Mens sana in corpore sano - Taberna Medica Decima

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Seine simple Zusicherung, dass er nichts sagen würde, schien ihr zu reichen – in jedem Fall fragte sie nicht nach, weder ob er auch tatsächlich nichts sagen würde, noch warum er es nicht tun würde. Oder warum sie ihm glauben sollte. Es reichte ihr schlicht, und Crios dachte nicht weiter darüber nach, warum das so war. Vielleicht wirkte er einfach so glaubwürdig. Vertrauenerweckend. Ein Arzt musste ohnehin so wirken, und er… war vielleicht ein Naturtalent. Ein klitzekleines bisschen von sich eingenommen war Crios in der Tat. Allerdings stand er immer noch vor einem Rätsel, was in Axillas Kopf wohl gerade vor sich gehen mochte. Sie sagte einfach nichts! Wie um alles in der Welt sollte er ihr denn dann bitte helfen? Dass sie zumindest ein wenig positiver gestimmt zu sein schien, brachte ihn da auch nicht weiter. Gerade wollte er erneut etwas sagen, als sie doch noch das Wort ergriff. Und diesmal zogen sich Crios’ Brauen ein wenig zusammen. Er begriff, was sie meinte. Es gehörte nicht viel dazu, um zu verstehen, wovon sie sprach – selbst wenn sie nicht gestottert hätte. Wenn sie wirklich schwanger war, gab es für sie nicht viele Möglichkeiten, und für den einen, natürlichen Weg würde sie kein Mittel brauchen. Crios schloss kurz die Augen, senkte den Kopf und öffnete sie dann wieder, um für einen Moment auf den Boden zu starren. „Es gibt Wege, ja“, antwortete er, immer noch ruhig, aber diesmal war sein Tonfall… anders. Immer noch wertfrei, aber… zurückhaltender. Ein wenig Bedauern mochte auch hörbar sein. Und etwas Widerstreitendes… der Funken eines Konflikts, den sie mit ihrer einfachen Frage von einem Moment auf den anderen in ihm entzündet hatte. „Ich kenne Wege“, verdeutlichte er dann noch einmal, um auf ihre Frage konkret zu antworten. Er half ihr nicht, wenn er vage blieb. „Allerdings…“ Crios seufzte. Genauso wenig wie er anderen etwas erzählen durfte über das, was sie ihm anvertraut hatte, konnte er ihr bei dem helfen, was sie nun offenbar anstrebte. Der Eid war deutlich. Und davon ganz abgesehen wollte er nicht bei so etwas behilflich sein. Andererseits wollte er aber Menschen helfen, und sie brauchte Hilfe. Die Verzweiflung war deutlich zu sehen in ihren Augen, ebenso wie die plötzliche Hoffnung. „Ich kann das nicht. Ich darf das nicht. Und, offen gestanden, ich will es auch nicht.“ Er presste die Lippen aufeinander. Sie war zu ihm gekommen, oder besser, hierher in die Taberna, weil sie Hilfe brauchte, und das hieß, dass er in gewisser Weise verantwortlich für sie war. Arzt sein hieß, Verantwortung zu tragen für die, die zu einem kamen. „Du solltest dir das noch mal überlegen. In Ruhe, meine ich. Länger als nur ein paar Augenblicke. Wenn du… das tatsächlich willst, immer noch, meine ich…“ Crios zögerte noch einmal kurz, dann gab er sich einen Ruck. Es war immer noch besser, als wenn sie auf eigene Faust irgendetwas ausprobierte. „Kann ich womöglich jemanden finden, der dir hilft. Jemand, der kein Pfuscher ist.“




  • Als sie mit reden geendet hatte, betrachtete der junge Arzt erstmal ausgiebig seine Füße. Axilla stand einfach nur still und regungslos im Raum, als könnte jede noch so kleine Bewegung dazu führen, dass hier schon alles über ihr einstürzte. Sie hatte Angst. Was sollte sie machen, wenn er nein sagte? Was sollte sie machen, wenn er sie gar erpresste? Axilla wusste, dass sie oft weltfremd und naiv war, dass sie impulsiv und unüberlegt handelte. Aber sie war nicht dumm, und erst recht nicht dumm genug, um nicht zu wissen, welche Gefahr für sie theoretisch bestand. Crios musste nur ehrgeizig sein, oder ein bisschen skrupellos, und sie wäre ihm im Moment ausgeliefert. Das wusste sie, und sie hatte auch Angst davor. So sehr sie ihm vertrauen wollte – und es auch tat – sie hatte im Moment einfach vor allem Angst.
    Schließlich sprach er doch, und im ersten Moment atmete Axilla so erleichtert und hörbar aus, dass sie selber darüber erstaunt war, offenbar den Atem angehalten zu haben. Er kannte also das richtige Mittel? Das war doch großartig! Aber was hatte er denn jetzt? Warum druckste er so herum? Hatte sie etwas falsches gesagt? Und je mehr er sprach, umso mehr drängte sich Axilla wieder die Verzweiflung auf. Er wusste das Mittel, und wollte es ihr nicht geben? Weil er es nicht konnte? Und weil er auch gar nicht wollte?! War das sein Ernst? Sie sollte es sich überlegen?
    “Was gibt es da zu überlegen?“ fuhr sie ihn fassungslos an. Er tat so hilfsbereit und mitfühlend, und jetzt sagte er so einen Blödsinn! Hilflos breitete Axilla die Arme aus, weil sie nicht fassen konnte, warum er so war. Sie verstand es nicht. “Was denkst du, was ich da überlegen sollte? Ich darf nicht schwanger sein. Verstehst du das denn nicht?“
    Fast perplex warf sie die Arme in einer hilflosen Geste in die Luft, dass es schon Ähnlichkeit mit einem flatternden Vogel hatte. “Was soll ich denn sonst machen? Wie stellst du dir das denn vor? Dass ich meine Ehre wegwerfen soll, und die meiner Familie gleich mit? Mein Vater hatte keine Söhne. Ich muss einen ehrbaren Sohn irgendwann zur Welt bringen, der ihn in seine Ahnenreihe aufnimmt, damit er nicht in der Lethe verschwindet! Wie soll das bitte gehen, wenn ich... Nein, das geht nicht!“
    Je mehr sie redete, umso mehr wurde die Bestürzung zu Wut, und Axilla fand wieder die Kraft, ihn nicht nur anzusehen, sondern regelrecht anzufauchen. Sie hatte Angst, und er war jetzt ihr Ventil, das sie brauchte, um nicht vor Angst zu zerspringen. Er war eine Ablenkung von dem viel schwerwiegenderen Problem, das sie eigentlich hatte. Selbst wenn er ihr helfen würde... sie war von Archias schwanger! Sie wusste, dass es stimmte, auch wenn sie es immernoch leugnen wollte. Das war kein Spiel mehr, kein Spaß. Das war ernst. Das war verdammt ernst. Und egal, was passieren würde, sie würde wissen, dass sie von ihm ein Kind erwartet hatte. Auch wenn es nur kurz sein sollte, sie und er... allein der Gedanke war erschreckend. Und doch löste er eine kleine Sehnsucht in ihr aus, die sie nicht haben wollte.
    Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken daran zu vertreiben. “Dann sag mir, wo ich hingehen muss, wenn du mir schon nicht helfen willst. Ich will nur meine Kräuter, und du musst mich nie mehr wieder sehen.“

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Crios bemerkte durchaus, irgendwie, dass die Iunia unter einem gewaltigen Druck zu stand. Sie schien die Nervosität, beinahe Angst beinahe in Wellen auszustrahlen, konzentrische Kreise, deren Mittelpunkt sie war. Es war auch nicht schwer zu begreifen, warum das so war – oder es sich vorzustellen, wie es ihr wohl gehen mochte. Nicht wenn er Recht hatte mit seiner Vermutung, dass sie alleinstehend war, und die Tatsache dass sie auf seine Frage dahingehend gar nicht geantwortet hatte, war eigentlich auch schon wieder ein Beweis für sich. Auf seine Worte allerdings reagierte Axilla nun sehr heftig, und Crios fühlte sich hilflos. Hatte er das Falsche gesagt? Sicher hatte er das. Iaret hätte vermutlich die richtigen Worte gefunden, hätte das ausgesprochen, was die Iunia wohl dazu gebracht hätte, wenigstens zu zögern, sich auf ein weiteres Gespräch einzulassen, irgendetwas. Aber er war da nicht so gut darin. „Da gibt es-“ eine Menge zu überlegen, hatte er sagen wollen, aber Axilla sprach schon weiter, scheinbar ohne seinen Einwurf gehört zu haben. Und nun starrte Crios sie einfach nur an, während aus Axilla ein ganzer Schwall an Worten hervorbrach, der zunehmend wütender wurde. Er hatte ja Verständnis für sie und ihre Lage, von Anfang an gehabt, aber das jetzt… Ganz so… kompliziert hatte er sich die Lage dann doch nicht vorgestellt, musste er zugeben, wenigstens vor sich selbst.


    „Du… nun…“ Das mit dem Vater war ein Argument. Ein verdammt gutes Argument. Er konnte das nachvollziehen – er selbst kannte seine Eltern kaum, weil sie ihn schon früh fortgegeben hatten, mit Iaret. Eine einfache Familie mit mehr Mäulern, als sie stopfen konnten, da waren seine Eltern froh gewesen, als der Iatros angeboten hatte, einen ihrer Söhne mitzunehmen und auszubilden, solange er sich nicht ausgerechnet den ältesten aussuchte. Nein, was seine eigenen Eltern betraf, hegte Crios keine Gefühle wie Axilla gegenüber ihrem Vater. Aber falls Iaret etwas zustoßen sollte… würde er auch alles versuchen, um ihm Ehre zu erweisen. Was also sollte er dagegen sagen? Dass sie es sich unter diesen Umständen vielleicht vorher hätte überlegen sollen, was sie tat? Das konnte er nicht sagen, und das stand ihm auch gar nicht zu, das wusste er – weder als Peregrinus noch als Arzt. Und er wollte ihr zwar helfen, jetzt beinahe noch mehr als zuvor, aber andererseits war er gebunden. Und wenn er ihr jetzt, sofort, sagte zu wem sie gehen konnte, dann wäre es doch genauso als wenn er ihr die Kräutermischung hätte. Er konnte das nicht einfach so. Plötzlich wünschte er sich Iaret herbei. „Hör zu, du… Du hast doch sicher mehr Möglichkeiten als diese eine. Ich meine, über die es sich nachzudenken lohnt, wenigstens.“ Crios stieß sich vom Tisch ab, und nun war er es, der ein paar Schritte ging. „Was ist mit dem Vater? Sollte der nicht davon wissen?“ Immerhin lag die Entscheidung doch letztlich beim Vater. Aber im Grunde hoffte Crios damit nur Zeit zu schinden. „Und, weißt du, das ist nicht ungefährlich. Egal welchen Weg du wählst, es kann sein, dass es schadet. Ich meine, nicht nur dem Kind, sondern dir. Ernsthaft schadet.“




  • Natürlich merkte Axilla, dass Crios mehrfach versuchte, einen Einwand unterzubringen, aber sie ließ das nicht zu. Und wie die meisten war er zu höflich, um in ihren Redeschwall einfach dazwischenzubrüllen, und so ließ sie ihre ganze, verzweifelte Schimpftirade einfach auf ihn los. Erst, als sie geendet hatte und heftig atmend dastand, sich den schmerzenden Kopf mit einer Hand leicht hielt, kam er dazu, wirklich etwas zu sagen. Er löste sich von seinem Tisch und verringerte so die Distanz zwischen ihnen beiden. Axilla hörte ihm zu und war sich unsicher, ob sie lachen oder doch besser heulen sollte. Der Vater...? Oh Götter, nein, das durfte erst recht nicht sein. Der machte am Ende noch einen schrecklichen Blödsinn. Vielleicht sagte er deswegen noch die Hochzeit ab. Oder – und davor hatte Axilla noch am allermeisten Angst – sie würde ihn verlieren, weil er sie nicht mehr sehen wollte.
    “Nein, er sollte nicht davon wissen“, meinte Axilla sehr resignierend und fing wieder damit an, ein wenig zu laufen. Sie fühlte so eine große Unruhe in sich, da konnte sie nicht stehen bleiben. Am liebsten wollte sie laufen, laufen, laufen, bis jeder Muskel in ihrem Körper weh tat, bis ihre Lunge bei jedem Atemzug brannte und in ihrem Kopf kein einziger Gedanke mehr war, nur noch das Rauschen ihres Blutes. Sie sehnte sich danach. Sie sehnte sich nach ihrem Baum, zu dem sie flüchten konnte und dann nicht mehr war als eines der unzähligen Eichhörnchen in seinen Wipfeln. Sie wollte keine schwangere Frau sein, sie wollte einfach nur ein Naturgeist sein. Nur leider war sie keiner.
    “Er... er liebt mich nicht, er... er heiratet demnächst. Er würde nicht... nein, er sollte nicht davon wissen.“ Axilla wusste nichtmal, warum sie Crios das erzählte, aber sie musste einfach etwas sagen. Ihr ganzer Kopf wollte platzen. Da konnte sie nicht ruhig sein.


    Als er meinte, es sei gefährlich, musste Axilla doch lachen. Es war aber weniger belustigt, sondern eher wie das verrückte Lachen, wenn man verstand, dass man sterben würde. Und Axilla hatte mehr Angst vor dem Leben als dem Tod.
    “Kennst du meine Familiengeschichte? Die ehrenvollen Iunier, die die Republik gegründet haben. Und weiß du auch, wie es dazu kam? Lucretia, die edelste der Römerinnen, hat sich selbst umgebracht, weil sie vergewaltigt worden war, obwohl ihr Vater und ihr Bruder sie für unschuldig erklärten. Darauf beruht meine Familie, auf dieser Tat, und der Vergeltung hierfür. Darauf beruft sich jeder in unserem Geschlecht. Und jetzt sag mir, Crios, welche Möglichkeit ich habe. Und ob ich Angst davor haben sollte, wenn ich dabei sterbe, wo ich mich deshalb doch eigentlich umbringen sollte, weil ich Schande über meine Familie gebracht habe.“
    Axilla hatte schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, sich in das Schwert ihres Vaters zu stürzen, als sie Liebeskummer wegen Silanus gehabt hatte. Aber sie hatte sich nicht getraut. Und auch jetzt traute sie sich das definitiv nicht. Aber das Risiko, dass ihr der Kräutertrank, den sie trinken musste, schaden könnte, das war etwas, was sie einfach eingehen musste.

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Dass Axilla kaum wollen würde, dass der Vater des Kindes von der ganzen Sache erfuhr, war Crios im Grunde klar gewesen. Wenn sie ihn tatsächlich hätte einweihen wollen, wenn sie ihm ein Mitspracherecht in dieser Entscheidung hätte zugestehen wollen, dann hätte sie das von Anfang an in Erwägung gezogen. Ihr Liebhaber heiratete also demnächst. Eine andere, das war deutlich. Crios unterdrückte ein Seufzen. Es wäre ja so schön gewesen, so schön einfach vor allem, für ihn jedenfalls, in diesem Moment, wenn die Sache mit dem Hinweis auf den Kindsvater funktioniert hätte. Aber das Leben war selten schön einfach, das hatte er eigentlich von Iaret schon längst gelernt. Das hinderte Crios in aller Regel nicht daran, das Leben trotzdem, nun ja, einfach zu nehmen, was bei ihm hieß: locker. Er machte sich nicht allzu viele Gedanken, nicht über seine Zukunft oder Planungen für diese oder etwas in der Art. Und meistens klappte das auch, weil Crios selbst ein recht unkomplizierter Mensch war. Aber manchmal holte ihn dann eben doch die Realität ein, und wenn es nur die Realität anderer Menschen war, die nicht so unkompliziert waren wie er – oder deren Leben nicht so unkompliziert war.


    Als Axilla dann anfing zu lachen, wurde Crios’ Unwohlsein zu Besorgnis. So lachte niemand, der noch recht bei Sinnen war. In diesem winzigen Augenblick wusste er nicht, ob es besser war, ihr nicht einfach eine Kräutermischung anzufertigen und sie gehen zu lassen, weil er keine Ahnung hatte, was sie als nächstes anstellen würde. Womöglich wurde er noch in irgendetwas hineingezogen. Andererseits, wurde er das nicht auch, wenn er ihr bei ihrem Vorhaben half – noch dazu ohne dass ihre Familie davon wusste? Wie war die römische Gesetzeslage in dieser Hinsicht? Crios hatte keine Ahnung, weil sich ihm diese Frage noch nie gestellt hatte, aber letztlich war das für ihn auch nicht ausschlaggebend für seine Entscheidung. Dann schon eher, was Iaret mit ihm anstellen würde, wenn er davon erfuhr. Crios presste die Lippen aufeinander, während Axilla ihm ein Bild von dem zeichnete, was ihre Familie ausmachte. Er holte Luft, um etwas zu sagen, aber hatte es schon zuvor nichts gegeben, was er hätte erwidern können, gab es hier noch weniger als nichts. Was hatten die Römer nur mit ihrer Ehre? Gut, es war falsch das nur den Römern zuzuschieben, Crios wusste dass andere Völker – seines eingeschlossen – genauso waren. Aber er selbst konnte damit nicht sonderlich viel anfangen. Nicht wenn jemand sich selbst oder einem anderen das Leben nahm, nur wegen eines abstrakten Konzepts. Er öffnete wieder den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn dann wieder. Und ein weiteres Mal. In diesem Moment musste er wohl aussehen wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Ich kann nichts damit anfangen, wenn jemand aus so was tut. Noch dazu aus solchen Gründen“, meinte er, zum ersten Mal schroff, und zum ersten Mal wertend. Dann wandte er sich mit einem Ruck von ihr ab und starrte in Richtung des kleinen Altars, bevor er sich ebenso abrupt wieder ihr zuwandte. „Ich meinte damit nicht, dass du sterben könntest. Ich meine, das kann auch passieren, sicher, aber… Dass du überlebst, ist nicht so unwahrscheinlich, aber du könntest Schäden davon tragen.“ War das der Fall, dann war, wenn er sich nicht irrte, derjenige verantwortlich, der den Trank gegeben hatte. Also er. Wenn er ihr denn half. Aber er sah keinen Weg mehr aus dieser Sache heraus. Er kannte niemanden, niemanden dem er vertraute, hieß das, der der Iunia helfen würde und konnte in dieser Sache. Iaret… er wusste nicht, ob der ihr helfen würde. Und wenn er ihn einweihte und der Alte sich dagegen entschied, mussten sie sie doch wegschicken. Für wen war er mehr verantwortlich, sie und ihr Leben oder das ihres Kindes, das noch nicht einmal geboren war, das keinen eigenen Rechtsstatus hatte, und einen Eid – also letztlich nicht mehr als Worte – den er geleistet hatte? Und: wenn sie so oder so fest entschlossen war, dann gab es für das Kind ohnehin keine Chance mehr. War es da nicht besser, er half ihr, anstatt dass sie am Ende doch an einen Stümper geriet, bei dem die Gefahren für sie um ein Vielfaches höher liegen würden? „Manche Frauen können danach keine Kinder mehr kriegen.“




  • Er konnte damit nichts anfangen? Was bitte sollte das jetzt heißen, und was hieß 'aus solchen Gründen'? Männer! Für die war es ja auch sehr einfach, da krähte kein Hahn danach, und wenn sie 50 uneheliche Kinder hatten. Sie konnten ja sogar das Kind dann einfach nicht annehmen und waren ganz aus dem Schneider. Kein Gesetz zwang einen Mann, seinen Bastard anzuerkennen. Im Grunde war das das Problem der Frau, und wenn die ein uneheliches Kind hatte, war sie für die meisten Männer nicht mehr als Heiratskandidatin geeignet. Wer wollte schon eine Frau, der der Hauch der Untreue anhaftete?
    Unfruchtbarkeit stellte er ihr in Aussicht, und etwas in Axilla verkrampfte sich bei dem Wort. Natürlich hatte sie davor Angst. Sie brauchte einen Sohn, unbedingt, der den Namen ihres Vaters in seine Ahnenreihe aufnehmen würde. Das war das größte und wichtigste in ihrem Leben. Und wenn sie keinen mehr gebären könnte, das wäre für sie das schlimmste. Aber... was, wenn das Kind jetzt auf die Welt kam? Wenn es gar ein Mädchen war? Wie standen ihre Chancen dann?
    “Was denkst du, wie viele eheliche Kinder ich noch haben werde, wenn ich es nicht tue?“ fragte sie daher fast schon rhetorisch und schüttelte den Kopf. Sie glaubte nicht, dass Crios ihr noch helfen würde, aber vielleicht kannte er ja doch jemanden, so dass ihr die peinliche Suche auf den Märkten der Stadt erspart bleiben würde. “Es gibt keinen anderen Weg. Hilfst du mir jetzt, oder nicht? Wenn nicht, muss ich nämlich los.“
    Axilla schaute mit gefasstem Ausdruck zu ihm auf, und in ihren Augen spiegelte sich eine Hoffnung, die aber nur allzu leicht in Resignation übergehen mochte. Sie wollte nicht weiter darüber reden, und erst recht nicht darüber nachdenken. Das brachte nur Kopfschmerzen. Und sie hatte schon genug, was ihren Schädel zum Bersten bringen wollte.

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Sie blieb bei ihrer Meinung. Crios konnte sehen, dass ihr seine letzte Bemerkung zwar beileibe nicht gefiel, aber dass es auch nichts änderte an ihrer Entscheidung. Bei den Göttern… Sie schien fest entschlossen zu sein. Und er… Crios rieb sich kurz das Kinn, während Axilla erneut sprach. Er hatte keine Ahnung, wie ihre Chancen auf eine Ehe standen, wenn sie jetzt einem Bastard das Leben schenkte. Er dachte, dass sich sicher irgendetwas machen ließe, nicht jetzt sofort, aber sie war ja noch jung… Aber so sehr hatte er sich nie für das Leben der römischen Oberschicht interessiert. Und ohnehin würde es nichts bringen, egal was er sagte – sonst hätte sie sich schon vorher von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Ein Muskel zuckte in seiner Wange, während er sie einen Augenblick lang einfach nur schweigend ansah. Er konnte nicht wirklich nachvollziehen, was gerade in ihr vorgehen mochte – er versuchte es zwar, sicher, aber er konnte es einfach nicht, waren ihm doch Grenzen gesetzt, die er nicht zu überschreiten vermochte. Er war noch nie in seiner derartigen Situation gewesen, noch nicht einmal in einer vergleichbaren. Und er würde auch nie eine solche Lage kommen, nicht in diese. Axilla umgekehrt allerdings konnte wohl auch kaum nachvollziehen, was in Crios gerade vorging – dass er ebenso vor einer Entscheidung stand, die ihm zu schaffen machte. Vielleicht konnte sah sie etwas davon in seinen Augen, vielleicht auch nicht, beschäftigt wie sie mit ihren eigenen Problemen gerade war. Crios in jedem Fall erwiderte ihren Blick, grüne Augen und blaue, die sich anstarrten – und schließlich nickte er langsam. Im nächsten Moment schloss er die Augen, und als er sie wieder öffnete, hatte er den Kopf ein wenig abgewandt und sah sie nicht mehr an. „Ich helfe dir. Warte einen Moment.“


    Ohne noch etwas zu sagen, und ohne darauf zu achten, ob sie tatsächlich wartete, verschwand Crios nach hinten in den Lagerraum. Und dort stützte er erst mal die Arme auf den großen Tisch und atmete tief durch. Er war sich nicht sicher, ob er hier das Richtige tat. Ganz und gar nicht. Aber er konnte sie nicht einfach gehen lassen, nicht wenn sie dann zu einem Pfuscher ging. Und ihren Standpunkt hatte sie klar gemacht. Crios blieb noch einen Moment so stehen, dann schob er in einer bewussten Anstrengung die Gedanken weg und machte sich an die Arbeit. Es gab einige Mittel, verschiedene, die helfen würden, allerdings hatte Crios für sich schon beschlossen, dass er ihr einen Trank mischen würde. Und er wusste im Grunde, was er verwenden musste, aber um sicher zu gehen, holte er doch die Materia Medica von Dioskurides hervor, die Iaret hier aufbewahrte. Er blätterte rasch durch, sah die entsprechenden Stellen nach, zögerte noch einmal. Dann holte er eine Amphore Nieswurzwein, der die Basis für den Trank darstellen würde. Als nächstes folgten eingelegter Enzian und abgekochte Salbeiblätter. Wieder ein Zögern. Er wollte ihr nichts zusammen mischen, was sie ernsthaft in Gefahr bringen würde. Andererseits sollte es aber auch wirken. Drei Zutaten gab es, zwischen denen er schwankte – die weiße Rebe, von der es allerdings hieß, dass sie verrückt machen konnte; Hasenlab, das Unfruchtbarkeit bewirkte und er darüber hinaus ohnehin erst würde besorgen müssen; und Osterluzei. Was giftig war. Crios biss die Zähne aufeinander und entschied sich schließlich für letzteres.


    Er wusste nicht, wie lange er im Lagerraum gewesen war, bevor er wieder hervorkam zu Axilla, mit einer geschlossenen Amphore in der Hand. Er betete zu den Göttern, allen die er kannte, und allen die ihm unbekannt waren, dass er das richtige Verhältnis gemischt hatte – dass es ihr nicht schaden würde. Angenehm würde es keinesfalls für sie werden, nicht wenn Luzei im Spiel war, aber es durfte nicht zu viel sein. Das durfte es einfach nicht. Crios zögerte noch einen winzigen Moment, dann hielt er ihr die Amphore hin. „Du solltest Zeit einplanen.“ Irgendwie hatte er das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. Crios räusperte sich. „Es wird nicht kurz, und nicht angenehm. Wenn… wenn es jemanden gibt, dem du vertrauen kannst, dann… Du solltest nicht allein sein, meine ich. Es wäre gut, wenn jemand da ist, der… der dir zur Seite steht. Und dir helfen kann. Falls was ist.“




  • Eigentlich war sich Axilla sicher, dass Crios es ablehnen würde. Er hatte so darum gekämpft, dass sie ihre Meinung änderte, dass sie sich einfach nicht vorstellen konnte, er würde ihr helfen. Sie glaubte, dass er sie nichtmal verstand, so wie er auf sie einredete von wegen und andere Lösung. Aber welche Lösung hatte sie schon? Wenn sie verlobt gewesen wäre, hätte sie mit ihrem anvertrauten einmal schlafen können, um ihn so glauben zu machen, das Kind wäre von ihm. Wenn Archias nicht Seiana, sondern sie lieben würde, hätte sie es ihm sagen können und darauf hoffen können, dass er sie heiraten würde. Sie liebte ihn zwar nicht, aber sie mochte ihn wirklich sehr gern, und das genügte ihr. Aber es war nunmal, wie es war, und sie sah wirklich keinen anderen Weg.
    Dann aber überraschte er sie doch und sagte zu! Axilla stand einen Moment nur perplex da und kam so gar nicht dazu, etwas zu sagen, als er sich plötzlich verabschiedete. Ihr blieb nicht viel anderes übrig, als sich wieder hinzusetzen, und zu warten.


    Die ganze Zeit rutschte Axilla unruhig hin und her. Sie mochte es nicht, allein zu sein. Wenn sie niemanden hatte, um sich abzulenken, rasten ihre Gedanken, und sie wollte nicht denken. Im Moment weniger als sonst. Sie wollte sich keine Gedanken darum machen, ob sie es tun durfte, wollte sich keine Gedanken darum amchen, ob sie damit eigentlich ihr Kind tötete. Sie wollte sich auch keine Gedanken darum machen, ob sie es Archias sagen sollte, auch nicht, ob sie es hinterher tun sollte. Sie wollte nicht darüber nachdenken, ob sie damit für den Rest ihres Lebens umgehen und es verschweigen könnte. Sie wollte nicht daran denken, was passieren würde, wenn es dennoch aufflog.
    Aber sie tat es.


    Als Crios wiederkam, war es in mehrerer Hinsicht eine Erlösung für Axilla. Vorsichtig nahm sie die Phiole entgegen und hörte sehr genau zu, was er sagte. Unangenehm würde es werden, und sie brauchte jemanden, dem sie vertraute. Nicht allein sollte sie es machen.
    Sie sah kurz etwas zweifelnd hoch, dann nickte sie. “Wieviel...hrrm...wieviel Zeit muss ich einplanen?“
    Wenn sie kurz krank wäre, wäre das noch mit einer Ausrede zu bewerkstelligen. Und Leander konnte sie vertrauen, er würde ihr helfen. Jemand anderen wollte sie nicht unbedingt mit hineinziehen in die Sache. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Zwar dachte Axilla kurz an Serrana, aber sie wusste nicht, wie ihre Cousine reagieren würde, wenn Axilla ihr offenbarte, dass sie schwanger war und das Kind abtreiben wollte. Daher würde ihr griechischer Sklave dafür herhalten müssen.

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Crios fühlte sich nicht wohl bei der Sache. Er fühlte sich gar nicht wohl. Er war sich so… unsicher, ob es richtig war, was er tat. Und Crios war ein Mensch, der sich selten unsicher fühlte, selten Zweifel hatte – sein Leben war einfach und überschaubar, nicht einmal so sehr deswegen, weil er so simpel wäre, sondern weil er es einfach und überschaubar hielt. Wann immer es ging, hieß das, denn dass es nicht immer ging, schon gar nicht als Arzt, war ihm auch klar. Und wenn es dann mal nicht mehr ging, dann… fühlte er sich so ziemlich aufgeschmissen. Aber er hatte sich entschieden. Er würde ihr helfen. Er hoffte nur so sehr, dass er das Richtige tat.


    Er räusperte sich ein weiteres Mal, kaum dass Axilla ihre Frage gestellt hatte. „Das ist… schwer zu sagen. Je nachdem wie heftig der Trank bei dir wirkt…“ Crios presste die Lider zusammen und gab sich dann einen Ruck, während er sie wieder ansah. Es half nichts. „Du solltest den Trank am besten nachmittags einnehmen. Es kann eine Weile dauern, bis er zu wirken anfängt… aber dann wirst du Krämpfe bekommen. Und sie können die ganze Nacht andauern.“ Er wich ihrem Blick erneut aus, taxierte kurz den Boden. Bei den Göttern, er war doch eigentlich Arzt, weil er Menschen gesund machen wollte, nicht krank! Etwas hilflos hob er eine Hand und kratzte sich am Hals, knapp unterhalb seines Ohrs. „Du… wirst auch bluten, recht stark sogar, wenn die Hauptwirkung einsetzt. Nach der Nacht sollte das Schlimmste eigentlich vorbei sein, allerdings kann es dann noch ein paar Tage dauern, bis dein Körper sich vollständig erholt hat, von dem Gift darin, und dem Blutverlust. Das kann dann allerdings auch… eine normale Krankheit verursacht haben. Nur die Zeit der Krämpfe und des Blutens, das… könnte Außenstehende denken lassen, du wärst wirklich schwer krank, und würden wohl einen Iatros rufen dann.“ Er machte eine kurze Pause, in der er sie nun endlich wieder richtig ansah, nicht nur flüchtig, und sie musterte. Er hatte ihr den Trank gegeben, jetzt trug er auch die Verantwortung. „Hör zu, wenn irgendwas ist, wenn irgendwas… schief geht… oder auch nur so scheint… Ruf mich. In Ordnung?“




  • Eine ganze Nacht lang... Axilla war zwar bestimmt kein Feigling und war auch sicher niemand, der gleich heulte, wenn etwas mal ein wenig weh tat. So viele Schürf- und Kratzwunden, wie sie in ihrem Leben schon gehabt hatte, konnte man meinen, sie wäre bei wilden Tieren aufgewachsen und nicht auf einem Hof nahe Tarraco. Aber die Aussicht auf eine ganze Nacht voller Blut und Krämpfe ließ sie schon einmal schlucken, und sie hörte sehr genau zu, was Crios zu sagen hatte. Nachmittags nehmen, es würde ein wenig dauern.... mehrere Tage schwach... sie hoffte, dass Leander das hinbekam. Sie musste nur eine Nacht durchstehen, und es wäre geschafft. Nur eine Nacht. Oh, Götter...
    Crios war besorgt, als er sie so fest ansah und sie darum bat, ihn zu rufen. Nein, es war eigentlich keine Bitte, es war schon mehr ein Flehen. Wäre die Situation eine andere, Axilla hätte ihn dafür süß finden können. Aber im Moment fühlte sie sich irgendwie seltsam, beinahe tot. Sie sah ihn nur kurz an und nickte dann. “Ja, mach ich“, antwortete sie leise und schlicht. Aber sie hoffte, dass das nicht nötig sein würde.


    Sie sah noch einmal auf die Phiole in ihren Händen. Und sie bekam ein schlechtes Gewissen. Nicht Crios gegenüber, noch ncihtmal Archias gegenüber oder dem Kind gegenüber. Nein, Seiana gegenüber. Sie, die am Wenigsten dafür konnte, sollte dafür bezahlen? Irgendwie war das ungerecht.
    “Was bekommst du dafür? Ich... ich will das nicht umsonst, und nicht von Decima Seiana.“ Nein, sie sollte nicht dafür bezahlen müssen, dass ihr Verlobter und Axilla sie betrogen hatten. Das fühlte sich einfach falsch an.

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Crios meinte zu sehen, dass ihr nun noch unwohler zumute war also bisher schon, was kein Wunder war, bedachte man, was er gerade von sich gegeben hatte. Und Worte, das wusste er, waren noch kein Vergleich mit der Realität. Mit einer bewussten Anstrengung schob er die Gedanken beiseite. Axilla mochte – zumindest laut ihren Worten – kein Problem mit der Aussicht haben, dass sie möglicherweise sterben könnte, er hatte es. Er hatte ein gewaltiges Problem damit, wenn er ehrlich war. Aber er konnte es nicht mehr ändern, und deswegen verdrängte er es. Er hoffte nur, dass ihn diese Entscheidung nicht einholen würde.


    Er nickte nur, als sie versprach ihn zu holen, und begann sich schon mal zu überlegen, was er wohl Iaret sagen könnte, wenn der Fall tatsächlich eintrat. Und was er ihm sagen sollte, wenn er bei der Iunia war und feststellte, dass er ihr nicht helfen konnte. Dass er Iarets Wissen und Können brauchen würde. Wieder zuckte ein Muskel in seiner Wange, als er die Zähne aufeinander biss, weil ihm bewusst wurde, dass er es schon wieder tat, dass er schon wieder darüber grübelte, was war, wenn es schief ging. Und dann wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Ein wenig verblüfft sah er Axilla an. „Wie, bekommen?“ fragte er nach, während sie beinahe zeitgleich weitersprach. Jetzt war er, für einen Moment wenigstens, wirklich überrascht. Sie wollte es nicht umsonst? Und nicht von Decima Seiana? „Du musst nichts zahlen, das ist schon in Ordnung so. Decima Seiana hat einen Brief geschrieben. Wenn du willst, zeige ich ihn dir“, bot er ihr an. Vielleicht war sie sich ja nicht sicher, wie ernst das Angebot gemeint gewesen war, oder dass sie etwas falsch verstanden hatte. Oder dass die Decima ein preisliches Limit gesetzt hatte, dass diese Beratung und Behandlung überschreiten würde.




  • Oh je, das hatte sie schon fast gedacht. Aber wie erklärte Axilla nun, dass sie nicht wollte, dass Seiana dafür bezahlte? Aber sie wollte das wirklich, wirklich nicht. Das erschien ihr nur noch Unrecht zu sein.
    “Nein, nein, du brauchst ihn nicht holen. Es ist nur... das ist meine Sache, verstehst du. Wenn es irgendeine Krankheit gewesen wäre, dann... aber... das ist mein Fehler und meine Entscheidung. Ich will nicht, dass sie...“
    Puh, Axilla musste erstmal tief luftholen und stieß sie langsam und geräuschvoll wieder aus. Ein wenig hilflos hob sie die Hände. Wie erklärte sie es nur, ohne die Wahrheit zu sagen? Und die konnte sie unter gar keinen Umständen sagen. Dann würde Crios ihr vermutlich das Fläschchen sofort wieder wegnehmen. Achwas, vermutlich, bestimmt! Wenn er erkannte, um wen es ging, und auch nur einen Funken Loyalität im Leib trug, würde er sie zum Orcus jagen.
    “Sag mir einfach, wieviel ich dir für deine Dienste schuldig bin, und vergessen wir den Brief einfach. Ich will nicht, dass jemand anderes dafür bezahlt. Für alles andere, aber... nicht dafür.“

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Axillas Reaktion trug wenig dazu bei, um Crios’ Erstaunen zu mindern. Allerdings, je länger sie sprach, desto mehr begriff er doch, zumindest ein wenig. Ihr Fehler, ihre Entscheidung… ihre Verantwortung. Doch, irgendwie verstand er es tatsächlich, dass sie für diese Leistung bezahlen wollte. „In Ordnung…“, meinte er langsam, bevor er im Kopf kurz überschlug, wie viel er für den Trank verlangen sollte. „Zehn Sesterzen“, antwortete er schließlich. Das war der Standardpreis für Tränke und Salben – der Trank für Axilla war zwar eine Sondermischung, die sie so nicht auf Vorrat hatten, aber Crios beschloss, darüber hinweg zu sehen – vorausgesetzt sie fragte nicht nach. „Wenn du… also, wenn du in der Nacht jemanden brauchen solltest – ich meine, in der du den Trank benutzt –, dann können wir das ja noch mal extra abrechnen“, fügte er noch hinzu und räusperte sich. Irgendwie schien es ihm nicht so ganz richtig zu sein, Geld von ihr zu verlangen, nicht in dieser Situation, aber wenn sie unbedingt wollte, dann würde er nicht weiter versuchen ihr das auszureden. Immerhin war das hier ein Geschäft, Geld verdienen gehörte dazu, und er ging davon aus, dass sie als Iunia sich das auch leisten konnte. „Wenn…“ Crios räusperte sich erneut. „Falls sie fragt, ob du hier warst…“ Er wusste nicht, ob die Decima fragen würde. Er glaubte es eigentlich nicht so recht, jedenfalls nicht, dass sie versuchen würde ihn auszufragen, aber man wusste ja nie, und ganz davon abgesehen: die Frage, ob Axilla überhaupt da gewesen war, war durchaus gerechtfertigt, immerhin hatte sie ihr das ja angeboten. In jedem Fall aber sollten sie sich absprechen, denn dass Axilla nicht wollte, dass ihre Schwangerschaft bekannt wurde, hatte sie zuvor ja schon deutlich gemacht. „Was soll ich ihr sagen? Dass du nicht gekommen bist? Dass du da warst, aber nichts los war?“




  • Zehn Sesterzen. Soviel kostete also eine Lüge. Soviel kostete die Ehre einer Frau. Die Ehre einer Familie. Ein Leben, dass sie weiterführen konnte, während ein anderes erlosch. Zehn Sesterzen. Axilla war sich nicht sicher, was sie darüber dachte, dass es nur zehn Sesterzen waren. Wirklich froh war sie nicht. Auch nicht wirklich erleichtert. Aber auch nicht wirklich traurig. Zehn Sesterzen. Es war so... logisch.
    Axilla suchte ihren Geldbeutel und fischte ein paar Münzen heraus. Viel hatte sie natürlich nicht dabei, aber zehn Sesterzen waren auf jeden Fall in ihrem Beutel. Sie zählte den Wert ab und gab es Crios, ohne zu wissen, was sie davon halten sollte. Als er sagte, dass sie einen eventuellen Einsatz von ihm, wenn es zu Komplikationen kam, extra vergüten konnten, nickte Axilla nur stumm. Ja, vermutlich war das am gerechtesten.
    “Du musst noch sagen, wo mein Sklave dich zur Not finden kann. Es wird ja dann... in der Nacht sein. Oder schläfst du hier auch?“
    Wenn es wirklich zu schweren Komplikationen kam, so dass sie einen Iatros brauchte, dann vermutlich nachts, wenn sie doch zu stark blutete, oder vergleichbares. Und diese Taberna hatte ja nicht nachts geöffnet.


    Bei seiner zweiten Frage aber musste Axilla wirklich überlegen. Was sollte er Seiana sagen? Lügen, immer noch mehr Lügen. Ob das wohl jemals aufhören würde? Sie log schon so viel, erst wegen Silanus, dann wegen Timos, jetzt wegen Archias... so viel Lügen, die sie hoffentlich nicht eines Tages noch einholten. Manchmal wusste Axilla ja schon selber nicht mehr, wie die Wahrheit eigentlich war.
    “Nein, sag ihr ruhig, dass ich hier war, und dass wir die Ursache für meine Übelkeit gefunden und behandelt haben.“ Das war zumindest der Wahrheit am nächsten. “Sag ihr nur nicht, was es war...“ Das hatte er ihr zwar schon vorhin versprochen, aber Axilla wollte es gerne noch ein zweites Mal hören.

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Crios sah Axilla an, ein wenig forschend, versuchte zu erkennen, was in ihr wohl gerade vorgehen mochte. Sonderlich gut gelang ihm das nicht. Axillas Gesicht war zwar nicht unbedingt das verschlossenste, aber abgesehen davon, dass Crios auch nicht unbedingt der feinfühligste war, war das hier einfach eine Situation, die er nicht nachvollziehen konnte. Ebenso wortlos, wie sie ihm die Münzen reichte, nahm er sie entgegen und legte sie ohne nachzuzählen auf den Tisch. „Ich schlafe hier.“ Crios machte eine vage Handbewegung schräg nach hinten. Iaret hatte zwar für sie beide noch anderswo eine Unterkunft, aber Crios blieb meistens hier. Selbstverständlich waren sie auch für Notfälle in der Nacht erreichbar, und da zum einen die Taberna zentraler lag und zum anderen Iaret ohnehin nicht jedem erzählen wollte, wo er wohnte, da Crios darüber hinaus ein Langschläfer war, war es das einfachste, wenn er hier schlief. Viel brauchte er nicht, daher war das vollkommen in Ordnung. „Meistens allein, nur… für den Fall, dass Iaret auch hier ist, sollte dein Sklave sagen, er ist ein Freund von mir. Wie heißt er?“


    Danach schien Axilla für einen Moment zu überlegen. „In Ordnung“, antwortete er dann, nur um gleich im Anschluss leicht den Kopf zu schütteln. „Mach dir keine Sorgen, das werde ich nicht“, wiederholte er, was er schon zu Beginn ihrer Unterhaltung versichert hatte. Und dann wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. „Ja… ehm, wenn du Hilfe brauchst, sag deinem Sklaven er soll in die Seitengasse gehen und an der Tür dort klopfen. Sonst… viel Glück.“ Kaum hatte er das gesagt, hätte Crios sich am liebsten selbst geohrfeigt. Viel Glück. Er wünschte ihr viel Glück? Na großartig, als ob es Glück war, was sie jetzt brauchte, eher viel Kraft und der Segen der Götter, aber das würde vermutlich genauso falsch ankommen und noch bescheuerter klingen. Er hatte einfach kein Talent, Worte zu finden, die solchen Situationen angemessen waren.




  • Ein klein wenig seltsam kam es Axilla schon vor, dass Crios hier nächtigte, aber gut, es war sein Leben. Meistens war es ja so, dass Personen ihre Geschäfte in ihren Wohnhäusern hatten, aber das hier gehörte Decima Seiana. Andererseits, wenn sie so darüber nachdachte, in ihrer Farbmischerei wohnte auch ihr Verwalter... im Grunde war das gar nicht so anders. Und immerhin war es so etwas leichter, den Weg später für Leander zu erklären, sollte es notwendig sein.
    “Er heißt Leander. Grieche, etwa so groß, dunkle Haare.“ Axilla wusste nicht, warum sie überhaupt von Leander eine Beschreibung abgab. Sie hatte eigentlich nicht vor, ihn zu schicken. Zumindest plante sie nicht damit, und wenn, dann würden ohnehin wohl noch ein paar Tage vergehen, und bis dahin hatte Crios das sicher schon wieder vergessen. Egal, nicht soviel nachdenken, sagte sie sich.


    Auf siene zweite Bemerkung hin aber fühlte sich Axilla schon seltsam. Viel Glück? Was wollte er denn jetzt damit sagen? Oder wollte er ihr nur nochmal Angst machen, damit sie es sich überlegte? Aber,w as sollte sie denn sonst machen? Ihr blieb ja gar ncihts anderes übrig, als das zu Ende zu führen! Eigentlich hätte sie gar nicht erst in diese Situation kommen dürfen!
    Und doch... auch wenn es nicht sein durfte... und nie mehr sein würde... wollte sie es wirklich missen? Nein, sie sollte sich nicht den Kopf mit was wäre wenn's zerbrechen, das gab nur Kopfschmerzen, und es kam ohnehin nichts dabei raus. Also erntete Crios nur ein etwas gequältes und schiefes Lächeln.
    “Gut, dann... danke...“ Axilla wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Eigentlich war alles gesprochen. Sie wusste, was mit ihr los war, und hatte ein Mittel es zu beenden. Deshalb war sie ja hergekommen. Sie atmete noch einmal durch und richtete sich gerader auf. Irgendwie fühlte sie sich gerade ziemlich klein. “Dann... Vale“, verabschiedete sie sich noch, schaute noch einmal, ob sie auch nichts vergessen hatte, und ging. Es gab vieles, worüber sie nachzudenken und weniges, was sie zu tun hatte.

  • [Blockierte Grafik: http://img705.imageshack.us/img705/5492/leander.gif]


    Es war mitten in der Nacht, und Leander war es alles andere als Wohl dabei, allein durch die Straßen zu hetzen. Immer wieder hörte man von Räubern, die einen einfach niederschlugen, nackt auszogen und in den Tiber warfen. Und er war kein Kämpfer. Gut, natürlich trug er dann eine Waffe, wenn er seine eigensinnige, junge Herrin auf ihren Streifzügen bewachte, aber... er war kein Kämpfer. Und jetzt,allein, im Dunkeln, direkt am Trajansmarkt war ihm das mehr als üblich bewusst.
    Einige Fuhrleute waren schon unterwegs, war es Tagsüber doch verboten, damit in der Stadt herumzufahren. Mehr als einem Ochsengespann musste der Grieche ausweichen, eines hätte ihn ohne weiteres überrollt, wäre er nicht hastig weitergehechtet. Die Fuhrleute, grimmige Gesellen mit gemeinen Gesichtern, schauten ihn an, als wollten sie ihn gleich verschlingen. Er versuchte, mit einem „Was ist?“-Blick zurückzuschauen und möglichst unauffällig weiterzugehen. Nur keine Schwäche zeigen, sich selbst nicht zur Beute machen.
    Dennoch war er heilfroh, als er die Taberna erreicht hatte. Ungeduldig und laut hämmerte er gegen die Tür. “Aufmachen, ich brauche den Medicus!“ verlangte er in rhythmischen Abständen, ohne dabei in seinem Hämmern gegen die Tür innezuhalten. Immerhin ging es um Leben und Tod.

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    An jenem Tag hatte Crios noch lange einfach da gestanden, bevor er sich schließlich in einen der Stühle hatte fallen lassen. Und da gesessen war. Die Zweifel, ob es richtig gewesen war, was er getan hatte, blieben. Er wusste nichts über sie. Er wusste nicht, ob ihre Familie damit einverstanden war. Oder ihr Liebhaber. Das Zeug konnte sie umbringen, wenn es schlecht lief. Und dann wäre er schuld. Crios saß einfach nur da und starrte vor sich hin, bis Iaret wieder zurückkam, von dem er sich eine Standpauke anhören durfte, weil der ganze Verwaltungskram noch nicht mal halbwegs erledigt gewesen war, was Iaret zunächst der Einstellung Crios’ zuschob – es war nicht wirklich das erste Mal, dass das passiert war, immerhin sah Crios sich nicht als Verwalter oder ähnliches, sondern als Arzt. Aber dann war ihm natürlich aufgefallen, dass Crios merkwürdig ruhig war, für seine Verhältnisse – und das war der Moment, in dem der junge Grieche versucht hatte, sich zusammenzureißen. Er hatte nichts gesagt, sondern versucht es irgendwie abzutun, und Iaret hatte es auf sich beruhen lassen, aber die nächsten Tage hatte er ihn genauer im Blick gehabt als sonst, das war Crios durchaus aufgefallen. Und da er sich, zumindest die ersten Tage, unter einer dauerhaften Anspannung zu befinden schien, war das alles andere als angenehm, musste er doch quasi ständig auf der Hut sein. Jedes Mal, wenn jemand hereinkam, befürchtete er es könnte die Iunia sein, oder ihr Sklave. Aber die Tage vergingen, und nichts geschah. Keine Axilla, kein Leander kamen hereingestürmt, weder des Tags noch Nachts. Und Crios beruhigte sich zusehends. Und zu früh.


    Nach etwa zehn Tagen wurde Crios geweckt, als jemand draußen wie wild an der Tür hämmerte und etwas rief. Iaret brummte nur und drehte sich um – das war auch so einer der Vorteile davon, der Lehrmeister zu sein, dachte Crios verschlafen und etwas grummelig –, und nach einem weiteren winzigen Moment quälte er sich aus seinem Bett, schnappte sich eine Tunika und ging zur Tür, während er sich streckte und zugleich irgendwie das Kleidungsstück über seinen Kopf zog. Bis er angekommen war und die Tür öffnete, fühlte er sich auch wach genug, um angemessen zu reagieren. „Was gibt es?“ Etwas verschlafen mochte seine Stimme noch klingen, aber das änderte nichts daran, dass er sein Gegenüber aufmerksam ansah.




  • [Blockierte Grafik: http://img705.imageshack.us/img705/5492/leander.gif]


    Unter anderen Umständen hätte Leander den Mann, der ihm die Tür geöffnet hätte, wohl gemustert. Es wäre ihm wohl aufgefallen, dass sie einander vom Typ her ähnlich waren, dass der Fremde nur etwas unrasierter und vielleicht ein wenig rauer war. Es wäre ihm aufgefallen, dass er gut aussah. Aber die Umstände waren nicht anders, und Leander sah nur, dass die Tür nach scheinbar endlosem Klopfen endlich geöffnet wurde und sah den verschlafenen Mann fast schon böse an. Wie konnte der nur so trödeln, wo doch vielleicht jeder Augenblick zählte?
    “Bist du Crios, der Medicus?“ fragte Leander etwas unwirsch, weil er sich jetzt nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln aufhalten wollte. Normalerweise war er ja ein durchaus höflicher Zeitgenosse, der nie aufbrausend wurde und nie die Stimme erhob. Aber im Moment war er voller Sorge um seine Herrin, und das schlug ihm deutlich aufs Gemüt. “Dann pack deine Tasche und komm mit.“ Leander hatte nicht vor, hier ein langes Schwätzchen zu halten und zu betteln. Notfalls würde er besagten Crios, so er seiner habhaft werden konnte, auch quer durch die halbe Stadt schleifen, solange er nur seiner Herrin helfen würde.

  • [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    War Crios bis jetzt noch nicht wach, der böse Blick, der ihn traf, bewirkte es endgültig. Wenn jemand in der Nacht an die Tür der Taberna hämmerte und so reagierte, dann war er wegen eines Notfalls hier. „Bin ich“, bestätigte er knapp die Frage danach, wer er war, und dann wollte er gerade nachfragen, um was für einen Notfall es sich handelte, um wenigstens ungefähr zu wissen, was er mitzunehmen hatte, setzte schon dazu an, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Axilla. Leander. Die Iunia. Ihr Sklave. Er starrte ihn an. „Leander. Bist du Leander?“ Crios wartete kaum die Bestätigung ab, bekam sie nur am Rand mit, da war er schon im Inneren verschwunden. Sein Kopf schien vorübergehend Teile seiner Betriebstätigkeit eingestellt zu haben. Er wusste genau, was zu tun war, was er packen musste, aber er dachte nicht nach. Hätte er sich vorher über diesen Moment in diesem Detail vorgestellt, er hätte erwartet, dass ihm unzählige Gedanken durch den Kopf schießen würden, was wohl los war, wie es ihr ging, dass er doch einen Fehler gemacht hatte, ob es wirklich sein Fehler gewesen war – aber da war nichts. Sein Kopf schien wie leergefegt, während er routinemäßig die bereits vorgepackte Tasche zusätzlich noch mit allem auffüllte, was er brauchen würde oder könnte. Als Iaret nach ihm rief, antwortete er nur knapp: „Das ist ein Freund. Er braucht Hilfe, schlaf weiter, ich kümmer mich drum.“ Jetzt, zum ersten Mal, blitzte ein Gedankenfetzen in seinem Bewusstsein auf, wie ein fernes Wetterleuchten am Horizont: war es nicht besser, Iaret mitzunehmen? Wenn er ihn nun brauchte… war es da nicht besser, Iaret war schon dabei, als dass er ebenfalls noch extra geholt werden musste? Aber der Gedanke leuchtete nur kurz auf und versank dann wieder in der Dunkelheit. Er konnte Iaret jetzt nicht einweihen. Er hätte es gleich tun müssen, noch am selben Tag, als er der Iunia den Trank verkauft hatte. Wenn er es jetzt tat, würde er gewaltigen Ärger bekommen, das wusste er, und wenn sich das irgendwie vermeiden ließ, wollte er es vermeiden. Und die Iunia hat doch selbst gewollt, dass es keiner erfährt, verteidigte er sich lautlos vor sich selbst, und nur einen Lidschlag später war er wieder an der Tür, trat hinaus und zog sie hinter sich zu. „Wohin?“




Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!