Cubiculum - Iunia Axilla

  • »Na, protzen ohne Ende. Ich kam da an und wollte mich eigentlich nur schnell entschuldigen. Stell dir mal vor, die Tiberierin hat da fast ein komplettes Menü aufgefahren, ohne dass sie wusste, was ich überhaupt wollte.« Gut, das war definitiv übertrieben, aber das Gespräch war eben nicht so verlaufen, wie Caius es sich gewünscht hätte (rein, entschuldigen, raus). Und das wiederum zog seine Laune ein klein wenig nach unten. Er schüttelte in Unverständnis den Kopf und zuckte dann mit den Schultern.
    »Davon hätte in der subura eine ganze Familie satt werden können. Undich glaub, der Rest wird einfach weggeworfen, nur weil keiner was gegessen hat.« Nicht dass Caius sich wirklich um die Familien in der subura scherte. Aber es ging ums Prinzip! Und wenn man dabei auf Patriziern herumhacken konnte, dann war das umso besser. Gut, Piso war auch ein Patrizier. Aber der war eben Piso, und ganz anders. Piso protzte nicht so rum. Und Piso war außerdem Caius' Freund. Das war schon mal was ganz anderes. Dass es Caius eigentlich vielmehr um den schlechten Verlauf des Gesprächs ging, war ihm wohl selber nicht so ganz klar.


    »Ist ja auch egal. Jedenfalls war ich da und hab mich entschuldigt. Ob das angenommen wird oder nicht, weiß ich nicht.« Caius runzelte die Stirn und zuckte noch mal mit den Schultern.
    »Hm.... Hast du dich wieder beruhigt? Wollen wir vielleicht ein bisschen rausgehen? Oder du zeigst mir noch mal euer atrium genauer. Ich hab ja nen Mosaikenleger...« Caius grinste breit. Er wollte damit das vorherige Thema wieder aufgreifen und gleichzeitig sich etwas drüber lustig machen.


    8)

  • So ganz konnte Axilla nicht nachvollziehen, was ihn daran nun störte. War doch nett von der Septima, dass die ihm auch was zu Essen angeboten hatte? Gut, wenn man es wegwerfen würde, war das Verschwendung, aber er konnte da ja nicht wissen. Vielleicht bekamen das dann erstmal die Sklaven, und wenn nicht, Schweine mussten ja auch irgendwas fressen. Denen gab man meistens die Küchenabfälle. Wobei Axilla sich nicht vorstellen konnte, dass die Aurelier in ihrer feinen Villa irgendwo einen Schweinestall hatten. Die Casa Iunia hatte auch keinen – allerdings eher aus Platzmangel. Aber irgendwie würde das Essen schon verbraucht werden, und wenn es jemand abholen würde. Dass es einfach nur weggeworfen wurde, um zu vergammeln, konnte sich Axilla fast nicht vorstellen. Das wäre wirklich dekadente Verschwendung.
    “Öööhm...“, setzte Axilla an, als Archias auch schon weiterschimpfte und sie ihn erstmal machen ließ. Holla, er schien ja wirklich was gegen Patrizier zu haben. Axilla war das ja normalerweise reichlich wurscht, ob jemand Patrizier oder Plebejer oder Peregrinus war, solange er nett war. Zumal die gens Iunia ja ohnehin auch auf patrizische Wurzeln zurückblicken konnte. Nunja, vielleicht würde die gens es eines Tages auch wieder sein, aber im Moment waren die Iunii sehr plebejisch.


    Offenbar hatte ihn seine Schimpftirade abenteuerlustig gemacht, denn er wollte spazieren gehen. Und ins Atrium. Axilla machte da ein zerknirschtes Gesicht. “Serrana ist grade im Atrium mit ihrem Angebeteten.“ Eigentlich hatte Axilla nichts gegen Sedulus, aber nach dem Streit war ihr alles zuwider, was mit dieser vermaledeiten Hochzeit zu tun hatte. Von daher war sie auch etwas zwiegespalten, ob sie Archis halb verstecktes Angebot mit dem Mosaikenleger denn überhaupt annehmen sollte. Solle Serrana doch gucken, wo sie blieb, wenn sich alle das Maul über sie zerrissen!
    Aber... es ging um die gens, um das Ansehen, um die Ehre. Also presste Axilla einmal die Lippen aufeinander, zuckte dann mit den Schultern und stellte sich neben Archias, schmiegte sich kurz an seine Seite. “Aber wir können ja mal ins Peristyl gucken. Das könnte auch ein wenig Verzierung gut gebrauchen. Und die Leute werden sich ohnehin überall stapeln, fürchte ich. Und ich seh nicht zu schlimm verheult aus?“
    Das schließlich konnte nur Archias beantworten, Axilla konnte sich selbst ja nicht sehen.

  • Caius hatte sich mit der iunischen Familengeschichte mal so gar nicht auseinandergesetzt. Sonst hätte er vermutlich alles runtergeschluckt und gar nicht erst was gesagt über Patrizier. So aber grinste er nur kurz unüberlegt und zog dann die Augenbrauen hoch. Scheinbar war der Streit noch schlimmer gewesen als er angenommen hatte. Er war zwar auf seinem Weg auch durchs atrium gegangen und hatte keinen gesehen, aber vielleicht waren die zwei auch gerade hinter eine Säule gesprochen (um sonstwas zu tun).


    »Öhm...gut, wie du willst«, sagte er also und zuckte mit den Schultern. Er legte den Arm um Axillas Taille.
    »Hm, eigentlich sollten wir lieber mal das domus Aeliana verzieren, was? Dann hast du wenigstens auch was davon. Vor der Hochzeit geht das hier eh nicht mehr... Ich muss meine Leute ja erstmal einschiffen, weißt du doch. Und wenn man aber eh nichts sieht, weil sie sich hier stapeln...« Caius grinste breit, als sie die Tür hinter sich schlossen und zum Peristyl wanderten.
    »Das geht schon«, versicherte er ihr jedenfalls großzügig und piekste ihr kurz in die Seite.
    »Das domus Aeliana kennst du doch. Was hältst du davon, wenn wir in deinem Zimmer ein Mosaik legen lassen, nur für dich, damit du direkt gute Laune kriegst wenn du es anschaust?« Oh ja, und er hatte auch schon eine Idee wegen des Motivs....


    8)

  • Hmmm, er hatte nichts dazu gesagt, ob sie jetzt verheult aussah oder nicht. Hieß das nun, sie sah nicht danach aus, oder war es so schlimm, dass er es nicht beantworten wollte, weil er sie sonst anlügen musste. Axilla stand auf und ging kurz rüber zu ihrem Spiegel, betrachtete sich, so gut das eben mit einem Spiegel möglich war, ohne dass es wirklich danach aussah, als würde sie sich im Spiegel angucken. Archias sollte ja nicht auf die Idee kommen, sie sei eitel. Aber wenn sie total verquollen auf den Gang gehen würde, durfte sie sich nachher wieder anhören, ob es ihr denn gut ginge, und was passiert sei und all das, und darauf hatte sie schlicht keine Lust. Aber scheinbar ging es – wenn der etwa 1,327 Sekunden lange Blick sie nicht getrügt hatte – also stand einem Ausflug nichts im Weg.


    Sie verließ mit Archias das Zimmer in Richtung Peristyl, schön weit weg vom Atrium – sofern das eben innerhalb eines Hauses ging.

  • Axilla lag auf ihrem Bett auf der Seite und starrte vor sich hin. Man hatte ihr eine frische Tunika angezogen und ihr die Arme verbunden. Nicht, dass letzteres nötig gewesen wäre. Sie hatte sich blutig gekratzt, aber dennoch waren es nur Kratzer. Es würden keine Narben zurückbleiben. Als Kind hatte sie sich schlimmer aufgeschrappt, wenn sie auf dem Kiesweg vor dem Haus hingefallen war. Obwohl der Verband dünn war, nässte er nicht einmal richtig durch. Axilla schätzte, dass sie das eher davon abhalten sollte, weiter zu kratzen. Sie atmete tief und resignierend durch, während sie ein wenig an dem Verband zupfte.
    Hinter ihr ging leise die Türe auf. Ein paar zaghafte Schritte in ihr Zimmer rein, ganz vorsichtig und leise. Axilla wandte ganz leicht den Kopf, ohne sich wirklich herumzudrehen, um zu zeigen, dass sie nicht schlief und diese Schleicherei somit unnötig war. “Herrin? Ich habe dein Kleid gewaschen und geglättet.“ Liora, die sich hier im Haus um die Schlafzimmer und Kleidung der Herrschaften kümmerte, sprach ganz sanft und leise.
    Axilla schloss kurz die Augen und hörte auf, an dem Verband herum zu zupfen. “Verbrenn es“, sagte sie ganz ruhig und beinahe abwesend, als sie eine Entscheidung gefasst hatte. Sie wollte das Ding nicht mal mehr sehen, geschweige denn anziehen.
    “Aber Herrin, die schöne Seide hat doch ein Vermögen gekostet! Sie ist auch wie neu, und ganz glatt. Ich habe sie ganz gründlich gewaschen.“
    Jetzt drehte Axilla doch den Kopf und setzte sich halb auf, stützte den Oberkörper auf einen Ellbogen. “Liora? Verbrenn es.“ Immernoch ganz ruhig und entsetzlich gefasst. Einzig ihr Blick,d er auf dem Kleid zu ruhen kam, sprach von Ekel. Nein, sie wollte es wirklich nicht mehr sehen.
    “Ja, domina. Sofort, domina“, meinte die Sklavin und entfernte sie, ließ Axilla wieder allein.


    Sie lehnte so eine Weile auf der Seite, starrte vor sich hin, ohne etwas zu sehen. Und atmete einfach nur. Ruhig. Ein. Aus. Die Gedanken waren gekommen und wieder gegangen und hatten nur eine stumme Resignation zurückgelassen. Was sollte sie tun? Sie wusste es nicht.
    Ihr Blick klärte sich, und wie durch Fügung sah sie die Rüstung ihres Vaters da stehen, so gepflegt und poliert wie immer. Das einzige im Zimmer, auf das Axilla wirklich immer achtete. Und Tränen kamen ihr bei dem Anblick hoch, als sich ein dicker Klos in ihrem Hals bildete. Sie stand auf, ging die zwei Schritte hinüber und ließ sich vor der Rüstung auf die Knie fallen. “Was soll ich machen? Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht“, jammerte sie mit piepsiger Stimme und sah flehentlich zu dem Helm mit dem schönen Rosshaar hinauf. Was hätte sie jetzt darum gegeben, dort das Gesicht ihres Vaters zu sehen. Und gleichzeitig ängstigte sie nichts mehr als die Vorstellung, ihr Vater könnte sie jetzt sehen. Verzweifelt und am Boden, von einem Mann, der nicht ihr Ehemann war, genommen. Und sie hatte NICHTS getan, um das zu verhindern. Gar nichts. Axilla widerte sich selber an. Und Tränen der Verzweiflung rannen ihr über die Wangen. “Bitte sag mir, was ich machen soll. Bitte. Ich weiß es nicht.“
    Wie lange sie flehentlich und schluchzend die Rüstung anstarrte, wusste sie nicht. Irgendwann wanderte ihr Blick tiefer, als sie es nicht mehr auszuhalten glaubte. Sie wusste, sie würde keine Antwort von der Rüstung ihres Vaters erhalten, so sehr sie es sich auch wünschte. Und just da, als sie aufgab, sah sie das Schwert.


    Natürlich war es da. Es war immer da. Axilla wurde wahnsinnig, wenn es nicht da war. Aber jetzt fiel es ihr entsetzlich klar auf, als hätte sie es zuvor nie wirklich gesehen. Aber es war da, wie eine drohende Antwort auf ihre Frage.
    Mit zittrigen Fingern griff Axilla nach dem Heft. Sie kannte den Griff gut, hatte es tausende Male in der Hand gehabt. Das Leder, das zur besseren Griffigkeit darum geschlungen war in feinen Streifen, den Knauf, der das Gegengewicht zur kurzen, scharfen Spitze bildete. Sirrend kam es aus seiner Scheide, und die Schneide leuchtete silbern im Licht.
    Axilla wusste, dass das der nobelste Ausweg war. Eigentlich sogar der einzig richtige. Gerade für eine Iunia. Ihre Familiengeschichte war so verwoben mit der der römischen Republik. Sie wusste nicht, wie oft sie die Geschichte von Livius gelesen hatte. Hatte lesen müssen, während ihr die Geschichte der ruhmvollen Iunier wieder und wieder erzählt worden war.
    “Obwohl ich mich von der Schuld freispreche, spreche ich mich nicht von der Strafe frei. Keine unkeusche Frau soll in Zukunft leben und sich auf Lucretias Beispiel berufen...“, murmelte sie die Zeilen, die die edle Lucretia gesagt haben sollte, ehe sie sich selbst erstochen hatte. Auch sie war gegen ihren Willen genommen worden und hatte es über sich ergehen lassen, weil sie sonst schlimmeres fürchtete.
    Axilla nahm das Schwert und setzte es sich unter den Rippen an. Es war so schöner Stahl, und sie hatte ihn gut behandelt. Es würde nicht sehr weh tun. Die Klinge war scharf. “Noch während sie trauerten zog Brutus das Messer aus Lucretias Wunde, und während er es bluttriefend vor sich hielt, sagte er: "Bei diesem Blut, überaus rein vor der Freveltat des Königssohnes, schwöre ich, und Euch, Ihr Götter, rufe ich zu Zeugen, dass ich den Lucius Tarqunius Superbus vertreiben werde, zusammen mit seinem verfluchten Weib und der ganzen Brut, mit Feuer und Schwert und jedem Mittel, das in meiner Macht steht, und ich werde nicht dulden, dass sie oder irgend jemand sonst Rom als König regiert."....“ zitierte sie weiter aus Livius Werk, und Tränen rannen weiter über ihre Wangen. Es war nur eine kurze Bewegung. Sie musste nicht einmal etwas tun, nur sich nach vorne fallen lassen. Den Rest erledigte die Schwerkraft. Sie musste nur... sie musste...


    Mit einem verzweifelten Aufheulen schob Axilla die Klinge von sich, so dass sie auf dem Boden schepperte, und schlug sich die Hände vors Gesicht. “Ich kann das nicht!“ schrie sie verzweifelt aus und heulte einfach weiter. Die Tür hinter ihr ging auf, und wer immer hereinkommen wollte, wurde mit einem “HAU AB!“ davongescheucht. Sie wollte niemanden um sich haben, nicht jetzt. Sie saß auf dem Boden und weinte einfach, schluchzte, dass ihr ganzer Körper davon gebeutelt wurde. Sie konnte sich nicht umbringen. Und es würde sie auch niemand rächen. Sie hatte keinen edlen Ehemann und Vater, die losziehen würden, sie zu rächen. Beide waren tot, tot, tot. Sie war allein. Und sie durfte nicht sterben. Sie konnte nicht sterben! Nicht, bevor sie einen Sohn geboren hatte, der den Namen ihres Vaters ehren würde. Sie durfte und konnte nicht zulassen, dass ihr Vater als namenloser Schatten in der Unterwelt lebte, bis er in der Lethe verging. Das ging nicht.
    Und sie war so hungrig nach dem Leben! Sie liebte das Leben. Sie konnte das einfach nicht aufgeben, auch wenn es das einzig richtige war. Sie KONNTE nicht!


    Resignierend wiegte sie langsam den Kopf, als keine Tränen mehr kamen. Das Schwert lag noch auf dem Boden, und mit zittriger Hand hob Axilla es auf, um es wieder zu verräumen. Sie konnte das jetzt nicht. Vielleicht später. Aber sie konnte das auch nicht allein. Schwankend stand sie auf und ging zu dem Tischchen in ihrem Zimmer, holte die Wachstafeln hinaus. Sie musste irgendwas tun. Sie brauchte Hilfe.

  • Und sie schrieb. Oder versuchte es zumindest. Sie fühlte sich so durcheinander, aber es gab so vieles, was sie machen sollte, machen musste. Das erste, was ihr einfiel, war die mögliche Ehe. Aber nicht mit Imperiosus, der ja Salinators Klient war. Vor allem, weil letzterer mit ersterem einverstanden war. Nein, sie wollte weg. Weiter weg. VIEL weiter weg. Und so versuchte sie sich an einem Brief an Octavius Dragonum.


    Iunia Axilla Octavio Dragono s.d.


    Wir kennen uns nicht, und verzeih, wenn ich dir unaufgefordert schreibe. Ich suche einen Mann, und wollte dich fragen, ob du geneigt bist, über eine Verbindung zum Haus Iunia nachzudenken.
    Als Mitgift könnte ich dir ein Grundstück in Etruria bieten, fruchtbares Land und



    “Das ist doch alles scheiße...“ meinte Axilla zu ihrem Geschriebenen und wischte es aus. Sie versuchte es noch zwei, drei Mal, aber es kam nichts vernünftigeres dabei heraus.
    Schließlich ließ sie den Kopf auf die Tischplatte sinken und weinte noch einmal. Sie wollte gar nicht zu einem alten Kerl, den sie noch nie gesehen hatte und den sie nicht kannte. Sie wollte zu jemand anderem.


    In Tränen aufgelöst wischte sie die Wachsplatte wieder glatt und schrieb, was sie eigentlich schreiben wollte.




    Vala


    ich brauche dich. Komm zu mir. Bitte. Es ist was schlimmes passiert, und ich will dich bei mir haben. Hilf mir. Beschütz mich. Bitte.


    Es folgten noch drei weitere Worte, die aber ebenso ausgelöscht wurden wie der Rest des Geschriebenen. Axilla ist niemand, hallten seine Worte durch ihren Kopf wie Hammerschläge, und sie weinte noch einmal heftiger. Wieso konnte sie nicht einfach aufhören, an ihn zu denken? Gerade jetzt! Er würde sie doch so auf keinen Fall mehr haben wollen. Er hatte sie davor ja schon nicht haben wollen, warum sollte er das jetzt?
    Und trotzdem war er der Mensch, den sie jetzt als einzigen auf der ganzen Welt lebenden bei sich haben wollte. Und der einzige, den sie nicht darum bitten konnte.


    Nach einer Weile hatte sie sich beruhigt und nahm noch einmal die Tafel. Sie schrieb nur eine kurze Nachricht darauf.



    Ad
    Aulus Iunius Seneca
    Cohortes Urbanae


    Seneca,


    sag mir bitte, wann du das nächste Mal Zeit hast, in der Casa Iunia vorbei zu schauen. Es ist etwas geschehen. Etwas schlimmes. Und ich muss mit dir reden.


    Axilla


  • Ich sah dich, und die milde Freude
    Floß aus dem süßen Blick auf mich;
    Ganz war mein Herz an deiner Seite
    Und jeder Atemzug für dich.
    Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
    Lag auf dem lieblichen Gesicht,
    Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter!
    Ich hofft es, ich verdient es nicht!


    Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
    Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
    In deinen Küssen welche Liebe,
    O welche Wonne, welcher Schmerz!
    Du gingst, ich stund und sah zur Erden,
    Und sah dir nach mit nassem Blick:
    Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
    Und lieben, Götter, welch ein Glück!


    Johann Wolfgang von Goethe, Willkommen und Abschied


    Die Sonne tauchte das Zimmer in goldenes Licht. Es kitzelte an Axillas Nase, und erstmal zog sie ihre Decke über die Nasenspitze wieder hoch, um nicht aufstehen zu müssen. Die Decke roch noch nach Vala, und ein wohliges Seufzen entstieg der Iunia. Langsam öffnete sie die Augen und fuhr mit ihrer Hand über die Matratze weiter... und weiter... Erst, als ihr Arm schon fast gestreckt war und am Ende der Matratze fast angekommen sein musste, schlug sie die Decke doch zurück und sah sich um.


    Vala war nicht da. Ein kurzer Schmerz durchzuckte Axilla bei dieser Erkenntnis, gefolgt von einem leisen Zweifel. Hatte sie es vielleicht nur geträumt? Sie fasste sich an den Kopf, in das zerzauste Haar, und überlegte. Nein, das war kein Traum gewesen. Sie hatte sich das nicht eingebildet. Oder?
    Sie lauschte auf ihren Körper, auf den süßen, leichten Schmerz zwischen ihren Schenkeln, auf die vielen Stellen ihrer Haut, wo er sie liebkost, geküsst und festgehalten hatte. Nein, das hatte sie nicht geträumt. Sie hatte noch immer seinen Geschmack auf den Lippen. Das Bett roch noch immer nach ihm. Sie konnte das nicht geträumt haben.


    Langsam nahm sie die Hand wieder herunter. Das Zimmer war von Helligkeit durchflutet, sie saß mitten in den vormittäglichen Strahlen, die ihr die nackte Haut wärmten. Die Kissen waren etwas zerwühlter als sonst. Und ihr Kleid lag wohl noch im Garten, zumindest konnte sie es nirgends sehen. Ansonsten war alles wie immer. Die Rüstung ihres Vaters stand wie ein stummer Ankläger an ihrem Platz, auf dem kleinen Tisch lag noch die Schriftrolle, die sie gestern zu lesen angefangen hatte.
    Und doch war es alles so falsch, wie es nur hätte sein können. Axilla fing an, leicht zu zittern. Warum war er gegangen? Sie verstand es nicht. Es war so schön gewesen. Sie hatte gehofft... nicht zu hoffen gewagt, aber doch... sie wollte ihn doch noch so vieles fragen! Sie hatte so viel, was sie ihm sagen wollte. So viel, was in ihrem Herzen war. Und nach der letzten Nacht... sie hätte es ihm gern gesagt. Vielleicht nicht alles, aber wenigstens etwas. Sie wollte doch nur bei ihm sein.
    Aber er war weg. Gegangen. Und er würde noch viel weiter weg gehen, bis nach Ägypten. Wo sie ihn definitiv nicht mehr sehen konnte, bis er zurück kam. Kam er überhaupt zurück? Axilla wusste nicht einmal das, und es zerriss ihr beinahe das Herz. Sie schluchzte einmal, leise. Vermutlich war das die einzige Nacht, die sie mit Vala je haben würde, und sie war zuende. Unwiederbringlich vorbei. Und sie hatte ihr Ende einfach verschlafen. Ein Zittern ging durch ihren Körper, als sich ein paar Tränen ihren Weg nach oben kämpften.


    War es ein Fehler gewesen? Hätte sie ihn abweisen sollen, und standhaft bleiben sollen? Imperiosus, für den sie nicht diese tiefen Gefühle hegte, treu bleiben sollen? Hätte sie sich besser wie eine tugendhafte römische Frau verhalten sollen? Sie hätte nie gewusst, wie es wäre, ihn zu fühlen, zu riechen, zu schmecken. Sie hätte nie gewusst, wie es wäre, seine Haut auf ihrer zu fühlen, seine Berührung, die geraunten Worte in ihren Ohren. Sie wäre nie allein aufgewacht und würde nun weinend dasitzen.
    Und trotzdem, obwohl es wohl gnädiger gewesen wäre, Axilla konnte es nicht bereuen. Nicht wirklich. Wenn es so sein sollte, dass sie nur diese eine Nacht haben durfte, dann sollte es so sein. Und wenn es ihr das Herz zerriss, dass es nicht mehr sein konnte und durfte, sie wollte nicht auch nur einen Atemzug davon missen. Ihre Hand fischte nach einem Kissen, und sie zog es an sich. Es roch noch nach ihm, und sie schluchzte noch ein wenig mehr, während sie den Geruch wie eine Droge tief aufsaugte.


    Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie da saß, ehe sie die zaghaften Geräusche vor der Tür mitbekam. Ihre Sklaven hätten sie normalerweise schon vor Stunden geweckt und für den Tag gerichtet, aber trauten sich wohl im Moment nicht. Axilla hatte seit Archias keinen Mann mehr empfangen. Das war alles so unendlich lange her. Die Sklaven trauten sich wohl nicht, ob dieser ungewöhnlichen Umstände das Zimmer zu betreten. Sicher hatten sie mitbekommen, wie der Germane gegangen war. Wahrscheinlich wussten sie nicht, wie Axilla darauf reagieren würde. Sie wusste es ja selbst noch nicht so recht, wie sie darauf reagierte.
    Aber sie wusste, dass sie nicht ewig hier sitzen konnte und weinen. Sie musste aufstehen. Sie musste weitermachen. Und sie musste Imperiosus fragen, wann sie heiraten wollten und würden. Denn egal, was gewesen war: Das Leben ging weiter. Sie konnte die Zeit nicht anhalten. Und sie konnte Vala nicht nachreisen. Das wusste sie.
    Eine neue Schauerwelle ging durch Axillas Körper, als sie tief durchatmete und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Sie zog das Kissen noch einmal zu ihrem Gesicht und sog den Geruch tief ein, gab ihm einen sanften Kuss, als würde sie Vala zum Abschied noch einmal küssen. Denn irgendwie war es ein Abschied. Musste einer sein.


    Sie stand auf und sah noch einmal zurück auf das Bett. Die zerwühlte Decken, das Durcheinander. Sie fragte sich noch einmal, ob es richtig war, und die Antwort war eindeutig: Nein, es war nicht richtig, und dennoch bereute sie es nicht. Auch wenn der Abschied umso schwerer fiel.

  • Zunächst war es nicht auffällig gewesen. Axilla hatte dem Ausbleiben ihrer Blutung keine Bedeutung zugemessen. Das passierte schon mal, wenn sie unter starkem Stress stand. Seit der Fehlgeburt sogar noch leichter als es davor schon gewesen war. Und es war auch nichts außergewöhnliches, hatten doch viele Frauen dasselbe Problem, dass harte Arbeit oder unregelmäßige Nahrungsaufnahme einfach zu einem unregelmäßigen Zyklus führten. Selbst in hochgestellten Kreisen war es nichts ungewöhnliches. Gut, Axilla hatte meist genug Ressourcen, um vernünftig zu essen – was sie nur unter Stress nicht tat – und harte Arbeit musste sie üblicherweise auch nicht leisten. Dennoch maß sie dem nicht mehr Aufmerksamkeit zu, als dass sie es mit einem Achselzucken bemerkt hatte.
    Auch, dass ihr im Vorfeld der Hochzeit von Decima Seiana und Terentius Cyprianus schlecht gewesen war, war für sie nichts außergewöhnliches. Sie hatte die Feier verabscheut, ehe sie dort gewesen war, und allein der Gedanke an die Hände des Terentiers auf ihrer Haut verursachten ihr Schüttelfrost. Da hätte es sie eher verwundert, wenn ich nicht schlecht geworden wäre im Vorfeld der Feier.
    Und danach, nun, da hatte sie es eben noch auf die Aufregung geschoben, eine leichte Magenverstimmung, nichts ernstes. Vielleicht hatte sie zu viel getrunken, vielleicht etwas falsches gegessen, nichts Besorgniserregendes.


    Als aber nach mehreren Tagen die Übelkeit nicht verschwand und auch die nächste Blutung ausblieb, gab es keine vernünftige Erklärung mehr, die Axilla vorbringen konnte, außer der einen, die sie nicht wahrhaben wollte.


    Das durfte einfach nicht wahr sein! Die ersten paar Tage beruhigte sie sich selbst damit, dass ihre Blutung sich nur verspätet habe und sicher jeden Tag passieren würde. Und dass die Übelkeit der Aufregung zuzuschreiben war. Doch irgendwann funktionierte es nicht mehr, und so oft sie sich auch sagte, dass es nicht sein konnte, so sehr musste sie sich eingestehen, dass es so war.


    Sie war schwanger. Und das nicht von ihrem Verlobten. Sondern von einem Mann, der nicht einmal bis zum nächsten Morgen geblieben war, sondern am anderen Ende der Welt verweilte. Und der sie daher wohl nicht heiraten würde.
    Das war eine Katastrophe! Eine riesengroße Katastrophe! Was sollte sie denn jetzt machen?


    Axilla saß auf ihrem Bett, nachdem sie jetzt schon zum wiederholten Male sich eingeschlossen und einfach nur in ihr Kissen geheult hatte. Sie durfte nicht schwanger sein! Nicht jetzt! Nicht schon wieder! Das ging nicht.
    Imperiosus würde es merken! Er musste es ja merken. Ein Mann konnte doch gar nicht so blauäugig sein. Bis zur geplanten Hochzeit waren es noch mehrere Wochen, noch waren nicht einmal die Einladungen verschickt. Wenn er sie erst dann in sein Bett führte und sie schon acht Monde später ein gesundes Kind zur Welt brachte, musste er sich seinen Teil denken. Es gab zwar durchaus auch Frühgeburten, die überlebten. Nicht umsonst galt das tempus legitimum mit 181 Tage nach Eheschließung, was ja sechs Monaten entsprach. Doch würde Imperiosus das auch glauben?
    Auf der anderen Seite, welche Möglichkeit hatte Axilla? Ihm die Wahrheit zu sagen und mit der Schande leben, ein uneheliches Kind zu haben? Nicht zu heiraten? Ihrem Vetter Schande machen, indem sie die Ehevereinbarung brach? Schande über die Familie bringen, den Namen der Iunii entehren? Vielleicht ausgestoßen werden aus ihrer Gens?
    Die andere Möglichkeit wäre, das Kind nicht zu bekommen. Aber diesen Weg konnte Axilla kein zweites Mal einschlagen. Beim letzten Mal hatte es fast ihr Leben gefordert, und sie wollte nicht sterben. Sie hatte Angst, dieses Mal zu verbluten. Und sie hatte Angst, von den Göttern dafür so gestraft zu werden, dass sie nie mehr ein Kind empfangen würde, nachdem sie zwei aus ihrer Welt hatte entfernen lassen. Und irgendwo tief in ihr, trotz allem, wollte sie sein Kind nicht töten. Nicht so richtig jedenfalls.
    Was also sollte sie tun?


    Axilla brauchte lang, um ihre Gedanken zu ordnen. Sehr lange. Und mehr als einmal brach sie dabei in Tränen aus. Einen ehrenhaften Ausweg gab es nicht. Keinen, der sie überleben ließ und die Ehre ihrer Familie bewahrte. Und sie war nicht bereit, eines von beidem aufzugeben.
    Also blieb nur ein weiterer Weg, der Axilla alles andere als gefiel. Es widerstrebte ihr, ihrem ganzen Wesen, aber sie sah keine andere Möglichkeit. Aber um diesen Weg zu gehen, durfte sie nicht verheult sein. Und nicht verzweifelt aussehen. Und nicht zögerlich auftreten. Axilla schluckte. Es gefiel ihr nicht. Aber es musste wohl sein. Entweder das, oder sie ging in ihr Verderben.

  • Nachdem ihr Mann spurlos – und zwar wirklich spur-, kommentar- und grundlos – verschwunden war, war Axilla in der Casa Iunia geblieben. Nachdem ihr Vetter Silanus darauf bestanden hatte, waren auch ihre Kinder aus Ostia geholt worden und hierher gebracht worden, und eben auch nicht in die Casa Pompeia. Axilla hatte schreckliche Angst gehabt, aber glücklicherweise wenigstens den beabsichtigten Hundewelpen aufgetan. Ein süßes, schwarzes Kerlchen, das sehr verspielt gewirkt hatte. Axilla hatte es ihrem Sohn gleich gezeigt, nachdem er angekommen war. Aber Atticus hatte nur geschrien, sie angebrüllt, und war dann wutschnaubend davongerannt.


    Natürlich hatte Axilla das schwer getroffen. Sie konnte ihren Sohn in seiner Wut verstehen. Sie konnte verstehen, warum er sie hasste – denn genau das hatte er gebrüllt – und genau das machte es ja auch so schlimm. Sie hatte ihn allein gelassen. Aus welchem Grund, das war egal. Eine gute Mutter fand keinen Grund hierfür. Überhaupt hatte sie so viel falsch gemacht, zuvor schon in Ostia. Sie war nicht das, was man sich unter einer guten Ehefrau und Mutter vorstellte.
    Zwar hatte ihr Sohn den Hund letztendlich doch in sein Herz geschlossen und sein Verhältnis zu seiner Mutter hatte sich zumindest dahingehend gebessert, dass er sie mit wütendem Schweigen strafte, aber sonst wenigstens am Essen teilnahm und nicht mehr schreiend davonrannte, aber dennoch fiel es Axilla sehr schwer, mit diesem Zustand umzugehen.
    Zum Glück war Cossus da pflegeleichter. Mittlerweile konnte er laufen. Und auch, wenn er siene Mutter nicht als solche erkannte, hatte er doch sehr schnell Freundschaft geschlossen und nannte sie auch Mama – wenngleich Axilla glaubte, dass er dachte, das sei ihr Name. Dennoch war sie wenigstens ein wenig glücklich, dass sie diesen Sohn nicht verloren zu haben schien.



    Allerdings änderte sich diese ohnehin nur fragile Gleichgewichtskonstrukt in dem Augenblick, als ein paar Poststücke von der Casa Pompeia an sie in die Casa Iunia gebracht wurden. Unter anderem ein Brief von den decemviri litibus iucandis.



    Axilla hatte ihn gelesen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Noch immer wollte sie nicht verstehen, was ihr darin mitgeteilt wurde. Merula, tot? Er war doch in Ägypten! Weit weg vom Krieg! In SICHERHEIT! Nein, das konnte nicht stimmen.
    Gut, sie hatte von ihm keine neue Nachricht und überhaupt kamen Nachrichten jetzt im Winter nur ganz sporadisch Nachrichten von weiter entfernten Gegenden. Aber dennoch. Das musste einfach ein Irrtum sein. Es durfte nicht stimmen. Nicht jetzt. Nicht, nachdem sie all das getan hatte, um ihre Familie zu retten. Es durfte einfach nicht wahr sein.
    Hektisch kritzelte sie ein paar Zeilen auf eine Tabula und schickte einen Sklaven damit sofort los zu den Decemviri.

  • Und dann waren sie weg.


    Avianus hatte schon vor Wochen angekündigt, dass er mit Lucius zusammen zu Sibel aufs Land ziehen wolle. Natürlich, Sibel war die Mutter des Kindes, und sie war ohnehin schon zu lange von ihrem Kind getrennt. Und Avianus hatte auch Sehnsucht nach seiner Frau. Da war es nur logisch, dass er sich zwischenzeitlich um eine Versetzung bemüht hatte und zu ihr aufs Land ziehen wollte, seine Karriere ruhen ließ. Es war ganz natürlich.
    Und so hatte Axilla auch geholfen, alles zu packen. Hatte mit Lucius einpacken gespielt, hatte sorgsam ein Auge darauf, dass der kleine Kerl auch nichts vergaß. Er hatte die Bauklötze dabei, mit denen er so gerne Türmchen baute, und den Kreisel, bei dem er immer so sehr lachte, wenn dieser durch den Raum tanzte. Sein Holzpferdchen und den Hund, den man hinter sich her ziehen konnte. Das Schaf, das mit echtem Schaffell bespannt war und mit dem er so gerne schmuste. Die Stoffpuppe, die Axilla ihm selbst genäht hatte, die einen zu großen Kopf hatte und unterschiedlich lange Arme, die aber von Lucius geliebt und überall hin mit geschleppt wurde. Die Laterne, die er und Axilla extra für die Lychnapsia dieses Jahr gebastelt hatten. Die Schnuffeldecke aus ägyptischer Baumwolle, die eigentlich viel zu schade dafür war, nur eine Schnuffeldecke und kein teures Kleid zu sein. Aber Axilla hatte ihm den Stoff gekauft und umgenäht und ihn damit zugedeckt, als er noch ein Baby war, und seitdem war es seine Decke.
    Und als sie gegangen waren, hatte Axilla den kleinen Mann noch auf dem Arm gehalten und an sich gedrückt, dieses kleine, zarte, warme Wesen, das ein Loch in Axillas Herz gefüllt hatte, von dem sie zuvor nicht gewusst hatte, dass es da war. Sie hatte ihn an sich gedrückt, an seinen Haaren gerochen, die so sehr nach ihm rochen, ihm noch einen Kuss gegeben und ihn dann seinem Vater in den Arm gedrückt. Es war schwer, nicht zu weinen, als Lucius ihr zum Abschied fröhlich zuwinkte. Er war noch zu klein, um zu verstehen, dass er am Abend nicht wieder hier her kommen würde. Dass es vermutlich eine lange Zeit sein würde, ehe er seine schrullige Tante wiedersehen würde.


    Und dann waren sie weg. Und das Haus war schrecklich still. Ein aufgeregtes Lachen und Kreischen, weil man einem Hund hinterherjagte. Kein Klappern im Hof, weil kleine Finger am Hasenstall herumfingerten, um einen Hasen zu streicheln, und der kleine Körper sich dazu auf die Zehenspitzen stellen musste. Kein wildes Platschen am Impluvium im Atrium, weil man probieren wollte, ob Bauklötze schwimmen konnten. Keine kleinen Füßchen, die wie eine ganze Elefantenherde über die Galerie bei den Schlafzimmern stapften. Kein lautes Rufen in der Nacht, weil man schlecht geträumt hatte und zum wiedereinschlafen ein Lied brauchte. Kein Protestieren, weil man noch nicht schlafen wollte. Kein wildes Kichern, während man Fangen spielte. Nichts. Nur eine gewaltige Stille.


    Und Axilla lag auf ihrem Bett und weinte, weil sie diesen kleinen Menschen so unendlich vermisste.

  • Einige Tage waren vergangen. Natürlich hatte Axilla diese nicht vollständig heulend im Bett verbringen können. Ein Haushalt verließ sich auf sie. Ihre Kinder verließen sich auf sie. Und hierfür musste sie funktionieren und konnte sich eben nicht einer Elegie der Gefühle hingeben.
    Aber nachts, wenn alles getan und das Haus ruhig war, lag sie meistens wach und ließ ihre Gedanken kreisen. Meistens kreisten sie um den kleinen Lucius, aber nachdem sie sich an das Loch in ihrem Herzen gewöhnt und den Schmerz wie einen alten Bekannten willkommen heißen konnte, drifteten ihre Gedanken auch zu anderen Dingen und Entscheidungen, die sie viel zu lange aufgeschoben hatte. Vor allen Dingen zu ihrem Mann.
    Im Grunde genommen war ihre Ehe eine Farce, ein Ding, das nur in den Archiven der Regia Bestand hatte. Wann hatte sie ihren Mann zuletzt gesehen? Wann hatte sie ihn zuletzt in ihrem Bett gehabt? Axilla hatte sich damit abfinden können, dass ihr Körper sich nach einem Mann sehnte, nach Berührung sehnte. Zumindest hatte sie geglaubt, damit zurecht kommen zu können. Die letzten Jahre – ihre besten Jahre, eigentlich – war sie damit auch zurecht gekommen. Sie hatte schon eine Weile nicht mehr darüber nachgedacht, wie es wäre, diesen oder jenen Mann in ihrem Bett zu haben, hatte diese Thematik einfach ignoriert und verdrängt.
    Aber jetzt wurde ihr klar: Sie wollte noch einmal Mutter sein. Sie wollte noch einmal dieses Wunder erleben, ein kleines Kind aufwachsen zu sehen, einen kleinen Menschen aufwachsen und die Welt entdecken erleben. Ihre Kinder jetzt waren schon so groß, sie brauchten sie einfach nicht mehr so wie ein Baby einen brauchte, sahen sie nicht mehr so voller unablässiger Liebe und Bewunderung an, wie Lucius das noch getan hatte. Noch war Axilla nicht zu alt, das noch ein Mal zu erleben, aber viel Zeit hatte sie hierfür nicht mehr. Und um Mutter zu sein, brauchte sie auch nochmal einen Mann, den sie jetzt auf zweierlei Arten schmerzlichst vermisste. Und um das zu haben, musste sie sich scheiden lassen. Dass ihr Mann jemals wieder zurückkehren würde, daran glaubte Axilla nicht mehr. Und selbst wenn, glaubte sie nicht, dass sie ihm sein jahrelanges Verschwinden jemals wirklich verzeihen konnte. Also blieb nur eine Scheidung.


    Als Axilla an diesem Morgen nach einer weitestgehend schlaflosen Nacht aufstand, stand ihr Beschluss fest. Allerdings war dies nichts, was sie kopflos überstürzen wollte, sondern sorgsam planen wollte. Zuallererst also hieß das, das eigene Kapital möglichst zu erhöhen. Also schrieb sie einen kleinen Brief.

  • Da ich an diesem Tag in der Kanzlei eingespannt war, mich aber mein Leibsklave Sosistratus an die baldige Hochzeit erinnerte und drängte, die Gästeliste fertigzustellen, ließ ich ihn eine kurze Notiz an meine zukünftige Ehefrau überbringen.


    Axilla,


    gerne hätte ich diese Angelegenheit mit dir persönlich besprochen, aber meine Arbeit und der Umbau der Domus Carteia fordern im Moment meine volle Aufmerksamkeit.


    Unsere Hochzeit rückt näher, daher bitte ich dich um eine Liste der Gäste, die du zu unserem Fest laden willst.


    Mein Sklave Sosistratus wird sich dann um die Einladungen kümmern.

  • Zwei Tabulae hatte sie in der Hand. Vorsichtig sah sie ins cubiculum. Niemand da, das war sehr gut. Tuca legte die Tabula auf das Bett und verschwand wieder.



    An
    Domina Iunia Axilla
    Domus Iunia



    Du bist ANTE DIEM IV NON IUN DCCCLXVIII A.U.C. (2.6.2018/115 n.Chr.) herzlichst zu einer kleinen ungezwungenen Feierlichkeit, im Hortus des Domus Iunia, eingeladen. Es sind nur die weiblichen Mitglieder der Familie zugegen.



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