehüllt in einen weichen und warmen Mantel, geborgen vor allem Unheil, durch diese Pforte. Die Asphodelen zu meinen Füssen waren wie Sterne, ich schritt über sie hinweg, wurde selbst zu Nebel, verlor mich im Reich von Morpheus und Phantasos, schritt über Sterne, vorüber an Quellen, die mir mit uralter Stimme zuraunten...


    ...brech ich den Rudergriff,
    fahr ich zur Unterwelt
    ruh ich mich endlich aus...
    Krähenkreis, Niemandsland,
    fahr ich zur Unterwelt,
    ruh ich mich endlich aus...
    ...brech ich den Rudergriff
    tanz ich den Totentanz
    ruh ich mich endlich aus...
    Ruderhand, Totentanz...

  • An mehr kann ich mich leider nicht erinnern. Beim Aufwachen war es noch da, dann entglitt es mir, wie wenn man versucht, das eigene Spiegelbild im Wasser zu erhaschen, kaum greift man danach, zersplittert es in tausend Stücke... Mir war übel. Sobald ich mich aufsetzte, war mich noch übler. Mein Kopf dröhnte. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über den Mund, wischte mir Speichel vom Kinn und sah mit verklebten Augen um mich, wusste im ersten Moment gar nicht wo ich war... Dann schwante es mir, und augenblicklich bestürmten mich die Selbstvorwürfe.
    Wie kannst Du nur?/Es ist unwürdig für einen Soldaten Roms!/Was wenn die Männer Deiner Centurie davon wüssten?/Was wenn Livianus davon wüsste?/Schämst du dich nicht? Und so weiter und so fort, eine abgeschmackte Litanei römischer Werte und decimerischer Tugenden.
    Eine Tavernenmagd reichte mir hilfreich und diskret eine Wasserschale, ein Tuch, einen Becher süßen Kräutersud. Den trank ich in kleinen Schlucken, tupfte mir mit den feuchten Tuch das Gesicht ab und versuchte die Übelkeit niederzukämpfen. Wie spät es wohl war? Der Raum hatte sich deutlich geleert. Ich erhob mich unsicher, zahlte und trat hinaus auf die Strasse.


    Noch immer war es Nacht, aber jetzt mondklar, die Luft war kälter, ich schätzte die Zeit auf den Beginn der quarta vigila. Zeit für den Rückweg. Steifbeinig ging ich die Strasse entlang, rieb mir verschlafen die Augen, fröstelte kurz. Mein Kopf wurde etwas klarer, das Dröhnen in den Schläfen nahm ab, aber die Übelkeit holte mich dann doch ein. Mein Magen krampfte sich zusammen und an irgendeiner Häuserecke übergab ich mich heftig in die Gosse. Scheußlich. Gallig. Angewidert spuckte ich aus, spuckte nochmal aus. Meine Augen tränten. Ich richtete mich auf, zog meine Lacerna zurecht, blinzelte - und als ich wieder einigermassen klar sah, war ich von drei Gestalten umringt. Dunkle Gestalten, vermummt und bewaffnet.


    Verdammte Scheiße!!! Welcher Idiot wagte sich auch nachts alleine in dieses Viertel?! Ich wurde noch viel blasser als ich es eh schon war und verwarf, angesicht der blanken Sicae, die die Herren in den Händen hielten, sehr schnell den Gedanken meine Waffe zu ziehen.
    “Geld oder Leben.“
    Das war nun wirklich keine schwere Entscheidung.
    “Geld...“ krächzte ich, und löste den Beutel von meinem Gürtel. Mit meinen zittrigen Fingern bekam ich ihn nicht gleich los... Ich musste an den armen Octavius Cato denken, so wie der wollte ich nicht enden.
    “Her damit!“ Der mir gegenüberstand, streckte ungeduldig die Hand aus. Ich gab ihm den Beutel, der schwer genug war, und hoffte inständig, dass sie sich damit begnügen würden. Mitnichten!
    “Ausserdem den Ring, den Umhang, die Tunika und die Sandalen!“
    Es waren gründliche Räuber.
    Ich zögerte – den Siegelring konnte ich doch nicht einfach so hergeben! Was für eine Schmach! Und dann die Vorstellung halbnackt durch Rom laufen! Es war nur ein Wimpernschlag des Zögerns – letztendlich hing ich an meinem Leben, sehr viel mehr als an meinem Ring – aber der vorderste der Drei nahm das trotzdem zum Anlass an mich ran zu treten und mir einen Stoß zu versetzen. Ich machte eine halbherzige Abwehrbewegung, diese liess zu allem Unglück das Tuch, dass er sich vors Gesicht gebunden hatte, rutschen... Er fluchte, als sein Gesicht – feist, knollennasig - einen Augenblick lang voll dem Mondlicht ausgesetzt war, und ich wusste, dass ich jetzt wirklich bis zum Hals in der Scheiße steckte.

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  • “Macht ihn kalt!“
    Fortuna hilf! Mir gefror das Blut in den Adern. Klingen blitzten im Mondlicht, ich zog meinen Pugio um mein Leben wenigstens teuer zu verkaufen, wäre aber im nächsten Moment ganz bestimmt in meinem Blute gelegen, wenn nicht - ja, wenn nicht einer der Sicarii beim Vorwärtsstürmen auf meinem Erbrochenen ausgerutscht wäre. Mit einem erschrockenen Laut ging er zu Boden. Fortuna hatte mich erhört. Ich duckte mich vor der Klinge des Knollennasigen weg, zog den Kopf ein - die Sica schlug oberhalb meines Kopfes mit lautem Klirren gegen die Mauer! – und machte einen halsbrecherischen Satz über den Kerl auf dem Boden hinweg. Lauthals brüllte ich: “Zu Hilfe!!!“, und rannte was ich konnte.


    Es war ein Albtraum! Ich kannte mich überhaupt nicht aus in diesem Gassengewirr, zudem war ich noch ganz konfus von der Droge. Obgleich ich eigentlich ein guter Läufer bin (bei aller Bescheidenheit, ich habe immerhin bei den Wettkämpfen in Mantua in dieser Disziplin den Sieg für die CU geholt), blieben mein Verfolger mir nicht nur auf den Fersen - sie holten auf. Das Trampeln ihrer Füße verschmolz mit dem Pochen meines Herzens, dem Rauschen in meinen Ohren. Wenn ich einen Fehltritt tun würde, wenn ich in eine Sackgasse geriete, wäre ich verloren... Keuchend hastete ich durch eine Gasse, in der kreuz und quer die Wäscheleinen gespannt waren, wie ein Baldachin, dann schoß ich um eine Ecke, und war mit einem Mal auf einer größeren Strasse – und fand mich direkt gegenüber einer Gruppe von Fackelträgern und Leibwächtern, die eine Säfte geleiteten. Ob meines plötzlichen Erscheinens, und womöglich auch wegen des blanken Pugios in meiner Hand, hielten die Männer inne und griffen zu ihren Knüppeln. Schwere eisenbeschlagene Dinger! Jetzt verstand ich, wie sich der arme Odysseus zwischen Scylla und Charybdis gefühlt haben muss. Taumelnd verhielt ich meinen Schwung, blieb stehen wie angewurzelt, warf gehetzt einen Blick über die Schulter, und sah mit unendlicher Erleichterung, dass die Messerstecher angesichts dieser Übermacht beschlossen hatten sich zu verkrümeln.


    Dafür kamen diese Leibwächter jetzt bedrohlich auf mich zu. Ich wollte erklären wie harmlos ich doch war, brachte aber fürs Erste nicht mehr als ein Keuchen heraus. Dann ein Husten. Jedenfalls steckte ich schnell den Pugio weg, und hob die Hände, wobei ich mein harmlosestes Gesicht zeigte.
    “Was ist denn da los?“, fragte eine gepflegte Stimme in der Sänfte. Dann wurde der Vorhang beiseitegeschoben, und ein Mann mit dunklen, gekräuselten Haaren beugte sich hinaus. Er betrachtete mich und rieb sich nachdenklich das Kinn. Ich konnte trotz meines desolaten Zustandes nicht umhin zu bemerken: er sah, auf eine affektierte Weise, ziemlich gut aus.
    “...bin überfallen worde... verdammte Messerstecher...deine Leute... sie vertrieben...“ brachte ich zwischen Japsen hervor. Meine Knie wurden, wie oft in Nachhinein, wenn die Gefahr dann ausgestanden ist, ganz weich. Das war knapp gewesen! Haarscharf! Nie wieder Opium schwor ich mir (zum unzähligsten Mal). Ich hätte mich jetzt gerne hingesetzt.


    Der Mann schwang sich aus der Sänfte. Er war gutgekleidet, doch sein Gewand auch ein wenig derangiert, er roch nach Wein und sein beschwingter Schritt war nicht mehr so ganz sicher. Er nahm dem nächsten Träger die Fackel ab und leuchtete mir ins Gesicht. Es blendete. Ich kniff die Augen zusammen. Mit einem Mal zog ein breites Grinsen über das Gesicht meines Gegenübers.
    “Hephaistion!“
    Ich war verwirrt.
    “Ähm... Da muss eine Verwechslung vorliegen. Mein Name ist Serapio -“
    Er hörte mir gar nicht zu.
    “Hephaistion! Das ist perfekt! Nein, ich möchte sagen: FURIOS!“
    Möglicherweise träumte ich noch? Es faszinierte mich trotzdem, wie er das „furios“ betonte. Melodisch, mit einer schwungvollen Betonung auf der zweiten Silbe. Furiós!
    Es war eindeutig eine ganz seltsame Nacht. Ich fühlte mich losgelöst, und eher wie irgendeine Figur aus dem Satyricon als wie Decimus Serapio. Auf meine verständnislose Nachfrage hin, versprach mein furióser Zufallsbekannter, mir sogleich alles zu erklären. Bei ihm zu Hause, ganz nah, gleich um die Ecke.
    Ach so, dachte ich mir, das ist also seine Masche um sich Gesellschaft aufzugabeln. Na warum nicht? Und als er mich einlud in seiner Sänfte Platz zu nehmen, leistete ich dem gerne Folge. Die Träger hoben an, und wir schaukelten komfortabel von dannen.

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  • Ich lag falsch. Wie es sich herausstellte, war es doch nicht (bloß?) eine Masche zum Aufreissen gewesen. In seinem Haus an der Via Portuensis, bei einem Glas Wein (das ich sehr vorsichtig trank, ich traute meinem Magen nicht), erklärte mein Retter – er hatte sich mittlerweile als 'Tricostus' vorgestellt - mir endlich was er im Sinn hatte:
    “Bald sind doch die Meditrinalia. Und ich bin von einem guten Freund auf ein griechisch angehauchtes Convivium eingeladen. Du musst wissen, dass man dort kostümiert erscheint, alle Gäste sind Götter oder Heroen aus alter Zeit. Ja, und ich habe beschlossen als Alexander der Große zu gehen! Ich habe mir ein wundervolles Kostüm anfertigen lassen und alles, was mir noch fehlte, war, ähm, also war ein Begleiter, dem ich es zutrauen würde, die Rolle des Hephaistion zu verkörpern. Ich habe da hohe Ansprüche! Und da, wie ein Fingerzeig der Götter, springst du mir vor die Sänfte! Es ist perfekt! Weißt du, das mag seltsam klingen, aber genau wie dich habe ich mir den Hephaistion immer vorgestellt!“
    Hm... das klang ja äußerst interessant. Allerdings... was war man schon als ein Hephaistion neben einem Alexander? Ein reines Accessoire...! Wahrscheinlich hatte Tricostus einfach noch niemanden gefunden, der diese Nebenrolle wollte! Außerdem, sowieso, dies alles war viel zu verfänglich...


    “Ich wäre lieber Alexander als Hephaistion.“, gab ich unwillig zur Antwort, und formulierte damit nebenbei das Dilemma meines Lebens. “Nun... es ehrt mich wirklich sehr, ehrlich, aber ich kann nicht auf so ein Convivium gehen, denn es hat doch, in diesen Rollen, etwas anzügliches an sich, und ich bin Soldat, ich kann mir sowas nicht leisten...“
    “Soldat auch noch!“
    Tricostus war begeistert. Er streckte die Hand aus, und fuhr mit den Fingerspitzen andächtig über die Narbe auf meiner Wange.
    “Per-fekt. Das wird furiós! Komm schon, es ist ein einmaliges Angebot, Suavis' Feste sind legendär, und in der Verkleidung wird dich sowieso keiner erkennen.“
    “Hm... nein, es geht wirklich nicht...“
    “Sieh mal, Du könntest diesen Linothorax tragen!“
    „Alexander“ zauberte aus einer großen Truhe einen wirklich sehr hübschen Harnisch hervor, er war in purpur und weiß gehalten, und sah sehr archaisch aus.
    “Er ist authentisch makedonisch für die Zeit des Alexanderfeldzuges! Und ich glaube, er könnte dir sehr gut stehen... Aber wenn du nicht willst?“
    Natürlich sagte ich zu.

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  • >>
    Tricostus' Sänftenverleih
    stand in großen roten Lettern auf die Wand gepinselt.
    Erstklassige Tragemöbel für jede Geldbörse! Ausdauernde Trägersklaven! Wir vermieten auch Leibwächter!
    Nach einigem Suchen erst hatte ich das Haus wiedergefunden. Im Hof herrschte reger Betrieb, Sänften kamen und gingen, ein geschäftiger Aufseher kassierte und scheuchte die muskelbepackten Trägersklaven – oder Leibwächter – herum. Tricostus schien gut im Geschäft zu sein. Ich sah ihn unter einem Vordach sitzen, und blieb abwartend stehen, während er mit einem reichgekleideten hageren Herrn verhandeln. Dann schüttelten sie sich die Hände, und der Kunde zog mit einem halben Dutzend menschlicher Schränke ab, die allesamt so aussahen als wäre mit ihnen nicht gut Kirschen essen. Hm.
    "Salve Tricostus." machte ich mich dann bemerkbar, und trat auf ihn zu. Den Sack mit seinen Sachen trug ich auf dem Rücken.
    "Salve et tu!"
    Er begrüsste mich ganz unbefangen, klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter und bat mich herein.
    Sein Atrium bestach durch die lebhaften Fresken an den Wänden. Sie schienen ganz neu zu sein, eine Wand war erst zur Hälfte bemalt. Wenn ich das recht deutete, sah man dort Harmodios und Aristogeiton, beide äusserst wohlgestaltet, wie sie gerade den Tyrannen umbrachten.
    "Schöne Fresken!" äusserte ich meine Bewunderung, und lud den Sack ab. "Ich bringe dir hier die Sachen wieder, die du mir ausgeliehen hast. Der Chiton war nicht mehr zu gebrauchen, aber ich habe einen neuen besorgt. Nochmal vielen Dank dafür, und auch für die Einladung."
    "Gar kein Problem." Er winkte ab, verstaute dann die Sachen in einer Truhe. Ich sah dem schönen Linothorax mit Bedauern hinterher.
    "Und, hast du dich noch gut amüsiert?"
    "Oh ja..." Ich lächelte schwärmerisch in mich hinein, als ich an den unvergleichlichen Aton zurückdachte. "Und du?"
    "Diese Athene war wirklich... raffiniert." Geniesserisch schnalzte er mit der Zunge, grinste breit und wies auf eine Halbmaske, die die Wand seines Atriums zierte. Es war keine Ahnenmaske - und sie sah der, die die Göttin getragen hatte, wirklich sehr ähnlich.
    "Hat sie mir vermacht."
    Ich war beeindruckt. Athene hatte so unnahbar gewirkt, und er hatte offenbar nicht nur sie, sondern auch gleich noch ihre Maske, also ihr Incognito, erobert. Tricostus war schon ein kleiner Alexander, keine Frage.
    "Nicht schlecht. Also dann... mhm.. hast du Lust, das bei Gelegenheit mal zu wiederholen?"
    Ich grinste ihn an und dachte mir dass er, auch wenn er furchtbar eingebildet war, zum einen ziemlich gut aussah, zum anderen an echt interessante Einladungen hernkam.
    Tricostus grinste zurück, und trat näher an mich heran. Bis auf Armlänge. Sein Grinsen wurde spöttisch.
    "Aber Hephaistion... Was willst du dich mit einem Menschen abgeben, wenn du einen Gott haben kannst?"
    Er lachte leise und vergnügt über sein kleines Bonmot. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
    "Sei nicht nachtragend. Du hattest doch auch..." Ich winkte zu der goldenen Maske hinauf. Das sah er ein. Wir leerten noch einen Becher Wein miteinander und schieden als Freunde.

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