Triclinium | Musikalischer Abend

  • Klimbimbim.
    Piso hatte sich die Lyra extra von Paris, dem Musikersklaven, stimmen lassen. Natürlich hatte er komplett andere Tonalitäten im Sinne gehabt, aber das war Piso nicht recht gewesen. Die rechten Tonlagen könnte nur ein Meister erkennen, nicht ein einfacher Sklave, niemand könnte mit reiner süßlicher Wohltemperiertheit einen Abend gestalten! Paris hatte, etwas eingeschüchtert, nur genickt und Piso dann machen lassen. Der Flavier zupfte an einer Saite rum.
    Buänguängengengeng.
    So hatte eine Lyra gestimmt zu sein, dachte sich Piso, und zupfte nochmals.
    Blämbäm.
    Hört nur, wie lieblich es schallt! Freuet euch, Gracchus kommt bald!
    Denn er wartete im Triclinium auf Gracchus. Hier hatten sich die beiden verabredet, etwas nach dem Essen. Viel zu lange war es hinausgeschoben worden, doch nun war es soweit. Piso und Gracchus waren gegangen, um ihre jeweiligen Instrumente zu suchen, und Piso, dessen Zimmer nicht weit entfernt war von Triclinium, hatte sofort seine geliebte Lyra geholt. Wie gut, dass Furianus das nicht hören würde – so hoch Piso von jenem auch dachte, er war kein Kunstkenner. Gracchus aber, das war ein Schöngeist von Schrot und Korn. Sicherlich würde er erkennen, welch Genie in Piso am Schlummern war!
    In freudiger Aussicht auf die kommende, unweigerliche Entdeckung begann Piso, schnurrend sein Instrument zu streicheln. Gracchus musste doch bald hier sein. Er strich noch einmal ganz sachte, zart über eine Saite.
    Zing!
    Genau so hatte es zu sein. Ästhetik pur!
    Musik in ihrer göttlichsten Form, geradezu unmenschlich edel! Solchergestalt wie die Musik bei ihm mussten die süßen Harfen erklingen, die das Elysium durchdrangen. Ohne die geringsten Zweifel, jawohl!
    Ha! Es wäre doch gelacht, wenn nun seine Kunst keinen Anklang finden würde. Er blickte von der Lyra auf und blickte zur Türe hin. Hatte er dort eben Schritte gehört?


    Sim-Off:

    Reserviert!

  • Beschwingten Schrittes näherte Gracchus sich dem Triclinium, hinter sich seinen getreuen Sklaven Sciurus, welcher eine schmales tympanon in seinen Händen trug, ein Gebrauchsstück zwar nur, doch derart kunstfertig bemalt und verziert, dass in einfacheren Häusern dies durchaus als Schmuckstück hätte eine Wand zieren können - in der Villa Flavia indes wäre solcherlei Wandschmuck wahrlich zu ordinär. Durch die Luft waberten bereits seltsam verzogene Klänge, eine quietschende Kakophonie, als würden gleich mehrere alte, rostige Türen geöffnet, dass ihre Scharniere protestierend schrieen, oder etwa dergestalt als würde man vielen Katzen zugleich den Schwanz zwischen Rahmen und Türe einklemmen. Die Ursache dessen war indes alsbald detektiert, stimmte doch Piso noch sein Instrument - es schien eine sehr neue Lyra zu sein, vermutlich noch nicht eingespielt, dass ausgiebiges Stimmen vonnöten war.
    "Da bin ich"
    , kündigte Gracchus überflüssigerweise sich an, war er doch kaum zu übersehen, und nahm von seinem Sklaven die Handtrommel entgegen, ehedem er zu Piso sich auf die Clinen gesellte, während Sciurus unauffällig in den Hintergrund sich zurück zog - trotz seiner hellen blonden Haare schaffte der Sklave es doch stets, mit dem Schatten zu verschmelzen. Ohne auf einen weiteren Sklaven zu warten, welcher für solcherlei Aufgabe war vorgesehen, legte der Patrizier noch einmal das Instrument zur Seite und schenkte seinem Vetter und sich selbst Wein von tiefer, rubinroter Farbe in die bereitstehenden Becher ein, denn obgleich er sonstig ohne die dienstbaren Geister um sich herum völlig lebensunfähig war - scheiterte er doch schon daran, sich selbst die Schuhe zu schnüren -, so legte er an einem solchen Abend größten Wert auf Unabhängigkeit. Hernach hob er mit breitem, zufriedenem Lächeln seinen Becher.
    "Auf Apollo, Meister der klangvollen Stimmen und lieblichen Töne! Möge er an unserem Spiel Gefallen finden und mit uns ver..weilen!"
    In einer routinierten Bewegung ließ Gracchus einen großzügigen Schluck Wein auf den steinernen Boden neben der Kline schwappen, gänzlich ungeachtet dessen und ohne jeglichen Sinn dafür, dass einige Tropfen bis zu dem unter dem Tisch befindlichen, aus heller Wolle gewebten Teppich sprangen und sich in dessen Fasern fraßen - die regelmäßigen wohnlichen Veränderungen innerhalb der Villa bemerkte Gracchus zwar durchaus, hielt dies indes stets für Zugeständnisse an die ästhetische Vielfalt und Variation.
    "Und auf Marcus! Möge sein Abend am heutigen Tage ausnahms..weise einmal nicht ausgelassener sein als der unsrige!"
    Es würde schwer werden, Aristides' unbeschwerte Ausgelassenheit zu übertreffen, welcher er zweifellos in Baiae tagtäglich nachgab, doch traten sie immerhin zu zweit in diesem Wettstreit an, dass eine geringe Chance zum Sieg gegeben war.

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  • Klimperklimperklim...
    “Salve, mein Vetter!“, erschallte froh die Stimme des Piso, der seine Lyra beiseite legte und aufstand, um Gracchus zu begrüßen. Tatsächlich war sein Instrument neu, aber Gracchus würde es wohl erschaudern lassen, wüsste er, dass die schrägen Laute von eben nicht etwas waren, was Piso durch Stimmen wegmachen wollte. Es waren Töne, die Piso erstrebt hatte, und jetzt nur noch feinkalibrierte. Wohltemperiertheit von Klängen war für Piso ein Fehlkonstrukt, welches süßlich und allzu gefällig den wahren ästhetischen Kern der Musik verleugnete. Nein, Musik hatte anders zu klingen, moderner, frischer, ungewöhnlicher. Gracchus würde das sicherlich ebenso sehen. Eben darum freute sich Piso so über die Präsenz des Sohnes seines Onkels Vespasianus.
    “Das sehe ich. Schönes Instrument“, stellte Piso mit sachlichem Kennerblick fest. Ein flaches Tympanon, klassisch und sehr griechisch, doch war dies die Lyra auch. Schließlich hatte die Lyra sogar den Anspruch, das älteste Instrument der Welt zu sein, hatte doch Apoll einst diese wundervolle Sache erfunden. Ohne Apoll wäre also sein Leben sinnlos, tja, er sollte ihm häufiger opfern! Sein Blick folgte Sciurus. Piso hatte sich trotz der langen Zeit, die er schon in derewigen Stadt verweilte, noch immer nicht mit dem Sklaven anfreunden können. Für ihn war es eine seltsame und zuhöchst dubiose Gestalt, die ob ihrer mangelnden Ästhetik in den Müllkübel abgeschoben gehörte. Nun, aber am Eigentum von anderen konnte man sich leider nicht vergreifen. Zumindest nicht, ohne Sanktionen ins Auge zu sehen.
    “Danke“, machte Piso brav, als Gracchus Wein einschenkte – ungewöhnlich, sonst machten es ja zumeist Sklaven. Aber hie und da sollte man schon noch eine Handbewegung ausführen. Oder nicht? In Piso entstand schon das Bild von ihm selber, wie er von Sklaven innerhalb der Villa herumgetragen wurde. Das war befriedigend. Doch dieses Hirngespinst konnte er später noch verfolgen, vorerst galt es aunzustoßen.
    “Auf Apoll!“ Es fiel Piso nicht schwer, auf diesen einen Gott anzustoßen, den Gott der Musik. Unter anderem. Auch Piso legte seinen Becher schief, um eine wohl dosierte Portion des Weines auf den Boden zu schütten, wenn auch ein bisschen weniger großzügig als Gracchus. Schließlich war er ja kein Pontifex, sondern nur Septemvir. Und er hatte – wichtig – Durst. Wenn auch die Zufuhr von Wein schier unerschöpflich schien im Hause Flavia. Die Tropfen schüttete er hingegen nicht direkt auf den Teppich, sondern bemühte sich, sie daneben zu schütten. Es war gut, seine Extremitäten unter Kontrolle zu haben.
    “Auf Marcus, ja, sehr wohl“, stimmte Piso mit ein und dachte zurück an seinen Vetter. Ja, wie es ihm nun wohl gehen mochte. Er erinnerte sich daran, wie sie sich einst zusammengerauft hatten in Aristides‘ Zimmer. Das waren noch Zeiten gewesen... hach. Das mit den ausgelassenen Abenden wollte er einmal nicht auf sich bezogen haben... obwohl... in letzter Zeit waren diese viel weniger geworden. Es war die Arbeit. Er seufzte.
    “Gut, gut. Willst du eine Melodie anstimmen?“, fragte er Gracchus.

  • Etwa in gleicher Menge wie für den Gott geopfert nahm Gracchus nun einen Schluck des Weines - zu dieser frühen Stunde noch ein überaus kostbarer Tropfen aus den besonderen Vorräten des Flavius Felix, welche tatsächlich auf gar mysteriöse Weise niemals zur Neige gingen, wie so vieles in der Villa auf gar mysteriöse Weise geschah, bei detaillierter Nachforschung indes sich als gänzlich profan würde erweisen - und schmeckte prüfend dem Geschmacke nach, sich dabei einbildend, dass dies tatsächlich ein vorzüglicher Rebensaft war, im Grunde jedoch keinerlei Aussage darüber konnte treffen, da es ihm an den rechten Geschmacksknospen für die Degustation von Wein seit jeher gänzlich mangelte, er einen billigen Fusel kaum von einem kostbaren Tropfen konnte differenzieren - was er gleichsam niemals würde offen eingestehen, zumindest nicht in nüchternem Zustande. Mit einem darob zufriedenen Seufzen stellte Gracchus das Glas vor sich hin, griff zu dem tympanon, dessen Wertschätzung durch Piso er zwar durchaus hatte perzipiert, darauf jedoch nicht reagierte, wie kaum je auf irgendeine Anerkennung irgendetwas, das mit seinem Besitz oder seiner Person in Zusammenhang stand.
    "Es wäre mir genehmer, so du beginnst. Das tympanon eignet sich ohnehin mehr für den Takt denn die Melodie, wiewohl ich versierter darin bin einem vorge..gebenen Rhythmus zu folgen, denn ihn anzuleiten."
    Dies war genau genommen noch eine Untertreibung, denn obwohl das Taktschlagen und insbesondere Singen im Zuge der Riten der Salii Palatini letztlich umringt von den übrigen Sodales nicht gar so schief war ausgefallen wie befürchtet, so würde sein alleiniges Spiel doch merklich den noch immer vorherrschenden Makel zu Tage bringen - verlor doch seine Rechte bisweilen den Fluss einer Bewegung oder verhakte sich in einer anderen, wie dies mit mancherlei Buchstaben ihm gleichfalls geschah, wiewohl er trotz beständigen Trainings die Linke nicht dazu konnte bewegen, in anstandslos vollendeter Art und Weise die Aufgaben der Rechten zu übernehmen. Für diesen Abend hoffte er darob darauf, dass sein Leib den rechten Rhythmus würde finden, so Piso ihn vorgab.

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  • Auch Piso trank, jedoch war sein Schluck ein wenig größer als der von Gracchus. Der Wein war wirklich gut. Falerner, Caecuber? Etwas in der Qualitätsrichtung. Seine Augen folgten den Bewegungen des Gracchus, als dieser nach seinem Tympanon griff. Dabei gab er Piso die Erlaubnis, seine eigene Melodie vorzugeben. Piso nickte. Gracchus hatte wohl recht, und einer Lyra konnte man mehr Melodien entlocken als einem Tympanon, wiewohl auch Piso war, aus einem Tympanon konnte man allerlei hervorwürgen, wenn man es auf kreative Art und Weise zu zupfen wagte.
    “Gut. Gut.“ Mit sonorer Stimme, die nichts davon erahnen ließ, wasnun folgen würde, zählte er gemächlich ein. “Drei... und zwei... und eins...“ Er lächelte Gracchus noch einmal zu, bevor er seine Hand in die Lyra hineinrauschen ließ und rabiat daüber hinwegraspelte. Die Lyra gab einen Klang von sich, als ob man mit Fingernägeln langsam über eine Tafel kratzen würde. Der Flavier würgte die Lyra direktgehend. Die Töne, die ihr entströmten, waren mehr als abstrus. Aber immer noch besser als das, was Piso nun entfuhr.
    “Ajajajajajajajajaj...“ Klimper! Krächz! Knarr, machte die Lyra. “AJAJAJAJAJAAAAAAAAAAAAAAJ! Ich bin ja so unglücklich!“ Piso beugte sich mit künsterlischer Leidenschaft über die Lyra und riss mit Gewalt an den Saiten, die aufkreischten wie gequälte Seelen. “Ojojojojojojoj! Ojeojeojeoje! ICH! BIN! JA! SO UUUUUUHUUUUHUHUNNNNNGLÜCKLIIIIIIIIIICH!“ Das unglücklich startete in einer fisteligen, hohen Tonlage, die im Laufe des Wortes schräglings absackte und in einem herben Zischlaut endete.
    Abrupt hörte er auf und erklärte Gracchus mit salbungsvoller Stimme: “Ganz simpel. Die Melodie ist schon voll entwickelt, auch inhaltlich kommt nicht mehr viel dazu, der Rest sind Abwandlungen, aber der Effekt ist durchaus nicht zu verachten.“ Dann ergriff er wieder seine Lyra, noch bevor Gracchus ihn daran hindern konnte.
    “AJAJAJAJAJAJAJAJAAAAAAAAAAAAAAAAAAAJ! O weh, o weh, o weh! Wie das weh tuuuuuuuuUUUUUUUAAAAAAUUUUUOOOOUUuuut!“ Piso zog eine leidensvolle Miene, als er leidenschaftlich in die Lyra reingriff, um ihr einen noch hässlicheren Laut als vorher zu entlocken. “ICH BIN JA SO! SO! SO! SO! SO! UUUUUUUUUUUUUhu.... UUUUUUUUUUhu...UUUUUHUHUHUHUHUNGLÜCK... lichhhhhhhhhh...“ Bei der letzten Silbe betonte er dessen Gutturalität mit einem besonders exquisiten Laut – exquisit, weil er sich anhörte, als ob man jemandem eine Lyra derb über den Kopf gehauen hätte.
    Er legte die Lyra kurz ab und betrachtete Gracchus‘ Reaktion, als er einen Schluck Wein trank.

  • Harmonisch zählte Piso den Rhythmus ein, ehedem er in die Saiten griff, das Instrument begann in grausamster Art und Weise zu quälen und dazu sein extravagantes Timbre ließ erschallen, es zu einem heulenden Wehklagen steigerte, der Semantik des Liedtextes wohl durchaus adäquat, doch eine regelrechte Tortur für jeglichen in der Nähe befindlichen Zuhörer - was zu seinem jählings emporsteigenden Bedauern Gracchus ganz offensichtlich einschloss. Der gellende Missklang aus seiner Vetter Kehle potenzierte sich mit der Dissonanz der Lyra zu einer regelrechten Kakophonie, welche an ihm vorbei donnerte einer in Panik verfallenen Herde hispanischer Bullen gleich, deren an seinem gesamten Wesen reißender Zugluft er einzig allein seines Willens sich konnte erwehren, dass er nicht von ihr wurde rücklings hinfort gerissen und es fehlte einzig, dass seine Haut durch die Fliehkraft wurde nach hinten gesogen, dieses Bild zu komplettieren, denn nicht erschütterter hätte Gracchus können sein denn in diesem Augenblicke, welcher gänzlich erfüllt war von affrösem Schall. Starr und unfähig zu jegliche Regung stierte er Piso in dessen kurzer Pause an, in regelrechtem Schocke verharrend über das Maß an Hässlichkeit, welches noch immer in seinen Ohren nach hallte, während sein Vetter die Weise erläuterte und noch ehe Gracchus konnte reagieren neuerlich in sein markerschütterndes Lärmen verfiel. Noch immer - eine endlose Folge unmelodischer Tonreihen später - saß Gracchus reglos und verkrampft Piso gegenüber als jener zu einer weiteren Pause innehielt, nach seinem Wein griff - eine Handlung, welcher auch Gracchus nur allzu gerne wäre nachgekommen im Versuch das Pfeifen in seinen Ohren durch seine Kehle hinab zu spülen, unfähig indes auch nur seine Hand nach dem Becher auszustrecken.
    "Was ... "
    , begann er schlussendlich heiser krächzend.
    "Was war... Was war das?"
    Was auch immer es gewesen war, er wusste nur wie es gewesen war: abominabel, grauenvoll, fürchterlich!
    "Hast du das auch ... ?"
    Doch es war unmöglich, dass Piso den Missklang hatte vernommen, ausgeschlossen, dass die Dissonanz auch in seinen Ohren hatte geklungen, denn er war augenscheinlich viel zu entspannt, unbeschwert und beschwingt von harmonischem Klang. Endlich löste Gracchus sich aus seiner Starre, griff nach dem Becher und nahm ebenfalls einen kräftigen Schluck Wein. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Gehör. Manches mal hörte er ferne Stimmen, manches mal Wispern, welches nicht tatsächlich war, und da seine Sinne ihm ohnehin nicht mehr gänzlich vertrauensvollen Dienste leisteten, wie konnte es anders sein als dass auch sein Gehörsinn nun schadhaft war - wenngleich bisherig ihm dies nicht war aufgefallen, doch wann indes hatte er zuletzt sich bewusst an musischem Werke ergötzt? Er entsann sich an Musik und Tanz während der Meditrinalia, doch in den Armen Hephaistions wäre vermutlich selbst die soeben vernommene Kakophonie höchster Tonkunst gleich ihm erschienen.
    "Verzeih, ich... "
    Er füllte derangiert seinen leeren Becher wieder auf und nahm sogleich noch einen Schluck, ehedem er leicht den Kopf schüttelte als könne er so daraus die Erinnerung an das Gehörte verbannen.
    "Fahre nur fort, ich ... ich brauche noch etwas mehr Takt, mich darin einzufinden ..."
    Neuerlich nahm er die kleine Trommel zur Hand, noch einmal tief durchatmend, bereit und fest entschlossen dem nächsten Stücke im Rhythmus zu folgen.

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  • Was war dieses Krächzen? Eine menschliche Stimme? Tatsächlich, es war Gracchus, der so aussah, als hätte ihn der Schlag getroffen. Sicherlich, so Pisos erster Gedanke, hatte seinen Vetter die Schönheit dieser Musik so gerührt, dass er wie versteinert war. Gracchus machte unvollständige Halbsätze, drei an der Zahl, die Piso nicht vollständig entschlüssen konnte. Was was? Piso blickte Gracchus fast so konsterniert an wie jener ihn. Hatte er was? So eine Reaktion hatte sich Piso nicht vorgestellt. Vielleicht, dass Gracchus aufgestanden wäre und applaudiert hätte! Ja, das hätte ins Schema gepasst. Aber nun gut, seine Kunst war eben avantgardistisch. Was sonst sollte es sein? Verkommene Vorstellungen von Ästhetik waren nicht nach Pisos Geschmack, er war da anders! Er war fortschrittlicher!
    Gerade wollte er also fragen, was Gracchus da gemeint hatte, da entschuldigte sich jener und bat ihn, fortzufahren. Piso lächelte ihm gütig zu. “Natürlich. Kein Problem. Also machen wir weiter. Drei... und zwei... und eins...“ Mit der selben sanften, friedlichen Stimme wie vorhin stimmte er das Lied ein. Dieses Mal attackierte er nicht sogleich die Saiten unbeherrscht, sondern bracht zuerst seine Hände sachte an das Instrument hinan. Er strich mit auserlesener Sorgfalt viermal über die Saiten, dreimal eine Grundtonstufe, einmal etwas tiefer als diese. Und man höre und staune, Piso brachte 4 gar liebliche Töne hervor aus seiner Lyra, die das Desaster von gerade eben vergessen machen konnte. Er wiederholte das gefällige Melodienmuster. “Glück und Lie-be...“, summselte er dabei. “...ha-ben vie-le...“ Dann jedoch formte sich seine rechte Hand zur Kralle, und erzürnt fuhr er in die Saiten hinein. “ABER NICHT IIIIIIIIICH!“ Und dann trat etwas geradezu Unbeschreibliches aus Pisos Mund – ein veritables Todesgrollen, welches 1900 Jahre später sicherlich alle Liebhaber des Death Metal in Entzückung versetzt hätte, Pisos eigener Zeit leider, um nicht zu sagen deplorablerweise, weit voraus war. “HUUUUUUAAAAAAARRRRRRR!“, brüllte Piso aus Leibeskräften. Er atmete tief durch, beugte sich über seine Lyra und kratzte hektisch mit seinen Fingernägeln drüber, woraufhin gar schaurige Klänge das Triclinium durchdrangen. Der Flavier schrie wie am Spieß: “IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII!“, bevor er sich abrupt aufsetzte in sein voriges Muster zurückverfiel. “AAAAAAAAAAAjajajajajajajajajaj! Ajajajajajajajajajajaj! O nein, o nein, o nein! Ich bin ja so uuuuuUUUUUUUUUUUUUUUUUUUN-glücklich... BUHUHUHUHUHU! BUHUHUHUHUHU! SEHT MEINE TRÄÄÄÄÄNEN!“ Er blickte zu Gracchus hin. “Also, wie du hörst, ein Sechsertakt. Dam-damdaramdamdam“, gab er ihm einen wohlgemeinten Ratschlag bezüglich des Taktes. Dann griff er wieder in die Saiten und entlockte ihnen einen sehr schiefen Ton, bevor er innehielt, sich selber unterbrechend, und zu einem Glas Wein griff.
    “Na ja. Sollen wir vielleicht was anderes spielen, Gracchus? Meine beste Komposition ist dies ja meines Erachtens noch lange nicht. Aber es ist eine, die meine momenane Gefühlslage am besten wiederspiegelt, deshalb habe ich sie ausgewählt.“ Er lächelte zu Gracchus hin, zum wiederholten Male, durchaus erwartungsvoll.

  • Diesmalig baute die grausame Kakophonie sukzessive sich auf, ausgehend von Pisos harmloser Sprachcouleur und dem harmonischen Einzählen, über ein trügerisches Anklingen der Saiten, bis hin zu dem krawallartigen Malträtieren des Instrumentes und einem Urschrei, welcher wohl dazu wäre geeignet, das gesamte parthische Heer in die Flucht zu schlagen oder aber die Alpes dazu zu bewegen, in sich zusammen zu stürzen. Es rührte dies Gracchus bis in die tiefsten Tiefen seines Selbst, die verborgenen Abgründe weit unter seinem Gedankengebäude, dort, wo nurmehr feuchte Dunkelheit herrschte und die wahnsinnige Bestie hauste, stets auf den Augenblicke wartend, sich durch solch urgewaltige Kraft von ihren eisernen Ketten zu befreien, die mächtigen Mauern zu durchbrechen, die wackeren Wächter im Keller zu übermannen und Zutritt in Gracchus' Geiste sich zu verschaffen, dass alle jemals in ihm aufgestaute Wut, aller Zorn und Hass, welchem er keinen Platz einräumte in seinem Sein, alle Gewalt und aller Irrsinn in einer gewaltigen Eruption sich würden entladen, dass er brutal marodierend durch sein Leben würde wüten, dabei alles auslöschend, das ihm wichtig war. Er konnte spüren, wie das Ungetüm in ihm sich rührte während Pisos Grollen den Raum erfasste - spürte das marginale Zittern in seinen Fingern, den kalten Schauer, welcher sein Rückgrat emporkroch -, welches so abrupt endete wie es hatte begonnen in jenem Augenblicke da sein Vetter zurückverfiel in sein Jaunern - augenscheinlich war selbst der Bestie ein gewisses Maß an Geschmack zu eigen, dass sie freiwillig in diesem Moment sich wieder zurück zog. Auf den Krawall folgte endlich Stille, unendlich wundervoll tönende Stille, nur durchbrochen von Pisos Worten, und auf die Starre in Gracchus' Antlitz folgte die Resignation. Ohne, dass dies sich zuvor würde abzeichnen, öffnete sich seine Hand, dass die kleine Trommel daraus achtlos auf die Kline fiel, während gleichsam sein Leib jählings zurück kippte, ungebremst in die weichen Kissen, als hätte rücklings eine Keule ihn getroffen. Einen einzigen Schritt trat Sciurus aus dem Schatten, stets bei solcherlei in Sorge, seinen Herrn könnte neuerlich der Schlag getroffen haben, doch bewegten alsbald sich Gracchus' Lippen.
    "Es ist ... grauenvoll."
    Die Worte hingen in der Stille, ohne dass deutlich wäre, was genau er damit meinte - den Zustand Pisos musischen Gespüres oder seinen eigenen.
    "Nie habe ich affrösere Töne ver..nommen."
    Träge drehte er sich zur Seite, stützte den rechten Ellenbogen auf dem Polster ab, seinen Kopf auf der Hand, und blickte seinen Vetter aus trüben Augen an.
    "So vieles in meinem Kopf ist nurmehr ... wirr. Ich weiß nicht, ob es das Erbe unseres Blutes ist oder ob ich ... "
    Er winkte mit der Linken ab, als wäre dies unerheblich, als wäre es nicht allfällig seine Schuld, als hätten nicht seine Taten dies womöglich bedingt, als hätte nicht er vielleicht den Zorn der Götter herausgefordert.
    "Manches mal ist es, als würde die Semantik gespro'hener Worte an meine Türe klopfen, hereintreten und sobald die Pforte hinter ihr sich schließt, ver..schieben die Mauern meines Gedankengebäudes sich, dass ich nichts dagegen tun kann, dass sobald sie weiter ihren Weg sucht sie irgendwo angelangt, doch nicht dort, wo ihr Ziel liegt, dass sie mir nicht ersi'htlich ist, manches mal gänzlich verborgen bleibt. Mit geschriebenen Sätzen ist es noch weitaus schlimmer, die einzelnen Worte treten nicht nacheinander ein, sondern werden zuvor wahllos vermengt, einem konfusen Reigen gleich. Und augenscheinli'h ist es mit der Musik similär, dass die Töne nicht mehr in ihrer Harmonie zu mir dringen, nurmehr als zer..stückelte Kakophonie, als sinnleeres Lärmen in meinem Kopfe."
    Er seufzte und griff nach dem Wein, welcher in seiner unverdünnten Konsistenz nicht unerheblich dafür Sorge trug, dass Gracchus' Zunge derart war gelöst. Andererseits indes musste er irgendwann mit irgendwem darüber sprechen und wenn es nur war, um den Druck aus seinem Gemüt zu vertreiben, wiewohl Piso als Zuhörer durchaus opportun schien. Sciurus fiel für solcherlei Zwiegespräch gänzlich ungeeignet, war er letztlich doch nur ein Sklave, ohne Sinn für die Widrigkeiten menschlichen Lebens, Antonia ebenfalls, war es Gracchus doch stets zu schwer, offen mit ihr zu sprechen. Aristides oder Aquilius hätte er jederzeit und bedingungslos sich anvertraut, doch beide waren weit fort, Leontia allfällig, doch sie war tot, seinem Bruder vertraute Gracchus nicht im Geringsten und zu Furianus hatte er nie rechten Zugang gefunden. Mit Piso hinwieder trankt er Wein und musizierte - zumindest versuchten sie es, was ihn schon weitaus näher ihm brachte als jeden anderen. Was Gracchus über all sein Dilemma indes nicht verborgen geblieben war, waren die Worte aus seines Vetters Gesang gewesen, welche dessen augenblickliches Sentiment widerspiegelten, das unbezweifelt es wert war, es zu erkunden, lag es Gracchus doch weit näher, den Sorgen und Nöten seiner Familie sich zu widmen denn seinen eigenen, so dass er - den Becher nicht aus der Hand entlassend - Pisos Blick suchte.
    "Aus welchem Grunde bist du unglückli'h, Piso?"
    Emotionalitäten waren zwar nicht unbedingt bevorzugtes Thema innerhalb der flavischen Mauern, doch gab es durchaus Anlass, darüber zu sprechen, etwa wenn diese Gefühlslagen aus Stagnation der Karriere, aus politischer Defensive oder etwa familieninternen Disputen erwuchsen - welche Gracchus derzeitig bei Piso nicht konnte ausmachen, doch war er nur allzu sehr sich dessen bewusst, dass vieles innerhalb und außerhalb dieser Mauern vollkommen unbemerkt an ihm vorüber ging.

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  • Interessiert blickte Piso nun nach der Darbietung seiner infernalischen Künste, die den Wein in den Gläsern zum Schwingen gebracht hatte, vielleicht die Gläser auch selber zerschellen lassen hätte können, wäre Piso imstande gewesen, seinen hohen, quietschenden Ton eben noch eine Sekunde länger zu halten, Gracchus an, in der freudigen Erwartung, dass ihm sein Vetter mit mildem Gesichtsausdruck Applaus spenden würde. Doch was war das?
    Gracchus saß da, mit einem Gesichtsausdruck, den Piso noch nie bei ihm gesehen hatte. Und dann kippte der ältere Flavier zurück, unvermittelt, in die flauschigen Polster auf seiner Liege, noch bevor Piso etwas sagen konnte. Und er beschloss auch weiterhin, nichts zu sagen, denn wie ein unheilvolles Verdikt kamen nun die Worte des Gracchus aus dessen Mund (es wäre ja auch zu erstaunlich gewesen, wenn die Wortes seines Vetters aus einem anderen Mund gedrungen wären!). Grauenvoll? GRAUENVOLL? In Pisos Hirn ratterte es. Wie konnte man das Wort grauenvoll mit seiner Musik in Einklang bringen? Nein, sicherlich hatte Gracchus etwas anderes gemeint. Piso blickte sich um, um hinter sich selber vielleicht die Quelle des Grauens erblicken zu können. Doch da war nichts, nur die Wand. Doch Gracchus klarifizierte sogleich, was er meinte – die Musik. Affröse Töne? Was zum Henker sollte das bedeuten? Piso war schon bereit, sich zu erheben, um den Worten Gracchus‘ die Stirne zu bieten. Wie konnte es sein, dass sein Vetter, den er bisher immer als Schöngeist erachtet hatte, seine Musik als so schrecklich zu bezeichnen? Das war wohl ein schlechter Witz!
    Doch bevor Piso aufstehen konnte, in seiner üblichen gestenreichen Art sich beschweren und dann zornerfüllt abdampfen konnte, mitsamt seiner Lyra, folgten weitere Worte. Was sagte da Gracchus? Es waren verschwurbelte, wunderliche Worte, wie man es von ihm gewohnt war, und doch setzte sich das Bild erst zusammen, als Piso sich alles angehört hatte und die Worte verdaut hatte.
    Es lag also nicht an ihm. Es lag an Gracchus. Gracchus konnte die Musik nicht mehr vernehmen. Und auch sonst nicht mehr viel. Piso wusste zwar, dass Gracchus bestimmte Probleme hatte, doch so drastisch waren sie ihm bisher noch nicht erschienen. Betroffen schwieg er kurz. Erst dann öffnete sich sein Mudn. “Mensch, Gracchus.“ Mehr sagte er nicht, doch aus seinen Augen konnte man bestimmt Pisos Emotionen ablesen. Da war Bestürzung, da war Mitleid, da war so etwas wie Wärme. Piso seufzte tief und trank einen Schluck Wein.
    Dann noch einen. Wein war gut, er tötete, was schlecht war, und erhob, was gut war. Piso hatte schon oft Leute gesehen, die beim Weingenuss in tiefe Melancholie verfielen, aber Piso gehörte da nicht dazu. Piso wurde nur heiter, sonst nichts, auch nicht gewalttätig. Irgendwann war auch Schluss mit dem Wein, dann und wann wurde auch das Vomitorium gespeist. Aber Piso mochte insgesamt den Alkohol, auch wenn er ihm nicht vehement zusprach.
    “Was sagt Kosmas dazu? Hat er keine anderen Lösungen als die, die er jetzt hat? Ich meine, Aderlässe! Bringen die irgendetwas?“, fragte Piso, der sich natürlich überhaupt nicht in der Medizin auskannte. Er hatte es nie studiert, wohl auch, weil er der Chirurgie nicht zugetan war, empfand er sie doch als äußerst unästhetisch. Organe! Pfui. “Du solltest dich vielleicht einmal einem anderen Arzt anvertrauen. Keinem Sklaven, sondern einem Professionellen in der Stadt.“ Es gab sicher viele davon, und nicht alle waren unsaubere Scherer und Wundärzte in kleinen Buden, die nebenher auch noch Haare schnitten. Auch wenn sich Piso nciht ganz sicher war, erfreute er sich doch bester Gesundheit, bis auf ein paar Hypochondrieanfälle.
    Dann kam auch noch eine weitere Frage. Gracchus fragte Piso, warum er unglücklich war. Nun ja, die Frage war vorhersehbar gewesen, hatte Piso doch Gracchus anvertraut, dass er unglücklich war.
    Der Flavier atmete tief durch. Gut, er würde es Gracchus erzählen, und zwar alles. “Ich werde es dir sagen. Du wirst zwangsläufig unzufrieden sein, sogar böse. Ich bin unglücklich, weil ich nicht der Mensch sein kann, der ich sein will. Ich wäre gerne ein perfekter Römer, der sich und seine Emotionen stets unter Kontrolle hat und die Mos Maiorum bis ins genaueste Detail beachtet. Doch da bin ich nicht. Vielleicht hat es auch mit unserem Blut zu tun, vielleicht ist es aber nur eine schlechte Ausrede.“ Er atmete noch einmal durch. “Es gibt da eine Patrizierfamilie. Das, sagen wir, Oberhaupt, ist ein Senator, ein Ädilar. Er hat eine Nichte, die sui iuris, und unter seiner Tutela, ist. Es ist so... ich habe mich in diese Nichte verliebt. Unsterblich. Ich bin nciht mehr ich selbst, wenn ich an sie denke. Ich will nur mehr sie haben. Ich bin ein Getriebener. An anderes als diese Liebe denke ich kaum noch.“ Er biss sich auf die Unterlippe. “Und ich glaube, sie entgegnet meine Gefühle. Und es war nun so... ich hatte kürzlich bei jener Familie geschäftlich zu tun, und traf jene Nichte dort im Garten an. Eines führte zum anderen, und am Schluss küssten wir uns. Nur war es so, dass uns dabei der genannte Ädilar erwischte. Er verbot mir, sie, um es in seinen Worten zu sagen, je wieder zu belästigen. Dabei habe ich sie doch nie belästigt!“ Er seufzte. “Doch ich muss sie wieder sehen. Wenn ich sie nicht haben kann, werde ich daran zugrunde gehen.“ Er schwieg nun und erwartete das imminente Donnerwetter.

  • Als würde er ohne Halt untergehen in einem erbarmungslosen Strom aus Realität, hielt Gracchus seinen Becher fest umklammert, löste nur seine Linke so es galt den Krug zu fassen und mehr des samtig glitzernden Rebensaftes sich einzugießen. Er war kein Mensch, der seinen Kummer in Wein zu ertränken pflegte, wusste er doch zu genau, dass andernfalls er jeden Abend darin würde ertrinken, wiewohl er kaum je qualvolleres Erwachen hatte erlebt denn jenes nach durchzechten Nächten - meist kam er an solchen Tagen bis zum Sonnenuntergang nicht einmal aus seinem Bette hinaus. Doch manches mal wollte er versuchen, die Welt in einem Meer aus rubinrotfarbener Verzückung zu vergessen, einen Abend nur, eine Nacht auszubrechen aus der jämmerlichen Hülle seines Selbst und zumindest vorzugeben, ein standhafter, unerschütterlicher Römer zu sein, seinem Vetter Aristides gleich, der noch einen okeanos aus Wein würde leer trinken können, ohne hernach auch nur zu straucheln, weder physisch noch psychisch - jedenfalls war Gracchus von dieser Ansicht überzeugt, war er doch bei den entsprechenden Gelegenheiten stets bereits in jenem Stadium angelangt gewesen, in welchem er nichts mehr realisierte, noch registrierte, während sein Vetter noch längst alle Sinne beieinander hatte gehabt.
    "Aderlass!"
    Verachtung troff aus Gracchus' Stimme, wiewohl sie deutlich ihm ins Gesichte geschnitten war - nicht einzig deswegen, da bereits der Gedanke an den Anblick seines eigenen Blutes im leicht blümerant vor Augen ließ werden.
    "Allein dieses Wort grämt mich! Und wenn es einzig mich noch am Leben hält, es ist eine überaus degoutante Ange..legenheit!"
    Kopfschüttelnd winkte er ab und schluckte seinen Ekel mit einem Schluck Wein hinab. Er konnte bald mehr Schnittwunden vorweisen als ein Soldat - obgleich er stets Wert darauf legte, dass die zurückbleibenden Spuren nicht allzu exponiert waren -, fürchtete gleichsam indes Kosmas Einhalt zu gebieten, da die Medizin ihm ebenfalls gänzlich unvertraut war, dass noch weitaus schlimmer es um ihn würde stehen können ohne das sich regelmäßig wiederholende Blutfließen.
    "Ich hätte Cadipolos Calimeres zwingen sollen, Achaia mit mir zu verlassen. Er ist ein fähiger Medicus, bra'hte meinen Leib, wie Geiste wieder in Be..wegung, aber ... ich kann Rom nicht den Rücken kehren da mein Sohn nun bald alt genug sein wird, seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Und hier? Wem sollte ich mich anver..trauen in dieser Stadt? Verstehst du nicht, was das bedeutet? Ich würde mich, unsere gesamte Familie der Ridikülität preisgeben! Das ... das kann ich nicht riskieren."
    Noch ein Schluck Wein rann seine Kehle hinab, konnte doch nicht die Bitterkeit aus seinen Worten vertreiben, spülte nur Schlieren aus Melancholie darüber hinweg.
    "Den perfekten Römer gibt es nicht, kann es nicht geben. Es gibt nur die Vor..stellung, an der sich zu orientieren, ein Ideal, welchem es zuzustreben gilt. Der Wille, dies zu tun, Piso, die Beharrli'hkeit und inhärente Ausdauer sind es, welche uns auszeichnen. Du bist ein Flavius, und mag der Wahn in deinem Blute lauern, so ist es doch gleichsam erfüllt mit unbändiger, unerschöpfli'her Geisteskraft. Du wirst niemals die ange..strebte Perfektion erreichen können, doch dass du nicht abweichst von dem Wege dorthin, koste es was es wolle, dies macht dich zu einem wahren Römer, zu einem Patrizier."
    Es war, als würde er zu sich selbst sprechen, als würde er selbst sich anzutreiben suchen, der er seit Monaten, Jahren gar schon nurmehr im Kreise neben der Spur lief, beständig um einen unüberwindlich erscheinenden Felsen rotierte, welcher vom Wege ihn hatte abgebracht - im Versuche jenen zu bezwingen dabei nicht bemerkend, dass dieser abseits des Weges lag, nicht einmal Bestandteil dessen war, das Vorbeigehen daran so einfach würde sein können -, und hätte nicht das Geständnis seines Vetters ihn derart in Erstaunen versetzt, dass alles zuvor gesagte es aus seinen Sinnen fegte, allfällig wäre er doch dazu übergegangen, den Gram über diesen Zustand sinnlos in Wein zu ertränken.
    "Liebe, Piso?! Oh armer Tor, der du bist, denn es gibt ni'hts grausameres auf dieser Welt!"
    Ernsthaft blickten Gracchus' braunfarbene Augen in die graufarbenen Augen seines Vetters.
    "Du wirst wahrli'h daran zu Grunde gehen, früher oder später, denn nichts anderes hält die Liebe am Ende bereit als Verlassenheit und Desperation, Rück..sichtslosigkeit und Defätismus, oder Jähzorn und Verdrossenheit."
    Er suchte den Übelstand genauer zu durchleuchten, am Schleier des Rebensaftes vorbei, denn augenscheinlich hatte Piso bereits das leidvoll erfahren müssen, was ein von heimlicher Liebe getriebener Mensch im Innersten mehr noch fürchtete als alle Entfernung der Welt - und mochte sie bis nach Aegypten reichen: die Dekuvrierung.
    "Sie ist also no'h nicht verheiratet?"
    vergewisserte er sich noch einmal im Versuch, seinen Verstand in Bewegung zu setzen, war dies doch eine überaus prekäre Angelegenheit. Gleichsam - durch seine eigene Biografie hinlänglich mit klandestinen Liaisons vertraut - war es nicht Wut auf die Sorglosigkeit seines Vetters, welche in Gracchus aufkeimte, sondern einzig Sorge um dessen, wie auch der familiären Untadeligkeit, wiewohl verständnisvolle Konnivenz.
    "Er hat recht, Piso, du musst dich von ihr fern halten. Das Warten auf einen Augen..blick ist eine maliziöse, torquierende Angelegenheit, doch wenn du sie wirkli'h liebst, musst du ihr fern bleiben bis sie vermählt ist und ihrem Ehemann einen Erben geschenkt hat. Dana'h, nun, so es auch ihr Wunsch ist, wird es gewiss einen Weg geben, die kargen Früchte der Liebe zu goutieren. Doch alles andere wird sie nur in Schande stürzen, Piso, und dich allfällig glei'h mit."
    War die Liaison zu einem ehrbaren Manne bereits diffizil, mit einer ehrbaren Frau zu karessieren war zweifelsohne noch weitaus komplexer.
    "Womögli'h sollten wir deine eigene Eheschließung vorantreiben, eine Gemahlin wird dich unbe..zweifelt auf andere Gedanken bringen. Erörterten wir nicht weiland die Vorzüge einer Tiberia oder Aurelia? Waren wir diesbezügli'h bereits zu einer Entscheidung gelangt?"

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  • Abermals trank Piso einen Schluck aus seinem Weinbecher. Langsam bemerkte er schon die Effekte des Weins, wenn auch jener verdünnt war. Die Effekte waren angenehmer Natur, er fühlte sich ein wenig entspannter - doch gleichsam wurden seine Emotionen durch den Alkohol aufgebläht auf riesige Größen. Alkohol führte auch dazu, dass sein Ego ganz wunderliche Formen annahm, dann und wann schrumpfte, dann und wann explosivartig aufging wie ein Germteig.
    Das gleichermaßen explosiv vorgebrachte Wort des Gracchus mochte da fast etwas ernüchtern. Gracchus schien den Aderlass zu scheuen wie die Götter jemanden, auf dem ein Fluch lastete, und dennoch befand er, wie Piso aus seinen Worten ergründen konnte, den Aderlass als essentiell. Nun war das Problem – so sehr Piso auch nachdachte, er konnte tatsächlich an nichts anderes denken als Aderlass, was seinen Vetter von seinen Leiden erlösen konnte. Sicher mochte es andere medizinische Theorien geben, erstellt von Quacksalbern und dubiosen Orientalen, aber gute griechisch-römische Schulmedizin konnte nicht übertroffen werden, von niemanden auf der Welt. Man konnte zwar mit anderem experimentieren, aber womit? Und anhand welecher Leute? Und warum denn? Wer hatte denn die Zeit und die Materialien, groß herumstudieren zu beginnen? Piso konnte nicht anders, als Gracchus Recht zu geben.
    “Cadipolos Calimeres. Ist das ein Sklave? Und selbst wenn nicht - du kannst jenem Medicus sofort befehlen, nach Rom zu kommen. Schreib einfach einen Brief nach Achaia. Welcher Peregrine könnte sich den Anweisungen eines Römers, gar eines Senators widersetzen? Innerlich erachte ich ja Kosmas für einen Pfuscher. Auch ich bin nicht recht zufrieden mit mir. Als ich letztes Jahr eine Sommerkrankheit hatte, hat er Andeutungen gemacht, ich wäre ein Hypochonder.“ Natürlich war Piso das gewesen, er hatte sich ein bisschen vor seiner Arbeit drücken wollen. Aber ein Sklave hatte seinem Herren absolute Deferenz zu leisten!
    “Was mich angeht, ich hätte nichts dagegen, wenn die Leute mich belächeln, wenn es im Gegenzug dazu dir besser gehen würde“, bot er an.
    Piso horchte sich nun Gracchus an, was jener über den perfekten Römer zu sagen hatte. Es gab ihn nicht, doch man sollte ihm entgegenstreben? Nun, das klang so plausibel, dass Piso einfach nur schweigen und nicken hätte können. Dennoch vergrub er seinen Kopf in seinen Armen. “Dem Ideal zustreben...“ Dem ehrenwerten und durch und durch vernünftigen Mann! Das konnte Piso doch nie sein, wieso sollte er es dann versuchen? Er würde doch eh scheitern, dachte er niedergeschlagen. Warum musste er in diese Welt hineingeboren sein, die die Liebe, die Poesie und Romantik um so viel weniger schätzte als Konzepte wie Ehre und Ruhm? Vielleicht war er kein wahrer Römer, wenn er nicht so dachte, doch dieser Gedanke machte ihn schier verrückt.
    “Aber sage mir, inwieweit hatten Caesar, Augustus und Tiberius je verfolgt, die Wege zum perfekten Idealbild geradlinig zu verlaufen? Und doch sind sie jetzt Götter. Und hast du mir nicht einst gesagt, ich soll mir selber treu bleiben? Ich soll ich bleiben? Wie soll ich das tun, wenn ich mich verbiege, um so ein Mann, wie ihn das Idealbild vorschreibt, zu werden, voller Virtus, entleert jeglicher Individualität? Jeglicher Emotionen?“ Verzweifelt atmete er aus. Es war doch ein Krampf!
    Bei Gracchus entsetzten Worten konnte er nur nicken. Er war ein armer Tor. Ja, armer Tor war genau das, was er war! Ein armer, armer, armer, armer, ARMER TOR! Er schüttelte den Kopf. “Nein. Gibt es nicht.“ Gracchus hatte das genau richtig erkannt, und er schien nicht einmal sonderlich zornig, sondern im Gegenteil erschüttert über Pisos Schicksal. Und Piso konnte kaum sagen, wie dankbar er Gracchus dafür war.
    Seine nächsten Worte waren so niederschmetternd, und doch so wahr, dass Piso fast schon die Tränen in die Augen schossen. Er nahm noch einmal einen Schluck Wein. Ach, je mehr er es versuchte, Prisca zu verdrängen, umso präsenter war sie ihm in Gedanken! Was für eine nicht aufrecht zu erhaltene Situation dies war! Er schüttelte den Versuch. “Nein, sie ist nicht verheiratet.“
    Und dann: bamm. Gracchus gab Corvinus Recht. Pisos Mund öffnete sich leicht, als ob er widersprechen wollte, und doch brachte er keinen Ton hervor. Auch Gracchus sagte, er sollte sie nicht mehr sehen! Ihr fern bleiben. Nein. Nein. Endlich brachte Piso etwas heraus.
    “Dein Rat würde mir weise erscheinen, wenn ich nicht wüsste, dass dies das Ende meines Lebens wäre.“ Was hatte er dieser verdammten Venus opfern müssen! Jetzt kam er aus dieser Sache nicht mehr heraus, das einzige, was er aus der ganzen Sache noch kriegen konnte, war der Tod an Herzensschmerz.
    Was Gracchus dann aber vorschlug, veranlasste Piso aber dazu, zu blinzeln, und hernach eine Augenbraue hochzuheben. “Meinst du? Wirklich? Echt? Ich meine... kann man es eher mit dem Idealbild des römischen Mannes vereinbaren, Ehebruch zu begehen, als einfach den Mut aufzubringen, um die Hand der Auserwählten anzufragen?“
    Gracchus schlug eine Alternative vor, und erwähnte dabei ausgerechnet den Namen der Gens, die involviert war. Piso beschloss, die Charade aufzugeben, und die Katze aus dem Sack zu lassen. “Wir taten das durchaus... und nun ist es so... meine Liebe, von der ich dir erzählte... sie ist eine Aurelia.“ Er schluckte. “Aurelia Prisca. Sie war die, mit der die Hochzeit mit Aquilius geplant war... bevor jener verschwand.“

  • Einige Augenblicke verharrte Gracchus in Reminiszenzen an Achaia, an die enervierende Zeit dort, die mühsamen Leibesertüchtigungen, mit welchen Calimeres ihn hatte über die Aderlässe hinaus regelrecht gequält, welche er dieser Tage aufgrund seiner sonstigen Verpflichtungen - zumindest redete er dies sich ein - nur allzu gerne weit von sich schob, gleich den Exerzitien des Lesens und Rezitierens, welche stets schon nach kurzer Zeit dazu gereichten, ihn ob seiner selbst derart zu echauffieren, dass er erzürnt über sein eigenes Unvermögen und ohne den unbarmherzigen Druck des Medicus stets allzu bereitwillig alsbald aufgab.
    "Cadipolos Calimeres ist ein sturer Grieche aus Athena, der sich nicht schert um römische Politik. Er wird nicht nach Rom kommen, nicht einmal wenn der Augustus persönli'h ihn würde rufen - eher lässt er sich verleugnen. Doch allfällig wäre es eine Möglichkeit, Kosmas zu ihm zu senden, dass jener von ihm ein wenig lernt."
    Wiewohl Gracchus sich von Kosmas vermutlich nur wenig würde drängen lassen, besaß der Sklave doch einfach nicht den notwendigen Anschein natürlicher Autorität. Gracchus schenkte seinem Vetter ein dankbares, wenn auch verlegenes Lächeln ob dessen Bereitschaft für seine eigene Salubrität belächelt zu werden, doch würde er dies nicht zulassen, noch annehmen können. Viel ernsthafter war ihm ohnehin nun Pisos Misere, welche nicht nur in unglücklicher Liebe, sondern zudem in einer Phase größten Sinnverlustes schien zu bestehen, ein Sentiment, welches Gracchus nicht unbekannt war, welchem es gleichsam seiner Erfahrung nach kaum nur etwas gab entgegen zu setzen, was er dessen zum Trotze mit ein wenig Humor versuchte.
    "Nun, wenn du ein Gott werden möchtest, dann muss wahrlich kein Ideal dein Ziel sein, sondern ein möglichst ma'hthungriges und skrupelloses Agieren, welches dazu gereicht, dich auf den kaiserlichen Thron emporzuheben, fürchte ich doch, Aelianus wird keine Absicht hegen, dich als seinen Nachfolger einzu..setzen."
    Ein subtiles Lächeln unterstrich die humorige Qualität des Vorschlages, wiewohl bei einem Flavier niemals gänzlich konnte ausgeschlossen werden, dass solcherlei Absicht nicht doch ihm zueigen war.
    "Aber du hast natürlich Recht, weder waren diese Kaiser Männer makelloser Couleur und vollendeten Agierens, noch sollst du deinen Charakter ver..biegen. Vor diesem Problem steht der Mensch wohl seit er zu Denken begann, dass dies stets so leicht gesagt ist, doch so schwer zu effektuieren. Und allfällig ist der Mensch nicht einmal dazu geschaffen, Perfektion zu errei'hen, ist es doch im Grunde der Wandel, welcher uns zeitlebens prägt - doch wie weit wir diesen selbst gestalten, wie weit wir uns entwickeln wollen, dies bestimmen wir alleinig, wiewohl dies nur aus innerem Antriebe kann gelingen, nie von außen erzwungen. Und doch besteht kein Grund, bereits jetzt aufzu..geben, Piso, denn es bleibt dir zweifelsohne noch viel Zeit, deinen inneren Antrieb zu entdecken, das Ideal hinter bloßen Worten - denn was sind sie mehr, die Tugenden, welche unsere Väter uns auferlegen?"
    Gracchus' Schlücke wurden bereits wieder ein wenig geringer in ihrem Maße, genoss er doch die philosophische Richtung, welche das Gespräch nahm, ob dessen er ein wenig ins Schwadronieren verfiel.
    "Und selbst wenn du es niemals in diesem Leben magst entdecken, wer könnte derart perfekt sein, das Recht zu haben, dich ob dessen zu tadeln, würde diese Tat selbst seine Voll..kommenheit doch in jenem Augenblicke ad absurdum führen."
    Ein leichtes Zucken hob und senkte Gracchus' Schultern, er sah dies längstens nicht mehr so strikt wie noch vor Jahren, obgleich er das innere Drängen, das Streben nach Erreichen der Tugenden selbst nicht konnte von sich abschütteln, saßen sie zu tief in ihm verwurzelt, waren sie zu oft ihm angetragen worden - wiewohl er auch sukzessive für sich selbst hatte deren Qualitäten entdeckt -, dabei beständigen Hader an sich selbst hegend.
    "Aurelia Prisca"
    , stellte Gracchus sodann ein wenig erstaunt fest, ehedem allmählich das gesamte Ausmaß der Sachlage Pisos ihm vor Augen trat - Aurelia Prisca, Caius' Verlobte, der Aedilar Aurelius Corvinus, ein entgleisender Kuss -, und er konnte nicht dagegen angehen, dass ein Lachen sich den Weg seine Kehle empor bahnte, zuerst im Versuche dies zu unterdrücken mehr einem Grunzen glich, doch schlussendlich in einem lauten, erheiterten Lachen mündete, welches seinen gesamten Leib zu erfassen schien, derart gelöst und ungezwungen, wie er nur überaus selten sich dies gestattete, welches ohne die Wirkung des Alkohols - oder anderweitiger Drogen - ihm beinahe unmöglich war.
    "Ent..schuldige"
    , brachte er hervor, als er wieder zu Atem kam.
    "Doch dann war es Aurelius Corvius, welcher euch im Garten vorfand? Oh, Piso, dieser Mann hat es wahrhaft an sich, dass man in seiner Anwesen..heit die Contenance verliert! Es gibt keinen anderen in Rom, vor welchem ich öfter meiner Haltung bin verlustig gegangen, vor welchem öfter meine Gefühls..regungen sich ihren Weg in Freiheit haben gebahnt. Ich glaube nicht, dass er dies bewusst forciert, und doch ist er stets in dem Augenblicke parat wenn die Fassade bröckelt - augenscheinli'h hat er diese Wirkung auf alle Flavier."
    Die offensichtliche Erheiterung - trotz der Tatsache, dass ihm seine eigenen Entgleisungen je mehr als nur unangenehm waren gewesen - schlug in ein sublimes Schmunzeln um.
    "Ich hoffe, dies betrifft nur die Männer unserer Familie, andern..falls steht die arme Celerina mehr als nur zu bedauern!"
    Gracchus lehnte sich tiefer in die Kissen der Kline und hob die Rechte, um seine Lippe zu kneten, sich wieder dem eigentlichen Anliegen Pisos zu widmen. Aurelia Prisca im Garten ihrer heimischen Villa zu küssen war zweifelsohne eine impertinente Taktlosigkeit und wäre die junge Frau eine Flavia gewesen, sowohl sie als auch Piso hätten sich auf Gracchus' geballte flavische Wut gefasst machen können. Doch Prisca war eine Aurelia, und Piso ein Flavier, wodurch die Sachlage ein gänzlich andere wurde.
    "Euer Verhalten mag ihn zu Recht erzürnt haben - stelle dir nur vor, du würdest deine Schwester im Kuss mit einem Manne vorfinden -, und es war wahrlich eine töri'hte Aktion, welche nicht eben von Anstand und Integrität zeugt, wenn sie auch der Wallung eurer Gefühle mag subaltern gewesen sein. Doch so du wirklich der überzeugten und gewissenhaft durchda'hten Ansicht bist, dass du eine Ehe mit dieser Frau eingehen möchtest der Liebe wegen, so werde ich mit Aurelius sprechen. Ich bin sicher, dass wir uns einig werden, immerhin wäre diese Verbindung aus politischer Sicht..weise durchaus sinnvoll für unser beider Familien. Persönlich indes würde ich dir davon abraten, denn wenn die Liebe erst hinfort ist, so wird nurmehr eine weitaus unerträgli'here Ehe zurückbleiben als sie es je ohne Liebe, doch geprägt von gegenseitigem Respekt könnte sein. Wiewohl eine Scheidung selbstredend in Hinblick auf die derzeitige Situation ausge..schlossen ist, dies sollte dir bewusst sein."
    Er blickte Piso an, dessen Reaktion zu erforschen. Die Situation mochte sich ändern, doch sollte die aurelische Familie nicht unvorhergesehen in ihrem Status weit hinab sinken oder in Zwistigkeiten zur Flavia verfallen, so würde Piso an seiner Aurelia festhalten müssen, des familiären Renommees wegen, wiewohl der kultischen Möglichkeiten, welche mit einer Scheidung er sich würde verwehren.
    "Eine klandestine Liaison indes ist, wenn wir einmal ehrlich sind, nicht allzu ungewöhnli'h, und so die Frau ihre eheliche Pflicht bereits hat erfüllt, auch bezüglich der sittlichen Konsequenzen zu akzeptieren, wenn auch durchaus nur widerwillig. Doch schlussendlich ist im ernstlichsten Falle eines außerehelich gezeugten Kindes es dann möglich, sich dessen be..denkenlos zu entledigen."
    Bedenkenlos, obgleich eine Abortion oftmals nicht nur im Tode des Kindes, sondern auch der Mutter endete - wessen Gracchus bei seinen Überlegungen sich durchaus war bewusst -, doch schlussendlich hatte sie in dem spekulativ durchdachten Falle bereits ihre Pflicht erfüllt. Es war in den nebenläufigen Arealen seiner Gedanken, wo Gracchus in diesem Augenblicke wurde gewahr, dass seine eigene Gemahlin eine solche Kandidatin war, welche bereits ihre eheliche Pflicht hatte vollbracht und darüberhinaus durchaus einen triftigen Grund, die Erfüllung ihrer Liebeswünsche außerehelich zu suchen. Antonia war noch immer eine überaus attraktive Frau, es war geradezu unwahrscheinlich, dass ihr dafür anfällige Männer nicht in Scharen folgten und mit ihr kokettierten, wiewohl sie trotz ihrer vollkommenen Untadeligkeit allfällig nicht genügend Kraft mochte aufbringen, sich all dieser Freier zu erwehren - am Ende womöglich diese Kraft nicht erst wollte aufbringen?
    "Natürlich ohne das Wissen des gehörnten Gatten"
    , fügte er nachdenklich an. Ohne sein Wissen somit! Er würde Sciurus auf den klandestinen Liebhaber Antonias, ansetzen, wiewohl dafür Sorge tragen, dass dieser Mensch den nächsten Frühling nicht mehr erlebte. Niemand nahm sich ungestraft die Ehefrau eines Flaviers - auch nicht die eines Flaviers, welcher mit ihr nur wenig konnte anfangen! Gracchus seufzte tief, er hatte wahrlich nur wenig Verlangen danach, sich auch noch mit einem Konkurrenten herumschlagen zu müssen, wenn nicht gar am Ende mit mehreren.
    "Beziehungen zu Frauen sind derart ... diffizil und enervierend ... ich kann wirklich nicht na'hvollziehen, weshalb ein Mann ohne Zwang bereit ist, dies über seine Ehe hinaus auf sich zu nehmen."

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  • Der Flavier tastete sorgsam die Kline, auf der er lag, nach einer bequemeren Sitzgelegenheit ab, fand aber keine, sodass er seine Konzentration wieder auf Gracchus richtete. Oh, diese Griechen! Piso verzog das Gesicht. “Was für ein Idiot. Hier in Rom erwarten ihn unglaubliche Entlohnungen und Bezahlungen für solche Dienste. In Athen erwarten ihn Tod und Vergessen. Cosmas zu ihm schicken, meinst du?“ Er grübelte kurz nach. “Warum kaufen wir uns nicht einfach einen anderen Arzt? Einen Besseren? Es könnte gut sein, dass wir einen billiger hier in Rom bekommen, als dass wir einen unserer Sklaven nach Griechenland schicken, wo er so weit von uns weg ist, dass er auf die Idee kommen könnte, wegzulaufen!“ Nein, Piso gefiel die Idee ganz und gar nicht. “Also, ich würde einen Neuen kaufen.“ Piso missfiel die blöde Hackfresse des Griechen sowieso. Der sollte doch dorthin gehen, wo der Pfeffer wächst.
    Er registrierte das betretene Lächeln des Gracchus und nickte ihm zu. Er hätte breit zurückgegrinst, aber hier ging es nicht um Kinkerlitzchen! Hier ging es um seine Zukunft, um sein zukünftiges Wohlbefinden, um seine Lebensgestaltung! Nichtsdestotrotz rang er sich ein Lächeln ab, als Gracchus ihm die Ingredienzen zum Gott werden sagte. Nein, so dringend musste Piso auch nicht Gott werden. Auch wenn es nicht schlecht wäre. Nein, wenn er es sich so richtig überlegte... „hier kommt der Gott Flavius Piso!“ klang doch besser noch als Quaestor Flavius Piso, oder? Vielleicht würde er den göttlichen Rang irgendwann einmal erreichen, auch wenn man in diesem Rang noch nicht unbedingt Gott sein musste (war, so dachte sich Piso, ähnlich wie bei Senatoren und Leuten im Ordo Senatorius). “Wenn er die Absicht hätte, wäre das eine gelungene Überraschung. Aber ich glaube, er hat da eher diesen komischen Vescularius da in Aussicht...“, nörgelte er, aber auf eine belustigte Art und Weise. Obwohl... Gottkaiser. Das wäre wirklich was. Dann würde es auch kein Aurelierfatzke mehr wagen, ihm dumm zu kommen. In diesem Falle müsste er sich einfach nur Prisca schnappen und fertig, ohne groß Herumzudebattieren mit diesem Corvinus da, der sich aufplusterte wie ein Pfau.
    Und dann – tadaaa – gab ihm Gracchus Recht. Piso horchte auf. Sein Vetter, ihm zustimmen in dieser Sache? Nein, damit hatte Piso nicht gerechnet. Viel eher hätte er damit gerechnet, dass Gracchus nun das Tympanon in die Hand nehmen und es ihm frustriert über den Kopf ziehen würde. Doch zu solchen ablehnenswerten Gewaltdemonstrationen gegenüber dem im Grunde friedfertigen Piso kam es nicht. Doch stattdessen kam ein wenig Philosophie, und Piso musste scharf mithorchen, um bei dem durchzusteigen, was Gracchus sagte, und halbwegs mithalten zu können. Und bei Apoll, das war schwerer Tobak. “Ich glaube, der Mensch ist von Natur aus unperfekt“, machte Piso. “Wären wir perfekt, wären wir keine Menschen mehr. Und siehe, selbst die Götter sind nicht perfekt – Iuppiter präsentiert sich in so vielen Sagen als Schürzenheld, Iuno als eifersüchtige Matrone, um nur Beispiele zu nennen – wie sollen wir Menschen da überhaupt an Perfektion nur denken? Wir sollten uns selbst gegenüber etwas weniger streng sein. Denn sind es nicht unsere Schwächen, unsere Fehler, die uns zu dem machen, was wir sind?“ Womöglich hatte er jetzt nur gesagt, was Gracchus schon angedeutet hatte, aber das waren seine Gedanken. Piso lächelte über Gracchus‘ Paradoxon, welches er ihm da präsentierte, dass er es nicht gänzlich verstand, tat nichts zur Sache, aber es tat gut, solch nette Worte zu hören.
    Und dann kam er, der Augenblick, da er Gracchus anvertraute, wer seine Erkorene war.
    Langsam wiederholte Gracchus diesen wunderschönen Namen, dessen Aussprache von Gracchus alleine Piso schon dazu fast getrieben hätte, seine Augen gen Himmel zu wenden, seine Hände zusammenzuklatschen und laut „hach“ zu machen. Doch er war viel zu konzentriert auf Gracchus‘ Reaktion.
    Was nun war das? Ein Zucken der Mundwinkel? Ujegerl. Jetzt würde Gracchus seinen Mund verziehen, angeekelt, und ihn dann anbrüllen ob seiner Dummheit und der ewig währenden Schande, die er über die Flavier nun gebracht hatte. Au weia, Piso konnte so dermaßen einpacken. Vielleicht sollte er zu Aristides nach Baiae runter, um dort sein Leben als einsamer Lokalpolitiker zu beschließen? Um dort im Exil vor sich hinzufristen, manchmal wehmütig an Rom denkend, an die versäumten Möglichkeiten, an sie.
    Und was war das für ein Geräusch? Sicher der schweinisch grunzende Auftakt zu einem Donnerwetter! Doch halt. Wer stinksauer war und sein Gegenüber in der Luft zerfetzen wollte, der würde sicher nicht... lachen. Gracchus lachte. Er lachte über das, was Piso ihm gesagt hatte. Kurz dachte sich Piso, Gracchus lachte ihn nun aus, und verharrte erst einmal nur im stummen und versteinerten Entsetzen, doch die Worte des Gracchus verschafften Gewissheit. Piso nickte nur krampfhaft, als Gracchus ihm seine Frage stellte, und endlich glitt langsam, langsam ein hoffnungsfrohes Lächeln über sein Gesicht.
    In der Anwesenheit des Aurelius Corvinus die Contenance verlieren? Oh ja, gut möglich, dass das möglich war! Bei ihm auf jeden Fall! Nun ganz strikt gesagt war Aurelius Corvinus nicht in seinem Blickfeld gewesen, als er sich an Prisca rangemacht hatte – aber er war sicher da gewesen, wie hätte er sie sonst sehen können? Oh ja, alles war nur die Schuld seiner Anwesenheit! Super, ein Sündebock war gefunden! Aurelius Corvinus, und das bekam er auch von Gracchus bestätigt! Piso hätte Gracchus umarmen können vor Freude. Jetzt zierte wieder ein Grinsen sein Gesicht. Piso merkte, die Dinge kamen wieder ins Lot, ganz langsam aber sicher. Gracchus sah nun ganz so aus, als würde er Piso helfen! Weiterhorchen, befahl er sich selber, wiewohl er grinste beim Gedanken, dass Celerina ihren Mann ordentlich auf Trab hielt. Dass dem der Fall tatsächlich war, konnte Piso sich denken.
    Er beugte sich ganz leicht vor, als Gracchus ihm, nach kurzer Überlegungszeit wohl, seine Gedanken anvertrate. Ja, was würde Piso machen, wenn Nigrina – nein, schlechtes Beispiel, da schon im Gespräch, was Heirat anging – wenn er Vera im Garten mit einem anderen Mann sich küssen sah? Nun ja. Vielleicht würde Vera wieder gesund werden. Vielleicht würde dies wieder der Fall werden... nun ja, Piso vertraute Vera so sehr, dass er erst einmal nicht das Schlimmste annehmen würde. Eine Erklärung würde er schon verlangen. Aber das erste, was er tun würde, wäre nicht eine Palette an Schimpfwörtern.
    Aber nun gut, Gracchus hatte da auch wieder Recht. Es war eine törichte Aktion gewesen (kam nicht töricht so als Wort von Tor?, dachte sich Piso, sprachwissenschaftlich durchaus geschult). Aber ja, subaltern beschreiben, was ihm dieser ganze Käse von wegen Ehre und Anstand gewesen war, als er ihre weichen Lippen auf den seinen verspürt hatte, dieses sublime Gefühl, welches sein Herz geöffnet und seine Tunika unten ausgebeult hatte.
    Piso blinzelte, als er den Vorschlag hörte. Hatte er sich da verhört? Oder war dies wahr gewesen? Gracchus würde mit Corvinus reden? Der Flavier spitzte seine Lippen und riss seine Augen auf. Was sagte Gracchus da? Er hatte Zweifel daran, dass die Liebe ewig halten würde? Gracchus wusste ja nicht, dass Venus sie ihm höchstselbst verliehen hatte!
    “Ich bin überzeugt, Gracchus“, machte er also, “dass ihr Gefühl ihr gegenüber nie erlöschen wird, bis ich alt und zahnlos bin. Ohne sie werde ich mein Leben lang der unglückseligste, mit ihr so lange ich lebe der beglückteste Mann der Welt sein.“ Er schluckte, als er seine Worte hervorbrachte. Dann holte er tief Atem. “Danke, Gracchus. Danke, danke, danke, danke, danke. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.“ Irgendetwas in seinem Inneren hielt ihn davon ab, aufzustehen, Gracchus zu umarmen und ihm einen dicken, schlabbrigen Schmatzer auf die Wange zu setzen. Es war vielleicht jene Distanz, die Gracchus immer pflegte, und zwar jedem gegenüber. Wohl auch sich selbst.
    “Ich habe eine Idee!“, kam es Piso. “Wir, also ich und du, laden Corvinus und Celerina zu einem Mahl ein. Hier, in der Villa Flavia. Viel besser, als zu den Aureliern zu gehen! Es geht um nichts Politisches in dem Sinne, in welchem es bei unseren Gesprächen mit den Aeliern ging, also kann eine Frau dabei sein. Bedrängt von drei Flaviern, auf flavischem Grund und Boden, wird Corvinus kaum anders können, als beizugeben!“, jubilierte er, entbrannt von der Idee. Er würde beizeiten noch irgendein Würstchen aus der flavischen Sklavenschaft schicken, um eine Einladung abzugeben.
    Noch immer komplett gerührt von der Großmütigkeit seines Vetters horchte er sich an, was dieser über außereheliche Beziehungen zu sagen hatte. Nun, da die Möglichkeit einer Heirat in eine Nähe gerückt war, die geradezu extasisch war, war Piso aus seiner Melancholie aufgerüttelt worden, und schenkte dem, was Gracchus sagte über Ehebruch, nicht mehr viel Gedanken. Er und Prisca würden nun vielleicht doch heiraten, es sah viel wahrscheinlicher nun aus! Und sie würden bis zum Ende ihres Lebens glücklich sein, sich von ihren Sklaven Eierkuchen servieren lassen, aus dem Hortus einen Ponyhof machen und durch ein schönes Leben ohne Widerstände durchflutschen. Er lachte sogar, als Gracchus ein bisschen pessimistisch schloss. “Ach, Gracchus, ennervierend und diffizil, ich glaube, ich kann dir nur zustimmen! Das Blöde ist eben, dass man sie einfach lieben muss!“ Von den Neigungen seines Vetters hatte er ja keine Ahnung. “Denn ist es nicht das schönste Gefühl von allen, einer Frau den Hof zu machen? Ich sage dir, neben dem Essen sind sie das Wundervollste auf der Welt!“

  • Nachdenklich drehte Gracchus das kostbare Glas - über dessen Wert er sich nie hatte Gedanken gemacht und dies vermutlich auch niemals würde tun - in seiner Hand.
    "Allfällig sollten wir das"
    , kommentierte er den Vorschlag seines Vetters, sich nach einem neuen Arzt umzusehen, würde dies indes alsbald wieder vergessen aus dem Unmut heraus, den möglichen Weisungen eines solchen, welche ihm nicht würden gefallen, sich aussetzen und Folge leisten zu müssen. Sciurus indes, welcher zwar augenscheinlich bereits mit dem Hintergrund war verschmolzen, jedoch noch immer mit allen Sinnen anwesend, hinterlegte sich eine entsprechende Notiz mit der impliziten Anweisung seines Herrn im Geiste. Währenddessen schmunzelte Gracchus bereits über Pisos humorig übertriebenes Missfallen bezüglich der Wahl des Imperators seinen Nachfolger betreffend, befand dabei, dass komisch die Person des Vescularius tatsächlich recht treffend beschrieb, schien ihm dessen Auftreten im Senat doch bisweilen dem der Akteure einer Komödie recht ähnlich - wiewohl ihm sehr wohl bewusst war, dass der Grat schmal war, dass für Rom sich dies allfällig irgendwann noch zu einer Tragödie würde wandeln. An diesem Abend jedoch war ein solches Thema zu ernst, zu fern gleichsam, gehörte der Abend doch nicht den Sorgen und Nöten des Imperiums, sondern einzig ihrerselbst. Ihre Unvollkommenheit war schlussendlich dem zuzuordnen, denn obgleich der Mensch von Natur aus unperfekt mochte sein, so musste doch zuweilen jeder Mensch damit allein zurechtkommen - oder eben gemeinsam mit seinem Vetter.
    "Die Götter sind nur das, zu was wir sie machen - und wir machen sie unvoll..kommen, da wir es nicht ertragen könnten, uns mit Perfektion konfrontiert zu sehen - selbst mit göttlicher -, da wir glei'hsam eine Ausrede für uns selbst suchen, wiewohl wir nicht ertragen könnten, dass die göttlichen Prinzipien zwar beein..flussbar sind, im Grunde sich um uns Menschen doch ebenso wenig scheren wie wir uns um die Bettler der Straße: so sie uns bitten sind wir geneigt, einen Obolus ihnen zu gewähren, sonstig bea'hten wir sie nicht. Und die Götter der Griechen sind wohl nur deshalb derart lasterlich, da die Griechen selbst ein überaus lasterliches Volk sind."
    Gracchus mochte die Legenden und Sagen der griechischen Götter sehr, doch mochten sie ihm nicht zu seinem religiösen Verständnis passen, so dass er die Gleichsetzung des griechischen mit dem römischen Pantheon nur insofern duldete wie die Interpretatio jedes anderen Pantheons, demzufolge in keinster Weise im Kontext persönlichen, familiären, wie stadtpolitischen Wirkens, was indes als Thematik auch nicht recht zu diesem Abend mochte passen, sondern mehr zu einer philosophisch-intellektuell geprägten Cena, schweifte der Abend doch neuerlich zu einem Theaterstück ab, denn wie eine Zeile aus einem solchen schienen Gracchus die Beteuerungen seines Vetters bezüglich Priscas Liebe ihmgegenüber bis ins hohe Alter hinein und seinem grenzenlosen Unglücke ohne sie, wiewohl sein Tonfall nicht dem eines Schauspielers glich sondern erst dem eines wahrhaftig verzweifelten Mannes, hernach dem eines wahrhaft überschwänglich dankbaren - was Gracchus neuerlich in Verlegenheit brachte, ob dessen er nur mit einer laschen Bewegung aus dem Handgelenk heraus abwinkte.
    "Du brauchst mir nicht zu danken, noch habe ich schließlich nichts errei'ht, geschweige denn getan."
    Darüberhinaus betrachtete Gracchus dies als familiäre Selbstverständlichkeit, doch dies würde Piso zweifelsohne ebenso sehen, dass er nicht erst es musste erwähnen.
    "Deine Idee indes scheint mir sinnvoll, obgleich wir Aurelius Corvinus nicht stante pede taktieren sollten. Wir sollten ihm ledigli'h darlegen, welche Vorzüge diese Relation unseren beiden Familien würde einbringen, wiewohl - durchaus betont - welche Na'hteile eine Zurückweisung dieser. Allfällig sollten wir jedoch zuvor mit Celerina allein sprechen. Eine Ehefrau hat nicht unerheb..lichen Einfluss auf ihren Mann."
    In Gracchus' eigener Ehe war dies zumindest so, denn obgleich Antonia wenig von ihm verlangte, wenig ihm überhaupt je nahe legte, so konnte er kaum etwas davon ihr verwehren. Gleichwohl konnte er kein einziges Gefühl aus seiner Erinnerung in Bezug auf den Akt des sie Umwerbens auch nur als annähernd schön bezeichnen, waren ihm advers die Begegnungen mit der ihm Versprochenen, der ihm Verlobten und lange auch noch der ihm Angetrauten stets ein rechter Graus gewesen. Das Bestehen eines Diktates der Wonne und Verzückung der Liebe indes konnte er nicht leugnen.
    "So man sie lieben muss, so muss man es wohl, denn an welches Ufer sie auch fallen mag, der wahr..haftigen Liebe ist wahrlich nicht zu entrinnen."
    Ein subtiles Lächeln umschmeichelte seine Lippen, seinem fernen Geliebten geltend und dem Gedanken, wie es wohl mochte sein, alltäglich in einer Ehe mit Faustus zu leben, gleichwohl er dies Glück nicht einmal für sich verlangte, bereits zufrieden könnte sein, wäre nur die Entfernung nicht endlos groß, könnte er nur ab und an einen Abend mit ihm verbringen.
    "Und doch bleibt die Liebe grausam, da sie selten gewährt, was das Herz begehrt."

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  • Mit einer einfachen Bemerkung, in der – nach deplorabel – Gracchus‘ zweitliebstes Wort, allfällig, vorkam, beendete er das Thema mit den Ärzten, sodass Piso nur noch bedeutungsschwanger nickte. Ja, ein neuer Arzt. Kosmas war Piso suspekt. Und es konnte nur gut sein, dass Gracchus sich darüber Gedanken machen könnte – oder vielmehr sein Nagetier, den nach einem solchen hatte er seinen Leibsklaven benannt. Ja, der Nager. Das war eine gute Beziechnung für diesen Kerl, dachte er sich und konzentrierte sich darauf, nicht zu jenem hinzblicken, ihm nicht eines Blickes zu würdigen.
    Gracchus schmunzelte auch nur, als Piso die Politik des Reiches lamentierte, sagte aber nichts weiter dazu. Viel mehr jedoch sagte er, geradezu kompensatorisch, zu der Lage der Götter. Der junge Septemvir inhalierte die Wörter des altgedienten Pontifex mit einem gewissen Grad von etwas, was an Ehrfurcht grenzte. “Somit würdest du sagen, dass die Götter zu einem großen Teil eher Produkte der Menschen sind als dass die Menschen Produkte der Götter sind? Vielleicht... vielleicht ist das Göttliche ja komplett anders, als wir es erahnen können. Vielleicht ist das Göttliche alles, was wir Menschen uns nicht erklären können...“, murmelte er. “Sind nicht die Götter der Griechen deckungsgleich mit den unseren? Sie mögen zwar anders verehrt sein, aber wenn wir die Interpretatio Romana als Philosophie heranziehen, sind es doch die selben. Obwohl das natürlich auch nicht die Mythologie übertragen lässt.“ Piso blinzelte und seufzte. “Religion. Es ist eine diffizile Angelegenheit, fast wie die Liebe.“ Er trank noch einen Schluck von seinem Wein.
    Piso war durchaus gräkophil und nicht abgeneigt, die römischen und griechischen Götter ein bisschen zu vermischen. Sie schienen sich nicht groß zu scheren, in welcher Form sie verehrt wurden, solange die mit ihrer Form kompatiblen Riten vollführt wurden.
    Tatsächlich kam Piso auch der Gedanke, dass das Gesprächsthema sehr merkwürdig war angesichts der schwerwiegenden Sachlage, die sie besprachen. Es ging hier um sein Herz! Um seinen Fortbestand als lebende Person!
    Er grinste leicht und nahm noch einen Schluck Wein. “Mag sein, trotzdem danke für den Wohlwollen“, denn diesen nahm Piso, der, egal, wie der erste Schein es vorgaukeln mochte, nicht dumm war, nicht als verständlich an. Schließlich hatte der Flavier ja nicht vorausgesehen, ob Gracchus seine Klagen jovial oder aber erbost aufnehmen würde. Aber wozu war Familie da, wenn nicht, um sich gegenseitig beizustehen?
    Er nickte fleißig, als Gracchus seine Idee lobte, und grinste dann abermals, um so siegessicherer. “Mit Celerina habe ich bereits gesprochen. Sie ist bereit, mir beizustehen. Und sie wird mit ihm vorher noch reden.“ Dass Celerina vor dem Termin der Einladung sich in der Nacht nach der Nemoralia das Leben nehmen würde, wusste Piso ja noch nicht. Er war ja kein Hellseher oder so.
    Auf jeden Fall wähnte er für diesen Abend bereits zwei Flavier auf seiner Seite, um gemeinsam Corvinus nicht zu sekkieren, sondern ihm nur gemütlich die Vorteile einer solchen Bindung darzulegen. Und Piso musste sich ja schließlich noch entschuldigen. Nicht, als ob es von Herzen kommen würde, denn er hatte kein Unrechtsbewusstsein. Aber es gehörte sich. Und man hatte ja Manieren. Und zwar von Kindheit an eingedrillt bekommen.
    Er glotzte ganz romantisch, als Gracchus ihm ein wundervolles Zitat lieferte. Das musste er sich merken. Er trank noch einen Schluck Wein und merkte, wie der Alkohol langsam seine Spuren bei ihm hinterließ. Er blinzelte. Seine Augenlider wurden schwer.
    “Der wahrhaften Liebe ist nicht zu entrinnen“, wiederholte er langsam. “An welches Ufer sie auch fallen mag...“ Noch einmal ein wenig Wein. Müde werdend lehnte er sich zurück. “Liebe ist... so denke ich... was das Herz begeht. Die Liebe ist’s allein...“, gähnte er, sich noch rechtzeitig die Hand vor den Mund haltend.
    “Ich bin müde... das macht die Musik und der Wein... ich glaube, ich hau mich aufs Ohr“, formulierte er seinen Wunsch nonchalant. “Gute... gähhhhhhn... Nacht, mein lieber Vetter...“ Er mühte sich, aufzustehen und schickte sich an, ganz ganz langsam zu gehen.


    Sim-Off:

    Der Thread ist schon langsam ein Zombie. Deshalb habe ich mir gedacht, wir bringen die Sache erst einmal zu einem Ende. ;)

  • Nachdenklich musterte Gracchus die Kante, welche die ihm gegenüberliegende Wand zur Decke hin abtrennte, suchte an der feinen, geraden Linie seine Gedanken auszurichten, welche durchaus bereits nicht mehr ganz geradlinig, ein wenig ausgefranst gar schon durch seine Sinne taumelten.
    "Nicht die Götter sind Pro..dukte der Menschen, sondern das, zu dem wir sie machen. Götter, Na..turgewalten, Prinzipien - es mag viele Worte geben, von welches keinen ihnen gere'ht wird, doch existent sind sie seit langem, wenn nicht gar seit jeher, werden sie zudem noch sein, wenn wir längst nicht mehr sind, all..fällig gar Rom nicht mehr ist."
    Er schmunzelte ein wenig belustigt über diesen Gedanken, schlussendlich wussten sie beide, dass Rom würde ewig währen.
    "Die Habitus jedoch, welche wir ihnen angedeihen lassen, die Ge..mütsverfassungen, die Historie, wiewohl die Riten, mit welchen wir sie zu beeinflussen suchen - dies alles ist von menschli'hem Geiste erdacht, um sie begreifbar zu machen, um uns ihnen anzunähern oder sie uns. Und ich bin tatsächli'h davon überzeugt, dass wir die Götter nicht erklären können, wiewohl die Antwort auf alles, das wir nicht ver..stehen stets das Göttliche sein mag."
    Ein Nicken unterstrich, dass Piso im Grunde mochte recht haben, wohingegen diese Auffassung gleichsam im Auge des Betrachters lag.
    "Die griechischen Götter sind wohl die gleichen Prin..zipien wie die unseren, doch haben die Griechen sie weit mehr vermenschli'ht als wir dies tun, was sich eben in ihrer ausschweifenden Mythologie zeigt. Ich bin der Ansicht, je weniger wir dazu neigen, den Göttern Menschli'hes angedeihen zu lassen, desto näher kommen wir dem, was sie wirklich sind, und desto einfacher wird es für uns, zu eruieren, was sie in Harmonie ver..setzt."
    Er lächelte ob Pisos Seufzen über die Diffizilität des Pantheons, welcher unbezweifelt dazu konnte gereichen, einen wissbegierigen Geist in Desperation ob seiner undurchdringlichen Komplexität zu stürzen. Indes musste er bald hernach ein Gähnen unterdrücken, spürte er doch ebenfalls in sich die allmählich aufwallende Müdigkeit des Abends, welche durch die Schwere des Weines nur verstärkt wurde, wiewohl durch die gewichtigen Ansichten die Liebe betreffend, so dass ihm nicht unangenehm war, als Piso das Ende der Zusammenkunft einleitete.
    "Eine gute Na'ht auch dir, Vetter"
    , verabschiedete er Piso und blieb noch einige Augenblicke auf der Kline liegen, den letzten Schluck Wein auszutrinken. Mühsam stemmte er sodann sich empor, schwankte bereits auf halber Höhe bedrohlich, dass Sciurus heran trat, ihm aufzuhelfen.
    "O Fortuna velut luna statu variabilis"
    , begann Gracchus unvermittelt frohgemut zu singen.
    "Semper crescis aut decrescis; vita detestabilis nunc obdurat et tunc curat ludo mentis aciem, egestatem, potestatem dissolvit ut glaciem. ...*"
    Bis er wankend zu seinem Cubiculum war gelangt, konnte man durch die Flure der Villa seine sonore Stimme hören, an welcher in diesem Augenblicke keinerlei Makel zu finden war, gelangten doch die melodischen Laute aus den Tiefen seines Bewusstseins geradlinig aus seiner Kehle und ihm über die Lippen, ohne erst noch durch seinen zerstreuten Geist sich hindurch plagen zu müssen - so dass der Abend ebenso endete, wie er hatte begonnen, auf die ein oder andere musikalische Weise.


    ~~~ finis ~~~



    Sim-Off:

    * ein wenig verfrüht der Carmina Burana entliehen.

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