Auf den Straßen | Nur zwei Dinge

  • Seiana verließ die aurelische Villa, und während sie ging, loderte das eisige Feuer in ihr stetig höher. Die Wut, die in ihr aufglomm, war kein Strohfeuer, das kurz und hoch aufflammte und dann wieder erlosch. Es war wie ein Schwelbrand, zunächst, der jedoch nur langsam, aber dennoch stetig neue Zufuhr bekam, Zufuhr an Nahrung, an Sauerstoff, so dass er nicht ausging, sondern sich aufbaute und ausbreitete und nur darauf wartete, endgültig freigesetzt zu werden, mit einem Schlag – und der die Ursache für eine Feuersbrunst ohnegleichen sein würde.


    Sie bemerkte, dass Caius ihr nicht sofort nachkam. Sie bemerkte, dass er es dann doch tat, bemerkte, wie er sie einholte. Aber sie sagte nichts. Sie blickte ihn nicht einmal an. Sie war sich bei weitem nicht sicher, was sie jetzt tun würde, wenn sie ihn ansah.

  • Caius wäre fast in die falsche Richtung abgebogen, als er an einem verwirrten ianitor vorbei aus der aurelischen Villa gestürmt war. Dann hatte er noch einen Fitzel von Seianas palla gesehen und war mit großen Schritten hinter ihr her gelaufen.
    »Seiana!«
    Vier Schritte vergingen.
    »He...nun warte doch mal!«
    Seine Stimme klang versöhnlich, aber er hatte so das Gefühl, dass das mal rein gar nichts bewirkte. Nach weiteren sechs Schritten hatte er sie dann soweit eingeholt, dass er ihren Arm zu fassen bekam und daran zog.
    »Seiana bitte, jetzt warte mal!«
    Er hoffte, dass sie stehen blieb. Aber er hatte nicht so weit gedacht, dass er wusste, was er dann zu ihr sagen würde. In ihm fuhren die Gedärme gerade Achterbahn. Er wusste gar nicht, was überhaupt los war. Aber er ahnte, dass er sich mit seiner Aktion eben endgültig ins gesellschaftliche Aus verfrachtet hatte. Seltsamerweise aber wäre ihm das egal, wenn er nur mit Seiana ins Reine kam und Axilla ihm verzieh. Vor allem Axillas entsetzter Blick hing ihm noch im Kopf.

  • Seiana hörte Caius. Wie er ihr nachlief. Wie er sie rief. Wie er sagte, dass sie stehen bleiben solle. Sie reagierte nicht darauf. Schon gar nicht auf den versöhnlichen Tonfall, den er anschlug, nun, plötzlich – fast so, als sei nichts geschehen. Oder als sei es völlig normal, was geschehen war. Dieser Gedanke fachte ihre Wut nur noch mehr an.


    Und dann beging Caius einen Fehler. Einen weiteren, hieß das, war das doch nicht der erste, den er sich leistete. Er fasste sie am Arm.


    Seiana fuhr herum. „FASS! mich nicht an“, fauchte sie, nicht laut, aber durchdringend, als sie notgedrungen stehen bleiben musste. Unterdrückte Wut flammte in ihren Augen, als sie Caius anstarrte, dann machte sie wieder Anstalten sich umzudrehen und weiterzugehen.

  • Caius ließ Seiana los, als sei sie eine heiße Kartoffel. Nicht nur wegen dem Tonfall, mit dem sie ihn anfauchte, sondern wegen dem Blick, der sich glühend durch seine Augäpfel bis ins Hirn zu brennen schien. Fassungslos sah er sie an. Gut, er war ein bisschen zu weit gegangen, aber das rechtfertigte doch nicht wirklich, dass sie ihm jetzt so auf offener Straße eine Szene machte? Immerhin war es hellichter Tag, es waren eine Menge Leute auf der Straße unterwegs, und die ersten guckten auch schon skeptisch in seine Richtung. Dabei sah Caius doch nun alles andere aus als ein Dieb oder sowas.


    Ehe Seiana weitergehen konnte, entschloss sich Caius, etwas zu sagen. Er wählte dabei allerdings nicht eben die intelligenteste Frage aus, sondern die wohl dümmste in diesem Moment.
    »Was hast du denn auf einmal?« fragte er nämlich verdutzt.
    »Jetzt sei doch nicht so...«

  • Er ließ sie los. Immerhin, er besaß Verstand genug, sie loszulassen. Seiana hätte ihn vermutlich niedergebrüllt, hätte er sie nicht losgelassen. Nicht, dass dieser Verlauf ihres Gesprächs nun gänzlich ausgeschlossen gewesen wäre durch die Tatsache, dass Caius genug Intelligenz oder Einfühlungsvermögen besaß, sie loszulassen, aber zumindest im Moment war noch verhindert, dass ihre Wut sich endgültig Bahn brach. Zumal Seiana kein Aufsehen erregen wollte, nicht hier, nicht auf offener Straße. Aber je höher ihre Wut loderte, desto weniger scherte sie sich darum, was andere Leute wohl denken mochten. Und weil Seiana das wusste, versuchte sie weiter zu gehen.


    Caius allerdings wusste es nicht. Oder er wollte es nicht wissen. Oder es war ihm egal. Oder, und das fand Seiana am wahrscheinlichsten, er war schlicht und ergreifend tatsächlich so naiv. Wahlweise dumm, das wäre in ihrer augenblicklichen Gemütsverfassung ihre bevorzugte Wortwahl gewesen. „Was ich habe?“ echote sie, für einen Moment so ungläubig, dass sie beinahe die Wut nicht mehr spürte. „Das fragst du noch?“ Jetzt sei nicht so. Seianas Brauen schoben sich zusammen, die Ungläubigkeit verschwand. „Ach. Wie bin ich denn?“ Ihre Stimme bekam einen beißenden Klang, und sie hob leicht die Arme an. „Sag mir, wie ich bin, na los, raus mit der Sprache!“

  • Caius kannte Seiana durchdacht. Er kannte sie beherrscht und höflich und zuvorkommend. Aber er kannte sie nicht som wie sie jetzt war. Er konnte sie überhaupt nicht einschätzen, nicht mal raten. Und deswegen hatte er auch nicht den blassesten Schimmer einer leisesten Ahnung davon, was passieren würde, wenn Seiana ihre Beherrschung mal verlor.


    »Ähm«, machte er ausweichend, als sie ihre Fragen stellte.
    »Äh...sauer?« Caius sah Seiana verwirrt an. War ihr nicht klar, was er meinte? Caius runzelte die Stirn und versuchte, auf Seianas Gesicht das wiederzuerkennen, was mal unter einer halb getrockneten Kruste Schlamm verborgen gewesen war. Momentan aber war da nur ein Brenneisen, das ihm jeden Moment aufgedrückt werden könnte. Beschwichtigend hob er die Hände.
    »Also, ich weiß, das war eben etwas...blöd von mir...«

  • Auch wenn Caius das anders sehen mochte, im Grunde genommen war in diesem Augenblick mehr von der Seiana zu sehen, die in Ägypten mit ihm im Schlamm gesessen hatte, als die gesamten letzten Wochen. Sie zeigte Gefühle. Sie zeigte, was in ihr vorging. Nur war es diesmal Wut, die sich ihrer bemächtigt hatte, und die zu beherrschen ihr immer schwerer fiel – desto mehr, je blöder Caius sich zu stellen schien. „Sauer?“ Schon wieder klang Ungläubigkeit in ihrer Stimme durch, aber das war schnell vorbei, war schnell wieder abgelöst durch die Bissigkeit, die nur heftiger zu werden schien. Caius schien nicht zu verstehen, was los war, aber für seine Verwirrung hatte Seiana keinen Nerv. „Nein, warum sollte ich sauer sein? Ehrlich, war doch völlig normal, dass du auf einer Feier im Haus meines Patrons so etwas abziehst!“ Sie drehte sich um und setzte sich nun tatsächlich wieder in Bewegung, blieb aber bereits nach wenigen Schritten stehen und drehte sich wieder zu ihm. „Ach. Blöd war das also von dir? Was du nicht sagst! Wie kommst du nur darauf!“ Wieder setzte sie sich in Bewegung. Sie brachte es nicht fertig, stehen zu bleiben, sie musste gehen, musste sich bewegen, weil sie das Gefühl hatte sonst zu explodieren. Allerdings kam sie gerade erst in Fahrt, und nicht mit Caius zu reden, war nun auch keine Option mehr. Also drehte sie den Kopf, während sie weiter ging. „Na los, erzähls mir. Wie kommst du drauf? Ist doch perfekt gelaufen, das alles! Du warst unhöflich zu Braut und Bräutigam, hast jedes Gespräch abgewürgt und bist den Duccier angegangen! Oh ja, und ganz nebenbei hast du Axilla angestarrt, als wäre sie deine Verlobte!“

  • Oh. Stimmt ja, der Aurelier war Seianas Patron. Irgendwie war das in den letzten zwei Stunden aus Caius' Gedächtnis verschwunden. In irgendeine Ritze gerutscht, und es kam jetzt wieder zum Vorschein. Er sah kurz unglücklich aus, dann setzte sich Seiana auch schon wieder in Bewegung. Caius machte einen kleinen Hüpfer und beeilte sich dann, ihr zu folgen. Ein wenig tollpatschig lief er neben ihr her.


    »Tut mir echt leid. Ich könnte, äh, ein Wiedergutmachungsgeschenk schicken«, schlug er mit geringer Begeisterung vor, denn er glaubte, dass das Seiana nur noch mehr auf die Palme brachte und nicht gerade zur Besserung der Situation beitragen würde. Seiana schien eh gerade erst so richtig in Fahrt zu kommen. Während sie motzte, dachte Caius aber an Axillas entsetzten Blick. Das würde auch noch was geben, überlegte er. Doch zurück zum Hier und Jetzt.


    »Ich, äh...weiß«, sagte er und ließ offen, was genau aus ihrer Aufzählung er damit meinte.
    »Aber du magst es ja doch eh nicht, wenn ich dich so anschaue.« Ursus und Septima hatten sicher bald wieder vergessen, wer er war. Dazu war er zu unwichtig, als dass er im Gedächtnis hängen blieb. Und was den Duccius anging...
    »Und der Kerl hatte es verdient!«

  • Seiana hatte keinen Blick dafür, ob bei Caius so etwas wie Verständnis aufzudämmern schien, für die Tatsache, dass der Aurelius ihr Patron war, oder dafür, wie unangebracht sein Verhalten gewesen war, oder für sonst etwas. Nicht einmal dafür, dass er lustig aussah, wie er hüpfte, um ihr hinterher zu kommen. „Ein Wiedergutmachungsgeschenk. Oooh. Klar. Das macht alles vergessen!“ Ein Wiedergutmachungsgeschenk! Sie würde da persönlich aufkreuzen und sich sowohl bei dem Ehepaar als auch bei ihrem Patron entschuldigen, und er hatte vor, ein Geschenk zu schicken?


    Es war Caius’ Glück, dass Seiana keine Ahnung hatte, wohin seine Gedanken gerade kurz abschweiften. Dass sie nicht einmal bemerkte, dass seine Gedanken kurz abschweiften. „Was weißt du?“ fauchte sie zurück. Und blieb sie erneut stehen. Starrte Caius an. „Und dass ich das nicht mag, heißt das etwa, dass du deswegen eine andere so anschauen kannst?“ Wut rang mit Fassungslosigkeit in ihrem Blick. „Was? Was hat Duccius Vala bitteschön getan, dass er das verdient hat? Du hattest nicht das geringste gegen ihn, als wir neulich gegessen haben! Was ist heute so anders gewesen, dass du so reagiert hast?!?“ Sie wusste die Antwort. Auch wenn sie sich selbst jetzt noch dagegen wehrte, es selbst jetzt noch nicht wahrhaben wollte, sie wusste die Antwort. Tief in sich hatte sie sie wohl schon länger gewusst, irgendwie. Und trotzdem musste sie diese Frage einfach stellen.

  • Ein klitzkleines Bisschen war er ja schon naiv in dieser Hinsicht. Er reduzierte Patrizier eben auf ein Mindestmaß an Interesse an anderen Leuten, denn er fand, dass die nur sich selbst irgendwie wichtig waren. Das sah man schließlich auch daran, dass die dauernd nur untereinander heirateten, oder nicht? Aber er war zumindest in diesem Moment klug genug, die Klappe zu halten und nichts dazu zu sagen. Er beschränkte sich darauf, Seiana aufmerksam anzuschauen. Trotztem machte er noch zwei Schritte weiter, als sie plötzlich abrupt stehen blieb. Er drehte sich zu ihr rum und stellte sich vor sie. Dann konnte sie wenigstens nicht mehr so einfach weiter drauflos stürmen.


    Caius' Mund klappte auf. Er wollte eigentlich ihre Frage automatisch verneinen, aber nach einem Moment klappte er den Mund einfach wieder zu. Es war auch nicht nötig, noch was zu sagen, denn Seiana redete eh gleich weiter. Und als sie fertig war, hatte Caius den Blick gesenkt und war schwerstmäßig am grübeln. Ja...was war genau eigentlich anders gewesen?
    »Er war mit Axilla da«, stieß Caius schließlich heraus und sah Seiana an. Mehr sagte er nicht, Er befürchtete nun das schlimmste Donnerwetter in der Geschichte ihrer Bekanntschaft. Und das waren immerhin nun schon ein paar Jährchen. Seiana sah aus wie Iuppiters Tochter persönlich. Blitze fuhren aus ihren Augen auf ihn nieder.


    Ihm ging wieder durch den Kopf, dass der blöde Duccier ihn weibisch genannt hatte. Es war auch weibisch, sich auf offener Straße so niedermachen zu lassen. Von einer Frau! Caius runzelte die Stirn.
    »Wieso musst du mir eigentlich mitten auf offener Straße eine Szene machen, nur weil ich mal geschaut habe, was es sonst noch so gibt?« fragte er sie und versuchte, ein wenig Verärgerung in seine Stimme zu legen.

  • „So.“ Jetzt begann sich zum ersten Mal, Bitterkeit in ihre Stimme zu schleichen. „Er war also mit Axilla da.“ Seiana meinte, diesen Namen nicht mehr hören zu können. „Und was ist daran so schlimm? Nein, sag nichts.“ Sie wäre wieder weiter gelaufen, aber er stand ihr im Weg, und so blieb sie stehen und starrte ihn nur weiterhin an, immer noch erfüllt von eisiger und zugleich lodernder Wut, während sich, ganz schleichend, ein Gefühl der Verletzung in ihr ausbreitete. Verletzte Ehre, verletzter Stolz. Verletzte Gefühle. Seiana hatte nicht gewusst, wie gern sie ihn wirklich hatte, bis sie gesehen hatte, wie er für Axilla in die Bresche sprang. Nicht, dass sie gewollt hätte, dass er sich für sie so aufführte – sie wollte überhaupt nicht, dass er sich so aufführte –, aber das war nicht der Punkt hier. Der Punkt war, dass er sich niemals so aufgeführt hätte, wäre es um sie gegangen.


    Und dann beging Caius noch einen Fehler. Einen weiteren. Und jeder weitere bedeutete einen Nagel für seinen Sarg. Wut flammte ein weiteres Mal hoch auf in ihren Augen, alser meinte, sich nun wehren zu müssen – als er meinte, ihr Vorwürfe machen zu müssen! „Du hast doch gar keine Ahnung, was eine Szene auf offener Straße ist – schon gar nicht eine, die dir eine Decima macht!“ fauchte sie, und dann näherte sie sich ihm, so weit es ging, ohne ihn tatsächlich zu berühren, stand direkt vor ihm und sah mit wütend blitzenden Augen zu ihm hoch. „Aber wenn wir schon mal dabei sind: ich mache dir eine Szene, weil sie deine beste Freundin ist. Ich mache dir eine Szene, weil man solche wie den Duccius an Löwen verfüttern sollte, weil sie sie ansieht. Ich mache dir eine Szene, weil du dem Duccius sämtliche Knochen brechen wirst, wenn er ihr weh tut! Reicht dir das vielleicht für eine Szene? Ach nein. Du hast ja nur mal geschaut, was es noch gibt!“

  • Wieder öffnete Caius den Mund, und wieder schloss er ihn. Das machte ihn allmählich selbst etwas wütend. Warum tat sie jetzt so, als würde sie das verstehen? Er verstand es doch selber nicht mal! Caius zog die Augenbrauen zusammen. Und dann sah er peinlich berührt aus, weil Seiana verstanden hatte, was er zu Vala gesagt hatte. Damit hatte er nicht gerechnet. Und daran hätte er auch nicht gedacht. Caius knirschte mit den Zähnen. Er sah gerade seine Stege wegbrechen. Und dann war da wieder der Duccius in seinem Kopf, der seine Ehre doch mehr angekratzt hatte, als er selber gedacht hätte. Caius runzelte die Stirn noch etwas mehr, reckte das Kinn vor und sagte folgendes:


    »Na und? Du bist doch diejenige, der ein Küsschen hier und eine flüchtige Umarmung da reicht.« Statt die Klappe zu halten und seinem Sarg ein paar weitere Löcher zu ersparen, legte er aber nun so richtig los. Dass inzwischen einige Leute amüsiert stehen geblieben waren um zuzuhören, war ihm grad mal herzlich egal. Und Caius hatte gerade auch nicht unbedingt einen Sinn für Feinfühligkeit.
    »Ich hab mich für dich mit deinem Bruder gekloppt, ist das nichts? Also tu mal nicht so, als wär ich für dich nie so weit gegangen!«


    Caius schnaubte entnervt und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Will Madam jetzt hier noch weiter stänkern oder gehen wir irgendwo hn, wo wir wenigstens alleine sind und nicht grad morgen alles lauwarm in der Acta steht?«

  • Und wieder war Seiana in dem bunten Reigen ihres Inneren bei Fassungslosigkeit angekommen. Absolute, unverhohlene Fassungslosigkeit. Ein Küsschen hier, eine Umarmung da… Was sollte das heißen? Was um alles in der Welt sollte das heißen? Dass Axilla für ihn noch viel mehr war? Dass er mit ihr tatsächlich…? Seiana weigerte sich, das auch nur zu denken. Sie weigerte sich schlichtweg. Und Caius sprach auch schon weiter, bevor sie irgendwie reagieren konnte. Allerdings machte er es nicht besser. Seiana stand nur da und ließ seine Worte auf sich niedergehen. Als er fertig war, schwieg sie noch einen Moment. Und dann holte sie aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. „Hör auf mit meinem Bruder. Im Gegensatz zu ihm hast du dich doch nicht mit ihm geprügelt, weil du mich verteidigen wolltest, sondern weil du das für eine lustige Idee gehalten hast.“ Sie starrte ihn an, und ihre Lippen verzogen sich, so dass ihr Gesicht kurzzeitig eine Maske aus Bitterkeit wurde, und sein Vorschlag, woanders hinzugehen, verhallte zwar nicht ungehört, aber unerwidert. „Du weißt, warum ich bis zur Hochzeit warten will. Du hast gesagt, es ist in Ordnung. War es das nicht? Hast du dich mit ihr vergnügt, weil du nicht warten konntest?“

  • Seiana schwieg, und Caius wollte das schon zum Anlass nehmen, in Ruhe noch mal vorszuschlagen, zumindest von der Straße runter und irgendwo anders hinzugehen. Da kam so schnell eine Ohrfeige, dass nur sein Kopf rumruckte und er das Brennen, das aus dem Klatschen resultierte, erst kurz darauf spürte. Es tat nicht wirklich weh, aber es war schon heftig, von der Verlobten in so einem Gespräch eine Ohrfeige zu bekommen. Caius wusste nicht, ob er sauer oder verdattert sein sollte. Er wusste es einfach nicht. Irgendwie war er beides. Da war die Leidenschaft, die er sich bei Seiana gewünscht hatte. Nur wollte er die natürlich nicht in Form einer Ohrfeige haben. Er war ja echt versucht, trotzdem noch seinen vernünftigen Vorschlag zu machen. Wirklich! Aber Seianas Worte ließen die Wippe der Gefühle in die andere Richtung Wippen, bis Caius fast überschwappte.


    »So ein Blödsinn, als ob man eine Prügelei für eine lustige Idee halten würde«, maulte er und rieb sich kurz über die Wange, ohne es zu realisieren.
    »Und: Nein, ich weiß eben nicht, warum du bis dahin warten willst. Ich hab zwar gesagt, dass es in Ordnung ist, aber du weißt, dass ich das anders sehe. Und warum du das so siehst wie du das tust, weiß ich auch nicht, das hats du nämlich nie gesagt.« Caius legte den Kopf schief und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Die meisten Leute waren inzwischen weiter gegangen, als es ihnen zu detailliert wurde. Caius sah Seiana auffordernd an. Und die letzte Frage ignorierte er einfach.

  • „Oh doch, du scheinbar schon! Du hast nur nicht damit gerechnet, dass er das so ernst nehmen würde!“ Seiana hatte die Nase voll von diesem Thema. Sie hatte sich mit Caius darüber auseinander gesetzt, und mit Faustus, und wieder mit Caius, und jetzt kochte es ein weiteres Mal hoch, nur dass Caius diesmal eine völlig andere Position einzunehmen schien. Hatte er es bisher immer herunter gespielt, hatte er bisher nicht genug betonen können, dass Faustus das Ganze viel zu ernst genommen hatte, war es jetzt auf einmal Caius, der sich da angeblich für sie geprügelt hatte. Natürlich. Als ob sie ihm das jetzt glauben würde. Aber es war einfach nicht das Thema hier, es war simple Ablenkung von Caius, und das brachte sie noch mehr in Rage, wenn das überhaupt möglich war. Genauso wie seine Frage nach ihren Beweggründen zu warten eine Ablenkung war. Aber was er konnte, konnte sie schon lange, und so ignorierte sie seine Frage einfach – nur um ihre zu wiederholen: „Hast du dich mit ihr vergnügt?“

  • Caius wollte etwas erwidern, aber das machte einfach keinen Sinn. Seiana war ja felsenfest überzeugt, da würde er nicht viel ausrichten können, wenn er jetzt noch mal darauf herum ritt. Es hätte auch nichts geholfen, warum also Luft dafür verbrauchen? Caius sah Seiana nur kurz grollend an und sagte also nix.


    Die nächste Frage konnte er dann nicht mehr unkommentiert stehen lassen. Er runzelte verärgert die Stirn und zuckte mit den Schultern.
    »Was soll das denn jetzt, Seiana?« fragte er sie. Er wollte nicht antworten. Aber er wollte sie auch nicht anlügen. Obwohl er ziemlichen Schiss hatte vor der Beichte, glaubte er aber, dass es danach alles besser werden würde. Und wenn das zwischen Axilla und ihm dann zu Ende war... Was genau genommen ja seit gut zwei Wochen der Fall war...
    »Ich will das nicht hier auf der Straße ausdiskutieren, in Ordnung?« brummte er dann.

  • „Was das soll? Ich hab dir eine Frage gestellt, und ich erwarte eine Antwort! Das dürfte ja wohl kaum so schwer sein!“ Nach und nach musste Seiana sich an ihre Wut klammern. Denn wie die Antwort auf diese Frage aussah, wusste sie inzwischen auch. Warum sonst hätte Caius sie zunächst ignorieren und dann mit einer Gegenfrage antworten sollen? Und wieder schien sie in das Eismeer zu tauchen, das in ihrem Inneren war, stets bereit in Situationen wie diesen, in denen sie Betäubung brauchte. Die Wut war immer noch da, über das, was geschehen war, wie er sich aufgeführt hatte, und wie er zu Axilla stand, aber sie schien ebenso unter einer Eisschicht begraben zu sein wie der Rest von ihr, leckte zwar mit Flammenzungen von unten dagegen, bemüht, sie zu schmelzen, entwickelte aber nicht genug Hitze, um dagegen anzukommen. Nicht in diesem Augenblick. Sie starrte Caius nur an, endlose Augenblicke, ohne etwas zu sagen, wartete auf eine Antwort, die nicht kam. Stattdessen meinte er nur plötzlich, er wolle das nicht hier diskutieren. Seiana schloss die Augen. „Nun. Keine Antwort ist auch eine Antwort, schätze ich.“ Mit diesen, im Verhältnis zum Verlauf der Unterhaltung erstaunlich ruhig ausgesprochenen Worten drängte sie sich an ihm vorbei, um wieder weiter zu gehen, während sie zugleich gegen die Eisschicht in ihrem Inneren und den Kloß in ihrem Hals zu kämpfen begann.

  • So! Sie stellte also eine Frage und erwartete auch eine Antwort! Und bei sich selber ging das also problemlos durch, wenn sie ihn ignorierte? Caius war ja nun wirklich nicht jähzornig oder dauersauer oder sowas in der Art, aber jetzt tropfte sein Fass gerade gefährlich voll. Erst starrte sie nur, dann drängte sie sich vorbei und ließ ihn einfach stehen. Caius rührte sich nicht. Er ließ ihr gute acht Schritte Vorsprung und versuchte, selber wieder runter zu kommen. Vorhin war er auch wütend gewesen, aber das hier war anders. Eine andere Wut. Weil er wusste, dass er derjenige war, der das Schiff zum Kentern brachte.


    Dann lief er Seiana hinterher, holte sie ein und ging mit großen, grimmigen Schritten neben ihr her.
    »Und du selber musst nicht auf meine Fragen antworten oder was?!« meckerte er sie an.
    »Wir gehen jetzt zu dir nach Hause und dann reden wir darüber. Ich nehme ja mal nicht an, dass du mit zu mir möchtest!«

  • Die Eisschicht war immer noch da. Und sie taute nicht, im Gegenteil, für den Moment schien sie sich nur noch mehr auszubreiten. Von Caius’ Wut bemerkte Seiana nicht viel. Sie fühlte sich taub, innerlich. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Keine Antwort war eine Antwort, jedenfalls bei einer derartigen Frage. Er hatte also… mit Axilla… Sie schluckte mühsam, als sie langsam den Schmerz zu spüren begann, der das bedeutete. Es war nicht einmal so sehr die Tatsache an sich, dass er mit Axilla offenbar geschlafen hatte. Es war die Tatsache, dass die Iunia ganz offensichtlich weit mehr als nur eine Bettgeschichte für ihn war. Und es war der Vertrauensbruch, der dahinter stand.


    Auch diesmal lief Caius ihr schließlich nach. Allerdings wusste sie nicht so recht, ob sie froh darüber sein sollte. Ein Teil von ihr sehnte sich nach Ruhe, nach Einsamkeit. Nach einem Ort, an dem sie nachdenken konnte. An dem sie gefahrlos ihre Gefühle herauslassen konnte, ohne dass jemand etwas mitbekam. Es reichte schon, dass sie sich jetzt so hatte gehen lassen. Mehr musste nicht sein. Wir gehen zu dir nach Hause und dann reden wir darüber. Worüber? Er hatte es ja nicht einmal fertig gebracht, es auszusprechen. „Wenn du dich recht erinnerst, hast du mir keine Frage gestellt. Du hast etwas aufgezählt, was aus deiner Sicht den Tatsachen entspricht“, entgegnete sie kühl, ohne ihn dabei anzusehen. „Davon abgesehen meine ich doch, dass du derjenige warst, der zuerst nicht geantwortet hat. Und das auf eine klar formulierte Frage.“ Sie ging weiter. Irgendwohin. Ihr war egal wohin. Nachdem er es allerdings ausgesprochen hatte, fiel ihr durchaus auf, dass ihre Schritte sie zur Casa Decima lenkten.

  • Woher nahm sie nur die Ruhe, in einem solchen Gespräch so eine Formulierung zu finden? Caius war einen Moment lang sprachlos und bewunderte Seiana dafür, aber das war schnell wieder vorbei, als er ihre Worte auseinanderklamüsert hatte und die Bedeutung verstand. Er hatte doch eben eine Frage gestellt, oder etwa nicht? Zumindest war das für ihn eine Frag gewesen. Für sie etwa nicht? Caius stieß ein Grollen aus, das irgendwo zwischen Frustration und Resignation lag, und ließ die Schultern hängen.


    »Ich hab dich wohl was gefragt«, nörgelte er. Vielleicht nicht mit Fragezeichen, aber eben doch gefragt.
    »Ist ja auch egal. Wir gehen zu dir«, bestimmte er. Und damit wr die Sache für ihn erstmal erledigt, bis sie bei Seiana zu Hause angekommen sein würden. Ob sie das auch so sah, wusste er nicht. Allerdings hatte er dann noch ein paar Straßen Zeit, sich Gedanken zu machen, was er sagte. Die Verärgerung verrauchte fast sofort, zurück blieb das ungute Gefühl, ihr weh getan zu haben und das Bewusstsein, dass er sich wie ein Dummkopf aufgeführt hatte, eben auf der Hochzeit. Und dann rutschte die Drohung des Ducciers wieder zurück in sein Gedächtnis, und Caius sah besorgt auf die Straßensteine, auf denen er entlang ging. Er glaubte nicht dran, dass der das wirklich durchziehen würde. Aber zuzutrauen war es ihm schon. Und Seiana? Was da werden würde, wusste er auch nicht abzuschätzen. Caius fühlte sich miserabel.

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