Hortus | Verabredung im Garten

  • Natürlich spielten die ersten Verse auf vergangenen Schmerz und Unglück an, hatte ja erst dieses die Verwandlung der unglücklichen Niobe in einen klagenden Felsen und der Prokne in eine flinke Schwalbe bewirkt. Und doch bildeten jene Verse lediglich den Auftakt, gleichsam das Intro für die Fülle an Bildern, die das restliche Gedicht ausmachten und in bunter Weise die schier unbeschreibliche Liebe eines Mannes zu einer Frau zu beschreiben suchte. Einige Momente lastete Stille im flavischen Garten, lediglich durchbrochen vom munteren Zwitschern eines einzelnen Vogels, während Axilla den Himmel betrachtete und Flaccus das Band der Kithara von seinem Handgelenk losmachte und das ihm so kostbare Instrument behutsam neben sich auf die Kline bettete. Dann wandte die junge Frau sich aber auch schon zu ihm um und Flaccus war einmal mehr verzaubert von ihren, in der Herbstsonne strahlenden, grünen Augen und den blitzenden silbernen Sternchen in ihrem Haar.


    "Du hättest Triandafilos, den Sohn des Polykarpos aus Athen einmal singen hören sollen ... bei Herkules, er singt schöner als Orpheus!", war der bescheidene Einwand des Flaviers auf das Kompliment Axillas sein eigenes musisches Talent betreffend. Dann allerdings kam jene auf den Inhalt des kurzen Gedichts Anakreons zu sprechen, wenngleich eher auf den emotionalen Gehalt denn die tatsächliche Aussage. "Mag sein, ich empfinde es aber mehr als überwältigendes Bild einer unbeschreiblichen Liebe..." Interessiert blickte er Axilla an, um zu erfahren warum sie so dachte.

  • Als Axilla Flaccus so von dem griechischen Sänger schwärmen hörte, musste sie kurz grinsen. Sie konnte gar nichts dagegen machen, dass ihre Gedanken da kurz in eine extrem klischeehafte Richtung abdrifteten. Aber andererseits hatte sie ja vorhin auch die Griechin Penelope für ihre Kunst gelobt, ohne dabei amouröse Gefühle für jene zu hegen. Allerdings hatte sie sich auch viel unblumiger ausgedrückt... Axilla musste weiter schmunzeln, wenn auch nur solang, bis Flaccus meinte, dass DAS ein 'überwältigendes Bild einer unbeschreiblichen Liebe' sei.
    Axillas Lächeln verblasste langsam und machte einer undeutbaren Schwermut Platz, als sie einen Moment nur dalag und atmete. Ein einsamer Vogel zwitscherte in den Bäumen und machte seine weit weniger kunstvolle und nichts desto trotz perfekte Musik als Untermalung der ganzen Szenerie.
    “Lieben Männer denn so? Dass sie sich einer Frau unterordnen wollen? Dass sie von ihr getreten werden wollen?“ Axilla war da skeptisch, und das konnte man durchaus aus ihrem Tonfall heraushören. Warum sollte ein Mann das machen? Und waren da alle Männer so, dass sie sich so zu Füßen warfen und nur noch dafür atmeten, dass ihre Geliebte sie ansah? Waren Männer da wirklich so? Oder aber dachten sie nur, das wäre das, was Frauen wollen würden?
    “Ich meine, warum sollte ich jemand treten sollen. Oder ihn andauernd ansehen? Warum sollte ich jemand wollen, der sich mir so vollkommen unterwirft? Warum sollte irgendeine Frau das wollen?“ Für Axilla war das keine Liebe.
    “Ich finde, Liebe ist etwas anderes.“

  • Ein Schatten von Schwermut schien sich auf die Züge der der Iunia zu senken und Flaccus konnte nicht verhindern dass das Gespräch ihm gleichsam aus der Hand glitt, seiner Kontrolle entschwand. Zumal auch die Liebe eine so sonderbare Sache war. Kaum ein anderes Phainomenon war so oft beschrieben, besungen, bedichtet worden und doch blieb das Gefühl für den Flavier auf seltsame Weise aubstrakt, mehr ein Gedankenspiel denn konkrete Empfindung. Hatte er der junge Mann jemals selbst geliebt? Zwar hatte er Nikodemos als Knabe, Polykarpos und dessen Familie, unter ihnen auch Triandaphilos, als Jugendlicher tief in sein Herz geschlossen, doch die Liebe zu einer Frau? Zweifellos, ein so poetisches Gemüt wie das des Flaviers konnte sich weiblichen Reizen nur schwerlich verschließen und dennoch hatte er, zwar wohl oft Neugier und Interesse, aber nie etwas mit jener von den Dichtern besungenen "unsterblichen Liebe" für eine Frau gefunden, bis zu jenem Tag im letzten Sommer als er im Theater Polyxene, eine junge griechische Frau, von den Göttern gleichermaßen mit makellosem Aussehen als auch überwältigender Intelligenz gesegnet, kennenlernte und vom ersten Moment an fasziniert von ihrer Person, ja wohl in sie verliebt war. Doch wieder schien Fortuna dem Flavius nicht hold zu sein, denn schon nach kurzer Zeit, in der sich jedoch eine ebenso intensive wie anregende Beziehung zwischen den beiden jungen Menschen entwickelt hatte, raubte ein schreckliches Schiffsunglück Polyxene das Leben und Flaccus wohl seine erste, seine einzige "Liebe". Wieder war jener gezwungen gewesen sich die Worte seines Mentors ins Gedächntis zu rufen, die schon bei dessen eigenem Ableben dem Knaben Trost zu spenden vermocht hatten.


    Nun also sollte er Stellung nehmen zu einem Thema, das er eigentlich nicht verstand, einer Frau widersprechen, die, nicht nur bereits verheiratet, nein, sondern vergleichbar mit Flaccus selbst und dennoch auf so andere Weise auch durch das hartherzige Schicksal mit dem unwiderbringlichen Verlust geliebter Menschen konfrontiert worden war. Er sollte nun also ein Bild der "Liebe" verteidigen, das er im Grunde genommen im Mantel der Aurorität Anakreons, unter dessen Namen es überliefert war, bisher nie in Zweifel gezogen hatte. Natürlich war ihm klar, dass der Typus des sich in Liebe zu einer Frau verzehrenden Mannes, wie ihn die griechische Lyrik, aber, von ihr inspieriert, in gleichem Maße auch Ovid, Properz und Tibull in ihrer Dichtung besangen, gewissermaßen UNrömisch und, vielmehr noch, ziemlich verweichlicht und so gar nicht dem "harten" männlichen Geschlecht angemessen scheinen mochte - und doch: "Was kann es denn Schöneres geben, als nur seinen geliebten Menschen zu sehen, ja als Kleid ständig mit ihm zu sein, den geliebten Körper zu salben, ihm Gutes zu tun, ihn als Perle zu zieren und schließlich den Schritt der Angebeteten als Sohle zu schützen?" Die etwas betrübliche Tatsache war, Flaccus wusste es selbst nicht, er wusste nicht, ob es etwas Schöneres gab, allein, die Dichtung empfand diese völlige Hingabe an die Geliebte als höchste Erfüllung.


    Aus Axillas Tonfall war klar herauszuhören, dass sie der Einstellung des Gedichts nicht zustimmen konnte, und so oblag es schon allein dem rhetorischen Selbstbewusstsein des Flaviers, grunsätzlich eine Gegenposition einzunehmen. Wie oft hatte er genau dieses Spiel, anhand fingierter Rechtsfälle, in Athen gespielt, ja wie oft selbst schon mit Nikodemos, der die Tatbestände einfach in kindgerechte Formen transferiert hatte. "Warum du jemand wollen solltest, der sich dir so vollkommen unterwirft?", wiederholte der junge Mann die dritte Frage des iunischen Trikolons, ehe er sich sammelte und anhob zu sprechen von einer Sache, von der er im Grunde überhaupt keine Ahnung hatte, er wusste lediglich, was die Dichter über dieses Phainomenon berichteten und deren Autorität und Weisheit anzuzuweifeln ginge weit über das Weltverständnis des jungen Flaviers hinaus. "Was,", begann er, Axilla keineswegs finster oder unfreundlich, sondern lediglich konzentriert anblickend, "was könnte einer Frau als deutlicherer Liebesbeweis eines Mannes, was als offensichtlicheres Zeichen seiner Hingabe gelten, als sein Wille, nur ihr alleine zu dienen? Nur sie sehen, hören, berühren zu wollen, nur mit ihr zusammen zu sein, den ganzen Tag? Einer solchen Liebe könnte sich wohl selbst die hartherzigste Frau nicht verschließen und müsste sich Venus' Macht beugen ..."


    Immerhin, in Anbetracht der spärlichen Zuneigung die ihm selbst in seinem jungen Leben von Venus zugeteilt worden war, sprach Flaccus ganz ordentlich und klang wohl so, als ob er mehr Ahnung von der Sache hätte, als tatsächlich der Fall war. Ob Axilla seiner, der poetischen Sicht der Dinge etwas abgewinnen würde können, schien ihm im Moment zweitrangig, vielmehr drängte etwas anderes das wissbegierige Gemüt des Flaviers: die letzte Bemerkung der Iunia, dass Liebe für sie etwas anderes wäre, vermochte seine Neugier gleichsam zu wecken und anzustacheln. "Was ist Liebe dann für dich?", stellte er die entscheidende Frage, die in ihrer schlichten Naivität beinahe unschuldiger klang, als Flaccus selbst tatsächlich war.

  • Was es schöneres geben konnte, als ständig umschwärmt zu werden? Axilla musste aufpassen, um nicht bitter zu lachen. Flaccus hatte sicher nicht verdient, dass sie ihn in ihrem Liebeskummer mit Bitterkeit strafte. Er war nett und hatte sie hier an diesen herrlichen Ort entführt, damit sie ein paar schöne Momente erlebte. Und sie zog ihn in den Strudel ihrer Gefühlswelt, obwohl er ihr auch mit dem Lied sicher nur gefallen wollte.
    “Diese Aufmerksamkeit ist nur allzu schnell ein goldener Käfig, wenn man nur vom anderen umgeben und nur für ihn da ist. Zu Liebe gehört mehr, als nur ständig beisammen zu sein und dieselben Dinge zu tun. Vertrauen ist Freiheit. Freiheit ist Schönheit.“ Axilla sagte es erstaunlich sachlich und ruhig. Sie wusste, wovon sie sprach. Egal, ob sie Archias nun geliebt hatte oder nicht (und angesichts der Intensität der Gefühle, die sie die letzten Tage erlebt hatte, war sie sich da nicht sicher, ob sie ihn jemals wirklich geliebt hatte, oder einfach nur starke Zuneigung verspürt hatte), sie wusste, wie ein goldener Käfig war. Und Archias hatte sie geliebt, das wusste Axilla, und seine Liebe hatte sie erdrückt und immer mehr eingeengt, bis kaum noch etwas von ihr selbst übrig geblieben war. Nein, Axilla weigerte sich, die Liebe als so etwas zu sehen und das auch noch zu verherrlichen.


    Und seine zweite Frage war noch verwirrender. Was eine Frau sonst wünschen könnte, außer einen gehorsamen Diener? Axilla hatte ein sehr klares Bild, aber sollte sie das Flaccus sagen? Sie wusste nicht, weshalb genau er sie eingeladen hatte. Vielleicht schlug sie ihm ja vor den Kopf, wenn sie ihm vor Augen führte, was sie tief in ihrem Innersten begehrte. Sie fand den Flavier sehr nett und vielleicht flirtete sie sogar ein wenig mit ihm. Vielleicht flirtete er auch mit ihr, wenngleich so subtil, dass sie es nicht richtig verstand. Aber wissen konnte man nie. Da erzählte sie ihm lieber nicht von starken Beschützern, von willensstarken Männern, die Entscheidungen treffen und auch tragen konnten, von Geborgenheit und Sicherheit. Er könnte das als Herabwürdigung seiner Person sehen, und das wollte Axilla wirklich nicht. Vor allem, da sie das ja auch gar nicht so meinte, nur unfähig war, das was sie meinte, in Worte zu fassen.
    Sie ließ die Frage also einfach im Raum stehen, und musste auch gar nicht lange warten, bis Flaccus mit einer weiteren Frage herausplatzte, die so unschuldig gestellt war, wie es sonst Axilla nur tat. Und so sehr sie auch eben überlegt hatte, den Flavier zu schonen, beim Blick in den blauen Himmel über ihr kam bei dieser Frage doch eine traurige Antwort über ihre Lippen.
    “Liebe tut weh. Sie hinterläßt Narben, sie verwundet und verheert jedes Herz, das nicht stark genug ist, sehr viel Schmerz zu ertragen. Sie ist wie eine Wolke, die eine Menge Regen in sich trägt.“ So fühlte sich die Liebe zumindest im Moment für Axilla an.
    “Ich hab ein paar Dinge über die Liebe gelernt. Es stimmt, was die Dichter sagen, sie ist eine unlöschbare Flamme in deinem Innersten, aber sie wärmt nicht, sie verbrennt dich. Liebe ist eine Lüge, die dazu geschaffen wurde, einen Menschen in tiefe Verzweiflung zu stürzen.“
    Axilla sah verletzt in das tiefe Blau über ihr. Sie wusste, dass das sicher nicht die Antwort war, die Flaccus hören wollte, und auch sicher nicht die, die er verdient hatte. Aber es war eine Wahrheit. Und doch gab es auch noch eine andere Wahrheit. Axilla atmete einmal tief durch. Die kühle Herbstluft schmeckte nach nassem Laub und trug bereits einen Hauch von Winter in sich. Sie setzte sich auf und sah Flaccus mit gemischten Gefühlen an. Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf ihre sonst betrübten Züge.
    “Und doch, wenn sie einen berührt, sieht man es nicht und will es nicht sehen. Weil es das schönste Gefühl ist, das ein Mensch erfahren kann. Das einem wie eine Fackel erscheint, nachdem man in tiefer Dunkelheit gelebt hat, wie ein sicherer Hort in sturmgepeitschter Nacht und eine warme Decke in der Kälte. Für mich ist Liebe wie Musik, die kein Künstler je spielen könnte und vor der selbst Apoll vor Ehrfurcht erzittern würde, weil sie so rein und schön ist.“
    Das Lächeln auf Axillas Gesicht verstärkte sich, wenn auch eine gewisse Traurigkeit stets darin blieb. Dennoch war die Bitterkeit wieder verschwunden. “Du siehst, für mich ist Liebe mehr, als einen Mann zu treten.“

  • Eine der flavischen Augenbrauen wanderte unmerklich nach oben, während Flaccus konzentriert Axillas Worten lauschte. Sie sprach ruhig und sachlich - und obendrein in Bildern, die der poetische junge Mann nachvollziehen konnte. Vertrauen ist Freiheit. Freiheit ist Schönheit., wiederholte er im Geiste die Quintessenz, das überraschend simple Conclusium ihrer Betrachtung und pflichtete nickend bei. Es mochte stimmen, dass Liebe im besten Falle nichts Bedrückendes, sondern, ganz im Gegenteil, ein unerahnte Dimension der Freiheit in sich barg und doch war dem nicht immer so. Wie viele Dichter besangen die unglückliche, weil einseitige Liebe, die hartherzige Aphrodite, die mit allzu gewaltiger Kraft auf arme junge Menschen sich stürzte. Ein feines Mittelmaß mochte wohl, wie in nahezu allen Bereichen des Lebens das Optimum und die Grundlage für die maximale hedone darstellen: eine gute Balance zwischen Gemeinsamkeit und Freiheit als Grundlage für wahre Liebe? Diesem Gedanken konnte Flaccus durchaus etwas abgewinnen und siehe da: in den nächsten Worten würde Axilla die Ambivalenz der Liebe treffender zum Ausdruck bringen, als der junge Flavier selbst das wohl vermocht hätte. In ihren Bildern schien so tiefe Wahrheit zu liegen, so alte Weisheit und vollkommene Erkenntnis, die Flaccus selbst erst mit aller Deutlichkeit seine eigene Unwissenheit, seine Unerfahrenheit vor Augen führten. Es war eine paradoxe Situation, die sich in den flavischen Gärten zutrug. Gewiss nicht älter als Flaccus selbst, belehrte ihn die junge Frau doch in so beindruckender Weise über das Wesen, die Gestalten der Liebe, dass selbst Nikodemos es nicht berührender formulieren hätte können.


    Und so blickte Flaccus Axilla lediglich nachdenklich an, nachdem sie geendet hatte, um sich schließlich wieder auf die Kline sinken zu lassen und, mit hinter dem Haupt verschränkten Armen, gen Himmel zu blicken. Einige Zeit lang folgten seine dunklen Augen dem faszinierenden Spiel der Wolken, die mittlerweile am tief blauen Herbsthimmel aufgezogen waren, sich zu beeindruckenden Gebilden auftürmend, dem jungen Mann dabei halfen, seine Gedanken zu ordnen. "Hast du eigentlich Geschwister?", fragte er schließlich in die angenehme Stille, die, lediglich vom sanften Plätschern der Quelle untermalt, sich auf die beiden jungen Menschen gesenkt hatte, während er weiter dem gewaltigen himmlischen Schauspiel folgte. Seine Frage mochte etwas weit hergeholt sein, und doch war durch die Augenblicke der Stille das vorhergehende Thema gleichsam zu einem offenen Abschluss gekommen, sodass sie nun nicht völlig unpassend schien, sondern lediglich frischen Wind in das Gespräch brachte, gleichsam dem Herbstwind, der langsam auffrischte und die Blätter an den Bäumen erzittern ließ.

  • Er sagte zu ihren Worten gar nichts, sondern legte sich nun seinerseits auch hin, um in den Himmel zu starren. Axilla lehnte sich auch zurück und sah wieder nach oben. Es waren ein paar Wolken aufgezogen. Es würde bald regnen. War ja auch Herbst, da gehörte das dazu. Dann würden sie nach drinnen gehen müssen, denn es war auch schon herbstlich kalt. Kalt und nass war sicher keine gute Kombination.
    Axilla philosophierte also gedanklich ein wenig über das Wetter, als aus heiterem Himmel – beim Thema ihrer Gedanken eine lustige Floskel – eine Frage kam, die vollkommen abseits vom vorigen Gesprächsthema war. Geschwister... Axillas Mutter war ein paar Mal schwanger gewesen, das wusste Axilla. Ein paar Mal war auch ein Baby geboren worden, aber die hatten nicht einmal die 8 oder 9 Tage gelebt, als dass sie auch nur einen Namen erhalten hätten. Axilla war die einzige, die wirklich gelebt hatte, nicht nur die Geburt, sondern auch die Kindheit überlebt hatte. Manchmal fragte sich Axilla, ob es anders gewesen wäre, wenn sie einen lebendigen Bruder gehabt hätte. Oder wenn sie ein Junge geworden wäre. Ihr Vater hatte sie zwar nie auch nur den Hauch einer Enttäuschung spüren lassen, aber sie wusste, dass Söhne für Väter sehr wichtig waren. Und dass der ihre ohne einen solchen gestorben war, nagte auch beständig an ihr.
    “Nein, ich hab keine Geschwister. Wieso fragst du?“ Axilla schaute während der Frage weiterhin leicht in den Himmel und runzelte ein wenig fragend die Stirn, als eine besonders dunkle und unheilsschwangere Wolke vorüberzog. Oh ja, das würde heute definitiv noch regnen.

  • Gedankenverloren folgte Flaccus mit seinem Blick den gewaltigen Wolkentürmen, die nun langsam nicht nur gewaltig sondern zunehmend auch bedrohlich wirkten. Düster dräute der Himmel, die mächtigen Wolkenwände schoben sich übereinander, brachen in sich zusammen, formten sich neu, gewaltiger als zuvor. Fast schon glaubte man in der Ferne dumpfes Grollen zu vernehmen, ja selbst die junge Sklavin, die noch einige Momente, fasziniert durch den Gesang des Flaviers - vermutlich hatte sie tatsächlich keines der griechischen Wörter verstanden - in bewundernder Regungslosigkeit verharrt war, blickte etwas verschreckt mit weiten dunklen Rehaugen gen Himmel, wagte jedoch nicht, sich ohne Erlaubnis ihres Dominus zu bewegen, verharrte also lediglich leicht zitternd an ihrer Stelle, während sie dem bedrohlichen Schauspiel folgte.


    Flaccus hingegen schien gar keine Anstalten zu machen, sich der faszinierten Betrachtung des gewaltigen Werkes Iupiters entziehen zu wollen, oder gar sich gänzlich von der Kline zu erheben. Er wandte lediglich nach einigen Momenten seinen Kopf, der jedoch immer noch auf den locker verschränkten Armen ruhte, und blickte Axilla an. "Nur so, ich will dich einfach kennenlernen...", ein unschuldiges Lächeln schlich sich auf seine zarten Lippen.


    Die immer stärkere Anspannung der Sklavin indessen, schien Flaccus nicht zu bemerken, hatte er sie doch auch nicht in seinem direkten Blickfeld. Nein, die Iunia war es, deren tiefgrüne Augen seine Blick mit seltsamer Kraft anzuziehen schienen. Sie war eine attraktive junge Frau, zweifelsohne, kunstvolle Details in ihrer Aufmachung ließen auch auf ihren verspielten, phantasievollen Geist schließen, von den Göttern schien sie in gleichen Maßen mit Charme und einem bezaubernden Erscheinungsbild bedacht (womit sich so manche Frau zweifellos bereits zufrieden gegeben hätte), nein auch Geist hatten die Mächtigen in ihre Unterhaltung gelegt, Witz und Intelligenz und, davon hatten ihre Gedanken zur Liebe den jungen Denker restlos überzeugt, auch Weisheit schien aus ihren Worten zu sprechen. Und doch, begünstigt auf so viele Weisen, beschenkt mit unzähligen positiven Eigenschaften, hatten die Götter doch ein allzu grausames Spiel mit ihr getrieben. Wohl nur in Bruchstücken würde Flaccus jemals die Ausmaße des Leides erfassen können, das Axilla bereits in ihren jungen Jahren zuteil geworden war. Und doch schien ihm ihre Gefühlswelt nicht völlig fremd, hatte schließlich auch er geliebte - ja, über alles geliebte, das stand fest! - Menschen verloren. Viel zu früh, wenn es bei den Geliebten nicht immer zu früh war ...


    War es die bloße Faszination für ihr scheinbar extravagantes, außergewöhnliches Wesen gewesen, die ihn dazu getrieben hatte, ein zweites Treffen herbeizuführen? Waren es die Bilder ihres anziehenden Körpers, ihres überwältigenden Erscheinungsbildes, die, in seinem Kopf herumgeisternd, er nicht mehr los geworden war? Lediglich eine trotzige Reaktion auf das seltsame Gebaren seines Onkels bei der Verlobungsfeier? Oder aber steckte doch noch mehr dahinter? Gab es jene tiefe, mächtige Bindung, die Menschen stärker zusammenfügte, als der menschliche Geist es zu erfassen vermochte? Manche mochten es Seelenverwandtschaft nennen, schrieben es dem Schicksal oder auch den Moiren zu, die die Lebensfäden der Sterblichen kunstvoll ineinander verwebten. Sollte es tatsächlich so sein, wie Platon lehrte, dass die Seele, bevor sie in den sterblichen Körper eintrete, zwischen den Ideen sich aufhalte und Bindungen mit anderen Seelen eingehe?


    Er hatte es gespürt, damals bei Polyxene, in Athen. Vom ersten Augenblick an. Mit einem Schlag hatte er verstanden. wovon Platon gesprochen hatte, doch dann geschah jenes schreckliche Unglück. Nun, bei der Sponsalia, als er Axilla zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er Ähnliches gefühlt, und doch, es war anders, so gänzlich anders ...
    All dies und noch viel mehr überschlug sich in Sekundenbruchteilen im Geist des jungen Flaviers, während er in Axillas grünen Augen zu versinken drohte. Ein seltsames Gefühl an seiner Nasenspitze weckte ihn jäh aus seinem Zustand der Trance, riss ihn mit sanfter Gewalt fort aus jenem Meer an Empfindungen, Erinnerungen und Phantasien, die sich seines Geistes bemächtigt hatten, und hieß ihn, durch eine leichte Bewegung nur, wieder gen Himmel zu blicken. Es war soweit und das Unvermeidliche trat ein: es begann zu regnen. Mit einem verzückten Gesichtsausdruck ließ der Flavier noch einige der Tropfen sein Antlitz benetzen, ehe ihm sichtlich ein Gedanke in den Kopf schoss, der ihn unvermutet plötzlich sich aufrichten ließ. Schreckerfüllt blickte er auf die Kithara, sein Instrument, das immer noch neben ihm auf der Kline ruhte und dessen edle Oberfläche mittlerweile von einigen glitzernden Tropfen geziert wurde.


    "Schnell, bring die Kithara in Sicherheit!", rief er schon fast der jungen Sklavin zu, die, sichtlich erlöst, endlich dem bedrohlichen Donnergrollen und den, sich mit schneidendem Wind anbahnenden Anzeichen des Gewitters entfliehen zu können, unverzüglich nachkam. Sie schnappte also das Instrument und rannte wie der Blitz los in Richtung der Villa. Auch Flaccus war nun vollständig aus seiner starren Bewegungslosigkeit erwacht, und von seiner Kline aufgesprungen. Schnell ergriff er Axillas Hand und noch ehe die wohl wusste, wie ihr geschah, oder gar protestieren konnte, hatte er sie schon aufgezogen und zog sie nun hinter sich her, durch den immer stärker werdenden Regen auf die Villa zu. Von dort kamen ihnen bereits einige Sklaven aufgeregt herbeieilend entgegen, wohl um die Früchte, die Becher und Krüge in Sicherheit zu bringen.

  • Einen Augenblick lang sah Axilla einfach zu Flaccus hinüber, wie er die dräuenden Wolken betrachtete. Er sah nicht einmal zu ihr hinüber, sondern nach oben zu den immer schwärzer heraufziehenden Herbstwolken, die sicher früher oder später aufbrechen würden und die kleinen Menschen darunter daran erinnern würden, dass es Herbst war.
    Er wollte sie kennen lernen, sagte er. Er, ein Flavier, ein Verwandter von Piso, wollte sie kennenlernen. Ob er dabei weitreichendere Gedanken hatte, wusste Axilla nicht zu sagen. Und im Grunde war es auch nicht wirklich wichtig. Axilla machte sich da nichts vor, sie wusste, wie die Situation wäre.
    Sie sah also einen Augenblick einfach nur zu ihm hinüber, die Stirn ganz leicht kraus gezogen, und überlegte, was sie dazu sagen sollte. Sollte sie überhaupt etwas dazu sagen? Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich zu überlegen, ob der andere ein Interesse an einem persönlich hatte. Und welcher Art dieses Interesse war. Axilla war das nach wie vor nicht gewohnt. Kurze, flüchtige Komplimente, die nur halb ernst gemeint waren, die kannte sie. Aber dass wirklich jemand sie kennenlernen wollte, und zwar nicht nur die hellen, sondern auch, oder besser: vor allem die dunklen Seiten, das kannte sie nicht. Ob er das wohl immer noch wollte, wenn er sie dann kannte?


    Axilla bemerkte nichts von dem sich verdüsternden Himmel. Sie war in ihre Betrachtung von Flaccus vertieft. Er sah beinahe verträumt drein, wie er beständig nach oben schaute, die Welt um sich herum vergessend. Axilla erinnerte sich an dies Gefühl, an diese Fähigkeit, und beinahe neidvoll wurde sie sich bewusst, dass sie diese im Moment verloren zu haben schien. Wann war sie das letzte Mal einfach so durch den Moment entrückt gewesen und hatte einfach das Sein unbeschwert genossen? Sie versuchte, sich daran zu erinnern, aber es verblasste.
    Und mitten in diese ungesunde Melancholie brachten die Götter ein einfaches Zeichen, so schlicht, dass es beinahe banal schien. Es war nichts außergewöhnliches und nichts großes, noch nicht einmal etwas erbauliches. Es war ein kleiner, kalter Tropfen Regen, der direkt auf Axillas Wange fiel und sie so jäh aus ihren trüben Gedanken riss. Sie blickte nach oben, und bekam auch schon den nächsten ab, diesmal auf die Stirn. Sie sah über sich, in den sturmschwarzen Himmel, wie nach und nach immer mehr Tropfen fielen, und musste lachen. Sie wusste nicht einmal so genau, warum, aber es war so. Erst war es nur ein breites Lächeln, und dann, als Flaccus ihre Hand ergriff und sie auf zog, fort von der Liga und hin zum Haus, wurde es zu einem leichten Kichern. Sie liefen durch den nicht gerade kleinen Garten zum Haus, die Sklavin mit der Kithara bewaffnet schon voraus, und sie hinter Flaccus her. Seine Toga flog ob der Geschwindigkeit ziemlich unsittlich hoch, und Axillas musste mit ihrer freien Hand den Saum ihres kunstvollen, aber zum Rennen gänzlich ungeeigneten Kleides anheben, um überhaupt so laufen zu können.


    Und genau das war wie eine Befreiung. Laufen. Ihre Muskeln erinnerten sich an das Gefühl und in freudiger Anspannung beschleunigten sie, so dass sie mit Flaccus gleich zog. Kalte Luft in ihren Lungen, regen, der ihre Frisur ruinierte. Bis sie beim Haus ankamen, hatte es so zu schütten begonnen, begleitet von leicht grollendem Donner, dass sie trotz aller Eile sehr nass geworden waren. Und doch war Axilla weit entfernt davon, deshalb nun unruhig oder besorgt zu sein. Es war befreiend, und sie war dankbar dafür.
    Vom Laufen etwas schneller atmend und mit klopfendem Herzen stand sie da, nun im Trockenen, und warf noch einen letzten Blick in den Garten, über den ein Blitz hell und leuchtend zuckte, gefolgt von tiefem, dunklen Donner. Und Axilla strahlte, schloss einen Moment die Augen und sog tief den Duft der nassen Erde und der elektrizitätgeschwängerten Luft ein. Als sie danach zu Flaccus schaute, wie er wie ein begossener Molosserhund neben ihr stand, musste sie nochmal laut kichern. “Ich hoffe, diene Kithara hat nicht so viel abbekommen wie du.“

  • Der triefende Molosserhund stand einfach da, genoss die erfrischende Wirkung der Bewegung und den Geruch der "elektrizitätgeschwängerten Luft" an Axillas Seite, seine Brust hob und senkte sich merklich, denn auch seine Atmung hatte sich durch den kurzen Sprint ins Trockene etwas beschleunigt, und wurde erst nach einigen Augenblicken der Tatsache gewahr, dass er Axilla immer noch an der Hand hielt. Leicht irritiert öffnete er seinen Griff und trat einen Schritt zur Seite, war dies doch für sein Empfinden eine zutiefst sonderbare, weil ungewohnte Situation und musterte die junge Frau neben ihm, deren Frisur wohl auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ein Schmunzeln konnte er sich nicht verkneifen, zumal auch Axilla sich ob seines eigenen Anblicks eines lauten Kicherns nicht erwehren konnte. Wohlweislich unterließ Flaccus zunächst den Blick an sich selbst hinunter, ahnend, dass er seinem so nach Perfektion (auch das äußere Erscheinungsbild betreffend) strebenden Geist wohl zutiefst zuwider wäre. Lächelnd blickte stattdessen Axilla an. "Solange sie jedenfalls weniger abbekommen hat als DU, wird sie schon zu retten sein..." Denn Axilla glich im Moment tatsächlich eher einer Quellnymphe, die etwas zu ausgelassen herumgeplantscht hatte oder aber einer Dryade nach einem heftigen Wolkenbruch, denn einer jungen römischen Dame. Er ließ seinen Blick ihren Körper nach unten wandern an dessen Rundungen der feuchte Stoff des dunklen Kleides sich nun eng anschmiegte. "Du kannst dich gerne im Balneum frisch machen, wenn du willst und ich denke Aglaia", er wies auf die junge Sklavin, die, nachdem sie die Kithara hoffentlich einigermaßen liebevoll im Cubiculum ihres Dominus versorgt hatte, wieder zu den beiden gestoßen war, "wird dir dabei zur Seite stehen und sicherlich auch etwas Trockenes zum Anziehen für dich finden..." Nun erst tat er das ohnehin Unumgängliche und ließ auch an sich selbst seinen Blick herunterwandern, während er demonstrativ etwas Wasser aus seiner rechten Sandale schüttelte. "Und ich denke, auch ich sollte zumindest eine trockene Tunika anziehen..." Schließlich sollte sich hier doch niemand den Tod holen, selbst wenn die Räumlichkeiten der flavischen Villa natürlich angenehm temperiert waren. "Ich schlage vor, wir treffen einander anschließend in der Bibliotheca, Aglaia wird dich begleiten..."


    Dass Axilla bereits genug von ihm hatte und schon nach Hause wollte, zog Flaccus, nicht nur angesichts des Wetters, sondern eher grundsätzlich dem flavischen Selbstbewusstsein entsprechend, erst gar nicht in Erwägung. Außerdem, und das war wohl der gravierendste Grund von allen, hatte er noch nicht genug von ihr! Die Faszination, die sie bei ihrem ersten Treffen bei Flaccus bewirkt hatte, war durch das schrittweise Vortasten in ihre Geschichte und Persönlichkeit, gleich dem Eintauchen unter die spiegelnde Oberfläche des unendlichen Ozeans, während des Gespräches im Garten keineswegs geschmälert, sondern wohl eher noch intensiviert, zumindest jedoch auf eine gänzlich andere Ebene gerückt worden. War es zunächst ja ihr bloßes äußeres Erscheinungsbild, ihre außergewöhnliche Aura gewesen, die ihn in ihren Bann gezogen hatte, so waren es nun hintergründigere Dinge, wie die Verbindung von tiefer Erfahrung und Weisheit und einem aufgeweckten, fast naivem, kindlichen Gemüt, die er in ihrer Person verwicklicht glaubte und in ihren Worten empfand, die die Quelle seiner Faszination bildeten. Ein dumpfer Donnerschlag ließ Flaccus nach draußen blicken. - Zweifellos, an Rückkehr war jetzt nicht zu denken.

  • Bei seiner frechen Bemerkung bekam er von Axilla einen beinah geschwisterlich zu nennenden Schubser, als sie ihn gespielt empört ansah. “Willst du damit etwa andeuten, dass ich in einem undamenhaften Zustand bin? Ich bin mir sehr sicher, dass Nymphen in jeder Form immer und beständig mit Liebreiz beglückt sind.“ Ein herausfordernd vorwurfsvoller Blick folgte. Da ihm aber über eine Haarsträhne gemeinerweise ein paar Tropfen beständig auf die Nase liefen, was furchtbar albern aussah, konnte Axilla diese Miene nicht beibehalten, weil sie kichern musste.
    Dann meinte Flaccus aber, sie könne sich hier umziehen und herrichten, und er würde dasselbe tun, um sich anschließend in der Bibliothek zu treffen. Da wurde Axilla dann doch wieder ernster, denn da ging es nicht nur um die Blödelei zwischen ihnen beiden. Sie konnte ja nicht einfach Kleidung von jemand anderes anziehen. Axilla war kein Familienmitglied und kein richtiger Hausgast, sondern nur Besuch. Und sie war sich sehr, SEHR sicher, dass sie zumindest einen Flavier kannte, der ausrasten würde, wenn er sie dabei erwischte.
    “Ähm, Moment. Ich kann nicht einfach von einer deiner Verwandten ein Kleid anziehen. Das geht doch nicht.“ Allerdings war es auch vollkommen ausgeschlossen, dass sie so nass und tropfend durchs Haus lief oder sich gar in die Bibliothek hockte. Das sähe wohl noch bescheuerter aus. Abgesehen davon, dass sie dann fürchterlich krank würde. “Vielleicht ist es besser, dass ich mich verabschiede und heim gehe, ehe das Wetter noch schlimmer wird.“ Wobei der Donner draußen schon auf bevorstehenden Weltuntergang hindeutete. Es wetterte ganz ordentlich, und der Regen rauschte sehr laut.

  • Der übermütige Schubser von Axilla ließ Flaccus laut lachen. Woran er in diesem Moment nicht denken konnte, war, dass es das erste Mal seit sehr langer Zeit war, dass er wieder einmal einfach Spaß mit einer Freundin hatte. "Ähm, ja ... vermutlich", angestrengt versuchte er, sich das Lachen zu verkneifen, während er Axillas vorwurfsvollem Blick mit seinen belustigt glitzernden braunen Augen gekonnt standhielt, "wenngleich er sich manchmal erst beim zweiten Blick offenbart, oder beim dritten ..." ein seltsames Gefühl an seiner Nasenspitze brachte Flaccus leicht aus dem Konzept und Axillas Kichern bestärkte seine Vermutung noch, dass er im Moment wohl bestenfalls ein albernes Bild abgab. Nichtsdestotrotz, ganz Patrizier, versuchte Flaccus die Contenance zu wahren und fuhr sich mit gespielt beiläufiger Geste durchs Haar, was jedoch zur Folge hatte, dass die klatschnassen Ärmelfalten seiner Toga sich selbstständig machten und seinen Arm hinaufwanderten, um dann, nach vollbrachter Geste, nass wie sie waren, dort kleben zu bleiben anstelle wieder an ihren angestammten Platz zu rutschen. Reichlich mühsam war also der Versuch des Flaviers, sein Erscheinungsbild einigermaßen in Ordnung zu bringen, bevor er Axilla eben jenes Angebot machte, sich doch in einem der Balnea zumindest notdürftig zu versorgen - was die junge Iunia offenbar gänzlich falsch verstand.


    "Nein...", Flaccus musste unwillkürlich lächeln, "...das geht vermutlich wirklich nicht. Aber wenn du dich mit einer einfachen Tunika zufrieden geben würdest, ließe sich sicherlich etwas finden, und da hätten meine Verwandten zweifellos nichts dagegen." Schließlich gab es in einem so gewaltigen Haushalt, wie dem flavischen, ja schiere Unmengen an Sklaven, sodass wohl auch dementsprechende Massen an Kleidung zur Verfügung stehen mussten, um Gäste auch einkeiden zu können, ohne die Kleiderschränke der flavischen Hausbewohner anzuzapfen. "Wenn du es aber vorziehst, deines und das Leben deiner Sklaven aufs Spiel zu setzen, und bei dem Wetter", im richtigen Moment schickte Zeus, der große Blitzeschleuderer eines seiner Geschosse, wie, um den Worten des Flaviers noch mehr Gewicht zu verleihen, zur Erde, und das Donnergrollen nach dem Einschlag schien selbst die massiven Mauern der flavischen Villa erzittern zu lassen, "nach Hause zu gehen, will ich dich nicht aufhalten...", wieder blickte er nach draußen, von wo nun endlich die Sklaven, völlig durchnässt und triefend mit den Früchten, an deren prallen Oberflächen tausende kleine Tröpfchen glitzerten, und den Bechern und Krügen zurückkamen und wo der Regen mittlerweile mit archaischer Gewalt auf den grünen Rasen des Gartens niederprasselte.

  • Sim-Off:

    Sorry, vor lauter Plätzchenbacken und Geschenke packen hab ich den Thread hier irgendwie total übersehen


    Wurde er da etwa gerade frech? Axilla stand einen Moment mit leicht offenem Mund da und sah ihn halb ungläubig, halb entzückt an, während er seine kleinen Spitzen anbrachte. “Zweiter oder dritter Blick? Soso, das merk ich mir.“ Es war eine nicht näher definierte Drohung, die aber oft genug ihre Wirkung auch entfachte, ohne dabei den Rahmen des Scherzes zu verlassen. Aber das würde sich Axilla ganz sicher merken. Da gab man einem Kerl eine Glanzvorlage, charmant zu sein, und er stichelte! Männer!


    Und auch, wenn das Wetter draußen immer garstiger wurde, stand für Axilla eigentlich fest, dass sie nicht einfach ein Kleid von einer der Damen des Hauses anziehen konnte. Als Flaccus dann aber ihre Vermutung berichtigte, war sie auch nicht so ganz zufrieden. Eine einfache Tunika? Axilla hatte nun nichts gegen einfache Tuniken, sie lief zuhause die meiste Zeit in einer herum. Die waren praktisch und behinderten nicht beim Arbeiten. Aber das war was anderes, daheim sah sie ja niemand! Schon gar kein Patrizier. Und Axilla hatte irgendwo die Befürchtung, dass Piso gleich um die Ecke kommen würde und sie dann wegen ihrer Aufmachung schon wieder runterputzen würde. Darauf konnte sie wirklich verzichten.
    Das Donnern draußen allerdings sagte ihr, dass es wirklich wohl eine sehr schlechte Idee sein mochte, jetzt zu gehen. Bei diesem Wetter jagte man keinen Hund vor die Tür. Auch wenn Axilla eigentlich nicht daran glauben wollte, ein bisschen fragte sie sich dabei schon, ob das Unwetter ein Ausdruck göttlichen Zorns über das noch ungesühnte Vorkommnis bei Nemi war. Heftig genug war es dafür.


    Wirklich schwierige Frage. Dastehen und Tropfen fiel aus, dann würde Axilla furchtbar krank werden. 'Einfache Tunika' klang so, als wolle Flaccus sie in eine Tunika seiner Sklavinnen stecken, und das fiel auch aus. Was blieb war also... “Hmm, vielleicht sollte ich wirklich bleiben. Aber dann will ich eine deiner Tuniken. Dann brauch ich kein schlechtes Gewissen haben, wessen Kleidung ich trage. Du hast es ja vorgeschlagen!“ Bestechende, weibliche Logik. Damit würde Axilla leben können, und da Flaccus es vorgeschlagen hatte, würde er jetzt wohl auch kaum nein sagen.

  • Axillas scherzhafte und unspezifische Drohung, so es denn ihr Ziel gewesen war, Flaccus ein schlechtes Gewissen zu breiten, verfehlte ihre Wirkung gänzlich, was vermutlich auch an dem entzückt-verwunderten Gesichtsausdruck liegen mochte, den die Worte des Flaviers bei ihr hervorgerufen hatten. Irgendwie sah sie im Moment einfach zu ... süß aus, triefend nass wie sie da stand, den Mund vor Verwunderung halb geöffnet, ihre grünen Augen ungläubig funkelnd, als dass ihre Drohung als tatsächlich ernst zu nehmende gelten konnte. Und siehe da: Schon willigte sie, durch die zwingende Logik der Argumentationskette des Flaviers, oder einfach das apokalyptische Donnergrollen draußen, überzeugt, in den Vorschlag ein. Nun war es jedoch an Flaccus einen etwas verwunderten Gesichtsaudruck aufzusetzen. "Eine meiner Tuniken?", vergewisserte er sich überrascht, obwohl er natürlich einwandfrei verstanden hatte. Dann allerdings zauberte er ein Lächeln auf seine Lippen. "Ich habs vorgeschlagen und ich stehe natürlich zu meinem Wort.", erklärte er in feierlicher Komik, schließlich gehörte es sich ja für einen vir vere Romanus sein Wort zu halten. "Ähm, ja, also ... Aglaia soll dir etwas von mir geben - ich bin schon gespannt...", das Lächeln verbreitete sich zu einem Grinsen, denn eine Strähne von Axillas dunklem Haar hatte sich gelöst und hing ihr nun ins Gesicht, was Flaccus ziemlich zu amüsieren schien. "Wir sehen uns jedenfalls in der Bibliothek, sobald ihr fertig seid...", meinte er noch zu den beiden jungen Frauen, bevor er sich umwandte und mit quatschenden Schritten, eine nasse Fußspur hinterlassend, den Gang entlang zu seinem Cubiculum ging watschelte. Dass Aglaia sich gut um Axilla kümmern würde, daran hatte er keinen Zweifel, durch seine zuvorkommende Freundlichkeit war das griechische Mädchen Flaccus schon bald nach seiner Ankunft ins Auge gefallen, so dass es auch nicht als Zufall gelten konnte, dass er ausgerechnet sie heute ausgewählt hatte, um für das Wohl der beiden zu sorgen.

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