Mens sana in corpore sano - Taberna Medica Decima

  • Auf einmal waren Hände da, die sie stützten. Axilla sah sich um, wer es war. Zum ersten Mal sah sie wirklich den Raum, nahm ihn wirklich einigermaßen bewusst wahr, und wusste, sie war nicht zuhause. Sie erkannte den Raum nicht und bekam Angst deswegen – also noch mehr. Sie wandte leicht den Kopf, um denjenigen zu sehen, der sie hielt und stützte, packte ihn sogar einmal bei den Haaren, um sein Gesicht von ihrem zu entfernen. Zwar fehlte ihr die Kraft, um ihm weh zu tun, aber es war eine deutliche Geste und reichte offenbar, denn der Mann ruckte kurz weg, so dass sie ihn sehen konnte.
    “Crios...“, wimmerte sie und ließ den Arm sinken, gab ihn frei. Die kleine Wehe, die ihren Körper erfasst hatte, ebbte ab, und Axilla schluchzte einmal, bog sich zur Seite und an seine Brust, suchte ein wenig Nähe und Schutz. Sie hielt sich für diesen winzigen Moment der Ruhe einfach nur an ihm fest und weinte ein wenig. “Er hat Leander getötet“, erzählte sie kurz unter Tränen.
    Aber noch ehe sie sich Trost bei ihm suchen konnte, oder irgendetwas sagen konnte, machte ihr Körper schon unerbittlich weiter. Erneut krampfte sie, diesmal heftiger, und sie musste sich wieder gerade hindrehen. Instinktiv stellte sie die Fersen auf die Liege, bog den Oberkörper nach vorne. Gut, dass Crios sie stützte, allein hätte sie nicht die Kraft gehabt. Ihr Körper krampfte weiter, als sich in ihrem Inneren alles löste, was einmal Leben hätte werden sollen, und es nach draußen trieb. Es war nicht so schmerzhaft wie eine echte Geburt, dafür war das Kind nicht groß genug. Nur etwa so groß wie Axillas Handteller, mehr nicht, die Knochen noch weich, mehr eine annähern menschlich geformte Masse als ein Kind. Und doch tat es weh, als das Kind sich mit der gebildeten Plazenta löste und herausgepresst wurde.


    Erschöpft ließ sich Axilla zurückfallen, als der Druck auf ihren Bauch nachließ und sie sich nur noch schwach und leer fühlte. Ihre Schenkel zitterten sichtbar von der Anstrengung, und sie wollte wieder ohnmächtig sein.
    Sie hatte sich gewünscht, das Kind zu verlieren. Sie hatte es sich sehr gewünscht. Sie hatte Gift genommen, um es zu verlieren. Aber das war gewesen, ehe Archias ihr gesagt hatte, dass er es wollte. Und jetzt, als sie es verloren hatte, fühlte sie sich nur leer.

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    Plötzlich begann die Iunia, sich in seinen Armen zu winden, und schließlich krallte sie eine ihrer Hände in seine Haare und drückte. Es tat nicht weh, aber Crios bog seinen Kopf trotzdem weg von ihr, um sich zu befreien – wer wusste schon was für Kräfte sie entwickeln würde, wenn die Krämpfe schlimmer wurden, und er hing an seinen Haaren. Im nächsten Augenblick schon ließ sie ihn wieder los, nannte seinen Namen und drängte sich dann an seine Brust. Vorsichtig legte Crios einen Arm um sie. Und fühlte sich noch hilfloser, als er das Schluchzen hörte. Er wusste beim besten Willen nicht, was er da jetzt tun sollte. Oder sagen. Sie erlitt gerade eine Fehlgeburt. Und ihr Sklave war vor ihren Augen umgebracht worden. Was sagte man da?


    Der Entscheidung wurde er allerdings enthoben, als Axillas Körper sich erneut verkrampfte. Crios versuchte sie zu halten so gut es ging – da er wusste nicht so genau wusste, was das Beste war, überließ er es Axilla das zu entscheiden und stützte sie nur. Stützte sie, bis ihr Körper das Kind samt Plazenta los geworden war. Crios konnte es sehen. So groß wie seine Hand, dunkelbläulich verfärbt. Und trotz aller… Fremdartigkeit… sah es fast aus wie ein Mensch. Crios schloss für einen Moment die Augen und sah dann weg. So etwas passierte. Und Axilla hatte das Kind ja eigentlich ohnehin los werden wollen. Ihr jedenfalls schien es so weit gut zu gehen, besser jedenfalls als nach der fehlgeschlagenen Abtreibung, und das war das, was jetzt zählte. Er strich der Iunia kurz über den Rücken und löste sich dann von ihr. „Hier“, meinte er und hielt ihr einen Becher hin mit einem Trank, den er vorher schon vorbereitet hatte. „Trink das.“ Nachdem er Axilla den Becher in die Hand gedrückt hatte, nahm er ein Tuch zur Hand und begann, das Kind einzuwickeln. „Du solltest jetzt erst mal nicht allein sein. Ich meine, du kannst etwas hier bleiben…“ Crios dachte flüchtig an das Gespräch, dass er mit der Decima neulich gehabt hatte. Und sie war recht strikt gewesen, was die Iunia anging, auch wenn sie nicht gesagt hatte warum. Allerdings hatte er in diesem Fall ja nicht wirklich die Wahl gehabt, er hätte sie nicht einfach liegen lassen können. „…wenn du das möchtest. Aber es sollte trotzdem jemand hier sein, der die ganze Zeit bei dir bleiben kann. Wen kann ich holen lassen?“




  • Axilla sackte zurück und wollte von nichts mehr etwas wissen. Sie wollte nur noch allein sein, allein mit sich und dem Schmerz. Alles andere existierte sowieso nicht so richtig. Es fühlte sich nicht real an, dass es noch etwas anderes gab. Da war nur dieses gewaltige, schwarze Loch in ihrem Inneren und der Blick aus Leanders toten Augen, sonst war da nichts.
    Crios drückte ihr einen Becher in die Hand und wollte, dass sie etwas trank. Beinahe hätte Axilla gelacht, aber selbst ein zynisches Lachen schien ihr zu unwirklich, um es von sich zu geben. Sie blieb einfach liegen, den Becher in der Hand, die auf der Liege lag, und starrte nach oben. Trinken... wozu? Sie wollte nichts trinken. Sie wollte nichts fühlen. Sie wollte schlafen und vergessen. Nein, nicht vergessen, sie durfte Leander nie vergessen. Aber schlafen wollte sie, und hoffentlich nicht träumen.


    Nur durfte sie nicht. Crios redete mit ihr. Sie blinzelte einmal und sah zu ihm herüber. Er hatte ein Bündel in der Hand. Axilla konnte sich denken, was darin war, sickerte doch genug Flüssigkeit durch den Stoff. Aber sie wollte nicht darüber nachdenken, wollte gar nicht daran denken.
    “Ich will nach Hause“, jammerte sie und starrte wieder hoch zur Decke. Sie wollte nach Hause. Und damit meinte sie nicht das Haus hier in Rom. Sie meinte noch nicht einmal die wunderbare Villa in Alexandria. Nein, sie wollte nach Hause, zu dem alten Haus in der Nähe von Tarraco, mit dem großen, knorrigen Baum im Hof, auf dem im Frühjahr die Vögel sangen. Wo der Stall rechts eigentlich nur ein Maultier und eine alte Stute mit Senkrücken beherbergte, außer, Vater war daheim. Dann stand dort sein Pferd, ein schneller, kräftiger Brauner mit Zottelmähne. Axilla schloss die Augen, als sie daran dachte. Sie wollte zu ihrem Vater, die Sicherheit fühlen, die er ihr gegeben hatte. Und das ging nicht, das ging nie mehr.
    Also sagte sie das, was am nächsten an dieses Gefühl heran kam, wollte das, was am ehesten sich noch so sicher und gut anfühlte. “Und ich will Caius...“ Und wieder weinte sie ein wenig, wenn auch stiller und ruhiger als vorhin.

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    Crios kümmerte sich um das Kind und legte es dann beiseite, nachdem er es eingewickelt hatte. Als er sich wieder der Iunia zuwandte, bemerkte er, dass sie nichts getrunken hatte, und andeutungsweise runzelte er die Stirn. „Du solltest das wirklich trinken“, sagte er zu, in einem auffordernden Tonfall. Dann atmete er tief ein. „Ich kann dich nach Hause bringen, wenn du möchtest. Aber das Beste wäre, wenn jemand hier ist und mir hilft.“ Und dann sagte sie, wen er rufen konnte. Und Crios überlegte. Caius war kein seltener Name, und er hatte keine Ahnung, wen sie damit meinte. „Wen… wen meinst du mit Caius? Ist das… ein Verwandter?“




  • Warum sollte sie es trinken? Wäre danach Leander nicht tot? Würde das die Dinge ungeschehen machen, die passiert waren? Nein? Warum also sollte sie es trinken, wenn das den Schmerz also doch nur aufschob, aber nicht auflöste? Dennoch drehte sich Axilla seitlich – zum Sitzen fehlte schlicht die Kraft – und nippte ein paar mal an der scharf riechenden Brühe. Es schmeckte widerlich, und dennoch vertrieb es den metallenen Geschmack in ihrem Mund und war damit angenehmer als der Ist-Zustand. Dennoch nahm sie nur ein paar winzige Schlucke, nicht mehr, ehe sie sich zurücksinken ließ und ihren Kopf auf ihrem Arm bettete.
    “Mein Freund“, antwortete Axilla leise und meinte dieses Wort in der ursprünglichsten Bedeutung, nicht in jener übertragenen, die knappe 1900 Jahre später modisch sein würde, indem man den Lebensabschnittsgefährten mal eben als 'Freund' betitelte. Sie atmete einmal durch und schloss wieder die Augen. Sie sah noch immer Leanders leeren Blick vor sich und wollte am liebsten schreien. “Caius Aelius Archias“, nannte sie seinen ganzen Namen und zog wieder leicht die Knie an ihren Bauch. Die Krämpfe hatten aufgehört, aber noch immer tat alles sehr weh. Und Axilla fühlte sich schlicht und ergreifend schutzbedürftig.

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    Sie trank wenigstens etwas davon, und Crios gab sich damit vorerst zufrieden, auch wenn er es lieber gesehen hätte, wenn sie mehr oder alles getrunken hätte. Er stand nur neben ihr und wartete auf ihre Antwort. Als sie dann kam, wurde ihm einiges klar. So klar, dass Crios aufpassen musste, dass ihm nicht der Unterkiefer herabfiel, weil er so plötzlich aufklappte. Caius Aelius Archias? War das nicht… das war doch… Crios war sich sicher, dass er das war. Der Besitzer, der, der den Laden hier eigentlich geerbt hatte. Der ihn dann seiner Verlobten geschenkt hatte. Und das war ganz sicher nicht Iunia Axilla vor ihm. Oder zumindest war sie es nicht gewesen, als der Aelier den Laden verschenkt hatte, denn sonst würde er jetzt nicht für Decima Seiana arbeiten, sondern für die Iunia. Nach und nach klimperten immer mehr Münzen, als sie fielen in seinem Kopf. Warum Seiana sich so merkwürdig verhalten hatte. Warum sie gewollt hatte, dass er Axilla beim nächsten Mal, wenn sie auftauchte, an einen Kollegen verwies, gerne an einen, der fähig war, so lange sie nur nicht hier behandelt wurde, in ihrer Taberna – ohne allerdings zu sagen warum. Und sie war so strikt gewesen, so bestimmt, dass er sich nicht getraut hatte zu fragen. Oder zu widersprechen. Crios starrte Axilla an und begriff, zum allerersten Mal, in was er da wirklich hineingeraten war.


    Im nächsten Augenblick hätte er am liebsten alles hingeschmissen. Er wollte einfach nur Leuten helfen, das war das, was er tat, das war das, was er konnte, ihnen medizinisch helfen, wenn sie gesundheitliche Probleme hatten. Warum bei allen Göttern musste ausgerechnet er in so etwas hineingezogen werden? Er hatte doch nie etwas getan! Na ja, nicht wirklich. Nicht schlimm. Sah man mal davon ab, dass er abgesehen von seiner Arbeit einfach in den Tag lebte und gerne Spaß hatte, sein Leben genoss. Aber das konnte doch nicht so schlimm sein, dass die Götter ihn mit so was straften! Crios unterdrückte ein Seufzen. „Ich schick schnell jemanden los, der ihn holt. Und du trink weiter.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ kurz die Taberna, um einen der Jungen, die in der Gegend herumwetzten und öfter mal gegen ein paar Münzen Botengänge übernahmen, loszuschicken zum Palast, um den Aelier zu holen. Danach ging er wieder zurück, bereitete eine Schüssel mit lauwarmem Wasser vor und ging wieder zu Axilla. „Soll ich dich waschen? Ich meine, wenn es dir recht ist. Hier ist keine Frau angestellt, leider.“ Was sie vielleicht ändern sollten. Jedenfalls wenn solche Dinge häufiger passierten von nun an. Vielleicht zog die Decima so was ja auch an, wer wusste das schon.




  • Das Opium, das Crios ihr vor etwa einer Stunde gegeben hatte, wirkte noch weiter und verstärkte das Gefühl in Axilla, dass ohnehin alles egal war. War doch gleichgültig, ob sie das hier jetzt trank, oder ob er hinausging, oder ob er sie wusch. War doch alles egal. Leander war tot, und er würde tot bleiben. Und es war ihre Schuld. Sie hätte anders durch die Stadt gehen müssen. Sie hätte ihm helfen müssen. Hätte vielleicht lauter um Hilfe schreien müssen. Aber sie war nur dagestanden, hatte gar nichts getan. War zur Salzsäule erstarrt und hatte sich nicht gerührt. Nichtmal, um sich selber zu wehren. Sie hatte einfach nichts gemacht. Womit also hätte sie es verdient, sich jetzt besser zu fühlen?


    Aber sie trank, Schlückchen für Schlückchen. Sie hatte einfach keine Lust, sich deshalb jetzt mit ihm zu streiten. War doch ohnehin egal, ob sie es trank oder nicht. Und so ließ er sie schon in Ruhe.
    Ja, Ruhe, Axilla wollte ihre Ruhe. Wollte von der ganzen Welt jetzt nichts wissen, wollte nur nach Hause. Wollte die Augen schließen und alles, alles vergessen. Wollte diesen Blick nicht mehr vor sich sehen.
    Crios fragte nochmal nach dem Waschen, und ohne Vorwarnung musste Axilla wieder weinen. Nicht, weil er sie waschen wollte. Das war vielleicht etwas peinlich, aber sonst ganz in Ordnung. Wenn Leander ihr beim Ankleiden geholfen und sie da mal nackt gesehen hatte, machte ihr das ja auch nichts aus. Aber sie konnte einfach nicht aufhören, an ihren toten Sklaven zu denken. Und es tat so weh, trotz des Opiums und des Trankes. Ganz tief in ihr tat es einfach weh, und sie weinte einfach ein wenig, ohne Antwort zu geben.
    Sie wollte doch nur ihre Ruhe. Allein, im Dunkeln, nur mit sich selber. Warum nur musste das passieren?

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    Als Crios wiederkam, sah er, dass der Becher schon um einiges leerer war. Axilla selbst wirkte… apathisch. Crios hätte gern etwas getan, irgendetwas, um eine Reaktion zu kriegen, aber er wusste nicht was. Und dann war es ausgerechnet seine Frage nach dem Waschen, die eine Reaktion hervorrief. Allerdings eine, die ihn nur noch hilfloser machte. Die Iunia fing an zu weinen. Und Crios wusste nicht was er tun sollte. Mit dem Tuch in der Hand stand er da und machte nur eine hilflose Handbewegung. Und dann beschloss er, sie erst mal zu waschen, vorsichtig, behutsam, bevor er sie dann schließlich zudeckte. „Ehm.“ Crios räusperte sich, während er sich neben sie setzte. Er hatte das Gefühl, irgendetwas tun oder sagen zu müssen, und zwar nichts, was mit dem medizinischen Teil dieser ganzen Sache zu tun hatte – und da hätte es schon auch noch das ein oder andere gegeben, was zu sagen war. Was sie brauchen würde, worauf sie achten sollte in den nächsten Tagen… Aber die Iunia wirkte gerade nicht so, als ob sie sonderlich aufnahmefähig wäre, was ja auch verständlich war, nur… Crios hatte damit nicht allzu viel Erfahrung. Er mochte solche Situationen auch nicht gerne, und wenn er so etwas erlebte – was als Arzt auch nicht unbedingt selten vorkam –, sah er zu, dass schleunigst sonst jemand dazu kam, ein Verwandter, ein Freund, der sich darum kümmern konnte. Zumindest im Moment war er allerdings allein mit Axilla. Und er wusste nicht, was er sagen sollte. „Kann ich irgendwas tun?“




  • In diesem Moment flog die Tür auf. Das Glückchen klingelte, die Kette rasselte, und dann schepperte es, als die Tür ein wenig Putz aus der Wand schlug und die Türglocke über den Boden kullerte. Pluto himself stand auf der Schwelle. Naja, zumindest fühlte Caius sich so. Seine Brust hob und senkte sich ziemlich schnell und er roch ziemlich männlich. Er war den ganzen Weg hierher gerannt. Seine Haare standen wirr in alle Richtungen ab, und abgesehen von seinen Beinen zitterte auch der Rest von ihm (allerdings vor Wut).


    »Crios!« brüllte er bedrohlich, als er durch die Praxis stapfte und den Schuldigen suchte. Und natürlich Axilla. Irgendwer sah ihn nur mit großen Augen an und zeigte dann hastig weiter nach hinten. Weihrauch kitzelte ihn in der Nase. Und als Caius um eine Ecke bog, sah er in einem Eimer einen verbrauchten, blutigen Lappen. Das machte ihm Angst, zumal Katander ja auch weiß gewesen war wie eine Kalkwand, und eben weil dieser Kurpfuscher die Hände mit im Spiel hatte. Und gleichzeitig machte ihn die Angst echt wütend, weil wenn dieser Kerl nicht gewesen wär, dann würde es Axilla jetzt noch gut gehen. So viel stand fest. Caius zog mit einem Ruck einen Vorhang zur Seite. Ein kleiner Junge bekam da grad einen Arm geschient. Auch die Ärztin zeigte nur vorsichtig weiter nach hinten- Caius ging wieder. Und hinter dem nächsten Vorhang entdeckte er Axilla, die unter einer Decke auf einer Liege lag und einfach nur schrecklich aussah. Da war alles voller Blut, ihre ganze Tunika am Boden war voll damit, der Boden selber und die vielen Lappen, die rumlagen. Und dieser Kerl hatte auch Blutreste an sich. An den Armen, auf den Klamotten. Caius' Schreck gewann die Oberhand.


    »Axilla«, stieß er heiser aus und schubste Crios mit Schmackes aus dem Weg, als er zu ihr hechtete. Er setzte sich neben sie und versuchte, dass sie ihn anguckte. Wo war eigentlich ihr nutzloser Sklave, wenn man den mal brauchte? Der hatte ja nun weiß Iuppiter nur eine Sache zu tun, und das war, auf Axilla aufzupassne. Caius war ziemlich besorgt. Er strich Axilla über das verklebte Haar. Und dann fiel sein Blick auf noch einen Eimer. In dem etwas lag, das sein Herz kurz aussetzen ließ. Er starrte das Etwas an und realisierte dann ganz langsam, dass es wohl dann keine Geburt geben würde. Kein Sohn. Nicht mal ein Mädchen. Obwohl es ihm echt egal gewesen wär, was zuerst gekommen wär. Er sah Axilla an und seine Stirn war ganz arg gerunzelt. Und dann drehte er sich zu Crios um und stand auf. Und jetzt hätte er Pluto wohl echt alle Ehre gemacht.


    »Du!« grollte er.
    »Ich mach dich fertig.« Und weil er das sehr ernst rausbrachte, war das umso gruseliger.

  • Vom Waschen bekam Axilla nicht allzu viel mit. Sie ließ es einfach geschehen, ohne wirklich bewusst irgendwie Anteil daran zu nehmen. Ihr Geist begab sich auf eine weite, opiumgesteuerte Reise, und sie ließ ihn einfach ziehen. Sie wollte nichts mehr wissen von der Welt mit all ihren Ecken und Kanten, sondern wollte eingehen in die Lethe, wie die Griechen es sagten.
    Irgendwann war Crios fertig und wickelte sie in eine Decke ein. Der Stoff war weich und warm, und Axilla kuschelte sich ganz hinein. Das war das einzig schöne, was sie momentan fühlte, und selbst das machte es für sie eher unerträglicher als besser. Womit hatte sie es denn verdient, irgendwas schönes zu fühlen, wo sie doch nichts getan hatte, um Leander zu helfen? Gar nichts.


    Von der aufkeimenden Hektik bei Archias' Eintritt bekam Axilla nichts mit. Irgendwo registrierte sie zwar das bimmelnde Glöckchen, aber nur ganz am Rande. Selbst, als sie seine Stimme hörte, rührte sie sich nicht, wenngleich etwas in ihr ihn durchaus erkannte. Sie blinzelte, als würde sie aufwachen, als sie auch schon hörte, wie Archias plötzlich auf Crios zumarschierte und diesen anfauchte. “Caius...“ Das Wort war leise gesprochen und ging in der Drohung des Aeliers komplett unter. Axilla stützte sich leicht auf einen Arm auf, so dass sie ihren Verlobten ansehen konnte. Er sah verstrubbelt aus. Und wütend. Seine Gesichtszüge wirkten ganz verzerrt, die Augen so starr. So kannte sie ihn gar nicht, und ein wenig machte es ihr Angst. “Caius!“ sagte sie noch einmal, diesmal energischer und lauter.
    Er sollte zu ihr kommen. Sie trösten, in den Arm nehmen! Nicht den armen Crios bedrohen, der doch nichts dafür konnte. Er hatte Leander ja helfen wollen. Nicht wie sie, die nichts getan hatte.

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    Die Iunia reagierte nicht auf seine Worte, und Crios kam nicht dazu, noch etwas zu sagen, denn im nächsten Augenblick hörte er das Glöckchen, das anzeigte, das jemand in den Laden kam. Er sah auf und runzelte leicht die Stirn, während er sich innerlich selbst schimpfte, dass er die Tür nicht abgeschlossen hatte. Iaret war nach wie vor nicht da, und er konnte Axilla nun nicht allzu lang alleine lassen – was es schwierig machte, Kundschaft zu behandeln. Und dann hörte er, wie sein Name gebrüllt wurde. Und erstarrte. Der Tonfall klang ziemlich eindeutig nach Wut, und sofort rasten Crios’ Gedanken, während er überlegte, was er nun schon wieder angestellt haben könnte, dass ihn irgendjemand verprügeln wollte. Dass er es das letzte Mal beim Glücksspiel… nicht… ganz so genau genommen hatte mit der Ehrlichkeit, war eigentlich lang genug her, dass ihm da keiner mehr ans Leder wollen dürfte. Und auch sonst kam er gerade nicht drauf, mit wem er sich angelegt haben könnte, weil er zwar sein Leben genoss, aber doch darauf achtete, nicht in allzu große Schwierigkeiten zu geraten. Er mochte Schmerzen einfach nicht, schon gar nicht, wenn sie ihm zugefügt wurden, und er hatte ein recht gutes Gespür dafür, wann er sich zurückhalten musste. Meistens. Nicht immer. Aber in der letzten Zeit eigentlich schon.


    Und dann, bevor er weiter nachdenken konnte, stand auf einmal der Kerl in der Tür, der schon mal hier gewesen war, wegen der Iunia. Und ihm eine reingehauen hatte. Wegen der Iunia. Er wirkte wütend. Wütend. Crios schluckte einmal und starrte ihn nur an, während der Kerl ihn beiseite zerrte und erst nach Axilla sah, bevor er sich wieder ihm zuwandte. Crios wurde bleich. Er machte einen Schritt rückwärts und hob die Hände, hörte, wie Axilla den Kerl Caius nannte, und ein Teil von ihm realisierte, dass das wohl der Aelier sein musste. Der zwischenzeitliche Besitzer, bevor die Decima die Taberna übernommen hatte. „Mo… moment. Ich hab nichts getan. Ich hab nur geholfen, das ist alles!“ Vorsichtshalber machte Crios noch einen Schritt zurück. Der Aelier wirkte nicht so, als ob er gerade nur einen Spaß machte. Oder auf einen Plausch aus war. Und ganz davon abgesehen war er größer als er, und selbst wenn er das nicht gewesen wäre, wäre das wohl kein Problem gewesen, denn Crios war kein Kämpfer, und der Aelier schien auch stärker zu sein, und davon ganz abgesehen war er wütend. Wütend genug, um einen Mangel an Größe und Stärke auszugleichen. Wenn so ein Mangel denn gegeben gewesen wäre. Was er nicht war.




  • Caius ließ sich nur kurz von Axilla ablenken. Er sah zu ihr hin und seine Miene war absolut besorgt, aber er war auch echt stinkig. Auf Crios, den er dann wieder ansah.
    »Ist mir total egal«, knurrte er.
    »Ohne dich wär das alles nicht passiert.« Was auch immer passiert war. Caius wollte das natürlich wissen, aber manchmal war die Devise erst schlagen, dann fragen besser als andersrum. Zumindest besser für Caius' Ego. Außerdem hatte er Angst um Axilla, und die konnte man prima ausleben, indem man jemand anderen verdrosch. Und Caius war echt nah dran. Er griff sich die Tunika des anderen und zog ihn zu sich ran. Und als er was sagte, klang er heiser und tierisch wütend.
    »Und wieso bist das eigentlich immer du, wenn was mit ihr ist? Hah?« fragte er Crios, und beim letzten Wort schüttelte er ihn kurz.
    »Du hast immer deine Finger drin! Ich dachte, ich wär deutlich gewesen?« Caius schüttelte Crios immer noch rhythmisch.

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    Der Aelier ließ sich von Axillas leisem Rufen auch nicht ablenken. Er kam immer weiter auf Crios zu, und was er sagte, trug um nichts dazu bei, dass der Grieche sich irgendwie besser fühlte. Und als er gegen eine Truhe stieß und nicht mehr weiter zurückweichen konnte, war es dann so weit. Er wurde bei der Tunika gepackt, und der andere zog ihn zu sich. Und begann auf ihn einzuschimpfen. „Ich… keine Ahnung… Sie ist doch zu mir gekommen, das hab ich dir gesagt!“ Jetzt begann der Aelier ihn zu schütteln, und Crios legte seine Hände auf dessen Arme und versuchte sich zu befreien. Er war kein Kämpfer, aber er war auch niemand, der einfach alles mit sich machen ließ, ohne wenigstens zu versuchen sich zu wehren. Genug jedenfalls, dass er so weit loskam, dass er davonlaufen konnte. Was hier wohl kaum in Frage kam, er konnte ja wohl nicht die Taberna einfach so unbeaufsichtigt zurücklassen, aber, na ja, weiter schütteln lassen wollte er sich auch nicht. „Das… warst du…“ Oh ja. Er war deutlich gewesen. „Aber das jetzt… war Zufall… und hätt… ich sie denn… liegen lassen sollen? Irgendwo in der… Subura, wär das… besser gewesen?“




  • Caius grummelte unwirsch vor sich hin, ließ Crios aber nicht los.
    »Zufall, hah«, machte er, jetzt aber schon nicht mehr so grundwütend, aber immer noch sauer. Dann ließ er Crios mit einem Ruck los, dass er rückwärts an eine Truhe stolperte.
    »Wie, subura?« fragte er verwirrt. Was hatte Axilla denn alleine in der subura gemacht? Dämlicher Sklave. Caius schäumte. Er würde Leander vierteilen und dann an die Hunde im Palastgarten verfüttern, sobald er ihn wiedersah.
    »Also?« bellte er fordernd. Er wollte wissen, was passiert war. Und ob das zu Crios' Verteidigung gereichte.

  • Er hörte sie nicht, er schnappte Crios am Schlafittchen und begann, ihn zu schütteln und zu beschuldigen. Axilla ächzte sich weiter hoch, bis sie schließlich saß, die Knie angezogen. Die Decke rutschte zwar von ihren Schultern, und das schöne, weiche, warme, falsche Gefühl verschwand damit fast, aber Axilla konnte jetzt nicht einfach nur auf der Seite liegen. “Caius, hör auf!“ gellte sie mit verheulter Stimme und zog ihre Nase hoch, die sich gerade schon wieder verflüssigen wollte, wischte sich einmal mit dem Handrücken darüber. Tränen liefen auch wieder. Warum nahm er sie denn nicht einfach in den Arm?
    “Ich bin schuld!“ schrie sie ihn noch an, und dieses Eingeständnis traf sie schmerzhafter als die Fehlgeburt gewesen war. Sie war schuld, und es war wahr. Sie ganz allein war schuld an Leanders Tod. Bestimmt würde er als Lemur oder Larva zurückkehren und sie deshalb verfolgen mit seinen anklagenden Augen, sie wusste es! Sie wusste es genau! Und sie schämte sich so unendlich!
    Sie verbarg ihren Kopf an ihren Knien, die Hände schützend um den Kopf, und schluchzte einfach wieder weiter. “Leander ist tot, und es ist meine Schuld!“ heulte sie etwas undeutlich an ihren Beinen und konnte wieder nicht aufhören, zu weinen.

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    Der Aelier ließ Crios so plötzlich los, dass er zurückstolperte und gegen die Truhe knallte, auf die er sich beinahe setzte. Erst im letzten Augenblick konnte er das Gleichgewicht behalten, aber auch nur, weil er sich mit einer Hand an der Wand abstützte. „Ich weiß nicht, warum sie in der Subura…“ Crios kam gar nicht weiter, kam nicht dazu, etwas zu erklären, weil in dem Moment die Iunia sich wieder einschaltete in das… nun, mit viel gutem Willen konnte man das vielleicht doch als Gespräch bezeichnen. Noch. Irgendwie. Er sah vom Aelier zu ihr und wieder zurück. „Da hat wer nach nem Medicus gerufen, und da war ein Riesenmenschenauflauf.“ Na ja, Riesen war deutlich übertrieben, aber um auf solche Feinheiten zu achten, dafür hatte Crios gerade keinen Sinn. Er war viel mehr darauf aus, seine Haut zu retten. Seinen Magen, seine Rippen. Und sein Gesicht! „Ihr Sklave lag aufgeschlitzt am Boden. Und noch ein Kerl. Das… war ein Überfall, und irgendwer hat eingegriffen…“




  • »Klar, und du warst der einzige, der ganz zufällig in der Nähe war«, murmelte Caius ätzend, denn seine Aufmerksamkeit ruhte inzwischen wieder auf Axilla, die herzerweichend heulte und immer noch kreidebleich war. Caius' Augenbrauen zogen sich zusammen, als er sie so sah. Er warf noch einen ab- und geringschätzenden Blick zu Crios, dann ließ er den für den Moment unbehelligt und ging die vier Schritte zurück zu Axilla.


    »He...« sagte er und strich ihr das klebrige Haar zurück. So gut der Arzt sie auch gewaschen hatte, so klebrig waren Axillas Haare. Blutrückstände waren noch zu sehen, und sie roch nicht gut. Als hätte sie geschwitzt. Und nach Blut eben. Caius setzte sich trotzdem neben sie auf die Kante und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Und als Axilla ihm sagte, dass Leander schon tot war (folglich Caius ihn gar nicht mehr umbringen konnte) und Crios das bestätigte, bekam Caius extrem kalte Füße. Dass Axilla sich die Schuld gab, war echt absurd.


    »Scht, scht...« machte er abewesend, und dazu immer dieselbe Streichelbewegung ihren Rücken lang, während er auf das Bettende sah und versuchte, nicht auf die Tücher und in die Eimer zu schauen, die überall hier rumstanden und die alle gefüllt mit Blutirgendwas waren. Ganz langsam schwante ihm Böses.


    »Ach du....je....« murmelte er.

  • Endlich kam er zu ihr! Axilla sah zwar nicht auf, aber sie bemerkte das Gewicht auf der Bettkante neben sich, wie sie leicht seitlich davon gezogen wurde. Und dann hatte Archias auch schon seinen Arm um sie und versuchte, sie zu trösten. Er sagte zwar nichts, aber seine Stimme war sanfter und weicher als noch gerade eben, und Axilla ließ sich einfach gegen ihn sinken und weinte weiter. Durch den eisenartigen Geruch um sie herum roch sie ihn, und es half, wenigstens ein ganz klein wenig. Sie nahm die Arme von ihren Knien und schlang sie stattdessen Archias einfach um die Brust, barg ihr Gesicht irgendwo an seiner Brust und heulte ihn – mal wieder – voll.
    “Er hat... angegriffen und... Leander hat mich... zur Seite und... sie haben gekämpft und dann... da war so viel Blut. Und ich hab NICHTS gemacht! Gar nichts! Ich bin nur da gestanden! Ich hab nichtmal geschrien! Nichtmal, als der zu mir gekommen ist, hab ich was gemacht. Ich bin nur dagestanden!“
    Wieder musste sie mehr weinen. Ihre Schuld wog so schwer, und sie konnte da nichts finden, was sie irgendwie mindern wollte. Nichtmal das Geständnis an Archias machte die Sache besser. Sonst, wenn sie ihre Schuld eingestand, ging es ihr danach auch besser, aber diesmal nicht. “Und ich seh immernoch seine Augen. Bestimmt verflucht er mich. Ich hätte was machen müssen!“

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    Crios sagte nichts auf die Worte des Aeliers. Der wandte sich nämlich gerade Axilla zu, und Crios war nicht so blöd, seine Aufmerksamkeit nun wieder auf sich zu lenken. Vielleicht kam er ja um die Prügel herum, von denen es gerade eben noch so ausgesehen hatte, als würde er ihnen nie im Leben entgehen können. Als der Kerl zu der Iunia hinüber ging, gaben Crios’ Beine nach, und er sackte auf die Truhe hinunter und lehnte sich gegen die Wand. War das ein Tag. Für einen winzigen Moment schloss er die Augen, dann sah er wieder zu den beiden hinüber. Der Aelier hatte Axilla inzwschen in den Arm genommen, und die schluchzte drauflos und erzählte zwischendrin, was gewesen war. Crios stand auf. Gut, seine Beine funktionierten wieder. „Ehm. Wenn… das in Ordnung ist, ich bin dann mal vorne. Wenn ihr was braucht, ruft einfach…“ Und versuchte sich, möglichst unauffällig, am strategischen Rückzug.




  • Da hatte Crios wohl doch noch mal Glück, denn Caius hatte gerade echt mehr mit sich selbst zu tun als mit ihm. Deswegen gelang ihm auch die Flucht so problemlos. Und Caius konnte nur noch an die Drohung denken, die der Duccier ausgesprochen hatte. Axillas Worte blubberten deswegen mehr an seinem Verstand vorbei als dass er sie richtig wahrnahm. Sie sagte was davon, dass sie nichts getan hatte, was ja irgendwie auch logisch klang, immerhin würde sie wohl kaum ihren einen Sklaven umbringen. Caius allerdings dachte an was ganz anderes. Vielleicht hatte man es eigentlich auf Axilla abgesehen gehabt, die nur nicht erwischt? Und Leander war der arme Zwurbel gewesen, der sie gerettet hatte. Irgendwie.


    Caius hielt seine Axilla fest und streichelte immer weiter ihren Rücken. Dann wandte er langsam den Kopf und sah sie an, ganz rot verheult war sie.
    »Ich kümmer mich drum«, hörte er sich sagen, und das einzige was ihm einfiel, war ein Besuch bei Piso. Der würde ihm helfen können. Und der...ach due grüne Neune, der wusste ja noch nicht mal was von der Ent-und-Wiederverlobung! Irgendwie fehlte ihm die Zeit in letzter Zeit.
    »Möchtest du nach Hause? Ich bring dich dahin, wenn du magst. Du musst nicht hier bleiben. Du...« Caius warf wieder einen Blick auf die Laken und das alles.
    »Aber dir geht es gut, ja? Ich mein, es ist nur...es ist nicht mehr da, aber dir geht es gut?« fragte er sie zugleich hoffnungsvoll wie traurig.

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