Es war ein verdammter heißer Tag in Alexandria, und wenn ein Alexandriner schon von einem 'verdammt heißen Tag' sprach, dann stand der Wüstensand kurz davor zu einer interessanten Glasformation geschmolzen zu werden.
Vor eben dieser Hitze versteckten sich vier illustre Gestalten, von denen zwei dem treuen Leser nur allzu bekannt sein dürften: es waren der Dudus, und sein treuer Kumpel Raoulus.
Es war eine der vielen Seitengassen, die auf den größten Markt der Bettlerstadt führten, und selbst im Schatten dieser kleinen Ader des pulsierenden Bettlerlebens hatte man das Gefühl schön knusprig geschmolzen zu werden.
"Das wird DAS Ding, Mann!", hüpfte Raoulus vor Aufregung und Vorfreude auf und ab, "Das wird der absolute Hammer!"
Der ziemlich heruntergekommen wirkende Dudus hockte an einer Hauswand, und starrte seinen Freund unschlüssig an, hatte er doch ein verdammt mieses Gefühl bei der Sache. Ein VERDAMMT mieses Gefühl.
Die beiden Begleiter waren zwei Männer, die Raoulus durch einige zwielichte Geschäfte kannte, und die mittlerweile glühende Anhänger des Dudus geworden waren, weil endlich mal jemand aufstand, und den Römern zeigte wo die Sichel hing.
Aufstehen war allerdings etwas, woran der Dudus nicht im Traum dachte. Nie im Leben würde er jetzt aufstehen, auf den Markt gehen und die Leute mit einer flammenden Rede zu einem Aufstand gegen die Römer aufstacheln. Schlimm genug, dass er nicht die geringste Erinnerung an die vergangene Heldentat im Kampf gegen hundert Römer hatte, nein, jetzt wurde er auf den Straßen als Heldenfigur gefeiert, die die Leute zu ungeahnten Kräften inspirierte.
Der Dudus nestelte an der Tasche herum, die er stets bei sich trug, doch Raoulus fuchtelte wild mit einem seiner Zeigefinger vor dem bärtigen Gesicht des unfreiwilligen Volkshelden herum: "Lass das bloß sein, Mann, wir brauchen dich mit klarem Kopf! Wenn du dich da draußen selbst ankotzt, wird dir keiner folgen! Also lass das Zeug in deiner Tasche, dafür ist nachher noch genug Zeit."
Jemand rief "Römer!" und die drei Gestalten drückten sich noch etwas tiefer in den Schatten, darauf wartend, dass jemand Entwarnung gab. Doch die ließ auf sich warten, und schließlich teilten sich Raoulus und die beiden anderen auf, um den Markt inkognito nach Römern abzusuchen.
"Bleib hier, Mann.", riet Raoulus seinem Freund, der ihm einen Blick zuwarf wie ein bockiges Kind mit viel Haaren im Gesicht, "Und lass die Finger von dem Zeug!"
Als die drei verschwunden waren, dauerte es genau zweieindrittel Augenblicke bis der Dudus sich seine Pfeife mit Kraut und den lustigen kleinen Kügelchen bis an den Rand vollgestopft hatte, und noch einen zehntel Augenblick länger bis er die erste Fuhre giftigen Rauchs in seine Lunge beförderte.
Wir erinnern uns natürlich lebhaft daran, was geschehen war als der Dudus sich zum ersten Mal mit der subkutanen Rauschfactio angelegt hatte. An diesem Tag allerdings hatte der Dudus nichts auf der Hand, was sich der Factio auch nur einen Moment lang in den Weg stellen könnte. Das heiße Wetter und die für einen Junkie nunmal typische Dehydration taten ihr übriges, um den Organismus des Dudus in die Knie zu zwingen.
Aber dessen nicht genug: die subkutane Rauschfactio nahm das Hirn des Dudus nicht nur im Sturm ein, nein, die Factio pürierte es, ließ es eine Zeit lang eindampfen und bestrich damit die die Schädeldecke nach Art des Neoklassizismus neu, was ihr den Applaus und die Anerkennung der anderen Organe einbrachte, bevor diese den Effekt absoluter Führungslosigkeit bemerkten: sie starben. Eins nach dem anderen. Und irgendwann war der Organismus des Dudus einfach so platt, wie man es sonst nur von Kleintieren auf dem Exerzierplatz der Bürstenlegion kannte.
Kurzum: der Dudus war tot.
Als Raoulus mit den beiden anderen zurück kam, dauerte es geschlagene fünf Minuten voller Schimpftiraden auf die fehlende Selbstdisziplin seines Freundes, bis er checkte, dass der leere Blick in den Augen seines sich hemmungslos selbst besabbernden Kumpels kein Effekt der handelsüblichen Rauschmittel waren, sondern DER Effekt des sehr unverkäuflichen Todes.
Betretene Stille legte sich für fünf Sekunden in die Gasse, bis Raoulus in die Schimpftirade seines Lebens steigerte. Aufgrund des Jugendschutzes, dem diese Publikationsmöglichkeit unterstellt ist, wird hier darauf verzichtet allzu sehr ins Detail zu gehen. Nur sei soviel gesagt: Tiere spielten eine größere Nebenrolle.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stellte sich wieder Stille ein, doch dieses Mal war diese von fieberhafter Denkarbeit geprägt. Man steckte die Köpfe zusammen, und beratschlug die Möglichkeiten, das Erbe des Dudus würdig fortzuführen. Doch schnell wurde klar: ohne die Galeonsfigur würde es nicht klappen.
Eine Stunde später rief ein Junge auf dem Markt "HEH!!! DA OBEN!!!", und wie so eine Masse nunmal funktionierte, schaute bald der größte Teil der Menge zu einem Flachdach empor, auf dem ein haariger Kerl mit den Armen wedelte, der sehr schnell als DER Dudus identifiziert wurde.
"LEUTE, HÖRT MIR ZU!!!", schrie die Gestalt hinunter, die immernoch mit den Armen wedelte und dann und wann zur Seite zu kippen schien, doch immer wieder aller physikalischen Gesetze zum Trotz einfach zur anderen Seite schwenkte. Jubel brandete auf, einfach nur, weil es offensichtlich wirklich der Dudus war, der zu ihnen sprach, auch wenn sich seine Lippen nicht wirklich zu bewegen schienen, und seine Augen stets halbgeschlossen vor sich hinzustarren schienen. Dass er unruhig von einem Bein auf das andere zu wechseln schien, wurde sofort mit seinem Eifer erklärt. Da schien es jemand kaum erwarten zu können!
"LEUTE!!! SIE HABEN UNS LANGE GENUG ZUM NARREN GEHALTEN!! SIE VERSPRECHEN EUCH SICHERHEIT!!!! SIE VERSPRECHEN EUCH FRIEDEN!!! SIE VERSPRECHEN EUCH WOHLSTAND!!! ABER NICHTS DAVON IST WAHR!!! SIE REGIEREN ALS WÄREN SIE DIE EHRWÜRDIGEN GÖTTER UNSERES VOLKES!! SIE ZEIGEN NICHT DEN GERINGSTEN RESPEKT VOR UNSEREN VERTRETERN!!! UND SIE VERTUSCHEN IHRE SCHWÄCHE, INDEM SIE ALLE TÖTEN, DIE IHNEN IN DIE QUERE KOMMEN!!! DOCH DAMIT IST NUN SCHLUSS, BRÜDER UND SCHWESTERN, DAMIT IST NUN SCHLUSS!!! ICH SAGE EUCH: ES IST AN DER ZEIT, DEN RÖMERN ZU ZEIGEN WIE SCHWACH DIE SCHWACHEN WIRKLICH SIND!! WIE SCHWACH UNSERE KULTUR IST!! WIE SCHWACH UNSER WILLE!! ES IST AN DER ZEIT, ZU ZEIGEN WIE WEIT ES NACH ROM IST!! LASST SIE UNS VERJAGEN!!"
Der Funke sprang sofort über. Nach beinahe jedem Wort, dass der Dudus in die Menge brüllte jubelten ihm die Leute entgegen, brandete Applaus auf, hallte frenetische Zustimmung über den Platz. Und gegen Ende hielten sich die Leute kaum auf ihren Plätzen, schon strömten sie aus um die Nachricht zu verbreiten... die Nachricht, dass endlich jemand gegen die Römer aktiv wurde, dass SIE endlich gegen die Römer aktiv wurden.
Als die Leute sich verstreuten, sank der Dudus langsam in sich zusammen und verschwand von der sichtbaren Dachkante. Hinter ihm schnauften drei Männer, die den leblosen Körper des Dudus mit Stöcken zu Aktivität animiert hatten, und Raoulus nahm einen Schluck Wasser um die wundgeschriene Kehle zu befeuchten.
"Das habt ihr gut gemacht, Männer.", schnaufte dieser anerkennend nickend, "Ihr habt unserer Sache einen Bärendienst erwiesen!"
Die vier Männer lagen matt in der Sonne um den toten Dudus herum, der in der Unterwelt des Rauschgifts nun den ewigen Rausch genießen konnte, während er posthum noch einen Aufstand entfesselt hatte.
Das Ende bekam der Dudus nichtmehr mit. Auch Raoulus würde es nichtmehr erleben, hatte der als pflichtbewusster Freund und Unterstützer des Dudus doch die Aufgabe, die Hinterlassenschaften zu regeln. Und dazu gehörte nunmal auch das komische Kraut mit den schwarzen Kügelchen, die auf ihr nächstes Opfer warteten.