Tablinum | Paps ante portas

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    Und so kam Aetius in der Villa Flavia zu Rom an, wurde ins Tablinum geleitet und dort erst einmal von einem Sklaven mit einem Becher verdünnten Weins versorgt, während ein anderer Sklave in den Tiefen der Villa verschwand, um seine Kinder in Kenntnis zu setzen von seiner Ankunft.


    Kurze Zeit später kam Nigrina ins Tablinum, in anständiger Trauerkleidung, die sie sich in der Zwischenzeit besorgt hatte, für einen Betrag, den ihr Vater besser nicht erfuhr. Sie wäre geflogen, wenn sie gekonnt hätte. Sie wäre gerannt, wenn es sich denn geziemt hätte. So aber ging sie nur schnellen, aber doch gemessenen Schritts – als sie ihren Vater dann aber sah, überbrückte sie die letzte Distanz dann doch mit einem Sprung und fiel ihm um den Hals. „Papá! Ich bin so froh, dass du da bist!“ Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und genoss den vertrauten Duft und die feste Umarmung ihres Vaters. „Na na, ist Rom denn so schlimm?“ Nigrina löste ihr Gesicht und sah kurz auf, mit einem kleinen, verschmitzten Grinsen, das seit Veras Tod selten an ihr zu sehen war – was sie ungeheuer nervte, dass sie sich so zusammenreißen musste. „Nein, mir gefällt es. Aber ich hab dich trotzdem vermisst.“ Kein Wunder, immerhin hatte sie bisher – abgesehen von kleineren Ausflügen und Besuchen bei Freundinnen – nahezu ihr gesamtes Leben bei ihm verbracht. Natürlich fehlte er ihr, sie gab es nur nicht gerne zu, nicht vor anderen jedenfalls, und auch nicht vor sich selbst, wenn er nicht da war.

  • Das erste, was Piso auffiel, als er das Atrium betrat, war skurillerweise, dass Nigrina sich eine äußerst schicke Trauerkleidung gekauft hatte. Sie sah richtig niedlich darin aus. Wenn er nicht ihr Bruder wäre... Gedanken bezüglich Nigrinas Trauerkleidung schwanden dem Flavier, welcher untypisch für ihn nicht in geradezu fürstliche Gewänder gehüllt war, sondern nur in eine schlichte Trauertoga, dieselbe wie bei Veras erstem Aufbahrungstag, mit einem Gesicht, welches von Bartstoppeln geziert war. Denn er blickte hoch zu seinem Vater.
    Sein Vater. Der Mann, der seine Mutter getötet hatte. Er hatte sie im Wald erdrosseln lassen und dann über die Klippen geschmissen, als Fischfutter. Einfach so. Weil er ihrer überdrüssig war. Seine Mutter, an deren Gesicht er sich nicht mehr erinnern konnte... nur noch an ihr Lächeln. Wie gerne er eine Mutter gehabt hätte, nicht nur ein Kindermädchen, das ihm die ganze Zeit Notlügen aufgetischt hatte. Eine Mutter, die ihn verstanden hätte, nicht ein Vater, der sich nie um seinen verweichlichten Sohn scherte.
    Piso hatte Nachforschungen angestellt über Calpurnia Fausta, aber kaum etwas herausgefunden. Denn ihre Verwandten in Mediolanum hatte er nie zu fragen getraut. Sie war eine Plebejerin gewesen, aber eine aus der Nobilitas – außerhalb von Rom nahm man es nicht genau mit standesgemäßen Heiraten. Aetius hatte es wohl nie groß gestört, dass seine Frau keine Patrizierin war, schließlich hatte er gewusst, er würde sie nur ein paar Jahre behalten. Und so war Piso ein halber Plebejer, eine Tatsache, die er jedem gegenüber zu verschleiern suchte, sogar seiner Gens gegenüber, denn wer hatte ihn jemals nach seiner Mutter gefragt? Alle hatten sich immer nur für seinen Vater interessiert, von dem er den Gentilnamen hatte. Obwohl sein Cognomen eindeutig darauf hinwies, dass seine Mutter den Namen für ihn ausgesucht hatte.
    Und da war nun ihr Mörder. Der sein Vater war.
    Piso ertappte sich dabei, dass er noch immer starrte, und räusperte sich. “Salve, Vater“, begann er ungeschickt. “Ähm. Wie war die Reise?“ Nicht, dass es ihn interessieren würde, im Gegenteil, je rumpeliger und unangenehmer, desto besser. Wie hätte er Vater verflucht, ihn sogar denunziert... wenn er nicht sein Vater gewesen wäre. Er stand sogar noch unter dessen Patria Potestas. Mist. Das musste er auch noch bereden. Für einen Senator, der unter der Patria Potestas eines Nichtsenatoren stand, gab es nur ein Wort – panne.

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    „Ich hab dich auch vermisst, Kleines.“ Aetius klang ganz und gar nicht sentimental dabei, in seiner Stimme schwang eher ein Grinsen mit, aber nichtsdestotrotz meinte er es ehrlich. „Aber du willst ja unbedingt verheiratet werden.“ Mit einer Kopfbewegung bedeutete er ihr, sich zu setzen, aber noch bevor sie sich niederlassen konnten, tauchte Piso auf. Nigrina blieb an der Seite ihres Vaters und grinste ihrem Bruder entgegen – sie wusste zwar, dass er ein völlig anderes Verhältnis zu Aetius hatte, aber sie war nun mal glücklich, ihren Vater zu sehen. Aetius selbst indes hatte… ebenfalls… gemischte Gefühle, auch wenn er sich diese nicht wirklich eingestand und schon gar nicht zur Schau trug. Dennoch: er konnte sich noch zu gut an das letzte Aufeinandertreffen mit seinem Sohn erinnern. Daran, wie er sich hatte gehen lassen. Gut, er hatte getrunken, eindeutig zu viel, aber der Junge hatte sich auch wirklich daneben benommen, und er hatte es gewagt, ihm die Stirn zu bieten, was… nun, einfach unmöglich war. Die Tatsache an sich hätte Aetius eher gefreut, zeigte sich doch darin in seinen Augen, dass Piso nicht gänzlich nach seiner Mutter schlug, sondern auch etwas von ihm hatte, etwas vom flavischen Blut. Aber der Grund. Der Grund! Was hatte der Junge nur mit seiner Mutter! Gut, die Frau war etwas Besonderes gewesen, sonst hätte er sie kaum lange genug an seiner Seite geduldet, um gleich zwei Kinder zu zeugen… Und sie hatte ihm einen Sohn geschenkt, seinen einzigen. Aber dass der sich so entwickelte, war nicht so wirklich geplant gewesen.


    Piso starrte ihn nur an, und Aetius starrte zurück. Und dann Aetius das, was er häufig tat, und worin er gut war: er ignorierte einfach, was er nicht wahrhaben wollte. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Aulus!“ Seine Stimme dröhnte durch das Atrium, erst danach dämpfte er sowohl sie als auch sein Lächeln, eingedenk Veras. „Die Reise war akzeptabel, dafür dass sie so schnell gehen musste, danke der Nachfrage.“ Er ging auf Piso zu, zog ihn kurz in seine Arme, einen eventuellen Protest ignorierend, und klopfte ihm kräftig auf die Schulter. „Ein trauriger Anlass, dass wir uns wiedersehen…“

  • Was nun kam, war ein Starren. Piso starrte zu Aetius, Aetius starrte zu Piso. Die beiden Flavier starrten. Ja, das taten sie.
    Es kam Piso ein kleines bisschen endlos vor. Ihm fehlten die Worte, seinem Vater auch. Natürlich hatte sich Piso ein paar Worte sorgsam zurecht gelegt. Und doch war es schwierig, sie herauszubringen.
    Also ließ er nach seinen kargen Worten Vater reden. Ja, Piso hatte es sich schon denken können, dass sein Alter so reagierte – einfach so tun, als ob gar nichts wäre. Er hatte so getan, als ob nichts wäre, nachdem er seine Geliebten umgebracht hatte. Und jetzt auch, nachdem Piso und er sich so übel gestritten hatten, dass es nicht mehr den Anschein gemacht hätte, als ob die beiden sich irgendwann wieder gegenüber stehen könnten. Er ließ sich also widerspruchslos umarmen, was für eine Wahl hatte er denn schon?
    “Vater. Das freut mich“, nicht, verkniff er sich. “Das ist es, ja.“ Er hüstelte. “Ich habe mich schon so auf meine Quaestur gefreut... und nun, dass ich sie habe, wird sie von Veras Tod überschattet.“ Unglückselig dreinblickend schaute er zu seinem Vater. “Du bist noch rechtzeitig gekommen. Morgen ist ihr Begräbnis.“ Mit einem so friedfertigen Vater hätte er eher weniger gerechnet, und so wäre es bei einem konfrontativen Widersehen ihm leichter gefallen, zu reden, mit seinem ungeliebten Vater. Aber die heile Familie sollte jetzt einmal gespielt werden. Vera würde es nicht gefallen, würde man über ihrem Grab streiten.

  • Der Fuchs war also in den Bau des Karnickels eingedrungen. Doch statt die Beine in die Hand zu nehmen und durch den stets perfekt instandgehaltenen Fluchttunnel hinaus in die Freiheit zu hasten, schickte das Karnickel sich an, sich selbst als Mahlzeit zu servieren. Nein, dieser Vergleich war nicht sonderlich adäquat. Allfällig glich er mehr einer Fliege, welche in das Netz der Spinne flog. Andererseits flog auch die Fliege für gewöhnlich nicht bereitwillig in diese Falle. Es gab wohl kein Tier, welches mit derartiger Torheit war ausgestattet, dass es dem Verderben in vollem Bewusstsein entgegen trat - dies war zweifelsohne eine Eigenheit des Menschen -, und dass Aetius sein Verderben würde vorantreiben, dies bezweifelte Gracchus nicht. In Rom gab es keine Klippen, doch sein Onkel würde fraglos Phantasie beweisen auf der Suche nach einer adäquaten Eliminationsmethode für unliebsame Neffen. Allfällig würde er dies nicht einmal selbst erledigen, gab es doch so viele Wege, eines unliebsamen Menschen in Rom sich zu entledigen, selbst in dem Falle, dass Gracchus keinen Fuß mehr würde vor die Pforte der Villa setzen. Darüberhinaus mochte Aetius seine Rache genussvoll in die Länge ziehen, dass Gracchus fortwährend jeden Tag nurmehr in Furcht würde harren müssen, wann er seine Drohung in Realität wandelte. Ravenna war stets fern, die Drohung bald aus allen Sinnen gewesen, doch nun war Aetius hier, in Rom, mit neuen Vorwürfen auf den Lippen, und niemand wusste, wie lange er in Rom würde bleiben - Wochen womöglich, Monate gar, im schlimmsten Falle auf Jahre hinweg -, und wann er die Macht über die Familie würde an sich reißen. Hatte nicht Furianus erwähnt, dass das Amt des Flamen Dialis schneller mochte verwaisen als darüber konnte nachgedacht werden? Allfällig würde Gracchus seinen Vetter, welcher eigentlich sein Neffe war, bitten müssen, ihm zu helfen, würde entgegen aller Zweifel und Zauder dies Amt anstreben und alsbald in seine neue Wohnstätte direkt am Forum ziehen. Es war der Gedanke, sich über sein eigenes Zögern hinweg zu setzen, welcher ihn ernüchtern ließ, und erzürnt über sich selbst und seine larmoyanten Gedankengänge schüttelte Gracchus unwirsch den Kopf. Er war kein kleinmütiger Junge mehr, welchen sein Onkel durch einen furchteinflößenden Wutausbruch zum Erzittern brachte, war nicht mehr ein furchtsamer Sohn, der sich ob falscher Anschuldigungen eine Moralpredigt und Strafe von seinem Vater einhandelte, war nicht mehr der lebensferne Zauderer, der nicht erst zu seiner Verteidigung ansetzte, in banges Schweigen verfiel. Nein, er war Manius Flavius Gracchus, Pontifex et Senator des Imperium Romanum, dies war seine Höhle, er war der Löwe darin - und er hatte nicht mit Leontia das Bett geteilt! Nun, genau genommen hatte er wohl tatsächlich das Bett mit seiner Base geteilt, doch hatte er ihr nicht beigelegen, nicht einmal sie unzüchtig berührt - nichts von all dem Frevel begangen, welcher ihm war vorgeworfen worden -, hatte nicht einen marginalen Augenblick auch nur selbst solch ein Gedanke seine Sinne tangiert. Er hatte niemals die Chance erhalten, sich zu rechtfertigen, seine Version des Geschehens darzulegen, denn Aetius war in einem Wutausbruch explodiert - zu seinem Glück in einer derartigen Lautstärke, dass alsbald sein Onkel Atticus von dem Lärm war angelockt worden, der seinen Bruder davon hatte abgehalten, Gracchus noch an Ort und Stelle der vermeintlichen Tat über den Styx zu schicken -, und sein Vater hatte während der nachfolgenden Epistel kein Wort aus dem Munde seines Sohnes geduldet. Hernach war das Geschehen totgeschwiegen worden, wie so vieles innerhalb der Familie, und eben dies hatte die Brisanz dessen nurmehr gefördert, wurde doch nur über Frevel und Undinge geschwiegen, und nur Leontia und er hatten in ihren Briefen ab und an darüber gescherzt, wie über eine Verschwörung, deren Geheimnis einzig sie beide miteinander teilten - und allfällig war es eben so, wusste Gracchus doch nicht, ob und wem gegenüber Leontia das Missverständnis je hatte ausgeräumt. Doch jenem, bereits lange zurückliegenden Ereignis galt nicht einzig Gracchus' Sorge. Sein Onkel war gleichsam dem Glauben verhaftet, dass er Leontia hatte bestärkt, mit ihm nach Aegyptus zu reisen, dass er letztlich sie jedoch hatte allein vorausgesandt auf jenem Schiff, welches nie sein Ziel hatte erreicht. Unverantwortlich wäre dies zweifelsohne gewesen, wiewohl Gracchus in diesem Falle zu seiner Verteidigung musste schweigen, nicht konnte die Wahrheit anführen, dass Leontia mit seinem Bruder, welchen sie für ihn hatte gehalten, war aufgebrochen, dass Quintus zu solcherlei Abenteuer sie hatte angeregt, denn wohl musste Aetius um seinen Zwilling wissen, jedoch im Glauben sein, dass dieser als Kind war gestorben - und die Wahrheit über das ausschweifende, verwerfliche Leben seines Bruders mochte Gracchus seinem Onkel nicht anvertrauen. Zu all dem war nun auch noch Vera in der Villa in Rom verstorben, in welcher ob der Familientradition er Sorge für Haushalt und Familie hatte zu tragen. Eben diese Pflicht - und einzig diese Pflicht - war es auch, welche die Begrüßung seines Onkels forderte, die Konfrontation mit ihm forcierte, ob deren wegen er sich nach der Benachrichtigung über Aetius' Ankunft auf den Weg in das Tablinum gemacht hatte. Vor der Türe atmete er noch einmal tief durch. Dies war seine Höhle. Er war der Löwe.
    "Salve, Aetius!"
    , begrüßte er den Angekommenen förmlich, mit fester Stimme, gleichsam mit Bedacht die Titulierung als Onkel aussparend, um sich nicht sogleich in die niederrangige Position des Neffen zu rücken. Seine Haltung war aufrecht, zeugte von einer Aura senatorischen Selbstvertrauens, welche zwar nicht ehrlich, doch in ihrer jahrelang perfektionierten Illusion nahezu makellos war. Nigrina und Piso waren bereits anwesend als er den Raum betrat, was Gracchus durchaus angenehm war, würde Aetius ihn doch zweifellos nicht direkt vor Zeugen beseitigen - zumindest hoffte er dies -, wiewohl er in Anwesenheit seiner Kinder sich allfällig auch ein wenig würde zurückhalten - was er zwar nicht glaubte, nichtsdestotrotz jedoch ebenfalls hoffte. Gegenwärtig gar befand sich Piso in den Fängen einer Umarmung - ein Anblick, der keine unmittelbar ersichtliche Wirkung auf Gracchus hatte, jedoch tief in seinem Inneren eine Spur des Bedauerns hinterließ, da er sich niemals in solch vertrauter Verbundenheit mit seinem Vater hatte befunden, weder in mentaler Hinsicht, geschweige denn in physischer - wiewohl er nicht konnte nachvollziehen, wie überhaupt jemand mit Aetius in solcher Verbundenheit konnte stehen, selbst so dieser jemand sein Sohn war. Er bedachte die beiden Geschwister mit einem knappen Nicken und wartete kurz das Ende der Sentimentalität zwischen Vater und Sohn ab - welche er diesen trotz allem zugestand, schlussendlich hatten sie eine Tochter und Schwester verloren -, ehedem er sich weiter seinem Onkel widmete.
    "Sei willkommen in Rom, auch wenn es ein bedauerli'her Umstand ist, welcher dich zu uns in die Höhle geführt hat."
    Davon, dass Aetius ebenso gekommen war, für Nigrinas Verlobung Sorge zu tragen, ahnte Gracchus nichts, wiewohl er nicht seinen Faupax bemerkte, welcher ohne seine Gedanken zu kennen immer noch als Anspielung auf die Geschichte Roms würde verstanden werden können, welche die Hauptstadt mit der Höhle der Wölfin gleichsetzte.
    "Ein Zimmer ist selbstredend für dich vor..bereitet und so du etwas bedarfst, zögere nicht, danach zu verlangen."
    Es war dies eine Standardfloskel, welche in etwa dieser Art Gracchus jedem Besucher der Villa entgegen brachte, und zu spät bemerkte er, dass gegenüber Aetius sie allfällig ein wenig riskant war. Indes mochte sein Onkel so viel verlangen wie er wollte, er würde dies ihm immer noch ausschlagen können. Denn dies war seine Höhle. Er war der Löwe!

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    Aetius überging gekonnt die Peinlichkeit des Moments. Auf Nigrina wirkte Piso etwas unbeholfen, und unentschlossen – was sie selbst in diesem Augenblick unsicher werden ließ, wie sie sich verhalten sollte. Sie liebte ihren Vater, so wie er war, und in ihren Augen war er genau richtig. Ein Römer, wie es sich gehörte, ein Römer, der keine Schwäche zeigte. Dass Piso gar so sehr auf Krawall gebürstet war ihrem gemeinsamen Vater gegenüber verstand sie einfach nicht. Daran war nur Pisos Weichherzigkeit schuld, das war ihr schon klar, und sie vermutete auch, dass das an seiner Mutter lag, irgendetwas musste er von der ja wohl auch geerbt haben... Aber das hieß nicht, dass sie es tatsächlich verstand. Piso müsste froh sein, einen solchen Vater zu haben, gerade jetzt, wo es sich endlich auszahlte für ihn. Nigrina war überzeugt davon, dass er seine bisherigen Karriereschritte ihrem Vater zu verdanken hatte, schon allein weil er ihm nichts von seiner Weichheit hatte durchgehen lassen. Weil er versucht hatte, Piso das so gut wie möglich auszutreiben, was natürlich nicht wirklich gelungen war, aber wer wusste schon, wie Piso geworden wäre, hätte er einen Vater gehabt dem das egal gewesen wäre? Oder, noch schlimmer, der ihn in diesen Flausen sogar noch unterstützt hätte? Gar nicht auszudenken.


    Aetius indes überging Pisos nicht wirklich herzlich zu nennende Begrüßung, indem er einfach ignorierte, was ihm nicht in den Kram passte. Was vorgefallen war, als Piso ihn das letzte Mal besucht hatte, hatte er bereits seit längerem schon sich so geformt, wie es für ihn genehm war – endlich wurde aus dem Jungen mal ein Mann, dazu gehörte auch, sich gegen seinen Vater aufzulehnen, natürlich. Andere durchliefen diese Phase deutlich früher, aber gut, war sein Sohn eben ein Spätzünder. Besser spät als nie, so hieß es doch, und das fand Aetius in der Tat sehr passend, so weit es Piso betraf. „Ich freue mich, dass ich es zur Beerdigung noch geschafft habe.“ Und dann, bevor er noch etwas anfügen konnte, betrat der Mann den Raum, den er trotz der verwandtschaftlichen Beziehungen am liebsten eigenhändig erwürgt hätte – eine makabre Ehre, derer er sich nicht entsinnen konnte, wann er sie zuletzt jemandem hatte zuteil werden lassen. Was mit Leontia geschehen war, hatte er ihm nie verziehen, weder dass er mit ihr das Bett geteilt hatte, noch dass sie verschwunden war. Tot, wenn es nach Meinung der meisten ging, tot wenn es auch nach ihm ging, war Aetius doch Realist – und doch hatte er darauf verzichtet, der Totenfeier seiner Ältesten beizuwohnen, ohne genauer zu ergründen, warum, nicht einmal sich selbst gegenüber. Vera hatte ihm nie so nahe gestanden wie Leontia, aber dennoch war ihr Tod nun in gewisser Hinsicht ein willkommener Vorwand, alten Groll wieder aufzuwärmen. „Gracchus, mein Neffe...“ Senator oder nicht, er war der Neffe. Aetius zeigte seine Zähne in etwas, das mehr einem Blecken glich denn einem Lächeln und darüber hinaus etwas Lauerndes zu haben schien. „Bedauerlich ist der Umstand in der Tat, dass ich nun eine weitere Tochter verloren habe.“ Er sparte es sich darauf hinzuweisen, dass Vera in der Obhut der Familie in Rom gewesen war – und damit auch in Gracchus' Obhut. Ebenso sparte er es sich darauf hinzuweisen, dass er noch eine Tochter in eben diese Obhut gegeben hatte, legte Nigrina nur eine Hand auf die Schulter. Und er sparte es sich, für eine Gastfreundschaft zu danken, die ohnehin selbstverständlich war ihm gegenüber, wie er fand. „Wie ist es denn um deine Gesundheit bestellt?“ Der leichte Sprachfehler war ihm nicht entgangen, und natürlich wusste er um Gracchus' Krankheit, die ihn heimgesucht, die ihn sogar nach Griechenland getrieben hatte, trotz aller Pflichten, die er in Rom gehabt hatte. Und Aetius lächelte immer noch.

  • Zu Beginn seiner Ehe, als Antonia ihm nicht nur fremd, sondern gleichsam allein ob ihrer Position als seine Gemahlin ihm furchterregend erschienen war, hatte allein die Nennung seines Praenomen aus ihrem Munde dazu gereicht, jedes einzelne seiner Nackenhaare empor zu richten und einen eisig kalten Schauer über seinen gesamten Leib streifen zu lassen. Diese Zeit war längstens vorbei, doch als nun sein Cognomen über Aetius' Lippen drang hatte dies einen ganz similären Effekt, wiewohl es Gracchus beinah schien, als könne er den geifernden Speichel sehen, der in Erwartung eines fetten Beutestückes von dem blitzenden Raubtiergebiss troff. Ohne auch nur eine Anschuldigung konkret zu benennen, überhäufte er ihn mit einem Geröllhaufen aus eben solchen, begrub ihn unter einem Berg aus impliziten Vorhaltungen und Unterstellungen, und Gracchus ließ sich von dieser Lawine begraben ohne mit der Wimper zu zucken, wiewohl ohne einen einzigen Laut - ohne leisen Widerspruch, ohne einen Ausruf des Erstaunens, ohne einen Schrei nach Hilfe. Letztlich hatte er augenscheinlich mehr Ähnlichkeit mit seinem glanzlosen Löwen denn er sich je würde eingestehen wollen. Aetius indes ließ ihm kein Zeit, sich aus dem Schutt heraus zu wühlen, geschweige denn wieder zu Atem zu kommen, taxierte ihn stante pede mit dem nächsten Angriff.
    "Es geht mir ausgezei'hnet"
    , log Gracchus gekonnt, garnierte seine Worte gar mit dem Anflug eines Lächelns, denn was sonst hätte er tun oder sagen sollen gegenüber jedem Besucher generell und Aetius im Besonderen, war doch sein Befinden ohnehin nichts, was er je bereitwillig preis gab.
    "Ich hoffe doch, bezüglich der Salubrität trifft dies auf dich ebenfalls zu?"
    Eine Lüge entkam seiner Kehle nach der nächsten, was ihn weit mehr belastete als die Tatsache, dass er im Grunde tatsächlich hoffte, sein Onkel möge sich nicht wohl befinden, möge ob dessen schnellstmöglich zurück nach Ravenna reisen. Wie viele Männer der Politik und des Cultus hatte auch Gracchus die Lüge nach außen hin perfektioniert, in seinem Inneren jedoch hinterließ eine jede solche tiefe Spuren an den Fundamenten seines Gedankengebäudes, Zweifel und Hader an der Substanz seiner eigenen Person, entfernte schlussendlich ihn einige digitus mehr von seinen Überzeugungen und Idealen, und tötete ein weiteres, marginales Stück seines inneren Kindes, seiner Unschuld. Einem Ertrinkenden gleich suchte er an seiner Strategie sich festzuklammern, um sich selbst über seine eigene Schändlichkeit hinweg zu täuschen - er war der Löwe, er war der Episit, er war das gewissenlose Raubtier - denn war er dies nicht, war er nur zum Tode geweihte Beute. Im Grunde ging es nicht um seinen Onkel Aetius - es war ein fundamentaler Kampf, den Gracchus mit sich selbst ausfocht seit er denken konnte, ein Kampf um seinen Platz in der Welt, die Berechtigung seiner Existenz, seine Wünsche und Bedürfnisse - welchen er stets bereits von vorneherein verurteilt war, zu verlieren, denn letztlich war dies ein Kampf, in welchem es keine Sieger konnte geben, nur Verlierer, welche er auf beiden Seiten würde selbst sein.
    "Wie geht es in Ravenna voran?"
    Angriff war stets die beste Verteidigung, und Gracchus suchte in seine Worte ein wenig jener Verachtung hinein zu legen, welche Stadtrömer, insbesondere Senatoren, bisweilen Landrömern, insbesondere lokalpolitisch interessierten, entgegen brachten, welche er zwar nicht empfand - war doch auch jene Politik eine Stütze des Reiches -, welche ihm bezüglich der eigenen Positionierung jedoch durchaus schien angebracht. Er war der Löwe. Er musste der Löwe sein.

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