Domus Aeliana - Cubiculum Archias

  • »Fein«, sagte Caius.
    »Dann ess ich eben mit deiner Familie zu abend.«


    Das klang nicht nur resigniert, sondern auch irgendwie ablehnend. Caius hatte Seiana immer vorher gefragt, ob sie mitkommen wollte. Und er wurde jetzt gar nicht gefragt, sondern musste einfach kommen, weil Seiana davon ausging, dass er damit irgendwelche Wogen glättete. Das war schon nicht mehr zum Rumpfen, das war zum Haare ausreißen! Und dann der Kommentar. Caius musste echt aufpassen, dass er nicht irgendwas Blödes sagte. Irgendwas, das er später bereuen würde. Sowas wie »Vielleicht seid ihr das nicht.« oder sowas. Er presste nur die Lippen aufeinander und starrte zu Seiana hoch, die immer noch im Zimmer stand.


    Er studierte genaustens ihr Gesicht. Den Schwung der Augenbrauen, die Grübchen, die gerade so gut wie nicht zu sehen waren, die Linie ihrer Lippen und die Züge um die Augen herum. Er kannte sie, aber irgendwie erkannte er sie nicht so recht wieder. Wo war die schlammbespritzte Frau hin, der er im Dreck den Antrag gemacht hatte? Irgendwie hatten sie sich selbst verloren bei den ganzen Veranstaltungen in den letzten Monaten. Caius wirkte nicht mehr genervt. Er seufzte jetzt, sah weg und ließ die Schulter hängen. Das war auf einmal alles eine Tunika zu groß für ihn. Am liebsten hätte er sich auf der Stelle umgezogen.

  • Caius gab nach. Er sagte zu, dass er mit ihrer Familie essen würde. Wirklich zufrieden war Seiana damit trotzdem nicht, und sie wusste auch, woran das lag. Sie hätte sich gewünscht, dass er einsehen würde, warum es wichtig war. Dass er es ihr zuliebe tat, und nicht, weil er einen Streit beenden wollte – und genau das war der Grund, warum er nachgab, hatte sie das Gefühl. Es war nicht richtig so. Es stimmte nicht. Und sie wusste nicht, warum er es einfach nicht einsah. Sie hatte all diesen Besuchen zugestimmt, schon allein weil es sich gehörte, die Familie des zukünftigen Ehepartners kennen zu lernen. Oder nicht? Hätte sie etwa nein sagen sollen? Und seinen Kommentar mit dem Kaiserhaus nahm er auch nicht zurück.


    Seiana sah zurück, als er sie musterte, auf eine merkwürdige Art, und musste dann schlucken, als er dann seufzte und einfach nur wegsah, ohne ein Wort zu sagen. Es war so falsch. Es war irgendwie so falsch hier. Aber sie hatte keine Ahnung, was sie sagen oder tun sollte, um es wieder richtig zu machen. Es war doch so richtig gewesen, es hatte sich richtig angefühlt – wo war das hin? Warum wirkte er auf einmal so abweisend? Was um alles in der Welt war geschehen, dass sie das Gefühl hatte, er würde sie gar nicht mehr verstehen? In Alexandria war klar gewesen, dass sie verschieden waren – aber sie hatte doch geglaubt, dass er bis zu einem gewissen Grad Verständnis für sie und ihre Meinung aufbrachte. Oder war das nur ein Trugschluss gewesen? Hatte es daran gelegen, dass es in Alexandria, wo das Leben einfach lockerer war, fernab von Rom und den Traditionen, schlichtweg leichter für ihn gewesen war, ihre Art zu akzeptieren? Weil sie dort nicht so eingeschränkt gewesen war wie hier? Aber dann, realisierte sie plötzlich, hatte er nie wirklich Verständnis für ihre Art gehabt, hatte sie nie wirklich akzeptiert. Es zählte nicht, wenn man es nur dann konnte, wenn es leicht war. Der Gedanke, dass es bei Caius so gewesen war, was sie und ihre Denkweise betraf, tat Seiana mehr weh, als sie geahnt hätte. „Ich…“ Sie hob leicht die Hände und ließ sie dann wieder sinken, überlegte ob sie zu ihm gehen, sich neben ihn setzen sollte, ließ es aber dann doch bleiben. „Danke“, meinte sie stattdessen nur. Und dann: „Ich will das für uns. Glaubst du mir das?“

  • »Ja«, sagte Caius zähneknirschend. Und das war vielleicht das Schlimmste daran. Seiana mochte nicht unbedingt viel von Zärtlichkeiten gleich welcher Art vor der Ehe halten, aber auf ihre Art setzte sie sich dann doch irgendwie ein. Caius wär es andersrum fast lieber gewesen.


    »Wann denn überhaupt?« fragte er sie ein wenig lustlos. Er hatte eigentlich nicht sonderlich viel Lust auf so ein Essen. Nicht wegen Seianas Familie, sondern weil sie ihm eigentlich keine Wahl ließ, irgendwie abzulehnen. Caius ließ sich nach hinten umfallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zur Decke. Dann seufzte er wieder, dachte an Alexandrien und Seiana und Axilla, und wie seltsam die Situation gerade war, in die er sich gefangen fühlte. Das war wie zwei Rollschuhe, an die man geschnallt war und die einen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in verschiedene Richtungen zogen.

  • Sie sah ihn an, als er ja sagte. Und sie wusste nicht so recht, ob sie ihm glauben konnte. Ob er glaubte, dass sie das wirklich für sie beide machte und damit die Hochzeit klappte. Oder ob er nicht doch dachte, sie machte das nur, weil sie so versessen darauf war, dass alles den Regeln und Traditionen entsprach. Jetzt war es Seiana, die seufzte, und anschließend setzte sie sich wieder auf den Stuhl. „Ich-“, begann sie zu antworten, unterbrach sich aber kurz, als Caius sich nach hinten fallen ließ. „Ich weiß nicht so genau“, fuhr sie dann fort. „Ich hab mir darüber noch keine Gedanken gemacht, ich wollte eben fragen, wann es dir recht ist. Vielleicht… in zwei oder drei Tagen?“ Sie zögerte kurz, musterte ihn immer noch wie er so da lag. Wie abweisend er wirkte. Etwas schien plötzlich in ihrem Magen zu sitzen und zu sitzen. Sie wollte einfach nur, dass sie sich wieder vertrugen, dass es wieder in Ordnung war. Dass es wieder richtig war. So wie in Alexandria. Egal ob er ihre Art nur akzeptieren konnte, wenn es leicht war für ihn. „Hör zu, der… der Neffe meines Patrons heiratet bald. Hättest du… würdest du… möchtest mit mir da hingehen, ich meine, zu dem Empfang am nächsten Morgen? Um ihm und seiner Frau unsere Glückwünsche zu bringen?“

  • Caius glaubte daran. Er glaubte aber auch, dass Seiana für sie beide wollte, dass die Traditionen und die Regeln und alles was da sonst noch wichtig war eingehalten wurde. Ihm persönlich war das nicht so wichtig. Ihr schon. Und vielen anderen auch. Also war er der Meinung, dass Seiana das für sie tat, für sie darauf achtete, dass alles stimmte, damit alle anderen zufrieden waren und keiner blöken konnte, weil was falsch war.


    »Ist mir egal wann«, sagte er erst, weil es ihm wirklich egal wa. Dann dachte er allerdings daran, dass er Axilla versprochen hatte, übermorgen vorbeizukommen, und er richtete sich halb auf.
    »Obwohl, besser in drei Tagen. Nächste Woche ist dir sicher zu spät, oder? Ich hab nämlich diese Woche noch nen bisschen zu tun.« Auf seinem Schreibtisch stapelten sich sogar tatsächlich unsortierte Ernennungen und sowas.


    Caius hatte allerdings angenommen, dass das schon alles war. Dass Seiana deswegen gekommen war, war ihm spätestens bei ihrer Frage nach dem Treffen klar geworden. Aber dann kam noch was. Er sollte mit zu einer Patrizierhochzeit? Zweifelnd sah er Seiana an. Naja, sagte er sich. Warum nicht? Immerhin würde sie dann nicht schon wieder einen Grund haben, ihn in den Boden zu reden.
    »Wenn du möchtest, dass ich mitkomme?« sagte er und hob eine Schulter, um sie dann wieder fallen zu lassen. Seiana wusste schließlich, was er von Patriziern hielt.

  • Seiana selbst konnte vermutlich gar nicht so genau sagen, ob es ihr wichtig war, weil es ihr wichtig war, oder ob es ihr wichtig war um der anderen willen. Hätte Caius sie konkret darauf angesprochen, und so lange nachgebohrt, dass sie wirklich, tatsächlich, anfing darüber nachzudenken, sie wäre ihm wohl die Antwort schuldig geblieben. Sie hätte es nicht gewusst. Aber selbst dann wäre der Fakt geblieben, dass sich bei ihr manche Dinge eingeschliffen hatten – dass sie nicht aus ihrer Haut konnte, in jedem Fall nicht so schnell, nicht so einfach.


    Egal war es ihm. Seiana schloss die Augen, für einen kurzen Moment. Egal. Na gut. Etwas anderes durfte sie wohl nicht erwarten, nicht wo sie schon froh sein konnte, dass er überhaupt eingewilligt hatte. „Nein, nächste Woche ist auch in Ordnung“, antwortete sie dann, wieder mit geöffneten Augen, und sie versuchte sich an einem Lächeln. Er kam mit, das war doch eigentlich alles, was sie wollte. Gut, es wäre ihr lieb gewesen, das so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, aber es war deutlich geworden, dass er eigentlich keine Lust hatte, und er kam trotzdem mit. Aus den falschen Gründen, aber er tat es. Da konnte sie ihm schon entgegen kommen. Ihre nächste Frage dagegen schien schon wieder auf keine große Begeisterung zu stoßen. Wollte sie, dass er mitkam? Wollte sie denn überhaupt hingehen? Nein, große Lust auf einen weiteren Termin, eine weitere Festivität dieser Art hatte sie eigentlich nicht, aber es war der Neffe ihres Patrons. Eigentlich hatte sie Caius jetzt gar nicht fragen wollen, aber es hatte sich angeboten, es hätte doch eine Ablenkung sein können… Und es war ein Fest. Caius mochte doch Feste, oder nicht? Seiana spürte fast so etwas wie Verzweiflung jetzt, weil es ihr so vorkam, als ob jeder Vorschlag von ihr schlecht war. „Ich… Ich dachte, das… wir könnten was zusammen unternehmen. Ich meine, wir haben uns jetzt seit über einer Woche nicht mehr gesehen, ich wollte etwas mit dir machen…“

  • »Dann nächste Woche«, entschied Caius also einfach und nickte. Damit hatte sich das Thema erstmal für ihn erledigt, und zwar so lange, bis er es nicht mehr weit wegschieben konnte, sondern das Essen tatsächlich anstand. Aber bis dahin floss noch einiges an Wasser den Tiber hinunter.


    »Ja, ich komm ja auch mit«, meinte er dann und setzte sich wieder auf. Wenn sie schon wegen ihm dieses Essen verlegte, dann konnte er auch so einen steifen Patrizierempfang aushalten. Außerdem kamen da bestimmt einige Senatoren und so, vielleicht ergab sich da ja was. Und wenn nicht, dann konnte er sich immer noch den Bauch vollschlagen und den teuren Wein trinken. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann war das vielleicht doch nicht so schlecht. Seine Miene hellte sich etwas auf.
    »Ich weiß, ich hatte...« Einfach was anderes im Sinn? Keine Lust?
    »...nicht so viel Zeit. Du weißt schon, im Palast und so. Mein Vorgänger hat scheinbar nicht sonderlich schnell gearbeitet.« Caius zuckte mit den Schultern.
    »Wir gehen zu deinem Patron. Wird sicher ganz nett werden. Wann soll denn die Feier steigen?«

  • Nächste Woche. Seiana nickte nur noch zur Bestätigung. Sie war froh, dass das Thema erledigt war – und das nächste offenbar gleich auch, denn Caius stimmte auch zu, mit zu dem Empfang zu kommen, und im Verlauf seiner weiteren Worte meinte Seiana beinahe sehen zu können, dass er wieder ein wenig bessere Laune bekam. Warum das so war, wusste sie nicht, aber es war ihr auch egal, so lange sich die Situation nur wieder etwas entspannte. „Ich weiß, dass du viel zu tun hast. Es tut mir auch leid, ich will dich nicht drängen oder so. Schon gar nicht wenn du Arbeit der letzten Wochen und Monate nachholen musst.“ Aber es stimmte einfach, dass sie sich in letzter Zeit kaum gesehen hatten. Vor allem, wenn man Alexandria als Maßstab anlegte. „In vier Tagen. Und ich glaub auch, dass es nett werden könnte. Und, wenn es das nicht wird, dann gehen wir einfach bald wieder, daran hindert uns ja keiner.“ Diesmal schaffte sie es wirklich, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. „Wie läuft es denn so im Palast?“

  • In vier Tagen schon! Caius' Hirn warf eine ganz und war weibliche Frage auf: Was zieh ich denn da um Iunos Willen bloß an? Naja, er würde schon was finden.
    »Meinst du nicht, dass dein Aurelius da dann böse wird?« fragte Caius zweifelnd. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Patrizier das einfach so durchgehen lassen würde, wenn seine Klienten schlichtweg keinen Bock mehr auf Langeweile hatte und deswegen abhaute.


    »Naja, es geht so. Ich muss mich erstmal einarbeiten. Da ist einiges neu, und teilweise sind die Ablagesysteme echt veraltet, aber das kann man ja ändern. Allerdings muss man dafür erstmal den Durchblick haben. Als ob das nicht schon genug wär, hab ich vor ein paar Tagen auch noch erfahren, dass mein Verwalter in Ägypten mit meinem Schiff und dem Geld durchgebrannt ist. Ich hab grad also eine Menge Sachen am Hals und weiß echt nicht, wie ich das schaffen soll. Ich bin wirklich froh, dass ich...« Caius hielt inne und blinzelte. Seiana wusste noch nicht, dass er Axilla als seine scriba und so eingestellt hatte, und er hatte das große Gefühl, dass es ziemlichen Stunk geben würde, wenn er damit so einfach rausplatzte.
    »Äh, ja, ich bin froh, dass...ich noch keinen Herzkapser bekommen hab. Irgendwie muss ich mein Zeug jetzt so hierher schaffen. Da bin ich quasi nur noch am Briefeschreiben«, rettete er sich vorerst. Das ließ ihn sich nicht unbedingt gut fühlen, aber vermutlich besser als wenn das so nebensächlich rausgekommen wär.

  • Seiana war sich da nicht so sicher, wie Aurelius Corvinus reagieren würde, wenn sie früher ging – aber immerhin war sie ja keine der einfachen Klienten, die jeder gutsituierte Römer zahlreich hatte. Es war ja auch nicht so, dass sie regelmäßig zur Salutatio kommen musste. Darüber hinaus: „Da werden sicher so viele Leute kommen, dass es gar nicht auffällt, wenn wir früher gehen“, meinte sie. „Und selbst wenn, dann erklär ich ihm das schon irgendwie.“


    Als Caius dann erzählte, wie sich seine Arbeit im Palast anließ, zog sie die Augenbrauen hoch. „So schlimm? Was, dein Verwalter ist durchgebrannt?“ Entsetzt sah Seiana ihn an. Sein Stocken fiel ihr zwar auf, aber sie maß dem keine Bedeutung bei. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass sich ein winziger Teil von ihr fragte, warum er da nicht sofort zu ihr gekommen war, als er davon erfahren hatte. Natürlich, er erklärte es ja, er hatte viel zu tun, ihm stand sein Kopf vermutlich sonst wo zur Zeit, aber trotzdem… „Das klingt ja furchtbar. Kann ich dir da irgendwie helfen? Ich hab doch sicher mehr Zeit als du im Augenblick, wenn du willst, kann ich mich da vielleicht um was kümmern.“

  • »Ja, nein, also...« Verdammt. Caius seufzte. Er wusste ja noch ziemlich genau, wie sie reagiert hatte bei Imperiosus' Feier. Trotzdem fand er es nicht nur gemein, sondern auch anstrengend, sie anzulügen. Ihm blieb da gar keine Wahl. Also versuchte er, das so weit runterzuspielen wie es nur ging.


    »Also, mit der Arbeit im Palast ist es wirklich stressig. Ich hab da selber gerade gar nicht so wirklich Zeit für meine Läden. Neulich hatte ich mich mit Axilla unterhalten, sie hat ein bisschen Langeweile momentan. Und da dachte ich, dass sie mir ein wenig helfen könnte. Sie hat ja ziemlich lange in Alexandrien gewohnt und kennt da die wichtigsten Leute und weiß wie der Hase läuft. Deswegen hab ich sie gefragt, ob sie nicht eine Idee hat. Sie hat versprochen, dem strategos zu schreiben. Mal sehen, was bei rumkommt. Und sie hat ein Auge auf meine Betriebe. Also, auf die Bücher.« Puh. Caius fühlte sich gerade um mehrere Kilos leichter.
    »Sei nicht böse.«

  • Ihr Angebot, so simpel, unschuldig und vor allem in erster Linie hilfsbereit es auch gemeint gewesen war, brachte Caius ins Stottern. Was Seiana doch etwas merkwürdig fand. Dann aber fing er an zu erklären, und mit jedem Wort veränderte ihr Gesichtsausdruck ein bisschen mehr, fiel in sich zusammen, wurde zuerst etwas… ungläubig, dann unschlüssig, bis er schließlich ganz gefror. Axilla half ihm also bereits. Und die Iunia half ihm nicht nur, sie hatte auch ein Auge auf seine Betriebe. Auf die Bücher. Was nichts anderes hieß, als dass er sie als Verwalterin eingestellt hatte. Die Frau – das Mädchen, verbesserte sie sich mit einem zynischen Unterton in Gedanken – die sie geküsst hatte auf der Feier des Pompeius und danach an ihren Verlobten gekuschelt eingeschlafen war. „Oh“, machte sie zunächst nur, was reichlich wenig war dafür, dass er so viel gesagt hatte. War es, als seine Verlobte, als seine zukünftige Ehefrau, nicht eher ihre Aufgabe, sich um solche Sachen zu kümmern? Ganz gleich, ob die Iunia Langeweile hatte oder nicht, hätte er nicht zuerst zu ihr kommen und sie fragen sollen? Seiana lachte leise, aber diesmal konnte man es hören, dass es gekünstelt war. „Warum sollte ich böse sein?“

  • Caius sah Seiana ungläubig an, versuchte aber, neutral zu gucken. Wieso lachte sie denn jetzt? War das witzig? Unbeschwert hörte sich das jedenfalls nicht an. Caius glaubte ihr keinen einzigen Gluckser.


    »Naja, ich dachte... Wegen der Feier«, sagte er und zuckte mit den Schultern. Wieder mal. Wenn man ihm rechts und links ein Gewicht an den Arm hing, hätte er bald Schultern wie ein Rhinozeros. Caius wusste nicht so recht, was er von der Situation halten sollte. Das war merkwürdig, extremst merkwürdig, aber er wusste nicht, was er machen sollte.

  • Die Feier. Warum musste er jetzt die Feier ansprechen? Seiana wusste genau, welche Feier er meinte, und doch war sie nahe daran, sich einfach dumm zu stellen und zu fragen: welche Feier? oder Was war denn da? Aber sie kannte Caius gut genug um zu wissen, dass er dann antworten würde. Eventuell sogar im Detail. Und sie wollte nichts weniger als das. Sie wusste, dass es vielleicht besser war, darüber zu reden, ihn zu fragen, was um alles in der Welt da los gewesen war, aber sie war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich hören wollte, was er zu sagen hatte. „Die… Feier… hatte doch nichts damit zu tun, dass du sie um Hilfe gebeten hast“, antwortete sie und bemühte sich um Selbstbeherrschung. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, sie war verwirrt, mehr noch, war wie vor den Kopf gestoßen, und sie wollte nicht, dass er das merkte. Dass er merkte, wie sehr sie das störte. Sonderlich erfolgreich war sie aber nicht darin das zu verbergen. Warum hatte er Axilla gefragt und nicht sie? Selbst wenn sie sich in Alexandria auskannte… Bei allen Göttern, sie war siebzehn, wen von Bedeutung konnte sie in Alexandria denn schon kennen? „Und du kannst beschäftigen, wen immer du willst. Ich… Es wundert mich nur etwas, das ist alles. Ich wusste nicht, dass ihr so gut miteinander bekannt seid, dass du ihr deine Betriebe anvertraust.“ Einer Siebzehnjährigen.

  • Das hatte nichts damit zu tun? Gut, hatte das nichts damit zu tun. Zumindest nicht damit, dass Axilla jetzt für ihn arbeitete. Caius nickte, da hatte Seiana recht. Aber Caius hatte was anderes gemeint, und Seiana wusste das auch. Glaubte Caius zumindest. Nur scheinbar wollte sie darüber nicht reden. Caius respektierte das, deswegen drängte er ihr das Gespräch darüber auch nicht auf.


    Dann sprach sie allerdings weiter, und was sie sagte, ließ Caius die Stirn runzeln. So gut bekannt, dass er ihr seine Betriebe anvertraute?
    »Was hat denn das damit...« begann er, biss sich dann aber auf die Zunge. Es machte keinen Sinn, darüber zu streiten. Außerdem wollte er gar nicht streiten, schon gar nicht über Axilla und erst recht nicht mit Seiana. Caius zog eine Grimasse.
    »Jedenfalls versucht sie zu helfen«, fasste er ein wenig unbedacht zusammen. Das hörte sich leider so an, als würde Axilla helfen wollen, im Gegensatz zu Seiana. Auch wenn Caius das gar nicht so gemeint hatte.

  • Als Caius den Anfang seiner Frage formulierte, starrte Seiana ihn an, und sie dachte exakt das gleiche, was sie sich davor gedacht hatte: das konnte nicht sein Ernst sein. Es hatte doch alles damit zu tun! Man musste demjenigen, der sich um die Betriebe, um die Bücher kümmerte, doch vertrauen können. Entweder man stellte jemanden ein, der die entsprechenden Erfahrungen und Referenzen vorzuweisen hatte – und Seiana bezweifelte, dass das bei Axilla der Fall war oder Caius sich das hatte zeigen lassen, falls es doch der Fall war –, oder man nahm jemanden, den man gut kannte und vertraute, auch ohne Referenzen! Aber Caius brach die Frage ab, und Seiana wollte sich nicht schon wieder streiten. Schon gar nicht über dieses Thema. Bei seinem nächsten Kommentar geriet ihr Entschluss allerdings schon wieder heftig ins Wanken. Eine schnippische Antwort – ach, und ich nicht? – lag ihr schon auf der Zunge, aber sie riss sich zusammen und sagte stattdessen nur ruhig: „Ich hätte auch versucht zu helfen, wenn du mir eher davon erzählt hättest.“

  • War ja klar, dass sie das falsch verstand. Caius seufzte verärgert. Gut, er hatte sich nur darauf verlassen, dass Axillas Läden rund liefen. Überprüft hatte er nichts, aber er vertraute ihr eben. Sicher hätte er auch Seiana fragen können. Das fiel ihm jetzt auch ein. Aber erst hatte er versucht, das mit sich selbst auszumachen, und dann hatte Axilla ja auch schon ihre Ideen vorgeschlagen, als er ihr davon erzählt hatte. Wann also hätte Caius Seiana davon erzählen und sie um Rat fragen sollen? Klar, er konnte jetzt noch eine ganze Weile darauf herumreiten und die ganze Geschichte ordentlich breit treten. Er hätte auch versuchen können, sich zu rechtfertigen oder Axilla zu verteidigen. Aber das brachte ja eh alles nichts, also hielt er die Klappe dazu und pflichtete ihr nur bei.
    »Ich weiß.«


    Seiana stand immer noch herum, Caius saß inzwischen ja wieder auf der Kante seines Bettes. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt mit ihr reden konnte. Vielleicht hatte sie ja Lust auf eine Partie? Seit er mit Axilla gespielt und verloren hatte, hatte er wieder mehr Lust zu spielen. Schnell vergaß er den Gedanken aber wieder. Seiana würde ihn nur skeptisch anschauen und ihn fragen, ob das sein Ernst war, jetzt zu spielen. Für Caius war eindeutig, dass sie Redebedarf hatte. Und eine Frau unterbrach man nicht dabei, wie sie einen versuchte zur Schnecke zu machen. So fügte er sich und wartete, was als nächstes kommen würde.

  • Ich weiß. Mehr kam nicht. Nur ein: Ich weiß. „Warum…“ Seianas Stimme erstarb wieder. Warum hast du dann nicht mich gefragt? lag ihr auf der Zunge, und noch mehr. Warum hatte er nicht mal davon erzählt? Es war ja offensichtlich nicht so, dass er zu viel Stress hatte, um Axilla davon zu erzählen. Es war ja offensichtlich nicht so, dass er zu wenig Zeit hatte, um die Iunia zu treffen… ganz im Gegensatz zu ihr. Seiner Verlobten. Sie schluckte mühsam, als sich ein Kloß in ihrer Kehle zu bilden begann.


    Aber Seiana war nicht der Typ Frau, die alles bis ins kleinste Detail zerreden musste. Sie war nicht der Typ Frau, die keine Ruhe gab, die nachfragte und nachfragte, jedenfalls nicht dann, wenn nur ein ungutes Gefühl in der Magengegend da war und ihr sagte, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte kein Problem damit, andere zur Rede zu stellen – aber sie brauchte etwas Handfestes. Sie wollte nicht wie ein quengeliges Kind klingen, oder herummeckern wie eine Xanthippe, auch wenn sie das an jenem verhängnisvollen Abend bei den Pompeiern behauptet hatte. Aber warum hast du nicht mich gefragt, Caius, gerade wenn du weißt, dass ich dir geholfen hätte, Caius, ich bin deine Verlobte, Caius, du hättest mich fragen müssen, Caius… Nein. Entweder er fragte sie, oder er tat es nicht. Er hatte es nicht getan. Und Seiana war niemand, die dann nachbohrte, schon gar nicht, wenn er nicht von selbst erzählte, was los war, sondern so tat, als wäre es das Normalste schlechthin. Vielleicht war es ja normal. Vielleicht bildete sie sich nur etwas ein. Eine ganze Weile verging in Schweigen. „Ich… na ja… Ich glaub ich geh dann jetzt wohl besser.“

  • Fast hätte Caius automatisch mit einem Weil... geantwortet. Aber er schaffte es noch, den Mund einfach wieder zuzuklappen, nachdem er ihn geöffnet und bevor er was gesagt hatte. War auch nicht weiter schlimm, denn kurz drauf sagte Seiana wieder was, und Caius sah sie verdattert an.
    »Öhm. Wolltest du nicht noch mit mir essen?« fragte er sie. Ganz offensichtlich merkte sie, dass da was nicht stimmte. Und ganz offensichtlich wollte sie deswegen gehen. Caius machte ein betretenes Gesicht. Er wollte sie ganz bestimmt nicht loswerden oder sowas. Er mochte sie doch!
    »Ich kann in der Küche bescheid sagen. Oder wir gehen irgendwo hin...« schlug er vor. Nur wohin wusste er nicht. Vielleicht die Apicia?

  • „Oh. Ähm“, machte Seiana verlegen. Der Vorschlag mit dem Essen, worüber sie sich zuvor noch so gefreut hatte, daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Ein Hauch Röte färbte ihre Wangen, als ihr klar wurde, wie sehr sie dieses Gespräch durcheinander gebracht hatte. Normalerweise war sie niemand, die den Faden so verlor. Die vergaß, was gesagt oder ausgemacht worden war. Es war nur… wie bei den Pompeiern hatte sie einfach ein ungutes Gefühl. Fühlte sich unwohl, in diesem Augenblick, fühlte sich irgendwie fehl am Platz. Und wenn sie sich so fühlte, dann verschwand sie am liebsten – oder sie verschloss sich, so gut es ging, wenn sie nicht verschwinden konnte. Nur, Caius war ihr Verlobter. Es war nicht richtig, sich ihm gegenüber so zu verschließen. Aber sie konnte auch nicht mit ihm reden über das, was gerade los war – sie wusste ja noch nicht mal, ob überhaupt etwas los war, oder ob sich das alles nur in ihrer Phantasie abspielte, weil sie gestresst war zur Zeit, weil sie viel zu tun hatte, und weil die Hochzeit immer näher rückte, ohne dass sich das Problem mit ihrer Familie irgendwie zu lösen schien! Worüber sollte sie denn bitte ihm mit reden, wie sollte sie anfangen? Caius, ich habe da ein Gefühl. Toller Anfang, großartig. Das klang wie… wie eine Krankheit. Caius, ich habe Rücken. Caius würde sie wahrscheinlich ansehen wie die erste Kutsche. Immerhin war bei ihrem bisherigen Gespräch deutlich geworden, dass er kein Problem zu sehen schien, nichts Ungewöhnliches in dem, was er tat oder getan hatte.


    Sie hätte wohl mit ihm reden sollen. Vermutlich wäre es besser gewesen. Aber so war Seiana nicht. Es wäre ihr peinlich gewesen, zu äußern, dass sie das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte. Ein Gefühl, keinen Beweis, kein Wissen, noch nicht einmal ein wirkliches Indiz, woran sie das hätte festmachen können. War es denn so schlimm, dass ihm eine Freundin half? Gut, er hatte nicht sie gefragt. Gut, er hatte ihr noch nicht einmal erzählt, dass er mit Axilla so gut befreundet war, oder dass er Schwierigkeiten hatte, oder dass er sie gebeten hatte ihm zu helfen. Jetzt wusste sie es aber, also… war doch alles in Ordnung so weit. Und so stand Seiana nur da und ärgerte sich, dass der Kloß in ihrem Hals nicht verschwinden, sondern am liebsten sogar noch Tränen in ihre Augen schicken wollte. Das allerdings war etwas, was sie sich strikt untersagte, wäre es doch noch viel peinlicher gewesen, hier grundlos anzufangen zu weinen. „Tut mir leid, da hab ich gerade gar nicht mehr dran gedacht. Ja, gerne. Ähm.“ Sie tat so, als überlege sie einen Moment, aber in Wirklichkeit musste sie das nicht. Sie wollte raus hier. „Lass uns irgendwohin gehen, in Ordnung? Dann können wir ein bisschen frische Luft schnappen, und spazieren gehen vor dem Essen.“

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